Italienische Intrigen (Lisa Langer ermittelt 2) — Inhalt
Gelato, Chianti und gefährliche Ganoven
Reisejournalistin Lisa Langer verschlägt es für einen Auftrag in die frühsommerliche Toskana. Was gibt es auch Schöneres, als den Blick bei einem Glas Rotwein über sanfte Hügel, Zypressen und die Silhouette von Casole d’Elsa schweifen zu lassen? Doch dann entdeckt sie zwielichtige Gestalten in leer stehenden Ferienhäusern, die allem Anschein nach etwas im Schilde zu führen. Und tatsächlich stößt Lisa auf kriminelle Machenschaften. Ja, es gibt bereits Mordopfer! Lisas Neugier ist geweckt. Sie beginnt zu ermitteln, und gerät dadurch in Lebensgefahr …
Leseprobe zu „Italienische Intrigen (Lisa Langer ermittelt 2)“
– UNO –
Was für eine Aussicht!
Lisa Langer streckte die Beine aus und bewegte ihre nackten Zehen behaglich im milden Frühsommerwind, der sie sanft umwehte. Sie ließ den Blick über die sanften Hügel schweifen, auf denen sich die Silhouetten der Zypressen und hier und da die Umrisse eines Bauernhofs vor dem dämmrigen Abendhimmel abzeichneten. Nach rechts ging ihr Blick bis zu den Häusern von Casole d’Elsa, einem kleinen, etwas verschlafenen Städtchen gut dreißig Kilometer westlich von Siena. Den linken Rand ihres Panoramas markierte dichter Wald, der [...]
– UNO –
Was für eine Aussicht!
Lisa Langer streckte die Beine aus und bewegte ihre nackten Zehen behaglich im milden Frühsommerwind, der sie sanft umwehte. Sie ließ den Blick über die sanften Hügel schweifen, auf denen sich die Silhouetten der Zypressen und hier und da die Umrisse eines Bauernhofs vor dem dämmrigen Abendhimmel abzeichneten. Nach rechts ging ihr Blick bis zu den Häusern von Casole d’Elsa, einem kleinen, etwas verschlafenen Städtchen gut dreißig Kilometer westlich von Siena. Den linken Rand ihres Panoramas markierte dichter Wald, der jenseits eines kleinen Tals bis an einige modern wirkende Gebäude heranreichte, die sich an den gegenüberliegenden Hang schmiegten. Ihr Vermieter hatte erzählt, dass es sich dabei um Ferienhäuser handelte, die allerdings seit ihrer Erbauung fast immer leer standen.
Was für eine Stille!
Allmählich wich die Dämmerung der Dunkelheit. Nirgendwoher drangen störende Geräusche an Lisas Ohren. Gelegentlich strich der Lichtkegel von Autoscheinwerfern durch den Wald, aber keines der Fahrzeuge war bis hierher zu hören. Zwar wusste sie noch nicht, ob es drüben in Casole abends lebhaft oder eher gemütlich war, doch sie würde wohl nicht den geringsten Laut davon mitbekommen, selbst wenn dort jede Nacht gefeiert würde. Hier auf dem alten Bauernhof, der liebevoll zu einem idyllischen Feriendomizil mit drei Wohnungen umgebaut worden war, herrschte schon tagsüber eine angenehme Entspanntheit. Anders als zu Hause in Hamburg wurde hier die Ruhe weder durch S-Bahnen noch durch den Feierabendverkehr oder durch Flugzeuge gestört. Und jetzt, da der Tag vollends zur Neige ging, fiel die Abwesenheit von allem städtischen Trubel noch stärker auf. Die Grillen zirpten, ab und zu raschelte etwas in den Büschen. Eine Katze vielleicht, oder doch eher eines der mageren Wildschweine, von denen ihr der Vermieter gleich zur Begrüßung erzählt hatte. Offenbar wagten die Tiere sich nachts bis ans Haus.
