Krieg der Sänger - eBook-Ausgabe
Roman
„Ein Buch voller Erzählfreude, aber kein traditioneller historischer Roman. Dafür ist Löhr zu spannend, witzig und drastisch. Schöner besser und leichter geht es nicht.“ - Berliner Morgenpost
Krieg der Sänger — Inhalt
Auf der Wartburg versammeln sich an den Weihnachtstagen 1206 die sechs bedeutendsten Dichter deutscher Zunge. Was als friedlicher Sängergipfel in Zeiten des Bürgerkriegs geplant war, artet aus in gegenseitige Provokationen und Streitereien – und endet mit dem Vorhaben, einen Wettstreit auf Leben und Tod durchzuführen: Wolfram von Eschenbachs Parzival gegen das Nibelungenlied Heinrichs von Ofterdingen und die Minnelieder Walthers von der Vogelweide. Aber es ist ein Spiel mit gezinkten Karten: Absprachen werden getroffen, Intrigen geschmiedet, Menschen verschwinden auf unerklärliche Weise von der verschneiten Burg. Ausgerechnet der jüngste und unbegabteste der Sänger nimmt es auf sich, Licht ins Dunkel zu bringen. Denn auch er muss entscheiden, auf wessen Seite er sich schlägt in diesem Krieg der Sänger.
Leseprobe zu „Krieg der Sänger“
Dies Buch gehört der Wartburg.
NARRATIONIS PERSONAE
Walther von der Vogelweide
Bertolt, sein Singerknabe
Wolfram von Eschenbach
Friedrich, sein Knappe
Johann, sein Singerknabe
Reinmar von Hagenau
Klara, seine Führerin
Heinrich von Weißensee
Dietrich, sein Adlatus
Heinrich von Ofterdingen
Rupert, sein Knappe
Konrad, sein Singerknabe
Biterolf von Stillaha
Landgraf Hermann von Thüringen
Sophia von Thüringen
Irmgard,
Hermann,
Ludwig und
Heinrich Raspe, ihre Kinder
Gerhard Atze
Walther von Vargula
Egenolf von Bendeleben
Franz von Eckartsberga
Reinhard von Mühlberg
Ec [...]
Dies Buch gehört der Wartburg.
NARRATIONIS PERSONAE
Walther von der Vogelweide
Bertolt, sein Singerknabe
Wolfram von Eschenbach
Friedrich, sein Knappe
Johann, sein Singerknabe
Reinmar von Hagenau
Klara, seine Führerin
Heinrich von Weißensee
Dietrich, sein Adlatus
Heinrich von Ofterdingen
Rupert, sein Knappe
Konrad, sein Singerknabe
Biterolf von Stillaha
Landgraf Hermann von Thüringen
Sophia von Thüringen
Irmgard,
Hermann,
Ludwig und
Heinrich Raspe, ihre Kinder
Gerhard Atze
Walther von Vargula
Egenolf von Bendeleben
Franz von Eckartsberga
Reinhard von Mühlberg
Eckart von Wartburg
Günther von Schlotheim, thüringische Ritter
Rüdiger, Fleischhauer
Agnes, Amme
Rumolt und Gregor, Knechte
Meister Stempfel, Henker aus Eisenach
PROLOG
Martin Luther hatte kaum mit der Übersetzung des Matthäus-Evangeliums begonnen, da erschien ihm der Teufel. Er entsprach in allen Belangen dem Bild, das sich Luther von ihm gemacht hatte. Für Luther war der unerwünschte Besuch zwar ein Schreck, aber keine vollkommene Überraschung, hatte sich die Anwesenheit des Teufels doch schon zuvor offenbart: durch gespenstisches Gepolter auf den Treppen vor Luthers Stube, durch einen Schwarm Schmeißfliegen, der ihn von seiner Arbeit abzulenken suchte, und durch die Haselnüsse, die eines Nachts in ihrem Sack rasselten und hüpften, als wären sie lebendig.
