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Kleine freie Männer (Tiffany Weh 1) Kleine freie Männer (Tiffany Weh 1) - eBook-Ausgabe

Terry Pratchett
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Ein Roman von der bizarren Scheibenwelt

— Der Auftakt der „Tiffany Weh“-Reihe
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Kleine freie Männer (Tiffany Weh 1) — Inhalt

Der Auftakt der legendären Reihe um die Hexe Tiffany Weh!

Gerade einmal neun Jahre alt hat sich Tiffany Weh in den Kopf gesetzt, eine Hexe zu werden. Jetzt muss sie nur noch lernen, wie das geht. Ihr Entschluss wird auf die Probe gestellt, als ihr kleiner Bruder von der Feenkönigin entführt wird. Bewaffnet mit einer gusseisernen Bratpfanne, unterstützt von einer sprechenden Kröte und begleitet von einer Horde rauflustiger Kobolde macht sich Tiffany auf, ihren Bruder zu retten – und es mit der Königin der Feen persönlich aufzunehmen. 

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 27.02.2025
Übersetzt von: Andreas Brandhorst
320 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-28281-9
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Erschienen am 27.02.2025
Übersetzt von: Andreas Brandhorst
320 Seiten
EAN 978-3-492-61091-9
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Leseprobe zu „Kleine freie Männer (Tiffany Weh 1)“

1
Ein gutes Scheppern

Manche Dinge beginnen vor anderen. Es war ein Sommerschauer, der nicht wusste, dass er einer war – es goss in Strömen, wie bei einem Unwetter im Winter.

Fräulein Perspicazia Tick saß in dem geringen Schutz, den ihr eine Hecke geben konnte, und erforschte das Universum. Den Regen bemerkte sie gar nicht. Hexen trocknen schnell.

Zur Erforschung des Universums verwendete sie zwei dünne Zweige, mit einem Bindfaden zusammengebunden, einen Stein mit einem Loch drin, ein Ei, einen ihrer Strümpfe, ebenfalls mit einem Loch, eine Nadel, ein Stück [...]

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1
Ein gutes Scheppern

Manche Dinge beginnen vor anderen. Es war ein Sommerschauer, der nicht wusste, dass er einer war – es goss in Strömen, wie bei einem Unwetter im Winter.

Fräulein Perspicazia Tick saß in dem geringen Schutz, den ihr eine Hecke geben konnte, und erforschte das Universum. Den Regen bemerkte sie gar nicht. Hexen trocknen schnell.

Zur Erforschung des Universums verwendete sie zwei dünne Zweige, mit einem Bindfaden zusammengebunden, einen Stein mit einem Loch drin, ein Ei, einen ihrer Strümpfe, ebenfalls mit einem Loch, eine Nadel, ein Stück Papier und einen kleinen Bleistiftstummel. Im Gegensatz zu Zauberern lernen Hexen, mit wenig zurechtzukommen. Die Gegenstände waren miteinander verbunden und bildeten einen… Apparat. Er bewegte sich sonderbar, wenn Fräulein Tick ihn anstieß. Zum Beispiel schien einer der Zweige durch das Ei zu stoßen, bis zur anderen Seite, ohne eine Spur zu hinterlassen.

„Ja“, sagte sie leise, als Regen über den Rand ihres Hutes strömte. „Da ist es. Zweifellos eine Kräuselung in den Wänden der Welt. Sehr Besorgnis erregend. Hervorgerufen vermutlich von einer anderen Welt, die Kontakt sucht. So was ist nie gut. Ich sollte diesen Ort aufsuchen. Aber… nach meinem linken Ellenbogen zu urteilen, ist dort schon eine Hexe…“

„Sie wird sich um alles kümmern“, erwiderte eine kleine und derzeit noch geheimnisvolle Stimme neben Fräulein Ticks Beinen.

„Nein, das kann nicht sein. Dort drüben ist Kreideland“, sagte Fräulein Tick. „Auf Kreide kann keine gute Hexe wachsen. Das Zeug ist kaum härter als Ton. Damit eine Hexe wächst, braucht man guten, harten Fels, glaub mir.“

Fräulein Tick schüttelte den Kopf, und Regentropfen stoben davon. „Aber normalerweise ist auf meine Ellenbogen Verlass.“

„Warum darüber reden? Lass uns aufbrechen und nach dem Rechten sehen“, sagte die Stimme. „Hier geht es uns nicht besonders gut, oder?“

Das stimmte. Das Kreideland war nicht gut für Hexen. Fräulein Tick verdiente sich den einen oder anderen Cent mit Medizin, und indem sie wirklich wahrsagte. Die meisten Nächte verbrachte sie in Ställen oder Scheunen. Zweimal hatte man sie in einen Teich geworfen.

