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Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4)Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4)

Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4) Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4) - eBook-Ausgabe

Volker Klüpfel
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Kluftingers vierter Fall

— Kluftinger ermittelt

„Klüpfel & Kobr erzählen mit komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität.“ - Spiegel Online

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Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4) — Inhalt

Kommissar Kluftingers vierter Fall - jetzt auch als Taschenbuch!

Terror im Allgäu! Ein packend-lustiger Fall für Kommissar Kluftinger  
Mit Terrorismus ist nicht zu spaßen. Es sei denn, Klufti muss sich damit befassen. Im vierten Band der erfolgreichen Allgäu-Krimis kommen Spannung und Humor garantiert nicht zu kurz.  

Das Leben im Allgäu kann wirklich beschaulich sein. Solange man nicht Hauptkommissar Kluftinger heißt. Dieses Mal muss er sich mit einem Unbekannten unter Terrorverdacht, einer Zusammenarbeit von BKA, österreichischer Polizei und den Ermittlern vor Ort, einem Tanzkurs und einem „Laienspiel“ herumschlagen.    

Das Autorenduo Volker Klüpfel und Michael Kobr gönnt Kommissar Kluftinger in seiner erfolgreichen  Regionalkrimireihe aus dem Allgäu nicht eine Sekunde zum Durchatmen. Und die Leser lieben es! Große Themen und rasante Fälle werden mit einer gehörigen Portion Humor serviert, die jeden Krimi-Bestseller dieser Reihe zu einem besonderen Lesevergnügen für Fans klug  konstruierter Mordgeschichten machen.  

„Klüpfel & Kobr erzählen mit komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität.“ – SPIEGEL Online  

Kommissar Kluftiger ist der Prototyp des grantelnden Polizisten, dem Neues zuwider und Aufregung suspekt ist. Umso besser! Wenn sich Klufti über Gott, die Welt und seine Allgäuer Mitbewohner echauffiert, müssen Leser laut lachen und Kritiker anerkennend nicken.  

 „Kluftinger ist ein Volltreffer!“ – Süddeutsche Zeitung  

Entdecken Sie die lustigen Bestseller, und folgen Sie Kommissar Kluftinger in mittlerweile zwölf Fällen durch menschliche Abgründe im Schatten beeindruckender Berge. So viel charmanten Witz hat ein Polizei-Krimi selten zu bieten.  

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 01.08.2009
368 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-25482-3
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.10.2010
368 Seiten
EAN 978-3-492-95081-7
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Leseprobe zu „Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4)“

Noch 12 Tage, 2 Stunden, 14 Minuten, 38 Sekunden


Kluftinger keuchte. Im Augenwinkel sah er die beiden Männer, die sich die Böschung hinunter zu dem kleinen Kahn am Ufer kämpften. Er blickte ihnen nach. Das Bild, das er sah, rief Erinnerungen in ihm wach, an die er lieber nicht rühren wollte. Das Wasser, das Boot … er kniff die Augen zusammen, ganz als könnte er so die Bilder verjagen. Als er die Augen wieder öffnete, hatten die beiden Männer den Kahn bereits vom Ufer abgestoßen. Das Hemd des einen war übersät von blutroten Flecken; in der rechten Hand [...]

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Noch 12 Tage, 2 Stunden, 14 Minuten, 38 Sekunden


