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Long may she reign – Krone des BlutesLong may she reign – Krone des Blutes

Long may she reign – Krone des Blutes Long may she reign – Krone des Blutes - eBook-Ausgabe

Nika S. Daveron
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Roman

— Dark Royal Romantasy über ein verfluchtes Königreich und eine große, gefährliche Liebe 
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Long may she reign – Krone des Blutes — Inhalt

Lang lebe die Königin: Dark Royal Romantasy für alle Leser:innen von Sandra Regnier und Scarlett St. Clair 

(Zitat fehlt noch)

Lady Alysea Eleonore Tirena Verwing ist nicht glücklich, als sie mit dem Kronprinzen von Ilaphia verlobt wird, denn ihr Herz gehört verbotenerweise einem Lord aus dem niederen Adel. Iulius Ashthorne ist ein schweigsamer Mann, der seine Verlobte drei Prüfungen unterziehen will, bevor er sie zur Frau nimmt. Zunächst glaubt Alysea, es handle sich dabei um typische Dinge, die von einer Lady verlangt werden, doch schnell wird ihr klar, dass es hier um mehr geht – um Leben und Tod. Und während Lady Alysea mit dem Feuer spielt, versucht nicht nur ihre einzige Liebe sie zurückzugewinnen, es schwebt auch noch eine dunkle Prophezeiung über dem künftigen Königspaar. 

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 30.11.2023
360 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-50682-3
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€ 5,99 [D], € 5,99 [A]
Erschienen am 30.11.2023
360 Seiten
EAN 978-3-377-90016-6
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Leseprobe zu „Long may she reign – Krone des Blutes“

Prolog: Das Raubtier

„Wenn die Tore des Palasts Euch offenstehen, aber niemand mit Euch durch ebendiese gehen will – dann ist das bitter. Ich habe mich deswegen so oft klein und nichtig gefühlt. Aber nie wegen der Worte der anderen.“

Ich wusste nicht, warum ich mich ausgerechnet jetzt an diese Worte erinnerte, doch sie kamen mir ungefragt in den Sinn und ich verstand sie mit einem Mal so gut. Sie stammten von jemandem, der mir einst wichtig erschienen war.

Worte hatten mich nie schrecken können. Mochten sie noch so unflätig und erniedrigend klingen, sie [...]

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Prolog: Das Raubtier

„Wenn die Tore des Palasts Euch offenstehen, aber niemand mit Euch durch ebendiese gehen will – dann ist das bitter. Ich habe mich deswegen so oft klein und nichtig gefühlt. Aber nie wegen der Worte der anderen.“

Ich wusste nicht, warum ich mich ausgerechnet jetzt an diese Worte erinnerte, doch sie kamen mir ungefragt in den Sinn und ich verstand sie mit einem Mal so gut. Sie stammten von jemandem, der mir einst wichtig erschienen war.

Worte hatten mich nie schrecken können. Mochten sie noch so unflätig und erniedrigend klingen, sie hatten meine Welt nie ins Wanken bringen können. Anders sah es mit Taten aus. Grausamen Taten, die mich an meinem Verstand und an meinen Glauben an die Menschen zweifeln ließen.

Menschen waren nicht gut, sondern grausame Raubtiere, und ich befand mich an einem Ort, an dem ausschließlich Raubtiere lebten. Sie rissen die anderen, tilgten das Gute, das Liebevolle aus und verschlangen jeden mit Haut und Haaren, der nicht einer von ihnen war. Und er war das schlimmste Raubtier, das Ilaphia jemals erblickt hatte. Er labte sich an meiner Furcht, an meinem Schmerz und er stachelte ihn immer wieder an, indem er sich in seinen Gemeinheiten erging. Aber die Gemeinheiten waren nur der Anfang, nur das Vorspiel für seinen grausamen Hauptakt, den er wieder und wieder auf meine Kosten zelebrierte.

Er zerbrach alles, woran ich Freude hatte. Was mich glücklich machte. Es war, als wäre er ein nimmersattes Ungeheuer, das verschlingen musste, um überhaupt zu existieren.

Das sah ich jetzt in aller Klarheit.

Zu Beginn hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Ich suchte die Fehler bei mir. Bis ich verstand, dass es niemals an mir gelegen hatte. Sondern nur an ihm. Es war seine Natur, er musste zerstören und nur, weil er mich nicht zerstören durfte, als sein Vater noch gelebt hatte, war ich noch hier. Nicht ohne Stolz dachte ich aber auch, dass ich es nicht zugelassen hatte.

Manchmal hatte er mich Löwin genannt – der ironische Unterton war mir nie entgangen. Doch genau das war ich. Ich war eine Löwin und ich hatte gekämpft. Um jeden verfluchten Moment, damit er ihn mir nicht entreißen konnte.

Doch jetzt war ich so müde. Es gab nichts mehr, für das es sich zu kämpfen lohnte. Das Ungeheuer hatte bereits alles verschlungen. Nun war nichts mehr da. Außer mir. Und ich hatte nicht vor, ihm das letzte Bisschen von mir auch noch zu geben.


Kapitel 1: Die Motte

„Habt Ihr es denn nicht gehört, Lady Verwing? Der König möchte Euch!“ Mirias Augen wurden groß, als sie mir die Neuigkeiten verkündete.

„Unsinn.“ Ich winkte ab. „Er kann meine ältere Schwester mit seinem missratenen Sohn vermählen. Vater würde nie erlauben, dass ich zuerst heirate.“

„Ich hörte, dass er ausdrücklich nach Euch verlangte.“

„Er ist gar nicht hier, wie kann er das dann verlangen?“ Gähnend streckte ich mich auf meiner Sonnenliege aus. Das Schloss am Fenrirsee war die Sommerresidenz meiner Familie und ich brachte meine Zeit mit Müßiggang und Reiten zu.

Ich wusste, dass Vater mich niemals zur künftigen Königin von Ilaphia machen würde. Er hatte meine Schwester für solche Dinge auserkoren.

Die liebe, fügsame Aemilia trug bereits seit einiger Zeit die Nase hoch, weil Vater ihr eine wichtige Partie versprochen hatte. Eine, die unsere Familie voranbrachte. Also schmollte ich und lag unter einem Sonnenschirm, während ich in meinem luftigen Sommerkleid auf den See hinausschaute. Ich hatte keinen Nutzen für Vater? Schön, dann tat ich eben, was ich wollte. Ich ließ mir nie anmerken, wie sehr mich das kränkte, denn Ehrgeiz besaß ich eine Menge. Vor Vater hätte ich dies jedoch nie zugegeben.

„Ich schwöre es Euch, Lady Verwing, die Diener reden über nichts anderes. Soeben hat Euer Herr Vater eine Delegation vom Hof empfangen. Habt Ihr denn nicht all die Kutschen gesehen, die sich vor dem Tor sammeln?“

„Nein, wie sollte ich das von hier aus?“

Der Garten, der sich unterhalb meines Balkons erstreckte, befand sich auf der anderen Seite der Sommerresidenz und durch Wände sehen konnte ich nicht. Obwohl ich es praktisch gefunden hätte. Aber dann wäre ich beim Henker gelandet, denn durch Wände zu sehen, galt sicher als Magie. In Ilaphia konnten sie die nicht leiden.

