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Inselzirkus (Mamma Carlotta 5)Inselzirkus (Mamma Carlotta 5)

Inselzirkus (Mamma Carlotta 5) Inselzirkus (Mamma Carlotta 5) - eBook-Ausgabe

Gisa Pauly
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Ein Sylt-Krimi

„Liebenswerte Originale, eine recht verzwickte Handlung und Sylt als deren malerischer Schauplatz machen diesen Krimi zu einem höchst vergnüglichen Leseerlebnis.“ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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Inselzirkus (Mamma Carlotta 5) — Inhalt

Eigentlich wollte sich Mamma Carlottas Enkelin Carolin als Komparsin für eine Telenovela bewerben, doch engagiert wird nicht sie, sondern die Oma. Schwiegersohn Erik Wolf hat derweil andere Sorgen: Die Leiche eines Klatschreporters wird aus dem Lister Hafen gefischt, und schon bald steht ein beliebter Schauspieler unter Verdacht. Dann gibt ein weiterer Todesfall Rätsel auf – der Chef der Filmproduktionsfirma wird tot aufgefunden. Zum Entsetzen von Mamma Carlotta sind die Hauptverdächtigen ihre Kolleginnen am Set …

Perfekte Cozy Crime für Ihre Strandlektüre – machen Sie Urlaub mit Mama Carlotta! 

Bücher für den Urlaub gibt es viele. Hervorragende Regionalkrimis ebenso. Doch kaum ein anderer Nordsee-Krimi bringt das Lebensgefühl auf Sylt mit so viel Charme und Situationskomik auf den Punkt wie die Mamma Carlotta-Reihe. Lassen Sie die Seele baumeln und schmökern Sie nach Herzenslust –  die Romane von Gisa Pauly sind ein pures Vergnügen und ein perfekter Tipp für Ihre Urlaubslektüre. 

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 01.05.2011
400 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-26450-1
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€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 11.04.2011
400 Seiten
EAN 978-3-492-95229-3
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Leseprobe zu „Inselzirkus (Mamma Carlotta 5)“

Mit der Ruhe war es vorbei. Noch am Vormittag hatte die Stille über dem Dorfteich von Wenningstedt gestanden, wie immer, wenn das Wetter so gut war, dass die meisten Touristen sich am Strand aufhielten. Zwar hatte das Wasser noch keine Badetemperatur, aber die Sonne, die mittags hervorgekommen war, machte den Aufenthalt am Meer angenehm. Kraft hatte sie noch nicht, doch fast jeder streckte ihr das Gesicht entgegen und genoss ihre Wärme, die kurz vor Ostern kostbar war.
Nun aber war die Stille verflogen. Das Geklapper von Fahrrädern schreckte die Enten [...]