Kluftinger keuchte. Im Augenwinkel sah er die beiden Männer, die sich die Böschung hinunter zu dem kleinen Kahn am Ufer kämpften. Er blickte ihnen nach. Das Bild, das er sah, rief Erinnerungen in ihm wach, an die er lieber nicht rühren wollte. Das Wasser, das Boot … er kniff die Augen zusammen, ganz als könnte er so die Bilder verjagen. Als er die Augen wieder öffnete, hatten die beiden Männer den Kahn bereits vom Ufer abgestoßen. Das Hemd des einen war übersät von blutroten Flecken; in der rechten Hand hielt er ein Beil. Von dessen Schneide tropfte es ebenfalls rot. Jetzt hatte sich der Ältere, ein bulliger Typ mit dichtem, schwarzen Bart, ins Boot gesetzt und die Ruder ergriffen. Als er sich noch einmal umdrehte, flackerte Panik in seinen Augen auf, dann ruderte er mit aller Kraft los.
„Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte“, schrie er ihnen noch hinterher, dann begann auch er zu keuchen.
Schweiß rann Kluftinger von der Stirn. Er wischte mit dem Handrücken über seine brennenden Augen. Da hörte er es hinter sich krachen und poltern. Blitzschnell drehte er sich um. Die Gestalten, die ihm gegenüberstanden, waren pechschwarz gekleidet und bis auf die Zähne bewaffnet.
„Den Mörder …“, zischte einer von ihnen, „… gebt ihn heraus.“
Dann presste er einen Fluch hervor. Er ließ seine Hand sinken, griff an seinen Gürtel und zog ein riesiges Messer. Damit fuchtelte er vor Kluftingers Gesicht herum.
Sie sahen sich eine Weile starr in die Augen, keiner sagte etwas. Nur ihr Keuchen war zu hören, bis …
„Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …“ Die Melodie platzte wie ein Kanonenschlag in die Stille.
Irritiert blickten die Männer sich um und suchten die Quelle des Geräusches.
„… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …“
Kluftingers Gesicht lief knallrot an. Er ließ seine Hand sinken, umfasste den Lederbeutel an seinem Gürtel, und die Melodie verstummte. Keine zwei Sekunden später zerriss ein spitzer Schrei die Stille: „Wer war das?“ Die durchdringende Stimme schien überall zu sein, ihr Ursprung war nicht zu lokalisieren.
„Wer? War? Das?“ Beim letzten Wort überschlug sich die Stimme und ging in ein hysterisches Kreischen über. Dann hallten Schritte durch die Abenddämmerung.
Kluftinger sah sein Gegenüber an. Der schwarz gekleidete Mann zuckte mit den Schultern und steckte sein Messer weg. Sie wussten beide nur zu gut, was nun folgen würde.
„Was glaubt ihr eigentlich, wo wir hier sind?“, schrie der spindeldürre Mann, der mit wehenden Haaren auf sie zu rannte. Obwohl er noch gut fünfzig Meter von ihnen entfernt war, war seine Stimme ganz nah und dröhnte in ihren Ohren, verstärkt durch den Hall, den die riesigen Lautsprecher rechts und links von ihnen erzeugten. Dann hatte er sie erreicht.
„Ich will jetzt sofort wissen, wer das war“, brüllte er noch einmal in sein Mikrofon.
Kluftinger zeigte auf das kleine schwarze Kästchen, das an seinem Gürtel befestigt war. „Das können Sie jetzt ruhig ausschalten“, schlug er vor.
„Ich schalte und walte hier, wie ich will“, rief der Mann und fuchtelte dabei aufgeregt mit den Armen herum. „Und ich will jetzt endlich wissen, wessen Handy da eben geklingelt hat!“
Betretenes Schweigen.
„Hören Sie, meine Herren“, brachte der Mann mit bebender Stimme hervor, „wir sind hier nicht zum Rumtollen. Das ist kein Spielplatz für Erwachsene, verstehen Sie das? Das ist Theater. Großes Theater, um genau zu sein. Und das können Sie ruhig wörtlich nehmen.“ Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte er auf die riesige Freilichtbühne um sie herum. „Wir proben hier einen Klassiker der deutschen Literatur. Schiller hat mit diesem Wilhelm Tell zu einer Zeit Genialität bewiesen, als man hier im Allgäu wahrscheinlich noch mit Fellen und Keulen durch die Gegend rannte und Jagd auf frei laufende Kühe machte.“
„Also, jetzt aber wirklich, Herr Frank …“, versuchte Kluftingers Nebenmann den Wütenden zu beschwichtigen.
„Nichts aber wirklich!“, wischte der den Einwand mit einer fahrigen Geste beiseite. „Sie wussten alle, worauf Sie sich einlassen.“
Kluftinger rollte die Augen, seufzte und flüsterte dem Schwarzgekleideten mit dem Messer ein „Lass gut sein, Hans“ zu.
„Nein, nichts ist gut. Hier, Herr … Hans“, sagte Frank und wedelte dabei mit dem Textbuch vor der Nase des auf einmal schuldbewusst dreinblickenden Mannes. „Es heißt nicht: Den Mörder, gebt ihn heraus. Es heißt: Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.“
Die Umstehenden blickten zu Boden und versuchten mühsam, den Regisseur ihr Grinsen nicht sehen zu lassen. Vergebens.
„Da gibt es nichts zu lachen, meine Herren. In zwei Wochen ist Premiere, und auch Sie könnten durchaus mehr Textsicherheit vertragen.“
„Was war denn jetzt schon wieder?“ Der Bärtige, der eben noch im Kahn gesessen hatte, kam mit seinem Begleiter im blutverschmierten Hemd aus einer engen Gasse zwischen zwei Pappmaché-Felsen.
„Ihre Kollegen bringen es einfach nicht fertig, ihren Text zu lernen, Herr Edgar.“
Kluftinger seufzte und kraulte seinen extra fürs Freilichtspiel kultivierten Vollbart. Zu Beginn der Probenzeit hatte der Kommissar der Kemptener Kriminalpolizei die Eigenart des neuen Regisseurs, die Mitspieler immer mit „Herr“ oder „Frau“ und ihren Vornamen anzusprechen, noch amüsant gefunden. Inzwischen nervte es ihn nur noch. Lediglich ihn sprach er mit Nachnamen an, weil Kluftinger seinen Vornamen nicht hatte preisgeben wollen und den Mitspielern unter Androhung körperlicher Gewalt verboten hatte, ihn zu verraten.
Er betrachtete den Mann mit den schlackernden Hosenbeinen. Heinrich Frank war eine große Nummer in der deutschen Theaterwelt gewesen, wie man sich erzählte. So genau wusste das von den vorgeblich so theaterinteressierten Altusriedern aber keiner, denn alle sprachen immer im Konjunktiv von der Vergangenheit des hageren Mannes mit der kleinen Brille und dem temperamentvollen Wesen: Er sei mal irgendwo Intendant gewesen, habe mal mit ganz prominenten Schauspielern zusammengearbeitet, sei einer der Einflussreichsten seiner Branche gewesen. Doch seit einigen Jahren war Heinrich Frank Rentner oder Privatier – auch das wusste so genau keiner – und hatte sich in Altusried niedergelassen. Ausgerechnet in jener Allgäuer Gemeinde, in der alle paar Jahre ein großes Freilichtspiel inszeniert wurde. So wie heuer. Wilhelm Tell stand auf dem Programm, und es schien nur logisch, den erfahrenen Theatermann mit der Regie zu betrauen. Das fand auch Kluftinger, obwohl er und die meisten anderen Mitspieler sich da im Moment nicht mehr so sicher waren. Der Regisseur aber schien mehr von sich überzeugt denn je. Frank war hart, verlangte viel und geriet schnell aus der Fassung. Für Kluftingers Geschmack deutlich zu schnell.
