Islandhof Hohensonne 3 (Islandhof Hohensonne 3) Islandhof Hohensonne 3 (Islandhof Hohensonne 3) - eBook-Ausgabe
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Islandhof Hohensonne 3 (Islandhof Hohensonne 3) — Inhalt
Die vierzehnjährige Frieda und ihr bester Freund Max leben mit ihren Familien auf dem Islandhof Hohensonne. Als es in einem benachbarten Reitstall zu einem Brand kommt, ist Frieda schockiert. Zwar konnten sich alle Pferde vor dem Feuer retten, doch eine Stute läuft zusammen mit ihrem Fohlen davon und wird seitdem vermisst. Für Frieda und Max ist klar, dass sie den beiden Pferden helfen wollen. Gemeinsam mit ihren Islandpferden Alvara und Solon machen sie sich auf die Suche, um die Stute und ihr junges Fohlen auf den Islandhof Hohensonne zu bringen. Können sie dort das Vertrauen der ängstlichen Pferde gewinnen?
Leseprobe zu „Islandhof Hohensonne 3 (Islandhof Hohensonne 3)“
1. Kapitel
Pferde sind verschieden
„Ich glaube, jetzt kannst du es versuchen, Frieda.“ Papa hält den jungen Hengst Dugur so, dass er sich direkt neben mir befindet, und streichelt ihm liebevoll über das weiche Maul. „Frieda zieht jetzt mal ein bisschen an der Seite des Sattels. Aber kein Problem. Das ist ganz normal“, sagt er dabei.
Ich stehe auf einem kleinen Hocker rechts von Dugur. Nun stelle ich meinen rechten Fuß in den Steigbügel seines Sattels und ziehe mich langsam am Sattel hoch. Dabei strecke ich den anderen Arm weit über den Rücken des Pferdes [...]
1. Kapitel
Pferde sind verschieden
„Ich glaube, jetzt kannst du es versuchen, Frieda.“ Papa hält den jungen Hengst Dugur so, dass er sich direkt neben mir befindet, und streichelt ihm liebevoll über das weiche Maul. „Frieda zieht jetzt mal ein bisschen an der Seite des Sattels. Aber kein Problem. Das ist ganz normal“, sagt er dabei.
Ich stehe auf einem kleinen Hocker rechts von Dugur. Nun stelle ich meinen rechten Fuß in den Steigbügel seines Sattels und ziehe mich langsam am Sattel hoch. Dabei strecke ich den anderen Arm weit über den Rücken des Pferdes bis zur anderen Seite, damit Dugur mich auf beiden Seiten spüren kann. Da ich mich mit dem einen Bein auf dem Hocker befinde, ist der Druck auf den Steigbügel nicht so groß. Trotzdem spüre ich, wie Dugur zusammenzuckt.
Hinter dem Zaun stehen Max und meine Cousine Franzi nebeneinander. Franzi hat ihr Smartphone auf mich gerichtet. Sie dreht wieder mal eine ihrer Storys für ihre Blog-Fans, die sie über alles informiert, was auf unserem Islandhof in Hohensonne passiert. Wir und die Pferde sind auf diese Weise zu Schauspielern und Entertainern geworden. Manchmal ist das ganz witzig, meistens nervt es aber ziemlich.
„Haha, da guckt er aber komisch“, quietscht Franzi mit der hohen unechten Stimme, die sie immer aufsetzt, wenn sie ihre Videos dreht. „Aber ihr müsst ja auch bedenken, dass er noch nie einen Sattel auf seinem Rücken hatte“, erklärt sie ihren Fans.
Dugur legt die Ohren an und schaut sich zu mir um. Er wirkt nervös.
„Franzi, kannst du mal leiser sein?“, ruft Papa ihr zu. „Der Hengst muss sich auf Frieda konzentrieren.“
Und wie sich Dugur auf mich konzentriert! Er hat seinen Kopf ganz weit herumgedreht. Die Ohren richtet er leicht nach hinten. Ich bin ihm nicht geheuer. Das kann ich gut verstehen.
Nicht immer ist es schwierig, ein Pferd einzureiten. Manche Pferde sind richtig coole Socken. Da kann man direkt den Sattel auflegen und eine vorsichtige Runde Schritt reiten. Aber Dugur ist misstrauisch. Er ist eben ein Hengst. Das sind meistens nervöse Tiere.