Ich selbst fand Magie nicht schlimm, seitdem eine Heilerin meiner jüngeren Schwester Alaeris mit einer magischen Praktik das Leben gerettet hatte. Ein Pulver, angeblich aus Sternenstaub, und ein blauer Luftwirbel, der sich direkt in ihren offenen Mund gesenkt hatte. Ich lag Monate danach noch wach und fragte mich, wie sie das vermocht hatte. Doch meine Mutter verbot mir damals, darüber zu sprechen, wenn mir mein Leben lieb war, und ich hielt mich daran.

„Jedenfalls lüge ich nicht, bei Astaria.“

„Warten wir es ab“, erwiderte ich und nippte an meinem eiskalten Zitronenwasser. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vater Aemilia in die zweite Reihe versetzt, nur, um ausgerechnet mich mit dem Kronprinzen zu verheiraten. Ich bin siebzehn, und Aemilia bereits zwanzig, sie ist im heiratsfähigen Alter.“

Obwohl eine leise Stimme in mir sagte, dass ich genau das wollte. Die andere jedoch rief: Das geht auf gar keinen Fall. Ich brachte sie zum Schweigen, diese Stimme. Sie flüsterte mir immer häufiger Dinge ein, die nicht sein durften. Ich wollte sie auf gar keinen Fall beachten.

„Lass mich ein wenig allein, Miria, ich möchte lesen.“

Das war zumindest die halbe Wahrheit. Ich hatte das Blitzen auf dem See genau bemerkt und ich hoffte, dass es Miria entgangen war.

„Natürlich, Lady Verwing. Soll ich Euch Euer Buch holen?“

„Das kann ich auch selbst.“ Ich hielt nichts davon, mich Tag und Nacht bedienen zu lassen. Der Schöpfer hatte mir hübsche Beine geschenkt, warum sollte ich sie nicht benutzen?

„Schließ die Tür hinter dir und warte davor. Ich möchte nicht gestört werden. Schon gar nicht von meinen Schwestern. Falls sie kommen und nach mir verlangen, dann …“

„Ich weiß, Lady Verwing. So wie immer.“

Ich nickte zufrieden und wartete dann ungeduldig, bis sie hinausgegangen war. Damit ich endlich den Spiegel unter meinem Kissen hervorholen konnte, um zu signalisieren, dass die Luft rein war. Ich elende Heuchlerin. Hatte ich nicht eben noch gesagt, ich wolle Prinzessin von Ilaphia werden, um eines Tages die Krone der Königin zu tragen? Und jetzt tat ich das hier. Schon wieder … aber ich konnte nicht anders. Irgendetwas zog mich immer wieder zu ihm hin. Als wäre ich eine Motte, die das Feuer suchte, nur, um darin zu verbrennen.

Ich wippte vor Ungeduld mit dem Fuß. Wir hatten nicht viel Zeit und wenn meine kleine Schwester beschloss, dass ich sie auf irgendein irrsinniges Abenteuer begleiten musste, dann stand sie schneller vor meiner Tür, als mir lieb war.

Ich sprang von meiner Liege auf und eilte an die kleine Mauer der Brüstung, die meinen Balkon säumte. Ein Glück, dass dieser Teil nicht vom Hof einsehbar war. Dort würde mich mein Vater sofort erwischen.

In dem Moment, als ich mich über die Brüstung lehnen wollte, zog sich Taran gerade hinauf und wir stießen beinahe mit den Köpfen zusammen.

„Beim Schöpfer, Aly! Du hast mich fürchterlich erschreckt.“

Ich bekam keine Chance zu antworten, denn er sprang leichtfüßig zu mir hinauf und schloss mich in seine Arme.

„Du siehst so hübsch aus“, flüsterte er mir ins Ohr.

Mein Herz schlug wie wild, so wie jedes Mal, wenn er mir gegenüberstand. Ich wusste, wie falsch es war, was für mich auf dem Spiel stand. Und für ihn erst … Doch diesen Teil meines Geistes und Herzens konnte mein Vater nicht befehligen. Seine Drohungen sickerten einfach hindurch und verfingen sich nicht in den Maschen meines Kopfes. Ja, Vater, ich werde ein gutes Mädchen sein …

Doch ich war keins. Wann immer ich Taran erblickte, war es mit dem guten Mädchen vorbei. Sein dunkelbraunes Haar, das er stets lang trug und in leichten Wellen auf seine Schulter herabfiel. Die braun gebrannte Haut. Die großen, dunklen Augen, seine schlanke Gestalt, der leichte Bart, der sich hin und wieder abzeichnete … all das ließ mich jedes Mal zu ihm laufen. Wie die Motte, die ich ja war.

Taran ließ mich auf die Brüstung sinken und griff nach meiner Hand.

„Du hast mir gefehlt“, sagte ich leise.

„Du mir auch. Diese Sommerresidenz ist jedes Mal eine Qual. Ich muss tausend Ausreden erfinden, um dich besuchen zu können.“

„Es wird noch schwieriger werden, Vater will bald wieder zurück in die Stadt. An den Hof.“

So sehr ich das Immerschloss liebte, so war es dort ungleich gefährlicher. Zu viele neugierige Augen. Und Taran dort unterzubringen, wäre schwierig. Vater wurde schnell argwöhnisch, wenn ich Männer erwähnte und daher konnte ich schlecht um eine Stellung für ihn bitten, ohne sein Misstrauen zu wecken.

„Denkst du, wenn ich zum Erben meines Onkels auserkoren werde, könnte ich ihn fragen?“

Tarans Onkel, Lord Hanon Zeamark, war verflucht reich. Sein Bruder – und damit Tarans Vater jedoch nicht. Er entsprang einem geächteten Teil des Hauses Zeamark. Da gab es Hexereianschuldigungen, die Tarans Mutter betrafen. Zauberei war in Ilaphia ein heikles Thema und niemand, der etwas auf sich hielt, wollte so jemanden in der Familie haben. Tarans Vater hatte eine zweite Frau gehabt, über die niemand etwas Schlechtes hatte sagen können und auch Tarans Halbbrüder wurden gesellschaftlich akzeptiert. So gab es nun die eine Seite und die andere.

Taran war auf der falschen Seite geboren worden, und damit für mich unerreichbar. Es sei denn, der alte Hanon setzte ihn als Erben ein, denn Nachkommen besaß er keine. Eigentlich war er nicht wirklich Tarans Onkel, aber darum scherte man sich niemand. Auch, weil Tarans Vater mittlerweile verstorben war und Lord Zeamark einfach die letzten Familienbande zusammenhielt.

„Ich würde es mir so sehr für dich wünschen“, hauchte ich. „Du hättest es verdient. Du bist deinem Onkel stets zur Hand gegangen und hast all seine Beleidigungen und Falschheiten geschluckt. Der Schöpfer muss dich endlich für die Treue zu deiner Familie belohnen.“

Taran lächelte und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „So, wie du das sagst, glaube ich es bald selbst, Aly.“

„Es wird bestimmt so eintreffen“, beharrte ich auf meinen Wunsch. „Es ist ungerecht, was dir widerfahren ist. Was kann jemand für seine Mutter? Man hat sich nicht ausgesucht, geboren zu werden!“

„Werd nicht so zornig“, beruhigte er mich und strich mir über die Wange. „Komm, wir wollen über nette Dinge sprechen, nicht über meine verlotterte Familie.“

Ich zog einen Schmollmund, aber ich wusste, dass er recht hatte. Unsere Zeit war viel zu kostbar, als dass wir sie mit den Zeamarks verschwenden durften.