„Jetzt seien Sie mal nicht so streng mit uns“, sagte der Bärtige und drohte scherzhaft mit der mächtigen Armbrust, die er mit sich herumtrug. „Schließlich haben wir alle einen anstrengenden Tag hinter uns. Wir arbeiten ja alle, gell?“
Die anderen nickten.
„Ja … nun gut … Sie haben vielleicht Recht. Unterm Strich bleiben Sie Laien. Aber es ist wichtig, dass Sie sich ein bisschen konzentrieren. Wie gesagt, die Premiere ist schneller da, als Sie denken. Ich hab Sie ja nicht umsonst im Kostüm kommen lassen, heute. Ich dachte, das hilft Ihnen vielleicht, Sie haben wirklich noch einige Probleme bei der Identifikation mit den Charakteren.“ Er blickte die Gruppe an und schien durch ihr betroffenes Nicken zufriedengestellt.
Sie sahen ihm nach, wie er auf seinen Platz in der mächtigen hölzernen Tribünenkonstruktion mit dem geschwungenen Dach zuschritt. Zweitausendfünfhundert Besucher würden hier schon in nicht einmal zwei Wochen dreimal pro Wochenende sitzen.
Bei dem Gedanken wurde Kluftinger bereits jetzt ganz flau im Magen. Er war kein großer Theaterenthusiast, aber bei den Freilichtspielen hatte er von Kindesbeinen an mitgewirkt. Und die Alternative zu der winzigen Sprechrolle wäre die Blaskapelle gewesen, die für die musikalische Umrahmung der Vorstellungen sorgte und bei der er eigentlich für die große Trommel zuständig war.
Der Gedanke, den ganzen Sommer im „Musikbunker“ zu verbringen und auf sein verhasstes Instrument einzuschlagen, das er nur spielte, weil man noch immer keinen anderen im Dorf dafür hatte begeistern können, war aber derart abschreckend gewesen, dass er im Vorfeld mit dem Bürgermeister einen Deal ausgehandelt hatte: Er würde mit seinen guten Beziehungen zur Polizei dafür sorgen, dass an den Spielwochenenden die Alkohol-Kontrollen im Ort nicht ganz so streng durchgeführt würden. Schließlich wolle man die vielen Gäste, die in das beschauliche Dorf am Ausläufer der Alpen kamen, nicht gleich wieder verprellen. Im Gegenzug würde der Bürgermeister dafür sorgen, dass Kluftinger „unbedingt“ eine Sprechrolle spielen müsse und „leider unabkömmlich“ sei und deswegen auch nicht bei der Musik mitmachen könne.
Kluftinger grinste bei dem Gedanken an ihr Arrangement.
„Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …“ Heinrich Franks Bewegung gefror. Er stand unmittelbar vor dem Aufgang zur Tribüne, als er sich mit zu Schlitzen verengten Augen umdrehte und dabei einen Buckel machte wie eine zum Sprung bereite Raubkatze.
„… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …“ Alle Köpfe drehten sich zu Kluftinger. Dessen Wangen begannen wie vorhin zu leuchten. Leugnen hätte jetzt keinen Sinn mehr gehabt.
„Ach je, das bin ja ich“, rief er und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Dann fummelte er das Handy aus dem Lederbeutel, den er aus Ermangelung einer Hosentasche an dem breiten Gürtel seines Fischerkostüms befestigt hatte. „Eine neue Melodie. Die hat mir mein Sohn eingestellt. Ich hab mich noch gar nicht dran gewöhnt …“ Mit diesen Worten führte er den Hörer an sein Ohr.
Diese Geste schien der letzte Impuls für Franks Raubkatzen-Reflex zu sein. Mit gefletschten Zähnen rannte er auf den Kommissar zu.
„Ja, Kluftinger?“, fragte der gerade in den Hörer.
„Ich bin’s, der Richard, ich muss …“
„Sie wollen doch nicht im Ernst während meiner Probe telefonieren?“ Die Stimme des Regisseurs klang aggressiv und kampfbereit.
„Wie? Wer? Ich meine … Entschuldigung, das hier ist wichtig.“ Mit diesem Satz nahm der Kommissar dem Regisseur für einen Moment den Wind aus den Segeln, und Frank blieb um Haltung ringend stehen. So verstand Kluftinger wenigstens, dass sein Kollege Maier am anderen Ende der Leitung war. Er schien ebenso aufgeregt wie Heinrich Frank, denn auch seine Stimme überschlug sich fast.
„Jetzt beruhig dich erst mal, atme tief durch und dann ganz langsam.“
Entsetzt ruckten die Köpfe der anderen herum und starrten den Kommissar an. Der wusste erst nicht, was die plötzliche Aufmerksamkeit zu bedeuten hatte, verstand es aber, als die Lautsprecher ein gellendes „Ich mich beruhigen? Ich bin ruhig!“ in die Naturkulisse schleuderten.
„Wie? Nein, ich meine nicht Sie. Ich meine … Richard? Was ist los?“
„Es geht um die Österreicher …“
„Legen Sie sofort das Handy weg, oder ich besetze Sie um!“
„Richie, wart mal, ich kann …“
„… hat sich umgebracht …“
„Wer hat sich umgebracht? Ein Österreicher?“
„Ich sage es Ihnen zum letzten Mal: Weg mit dem Handy!“
Als Kluftinger sich zum Regisseur umdrehte, erschrak er: Frank stand unmittelbar vor ihm, seine Mundwinkel zuckten bedrohlich.
„Kempten, Schwalbenweg 3 … ich komme sofort.“ Der Kommissar beendete das Gespräch.
Ein paar Sekunden war es still, dann wandte sich Kluftinger an
Frank: „Ein Kollege, ich muss dringend weg. Einsatz.“
Frank starrte ihn nur an, schien ihn gar nicht zu verstehen. „O nein, Herr Kluftinger. Das Einzige, was Sie hier müssen, ist, diese Szene zu Ende spielen.“
„Das ist doch eh nur noch ein Satz.“
„Das ist mir egal. Die Szene wird zu Ende gespielt“, sagte der
Regisseur nun völlig ruhig. Dann schaltete er das Mikrofon aus und fuhr fort: „Wir waren uns doch vor den Proben einig, dass Ihr Beruf uns hier keine Schwierigkeiten bereiten wird. Das haben Sie mir versprochen, verdammt.“
„Ja, das habe ich schon, aber meine Rolle ist ja schließlich doppelt besetzt. Da werde ich doch noch mal weg können, wenn es dringend ist.“
„Nicht mehr lange“, erwiderte Frank.
„Wie – nicht mehr lange?“
„Sie wird nicht mehr lange doppelt besetzt sein“, sagte Frank, und ein kaltes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Kluftinger hatte verstanden. Gerne hätte er diesen Despoten vor sich einfach stehen lassen, aber der Gedanke an einen Sommer im Musikbunker zusammen mit seiner Großtrommel ließ ihn die Beherrschung bewahren.
„Na gut, Herr Frank, spielen wir die Szene zu Ende“, sagte er schließlich mit zusammengebissenen Zähnen.
Frank ging einige Schritte zurück. „Also – Ruhe bitte. Und los!“
Kluftinger holte tief Luft für seinen letzten Satz, sagte ihn aber nicht wie sonst in Richtung seiner Mitspieler, sondern wandte sich direkt an den Regisseur: „Wann wird der Retter kommen diesem Lande?“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging.


