Kann mir bitte jemand das Wasser reichen? — Inhalt
„Überheblichkeit ist eine Eigenschaft, die von Zeit zu Zeit jeden befällt“, sagt der finnische Wissenschaftsjournalist Ari Turunen und berichtet in seiner Kulturgeschichte der Arroganz von hochmütigen Herrschern wie Napoleon Bonaparte, der sich angeblich nur mit Jasagern umgab, oder größenwahnsinnigen Popstars wie John Lennon, der die Beatles für populärer als Jesus hielt. Und er zeigt in ebenso erheiternden wie lehrreichen Anekdoten über Persönlichkeiten wie Alexander den Großen oder Präsident Bush: Hochmut kommt meist vor dem Fall.
Leseprobe zu „Kann mir bitte jemand das Wasser reichen?“
Zum Geleit
Herzlichen Glueckwunsch! Dies ist wahrscheinlich das beste Buch, das Sie je aufgeschlagen haben. Es ist verblüffend aktuell, klug und unterhaltsam. Dieses Buch verwandelt einen alltäglichen Abend in eine inspirierende Matinee, die Ihre verknöcherten Vorstellungen von den Kulturen und von der Welt insgesamt ins Wanken bringt.
Wie viele andere bin eigentlich auch ich eingebildet.
Als ich mit sechzehn Jahren meinem Großvater verkündete, ich wisse ziemlich viel vom Leben, war es um seine Liebenswürdigkeit geschehen, und die Zurechtweisung kam so [...]
Zum Geleit
Herzlichen Glueckwunsch! Dies ist wahrscheinlich das beste Buch, das Sie je aufgeschlagen haben. Es ist verblüffend aktuell, klug und unterhaltsam. Dieses Buch verwandelt einen alltäglichen Abend in eine inspirierende Matinee, die Ihre verknöcherten Vorstellungen von den Kulturen und von der Welt insgesamt ins Wanken bringt.
Wie viele andere bin eigentlich auch ich eingebildet.
Als ich mit sechzehn Jahren meinem Großvater verkündete, ich wisse ziemlich viel vom Leben, war es um seine Liebenswürdigkeit geschehen, und die Zurechtweisung kam so routiniert, wie sie nur ein ehemaliger Kaufmann, Kommunist und angesehener Vorsitzender der Anonymen Alkoholiker von Helsinki erteilen kann: «Junge, du weißt überhaupt nichts vom Leben.„ Erfahrung macht klug – oder doch nicht? Habe ich mich im Lauf der Jahre verändert? Unterhalte ich mich vernünftig mit meinen Eltern? Höre ich ihnen zu? Na also. Arroganz fragt nicht nach dem Alter.
Am schwierigsten ist es, die eigene Beschränktheit zu erkennen und vor allem, sie einzugestehen. Ratschläge von anderen Menschen sind ärgerlich. Nur wenige von uns akzeptieren widerspruchslos, was diverse Psychotests über ihre Kreativität und Intelligenz aussagen. Feedback anzunehmen ist ein Problem für Alt und Jung.
Arroganz ist immer eine Fehleinschätzung. Wie viele beurteilen ihre Mitmenschen nur aufgrund ihres Aussehens oder einer anderen einzelnen Eigenschaft? Wie viele ziehen Schlüsse allein aus dem Beruf, der Ausbildung oder der Stellung anderer Menschen? Oder sind sich grundsätzlich zu gut, andere zu grüßen?
Zwar ist der Mensch auf dem Mond gelandet und hat seine Genkarte erforscht, doch unser Umgang miteinander hat sich seit der Zeit, als wir Mammuts jagten, nicht unbedingt verfeinert. Arroganz ist das überflüssigste aller Gefühle. Die Geschichte lehrt, dass Arroganz nie etwas anderes hervorgebracht hat als Kriege, Katastrophen, Hass und eine Unzahl von Misserfolgen, nicht zuletzt für den Arroganten selbst. Dieses Buch widmet sich der Frage, weshalb ein hochmütiges und andere herabsetzendes Verhalten so weit verbreitet ist – und ob man etwas dagegen tun kann.
