Leben in allen Himmelsrichtungen Leben in allen Himmelsrichtungen - eBook-Ausgabe
Reportagen
„Das Buch lohnt sich allein schon wegen der Einleitung zu lesen. Also dem Teil in Büchern, der sonst eher der Form halber beschrieben und nur selten des Inhalts wegen gelesen wird.“ - Der Freitag - die Wochenzeitung
Leben in allen Himmelsrichtungen — Inhalt
Wer in fremde Länder und ferne Gegenden reist, wird dreifach belohnt: Er lernt die Welt, die Weltbewohner und sich selbst kennen. Nur wenige können davon besser erzählen als Andreas Altmann, der begnadete Reporter, der uns in diesem Buch auf seine Reisen mitnimmt und an seinen wundersamen, zuweilen heiteren, bisweilen erschütternden oder aberwitzigen Begegnungen teilhaben lässt. Jeder Erdteil kommt vor. Mit Gütigen und Bösen, mit Waghalsigen und Verzweifelten, mit Frauen und Männern, die um ihr Leben bangen, und anderen, die vor Übermut schäumen - und mit Landschaften, die ein Herz aus Stein rühren. Der Band versammelt die besten von Altmanns gefeierten Reportagen, ein literarisches Reisebuch voller Leben in allen Himmelsrichtungen.
Leseprobe zu „Leben in allen Himmelsrichtungen“
VORWORT
Ein Kind schrieb der 90-jährigen Astrid Lindgren zum Geburtstag: „Wenn man deine Bücher liest, dann will man leben, nur leben.“ Ist das nicht ein wunderbares Geschenk an eine Autorin? Der schriftliche Beweis, dass man andere zum Leben anstiftet?
Ob im Jahr 2050 ein Kind an den dann neunzigjährigen Reed Hastings, den Mitbegründer von Netflix, auch einen solchen Satz schreiben wird? Oder einen ganz anderen, einen wie den: »Lieber Reed, danke, dass du uns gleich serienweise dazu eingeladen hast, ein Drittel unserer Lebenszeit auf einem Sofa zu [...]
VORWORT
Ein Kind schrieb der 90-jährigen Astrid Lindgren zum Geburtstag: „Wenn man deine Bücher liest, dann will man leben, nur leben.“ Ist das nicht ein wunderbares Geschenk an eine Autorin? Der schriftliche Beweis, dass man andere zum Leben anstiftet?
Ob im Jahr 2050 ein Kind an den dann neunzigjährigen Reed Hastings, den Mitbegründer von Netflix, auch einen solchen Satz schreiben wird? Oder einen ganz anderen, einen wie den: „Lieber Reed, danke, dass du uns gleich serienweise dazu eingeladen hast, ein Drittel unserer Lebenszeit auf einem Sofa zu lümmeln und anderen beim Leben zuzuschauen.“
Als ich einmal auf dem Highway 1 Richtung San Francisco fuhr, bog ich links ab auf den Parkplatz eines McDonald’s, ich war müde, wollte einen Kaffee trinken. Am Eingang hing ein Poster mit dem Porträt eines Teenagers, darunter stand: „I work here. It’s a job that fits my life. Apply!“
Verstanden, die einen denken, dass lauwarme Semmeln einpacken Lebenssinn verspricht, und die anderen laden uns 24 Stunden pro Tag ein, auf einer Couch zu kuscheln und dort unser ein und einziges Leben zu verhocken.
Was Missis Lindgren wohl dazu gesagt hätte? Gelacht hätte sie, dann alle ins Freie gejagt und uns mithilfe von Pippi Langstrumpf nachgerufen: „Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“
Ich liebe immer die, die zum Leben anstacheln, und gehe stets jenen Damen und Herren aus dem Weg, die es verhindern. Aber ja, sie sind schwer in der Übermacht und schwer erfolgreich: Trödeln ist so verführerisch und Losziehen und Ungewissheit aushalten so fordernd.
Ich will Astrid nacheifern. Will wie sie ein Lebensbuch nach dem anderen in die Welt schicken. Und wenn es Leserinnen und Leser gibt, die es aufschlagen und sich mitreißen lassen von der Sehnsucht nach Innigkeit und Anderssein, dann will ich niederknien und Himmel und Erde danken. Für das Glück, weniger einsam zu sein.