Während ihn der Teufel höflich, ja beinahe freundlich und bei seinem Namen nannte und grüßte, erwog Luther, nach Hilfe zu rufen. Aber der Winterwind pfiff so laut um die Wartburg, dass ihn vermutlich niemand gehört hätte, und selbst wenn: Es war die Thomasnacht, die längste, finsterste Nacht des Jahres, die man tunlichst in seinen eigenen vier Wänden verbrachte, weil die Vorhölle offen steht und die Leichen sich aus ihren Gräbern befreien. Es hätte also eh niemand seine Kammer verlassen, um Luther zu helfen. Und fliehen konnte er nicht, denn zwischen ihm und der einzigen Tür nach draußen stand er, der Teufel.
Also griff Luther kurzerhand nach dem Tintenfass, das vor ihm auf dem Tisch zwischen der griechischen und der lateinischen Bibel stand, und schleuderte es gegen den Leibhaftigen, als dieser in den Raum trat. Der Teufel duckte sich unter dem Geschoss weg. Das Fass zerschellte an der gegenüberliegenden Wand neben dem Ofen. Nachdem sie beide für einen Augenblick den so entstandenen Fleck auf der kalkweißen Wand betrachtet hatten, eine Spinne mit tausend Beinen, drehte sich der Teufel kopfschüttelnd zu Luther um und sagte: „Was für ein hässliches Willkommen.“
„Weg mit dir, Satan!“, rief Luther, indem er das Zeichen des Kreuzes schlug. „Ich bete Gott an, und ihm allein diene ich!“
„Dem sei, wie ihm wolle“, erwiderte der Schwarze, „aber ich habe dir bislang nichts getan, als dich freundlich zu grüßen, weshalb ich nicht verstehe, warum du mit Tinte nach mir wirfst.“
„Um dich zu vertreiben, du Sohn der Verdammnis!“
„Ich verstehe. Und dafür, meinst du, genügt ein einfaches Tintenfass?“
Während Luther nach einer Antwort suchte, schritt sein Gast durch die kleine Stube, die nunmehr seit einem halben Jahr Luthers Bleibe war in seinem Asyl auf der Wartburg; er betrachtete Luthers Bettnische, seinen wenigen Hausrat und die Flöte, die von einem Nagel an der Wand hing; schaute durch eines der beiden Fenster in die tintenschwarze Nacht; tat, als ob er sich die Hände an den Kacheln des Ofens wärmte und blieb schließlich hinter dem Tisch stehen, auf dem zahlreiche dicht beschriebene Papiere lagen, dazu Vulgata und griechisches Neues Testament, zwei Kerzen, einige Federkiele und ehemals ein Tintenfass. Er nahm ein Blatt auf und las die Passage, die Luther zuletzt geschrieben hatte.
„Schau an, schau an: Jesus in der Wüste“, sagte er. „Das hast du schön geschrieben. Kraftvoll und prägnant.“
Schon wollte sich Luther für das Lob bedanken, da besann er sich eines Besseren und fragte: „Was willst du von mir?“
„Ich weiß um deine Sorgen, Luther. Deshalb bin ich hier, um dir einen Rat zu geben, der dich ihrer entledigt: Brich dein Werk ab. Strecke die Feder; mach deiner Rebellion ein Ende. Leg dich nicht länger mit aller Welt an, um alle Welt zu verändern. Füge dich dem Willen von Papst und Kaiser, und führe das glückliche Mönchsleben weiter, das du einst hattest. Da du meine Fingerzeige mit den Fliegen und den Nüssen offensichtlich nicht begriffen hast, musste ich in eigener Person kommen.“
„Mich fügen?“, erwiderte Luther. „Das könnte dir wohl passen, du Schlange! Wenn der Teufel meine Lehren angreift und verwirft, weiß ich doch umso mehr, dass ich auf dem richtigen Wege bin!“
„Ich verwerfe deine Lehren nicht, ganz im Gegenteil“, entgegnete der Teufel. „Es ist nur leider so, dass die Anhänger der neuen und der alten Lehre sich nicht einigen werden. Mit deinen Schriften sprengst du die deutsche Nation.“
„Wenn das Wort Gottes die deutsche Nation sprengt, dann war das Gefäß auch nichts wert.“
„Das sagst du so leichthin. Und wenn hundert Jahre nach dir in diesem Konflikt, dessen Ursache du warst, von deinen lieben Deutschen jeder Dritte gestorben sein wird?“
„Unfug! Wie sollte so etwas Ungeheuerliches geschehen?“