„Wie gerne würde ich dich mit hinaus zum Schwimmen nehmen.“

Er ließ sich neben mir auf der Brüstung nieder und schaute hinüber zum Wasser.

„Und nackt willst du mich auch sehen“, entgegnete ich kess.

„Auch, ja. Aly, schau dich an. Wie sollte ein Mann da nicht schwach werden?“

Ich wurde nie müde zu hören, wie schön ich war. Gewiss hörte man das als Lady häufiger, doch wenn es von Taran kam, mochte ich es umso lieber.

Er küsste mich sacht auf den Mund. „Wir dürfen das nicht und du weißt es.“

Ich war nicht so tollkühn, ihm meine Jungfräulichkeit zu schenken. Kam das heraus, würde mein Vater mich eigenhändig im See ertränken. Doch ich hatte es mir vorgestellt. Viele hundert Male.

„Ich weiß“, bestätigte ich und erwiderte den Kuss. „Aber ich necke dich gerne. Vielleicht, weil ich hoffe, dass du mich eines Tages einfach entführst.“

„Sei nicht so verrückt, Aly. Ich werde den ehrlichen Weg gehen. Wenn mein Onkel endlich sein Testament ändert, dann werde ich bei deinem Vater um deine Hand anhalten. Bis dahin musst du dich nur um eine Verlobung drücken.“

„Das ist kein Problem. Vater sorgt sich eher um meine Schwestern. Er denkt, Alaeris würde keiner wollen und stattet sie derzeit mit einer prächtigen Mitgift aus. Du weißt schon, wegen ihrem lahmen Bein und so … viele Männer möchten keine faule Frucht, wenn sie auch eine saftige haben können.“

„Alaeris ist so ein nettes Mädchen“, murmelte Taran.

Das liebte ich besonders an ihm. Er sah das Herz eines Menschen. Nicht seine Gestalt.

Meine kleine Schwester vergötterte er. Dabei war Alaeris seit ihrer Krankheit stets die Ausgestoßene gewesen, und dass, obwohl sie zum Glück nur ein Humpeln zurückbehalten hatte. Viele stieß das jedoch ab. Ich sah sogar, wie Vater manchmal missbilligend den Kopf schüttelte, weil Alaeris sich täppisch beim Tanzen anstellte oder nicht mit den anderen Mädchen Schritt halten konnte, sobald wir eine Unternehmung machten. Aber besaß sie denn nicht andere Qualitäten als nur ein leicht lahmes Bein? Sie war ein Sonnenschein und hübsch sah sie auch aus mit ihren dreizehn Jahren. Mehr als hübsch. Und schon gleich dreimal hübscher als die langweilige Aemilia.

„Aber er wird dich nicht erst nach Alaeris verheiraten“, zweifelte Taran.

„Nein, doch zunächst ist Aemilia dran. Ich bin die Zweite. Bis dahin vergeht noch einige Zeit. Angeblich will er sie mit dem Kronprinzen verloben und du weißt, wenn die königliche Familie involviert ist, dann dauert es Monate.“

Er griff abermals nach meiner Hand. „Ich hoffe es so sehr. Ich will meinen Onkel nicht drängen, doch er muss verstehen, dass er nicht beides haben kann: Meine Hilfe und gleichzeitig keine Zugeständnisse an mich. Er kommt kaum mit seinen Büchern hinterher und das Kontor betreibe ich praktisch allein.“

Das Haus Zeamark war aus Händlern hervorgegangen, die schließlich in die höchsten Adelskreise aufstiegen. Mit allen nur erdenklichen Ehren und Titeln. Allerdings lag das bestimmt dreihundert Jahre zurück. Ihr Kontor in Luxmore war jedoch geschätzt und wohl bekannt. Dort wurden die besten Waren des Landes beurteilt und vertrieben.

„Ich bin so neidisch“, erklärte ich. „Ich hätte auch gerne eine Aufgabe, der ich mich widmen kann. Es muss spannend sein, all diese Händler zu empfangen, von fremden Waren zu probieren oder ihren Geschichten zu lauschen. Eine adelige Frau darf nur Geld sammeln – für wohltätige Zwecke, denen sie sich aber niemals widmen darf. Ansonsten gibt es nichts für uns, außer Kinder gebären und hübsch aussehen.“

„Wenn du meine Frau wärst, würde ich dich mit ins Kontor nehmen. Du dürftest tun, was immer du wolltest. Du könntest eine eigene Abteilung dort haben. Mit Dingen, die dich interessieren. Was würdest du dort verkaufen wollen?“

„Ich glaube nicht, dass mir das Handeln im Blut läge.“

In Wahrheit wollte ich es unbedingt einmal ausprobieren. Doch ich wollte Taran damit nicht überfallen. Nachher fand er mich vielleicht undamenhaft oder so … Das hätte ich nie ertragen.

„Lady Verwing“, hörte ich Miria rufen.

„Schnell“, befahl ich. „Du musst gehen.“

Ich küsste ihn rasch und sah dann dabei zu, wie er über die Brüstung kletterte.

„Ich komme bald wieder zurück“, versprach er.

„Ich hoffe es sehr“, rief ich ihm zu, dann verschwand Taran zwischen den Felsen am See unter mir.

„Ich bin hier“, rief ich zu Miria hinüber.

Ich lehnte mich trotz meines teuren Kleides aus tarentinischer Seide gegen die Brüstung und wartete, was meine Dienerin so Wichtiges zu verkünden hatte, dass sie sogar Taran vertrieb. Zu meiner Bestürzung kam sie jedoch zusammen mit meinem Vater auf den Balkon.

„Alysea, dein Kleid“, tadelte er mich, als er mich sah.

Ich trat rasch nach vorn. „Entschuldigt, Vater“, gab ich zurück. „Ich war in Gedanken.“

„Miria, bring uns ein paar Köstlichkeiten aus der Küche“, befahl er.

Beim Schöpfer, warum wollte er allein mit mir sprechen? Hatte er etwa herausgefunden, dass ich mich mit Taran traf? Mein Herz schlug wieder so schnell wie in dem Moment, als Taran über die Brüstung geklettert war.

„Kann ich Euch helfen?“, fragte ich und versuchte, meine Nervosität zu unterdrücken. Vater durfte davon nichts merken.

„Ja, das kannst du, Alysea. Komm, warten wir auf die Törtchen aus der Küche. Ich hoffe, das dumme Ding bringt auch Wein mit. Manchmal ist sie nicht die Hellste.“

„Ich bin sehr zufrieden mit Miria. Oder hat sie etwas angestellt?“

Vater winkte ab und setzte sich auf einen meiner Stühle, direkt neben dem fein gearbeiteten Holztisch, dessen Beine Blumenschmuck aus Marmor zierte.

Er war ein ehrfurchtgebietender Mann mit eisgrauen Augen und grauem Haar, dessen Bart so akkurat gestutzt war, dass meine Schwestern und ich manchmal witzelten, ob er wohl ein Maßband anlegte.