Wie verlockt man jemanden zur Liebe zum Leben? Ihm zureden? Ganz sinnlos. So aussichtslos, wie einem Alkoholiker zu erzählen, dass er das Saufen aufgeben soll. Wie fad, er kann es nicht mehr hören.
Ich habe auch kein Rezept. Klar hilft es, wenn ein Menschlein in einem Elternhaus aufwächst, wo sie ihn nicht mit Leitfäden zum braven Leben schikanieren, stattdessen ihn täglich anspornen, ein Einzelstück zu werden, einer eben, der sich in keine Herde verirren will, einer gewiss, der dafür sorgt, dass seine Würde unantastbar bleibt.
Kein Sturm, immer nur Wetter! Der Satz könnte auf vielen Grabsteinen stehen. – Und darf es doch nicht.
Ich würde einem Kind, hätte ich eins, eine Tagebuchnotiz von Saint-Exupéry schenken, dem französischen Schriftsteller. Freilich kein Allheilmittel gegen die Trägheit des Herzens und die penetrante Lust, dem Leben aus dem Weg zu gehen, aber in seinen Zeilen liegt eine grandiose Weisheit: „Wenn du ein Schiff bauen willst/So trommle nicht die Menschen zusammen/Um Holz zu beschaffen/Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen/sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Das ist es: Irgendeine Metapher muss einschlagen, ein Schrei, ein Orkan, ein Unfall, ein großes Pech, irgendetwas, was den Döser erweckt. Ist das geschehen – diese Begeisterung für das weite, endlose Leben –, dann geht es ihm wie dem Liebhaber der Meere: Er wird das „Handwerk“ des Lebens lernen, und er wird es entdecken und feiern.
Das Buch versammelt Geschichten von Leuten, die leben und gelebt haben. So intensiv, so oft vom Risiko überschattet, so beherzt. Frauen wie Männer. Ich treibe mich gern in ihrer Nähe herum, immer von der Illusion getrieben, eine Unze ihrer Waghalsigkeit fiele auf mich ab. Zudem bin ich Reporter, und Reporter sind Räuber. Sie hören Storys und klauen sie. Um sie am anderen Ende der Welt zu veröffentlichen. Manchmal, um zu denunzieren (auch mutigen Schweinehunden begegnet man). Oft, um das hohe Lied der Bewunderung zu singen.
Die hier vorliegenden Texte wurden bereits, mit wenigen Ausnahmen, in deutschen und internationalen Magazinen veröffentlicht. Vor Jahren. Für die Buchausgabe habe ich sie gründlich überarbeitet. Warum?
Viele Gründe, der erste: Weil ich mir größenwahnsinnigerweise einbilde, dass ich mich als Schreiber entwickelt habe, bin nicht mehr so ergriffen von mir, bin misstrauischer den eigenen Gefühlen, ja, noch misstrauischer den großen Gefühlswallungen gegenüber geworden. Mein moralisches Wertesystem bekam Dellen. Bin ich tatsächlich so „human“, wie ich mir einbildete? So garantiert auf der „richtigen“ Seite? Meine letzten Scheinheiligkeiten bröckeln.
Ein Text wird immer besser, wenn: er lakonischer daherkommt, ruhiger, nicht so inbrünstig, nicht so zugebombt von Superlativen, nicht so heldisch. Ach, las ich doch vor einiger Zeit die Zeilen eines Recken, wie er, bei seiner Arbeit als Berichterstatter, „routiniert am Abgrund balanciert“. So ähnliche Kraftmeiereien habe ich auch einmal fabriziert, sie klingen heute nur noch läppisch.
Ein Text wird immer besser, wenn: er mit weniger Wörtern auskommt. Wenn er „keuscher“ wird, an Adjektiven spart, den Leser mit Detailhuberei verschont, wenn bisweilen „Ich weiß es nicht“ dasteht.
Manche Gedanken, die mir vor zwanzig Jahren gefielen, fallen jetzt durch. Da zu dämlich oder zu fügsam oder zu radikal. Neue Gedanken müssen her. Deshalb die erneute Beschäftigung mit den Geschichten.