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Mit der Ruhe war es vorbei. Noch am Vormittag hatte die Stille über dem Dorfteich von Wenningstedt gestanden, wie immer, wenn das Wetter so gut war, dass die meisten Touristen sich am Strand aufhielten. Zwar hatte das Wasser noch keine Badetemperatur, aber die Sonne, die mittags hervorgekommen war, machte den Aufenthalt am Meer angenehm. Kraft hatte sie noch nicht, doch fast jeder streckte ihr das Gesicht entgegen und genoss ihre Wärme, die kurz vor Ostern kostbar war.
Nun aber war die Stille verflogen. Das Geklapper von Fahrrädern schreckte die Enten auf, Klingeln, quietschende Bremsen, Gelächter, laute Stimmen. Die Spaziergänger, die sich auf den Bänken am Dorfteich ausruhten, machten lange Hälse, der Küster öffnete die Tür der Friesenkapelle und trat neugierig auf die Straße. Alle schienen sich zu fragen: Was ist los? Wo wollen die vielen jungen Leute hin?
Mamma Carlotta wusste es. Und sie wäre dem Strom gern gefolgt, aber Felix und Carolin hatten ihr leider das Versprechen abgenommen, sich zurückzuhalten. „Es ist peinlich, mit der Oma da anzutanzen ! “ Das fand Mamma Carlotta ärgerlich, aber versprochen war versprochen. Obwohl sie der Meinung war, dass sie es verdient hätte, der Sache aus der Nähe zuzuschauen. Schließlich hatte sie es ihren Enkeln ermöglicht, ihr Glück zu versuchen. Da wäre ein wenig Dankbarkeit angebracht gewesen.
Ihr Schwiegersohn war strikt dagegen gewesen, aber Mamma Carlotta hatte die Pläne der Kinder verteidigt: „Lass sie doch, Enrico! Es ist ja nur ein Spaß!“
„Ein Spaß?“ Erik hatte seine Schwiegermutter mit einem vielsagenden Blick auf Carolin aufmerksam gemacht, die auf der Terrasse stand und mit entrückter Miene etwas in die Bäume deklamierte, was im Wohnzimmer nicht zu verstehen war. „Ich will nicht, dass ihr solche Flausen in den Kopf gesetzt werden.“
Was Erik Flausen nannte, bezeichnete Carolin als „die Chance ihres Lebens“, und Felix sah es als Möglichkeit, „dicke Kohle zu machen“. Carolins Ambitionen gefielen Mamma Carlotta weitaus besser, aber ein zukünftiger Fußballprofi hatte eben eine andere Motivation als ein junges Mädchen, das sich soeben der Schauspielkunst verschrieben hatte.
Mamma Carlotta konnte sich über die Haltung ihres Schwiegersohns nicht genug wundern. „Du bist wie die älteste Schwester meiner Mutter“, hatte sie Erik vorgehalten. „Tante Ilaria hat sich gegen alles gewehrt, was nicht alltäglich war. Nicht mal zu heiraten hat sie sich getraut. Sie wollte lieber als alte Jungfer sterben als an Aufregung. “
„War das nicht die Tante, die hundert geworden ist?“, hatte Erik gefragt. „Da siehst du’s! Ein langweiliges Leben ist gesund.“
„Hundert Jahre Langeweile?“ Für Mamma Carlotta kam diese Möglichkeit nicht infrage. „Da sterbe ich lieber mit achtzig bei einem Flugzeugabsturz.“
Tante Ilaria hatte sich selbstredend niemals getraut, ein Flugzeug zu besteigen, was Mamma Carlotta heute nur noch ein verächtliches Lächeln entlockte. Dass sie selbst, bevor sie zum ersten Mal von Rom nach Hamburg geflogen war, mehrere Rosenkränze gebetet hatte, erwähnte sie mittlerweile nicht mehr gern. Von Flugangst wollte sie nichts wissen und fürchtete auch keine himmlische Strafe mehr, weil sie sich etwas herausnahm, was für eine italienische Mamma eigentlich nicht vorgesehen war. Ihr Dino, Gott hab ihn selig, hätte das jedenfalls behauptet, wenn sie ihn um das Geld für ein Flugticket nach Sylt gebeten hätte.
Das Leben bot so viel Unterhaltsames, wenn man sich nur darauf einließ. Wie konnte Erik mit Desinteresse und Widerwillen reagieren, wenn sich auf Sylt etwas so Aufregendes zutrug wie die Dreharbeiten zu einer Telenovela, die ganz Deutschland kannte und die in synchronisierter Fassung sogar in Italien gesendet wurde! Dort allerdings nur im Spätprogramm, eine ungünstige Zeit, da das Abendessen in der Familie Capella selten vor zehn Uhr endete.