Im Elfenbeinturm des Topkapi in Istanbul, im April 2010
Ari Turunen
Einleitung
Nichts ist gefährlicher für den Menschen, als im Moment des Erfolgs
der Arroganz anheimzufallen und
sich für gottgleich zu halten.
Im ersten Jahrhundert nach Beginn der Zeitrechnung stellte der römische Ingenieur Julius Sextus Frontinus fest, alle Erfin dungen seien längst gemacht, und es sei nichts Neues und Umwerfendes mehr zu erwarten. Wer eine derartige Behauptung aufstellt, muss so unerschütterlich und unwandelbar sein wie das finnische Grundgestein. Würde Julius noch leben, wäre er zweifellos immer noch derselben Meinung. Er würde in seinem Elfenbeinturm über Computer und Nachrichtensatelliten lachen und über den medizinischen Einsatz von Antibiotika verächtlich schnauben.
Viele glauben wie Julius, dass ihre Urteilskraft erstklassig ist und sie ihre Meinung nie zu revidieren brauchen. Bis an unser Lebensende wissen wir, was guter Geschmack, die beste Ausbildung für unsere Kinder oder die richtige politische Partei ist. Besonders nett ist es, solche Überzeugungen Jüngeren mitzuteilen. Wenn andere Menschen das tun, empfinden wir es als nervend, doch der eigene Starrsinn bedeutet natürlich “Charakterfestigkeit„.
Auch dieses Buch könnte als arrogant aufgefasst werden. Wer bin ich, in nachträglicher Weisheit die Versuche und Irrtümer anderer zu verurteilen? Überheblichkeit ist eine Eigenschaft, die von Zeit zu Zeit jeden befällt. Es ist arrogant zu behaupten, man wäre nie arrogant gewesen. In den Epen, Mythen und Tragödien vieler Kulturen wurde diese falsche Einstellung schon früh zur Sprache gebracht.
Der dritte Gesang des finnischen Nationalepos Kalevala könnte eine Szene beschreiben, wie sie sich in einem von Testosteron triefenden Planungsseminar oder in der Schlange vor einer Imbissbude bei Nacht abspielt, wo sich ein dominierendes Alphamännchen und sein Herausforderer begegnen. Der junge Joukahainen ist neidisch auf Väinämöinen, dem man nachsagt, er singe die besten Lieder und wisse mehr als alle anderen. Joukahainens Eltern warnen ihren Sohn davor, sich mit einem Überlegenen zu messen, doch er schlägt ihre Ratschläge in den Wind. Er behauptet, mehr zu wissen als jeder andere: “Wohl ist gut des Vaters Wissen, besser das noch meiner Mutter, doch mein eignes ist am höchsten.„ (Zitiert nach der Übersetzung von Hans und Lore Fromm, Stuttgart: Reclam 1985, S. 16)
Als die beiden Männer sich begegnen, tut Joukahainen, als würde er Väinämöinen nicht kennen. Ein typisches Symptom für Arroganz. Er fordert Väinämöinen zu einem Wissenswettkampf heraus. Als Väinämöinen ihn fragt, was er wisse, beginnt er seine Kenntnisse aufzuzählen. Väinämöinen lächelt über Joukahainens Behauptung, bei der Erschaffung der Welt dabei gewesen zu sein. Joukahainen regt sich darüber auf und fordert den Alten zum Zweikampf heraus. Väinämöinen versucht noch, ihn zu beschwichtigen, doch vergeblich – Joukahainen prahlt, Feiglinge wie Väinämöinen werde er zu Schweinen singen, die man in den Koben wirft. Alles hat seine Grenzen. Väinämöinen gerät über diese Protzigkeit in Zorn, und “Seen wogten, Erde wankte, selbst die Kupferberge bebten, starke Felsenplatten sprangen, Felsen flogen auseinander, Klippen klafften an den Ufern» (ebd., S. 20). Der alte Herr singt Joukahainen in das Moor, und der weinend um Gnade flehende junge Mann kann sich nur retten, indem er Väinämöinen seine Schwester verspricht.