Während er seinen alten VW-Passat durch die Abenddämmerung lenkte, gingen Kluftinger allerlei Gedanken durch den Kopf. Er hatte Maier noch nie so aufgeregt erlebt, es musste etwas Furchtbares passiert sein. Aber was? Ein toter Österreicher kam hier, nur wenige Kilometer von der Grenze zum Nachbarland, durchaus einmal vor. Und wenn er es den Kollegen von der Musikkapelle erzählen würde, würden manche wahrscheinlich sogar etwas Gehässiges wie „Immerhin. Einer weniger!“ von sich geben.
Der Kommissar zermarterte sich das Hirn, ging im Geiste die Zeitungen der letzten Tage durch. Hatte es irgendeinen Kriminalfall mit Verbindungen zu Österreich gegeben? Kluftinger erinnerte sich an nichts und gab, als seine Fantasien einen immer abstruseren Verlauf nahmen, schließlich auf. Es waren ohnehin nur noch ein paar Minuten bis zu der Adresse, die Maier angegeben hatte.
Als er in den Schwalbenweg einbog, wunderte er sich. Er hatte aufgrund des dramatisch wirkenden Anrufs ein großes Aufgebot erwartet, doch es standen nur drei Wagen der Kemptener Polizei am Straßenrand: Maiers Dienstauto, der Kombi des Erkennungsdienstes und ein Streifenwagen. Kluftinger parkte seinen Passat hinter dem grünsilbrigen Kombi und stieg aus. Verwirrt blickte er sich um, denn er konnte keinen seiner Kollegen entdecken.
Erst nach einer Weile sah er einen Uniformierten, der am Eingang eines der wenig einladenden Hochhäuser stand, die Anfang der Siebzigerjahre hier am Rand der Allgäu-Metropole im Rahmen des „sozialen“ Wohnungsbaus entstanden waren. Der Stadtplanung war es damals sicher ganz recht gewesen, die Probleme hierher auszulagern, dachte der Kommissar. Seither war die Hochhaussiedlung zu einem sozialen Brennpunkt allererster Güte geworden, der ihn und seine Kollegen immer wieder beschäftigte.
Kluftinger winkte dem Uniformierten schon von Weitem zu. Der jedoch behielt seinen mürrischen, skeptischen Blick bei und musterte den Kommissar mit zusammengekniffenen Augen. Erst als er nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, hellte sich seine Miene auf.
Kluftinger nickte ihm zu: „Was gibt’s?“
Die Augen des Polizisten glitten an Kluftinger herab, dann wieder nach oben, dann öffnete er den Mund, holte Luft, schien es sich jedoch gleich darauf anders zu überlegen, machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte erneut an: „Servus Klufti, hab dich gar nicht erkannt mit deinem Bart“, sagte er schließlich und machte dabei ein Gesicht, als sei es ihm unangenehm, dass ausgerechnet er dem Kommissar einen kurzen Abriss der Lage geben musste.
„Du … ich … du solltest da vielleicht nicht hineingehen“, brachte er schließlich hervor.
War sein Kollege noch ganz bei Trost? Er war leitender Kriminalhauptkommissar und nun wurde er von einem „Grünen“ behandelt wie ein Schuljunge. Gut, seine unrühmliche Leichenunverträglichkeit hatte sich über die Jahre nicht verheimlichen lassen, aber er hatte sich meist so gut unter Kontrolle, dass er den Arbeitsablauf am Tatort nicht störte. Und nun das. Kluftinger stieg die Zornesröte ins Gesicht – verbunden mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Hier würde seine Selbstbeherrschung mal wieder auf eine harte Probe gestellt werden.
In diesem Moment riss sein Kollege Richard Maier die Eingangstür auf und stolperte ins Freie. Maier blieb abrupt stehen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, als sei er gerade stundenlang in einer Bahnhofstoilette eingesperrt gewesen. Er war dünn, aber heute wirkten seine Wangen noch hohler als sonst, und seine vornehme Blässe war einer ungesunden Bleichheit gewichen. Erst nach ein paar Sekunden bemerkte er die Anwesenheit seines Vorgesetzten. Er musterte ihn von oben bis unten, öffnete den Mund, kratzte sich am Kopf, setzte dann erneut an und sagte schließlich: „Gut, dass du endlich da bist. Also, das ist schon eine ganz harte Nummer. Wirklich, ich …“
„Was ist denn passiert?“, fragte Kluftinger ungeduldig.
„Also …“ Maier schien zu überlegen, wo er anfangen sollte, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich glaube, es ist trotz allem am besten, wenn du dir selbst ein Bild von der Sache machst.“
Beim Hineingehen entging Kluftinger nicht der mitleidige Blick, den die zwei anderen Beamten austauschten.
Im Aufzug sprachen sie kein Wort, denn Kluftinger hatte bereits begonnen, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, versuchte er, seine Emotionen so weit wie möglich unter Kontrolle zu bekommen und seinem Verstand den Oberbefehl für die nächsten Minuten zu übergeben. Dann glitt die Aufzugtür zur Seite.
Der Blick, der sich dem Kommissar bot, beruhigte ihn etwas. Das Treppenhaus, trist und austauschbar, wie es die Treppenhäuser in Hochhäusern der Siebzigerjahre eben waren, dunkelgrün gestrichen und mit braunem, schäbigem Teppichboden, war von einer Betriebsamkeit erfüllt, die er von ungezählten Tatorten kannte: Ein Polizeiabsperrband war quer über den Treppenabsatz gespannt, eine der Türen war offen, davor stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen ein uniformierter Beamter.
In der Wohnung erkannte Kluftinger weitere Kollegen, darunter auch Willi Renn vom Erkennungsdienst, der in einem weißen Ganzkörperanzug und mit Fotoapparat in der Hand an der offen stehenden Tür vorbeilief. Renn verschwand nur wenige Sekunden aus seinem Blickfeld, dann tauchte er wieder auf. Er lief wie in Zeitlupe rückwärts und starrte den Kommissar ungläubig an. Dann riss er den Fotoapparat hoch, drückte auf den Auslöser, und ein heller Lichtblitz nahm Kluftinger für einige Sekunden die Sicht.
Als der Kommissar wieder klar sehen konnte, war Renn verschwunden. Er überlegte, ob er ihm nachrufen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Dann holte er tief Luft und betrat die Wohnung.
Er sah gleich, dass sich die Aufmerksamkeit der Beamten auf das Zimmer rechts am Ende des kleinen Korridors konzentrierte. Maier schob sich an ihm vorbei und ging voraus. Was Kluftinger sofort auffiel, war, dass die Wohnung ungewöhnlich kahl aussah. Es hingen keine Bilder an der Wand, keine Garderobe war zu sehen. Es wirkte nicht so, als ob hier tatsächlich jemand gewohnt hätte.