„Ganz einfach: Die Anhänger der alten und der neuen Lehre greifen zu den Waffen, wenn die Worte versagen.“
„Du lügst! Du bist der Gott der Lügen.“
„Ich bin nichts dergleichen!“, erwiderte der Teufel lachend. „Glaub mir: Ich kann gar nicht lügen. Gott hat mich so geschaffen. Habe ich Jesus jemals belogen? Das habe ich nicht; du kannst es nachlesen. Schon Eva habe ich nichts als die Wahrheit gesagt, als sie unter dem Baum der Erkenntnis stand. Denn es tut gar nicht not zu lügen: Von der Wahrheit lassen sich die Menschen viel leichter überzeugen. Du solltest das am besten wissen. – Also brich dein Werk ab, und wirf, was du bis jetzt geschrieben hast, ins Feuer. Du hast kaum den ersten Evangelisten begonnen; noch hast du kaum Zeit verloren, und deine Tinte ist eh hin – begrabe also einfach dein prometheisches Vorhaben, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen.“
„Das werde ich nicht tun. Hier wurde es begonnen, hier wird es vollendet. Dieses Buch verdient, in allen Sprachen, Händen, Augen, Ohren und Herzen zu sein. Und es wird die Deutschen nicht trennen, wie du sagst, es wird sie vielmehr ein für alle Mal vereinen: eine Bibel, eine Sprache, ein Volk. Der Wartburg war seit alters vorherbestimmt, Wiege einer deutschen Sprache zu sein. Ich führe zu Ende, was andere angefangen.“
„Wovon redest du?“
„Vor mehr als drei Jahrhunderten, zur Zeit der Staufer, als Deutschland zerrissen war vom Krieg um den Thron, haben sich aus allen Ecken des Reiches die bedeutendsten Dichter hier in Thüringen unter der Ägide eines kultivierten Herrschers versammelt, um gemeinsam eine einheitliche Sprache zu erschaffen, die alle Dialekte überwindet.“
Statt einer Antwort schmunzelte der Teufel stumm in sich hinein.
„Was ist daran so komisch?“, fragte Luther grimmig.
„Du redest vom Sängerkrieg.“
„Ein Krieg? Nein, ich rede von einem Gipfel der Sänger.“
„Es war ein Krieg. Ein Hauen und Stechen. Von Einheit keine Spur. Morde aus niedrigen Motiven. Menschliche Abgründe. Du würdest verzweifeln. Aber wenn das dein Vorbild ist, trittst du in der Tat in die blutigen Fußstapfen einer Tradition. Allerdings wird dein Beitrag deutlich mehr Opfer fordern als damals der Sängerkrieg.“
„Das ist nicht wahr!“ „Ungläubiger Thomas! In der Kapelle nebenan wurde damals, um dir nur ein Beispiel zu nennen, ein Unschuldiger im Taufbecken ersäuft – und das obendrein in der Heiligen Nacht!“
„Kein Christ würde etwas derart Unmenschliches tun.“
„Unmenschlich? Der Mensch ist böse, Luther. Sicherlich braucht es manchmal eine kleine Verführung … aber das Übel selbst begeht er ganz ohne meine Hilfe.“
Luther schüttelte fortwährend den Kopf. „Ich glaube es noch immer nicht. Was sollte damals geschehen sein?“
„Ich bin nicht hier, um dir Geschichtchen zu erzählen“, sagte der Teufel und wies auf Luthers Pult. „Deswegen bin ich hier.“
Luther betrachtete für einen Moment Federn, Papier und Bibeln; die Worte Matthäus’ in der Sprache der Griechen, der Römer und seiner eigenen. „Ich will, wie du verlangst, mein angefangenes Werk im Ofen verbrennen“, sagte er zögerlich, „wenn deine Erzählung vom Treffen der Sänger mich tatsächlich von der Bosheit des Menschen und der Nichtigkeit meines Tuns überzeugt. An der ich, wie du sagst, verzweifle.“
„Du forderst allen Ernstes den Teufel heraus?“
„Ich bin stark genug.“
„Mutig genug bist du. Ob du stark genug bist, werden wir sehen.“
Jeder nahm sich nun einen Stuhl und schob ihn, mit Fellen und Decken behangen, an den Ofen. Der Teufel, nachdem er es sich auf seinem Sitz behaglich gemacht hatte, schien sich nun doch mit dem Gedanken angefreundet zu haben, dass man die Thomasnacht wie so viele andere im Land wachend mit einer langen Erzählung vor dem Feuer verbrachte. Auf seine Bitte holte Luther das Säckchen mit den Haselnüssen hervor, um währenddessen von ihnen zu naschen.