„Der ist richtig aufgeregt“, flötet Franzi weiter in voller Lautstärke, ohne auf Papas Kommentar zu achten. Wenn sie für ihre Fans da ist, vergisst sie alles um sich herum. „Wenn der sich noch weiter zu Frieda umdreht, fällt er um. Haha!“
Sie quietscht beim Lachen noch lauter und höher.
„Oh, halt doch mal die Klappe!“, macht Max sie an und hält sich ein Ohr zu. „Mir fallen gleich die Ohren ab.“
Max ist mein Freund. Nicht so ein Freund, in den man verliebt ist, einfach ein toller Freund, mit dem man zusammen ausreiten, Ställe misten, Sättel polieren oder auch in der Sonne sitzen und über Pferde quatschen kann. Wir sind den ganzen Tag zusammen. Darum steht er nun auch am Zaun und schaut mir zu, während ich versuche, zum ersten Mal auf Dugur zu reiten.
Max ist der Sohn unserer Reitlehrerin Meike und er lebt wie wir alle auf unserem Islandhof. Seine Mutter und er bewohnen eigentlich das kleine Ferienhaus, das hinter dem Hof liegt, aber da sind sie selten. Besonders Max hängt eigentlich immer nur bei uns ab. Er liebt unsere Großfamilie: Onkel Steffen und Tante Susi mit meinen Cousinen Greta und Franzi, Omi, Papa und meinen Bruder Paul. Na ja, und mich mag er sicherlich auch. Jedenfalls ist er besonders oft in meiner Nähe.
Das ist nicht immer so gewesen. Als er und seine Mutter aus Köln zu uns gekommen sind, hat er sich ständig über unser kleines Dorf lustig gemacht. Zugegeben, bei uns gibt es noch nicht mal einen Bäcker und unsere Gegend liegt in einem einzigen riesigen Funkloch, aber wir haben eine gute Eisdiele und Pferde haben wir auch genug. Ich finde, das reicht aus, um glücklich zu sein. Ich jedenfalls hatte noch nie den Wunsch, woanders zu leben. In Köln, der Stadt, aus der Max kommt und von der er uns oft vorschwärmt, würde ich nicht wohnen wollen. Ausreiten kann man da sicherlich nicht. Wahrscheinlich wüsste ich dort noch nicht mal, wo ich mein Pferd anbinden sollte.
Jetzt jedenfalls schaut Max zu mir rüber und grinst dabei ziemlich süß. Seine Grübchen haben sich tief in seine Mundwinkel gebohrt. Er ist wirklich nett. Nichts erinnert mehr an den Max, der nach seinem Umzug nach Hohensonne tagelang in seinem Hoodie wohnte und nur ein Knurren von sich gab, wenn er angesprochen wurde. Ich hätte nie gedacht, dass wir so gute Freunde werden könnten.
Meine Lieblingscousine Greta, die gleichzeitig meine beste Freundin ist, meint immer, Max wäre in mich verliebt. Aber so wirklich vorstellen kann ich mir das nicht. Ich sehe mit meinen quietschorangen Haaren nicht besonders hübsch aus. Meine Haut ist ziemlich hell und ich habe den ganzen Körper voller Sommersprossen. Schön sind eigentlich nur meine hellblauen Augen. Die habe ich von meiner Mama geerbt.
Meine Mutter starb sehr früh und ich kenne sie eigentlich gar nicht, aber ich weiß von einigen Fotos, dass sie mir sehr ähnlich gesehen hat. Allerdings hat sie ein freundliches Gesicht, während man oft von mir sagt, dass ich ziemlich frech aussehe. Und ich weiß auch, dass sich Papa manchmal wünscht, ich wäre so sanft wie Mama. Allerdings rege ich mich schnell auf, wenn mir etwas nicht passt. Dann werde ich wütend und sage meine Meinung. Das kommt nicht immer gut an, aber Max scheint das nicht so viel auszumachen. Er mag es offenbar, dass ich mir nicht die Wurst vom Brot nehmen lasse, wie er immer sagt. Ich habe mir diese Eigenschaft wahrscheinlich angeeignet, weil ich mich oft gegen meinen großen Bruder und gegen meine zickige Cousine Franzi durchsetzen muss. Und um mit Pferden zu arbeiten, muss man auch ziemlich mutig sein. Besonders wenn sie eingeritten werden sollen.
Papa schnalzt mit der Zunge und Dugur dreht sich wieder nach vorne, spitzt die Ohren und schaut Papa neugierig an.