„Es war wohl nur eine Art Unterschlupf“, sagte Maier, der Kluftingers Blick richtig gedeutet hatte.
Der Kommissar nickte.
Vor der Tür zu dem Raum, in dem Kluftinger die Leiche vermutete, stand ein weiterer Kollege der Spurensicherung im weißen Plastikanzug. Daneben saß auf einem Stuhl, seinen Kopf an die Wand gelehnt, ein ungefähr vierzigjähriger Mann, den Kluftinger noch nie gesehen hatte. Er trug eine abgewetzte schwarze Lederjacke, kurzes Haar kräuselte sich auf seinem Kopf. Er kaute auf einem Zahnstocher herum. Ein Drei-Tage-Bart unterstrich den schlampigen Eindruck. Die Beine übereinandergeschlagen, wippte er unbeteiligt mit dem Stuhl. Als er die Neuankömmlinge bemerkte, grinste er breit übers ganze Gesicht und sagte mit unverkennbar österreichischem Akzent: „Na, jetzt kann eh nix mehr passiern. Jetzt kommen die Helden in Strumpfhosn.“
Kluftingers Kiefer klappte nach unten. Er war verwirrt, hatte er doch gedacht, er würde auf einen toten Österreicher treffen. Stattdessen musste er sich nun unverschämte Sprüche von einem offenbar quicklebendigen Exemplar anhören. Bevor er etwas erwidern konnte, stand der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht auf, streckte ihm die Hand hin und sagte: „Bydlinski, Valentin Bydlinski mein Name. Und was sind Sie? Der Kammerjäger? Oder das deutsche Fernsehballett?“
Kluftinger blieb der Mund offen stehen. Er blickte an sich herab: Gut, er sah nicht gerade wie ein Vorzeige-Kriminalbeamter aus. Seine Beine steckten in einer Art grünen Strumpfhose, um die Unterschenkel schlangen sich lederne Bänder. Außerdem trug er ein grobes Leinenhemd und über seinen Bauch spannte sich ein breiter Gürtel mit riesiger Schnalle. Dass er sein Kostüm nicht ausgezogen hatte, bereute er jetzt, aber er hatte ja nicht wissen können, dass sich noch irgendwelche Fremde am Tatort herumtreiben würden. Seine Kemptener Kollegen wussten, dass er zurzeit in den Proben fürs Freilichtspiel steckte. Im Büro hing für solche Eventualitäten immer ein Anzug zum Wechseln bereit. Und nun grinste ihn hier dieser schlecht rasierte Kerl an und riss Späße über seinen Aufzug.
„Und Sie? Ich dachte, Sie seien tot“, gab der Kommissar schroff zurück.
Das Grinsen des anderen erstarb. Verwirrt wandte sich Maier dem Kommissar zu. „Wieso sollte er denn …“
„Na, du hast doch was von einem toten Österreicher erzählt“, unterbrach ihn Kluftinger. „Gibt’s noch einen Zweiten?“
„Jo, aber der lebt ah no.“ Eine kratzige Stimme in Kluftingers Rücken ließ den Kommissar zusammenzucken. „Haas, habe die Ehre.“
Der Kommissar blickte in ein sonnengebräuntes Gesicht. Bevor er irgendetwas erwidern konnte, fügte der Mann an: „Landesgendarmerie … ich meine Polizeikommando Innsbruck. Wie mein Kollege Bydlinski, bitte.“
Jetzt war Kluftinger vollends verwirrt. Was machten Kollegen aus Österreich hier? Von einem Rechtshilfeersuchen war ihm nichts bekannt, die letzte Zusammenarbeit war mindestens ein Vierteljahr her. Und auch von einer Observation, die anmeldepflichtig gewesen wäre, wusste er nichts. Eine solche Anmeldung brauchten die Kollegen zwar nicht, wenn sie ad hoc eine Straftat verfolgten, zumindest die Einsatzzentrale musste aber darüber informiert werden. Und wenn es in seinen Bereich fiel, was hier ganz offensichtlich der Fall war, schließlich auch Kluftinger. Er beschloss, diplomatisch vorzugehen.
„Wenn Sie schon nicht tot sind, welcher Österreicher hat uns denn dann mit seinem Ableben erfreut?“, fragte er und musste sich selbst eingestehen, dass er mit dieser Art der Diplomatie als Politiker wohl schon den einen oder anderen Krieg angezettelt hätte.
Dennoch schien Kluftingers selbstbewusste Art bei den ausländischen Kollegen Wirkung zu zeigen, denn Bydlinski zog den Kopf ein, der ohnehin fast ohne Hals direkt an seiner Schulter angewachsen zu sein schien, und sie gaben den Weg ins Wohnzimmer frei. Kluftinger trat ein und bemerkte, dass Maier ihm nicht folgte. Und er sah auch sofort, warum. Kluftingers Magen drehte sich um und schlagartig wich ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht. Denn der Tote hatte genau das nicht mehr: ein Gesicht. Er lehnte mit dem Oberkörper an der Wand, die linke Kopfseite fehlte beinahe völlig. Hinter dem Mann an der Wand, etwa einen Meter über dessen jetziger Position, war ein riesiger Blutfleck; eine breite Blutspur führte nach unten. Bevor sich der Kommissar schaudernd abwandte, sah er im Augenwinkel noch die Pistole, die neben der erschlafften Hand des Mannes lag.
Kluftinger atmete schwer. Und zuckte zusammen, als ihm Georg Böhm, der Pathologe, die Hand auf die Schulter legte. Im Vorbeigehen flüsterte ihm der sarkastisch ins Ohr: „Er ist tot.“ Die österreichischen Kollegen verzogen darauf ihre Lippen zu einem spöttischen Grinsen. Kluftinger wankte den Hausgang entlang, bis er die Tür erreichte, hinter der er das Bad vermutete. Er blickte sich suchend um, fand dann Willi Renn, hob fragend die Augenbrauen und bekam als Antwort ein Kopfnicken. Er betrat den Raum und lehnte sich von innen gegen die Tür.
Er brauchte fast eine Minute, um seine Fassung wiederzuerlangen. Mein Gott, was für ein Anblick, fuhr es ihm immer wieder durch den Kopf. Er stützte sich auf das Waschbecken und drehte den Hahn auf. Dann klatschte er sich mehrere Ladungen eiskalten Wassers ins Gesicht. Er trocknete sich danach nicht ab, denn er verspürte ein unvorstellbares Grauen bei dem Gedanken, das Handtuch des … des Kopflosen benutzen zu müssen. Als er in den Spiegel sah, erschrak er: Er sah selbst aus wie eine Leiche.
Allerdings mit Gesicht. Immerhin.
Nach ein paar tiefen Atemzügen trat er schließlich wieder aus dem Bad heraus. Unschlüssig sah er sich um. Er würde das Zimmer nicht mehr betreten, so viel stand fest. Das musste er auch gar nicht, jede Einzelheit hatte sich in sein fotografisches Gedächtnis eingebrannt. Für immer, wie er fürchtete.