„Unsere Geschichte beginnt auf den Tag genau im Jahr 1206“, hob der Teufel an, „am Vorabend der Thomasnacht, natürlich, der ersten der sagenumwobenen Zwölf Nächte, jener düsteren Zeit, in der das alte Jahr schon geendet, das neue aber noch nicht begonnen hat.“
„Ja, ja, genug der Einstimmung. Fang an.“
„Geduld. Vorneweg noch ein Prolog, in dem ich dir die Hauptfiguren des Sängerkrieges vorstelle.“
Der Teufel schlug das Fell über seinem Schoß zur Seite und erhob sich noch einmal von seinem Stuhl. Neben der Wand zur Linken ging er in die Knie, bog ein Paneel der Holzvertäfelung, die rings die Stube umschloss, zur Seite und führte seine Hand in ein Loch im Mauerwerk dahinter. Als er sie wieder hervorzog, hielt er ein schwarzes Bündel umfasst. Erst als er damit ans Licht der Kerzen trat, erkannte Luther, dass es Ratten waren – tote, längst vertrocknete Ratten, sechs im Ganzen –, die an ihren Schwänzen fest zusammengeklebt waren. Von einem klumpigen Knoten in der Mitte gingen die sechs Leiber ab wie die Spitzen einer Schneeflocke. Nun hielt der Teufel die flache Hand ausgestreckt, dass der Knoten auf seiner Handfläche lag und die Tiere zwischen den Fingern baumelten gleich Quasten von einem Kardinalshut. Bis auf einige wenige Flecken Fell waren sie nackt, die schwarze Haut straff über die Knochen gespannt. In ihren Köpfen gähnten die leeren Augenbecher. Die Zähne hatten sie zu einem gelbweißen Grinsen gebleckt.
„Lieber Herr Christ!“, rief Luther, der vor dem Anblick der Kadaver zurückgeschreckt war und die Augen dennoch nicht abwenden konnte. „Was hat das mit den Sängern zu tun?“
„Gar nichts. Aber es macht meine Erzählung lebhafter und bunter, wenn du erlaubst. Sieh sie dir an: Diese sechs unzertrennbaren Ratten seien stellvertretend für die sechs Teilnehmer des legendären Sängerstreits.“ Indem er nacheinander auf drei Tiere zeigte, sagte er: „Von diesen drei unsterblichen Meistern des Minnesangs wirst du schon gehört haben: Reinmar der Alte, Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach. Hier haben wir Heinrich von Weißensee, der vornehmlich der Kanzler des Thüringer Landgrafen war und erst in zweiter Linie ein Dichter. Und dies sei der großartige Heinrich von Ofterdingen. Aber widmen wir uns zunächst diesem kleinen Kerlchen, das heute niemand mehr kennt.“ Mit der freien Hand hob er die letzte, kleinste Ratte an, dass das Flackerlicht auf ihrer schwarzen Haut tanzte, und lächelnd sagte er: „Biterolf von Stillaha.“
Erstes Buch
SÄNGERSTREIT
21. DEZEMBER
SANKT THOMAS
Möglichst edel wollte er aussehen, wenn er über die Zugbrücke in den Hof einritt; möglichst ritterlich, wenngleich er kein Ritter war, und möglichst sängerlich: Deshalb trug er das Schwert an seiner Seite und die Fiedel auf seinem Rücken, obwohl es bequemer gewesen wäre, beides am Sattel seines Pferdes zu befestigen, welches er sich im Übrigen, aber das würde niemand erfahren, nur ausgeliehen hatte. Die Nacht hatte er in Ruhla verbracht. Am Morgen hatte er sich mit dem Aufbruch ausdrücklich Zeit gelassen, denn er wollte auf keinen Fall in die Verlegenheit kommen, der erste Ankömmling am Hof des Landgrafen zu sein und dazustehen wie der übereifrige Novize beim Gottesdienst. Statt der Reisekleider trug er heute sein bestes Hemd und seine beste Hose, darüber den Mantel, der von der Zikadenspange gehalten wurde. Ihn fror.