„Guck zu mir, Dugur“, sagt er. „Die da oben auf deinem Rücken tut dir schon nichts.“ Dugur ist sich da zwar nicht so sicher, aber er blickt tatsächlich zu Papa. „Zweiter Schritt“, meint Papa nun zu mir. „Du kannst mal versuchen, dein Bein über den Sattel zu schwingen.“
So machen wir es eigentlich immer. Erst gewöhnen wir die Pferde an den Sattel. Dann müssen sie lernen, dass jemand auf ihrem Rücken sitzt und die Kommandos nicht von unten, sondern von oben kommen.
Ich schwinge mein Bein an Dugurs Rücken entlang und berühre ihn dabei. Er soll merken, dass sich über ihm etwas tut, aber dass es nicht schlimm ist. Trotzdem ist Dugur verwirrt. Wieder dreht er sich irritiert zu mir um. Er sieht niedlich aus, wenn er mich so anschaut. Sein Blick hat etwas kindliches. So als könnte er sich nicht erklären, was ich da oben mache. Jetzt blickt er wieder zu Papa und kaut. Damit zeigen Pferde, dass sie nachdenken. Dugur scheint damit einverstanden zu sein, dass ich da oben auf ihm rumturne.
„Nächster Schritt“, meint Papa. „Setz dich in den Sattel.“
Er lässt die Zügel lang, damit Dugur den Hals weit strecken und sich umschauen kann. Ganz langsam und ohne den Hengst dabei zu berühren, schwinge ich mein Bein weit über den Pferderücken und lasse mich behutsam in den Sattel gleiten. Nun bekommt Dugur meine Beine von beiden Seiten zu spüren. Wieder zuckt er zusammen. Der Druck des Sattels auf dem Rücken ist ihm unheimlich.
Es ist ruhig geworden, auch hinter dem Zaun des Paddocks. Franzi und Max verfolgen den Moment gespannt. Es fällt Franzi bestimmt schwer, nichts zu sagen, aber sie tut es für mich. Immer mal wieder haben wir erlebt, dass ein Pferd in diesem Moment des Einreitens ausrastet und versucht, den Reiter abzuschütteln.
„Alles gut, Dugur. Alles gut“, redet Papa ihm zu.
Dugur hat seinen Blick nach vorne gerichtet. Die Ohren sind gespitzt. Das kann ich von hier aus gut sehen.
„Dann gehen wir mal ein paar Schritte“, sagt Papa und schaut mich an. Ich nicke. Von mir aus kann es losgehen. Auch Dugur scheint bereit zu sein. Papa führt ihn über den Platz und ich sitze ganz ruhig im Sattel. Ich treibe nicht, ich ziehe nicht am Zügel, ich gehe noch nicht mal besonders intensiv mit der Bewegung des Pferdes mit. Der Hengst soll denken, dass es keinen Unterschied für ihn macht, ob jemand auf ihm sitzt oder nicht.
„Gut machst du das“, lobt ihn Papa.
Ich kann spüren, dass Dugur sich entspannt. Papa führt ihn nun an Max und Franzi vorbei. Franzi verfolgt unser Training weiterhin mit dem Smartphone.
„Willst du mal die Zügel aufnehmen?“, fragt Papa mich leise.
Ich nicke und greife nach den Zügeln. Papa geht einen Schritt auf die Mitte des Paddocks zu und überlässt es somit mir, Dugur zu reiten. Ich soll nur ein paar Schritte gehen, doch das ist dem Hengst ein bisschen unheimlich. Er dreht sich zu Papa um. Wahrscheinlich wundert er sich, dass ich nun die Kommandos übernehme und Papa ganz woanders steht.
„Alles gut“, beruhigt in Papa. „Ich bin hier. Ich passe auf dich auf.“
Aber Dugur ist sich nicht sicher, ob er Papa trauen kann. Er dreht seinen Kopf und versucht, zu mir zu schauen. Ich lasse die Zügel wieder lang, damit er mich sehen kann. Kurz blicken wir uns an.
„Ich bin es nur“, sage ich und streichele seinen langen Hals.
Wieder diese gespitzten Ohren, wieder dieser kindliche Blick. Zu niedlich, diese Jungpferde.
Jetzt dreht Dugur seinen Kopf wieder nach vorne und geht mit langen Schritten weiter. Er hat es verstanden, denke ich.