„Setz dich doch. Dann verschandelst du dir auch nicht das Kleid.“

Ich versuchte, seine Laune einzuschätzen. Verärgert wirkte er nicht. Also konnte er nichts von Taran wissen. Hätte er es gewusst, würde er sich nicht die Mühe machen, Küchlein zu bestellen. Er hätte mich einfach erwürgt. Oder mich dem königlichen Scharfrichter vorgeführt. In Ilaphia waren Hinrichtungen pompöse Zeremonien, sie dienten der Abschreckung. Und ich gäbe ein vorzügliches Beispiel für alle adeligen Töchter ab, die ihrem Vater nicht gehorchen wollten.

Also wartete ich, bis Miria mit weiteren Dienern zurückkehrte und auftischte, während mein Vater belanglose Dinge über den schönen See im Licht der Sonne sprach. Man stellte uns ein paar Kirschbrote vor die Nase, Feigenpudding mit Orangendressing und einen frischen Sommersalat mit Mabaren und geräuchertem Fisch aus dem See. Dazu gab es gewürzten Wein mit Honig und Zimt sowie frisches Zitronenwasser, das wohl auf keiner Tafel von Ilaphia fehlen durfte. Ich hatte einmal gelesen, dass sogar der ärmste Bauer darauf bedacht war, Zitronen zu kaufen, wenn er Gäste bewirtete. Nun, vielleicht nicht die Namenlosen, aber die, die Land ihr Eigen nannten und sich einen Namen verdient hatten eben schon.

Auch Vater wartete darauf, dass die Diener verschwanden. Das sah ich ihm an. Er griff nach einem Weinglas und lauerte. In solchen Momenten wollte er mit mir irgendeine Intrige spinnen, die es in den Häusern von Luxmore zuhauf gab. Ich spielte häufig mit, denn, um die Wahrheit zu sagen, machte es mir sehr viel Spaß. Solange es sich nicht gegen Freundinnen von mir richtete. Aber Vater war klug genug, mich niemals auf sie anzusetzen.

Manchmal waren das köstliche Geschichten. So hatte ich einmal den Rittmeister von Lady Everwim beschuldigt, mir ungebührliche Briefe geschrieben zu haben, weswegen Lady Everwim ihre Stellung als Zofe der Königin verlor. Schließlich war sie als Lady dafür verantwortlich, wie sich ihre Diener benahmen.

„Alysea, du bist ein sehr hübsches Mädchen. Ich bin sicher, die Männer drehen reihenweise den Kopf nach dir und du kannst dich beim Tanzen kaum ausruhen, weil jeder versucht, den nächsten Walzer zu ergattern.“

Er wollte etwas. Sonst schmeichelte er mir nie so. Wachsam beobachtete ich ihn, während ich aus meinem Glas trank.

„Sicher. Das wird auch Euch aufgefallen sein, Vater. Die letzte Gesellschaft war äußerst … unterhaltsam.“ Und mit unterhaltsam meinte ich: Langweilig.

Ich hatte mich zu später Stunde fortgeschlichen und mit Taran meinen eigenen Tanz aufgeführt.

„Und nun bin ich in der Bredouille“, begann Vater plötzlich.

„Warum? Ich habe nichts getan, um Euch zu erzürnen oder unserem Haus Schande zu machen.“ Na, zumindest gemessen daran, was er wusste.

„Ich fürchte, es hat eine Verwechslung gegeben“, murmelte Vater und griff nach dem Kirschbrot, um davon abzubeißen.

„Welche?“, fragte ich leise.

„Der König. Er war der Meinung, sein Sohn heirate Aemilia.“ Vater nahm noch einen Bissen von dem Brot.

Das war also das Geheimnis hinter der Delegation, die heute unsere Residenz besucht hatte.

„Das ist es, was ich auch gehört habe“, entgegnete ich.

„Das Problem ist, dass der König dich für Aemilia hält. Er sagte mir ausdrücklich, dass dieses wilde Geschöpf genau das Richtige für seinen Sohn sei und dabei beschrieb er dich. Nicht Aemilia.“

„Er hat mich noch nie gesehen. Schickt ihm Aemilia, er wird sie wohl kaum ablehnen.“

Vater sah auf. „Alysea, das geht nicht. Ich habe ihm versprochen, meine wilde Tochter zu senden. Und das bist du.“

„Und da wird er nicht misstrauisch, wenn Ihr ihm sagt, dass ich nicht Aemilia heiße?“

Ich hatte es zu weit getrieben. Vater sprang auf und funkelte mich wütend an.

„Das ist nicht deine Sorge!“, donnerte er und warf das Kirschbrötchen auf seinen Teller. „Und ich erwarte Gehorsam. Eine von euch wird den Kronprinzen heiraten und es ist mir gleich, welche! Nun ist es eben an dir. Ich kann von meiner Tochter wohl Gehorsam erwarten?“

„Ja, Vater“, sagte ich rasch.

Doch meine Gedanken überschlugen sich. Ich konnte den Kronprinzen nicht heiraten. Ich hatte mich Taran versprochen. Und ich wollte den Kronprinzen auch nicht heiraten. Ich kannte ihn nicht einmal!

Ich stellte meinen Becher auf dem Tisch ab und senkte den Blick. „Warum kann es nicht Aemilia sein, wie abgemacht?“

„Lord Hallowstone hat deine Tugenden angepriesen und der König war begeistert von seinen Erzählungen. Erinnerst du dich an Lord Hallowstone?“

War das der eitle Geck mit dem Goldkragen, mit dem ich einmal getanzt hatte? Ich konnte mich nur vage an ihn erinnern und vor allem verstand ich nicht, warum ausgerechnet das ein schicksalhafter Moment in meinem Leben sein sollte. Schließlich hatte ich nur getanzt!

„Gebt ihm Aemilia“, bat ich noch einmal. „Vater, ich will nicht Königin werden.“

Das stimmte nicht. Eine glatte Lüge. Natürlich wollte ich Königin werden. Aber ich konnte Taran nicht aufgeben. Auf gar keinen Fall. Ich liebte Taran. Gleichzeitig liebte ich die Aufmerksamkeit, die man mir auf Festen schenkte. Ich wollte bewundert werden. Wie mochte das erst als Königin sein? Zwei Löwen rangen in meiner Brust. Einer um die Krone und der andere um die Liebe.

„Alysea, ich erwarte, dass du eine folgsame Tochter bist, wenn man dich ins Immerschloss schickt. Du wirst die Königin von Ilaphia sein. Zudem ist der Kronprinz gut aussehend und sehr großzügig. Mehr kann sich ein Mädchen wirklich nicht wünschen.“

Doch, Liebe!

„Kann ich nicht …“, begann ich erneut, doch Vater war nicht mehr gewillt, meine Ausflüchte zu hören.

„Gibt es irgendeinen Grund, warum du denkst, du könntest den Kronprinzen nicht ehelichen?“, fuhr er mich an.

Ich senkte erneut den Blick und faltete die Hände im Schoß. „Nein, Vater.“

Die Motte hatte sich zu lange dem Licht genähert und Feuer gefangen. Schon bald würde sie zur Erde stürzen und zu einem Haufen Asche vergehen.