In den Lücken zwischen den Tannen tauchte bisweilen die Wartburg auf. Sobald sie wieder vom Wald verborgen wurde, heftete Biterolf seinen Blick auf den matschigen Weg vor ihm, der bedeckt war von den Abdrücken der Hufe etlicher Pferde. Er stellte sich vor, diese Rosse hätten nicht irgendjemanden getragen, sondern Walther von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach, und er, Biterolf von Stillaha, reite gleichsam in ihren Spuren zum größten Triumph seines Lebens. Und sei es auf einem geborgten Ackergaul.
An einem Weiher am Fuß der Burg traf er auf ihre ersten Bewohner, drei Männer, die ihre Reusen aus dem grauen Wasser zogen. Als sie Biterolf sahen, grüßten sie ihn mit einer so gelungenen Mischung aus Fröhlichkeit und Hochachtung, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Huldvoll nickte er ihnen zu, setzte seinen Weg fort und genoss ihr munteres Geflüster hinter seinem Rücken. Er trieb sein Pferd das letzte steile Wegstück hoch zur Burg und dann über die Zugbrücke. Über dem Tor hing ein Helm mit geöffnetem Visier. Im Torhaus setzte sich der freundliche Empfang fort. Augenblicklich fand er sich von mehreren Wachen umringt, die ihn grüßten, ihm vom Pferd halfen, ihm zu trinken anboten. Einer von ihnen wies ihm den Weg zu den Ställen.
Noch während er seinen Gaul an den Zügeln über den Hof führte, stellten sich zwei Männer Biterolf in den Weg; der eine ein schlanker Kerl, nur wenig jünger als er selbst, der andere wesentlich älter und dicker, in eine schlichte Robe mit Pelzkragen gekleidet, mit einem schwarzen Bart um das Kinn und einem Haarkranz um den Hinterkopf. Er ergriff Biterolfs Arm mit beiden Händen.
„Salve hospes“, sprach er, „Ihr müsst Herr Biterolf sein! Im Namen des Landgrafen willkommen auf der Wartburg! Ich bin Heinrich von Weißensee, sein Kanzler, doch jedermann nennt mich hier nach meiner maßgeblichen Tätigkeit schlicht den Schreiber – sei es als Notar oder als Dichter, sine intermissione scribo –, und solltet Ihr je eines meiner dichterischen Werke gehört oder gelesen haben und für gut befunden, dann fügt getrost das Attribut der Tugendhafte hinzu.“ An den Knaben an seiner Seite gerichtet, sagte er: „Dies ist Biterolf aus Stillaha, der mit einem tadellosen Gedicht über Alexander den Großen auf sich aufmerksam gemacht hat und der zweifellos zu einem der ersten Sänger Thüringens aufsteigen wird.“
„Ihr kennt meine Lieder?“
„Wärst du noch hier, und Winter kalt“, sang der Schreiber lächelnd. „Was glaubt Ihr denn, wem Ihr die Einladung zu verdanken habt? Lasst uns beizeiten mehr über Euer Alexanderlied sprechen. Auch wir haben eine Abschrift davon hier, in der Bibliothek des Landgrafen, zu der ich Euch auf Euer Begehr übrigens jederzeit Einlass verschaffe; eine wahre Schatzkammer, die zu den umfangreichsten des Reiches gehört und Beweis ist für die Belesenheit und den Kunstverstand unseres Landesherrn. Solltet Ihr irgendwelche Fragen, Wünsche, Beschwerden haben, bin ich Euer Ohr dafür beziehungsweise mein braver Adlatus Dietrich hier, in dessen Obhut ich Euch jetzt übergebe.“
Der Schreiber entfernte sich, drehte sich aber nach vier Schritten noch einmal um. „Ich vergaß vollkommen zu fragen, ob Ihr eine angenehme Reise hattet? Von allen Geladenen hattet Ihr, schätzt Euch glücklich, den kürzesten Weg. Wie lange braucht man in die Henneberger Grafschaft, nach Schmalkalden und ins Stilletal? Zwei Tage?“
„Werden die Tage wieder länger, reicht auch einer.“
„Seid Ihr unterwegs Wölfen begegnet?“
„Wölfen? Nein.“
„Nicht ein einziges Mal ihr Geheul vernommen?“
„Nein.“
„Oh, aber sie sind da draußen. Und verschmähen im Winter keinen noch so kleinen Bissen: Lupus non curat numerum! Aber vermutlich haben sie die Fiedel auf Eurem Rücken gesehen und Euch verschont, weil Ihr ein Spielmann seid. – Wenigstens wäre eine Begegnung mit Wölfen dieser Tage das kleinere Übel.“
Schmunzelnd setzte der Schreiber seinen Weg fort. Die beiden anderen folgten ihm langsam nach, über den Graben und durch das Tor zur Hauptburg.