„Fein!“, sage ich. „So ist es gut.“
Dugur geht mit fleißigem Schritt voran. Ich bin richtig stolz auf ihn. Er ist ein mutiges Pferd.
„Jaaa, er hat es! Guckt mal, wie toll er das macht!“, zwitschert Franzi in die Kamera. „Braaav! Ja, so ein tolles Pferd.“
Sie übertreibt immer gleich, sodass ich mich wundere, dass ihr Blog so viele Fans hat. Ich kann solche kreischenden Videoblogger nicht ertragen und klicke sie am Handy immer sofort weg.
Immerhin, Dugur scheint mich akzeptiert zu haben. Er trägt mich ruhig über den Platz. Tolles Pferd, denke ich. Aber ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da packt es ihn plötzlich. Vielleicht hat er etwas gesehen, das nicht in meinem Blickfeld war. Pferde können ja um ihren Kopf herum schauen, da bemerken sie manchmal etwas, das wir Reiter nicht sehen. Vielleicht war es aber auch Franzis quietschige Stimme. Es kann auch sein, dass ihm plötzlich bewusst wird, wie seltsam sich meine Bewegungen auf seinem Rücken anfühlen … schwer zu sagen. Er zuckt jedenfalls zusammen und rennt plötzlich los. Wie aus heiterem Himmel. Papa macht einen Satz nach vorne und versucht, nach den Zügeln zu greifen. Ich nehme ebenfalls die Zügel auf. Das macht Dugur misstrauisch. Ängstlich. Er hat das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert ist.
Pferde sind Fluchttiere. Wenn sie Angst bekommen, versuchen sie, wegzurennen. Egal wie, egal wohin. Hauptsache weg. Dugur plant diese Flucht offenbar ohne mich. Darum unternimmt er alles, um mich loszuwerden. Er krümmt sich, dreht sich einmal um sich selbst, wirft die Hinterbeine nach oben und buckelt.
„Hooo!“, ruft Papa.
„Heee!“, ruft Max.
„Oh nein!“, quietscht Franzi.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass Dugur so sauer reagiert. Schnell balanciere ich mich im Sattel aus, verlagere dann mein Gewicht nach hinten. Jetzt dreht sich Dugur zur anderen Seite. Sein einziger Wunsch ist es, mich und den Sattel abzuschütteln. Ich kann mich einigermaßen halten. Doch dann steigt er. Das ist gefährlicher, als ich gedacht habe. Ich lehne mich nach vorne, um nicht zu fallen. Aber Dugur springt wieder auf die Vorderbeine, rennt zur anderen Seite des Paddocks und buckelt wieder. Wenn er könnte, würde er bis zum Horizont laufen, aber er kann nicht durch den Zaun. So rennt er im Kreis.
Ich habe oft schwierige Pferde geritten und es muss schon viel passieren, damit ich aus dem Sattel fliege. Aber auf so ein panisches Pferd bin ich nicht vorbereitet. Dugur rennt mit mir auf dem Rücken direkt auf die Stelle zu, an der Max und Franzi stehen. Im ersten Moment denke ich, er versucht, über den Zaun zu springen. Dann aber bremst er ab, schüttelt sich und rennt zur anderen Seite. Papa versucht verzweifelt, ihn zu erwischen, aber das macht es noch schlimmer. Dugur versucht nun nämlich nicht nur, mich abzuwerfen, er will auch Papa entkommen.
„Ich schaffe das schon!“, rufe ich.
Mit langsamen Schritten geht Papa zur Mitte des Paddocks zurück. Sein Gesicht ist besorgt.
„Ruhig, Dugur. Ganz ruhig“, sagt er immer wieder.
Dugur geht nun in den Galopp. Keuchend rennt er eine Runde um den Paddock. Im Galopp fühle ich mich sicherer. Der Paddock ist nicht besonders groß und die Runden, die Dugur nun rennt, sind klein. Ich lasse ihn laufen, gebe sogar die Zügel wieder vor, damit er sich auspowern kann. Das ist eine gute Entscheidung. Dugur prescht auf und ab, dann wird er langsamer und hält schließlich an. Ich sehe, dass sein Hals feucht ist.
„Spring aus dem Sattel, Frieda!“, ruft Max. Aber das wäre eine schlechte Entscheidung. Was würde der Hengst aus dieser Geschichte lernen? Er würde sich denken: Wenn wieder einer auf meinem Rücken sitzt, buckele ich und renne los. Dann lassen sie mich in Ruhe. Das kann und darf nicht die Lehre des Tages sein.