Inzwischen war auch Maier mit den beiden ausländischen Kollegen wieder bei ihm.
„Schön is was anderes“, sagte der, der sich als Haas vorgestellt hatte.
„Jo, hat sich eiskalt ’s Bimmerl wegg’schossn“, fügte Bydlinski hinzu.
„Bitte?“, fragte Maier.
„An Koopf! Wegg’schossn. Bumm, bumm!“ Bei den letzten zwei Worten führte Bydlinski zwei Finger an die Schläfe und grinste.
Kluftingers Magen zog sich erneut zusammen. Was waren das nur für Zeitgenossen, denen er da gegenüberstand?
„Sie sind jetzt mal am besten ganz still“, schaltete sich Maier ein. „Was mit Ihnen passiert, steht ja noch auf einem ganz anderen Blatt.“
Kluftinger sah seinen Kollegen fragend an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er noch überhaupt keine Ahnung hatte, worum es hier überhaupt ging. Und warum redete Maier so harsch mit den Polizisten aus dem Nachbarland? Sein Verstand kämpfte sich langsam wieder an die Oberfläche. Er ärgerte sich über die Blöße, die er sich vor den Fremden gegeben hatte. Und er ärgerte sich darüber, dass er hier der Einzige zu sein schien, der keinerlei Ahnung hatte, was um ihn herum passierte.
„So, meine Herren“, sagte er deshalb in die Runde und war selbst überrascht, wie fest seine Stimme schon wieder klang, „jetzt redet keiner mehr außer mir.“
Alle blickten ihn erwartungsvoll an.
„Ich meine … jetzt hör ich mal zu, und Sie erzählen mir, was hier vorgefallen ist.“
Bydlinski rieb sich sein vernarbtes Kinn und begann zu erzählen. „Na, wir sind ihm eben nachgefahren. Weil wir ihn nicht verlieren wollten. Da haben wir keine Zeit gehabt, groß irgendwelche Formalitäten einzuhalten. Weißt eh, wie schnell’s manchmal gehen muss. Also, da müsst ihr ja jetzt nicht gleich unsere Vorgesetzten …“
„Wem nachgefahren?“ Der Nebel in Kluftingers Kopf hatte sich noch kein bisschen gelichtet.
„Na, dem G’sichtslosen.“
Die pietätlose Art, wie sein österreichischer Kollege über den Toten sprach, rief in Kluftinger eine Mischung aus Abscheu und Wut hervor. Der Kommissar atmete tief durch. Dies verstand Maier offenbar als Zeichen, sich einzuschalten: „Wenn ich mal zusammenfassen darf: Unsere Kollegen hier haben den Mann, der jetzt im Wohnzimmer liegt, verfolgt. Sie hatten ein Päckchen, das an ein Postfach adressiert war, das sie schon einige Zeit unter Beobachtung hatten, geöffnet und …“ Maier stockte. „Was hat sich eigentlich in dem Päckchen befunden?“, fragte er, als wäre er selbst überrascht davon, dass er das noch gar nicht wusste.
„Waffen und technisches Zeug“, warf Haas ein und fuhr fort: „Über dieses ominöse Postfach in Innsbruck sind eh schon seit einiger Zeit Transaktionen gelaufen, die, gelinde gesagt, nicht ganz koscher waren. Meist waren es elektronische und mechanische Bauteile, die von den unterschiedlichsten Personen abgeholt wurden. Nicht gut zu identifizieren, wofür die Sachen eigentlich waren. Dieses eine Packerl war aber ein besonderes, weil sich darin Waffen befanden. Wir also dem Kopflosen hinterher – und prompt haut der uns über die Grenze ab. Da sind wir ihm halt einfach hintennach gefahren.“
„Sie hätten uns aber zumindest informieren müssen“, warf Maier ein. „Oder uns die Verfolgung überlassen. Sie hatten doch sein Kennzeichen.“
„Jo, eh klar“, fuhr die kratzige Stimme von Bydlinski dazwischen. „Des war ja auch bestimmt nicht gefälscht. Herrschaft, dass ihr Piefkes immer so auf den Vorschriften rumreitets.“ Seinen letzten Satz unterstrich Bydlinski mit einer wegwerfenden Handbewegung.
„Is eh gut, Valentin“, beschwichtigte ihn sein Kollege, der auf Kluftinger einen wesentlich vernünftigeren Eindruck machte. „Sie verstehen, wir sind auch ein bisserl überrascht, wie sich das Ganze entwickelt hat. Naja, Sie haben bestimmt auch schon mal jemand über die Landesgrenze verfolgt, ohne dass das gleich über die Einsatzzentralen gelaufen ist …?“ Erwartungsvoll blickte Haas zwischen Maier und Kluftinger hin und her. Als die jedoch keine Miene verzogen, fuhr er fort: „Wie auch immer, man kann das ja auch mit Gefahr im Verzug begründen, wenn Sie’s unbedingt ganz genau haben wollen. Und wir hätten Sie ja auch sicher noch informiert, die Zusammenarbeit klappt doch sonst ganz gut.“ Haas sah ihnen noch einmal in die Augen, senkte dann seine Stimme und fügte hinzu: „Vor allem auf dem kleinen Dienstweg, Sie verstehen.“
Dann erzählte er mit seiner normalen Stimmlage weiter: „Jedenfalls ging es dann ganz schnell. Wir sind ihm bis hierher gefolgt, bis zu seiner Wohnung. Da haben wir geklingelt, als niemand aufgemacht hat, haben wir uns als Polizei ausgegeben und … bumm.“
Kluftinger sah seinen Kollegen mit großen Augen an. Offenbar hatte der seinen Bericht jedoch beendet. „Das war alles? Bumm … und das war’s?“
„Wann’s so einen Bumm macht, dann kommt danach eh nimmer viel“, antwortete Bydlinski.
Wieder regte sich der Zorn im Kommissar. Er hatte nicht das Gefühl, dass die Kollegen vor ihm mit offenen Karten spielten. „Wie wär’s, wenn Sie mir ein paar Details mehr geben?“, sagte er deshalb.
Die Österreicher sahen sich an. „Details?“, platzte es schließlich aus Bydlinski heraus. „Sie wollen Details? Die können Sie haben. Als wir den Schuss g’hört haben, haben wir die Tür aufgebrochen und sind hinein. Von unserer Zielperson hammer da schon nix mehr g’sehn. Aber gerochen hammer ihn. Nach Pulver und verbranntem Fleisch hat’s gerochen. Und das Hirn …“
Kluftingers Magen machte einen Satz. Bydlinski musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Dann fuhr er fort: „Sie wissen schon, die Masse an der Wand, also diese kleinen, fiesen Flecken, da, das ist …“
„Schon gut!“, bellte Kluftinger ihm entgegen. Mit aller Macht versuchte er, die Bilder, die sein Kollege heraufbeschworen hatte, niederzukämpfen. „Ich glaube, wir können uns die Details vielleicht doch für später aufheben.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging auf den Ausgang zu. Als er die Türklinke bereits in der Hand hatte, sagte er im geschäftsmäßigsten Ton, der ihm möglich war: „Und Sie … Sie kommen auf jeden Fall auch erst mal mit zu uns.“