„Hattest du noch eine Frage?“, fragte Dietrich und strich dem Pferd über die Ohren.
Biterolf nickte. „Was denn das große Übel ist.“
„Er meinte die Wilde Jagd“, antwortete der Adlatus mit gesenkter Stimme, „der Zug der unzeitig und unselig Verstorbenen. Gemeuchelte. Durch Meineid an den Galgen Gebrachte. Im Moor Ertrunkene. Ungetaufte Kinder. Dazu Pferde und Hunde, mitunter Wolfsmenschen, die mit einem fürchterlichen Ächzen und Heulen durch die Nacht ziehen. In dieser Gegend ist man diesbezüglich besonders wachsam, musst du wissen: Die Anführerin des Wilden Heeres, die Frau Hulde, wohnt drüben in den Hörselbergen, knapp drei Stunden von hier. Jeden Abend beginnt und jeden Morgen endet dort die Prozession der wilden Geister. Zieht sie westwärts, liegt die Wartburg genau auf ihrer Bahn.“
„Glaubst du daran?“
„Beinahe jeder auf dieser Burg tut es. Was meinst du, wie sich das Gesinde in den letzten Wochen eingedeckt hat mit Kerzen, Wacholder und Weihwasser? Kaum eine Kammer, die nicht vorsorglich ausgeräuchert und mit Weihwasser besprengt wurde, kaum eine Tür, in die nicht Zapfen aus Ahorn eingeschlagen wurden, um die Dämonen fernzuhalten. Und sobald es dunkel wird, traut sich niemand mehr nach draußen, schon gar nicht ohne Begleitung – du hättest den Burghof gestern Nacht sehen sollen: wie ausgestorben! –, um keinesfalls der Hulden und ihren armen Seelen zu begegnen. Denn wer ihr begegnet, der ist verdammt, sich bis in alle Ewigkeit dem Geisterheer anzuschließen. Es sei denn, er findet Gnade. Dann begnügt sich die Zauberin damit, ihm das Augenlicht auszublasen. Wie zwei Kerzenflammen.“ Dietrich streckte Zeige- und Mittelfinger aus und blies über die Kuppen. „Aber sprich bloß niemanden darauf an. Man redet nicht gerne darüber – aus Angst, sie zu rufen.“
„Ich verstehe. Aber glaubst du denn daran?“
„Ich sollte. Wer nicht an die Wilde Jagd glaubt, den holt sie zuerst.“
„Also glaubst du daran?“
„Natürlich nicht“, antwortete Dietrich und lachte. „Kinderschreck und Ammenmärchen! Ich bin froh, wenn Neujahr ist und der Stopfen wieder auf die verdammte Flasche kommt, aus der das Weib und ihre untote Horde entweichen. Alle sollen sich wieder verhalten wie gewöhnlich. Ich hasse den Geruch von Wacholder, und ich habe es satt, nachts über Mustöpfe und süßes Gebäck zu stolpern, die man auf die Schwellen gelegt hat, um die Schattengestalten milde zu stimmen. Gott segne den Landgrafen, dass er euch Sänger eingeladen hat, um uns von diesem Geisterglauben abzulenken!“
Sie hatten nun die Hauptburg erreicht, die beherrscht wurde vom Bergfried zur Linken und dem Palas, dem mächtigen Saalbau des Landgrafen. Die Front dieses prachtvollen Schreins war durchsetzt von Arkadenreihen auf jedem der drei Stockwerke, die dem Bau selbst hier, auf dem Gipfel eines deutschen Gebirges im Winter, ein italienisches Ansehen gaben. An der Burgmauer zur rechten Hand lag direkt neben der Kapelle der Stall.