„Ich darf mich nicht einmischen“, sagte sie. „Immerhin ist es das Revier einer anderen Hexe. So was klappt nie.

Aber…“ Sie zögerte. „Hexen erscheinen nicht einfach so. Mal sehen…“

Fräulein Tick zog eine von Sprüngen durchzogene Untertasse aus einer Tasche und gab etwas von dem Regenwasser hinein, das sich auf ihrem Hut gesammelt hatte. Dann holte sie eine Flasche mit Tinte aus einer anderen Tasche und ließ gerade genug auf die Untertasse tropfen, dass das Wasser schwarz wurde. Sie wölbte die Hände darum, um den Regen fern zu halten, und hörte auf die Augen.


Tiffany Weh lag am Fluss auf dem Bauch und kitzelte Forellen. Sie hörte sie gern lachen. Dann stiegen kleine Luftblasen auf. 

Ein Stück entfernt, wo das Flussufer einen kleinen Kiesstrand bildete, stocherte ihr Bruder Willwoll mit einem Stock herum und wurde dabei mit ziemlicher Sicherheit klebrig.

Willwoll wurde durch praktisch alles klebrig. Wenn man ihn fünf Minuten lang gewaschen und getrocknet in der Mitte eines sauberen Bodens sitzen ließ, war er klebrig. Es schien keine Quelle dafür zu geben. Er wurde einfach klebrig. Aber man konnte recht gut mit ihm umgehen, wenn man darauf achtete, dass er keine Frösche aß.

Ein kleiner Teil von Tiffany stand dem Namen Tiffany skeptisch gegenüber. Sie war neun Jahre alt und glaubte, dass es schwer sein würde, den Erfordernissen des Namens Tiffany gerecht zu werden. Außerdem hatte sie erst in der letzten Woche entschieden, dass sie Hexe werden wollte,
und „Tiffany“ passte einfach nicht zu einer Hexe. Die Leute würden lachen.

Ein anderer und größerer Teil von Tiffany dachte an das Wort „zischeln“. Über dieses Wort dachten nicht viele Leute nach. Während ihre Finger eine Forelle am Kinn kitzelten, drehte sie das Wort im Kopf hin und her. Zischeln… Nach dem Wörterbuch ihrer Großmutter bedeutete es „ein leises Geräusch, wie ein Flüstern oder Raunen“. Der Klang des Wortes gefiel Tiffany. Es weckte in ihr Vorstellungen von geheimnisvollen Personen in langen
Mänteln, die hinter einer Tür über wichtige Geheimnisse flüsterten: zischelzischelzischel…

Sie hatte das ganze Wörterbuch gelesen. Niemand hatte sie darauf hingewiesen, dass so etwas unüblich war. Als sie daran dachte, merkte sie, dass die beglückte Forelle weggeschwommen war. Aber etwas anderes war im Wasser, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.

Tiffany sah einen runden Korb, nicht größer als eine halbe Kokosnussschale, mit etwas bestrichen, das die Löcher schloss und den Korb schwimmen ließ. Ein kleiner Mann, nur fünfzehn Zentimeter groß, stand darin. Er hatte zotteliges rotes Haar, in dem einige Federn, Perlen und Stoffstreifen steckten. Der rote Bart wirkte ebenso ungepflegt wie die Haare. Der Rest von ihm, der nicht mit blauen Tätowierungen verziert war, steckte unter einem kleinen Kilt. Der Mann schüttelte die Faust und rief:

„Potz Blitz! Kratz die Kurve, Mädel! Hüte dich vor dem grünen Ungeheuer!“

Und damit zog er an einer Schnur, die über die Seite des Bootes hinwegreichte. Ein zweiter kleiner rothaariger Mann tauchte auf und schnappte nach Luft.

„Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um Fische zu fangen!“, sagte der erste Mann und holte den zweiten an Bord. „Das grüne Ungeheuer kommt!“

„Potz Blitz!“, sagte der platschnasse Schwimmer. „Nichts wie weg!“

Er griff nach einem sehr kleinen Ruder, bewegte es rasch vor und zurück. Das Boot entfernte sich schnell.

„Entschuldigt bitte!“, rief Tiffany. „Seid ihr Feen?“

Sie bekam keine Antwort. Das kleine runde Boot war bereits im Schilf verschwunden.

Wahrscheinlich nicht, dachte Tiffany.

Und dann, zu ihrem finsteren Entzücken, hörte sie ein Zischeln. Es wehte kein Wind, aber die Blätter der Erlen am Fluss begannen zu zittern und zu rascheln. Auch das Schilf bewegte sich. Es neigte sich nicht hin und her, sondern verschwamm. Alles verschwamm, als hätte etwas die Welt gepackt und schüttelte sie. Die Luft zischte. Leute flüsterten hinter geschlossenen Türen…

Das Wasser begann zu sprudeln, direkt am Ufer. Es war dort nicht sehr tief – es hätte Tiffany nur bis zu den Knien gereicht –, aber plötzlich war es dunkler und grüner und sehr viel tiefer…

Sie wich einige Schritte zurück, und eine Sekunde später stiegen lange, dürre Arme aus dem Wasser und griffen mit Klauenhänden dorthin, wo Tiffany eben noch gestanden hatte. Für einen Moment sah sie ein schmales Gesicht mit langen, spitzen Zähnen, riesigen runden Augen und nassem
grünen Haar, wie Algenstränge, dann sank das Wesen in die Tiefe zurück.

Als sich das Wasser über ihm schloss, lief Tiffany bereits am Ufer entlang zu dem kleinen Strand, wo Willwoll Froschpasteten machte. Sie riss den Jungen hoch, als aufsteigende Luftblasen um die Flussbiegung zogen. Wieder brodelte das Wasser, ein Geschöpf mit grünen Augen schoss
nach oben, und Klauen bohrten sich in den Schlamm. Dann heulte das Wesen und sank ins Wasser zurück.

„Will zur Toh-lett!“, schrie Willwoll.

Tiffany schenkte ihm keine Beachtung. Nachdenklich beobachtete sie den Fluss.

Ich fürchte mich gar nicht, dachte sie. Wie seltsam. Ich sollte mich fürchten, aber ich bin nur zornig. Ich meine, ich fühle die Furcht wie einen rot glühenden Ball, aber der Zorn lässt sie nicht nach draußen…

„Will will will zur Toh-lett!“, schrie Willwoll.

„Dann geh“, erwiderte Tiffany geistesabwesend. Noch immer rollten kleine Wellen ans Ufer.

Es hatte keinen Sinn, jemandem davon zu erzählen. Wenn sie es gut meinten, würden alle einfach nur sagen:

„Was hat das Kind doch für eine Phantasie.“ Wenn sie es nicht gut meinten, würde es heißen: „Erzähl kein dummes Zeug!“

Sie war noch immer zornig. Wie konnte es ein Ungeheuer wagen, im Fluss zu erscheinen? Erst recht ein so… so… lächerliches! Für wen hielt es sie

Dies ist Tiffany, auf dem Heimweg. Schauen wir zuerst auf ihre Stiefel. Sie sind groß und schwer, oft vom Vater repariert, und sie gehörten vor ihr mehreren Schwestern. Tiffany trägt drei Paar Socken, damit sie ihr nicht von den Füßen rutschen. Sie sind groß. Manchmal kommt sich Tiffany wie jemand vor, der nur Stiefel herumbewegt. 

Und dann ihr Kleid. Es hat vor ihr ebenfalls mehreren Schwestern gehört, und ihre Mutter hat es so oft gewaschen, dass eigentlich nichts mehr davon übrig sein dürfte. Aber Tiffany mag es. Es reicht ihr bis zu den Fußknöcheln, und von der ursprünglichen Farbe ist ein milchiges Blau übrig geblieben, die gleiche Farbe wie die der Schmetterlinge, die neben dem Weg in der Luft tanzen.