„Wir gehen noch eine Runde“, rufe ich den anderen zu.
Max schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Papa schnappt nach Luft und will etwas sagen. Aber ich lasse mir da nicht reinreden. Ich weiß, was ich kann und was nicht.
„He, was ist?“, frage ich Dugur und beuge mich vorsichtig über seinen Hals, damit ich direkt in seine Ohren reden kann.
Dugur richtet ein Ohr zu mir nach hinten. Ich klopfe ganz leicht mit den Schenkeln an seinen Pferdebauch. Jetzt zuckt er nicht mehr. Er zögert nur noch kurz, dann geht er wieder los. Zunächst nur zwei Schritte. Dann springt er an und rennt erneut los. Wieder gehen wir ein paar Runden im Galopp. Gott sei Dank buckelt und steigt Dugur nicht mehr. Er hofft einfach nur, dass er den Sattel und mich loszuwerden kann, wenn er flieht. Ich kann das gut verstehen. Das Ding auf seinem Rücken macht ihm Angst, aber er muss sich trotzdem daran gewöhnen. Er soll lernen, dass von dem Reiter keine Gefahr ausgeht. Im Gegenteil. Der Reiter ist dazu da, ihn zu beschützen, und Dugur kann ihm vertrauen. Doch noch ist er nicht soweit. Wieder buckelt er, wieder prescht er nach vorne. Aber da hat er nicht mit mir gerechnet. Rennende Pferde sind mein Spezialgebiet. Immerhin gehen mein Traumpferd und ich mittlerweile sogar Rennpass. Da kann mich so ein bisschen Galopp nicht aus der Ruhe bringen. Ich gehe mit Dugurs Bewegung mit und lasse ihn zunächst in Ruhe, übernehme dann aber mehr und mehr die Kontrolle über ihn. Jetzt galoppiere ich mit ihm, und nicht er mit mir.
„Frieda ist eine Teufelsreiterin!“, quietscht Franzi ihren Fans ins Ohr.
Immer noch dreht sich ihr Smartphone so, dass es Dugur und mich filmt.
Ich gucke kurz zu Max und sehe, dass er grinst. Papa dagegen sieht immer noch etwas ängstlich aus. Aber er muss sich keine Sorgen machen. Ich spüre bereits, wie sich das Pferd unter mir entspannt. Nun wird Dugur langsamer, trabt schließlich, und dann geht er Schritt. Ich drehe noch eine ruhige Runde mit ihm, dann setze ich mich tief in den Sattel. Dugur versteht und hält an. Ich streichele seinen Hals.
„Gut gemacht.“ Vergnügt springe ich aus dem Sattel. „Ich habe ihn mal eben eingeritten. Alle Gangarten“, sage ich und verbeuge mich kurz.
Max grinst. „Wow! Das war eine coole Show!“, meint er.
Franzi streckt zwei Finger über ihr Display und zoomt mich heran. Wahrscheinlich bin ich jetzt für die Fans in Nahaufnahme zu sehen. Heldin des Tages. Wie peinlich!
Papa fährt sich durch seine dunklen lockigen Haare. Verschmitzt grinst er mir zu. „Eigentlich wollte ich ihn nur ein paar Schritte gehen lassen“, meint er. „Entschuldige, Frieda. Ich war nicht schnell genug. Ich hätte wissen müssen, dass du gleich das volle Programm reitest.“
„Jaja, das Alter“, stichele ich und Papa lacht. Dann boxt er mich in die Seite.
„So respektlos wie die Junghengste“, meint er.
Ich liebe Papa über alles. Er sagt immer, dass er seit Mamas Tod Mutter und Vater für uns sein muss, und er ist sich nicht sicher, ob er das wirklich gut hinkriegt. Ich finde aber, dass er das klasse macht. Ich weiß ja nicht, wie es ist, eine Mutter zu haben, aber was die Sache mit dem Vater betrifft, da habe ich den besten Papa der Welt bekommen.
Papa streichelt Dugur kurz. Dann erlöst er ihn vom Sattel und vom Zaumzeug und legt ihm ein Knotenhalfter um. „Bringst du ihn auf die Wiese zu den Hengsten?“, fragt er mich.
„Klar“, sage ich.