Aber Carlottas Schwiegertochter Sandra sorgte gelegentlich dafür, dass der Secondo ausfiel oder dass jedem Familienmitglied nur ein Pfirsich in die Hand gedrückt wurde, der dann Dolce genannt wurde. Damit konnte man sich vor den Fernseher setzen und die Telenovela „Liebe, Leid und Leidenschaft“ sehen, die in Italien „L’amore, la pena e la passione“ hieß.
Seit bekannt war, dass der beliebte Filmstar Bruce Markreiter eine Gastrolle übernehmen würde, beklagte sich Mamma Carlottas ältester Sohn Guido immer öfter, weil das Essen abgekürzt wurde, nur noch selten Tiramisù auf den Tisch kam und der Espresso vor den Fernseher getragen wurde. Dass der Handlungsstrang, in dem Markreiter eine tragende Rolle spielte, auf Sylt gedreht wurde, hatte Mamma Carlotta leider vor ihrer Abreise nicht mehr mitbekommen. Sonst wäre ihre gesamte Nachbarschaft längst darüber informiert, dass Carlotta Capella in den Flieger nach Hamburg gestiegen war, um direkt im Filmgeschäft zu landen.
Aber das hatte auch etwas Gutes. Die Überraschung würde umso größer sein, wenn sie mit der überwältigenden Neuigkeit nach Umbrien zurückkehrte, dass sie tiefe Einblicke in „Liebe, Leid und Leidenschaft“ gewonnen hatte. Demnächst würde ihr ganzes Dorf die Serie im Fernsehen verfolgen. Erst recht, wenn Carlottas Enkelkinder auf dem Bildschirm zu sehen sein würden. Den Pfarrer ihres Dorfes würde sie bitten, den Fernsehapparat in den Gemeindesaal zu stellen, wie er es bei den Fußballweltmeisterschaften tat, damit Mamma Carlotta im Kreise sämtlicher Dorfbewohner den denkwürdigen Moment genießen konnte, wenn ihre Enkel sich als Komparsen einem Millionenpublikum präsentierten.
„Una comparsa?“ Sie hatte sofort verstanden, worum es ging, als Carolin ihr direkt nach ihrer Ankunft auf Sylt von der Chance berichtete, bei „Liebe, Leid und Leidenschaft“ mitzuwirken. „Signora Calzolaio – ihr wisst doch, die Frau des Apothekers – war auch mal una comparsa. Im Theater von Modena. Zwanzig Jahre ist das her, aber sie redet heute noch davon. Dabei hatte sie nicht mehr zu tun, als schreiend von der Bühne zu laufen, nachdem der Hauptdarsteller des Dramas erstochen worden war. Aber wenn sie davon redet, spricht sie immer von ihrer Zeit am Theater. Als hätte sie eine große Karriere abgebrochen, indem sie in unser Dorf kam, um den Apotheker zu heiraten. “ Mamma Carlotta hatte ihren Schwiegersohn streng angesehen. „Signora Calzolaio hält ihrem Mann bei jedem Ehekrach vor, sie habe seinetwegen auf eine Theaterkarriere verzichtet. Willst du dir später auch jahrelang vorhalten lassen, dass du die Kinder um eine interessante Erfahrung gebracht hast?“
Es war Erik anzusehen, dass er das nicht wollte. Und irgendwann hatte er wie erwartet nachgegeben. „Du bist wie Lucia!“, hatte er gesagt und versucht, verdrießlich auszusehen. Aber Mamma Carlotta wusste genau : Immer wenn er seine Schwiegermutter mit seiner verstorbenen Frau verglich, war sein Schimpfen nur die äußere Verkleidung eines Gefühls, das er nicht zeigen wollte.
Sie stellte ihr Fahrrad vor der Friedhofspforte ab, blickte den Kindern nach und versuchte, nicht gekränkt zu sein, weil die beiden ihr zum Abschied nicht nachwinkten. Anscheinend wollten sie ihren Klassenkameraden weismachen, dass sich ihre Großmutter rein zufällig in der Nähe aufhielt und nichts mit dem zu tun hatte, was seit Tagen auf dem Schulhof das Gesprächsthema Nummer eins war. Und ihre Nonna wollten sie damit wohl an ihr Versprechen erinnern, dass sie nur ein kleines Stück mit ihnen zusammen fahren würde und dann einen Besuch an Lucias Grab machen wollte.