Diese Geschichte aus dem finnischen Sumpfland greift ein uraltes Muster des mythischen Erzählens auf, in dem arrogantes Verhalten die verdiente Strafe nach sich zieht. Die Mythen verschiedener Kulturen sind im Grunde lehrreiche Warnungen vor Eitelkeit, Dummheit, Verlogenheit und vor allem Arroganz. Die antiken Tragödien von Odysseus, der Poseidon, den Gott des Meeres, verflucht, und von Ödipus, der sich an der Macht berauscht, wiederholen ein bekanntes Schema. Gesundes Selbstvertrauen wächst sich leicht zu krankhafter Überheblichkeit aus. Erfolg speist sich selbst, und viele lassen sich von der eigenen Person in den Bann ziehen, was häufig zur Katastrophe führt. Nach Ansicht der Menschen der Antike gab es nichts Gefährlicheres als im Moment des Erfolgs der Hybris, d. h. der Arroganz anheimzufallen und sich für gottgleich zu halten. Dies war ein schamloser Glaube an sich selbst und Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen Grenzen in einem Universum, über dessen Ordnung die Götter entschieden. Wer an Hybris erkrankt, glaubt sich zu allem fähig. Überschäumendes Selbstvertrauen verleitet ihn zu falschen Deutungen seiner Umwelt und zu Fehleinschätzungen. Schließlich begegnet er zu Recht der Nemesis, der Göttin der Rache.
Die Arroganz interessierte William Shakespeare; viele seiner Stücke sind Tragödien über Zerstörung und Neid, die durch Macht ausgelöst werden. Im Mittelpunkt einer der bekanntesten Tragödien Shakespeares steht ein König im Schottland des 11. Jahrhunderts, der seinem Vetter Duncan die Herrschaft entrissen hatte. Macbeth ist die tragische Geschichte eines Königs, der sich von seiner Macht blenden lässt. Macbeth setzt seine Macht skrupellos ein und vertraut niemandem mehr. Die Angst vor Rache treibt ihn zu immer neuen Verbrechen. Schließlich wird er von seinen Untertanen gestürzt.
Die Historikerin Barbara Tuchman nennt vier Verhaltensweisen, die in aller Regel zu Scheidungen, Kündigungen, Kriegen und Katastrophen führen. Die erste ist tyrannisches Benehmen: eine weitverbreitete Unart am Arbeitsplatz und am Esstisch. Die zweite ist maßloser Ehrgeiz. Die dritte ist die durch Macht ausgelöste Dekadenz und Unfähigkeit, die beispielsweise zum Untergang des Römischen Reiches führte. Die vierte ist unnatürlicher Starrsinn: die Neigung zu Handlungen, die den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Warum gibt es immer noch Überfischung, obwohl bekannt ist, dass Thunfisch und Dorsch aussterben? Warum wird der Regenwald abgeholzt, obwohl man die Folgen für das Klima auf der Erde kennt?
In diesem Buch blättere ich in den Annalen der Geschichte und zeige Stellen auf, an denen ein lächerlicher, geringfügiger Anlass Veränderungen ausgelöst hat. Ich suche katastrophale Wendepunkte der Arroganz, Momente, die auf die eine oder andere Weise die Welt verändert haben. Hinter einem solchen Moment kann Geringschätzung, übermäßiges Vertrauen auf die eigene Vortrefflichkeit, kulturelle Überheblichkeit oder durch Monopolstellung verursachte Selbstgefälligkeit stehen. In solchen Situationen werden die Spannungen unerträglich, und eine arrogante Tat oder Bemerkung genügt, um die Konstruktion zum Einsturz zu bringen. Es kommt zur Revolution, die Luft wird gereinigt und die Moral wiederhergestellt – bis zum nächsten Zusammenbruch …
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