Kapitel 2: Ankunft im Immerschloss

Müde sah ich aus dem Fenster der Kutsche hinaus. Schon Stunden waren wir ohne Pause unterwegs und langsam fielen mir die Augen zu. Doch es war unmöglich, in meinem Kleid zu schlafen, denn es war so steif, förmlich und gleichzeitig prunkvoll, dass ich nicht einmal meinen Kopf anlehnen konnte, weil der hohe Kragen sonst zerknitterte.

Vor dem Fenster flog Luxmore, die Hauptstadt von Ilaphia, vorbei und hätte ich mich nach draußen gelehnt, dann hätte ich das Immerschloss sehen können. Ich war schon viele Male dort gewesen und seinen Reiz verlor es auf mich nie. Doch heute konnte ich keine rechte Begeisterung aufbringen, während Miria sich den Hals verrenkte, um aus der Kutsche zu schauen. Sie stand noch nicht lange in meinen Diensten und das hier war mein erster Ausflug mit ihr ins Immerschloss.

Die stupsnasige, rothaarige Miria stammte aus Caemlon, wo alle Menschen so aussahen, und vermutlich hatte sie noch nie etwas so Prächtiges gesehen. In Caemlon bauten sie nicht mit Steinen, sondern mit Holz und es gab viele Zelte, weil die Städte nie an einer Stelle blieben. Deswegen nannte man es auch: das Land der wandernden Städte.

„Kommt dir das, was du siehst, seltsam vor?“, fragte ich freundlich.

Schon früh hatte ich verstanden, meine Launen nicht an meinen Dienern auszulassen, wie es meine Schwestern gerne taten. Es half sehr, wenn die Untergebenen auf meiner Seite waren. Auch, weil Miria deswegen meine Geheimnisse hütete.

„Ist es nicht … verrückt immer nur an einem Ort zu bleiben? Was, wenn Gefahr droht?“

„Dann verteidigt man die Stadt.“

„Aber wie?“

„Wir sind vermutlich schon am Hafen vorbei“, überlegte ich. „Jedenfalls liegt dort eine Festung, Palatena. Heutzutage wird sie meist als Gefängnis benutzt, doch früher setzte sich Ilaphia von dort aus gegen jeden Aggressor, der vom Wasser herkam, zur Wehr. Vielleicht gehen wir die Insel einmal besichtigen, wenn es der Kronprinz erlaubt.“

Ich sprach ganz natürlich über den Kronprinzen, als wäre es völlig normal, dass er von nun an mein Leben beherrschte, aber in Wahrheit wollte ich ihn nicht. Ich wollte die Krone – ja, aber nicht ihn. Wenn ich daran dachte, dass ich mit ihm das Bett teilen musste, dann wurde mir schlecht. Ein Glück, dass ilaphianische Verlobungen ewig dauerten, das gab mir eine Gnadenfrist. Trotzdem drehten sich meine Gedanken immer wieder darum. Ich wollte das nicht. Aber ich hatte hier nichts zu entscheiden. Ganz gleich, wie sehr ich mich nach Taran sehnte.

„Ich glaube, wir sind bald da“, rief Miria aufgeregt und deutete auf etwas, das sie draußen sah.

Ich folgte ihrem ausgestreckten Finger nicht, stattdessen wünschte ich, diese Fahrt würde noch viel länger dauern. Denn noch hatte niemand Macht über mich. Hier, in dieser Kutsche, hatte ich das Sagen. Wenn ich ausstieg, dann wäre ich eine Dienerin. Wie Miria.

Ein Teil von mir betete zum Schöpfer. Dafür, dass der König nach Aemilia schicken ließ. Gleichzeitig wollte ich mir keine großen Hoffnungen machen. Weil ich wusste, dass sie sowieso enttäuscht werden würden. Vater irrte sich sicher nicht. Wenn dieser verdammte Lord Hallowstone mich angepriesen hatte, dann wollte der König mich.

In den letzten Tagen hatte ich oft wach dagelegen und mir ausgemalt, wie mein Leben von nun an sein würde. Ich schrieb meine Gedanken für Taran nieder und bat Miria, den Brief zu versenden. Ob sie es getan oder aus Furcht vor meinem Vater den Brief verbrannt hatte, wusste ich nicht. Sie hätte mich nie verraten, dafür war Miria mir viel zu ergeben. Aber gegen die Angst vor meinem Vater war sie nicht gefeit.

Ich hätte es Taran alles selbst sagen müssen, doch dazu war ich zu feige. Denn ich glaubte, er könnte mich tatsächlich umstimmen. Sodass ich mit ihm davonlief. Dann säße ich jetzt nicht in dieser Kutsche, sondern wäre vielleicht schon in einem anderen Land. Fern von der Krone und dem verfluchten Kronprinzen.

Die Kutsche wurde langsamer, ich konnte die Stimmen der Fahrer von den anderen Wagen hören, die sich Anweisungen zuriefen. Vermutlich näherten wir uns dem prächtigen Innenhof, wo wir die letzten Male ausgestiegen waren.

Und richtig, es dauerte nicht lange, da kam unser Tross zum Stehen und Miria schreckte aufgeregt vom Fenster weg.

„Wie sollen wir uns verhalten?“, fragte sie nervös.

„Warten, bis man unsere Tür öffnet“, wies ich sie an.

Um mich herum brummte es wie in einem Bienenschwarm. Überall hörte ich Stimmen, die durcheinander schnatterten. Vermutlich waren die Höflinge gekommen, um einen Blick auf die Braut des Kronprinzen zu erhaschen. Mein Vater hatte dafür gesorgt, dass ich entsprechend aussah.

Sogar meine Augen hatte er schminken lassen, damit sie noch dunkler, noch geheimnisvoller aussahen. Mein braunes Haar war kunstvoll frisiert und ließ mich mehrere Handbreit größer erscheinen, weil es auf Polstern festgeklemmt war. So straff, dass mir schon der Kopf schmerzte. Der hohe Kragen und der tiefe Rückenausschnitt meines blutroten Kleids mit den goldenen Ziernähten und dem schwarzen Samt am Rock ließ mich finster erscheinen, doch es waren die Farben des Hauses Verwing und Vater hatte eine Menge Geld dafür aufgewendet, das Kleid nach seinem Geschmack schneidern zu lassen.

Du wirst den Kronprinzen verzaubern, hatte er gesagt.

Die Tür zur Kutsche wurde geöffnet und ein eifriger Diener verbeugte sich sofort.

„Dann kommt, Lady Verwing. Lassen wir den Kronprinzen nicht warten“, sagte Miria und half mir auf.

Der Diener verschwand und ich war dankbar, dass die Sonne nicht mehr so brannte. Es dämmerte bereits, eine warme Brise streifte mein Gesicht und es roch nach Sommer.

Die perfekte Uhrzeit für das Immerschloss, dessen pulsierende Blumen Licht spendeten. Die Akranbäume erhoben sich majestätisch an seiner Fassade mit den vielen Fenstern und das Leuchten hüllte den gesamten Platz ein.

Miria half mir beim Aussteigen, denn meine hohen Schuhe machten es mir unmöglich, so eine Treppe herunterzusteigen, wie man sie vor meine Kutsche gerollt hatte.