Mamma Carlotta blieb noch eine Weile vor dem Friedhofstor stehen und sah dem Strom der Fahrradfahrer nach. So viele? In der Zeitung war die Rede von einigen Komparsen gewesen, die die Produktionsfirma brauchte. Viele der jungen Leute würden vermutlich unverrichteter Dinge zurückkehren müssen. Mamma Carlotta blutete das Herz, wenn sie daran dachte, dass man Carolin und Felix abweisen könnte.
Besonders Carolin würde leiden, die sich seit Tagen mit einem Theaterstück auf diesen Tag vorbereitete, das „Minna von Barnhelm“ hieß. Wenn sie deklamierte: „Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der Kapitulation zu fordern?“, sah Mamma Carlotta nur fragend in das schwärmerische Gesicht ihrer Enkelin und wagte nicht, sich zu erkundigen, was der Dichter, von dem sie noch nie gehört hatte, damit wohl ausdrücken wollte. Aber anscheinend war dieser Gotthold Ephraim Lessing über jeden Zweifel erhaben, denn Frau Olsted, Carolins neue Deutschlehrerin, hatte ihn den wichtigsten Dichter der deutschen Aufklärung genannt. Mamma Carlotta hatte nicht einmal zu fragen gewagt, was mit deutscher Aufklärung gemeint war, und erst recht den Einwand heruntergeschluckt, dass man für eine Komparsenrolle sicher nicht ein komplettes Theaterstück auswendig lernen müsse.
Alina Olsted vertrat jedoch die Meinung, dass eine derart intensive Beschäftigung mit einem Theaterstück nur von Nutzen sein konnte, und da die junge Referendarin angeblich aussah wie Cindy Crawford, waren ihre Ansichten bei Carolin ebenso populär wie das weltbekannte Model.
Carolin hatte sofort eine Modezeitschrift hervorgeholt und sie ihrer Nonna hingehalten. „Cindy Crawford war sogar mal mit Richard Gere verheiratet.“
Mamma Carlotta gab ihrer Enkelin recht, dass Cindy Crawford eine außergewöhnliche Frau sein musste, wenn sie diesen Mann erobert hatte. Und dass eine Frau, die ihr ähnlich war, auch ähnlich außergewöhnlich sein musste, stand außer Frage.
„Den Leberfleck auf der Oberlippe hat Frau Olsted auch“, erklärte Carolin. „Und sie ist beinahe so groß und so schlank wie Cindy Crawford. Nur ihre Haare sind dunkler. “
Schon am nächsten Tag hatte Mamma Carlotta Carolins Lehrerin kennengelernt und festgestellt, dass der Leberfleck auf der Oberlippe fast das Einzige war, was an Cindy Crawford erinnerte. Aber selbst wenn sie keine Frau war, für die Richard Gere eine Schwäche entwickeln würde, war sie doch sehr attraktiv.
Mamma Carlotta wandte sich ab und schob die Friedhofspforte auf. Kaum hatte sie sie hinter sich geschlossen, breitete sich die Stille vor ihr aus. Dieser Ort war auch dann ruhig, wenn um ihn herum der Lärm brandete. Immer wenn Carlotta Capella zum Grab ihrer Tochter ging, war diese Stille in ihr. Dann schrie nicht mal mehr die Frage in ihrem Kopf, warum dieser unaufmerksame Fahrer ausgerechnet in dem Moment die Gewalt über seinen Lkw verloren hatte, als Lucia ihm entgegengekommen war.
Der Wenningstedter Friedhof besaß kein Gräberfeld, auf dem sich ein Grab ans nächste anschloss. Nein, dieser Friedhof war ein Garten, mit einer großen, von Bäumen bestandenen Grünfläche. Die Grabsteine und Holzkreuze wirkten nicht so wuchtig, weil es vor ihnen kein Rechteck gab, das die Größe und Form eines Sarges hatte, sondern nur ein kleines Rund, das mit Blumen bestanden war. Für Mamma Carlotta war es ein großer Trost, durch diesen Garten zu gehen, der für die Toten angelegt worden war. Und als sie vor dem weißen Stein stand, der Lucias Namen trug, konnte sie ihn sogar anlächeln.