Seit einigen Jahren schrieb Lisa Langer nun schon Reisereportagen. Dabei suchte sie nach Zielen und Routen abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Vor allem durch die regelmäßigen Aufträge des Reisemagazins myJourney konnte sie inzwischen vom Schreiben leben. Dazu kamen Texte und Konzepte für Broschüren, die sie im Auftrag von Hotels, kleineren Reiseanbietern oder auch Fremdenverkehrsverbänden erstellte – und weil ihre Kunden damit einverstanden sein mussten, dass ihnen das nicht zugleich auch eine Geschichte in myJourney bescherte, ging Lisa diesem Nebenjob ohne schlechtes Gewissen nach. Dennoch wollte sie ihren Namen in diesen Broschüren nicht abgedruckt sehen. Sie hielt diese Texte streng getrennt von ihren Reisereportagen – ähnlich streng wie ihre zweite Nebentätigkeit: Vor einem Jahr war ihr erster Kriminalroman unter Pseudonym erschienen, inzwischen waren mehrere Nachauflagen ge- druckt, und noch immer achtete Lisa sehr darauf, dass niemand sie mit der geheimnisvollen Autorin des Urlaubskrimis in Verbindung brachte.
Inzwischen lag das Manuskript des zweiten Krimis im Verlag. Das Lektorat war begeistert, vor allem die Schilderungen der Schauplätze im Norden und Osten von Mallorca, die handelnden Figuren und der eher unblutig erzählte Mordfall wurden gelobt. Lisa musste schmunzeln, wenn sie an die Erlebnisse auf der Urlaubsinsel zurückdachte, die sie inspiriert hatten.
Und nun saß sie in der frühsommerlichen Toskana, genoss die mildwürzige Luft, die Ruhe, die angenehme Temperatur und den Hauswein ihres Vermieters, der in ihrem Glas dunkel wirkte wie geronnenes Blut und nach allem schmeckte, was man sich von einem Urlaub in der Toskana erhoffte.
Was für ein Wein!
„Aua!“, rief der schmächtigere der beiden Männer, und sofort wandte sich der andere zu ihm um und schimpfte los wie schon mehrmals an diesem Abend.
„Mensch, Luca“, polterte er und baute sich bedrohlich vor dem Schmächtigen auf. „Was musst du mir denn ständig am Rockzipfel hängen? Ich fall noch der Länge nach hin, weil ich über dich stolpere! Bei der Arbeit stehst du direkt hinter mir und schleichst dich an wie eine Katze.“
Luca schluckte. Er hielt sich gern in Ennos Nähe auf, weil sein muskulöser Freund Schutz gegen alles Mögliche versprach – aber im Moment hatte er eher Angst, sich von seinem Beschützer eine Ohrfeige einzufangen.
„Äh ... Enno, scusi, ich ...“
„Jetzt stammel hier nicht rum, sondern pack mit an.“ Enno patschte ihm gutmütig seine schwielige Hand auf die Schulter. „Du solltest mich das nicht allein schleppen lassen, verstanden?“
„Geht klar, Enno!“
Luca war stärker, als er wirkte, und vor allem zäh, nur gegen Handgreiflichkeiten fühlte er sich machtlos. Und so lud er sich die nächste Kiste auf die Schulter und sah zu, dass er schnell ins Haus kam.
Eine gute halbe Stunde hatten sie zu tun, bevor der Kleinlaster leer und alles in dem fensterlosen Raum verstaut war. Danach lehnte Enno draußen an der Wand und zündete sich eine Zigarette an. Als Luca zu ihm trat, nestelte er noch eine Kippe aus seiner Hemdtasche, entzündete sie an der Glut seiner eigenen und reichte sie seinem Kompagnon. Luca nahm einen tiefen Zug und deutete dann mit seiner Zigarette über das Tal hinweg zum Hang gegenüber. Der Himmel war klar, die Sterne funkelten, und so ließen sich mit guten Augen und etwas Ortskenntnis die Umrisse der umliegenden Gehöfte durchaus erkennen.