Kluftinger, Maier und dicht hinter ihnen Haas und Bydlinski betraten den Backsteinbau der Polizei in Kempten, die bald von der bloßen „Polizeidirektion“ zum „Präsidium“ aufsteigen würde, was für Kluftinger den unangenehmen Umstand mit sich bringen würde, dass er und die gesamte Kriminalpolizei mit ihm in eine ehemalige Untersuchungsanstalt für Milchprodukte im Stadtzentrum würde umziehen müssen. Und das sollte bereits in wenigen Wochen geschehen. Schon seit über einem Monat stapelten sich in der gesamten Abteilung die Umzugskartons.
„Ich geh schnell noch aufs Häusl“, tönte Bydlinski und machte auf der Türschwelle kehrt.
Die anderen setzten sich und warteten auf ihren Chef, Kriminaldirektor Lodenbacher. Kluftinger fühlte ein gewisses Unbehagen wegen der Grenzübertretung der österreichischen Kollegen. Rechtlich kannte er sich da nicht allzu gut aus. Und so hatte er es für besser gehalten, Lodenbacher anzurufen, der in seinem niederbayerischen Dialekt angekündigt hatte, er werde „sofoat kemma“, und sich ausgebeten hatte, dass ohne ihn „oba scho gleich gor nix“ unternommen werden solle. Haas erklärte den beiden Kemptener Beamten, während sie warteten, dass seine Kirschen im Garten gerade völlig ausgereift wären und dass, wenn er gewusst hätte, dass er hierher kommen würde, er auf jeden Fall ein Körbchen mitgebracht hätte.
Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür – für Kluftinger, Maier und Strobl, der etwas später zu ihnen gestoßen war, ein eindeutiges Zeichen, dass es nicht Lodenbacher war, der da kam. Stattdessen betrat Bydlinski das Büro.
Grinsend fragte er: „Sagts Leut, euer Kollege Lodenmacher ist ein bisserl ein Unentspannter, oder?“
Kluftinger runzelte die Stirn und sah zu Maier. Kannte Bydlinski ihren Chef? Hatte sich dessen Ruf bereits über die Landesgrenzen bis nach Innsbruck verbreitet?
„Wie … kennen Sie sich denn?“
„Jo, hab ihn grad auf dem Gang getroffen. Ist doch ein Kollege, oder? Ein so ein grantiger Mensch. Hab ihn nur gefragt, du, hab ich gefragt, wo is denn bei euch des Scheißhäusl, Kollege?“
Mit einem Lächeln sah Kluftinger zu Maier und Strobl, dann fuhr der Österreicher fort: „Drauf fährt er mich an wie so ein wildes Eichhörndl, schließlich sei er hier der Lodenmacher, ob ich das nicht wüsst. Weiß ich eh nicht, weil ich noch nie da war. Ich hab ihn nur noch gefragt, ob er aus Schottland kommt, wegen der karierten Hose. Drauf wird der rot wie ein Paradeiser und brüllt rum, dann bin ich einfach wortlos gegangen. Dem müsst ihr mal ein bisserl Baldrian in den Tee träufeln, Kollegen.“
Noch bevor Kluftinger sich innerlich entschieden hatte, ob er sich über das kleine Scharmützel Bydlinskis freuen sollte oder ob er sich ärgern sollte, weil die ganze Abteilung dann wieder die schlechte Laune des Chefs ausbaden musste, wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen, und Lodenbacher stand plötzlich aufgeregt und mit rotem Kopf vor ihnen.
„Meine Herrn“, brummte er, „Sie wissn, dass des a ganz a hoaklige Soch is, de uns de Österreicher do eibrockt homm.“
Während Bydlinski betroffen zum Fenster hinaussah und an seinen Fingernägeln herumkaute, räusperte sich Haas, stand auf und streckte Lodenbacher die Hand zur Begrüßung hin.
„Gestatten, Simon Haas, Major beim Landesgendarmerie … entschuldigen Sie, jetzt heißt es ja Landespolizeikommando Innsbruck. Herr Kriminaloberst Lodenbacher, nehm ich an?“
Jetzt fehlt bloß noch das „Küss die Hand“, dachte sich Kluftinger. Lodenbachers Miene jedoch hellte sich sichtbar auf.
„Kriminaldirektor, richtig.“
Bydlinski erhob sich nun ebenfalls und ging auf Lodenbacher zu, der sich aber abwandte.
„Meine Herrn Kollegn, werte … ausländische Gäste“, hob Lodenbacher nun zu einem gut zehnminütigen Referat über die Regelungen beim Grenzübertritt von Polizeibeamten im Einsatz an. Sie wüssten alle, dass er kraft seines Amtes Grenzbeauftragter für Tirol und Vorarlberg und somit für die ganze Misere in gewisser Weise verantwortlich sei. Kluftinger hörte aufmerksam zu, so aufmerksam wie selten, wenn sein Chef eine dienstrechtliche Standpauke hielt. Nicht nur, weil man ihm und seiner Abteilung nichts vorwerfen konnte, sondern schlichtweg, weil er die Regelungen nicht mehr im Kopf hatte.