Unhörbar erzählte sie ihrer Tochter, dass Carolin und Felix etwas ungeheuer Interessantes vorhatten. „Du hättest es ihnen doch auch erlaubt, piccola mia? Enrico ist ja immer so … so …“ Ihr fiel die Vokabel für „altmodisch“ nicht ein, aber Lucia würde schon verstehen, was sie meinte. Und sie würde sich da oben im Himmel auch nicht darüber wundern, dass ihre Mutter vor ihrem Grab in Gedanken deutsch mit ihr sprach. Mamma Carlotta wusste, dass Lucia eine Sylterin geworden war, dass sie hier ihre Heimat gefunden hatte und glücklich gewesen war. Wenn sie in Umbrien mit Lucia Zwiesprache hielt, geschah das immer in ihrer Muttersprache, auf Sylt jedoch redete Mamma Carlotta mit ihrer Tochter deutsch.
Sie zupfte lächelnd ein paar welke Blüten von den weißen Primeln und legte die kleinen hellen Kiesel zurück, die der Wind auf den Weg geweht hatte. Sie war Erik dankbar, dass er prunkende Farben von Lucias Grab fernhielt. Sie hatte ihr Leben lang das Helle, Klare verkörpert, für ihre Eltern und Geschwister und auch für Erik und die Kinder. Das strahlende Weiß passte sehr gut zu ihr.
Carlotta suchte ein Papiertaschentuch aus ihrer Jackentasche, wischte den hellen Findling sauber, auf dem Lucias Name stand, dann richtete sie sich auf und betrachtete das Grab, wie sie früher ihre Tochter betrachtet hatte, wenn sie sich für einen Tanzabend zurechtgemacht hatte. „Nun werde ich mal sehen, ob die Kinder Erfolg haben bei diesem … Casting. Sie wollten nicht, dass ich sie begleite, aber glaubst du, dass sie etwas dagegen haben, wenn ich mal schaue, was sich dort so tut? Ganz unauffällig. Was meinst du?“ Sie wartete eine Weile, dann war sie sicher, Lucias Zustimmung zu spüren. „Nur ein kurzer Blick! Das wird schon nicht so schlimm sein ! “
Bevor sie sich abwandte, machte sie ihre Tochter noch auf etwas aufmerksam, was sie am Grab ihres Mannes versteckt hätte. „Ich habe mir Stiefeletten gekauft, Lucia! Was sagst du dazu?“
Ihre Tochter hatte an den Füßen ihrer Mutter nie etwas anderes gesehen als Pantoletten, weiße im Sommer und schwarze im Winter. Seit dem letzten Sommer besaß Mamma Carlotta jedoch helle Sneakers und seit zwei Tagen modische Stiefeletten, die Carolin ihr empfohlen hatte. Dass sie mittlerweile auch auf das Schwarz, die Farbe der italienischen Witwen, verzichtete, auf Sylt eine Hose trug und sogar die Benutzung von Lockenstab und Lippenstift gelernt hatte, wusste ihre Tochter längst.
Die Verwandlung von der dicken italienischen Mamma, die seit dem dreißigsten Geburtstag einen Haarknoten trug, in eine mollige Mittfünfzigerin, die hübsch anzusehen war mit ihren kurzen, grau durchwirkten Locken und den blitzenden dunklen Augen, wollte sie auf keinen Fall mit dem Tod ihres Mannes in Zusammenhang gebracht wissen. Wenn in ihrem Dorf eine diesbezügliche Bemerkung gemacht wurde, war sie mit einer Korrektur schnell bei der Hand. Schließlich besuchte sie seit Dinos Tod regelmäßig die Insel Sylt, um sich um ihre Enkelkinder zu kümmern. Und dort ging es so schick und mondän zu, dass man gar nicht umhinkam, sich der Eleganz ein wenig anzupassen. Das war der Grund für ihre Veränderung. Da ließ sie sich von den anderen Frauen in ihrem Dorf nichts einreden.
Sie hielt den rechten Fuß hoch, damit ihr Hosenbein ein paar Zentimeter in die Höhe rutschte und der Schaft ihrer neuen Stiefeletten zu sehen war. „Sie sind sogar erstaunlich bequem, Lucia!“
Als sie davon überzeugt war, dass ihre Tochter diese sensationelle Anschaffung gebilligt hatte, ging sie zur Friedhofspforte zurück. Ihre Bewegungen wurden wieder leicht, ihre Schritte flink, ihre Augen groß und neugierig. Unsichtbar würde sie sich machen! Kein Mensch würde merken, dass sie sich diesem Casting näherte, um ein bisschen davon mitzubekommen. Später, in ihrem Dorf in Umbrien, würde sie allein schon Aufsehen erregen, weil sie das Wort Casting kannte und wusste, was es damit auf sich hatte. Wenn sie dann noch ihren Nachbarinnen erklären konnte, wie so ein Casting ablief, würde es Gesprächsstoff für viele Wochen geben.