Vor mir erstreckte sich ein Meer aus Höflingen. Einige kannte ich. Diadema von Stormfold natürlich, sie war die Mätresse des Königs. Jeder im Immerschloss wusste, dass sie die wichtigste Dame am Hof war, seitdem die Königin krank in ihren Gemächern lag. Schon seit einer halben Ewigkeit. Ich hatte zwar Gerüchte über ihre Krankheit vernommen, doch vermutlich stimmte keines davon.

Lady Stormfold war ein wenig älter als Aemilia, vermutlich schon fünfundzwanzig und damit im heiratsfähigen Alter. Doch ihr stand wohl der Sinn nach Höherem. Wer wollte schon einen Lord, wenn er einen König haben konnte? Als Mätresse lebte es sich vermutlich hervorragend.

Lady von Stormfold war eine hochgewachsene Frau, die sogar den König überragte. Blondes Haar, hohe Wangenknochen, eine waschechte Aristokratin von Ilaphia. Hätte man Schulkindern ein Lehrbuch über Aristokraten geben wollen, wäre darauf ihr Antlitz abgeprägt worden, um zu zeigen, was das Thema des Buches war.

Dann Lady Taira Rosegazer, mit der ich viele Stunden auf den Festen im Immerschloss verbracht hatte. Ein nettes Mädchen, manchmal ein bisschen einfältig, doch sie kannte viele Menschen, denn die Rosegazers lebten dauerhaft im Immerschloss, meine Familie nicht. Ihr brünettes Haar hing locker herab und sie winkte mir verstohlen, als ich nach vorne schritt, um mich vor der königlichen Familie zu verneigen.

Der König wartete in der Mitte auf mich. Sein opulenter Mantel konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er kein schöner Mann war. Und, dass ihn eine Krankheit heimsuchte. Vermutlich das Winterfieber, seine Haut wirkte wie fahles Wachspapier.

Und daneben stand er. Kein Zweifel möglich. Das musste Iulius Vexacion Ardem Ashthorne sein. Der Kronprinz. Ein hochgewachsener junger Mann, dunkles, braunes Haar, zu einem Zopf gebunden. Seine Augen waren beinahe bernsteinfarben, nicht braun, so, wie Vater es mir beschrieben hatte. Sein glattes Gesicht hatte etwas Aristokratisches und seine Arme waren muskulös. Ich war mir sicher, dass Iulius von vielen Damen angehimmelt wurde. Ich jedoch verspürte bei seinem Anblick nichts. Keine guten Voraussetzungen für eine Ehe.

Und ich konnte ihm ansehen, dass er dasselbe empfand. Ja, eine gewisse Verachtung lag in seinem Blick.

„Mein König“, sagte ich und verneigte mich zunächst vor seinem Vater, bevor ich „Mein Prinz“ murmelte und auch vor ihm knickste.

Der Kronprinz trat auf mich zu und reichte mir seine Hand. Für einen Moment wollte ich fortlaufen. Wenn ich mich jetzt umdrehte, dann … würde ich vermutlich noch am Tor abgefangen werden. Anschließend würde meine Familie mit Schimpf und Schande davongejagt werden und mein Vater würde mich zuhause erschlagen und meinen Namen aus der Familienchronik tilgen.

Ich reichte ihm die Hand und trat an seine Seite, bevor mein Vater und die restlichen Mitglieder unserer Reisegesellschaft die Gelegenheit hatten, dem König aufzuwarten.

Samarco Vexacion Ashthorne, das Oberhaupt der königlichen Familie, begrüßte meinen Vater wie einen alten Bekannten. Offenbar wunderte es ihn nicht, dass ich an der Seite seines Sohnes stand, nicht Aemilia.

Niemand sprach mich an. Und bevor ich nicht mit Iulius verlobt war, durfte ich mich nicht an die anderen wenden, die über mir im Rang standen.

Iulius sagte kein Wort zu mir, während mehr und mehr Höflinge sich um uns drängten und sich mit den Frauen und Männern aus Vaters Gefolge mischten. Der Kronprinz hielt zwar meine Hand, aber sein Blick war starr auf den Boden gerichtet.

Ich fühlte mich vollkommen überrumpelt, während die Höflinge plauderten und mich links liegen ließen. Durfte ich etwas sagen? Nein, das wäre ein Bruch des Protokolls.

Doch schließlich kehrte der König zu mir zurück und erlöste mich aus meiner Starre.

„Was für eine bezaubernde Braut du abgeben wirst, Aemilia“, sagte er.

Ich bin Alysea, dachte ich bei mir und hätte schreien können. Mein Vater, der neben dem König stand, korrigierte die Verwechslung nicht.

„Du musst müde sein“, fuhr der Regent fort und stieß seinen Sohn an. „Iulius, zeig deiner Braut ihre Gemächer, dann kann sie sich einrichten.“

Ich knickste abermals und winkte dann Miria herbei, die sich bereits ein paar Bedienstete gesucht hatte, um mein Gepäck abzuladen.

„Komm“, befahl ich ihr. „Das kannst du später machen.“

Miria verneigte sich hastig und stand dann unschlüssig da, weil der Kronprinz keine Anstalten machte, loszugehen, wie sein Vater befohlen hatte.

Er lehnte mich ab. Trotz meines teuren, aufsehenerregenden Kleids scherte sich der Kronprinz einen feuchten Dreck um mich. Heißer Zorn wallte in mir auf. Was hatte ich diesem Kerl denn getan? Ehen wurden in Ilaphia nicht geschlossen, weil zwei sich liebten. Sondern, weil Familien sie arrangierten. Ich verzichtete nun wahrlich auf mehr. Oder nicht? Besaß Iulius Ashthorne vielleicht auch eine heimliche Geliebte, der er die Treue geschworen hatte?

„Kommt“, sagte er schließlich und ich nickte.

Es war das erste Wort, das er an mich richtete.

Er hatte meine Hand mittlerweile losgelassen und ging einfach davon, sodass ich ihm hinterherlaufen musste. Als wäre ich ein Hund oder eine Dienerin.

Der Zorn kehrte wieder zurück und sorgte dafür, dass ich kraftvoll hinter ihm her schritt. Am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt. Was bildete sich dieser Kerl ein? Kronprinz hin oder her … so behandelte man keine Lady.

Ich versuchte, mir die letzten flüchtigen Begegnungen mit dem Kronprinzen in Erinnerung zu rufen. Aber er hatte nie ein Wort mit mir gesprochen. Jedenfalls keines, das über einen Gruß oder ein „Auf Wiedersehen“ hinausging. Vielleicht war er ein wortkarger Mensch?

„Hier entlang“, murmelte er und führte uns durch einen Nebeneingang des Immerschlosses, der sich in einem der Akranbäume befand.

Ein sachte pulsierendes Licht erhellte das Treppenhaus und ich hätte es unter normalen Umständen spannend gefunden, das Innere eines solchen Baumes zu erkunden. Doch jetzt stand mir nicht der Sinn danach.

Wir stiegen schweigend die Wendeltreppe hinauf und erreichten irgendwann einen Flur mit edlen Teppichen und Wandgemälden. Einige zeigten wilde Tiere, wiederum andere wichtige Personen von Ilaphia. Ich erkannte den berühmten Sterndeuter Theodos von Glamfold und die Kriegerkönigin Alaeris, nach der meine jüngste Schwester benannt war.