Wir schauen uns jetzt Tiffanys Gesicht an: ein wenig rosarot mit braunen Augen und braunem Haar. Nichts Besonderes. Ihr Kopf mag jemandem, der sie beobachtet – zum Beispiel in einer Untertasse mit schwarzem Wasser –, etwas zu groß für den Rest der Körpers erscheinen, aber vielleicht wächst sie hinein.

Und dann steigen wir nach oben, immer weiter nach oben, bis der Pfad zu einem Band wird und Tiffany und ihr Bruder zu zwei kleinen Punkten. Das Land wird sichtbar.

Man nennt es Kreide. Eine grüne hügelige Landschaft erstreckt sich im hochsommerlichen Sonnenschein. Von hier oben gesehen, wirken die Schafherden, die langsam über die Wiesen mit dem kurzen Gras ziehen, wie Wolken an einem grünen Himmel. Hier und dort sausen Schäferhunde
wie Kometen hin und her.

Und als die Augen zurückweichen, wird das Land zu einem langen grünen Hügel, der wie ein großer Wal auf der Welt liegt...

…umgeben vom schwarzen Regenwasser in der Untertasse.


Fräulein Tick sah auf.

„Der kleine Mann in dem Boot war einer von den Wir-sind-die-Größten!“, sagte sie. „Einer aus dem gefürchtetsten Koboldvolk! Selbst Trolle fliehen vor den Kleinen Riesen! Und einer von ihnen hat sie gewarnt!“

„Also ist sie die Hexe?“, fragte die Stimme.

„In dem Alter?“, erwiderte Fräulein Tick. „Unmöglich! Niemand hat sie unterrichtet! Es gibt keine Hexen auf der Kreide! Sie ist zu weich. Und doch… sie hatte keine Angst…“

Der Regen hatte aufgehört. Fräulein Tick blickte zu der Kreide, die sich unter den niedrig hängenden, ausgewrungenen Wolken erhob. Die Entfernung betrug etwa fünf Meilen.

„Dieses Kind müssen wir im Auge behalten“, sagte sie.

„Aber Kreide ist zu weich, als dass eine Hexe darauf wachsen kann…“


Nur die Berge waren höher als die Kreide. Steil, violett und grau ragten sie auf, und selbst im Sommer zogen sich lange Schneefahnen über die Gipfel. „Bräute des Himmels“ hatte Oma Weh sie einmal genannt. Es geschah so selten, dass sie etwas sagte, noch dazu etwas, das nicht mit Schafen
in Zusammenhang stand, dass Tiffany es sich gemerkt hatte. Außerdem stimmte es genau. So sahen die Berge im Winter aus, wenn sie ganz weiß waren und sich die Schneefahnen wie Schleier bewegten.

Oma hatte alte Worte und alte Redensarten benutzt, nicht vom Kreideland gesprochen, sondern vom „Flachen“. Der kalte Wind im Flachen, da gibt es nichts zu lachen, hatte Tiffany gedacht, und auf diese Weise hatte das Wort einen Platz in ihrem Gedächtnis gefunden.

Sie erreichte die Farm.

Die Leute neigten dazu, Tiffany in Ruhe zu lassen. Das hatte nichts Grausames oder Unangenehmes an sich; die Farm war groß, und alle mussten sich um ihre Arbeit kümmern, und Tiffany erledigte ihre sehr gut, wodurch sie in gewisser Weise unsichtbar wurde. Sie war Milchmädchen, und zwar ein gutes. Sie machte bessere Butter als ihre Mutter und wurde oft für ihren Käse gelobt. Es war ein Talent. Manchmal, wenn reisende Lehrer zum Dorf kamen, ging sie zu ihnen, um sich ein wenig Bildung zu holen. Aber meistens arbeitete sie in der Molkerei, wo es dunkel und kalt war. Es gefiel ihr. Es bedeutete, dass sie etwas für die Farm tat.

Sie hieß Heimfarm. Tiffanys Vater hatte sie vom Baron gepachtet, dem das Land gehörte, aber die Wehs betrieben hier schon seit Jahrhunderten Landwirtschaft, und manchmal, nach einem Bier am Abend, meinte ihr Vater, das Land wüsste, dass es den Wehs gehörte. Tiffanys Mutter meinte
bei solchen Gelegenheiten, dass er so etwas nicht sagen sollte, obgleich der Baron seit Omas Tod vor zwei Jahren immer sehr respektvoll zu Herrn Weh war und ihn den besten Schäfer in diesem Hügelland nannte, und die Bewohner des Dorfes fanden, dass es in letzter Zeit kaum etwas an ihm auszusetzen gebe. Es zahlte sich aus, respektvoll zu sein, meinte Tiffanys Mutter, und der arme Mann hatte eigene Sorgen.