„Komm“, sagte Dietrich, als er Biterolf dorthin führte, „wenn wir uns beeilen, treffen wir Wolfram und Walther noch bei den Pferden an. Ich möchte derjenige sein, der euch einander vorstellt.“
„Wolfram und …“
„Ist es nicht unglaublich?“, rief Dietrich aus. „Was für ein Aufzug! Sie sind gemeinsam angereist samt ihren Burschen, keine halbe Stunde vor dir. Hast du auf dem Weg nicht die Spuren ihrer Pferde gesehen?“
„Tragikomisch, düster, drastisch und sehr unterhaltsam.“
„Ein Buch, das sich durch seinen Witz und seine Hintergründigkeit wohltuend vom Gros historischer Romane abhebt. Mit leichter Hand und ohne allzu sklavische Werktreue gestaltet Löhr eine spannende Abenteuergeschichte.“
„Krieg der Sänger ist hervorragend recherchiert, die Einfühlsamkeit in die Zeit 1200 so goß, dass der Leser nicht nur Verständnis für das Denken und Handeln der Menschen jener Zeit gewinnt, sondern sie tatsächlich in ihrem Tun versteht. Eine wunderbare Lektüre.“
„Robert Löhr, der auch Drehbücher und Theaterstücke schreibt, schildert das spannend, mit ausgeprägtem Sinn für Humor und erzählt nebenbei viel Wissenswertes über den mittelalterlichen Minnesang. Und auch darüber, dass gutes Marketing schon im Jahr 1206 wichtig war, um bekannt zu werden.“
„Robert Löhr erzählt deutsche Literaturgeschichte als großes Kino.“
„Die Leser seien gewarnt: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, kommt so schnell nicht wieder davon los!“
„Ein Buch voller Erzählfreude, aber kein traditioneller historischer Roman. Dafür ist Löhr zu spannend, witzig und drastisch. Schöner besser und leichter geht es nicht.“
„Löhr gelingt ein Spagat zwischen Authentizität, historischem Wissen und literarischem Anspruch sowie fesselnder Unterhaltung.“
„Gekonnt zubereitetes Lesefutter, spannend in der Handlung, flott und anschaulich geschrieben.“
„Großmeister der fröhlich literarischen Geschichtsklitterung.“
„Brillant.“
„Robert Löhr (…) nähert sich dem Thema mit großer dichterischer Freiheit und einer unbändigen Lust am Fabulieren. Sein Roman, der mit Spannung und dichter Atmosphäre überzeugt, ist anspruchsvolle Unterhaltung im besten Sinne.“
„Spannender neuer Lesestoff für Mittelalter-Freunde, weit weg von sonst verbreiteten Klischees.“
„So pfiffig hat sich dem deutschen Mittelalter noch niemand genähert. (…) Robert Löhr beweist, dass das in Deutschland vermeintlich Unmögliche doch möglich ist: der Tradition lustvoll auf die Sprünge zu helfen mit Humor, Spannung und Phantasie. Und mit breitem Wissen.“
„Man ist hingerissen davon, wie der Autor mit viel Sinn für Humor und Fantasie die hehre Tradition einerseits auf die Schippe nimmt, ihr eben damit aber auch auf die Sprünge hilft.“
„Meisterhaft versteht er es, Fiktion und historische Begebenheiten zu einer Einheit werden zu lassen und hat so einen sehr unterhaltsamen, kurzweiligen und sehr empfehlenswerten Roman verfasst.“
„Der Berliner Autor Robert Löhr schreibt zurzeit die vielleicht ungewöhnlichsten historischen Romane. Mit irrer Komik und großem Tempo lässt er Gestalten aus der Geschichte aufeinanderprallen.“
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