„Hast du das Licht vorher auch gesehen?“, fragte er, und Enno nickte nur. „Scheint wieder jemand drüben zu wohnen, was?“
„Sieht so aus.“
„Und meinst du, die haben uns bemerkt?“
„Schwer zu sagen. Ich bin das letzte Stück mit abgeblendeten Scheinwerfern gefahren, die Fensterläden sind alle dicht, und die Funzel im Haus ist hier draußen kaum zu sehen.“
„Aber trotzdem ...“
„Jetzt mach dir nicht ins Hemd, Luca. Ich ruf gleich nachher, wenn wir wieder weg sind, den Dottore an. Der soll entscheiden, was zu tun ist. Ich vermute mal, er wird uns beauftragen, dass wir uns drüben auf dem Bauernhof mal ein bisschen umschauen. Du bist der Beste im Anschleichen, und ich halte mich bereit, falls jemand Ärger machen sollte.“
Er grinste grimmig und öffnete und schloss dazu seine imposante rechte Faust ein paarmal. Luca lachte leise und glühte insgeheim vor Stolz. Sein Freund Enno lobte ihn für sein Talent, sich anzuschleichen – und er würde ihn raushauen, wenn ihn trotzdem jemand erwischte. Am liebsten hätte er Enno dafür in den Arm genommen und so fest gedrückt, wie er konnte, aber das traute er sich dann doch nicht. Stattdessen zog er noch einmal kräftig an seiner Zigarette und blies den Rauch in die laue Frühsommernacht.
Lisa hatte das Weinglas noch einmal zur Hälfte gefüllt und war dann entspannt und wohlig müde in ihre Ferienwohnung im Parterre gegangen. Ihre Unterkunft war eher funktional als modern ausgestattet, dennoch war sie mehr als zufrieden. Die Küche war groß genug, das Wohnzimmer geradezu geräumig, das Bad so geschickt möbliert, dass die Enge nicht wirklich störte – und das Schlafzimmer war beinahe gemütlich eingerichtet: mit Bildern an der Wand, einem Stuhl und einer kleinen Kommode, einer zweiflügligen Glastür zum Garten hinaus und einem großen, wunderbar weichen Bett.
Sie las ein wenig, ging dann ins Bad und trat schließlich noch einmal vor das alte Bauernhaus. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem, was die Natur um sie herum an leisen Geräuschen von sich gab. Die Wildschweine hatten sich offenbar wieder getrollt, aber einen Moment lang war es ihr, als habe sie von jenseits des Tales den Motor eines Lastwagens gehört. Doch dann war es wieder so still wie vorher, und nur ganz behutsam strich der Wind durch die Blätter der Büsche und Bäume.
Vorsichtig ging sie noch einmal die wenigen Schritte zum Pool hinunter. Ein Schild beschränkte die Badezeit auf neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, aber da sie hier im Moment ganz allein war, würde ihr kaum jemand verbieten wollen, auch nachts ein paar Bahnen zu schwimmen. Heute war sie zu müde dazu, aber allein der Gedanke, nach einem ausgefüllten Tag in der Toskana in das kühle Wasser des Beckens zu gleiten und von anderen ungestört hin und her zu schwimmen, jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Sie umrundete den Pool und blickte auf die Landschaft hinaus. Das Städtchen lag weitgehend im Dunkeln, und auch von den Gehöften, die in einiger Entfernung manche der Hügel krönten, drang kein Licht zu ihr herüber. Sie ließ ihren Blick den Hang hinaufschweifen, am Waldrand entlang und dann noch einmal über die leer stehenden Ferienhäuser. Dort brannte kein Licht, und nirgendwo stand ein Fahrzeug.
Wobei ...
Sie blinzelte und schaute angestrengter als bisher in die Nacht. Neben einem der Häuser bemerkte sie etwas Kastenartiges, vielleicht ein kleines Nebengebäude, das sie bisher übersehen hatte – oder der Aufbau des Lastwagens, dessen Motor sie vorhin zu hören geglaubt hatte. Auf einmal fiel ein schwacher Lichtschein auf den Kasten, und tatsächlich schien dort ein kleiner Lastwagen zu stehen. Und waren da nicht zwei Gestalten, die irgendetwas ausluden und ins Haus trugen? Aber dann verlosch das Licht auch schon wieder, niemand war zu sehen, und der Lastwagen hätte genauso gut auch etwas ganz anderes sein können.
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