Er wusste noch, dass man für aufwendigere Ermittlungen im anderen Land ein Rechtshilfeersuchen brauchte, das über die Staatsanwaltschaft lief. Und Observationen musste man von langer Hand planen und anmelden. Zudem hatte man im Verfolgungsfall mittlerweile spezielle Wegerechte: So durfte man mit Blaulicht fahren und Täter festnehmen, nicht jedoch abführen. Früher, erinnerte sich Kluftinger, vor dem Schengener Abkommen, vor den offenen Grenzen, hatte manche Verfolgungsfahrt in Pfronten am Grenzhäuschen geendet, und der betrunkene oder straffällige Fahrer winkte zum Abschied aus Österreich herüber. Und ganz früher war das selbst an der Grenze zu Baden-Württemberg so gewesen. Kurz vor Leutkirch war da für den bayerischen Streifenwagen Schluss. Irgendwie auch eine schöne Zeit. Sein Vater, der Dorfpolizist, und sein Onkel, der beim Zoll gewesen war, hatten sich auf Familienfeiern gerne Geschichten von Schmugglern erzählt.
„Was wissen Sie über Nacheile, Kluftinga?“
Scheinbar hatte Lodenbacher die Frage bereits mehrmals gestellt.
„Als Nacheile bezeichnet man …“, setzte Maier an, wurde aber von Lodenbacher unterbrochen: „Ich hob Eahnan Herrn Voagesetztn gfrogt, Maier.“
„Nach … eile?“ Kluftinger schluckte. Was war denn nun los? Er hatte doch nichts falsch gemacht! Warum fuhr ihn Lodenbacher so an? Und Nacheile sagte ihm rein gar nichts mehr. Er kam sich vor wie in der Ausbildung, als er bei einer mündlichen Prüfung so nervös gewesen war, dass nur ein Schnaps des Prüfers damals den Frosch in seinem Hals hatte lösen können.
„Nacheile, Herr Lodenbacher, Nach…eile“, stammelte der Kommissar, bevor er einfach losredete: „Nacheile heißt, dass wenn man jemandem … nacheilt, also ihn eilig verfolgt, da hat man also gewisse … Spezialrechte, nicht wahr? Befugnisse, die …“
„Moment, wir sind nicht geeilt, sondern haben nur observiert“, lenkte Bydlinski die Aufmerksamkeit grinsend auf sich. „Und was der Kollege sagen wollte, ist, dass man im Notfall einem flüchtigen Täter oder mutmaßlichen Täter über die Grenze nachfahren kann. Da muss man dann bei der Einsatzzentrale anrufen, wissen wir eh.“
„Ah ja?“, brummte Lodenbacher gereizt. Kluftinger fiel ein Stein vom Herzen. Der Chef hatte von ihm abgelassen und ein anderes Opfer gefunden. „Und wer vo Eahna hot do ogruafa, bittschön? Bei uns is koa Ruaf eingegangen, Herr …“
„Bydlinski, Valentin. Landesgendarmeriekommando Tirol. Weiß ich, dass mir Sie nicht antelefoniert haben. Weil mir keine Umständ machen wollten.“
Kluftinger hörte noch eine Weile dem kleinen, niederbayerischösterreichischen Grenzscharmützel zu, bevor er sich verpflichtet fühlte, Bydlinski nun zur Seite zu stehen, nachdem der vorher für Kluftinger in die Bresche gesprungen war. „Herr Lodenbacher, ich denke, wichtiger als die dienstrechtlichen Verwicklungen sind im Moment der Selbstmord und die geheimnisvollen Umstände, die dazu geführt haben, meinen Sie nicht?“
Lodenbacher horchte auf. Eigentlich war er es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Er nickte irritiert, stand zögernd auf und verließ mit den Worten: „Mochn S’ doch, wos Sie moanan!“ den Raum.
Kluftinger wandte sich an die Österreicher: „Wir suchen Ihnen am besten ein Hotel für die Nacht.“
„Hotel? Ich weiß net. Is eh schon spät und teuer isses obendrein. Hobt’s koan Häfn?“, fragte Bydlinski, grinste, und ließ dabei seine gelben Zähne sehen.

Über Volker Klüpfel

Biografie

Volker Klüpfel, geboren 1971 in Kempten, aufgewachsen in Altusried, studierte Politikwissenschaft und Geschichte. Danach arbeitete er bei einer Zeitung in den USA und stellte beim Bayerischen Rundfunk fest, dass ihm doch eher das Schreiben liegt. Seine letzte Station vor dem Dasein als...

Über Michael Kobr

Biografie

Michael Kobr, geboren 1973 in Kempten, studierte in Erlangen Romanistik und Germanistik, und war danach als Lehrer tätig. Momentan hat er schweren Herzens dem Klassenzimmer den Rücken gekehrt, um sich dem Schreiben, den ausgedehnten Lesetouren und natürlich seiner Familie widmen zu können. Kobr...

Medien zu „Laienspiel (Kluftinger-Krimis 4)“
Pressestimmen
Vanity Fair

Kommissar Kluftinger ist ein höchst plastischer, liebenswert eigenwilliger Ermittler, wie es im Kriminalroman auch international nur wenige gibt.

Spiegel Online

„Klüpfel & Kobr erzählen mit komödiantischem Überschwang, Intelligenz und Vitalität.“

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