Tabakrauch waberte durch den Raum, vermischt mit Knoblauchduft, gelegentlich erklangen Gelächter und Gläserklirren, und geredet wurde für friesische Verhältnisse viel und laut. Von der Atmosphäre einer Trattoria zu sprechen wäre übertrieben gewesen, aber die Vorspeisenplatten auf den Schreibtischen vermittelten doch ein wenig italienische Lebensart, und die Polizeibeamten begleiteten jede Geste mit „Prego!“ und „Grazie!“, was noch beim zehnten Mal für Heiterkeit sorgte.
Rudi Engdahl, der seinen Geburtstag feierte, hob das Glas. „Ein Hoch auf die Schwiegermutter von Hauptkommissar Wolf!“, rief er. „Ohne sie hätten wir zwar Bier und Schnaps, aber nichts zu essen.“
Als Mamma Carlotta gehört hatte, dass Polizeiobermeister Engdahl seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, hatte sie sich umgehend an die Arbeit gemacht. „Alkohol auf nüchternen Magen ist ungesund“, hatte sie erklärt, womit sie zweifellos recht hatte.
Allerdings schien Erik der Genuss von Alkohol in Kombination mit italienischen Vorspeisen nicht wesentlich gesünder zu sein. Wenn er in die glasigen Augen seiner Mitarbeiter sah und versuchte, die Worte zu verstehen, die von ihren schweren Zungen rollten, konnte er nicht erkennen, dass dieser Umtrunk anders verlief als alle anderen vorher, die ohne Antipasti hatten auskommen müssen. Eins aber war sicher: Der Polizeiobermeister fühlte sich hochgeehrt, weil die Schwiegermutter seines Chefs etwas zu seiner Geburtstagsfeier beigesteuert hatte, und sah sogar so aus, als erschiene ihm Mamma Carlottas Geschenk weitaus kostbarer als die Schnapsgläser mit den nautischen Motiven, für die die Kollegen des Polizeireviers zusammengelegt hatten.
Die Plastikgabeln, die Rudi Engdahl besorgt hatte, waren gar nicht zum Einsatz gekommen. Die Kollegen der Spurensicherung hatten damit angefangen, mit den Fingern nach den marinierten Paprikaschoten zu greifen, den Kopf in den Nacken zu legen und sie über den Mund zu halten wie ein Fischer einen frisch ausgenommenen Hering. Daraufhin hatten es alle so gemacht. Mit den Fingern fischten sie nach den Oliven und Champignons, die sich immer schwerer fangen ließen, je fettglänzender die Finger waren und je unkoordinierter die Bewegungen wurden. Erik ärgerte sich, dass er diese Feier am helllichten Tag nicht verhindert hatte, und brachte unauffällig ein paar Akten in Sicherheit, als er sah, dass sich Vetterich, der Chef der Spurensicherung, die Finger daran abwischte. Und als Rudi Engdahl zum mindestens siebten Mal die Schnapsgläser nachfüllte, fragte er seinen Assistenten flüsternd: „Haben Sie wirklich die Eingangstür abgeschlossen? Wäre ja peinlich, wenn ausgerechnet jetzt jemand käme. “
Sörens rundes Gesicht mit den glänzenden roten Wangen hatte sich von Stunde zu Stunde tiefer verfärbt. „Die Tür ist zu“, entgegnete er und schien mit diesen vier Wörtern rhetorisch schon überfordert zu sein.
Deshalb fügte Dr. Hillmot, der trinkfeste Gerichtsmediziner, begütigend hinzu: „Es ist doch zurzeit nichts los. Die Vorsaison beginnt ja gerade erst.“
Erik nickte und kippte den Schnaps, den Engdahl ihm gerade eingeschenkt hatte, unauffällig in eine der Topfpflanzen, die schon so viel überstanden hatten, dass sie wohl auch an diesem Schnaps nicht eingehen würden. Hoffentlich würde es auf Sylt in den nächsten Stunden keinen Verkehrsunfall geben, der die Kollegen vom Streifendienst voll in Anspruch nähme. Sie hatten nämlich versprochen, Rudi Engdahl und seine Geburtstagsgäste nach Hause zu bringen, wenn der Umtrunk vorbei war.
Schon jetzt gab es keinen mehr unter ihnen, der fahrtüchtig war. Schlimmer! Die meisten von ihnen waren kaum mehr in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren, und gelacht wurde mittlerweile über die Fliege an der Wand. Das Gegröle, das durchs Polizeirevier Westerland dröhnte, war für Erik, der noch nie in seinem Leben in lautes Gelächter eingestimmt hatte, nur schwer zu ertragen. An die ohrenbetäubenden Unterhaltungen, die ihm in Umbrien entgegengeschlagen waren, wenn er die Familie seiner Frau besuchte, hatte er sich einigermaßen gewöhnt, und seinen italienischen Verwandten hielt er zugute, dass sie sich benahmen, wie es ihrer Mentalität entsprach. Wenn sich aber Menschen so gebärdeten, ohne dass es ihrer Wesensart entsprach, war das weitaus schlimmer. Die Mitarbeiter des Polizeireviers Westerland wurden Erik von Stunde zu Stunde und von Glas zu Glas fremder.
Der Einzige, der sich auch unter Alkoholeinfluss so verhielt wie immer, war Dr. Hillmot. Das lag womöglich daran, dass der Beruf ihn abgestumpft hatte. Der dicke Gerichtsmediziner reagierte auf alles mit Gleichmut – auf eine Leiche genauso wie auf drei Gläser Ramazzotti, auf lallende Polizeibeamte oder den Mageninhalt eines Kollegen, der es nicht mehr bis zur Tür schaffte und sich geistesgegenwärtig in den Übertopf einer schütteren Sanse vieria erbrach.
Das Grölen der Geburtstagsgäste, die ihren Kollegen samt Sansevieria und Übertopf aus dem Raum schoben, weckte Enno Mierendorf, der soeben den Kampf gegen die Müdigkeit verloren hatte und Anstalten machte, vom Stuhl zu sinken. Schlagartig erinnerte er sich, an welchem Stand der Unterhaltung er sich geistig aus dem Staub gemacht hatte. „Da fällt mir auch ein guter Witz ein! Also … kommt ein Mann zur Polizei …“
Mierendorf glaubte zunächst, die jäh einsetzende Stille hätte mit dem allseitigen Interesse an seinem Witz zu tun. Dann aber ging ihm auf, dass das Telefon zu läuten begonnen hatte.
Erik, der jeden zweiten Schnaps in der Topfblume entsorgt hatte, erkannte etwas schneller als alle anderen, dass Schwierigkeiten auf sie zukommen könnten. „Vielleicht ist es nur jemand, der eine Anzeige aufgeben will, den können wir auf morgen vertrösten. Aber es könnten auch die Kollegen von der Streife sein. Wenn die eine Massenkarambolage haben …“
„… fahren wir eben Taxi“, ergänzte Sören und griff nach der Schnapsflasche.
„Es könnte auch die Staatsanwältin sein“, meinte Erik und registrierte, dass Sören die Flasche prompt wieder wegstellte.
Erik ging zum Telefon und legte den Zeigefinger auf die Lippen, ehe er den Hörer abnahm. Tatsächlich waren von da an nur Geflüster und unterdrücktes Prusten zu hören.
Das Gespräch dauerte nicht lange. Hinterher flüsterte niemand mehr, und Enno Mierendorf dachte nicht mehr daran, den Witz zu Ende zu erzählen. Eriks Gesicht sprach Bände.
„Schlimmer als die Staatsanwältin?“, fragte Sören, der seit einer Stunde mit den Zischlauten Probleme hatte, das schwierige Wort aber trotzdem einigermaßen verständlich herausbrachte.
Erik nickte ernst. „Die Küstenwache hat gerade eine Leiche aus dem Wasser gezogen. Und es sieht nicht nach einem Unfall aus …“