Ich hatte bisher noch nie in diesem Teil des Immerschlosses gewohnt, es war der Flügel der königlichen Familie, und konnte meinen Blick kaum abwenden. Iulius beachtete die Bilder nicht. Vermutlich sah er sie jeden Tag und auch mir würden sie bald gleichgültig sein.

Der Kronprinz wählte eine Tür am Ende des Ganges, dort, wo der nächste Akranbaum emporwuchs und öffnete sie.

„Wenn Ihr etwas braucht, Lady Verwing, dann ruft nach den Dienern. Sie werden sich um alles Nötige kümmern.“

Und so schnell, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Ich sah ihm hinterher, wie er den Gang entlangschritt und mich zurückließ. Miria spähte bereits durch die geöffnete Tür meiner Gemächer.

„Hier könnt Ihr nicht wohnen, Lady Verwing“, quiekte sie erschrocken.

Verwirrt schaute ich zu ihr hinüber. Ich hatte noch keinen Blick hineingeworfen.

„Warum nicht?“, wollte ich wissen.

Miria stieß die Tür ein Stück weiter auf. „Weil diese Räume heruntergekommen sind.“

Tatsächlich. Ich sah einen großen Empfangsraum mit zerschlissenen Polstersesseln und einem Altar des Schöpfers, bei dem die Figuren größtenteils zerschlagen waren. Die Buntglasornamente der großen Fenster zerbrochen. Eine der Türen, die von dem Raum abging, lag auf dem Fußboden.

„Das kann er nicht ernst meinen“, flüsterte ich fassungslos.

„Ich gehe sofort Euren Vater holen. Wartet hier. Das darf er nicht“, entrüstete sich Miria.

„Natürlich darf er das.“ Mit einem Mal war aller Zorn verflogen und meine Müdigkeit schlug zu. Ich ließ mich einfach auf einem der zerschlissenen Polster nieder. „Er ist der Kronprinz. Er darf alles. Auch seine künftige Königin in den grässlichsten Zimmern des Schlosses wohnen lassen, wenn ihm danach ist.“

 

Ich ließ mir nichts anmerken, als ich den Festsaal des Immerschlosses betrat. Wahrscheinlich wartete Iulius nur darauf, dass ich mich beklagte, um so einen Streit zu provozieren. Nun, da konnte er lange warten, ich hatte zwei Schwestern. Streit gab es da ständig und ich wusste, wie man sich heraushielt und bei den Eltern beliebt machte. Indem man vor allem nicht klagte.

Stattdessen hatte ich Miria geschickt, Diener des Immerschlosses zu holen und zumindest für Sauberkeit zu sorgen. Anschließend konnte ich mich immer noch um meine Habseligkeiten und die heruntergekommene Einrichtung kümmern.

Mein Kleid für das Fest war gewagt. Ein tiefer Rückenausschnitt, so, wie es derzeit Mode war, ein luftiger Seidenschal, der kaum meine Schultern verhüllte und dazu eine bezaubernde Stickerei aus Weiß und Grün. Außerdem trug ich den Kopfschmuck meiner Mutter, eine feine Arbeit von Schmieden aus Tarentin, mit zwei Falken, die jeweils einen Flügel ausbreiteten und einen grünen Edelstein hielten. Man steckte sie in die Haare, sodass die Schwingen sich um die Stirn legten.

„Lady Verwing“, rief jemand und ich drehte mich um.

Das war Diadema von Stormfold.

„Guten Abend, Lady von Stormfold“, begrüßte ich sie.

Als Mätresse hatte sie zurzeit einen höheren Stellenwert als ich. War ich erst mit dem Kronprinzen verlobt, sah das ganz anders aus.

„Nicht so förmlich“, flötete sie. „Ich bin Diadema. Und Ihr? Aemilia, richtig?“

„Alysea. Ich glaube, jemand hat dem König einen falschen Namen übermittelt“, versuchte ich es diplomatisch.

„Das war sicher Lord Hallowstone. Er hat ein Gedächtnis wie ein Sieb. Na, dann müssen wir das richtigstellen.“ Sie nahm mich beim Arm und zog mich einfach mit sich, obwohl ich um keinen Preis mit der Mätresse des Königs Zeit verbringen wollte. Die Königin wäre mir lieber gewesen.

Lady von Stormfold führte mich unter den zahllosen Lichtern ein paar Stufen hinunter und ich stand plötzlich vor dem Thron des Königs.

„Mein Gebieter“, rief sie verführerisch.

Der König, der gerade mit einem Gesandten aus Tarentin geplaudert hatte, drehte sich tatsächlich abrupt herum und kam zu uns.

„Mein Gebieter“, wiederholte Lady von Stormfold. „Ich glaube, der dumme Lord Hallowstone hat Euch einen falschen Namen genannt. Die schöne Braut heißt Alysea. Nicht Aemilia.“

Für einen kurzen Moment wirkte der König verwirrt. Vermutlich durchforstete er sein Gedächtnis nach den Gesprächen mit meinem Vater.

„Alysea?“, fragte er verwundert. „Ich dachte, Ihr wäret Aemilia Verwing.“

„Nein, mein König“, sagte ich rasch und für einen winzigen Moment blitzte der Wunsch auf, dass er mich nach Hause schickte. Fort von diesem schrecklichen Ort und dem Kronprinzen – zurück in Tarans Arme.

„Wie peinlich. Verzeih, meine Liebe“, erwiderte er zu meiner Verwunderung und nahm meine Hand.

Das hatte ich vom König nicht erwartet.

„Wie unangenehm muss dir das gewesen sein. Diadema, sieh zu, dass du meinen Schreiber findest. Die Bekanntmachungen müssen geändert werden. Und bring mir sofort Lord Hallowstone her. Dieser Trottel hat die Braut meines Sohns beschämt.“

Zu meinem Entsetzen war ich plötzlich allein mit dem König, denn Diadema von Stormfold tat wie geheißen und eilte davon. Offenbar war sie nicht nur die Mätresse des Königs, sie half ihm auch mit anderen Sachen.

Trotzdem war ich beeindruckt, dass der König sich nicht als unfehlbar sah und sich gegenüber mir, einer Untertanin, entschuldigte. Das ließ ihn in meiner Achtung steigen. Er hätte auch darauf bestehen können, dass ich fortan Aemilia hieß, damit er sich keinen neuen Namen merken musste.

Ich lächelte ihn an und sagte: „Ich hoffe, ich habe Euch keine Umstände bereitet.“

„Nein, nein“, meinte der König nur und winkte nach einem Diener. „Trinkt einen Schluck mit mir, meine Liebe. Ich möchte die Zukünftige meines Sohnes besser kennenlernen. Schließlich gehörst du bald zur Familie.“

Um wie viel besser wäre ich dran gewesen, wenn ich den König geheiratet hätte und nicht seinen missmutigen Sohn, der keinerlei Interesse an mir hatte. Zwischen ihnen lagen Welten.

Stumm wartete ich mit gesenktem Blick, bis der Diener zwei Becher Wein zurückbrachte und der König mir einen davon in die Hand drückte.