Das ist eine gute Gelegenheit, bei meinem Traumpferd Alvara vorbeizuschauen. Ich sehe, dass Max am Zaun entlangläuft und am Tor auf mich wartet. Er will ebenfalls zur Wiese hinüber. Gemeinsam gehen wir los. Dugur geht ruhig neben mir her. Nichts erinnert mehr an den wilden Hengst, der eben noch über den Platz gebuckelt ist.
Max besitzt zwei Pferde: ein ganz altes Islandpferd, das Tónn heißt, und einen jüngeren Wallach, der den Namen Solon hat. Solon sieht aus, als wäre er Tónns Sohn, ein Braunfalbe mit fast schwarzem Fell und einer langen Mähne. Auch Tónn ist mal ganz dunkel gewesen, aber jetzt im Alter hat er eine ganz weiße Stirn und weiße Ringe über den Augen. Trotzdem kann man sehen, wie schön er als junges Pferd war. Tónn ist sehr klug und dazu noch sehr ruhig, was dazu führt, dass er in der Pferdeherde sehr ranghoch ist. Wahrscheinlich bewundern auch die anderen Pferde seine Weisheit. Solon ist das Gegenteil, ein echter Kindskopf mit wilden wirren Ideen, aber ein zuverlässiges und tolles Dressurpferd.
Max und ich bringen Dugur auf die kleinere Wiese, auf der die Hengste stehen. Kaum ist er frei, galoppiert er wild im Kreis herum und schlägt mit Vorder- und Hinterbeinen gleichzeitig aus. Man sieht ihm an, dass er erst mal seinen Stress abbauen muss. Es hat ihn verwirrt, mich auf seinem Rücken getragen zu haben. Einen Moment stehen wir an der Wiese und schauen ihm lachend zu. Dann gehen wir zu der größeren Wiese, auf der die meisten anderen Pferde grasen.
Hier treffen wir auch Max’ Mutter Meike, die ein paar Pferde für eine Kinderreitstunde holt. „Könnt ihr vielleicht mal …?“, beginnt sie, aber dann winkt sie ab. „Nee, lasst mal. Ich schaffe das auch allein. Ihr wollt bestimmt zu euren Pferden.“
Ich bin erleichtert, dass sie uns in Ruhe lässt. Auf unserem Hof ist es nämlich so, dass die Arbeit kein Ende nimmt. Immer ist unglaublich viel zu tun. So viel, dass uns gar nicht besonders viel Freizeit bleibt. Aber das macht mir überhaupt nichts. Ich liebe es, mich um die Pferde zu kümmern, und jetzt in den Sommerferien ist es wundervoll, den ganzen Tag genau das zu tun.
Max und ich kriechen unter dem Stromzaun durch. Darauf hat mein Traumpferd nur gewartet. Alvara löst sich aus der Gruppe und kommt zu mir herüber. Ich gehe schneller und da legt sie auch einen Zahn zu. Wie zwei Freundinnen laufen wir aufeinander zu. Als sie bei mir ist, umarme ich sie und drücke ihr einen Kuss auf die Nase.
Alvara und ich sind schon lange unzertrennlich. Sie ist auf Hohensonne geboren und ich mochte sie schon, als sie ein Fohlen war. Dann hat Papa sie mir zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt. Seit sie mir gehört, gibt es keinen Tag, an dem wir nicht etwas zusammen unternehmen.
Papa sagt immer, wir passen so gut zusammen, weil wir die gleiche Mähne haben. Alvara ist nämlich ein Rotfuchs. Max meint sogar, sie hätte genauso eine orange Mähne wie ich. Und wenn ich ehrlich bin, hat er recht. Aber das würde ich nicht zugeben.
„Wollen wir noch ausreiten?“, ruft mir Max zu. Er hat den einen Arm um Solon, den anderen um Tónn geschlungen.
„Klar! Gerne!“, gebe ich zurück.
Max streichelt Tónn, lässt ihn aber dann auf der Wiese zurück, um nur Solon mitzunehmen. Da weiß ich, dass er einen sportlichen Ausritt plant. Das ist perfekt. Genau darauf habe ich Lust.
Wir gehen mit unseren Pferden auf den Hof, um sie zu putzen und zu satteln. Dort treffen wir auf meine Lieblingscousine Greta, die ebenfalls gerade ihr Pferd striegelt. Greta besitzt seit einem Jahr eine wunderschöne Stute, Tindra. Sie ist Solons Zwillingsschwester, obwohl man das nicht wirklich sehen kann. Tindra ist zwar auch ein Mausfalbe, aber ihre Mähne ist ganz hell. „Geht ihr ausreiten?“, will Greta wissen und schaut dabei ein wenig neidisch zu Max.