Und das noch: Für vieles, was ich bei einer Recherche erlebte, war kein Platz: weil die Seitenzahl vorgegeben war, weil ich mit dem Gesetz in Konflikt kam, weil zu intim. Mit einem Buch ist das anders, es ist das letzte Refugium für einen Autor. Und für die, die es genauer wissen wollen.
Soweit mein mea culpa. Aber natürlich gab es auch „äußere“ Gründe, warum ich nochmals an die Reportagen ranmusste. Hier eine Anekdote: Während eines gemeinsamen Abendessens mit einem Freund, ebenfalls Reporter, bei dem wir uns in Rage redeten über die Metzeleien, die Redakteure an unseren Manuskripten verübten, beschloss ich beim Verlassen des Restaurants, dass ich die bunten Heftchen satthatte und nur noch Bücher schreiben würde: da zu viel Zensur, zu viel Rechthaberei, zu viel Panik vor den Lesern, die man auf Biegen und Brechen vor gewissen Meinungen und Tatsachen schützen wollte. Die Seuche „politische Korrektheit“, diese feige Angst vor der Wirklichkeit, ging um. Geht um.
Und – manchmal sind mir die Tränen gekommen: Losgetreten von diesem Mangel an Sprachgefühl, mit dem so mancher der „Textbearbeiter“ geschlagen war. Metzger bei der Arbeit, jeder zwei Hackebeile in den Händen. Wäre Sprachschändung ein offizielles Verbrechen, ein Dutzend dieser paper pusher säßen heute nicht als Pensionäre herum, sondern als Knastbrüder – tausend Mal lebenslänglich absitzend.
Und ein letzter Grund, hier der entscheidende Moment: Ich besuchte ein Lager der „Ärzte ohne Grenzen“ im Süden Sudans. Irgendwann sah ich den achtjährigen Deng mit seiner Krücke hereinschlurfen und sich auf den Boden kauern. Als er wieder aufstand, musste er wie ein Dromedar die Erdanziehungskraft überwinden, musste die wenige Last zuerst auf die Knie verlagern. Kniete er endlich, stellte er den Stock vor sich auf und zog konzentriert sein 126 Zentimeter langes und fünfzehn Kilo leichtes Knochengerüst mit dem parasitenverseuchten Wasserbauch nach oben. Ein halbes Hundert gefräßiger Fliegen schmarotzte gerade an den vereiterten Eingängen seiner Haut.
Als die Reportage in einer Zeitschrift erschien, stand links der Bericht, und rechts sah man auf eine ganzseitige Werbung für eine nagelneue Limousine, sündteuer.
Das fand ich frivol, irgendwie schamlos. Eben ein nächster Antrieb, zu Büchern zu flüchten. Zu einem der letzten Freiräume, wo der Mensch nicht von Aufrufen nach noch mehr Plunder und Blech gejagt wird. Bücher haben etwas von Zen, so viel Klarheit: nur weiße Blätter, nur schwarze Buchstaben. Und dazwischen die Welt. Was für Aussichten.
„Mit seinen grandiosen Reportagen nimmt [Andreas Altmann] die Leser mit auf seine Abenteuer, hinein in eine pulsierende, oft schreckliche, aber vor Lebenslust strotzende Welt.“
„Das Buch lohnt sich allein schon wegen der Einleitung zu lesen. Also dem Teil in Büchern, der sonst eher der Form halber beschrieben und nur selten des Inhalts wegen gelesen wird.“
„Selbst die alltäglichen Momente erzählen bei (Andreas Altmann) große Geschichten.“
„Nur wenige können (von Reisen in fremde Länder und ferne Gegenden) besser erzählen, als Andreas Altmann, der begnadete Reporter, der uns in diesem Buch auf seine Reisen mitnimmt und an seinem wunderbaren, zuweilen heiteren, bisweilen erschütternden oder aberwitzigen Begegnungen teilhaben lässt.“
„Eine spannende Safari durch Länder und Kulturen, ein rotierender literarischer Kompass von sprachlicher Brillanz mit wunderbar verwegenen Perspektiven.“
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