Mamma Carlotta bummelte an der Friesenkapelle vorbei, ließ den Spielplatz links liegen und betrachtete lange das Feld, das sich dahinter auftat, als machte sie sich Gedanken über das Getreide, das der Bauer dort angepflanzt hatte. Gelegentlich wurde sie von einem Nachzügler überholt, der sich tief über den Lenker beugte und sein Fahrrad erst ausrollen ließ, als er die lange Schlange der Mitbewerber sah und sich sagen musste, dass er zu spät gekommen war.
Wo sonst das Zelt des Inselzirkus aufgestellt wurde, war in diesen Monaten eine Leichtbauhalle errichtet worden, in der sich die Kulissen für die Innenaufnahmen von „Liebe, Leid und Leidenschaft“ befanden. Die Zirkuswagen standen wie gewohnt an ihrem Platz, an der Grenze des großen kreisförmigen Areals. Der Inselzirkus hatte sie der Produktionsgesellschaft zu Verfügung gestellt, damit in ihnen die Büros, die Maske und die Garderobe untergebracht werden konnten.
Mamma Carlotta beschleunigte ihren Schritt nicht, obwohl sie sich mittlerweile an die kleinen spitzen Absätze ihrer Stiefeletten gewöhnt hatte. Gemächlich ging sie weiter wie jemand, der die Absicht hat, das Hünengrab Denghoog zu besichtigen, sah in den Himmel und blickte den Möwen nach. Eine Touristin, die sich daran freute, dass das Wetter es schon vor Ostern so gut mit der Insel meinte. Sollte sie jemandem auffallen, würde der Eindruck entstehen, sie nähere sich rein zufällig der langen Schlange, die sich vor einem der Zirkuswagen aufgestellt hatte.
Dass sie vorher ihre neuen Stiefeletten auf Hochglanz poliert und die Hose extra gebügelt hatte, würde niemand bemerken. Die Kinder hatten ja zum Glück keinen Blick für das Äußere ihrer Großmutter. Sie hatten nicht einmal gesehen, dass sie Rouge und Lipgloss benutzt und Carolins Wimperntusche ausprobiert hatte. Wie gut, dass ihre Schwägerin, die Carlotta in modischen Dingen immer ein Stück voraus war, ihr einen gelben Pullover geliehen hatte. Der war in diesem Frühjahr angeblich hochaktuell und sollte den Syltern zeigen, dass auch eine italienische Großmutter etwas von Mode verstand. Mamma Carlotta fühlte sich bestens gerüstet für jede Überraschung, die so ein Casting bereithalten mochte.
Sie machte einen langen Hals. Felix und Carolin trennten noch mindestens dreißig Mitbewerber von der Casting-Chefin. Zum Glück waren die beiden derart darauf konzentriert, Schritt für Schritt ihrem Ziel näher zu rücken, dass sie ihre Großmutter nicht bemerkten. Und Mamma Carlotta achtete sorgfältig darauf, von ihnen nicht gesehen zu werden. Auf keinen Fall wollte sie sich später Neugier vorwerfen lassen, wo sie doch nichts anderes hergeführt hatte als das Interesse am Unbekannten. Sollte das etwa verwerflich sein?
„Wollen Sie sich nicht auch bewerben?“, hörte sie da eine Stimme. „Mich wollen die nicht, aber Sie sehen ja ganz manierlich aus.“
Mamma Carlotta fuhr herum. Vor einem dichten Gebüsch saß ein Mann undefinierbaren Alters auf einer schmuddeligen Decke und grinste sie an. Neben ihm stand ein Einkaufswagen mit vielen prall gefüllten Plastiktüten.
„Manierlich?“ Dieses Wort hatte sie noch nie gehört.
„Ich habe extra meinen Platz in der Friedrichstraße aufgegeben. Die zahlen einem Komparsen hundert Euro am Tag. Die könnte ich gut gebrauchen.“
Mamma Carlotta machte einen Schritt auf den Mann zu und betrachtete ihn genauer. Er steckte in schmutziger Kleidung, seine Haare waren lange nicht gewaschen worden, sein Gesicht war von einem ungepflegten Bart überwuchert.
„Haben Sie keine Wohnung?“
Der Mann kicherte. „Sie sind ja eine Schnellmerkerin. “
„ Kein Dach über dem Kopf ? “ Mamma Carlotta starrte ihn betroffen an und vergaß für eine Weile ihre Enkel und die Casting-Chefin von Eidam-TV. Natürlich gab es auch in Umbrien Obdachlose, aber dort war es warm, in ihrem Dorf gab es Scheunen, Unterstände für ausrangierte Autos, große Gärten mit behaglichen Lauben und notfalls die Kapelle, aus der noch nie ein Obdachloser vertrieben worden war. Schlagartig wurde ihr klar, dass Obdachlosigkeit nicht überall gleich schrecklich war. In der Kälte einer Nordseeinsel bedeutete es etwas ganz anderes, seine Wohnung zu verlieren, als in Süditalien, wo die Temperaturen sich auch im Winter selten dem Gefrierpunkt näherten. Über die soziale Kälte, die sich anscheinend parallel zu den Wetterverhältnissen entwickelte, wollte sie gar nicht nachdenken.
„Gibt es auf Sylt kein Haus für … für …“ Ihr fiel keine Bezeichnung ein, die einerseits auf diesen armen Kerl zutraf, ihn aber andererseits nicht verletzte.
„Penner?“ Er schien weitaus weniger Probleme mit der Beschreibung seines Lebens zu haben. „Nö, da lasse ich mich nur blicken, wenn’s gar nicht anders geht.“
Mamma Carlotta wurde nervös, weil ihr der eigentliche Grund ihrer Anwesenheit wieder einfiel. „Haben Sie genug zu essen? Soll ich Ihnen was bringen? Ich habe Antipasti eingelegt. Mögen Sie so was? Frische Panini gebe ich Ihnen natürlich dazu.“