Doch gelegentlich bestand ihr Vater darauf, dass die Wehs (oder Wes, Vehs, Wehrs – die genaue Schreibweise war nicht festgelegt) seit vielen hundert Jahren in alten Dokumenten über diese Region erwähnt wurden. Sie hatten die Hügel in den Knochen, betonte er, und sie waren
immer Schäfer gewesen. Tiffany fühlte sich deshalb stolz, auf eine seltsame Art und Weise, denn es wäre auch schön gewesen, darauf stolz
zu sein, dass ihre Vorfahren ein wenig herumgekommen waren und gelegentlich Neues ausprobiert hatten. Aber man musste auf irgendetwas stolz sein. Und so lange sich Tiffany zurückerinnern konnte, hatte ihr Vater – ein ansonsten ruhiger, schwerfälliger Mann – den Witz gemacht, der vermutlich seit Jahrhunderten von einer Weh-Generation an die nächste weitergegeben wurde.

Er sagte zum Beispiel „Wieder ein harter Arbeitstag, o weh“, oder „Morgens Weh und abends Weh“, oder gar „Heute tut mir alles weh“. Wenn man so etwas zum dritten Mal hörte, klang es nicht mehr besonders komisch, aber Tiffany hätte den Witz vermisst, wenn sie die entsprechenden
Worte von ihrem Vater eine Woche nicht gehört hätte. Es waren Vater-Witze; sie mussten nicht komisch sein. Und wie auch immer Tiffanys Vorfahren ihren Familiennamen geschrieben hatten: Sie waren geblieben und nicht fortgezogen, trotz aller… Wehwehchen.

In der Küche traf Tiffany niemanden an. Vermutlich war ihre Mutter zu den Schurpferchen gegangen, um den Männern, die in dieser Woche die Schafe schoren, das Mittagessen zu bringen. Tiffanys Schwestern Hannah und Fastidia waren ebenfalls dort, rollten Vliese und beobachteten
einige der jüngeren Männer. Während der Schur waren sie immer besonders fleißig.

Neben dem großen schwarzen Herd stand das Regal, das Tiffanys Mutter noch immer „Omas Bibliothek“ nannte – sie fand Gefallen an der Vorstellung, eine Bibliothek zu besitzen. Alle anderen nannten es „Omas Regal“. 

Es war ein kleines Regal, und die Bücher standen eingezwängt zwischen einem Glas mit Ingwer und der Porzellanschäferin, die Tiffany im Alter von sechs Jahren auf dem Jahrmarkt gewonnen hatte.

Es waren nur fünf Bücher, ohne das große Farmtagebuch, das Tiffanys Ansicht nach nicht als richtiges Buch zählte, weil man es selbst schreiben musste. Dort stand das Wörterbuch und daneben der Almanach, der jedes Jahr gewechselt wurde. Dann folgte Schafskrankheiten, ein Buch mit zahlreichen Lesezeichen, die von Tiffanys Oma stammten. Oma Weh war eine Schafexpertin gewesen, obwohl sie die Tiere „nur Bündel aus Knochen, Augen und Zähnen, die nach neuen Möglichkeiten des Sterbens suchen“ genannt hatte. Andere Schäfer gingen meilenweit, um sie zu holen,
damit sie ihre kranken Schafe behandelte. Sie behaupteten, Oma Weh hätte eine spezielle Gabe. Sie selbst meinte, die beste Medizin für Schafe oder Männer bestünde aus einer Dosis Terpentin, einem deftigen Schimpfwort und einem Tritt. Kleine Zettel mit Omas Rezepten für Schafheilmittel
ragten überall aus dem Buch. Die meisten von ihnen beinhalteten Terpentin, einige auch Schimpfwörter.

Neben dem Schafbuch stand ein schmaler Band mit dem Titel Blumen der Kreide. Die Wiesen des Kreidelands waren voller kleiner Blumen, unter ihnen Schlüssel- und Glockenblumen, die das Grasen der Schafe irgendwie überstanden. Die Blumen der Kreide mussten zäh und schlau sein, um die Schafe und die Schneestürme im Winter zu überleben.