Ich nicke, und als sie dann noch trauriger aussieht, füge ich hinzu: „Komm doch mit!“
„Macht es euch nichts aus?“, fragt Greta vorsichtig.
Das finde ich besonders nett an ihr. Sie will sich auf keinen Fall aufdrängen und hat immer Angst, dass Max und ich zu zweit sein wollen. Aber das ist nicht so.
„Nee, klar. Komm mit!“, sagt nun auch Max und in seinem Mundwinkel bilden sich zwei Grübchen. „Solon freut sich, wenn seine Schwester dabei ist.“
„Vielleicht kommen Paul und Franzi auch mit“, überlege ich. „Dann wären wir Kirks mal wieder komplett.“
Dabei vergesse ich völlig, dass Max ja gar nicht zu unserer Familie gehört. Witzig ist, dass er es selbst auch nicht bemerkt.
„Ich frage die beiden mal“, meint er und rennt zum Haus rüber. Keine fünf Minuten später sind mein Bruder Paul und meine Cousine Franzi bei ihm. Jetzt freue ich mich noch mehr. Zu fünft macht ein Ausritt erst so richtig Spaß.
„Und haaalt!“, ruft Max plötzlich, als wir an einem Sandweg ankommen, der uns durch die Felder führt. Im ersten Moment denke ich, es ist irgendwas mit Solon. Auch die anderen drehen sich zu ihm um.
„Was ist los?“, will ich wissen.
„Seid ihr bereit für einen Pferdetausch?“, fragt Max.
Pferdetausch? Wenn ich ehrlich bin, mache ich das nicht so gerne. Ich reite Alvara am liebsten und ich gebe sie auch nicht gerne in andere Hände. Andererseits sind wir alle großartige Reiter. Ich muss keine Angst haben, dass jemand mein Pferd schlecht behandelt. Noch bevor ich etwas sagen kann, schreit Franzi schon: „Oh ja!“, springt vom Pferd und rennt zu Gretas Tindra hinüber. „Die wollte ich immer schon mal reiten.“
Greta lacht und steigt aus dem Sattel. „Kann ich verstehen“, sagt sie. „Sei lieb zu ihr.“
Na gut, wenn alle mitmachen, will ich kein Spielverderber sein. Wir wechseln nun alle. Ich bekomme Refur, den Hengst, den sich Paul für den Ausritt ausgesucht hat. Paul hat kein eigenes Pferd, genau wie Franzi. Sie würden sofort eins von Papa oder Onkel Steffen bekommen, aber sie wollen es gar nicht. Reiten ist für sie ein Hobby, aber längst nicht so eine Leidenschaft wie für Greta, Max und mich. Max übernimmt Alvara, worüber ich mich sehr freue. Greta bekommt Solon, Paul reitet nun Drottning. Weiter geht es durch die Felder. Es ist verrückt. Außenstehende denken ja gerne: Pferd ist Pferd. Aber so ist es überhaupt nicht. Pferde sind wie alle Lebewesen: Jedes ist anders. Als ich auf Refur sitze, merke ich einen riesigen Unterschied zu Alvara. Refur ist „guckig“, so nennt man das, wenn Pferde unruhig mal hierhin und mal dahin schauen. Als Hengst bildet er sich offenbar ein, dass er uns alle vor den Gefahren des Lebens beschützen muss. Und da könnte ja jederzeit ein Löwe aus dem Gebüsch springen.
Nachdem wir eine Weile geritten sind, tauschen wir wieder. Ich bekomme jetzt Drottning, die eine kleine Schlaftablette ist. Danach darf ich den sportlichen und gut ausgebildeten Solon reiten. Auch Tindra zu reiten ist wunderschön. Sie hat so weiche Gänge und achtet ganz fein auf meine Hilfen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Am schönsten finde ich es, als ich wieder auf Alvara sitze. Sie und ich, wir sind einfach ein Traumteam. Wir sind aufeinander eingespielt, wir vertrauen einander. Wir bilden eine Einheit.
Ich schaue mich zu Max um. Er sitzt wieder auf Solon und lächelt so verzückt, als hätte er noch nie so ein schönes Pferd geritten.
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