Der Obdachlose rappelte sich hoch. Anscheinend hatte er lange nicht mehr ein solches Angebot bekommen. „Das würden Sie für mich tun?“ Überwältigt streckte er Mamma Carlotta die Hand hin, die sich zwar über seine Dankbarkeit freute, die Hand aber trotzdem nicht gern ergriff. „Ich heiße Busso. Busso Heinemann! Also, es wäre … wäre mir eine Ehre … wie soll ich sagen? Einfach toll wäre das.“
Mamma Carlotta wischte sich unauffällig die rechte Hand an der Jacke ab. „Gut! Dann bringe ich Ihnen bei nächster Gelegenheit etwas vorbei.“
„Sie werden mich auf jeden Fall hier finden! Ich bleibe sitzen, bis die merken, dass die auch mal einen wie mich als Komparsen gebrauchen können. Hundert Euro am Tag! Das muss man sich mal vorstellen! Ich muss in Ruhe nachrechnen, wie viele Flaschen Köm man davon kaufen kann. “
Mamma Carlotta sah ihn streng an. „Sie sollten sich lieber was Anständiges besorgen. Obst, Gemüse, frisches Brot. “
Busso merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte, der ihn die Zuneigung dieser freundlichen Dame kosten konnte. „Klar! Vitamine sind ja sehr wichtig.“
Mamma Carlotta sah an ihm herab. „Und eine neue Hose könnten Sie auch gebrauchen.“ Sie dachte kurz nach. „Schade! Mein Schwiegersohn hat eine andere Figur. Sonst würde ich nachsehen, ob es eine Hose gibt, die er nicht mehr trägt.“ Busso war begeistert und versuchte ihr erneut die Hand zu schütteln, doch Mamma Carlotta machte einen Schritt zurück. „Vielleicht klappt’s ja noch mit einer Komparsenrolle. “
„Ich bleibe jedenfalls hier, bis die Dreharbeiten vorbei sind“, sagte Busso und ließ sich wieder auf der Erde nieder. „Die Schauspieler sind spendabel. Die bringen mir oft was zu essen. Und der private Wachdienst lässt mich in Ruhe. Die wissen, dass ich nichts klaue. Mir geht’s hier gut. “
„Das freut mich.“ Mamma Carlotta verabschiedete sich, weil sie gesehen hatte, dass die Casting-Chefin sich erhob, als hätte sie etwas Wichtiges zu vermelden. „Bis später ! “
Unzufrieden betrachtete die Casting-Chefin die vielen Jugendlichen, die sie hoffnungsvoll anblickten. Die ersten zwanzig hatte sie zum Eingang der Halle gewinkt, wo sie von einer dicken Frau in Empfang genommen wurden. Das waren anscheinend die Beneidenswerten, die das Casting bestanden hatten. Es sah nicht so aus, als könnten die sechzig bis siebzig, die noch warteten, auch eine Chance bekommen.
„Hat in der Zeitung etwa gestanden, dass ich hundert Schüler brauche?“, fragte die Casting-Chefin ungehalten. „Warum habt ihr nicht eure Eltern geschickt? Mehr als zwanzig junge Leute brauche ich wirklich nicht.“
Die Enttäuschung war den Jugendlichen sogar von hinten anzusehen. Einige drehten sich schon um und machten Anstalten zu gehen. Felix und Carolin rührten sich zwar nicht vom Fleck, aber Mamma Carlotta war sicher, dass auch sie soeben ihre Hoffnung begruben. Für Felix würde es nicht weiter schlimm sein. Wenn er nicht ausgewählt wurde, hatte er sich nur damit abzufinden, dass er etwas länger auf die total angesagten Turnschuhe sparen musste. Aber für Carolin würde eine Welt zusammenbrechen. Mamma Carlotta blutete schon jetzt das Herz, wenn sie daran dachte, mit welcher Inbrunst ihre Enkelin „ Minna von Barnhelm “ auswendig gelernt hatte, um gut gerüstet für das Casting zu sein.
An ihr lag es wirklich nicht, dass sie plötzlich der Casting-Chefin aufgefallen war. Total unaufdringlich hatte sie sich verhalten, war nur ein wenig herumgeschlendert und hatte die Zirkuswagen betrachtet, als ginge sie das Casting überhaupt nichts an. Was konnte sie dafür, dass die Produktionsgesellschaft unbedingt ältere Komparsen haben wollte? Und dass Mamma Carlotta weit und breit die Einzige war, die die dreißig überschritten hatte? Wenn man mal von Busso Heinemann absah. Ihre Enkelkinder, vor allem Carolin, blickten sie trotzdem strafend an, während sie an ihnen vorbei auf den Tisch zuging, hinter dem die Casting-Chefin residierte.

Gisa Pauly

Über Gisa Pauly

Biografie

Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch „Mir langt’s – eine Lehrerin steigt aus“. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien....

Pressestimmen
Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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Lübecker Nachrichten

„(…) unterhaltsame Urlaubslektüre.“

Südhessen Woche

„Ein schönes Lesevergnügen für den Urlaub.“

Wiener Zeitung (A)

„Eine nette Szenerie, Spannung und Situationskomik, dazu eine eigenwillig- charmante Protagonistin, viele Verdächtige und eine Leiche – Krimifans kommen hier sicher auf ihre Kosten, wenn sie leichte Unterhaltung suchen.“

WDR

Gisa Paulys Romane verbreiten auf jeder Seite eine angenehm nach Meerluft duftende Inselatmosphäre.

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