Jemand hatte vor langer Zeit die Bilder der Blumen koloriert. Auf dem Deckblatt des Buches stand mit sauberer Handschrift „Sarah Grizzel“ geschrieben – das war Omas Name vor ihrer Heirat gewesen. Vielleicht hatte sie „Weh“ für besser gehalten als „Grizzel“.

Und schließlich war da noch Mährchen für liebe Kinder, ein sehr altes Buch, das vermutlich aus den Anfängen der Rechtschreibung stammte.

Tiffany trat auf einen Stuhl, nahm es vom Regal und blätterte, bis sie fand, was sie suchte. Eine Zeit lang blickte sie darauf hinab. Dann stellte sie das Buch zurück, trug den Stuhl zum Tisch und öffnete den Geschirrschrank. Sie nahm einen Suppenteller, ging zu einer Kommode und holte das Maßband hervor, das ihre Mutter beim Schneidern benutzte. Damit maß sie den Teller aus.

„Hmm“, sagte sie. „Acht Zoll. Warum haben sie es nicht einfach gesagt?“

Tiffany löste die größte Pfanne vom Haken, das Exemplar, mit dem man das Frühstück für sechs Personen braten konnte. Dann nahm sie Süßigkeiten aus dem Glas auf der Anrichte und füllte sie in eine alte Papiertüte. Anschließend, zu Willwolls mürrischer Verwunderung, griff sie nach der
klebrigen Hand des Jungen und kehrte mit ihm zum Fluss zurück.

Dort wirkte noch immer alles völlig normal, aber davon ließ sie sich nicht täuschen. Alle Forellen waren geflohen, und die Vögel sangen nicht.

Sie fand eine Stelle am Ufer mit einem Busch in der richtigen Größe. Dort klopfte sie dicht am Wasser ein Stück Holz so fest wie möglich in den Boden und band die Tüte daran fest.

„Süßigkeiten, Willwoll!“, rief sie.

Tiffany schloss die Hand fest um den Griff der Pfanne und trat hinter den Busch. Willwoll wackelte zu dem Pflock und wollte die Tüte hochheben, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

„Ich will zur Toh-lett!“, rief er, denn diese Drohung funktionierte normalerweise. Seine dicken Finger zerrten an den Knoten.

Tiffany beobachtete aufmerksam das Wasser. Wurde es dunkler und grüner? Gab es dort Algen? Stammten die aufsteigenden Luftblasen von einer lachenden Forelle?
Nein.

Sie stürmte aus ihrem Versteck und holte dabei mit der Bratpfanne aus. Das heulende Ungeheuer kam gerade aus dem Wasser und begegnete dabei der Pfanne – es schepperte laut.

Es war ein gutes Scheppern, mit einem sehr eindrucksvollen Oijoijoioioioioioinnnnngggggg.

Das Wesen hing dort für einen Moment, während einige Zähne und grüne Algenfransen ins Wasser fielen. Dann rutschte es langsam zurück und versank inmitten einiger großer Luftblasen.

Das Wasser wurde klar und wieder zum alten Fluss, seicht, eiskalt und mit vielen Kieselsteinen auf dem Grund.

„Will will Süßes!“, schrie Willwoll, der angesichts von Süßigkeiten nie etwas anderes bemerkte. Tiffany band die Tüte los und gab sie ihm. Er stopfte die Leckereien viel zu schnell in sich hinein, wie immer. Sie wartete, bis ihm schlecht wurde und er sich übergab, und kehrte dann nachdenklich heim.

Im Schilf, ziemlich tief unten, flüsterten Stimmen.

„Himmel, Bobby, hasse das gesehen?“

„Ja. Wir sollten besser los und dem Großen Mann sagen, dass wir die Hexe gefunden haben.“

Terry Pratchett

Über Terry Pratchett

Biografie

Terry Pratchett, geboren 1948 in Beaconsfield, England, erfand in den Achtzigerjahren eine ungemein flache Welt, die auf dem Rücken von vier Elefanten und einer Riesenschildkröte ruht, und hatte damit einen schier unglaublichen Erfolg: Ein Prozent aller in Großbritannien verkauften Bücher sind...

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