„Habt Ihr meinen Sohn schon gesprochen?“, fragte er.

„Noch hatte ich keine Gelegenheit, mein König“, sagte ich artig.

Was nicht an mir lag, sondern an ihm.

„Iulius ist ein schweigsamer Bursche, aber mit der richtigen Frau wird er schon auftauen. Schließlich muss er eines Tages nichts anderes tun, als reden. Ein König plappert den ganzen Tag. Mal über Nichtigkeiten, mal über Dinge, die das Reich ins Chaos stürzen könnten. Das bringt die Königswürde so mit sich. Ich hoffe, du kannst ihn ein wenig aus seinem Schneckenhaus locken.“

„Ich werde mir Mühe geben“, erwiderte ich und kostete den Wein, der einen leicht goldenen Schimmer besaß.

„Hast du dich in deinen Gemächern eingelebt? Fehlt dir an etwas? Da du Mitglied des königlichen Haushalts bist, zahlt der Schatzmeister deine Rechnungen. Wenn dir also der Sinn nach einer Umgestaltung steht, darfst du gerne Handwerker kommen lassen. Ich weiß doch, wie Frauen sind. Man kann es ihnen nie recht machen, wenn es um Mode oder die Einrichtung geht.“

Ich lächelte ihm unverbindlich zu, weil ich das für den größten Unsinn hielt, den ein Mann von sich geben konnte. Ich war nicht unzufrieden, weil ich eine Frau war, sondern weil sein Sohn unverschämt war. In meinem Flur wohnte außer mir niemand! War das zu fassen?

„Ich habe bereits ein paar Ideen“, behauptete ich und der König lachte. Miria und die Diener des Schlosses hatten keine Wunder bewirken können, es war eine Zumutung in dem alten, zugigen Schlafzimmer zu übernachten, daher würde ich dieses Angebot ausschöpfen.

„Wusste ich’s doch, alle Damen wollen die Herrin über ihre Gemächer sein. Was ist deine Lieblingsfarbe, Alysea? Dann lasse ich Blumen für deinen Balkon schicken.“

„Eisblau“, antwortete ich.

„Wunderbar. Da weiß ich etwas.“

Es fiel mir nicht schwer, den König zu mögen. Er war ein netter Herr und meine Abneigung gegen seine Familie verflüchtigte sich mit jedem Wort, das ich mit ihm wechselte.

„Ich hatte gehofft, ich könnte Eure Gattin auch kennenlernen, mein König.“

„Meine liebe Frau ist leider schwer erkrankt und verlässt ihre Gemächer nur noch selten. Aber ich werde dafür sorgen, dass sie zu deiner Verlobungsfeier kommt und ihr einander kennenlernt. Schließlich bist du bald ihre Schwiegertochter und deine Kinder werden einmal den Thron erben.“

„Ich würde mich sehr darüber freuen. Der Königin bin ich bei Hofe noch nie begegnet“, erwiderte ich diplomatisch.

Doch in Wahrheit suchte ich nach einem Fingerzeig für Iulius’ ablehnendes Verhalten. Denn an seinem Vater schien es nicht zu liegen. Er war ein offener Mann, der gütig und freundlich plauderte und durchaus auch mal scherzte.

„Offen gestanden war ich etwas schockiert, dass du nicht Aemilia bist. Ich dachte, man hätte mir die falsche Verwing geschickt“, fuhr der König fort, während er vom Wein trank. „Ich sah dich einmal beim Tanz, wo du allen Höflingen den Kopf verdrehtest, und fand dich bezaubernd. Genau die richtige Frau für Iulius. Laut, wild und dennoch fügsam. Du strahltest das aus. Und Lord Hallowstone beschrieb dich genauso, nachdem er dich sah. Mit deinem Vater hatte ich bereits abgemacht, dass Iulius Aemilia heiratete, so dachte ich, du wärst eben Aemilia, denn ich wollte unbedingt, dass du an den Hof kommst.“

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Zum Glück rettete mich Diadema von Stormfold, die in diesem Moment zurückkehrte.

„Ihr seid ja immer noch hier, mein König“, lachte sie. „Ich habe die Schreiber angewiesen, die Bekanntmachungen neu aufzusetzen und Lord Hallowstone ausfindig gemacht. Wenn Ihr mitkommen wollt, dann könnt Ihr sofort mit ihm sprechen.“

„Ah“, machte der König. „Das werde ich. Dieser dumme Tor, er bringt ständig alles durcheinander. Ich werde ihm die Zeit der Schreiber in Rechnung stellen, die Pergamente und die Tinte auch. Du entschuldigst mich, Alysea?“

Ich verneigte mich leicht und murmelte: „Mein König.“

Dann stand ich wieder allein in der Menge. Menschen, die sonst mit mir gescherzt und geplaudert hatten, waren so weit von mir entfernt, dass ich mich ihnen nicht anschließen konnte. Offenbar schienen sie sich alle vor mir zu fürchten, jetzt, wo ich plötzlich die künftige Königin von Ilaphia sein würde.

Und wo war eigentlich der Kronprinz? Der König hatte das Bild eines introvertierten Jungen gezeichnet, nicht das eines ablehnenden Fieslings, der mich nicht leiden konnte. Vielleicht war das seine Art, mit Fremden umzugehen? Die musste er schnell wieder ablegen, wenn er auf dem Thron sitzen wollte.

Ich lief ein paar Schritte mit meinem Weinbecher und sah mich verstohlen um. Dezente Musik durchdrang das Geplauder. Ich wusste, dass nicht zu jedem Anlass im Immerschloss getanzt wurde, doch ich wollte heute wenigstens einmal die Tanzfläche sehen. Sofern mich jemand aufforderte. Mein Zukünftiger wirkte nicht so, als hätte er das vor. Durfte ich überhaupt tanzen, wenn er mich nicht auswählte?

Ich erreichte einen Säulengang, der die Balkone abtrennte, frische Luft drang von draußen herein. Und für einen winzigen Moment glaubte ich, ein bekanntes Gesicht wahrzunehmen. Aber das konnte nicht sein.

Ich beschleunigte meine Schritte und blickte zwischen ein paar Damen hindurch, die mir keine Beachtung zollten. Da stand er. Kein Zweifel. Taran.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Halluzinierte ich? Taran konnte unmöglich im Immerschloss sein, er war nicht reich genug, um sich das leisten zu können, und vor allem durfte er nicht herkommen. Er würde mich ins Verderben stürzen. Weil ich ihn niemals zurückweisen konnte.

Ich eilte auf ihn zu. Wie die Motte, die ich immer gewesen war. Alle Vorsicht ließ ich fahren, als ich ihn sah. Mir war gleichgültig, dass andere bemerken konnten, mit wem ich sprach und was geschah.

Taran nickte mir zu und ich verstand, als er sich daraufhin umdrehte und durch die Säulen auf den Balkon verschwand. Der Spätsommerabend ging zu Ende und eine frische Brise streifte mein Gesicht, als ich hinaustrat. Ein Glück, dass außer uns niemand hier war. Offenbar war der Abend noch nicht fortgeschritten genug, denn ich wusste, dass sich hier viele Liebespaare zum Stelldichein trafen.

Ich blieb in der Tür des langen Balkons mit den vielen Lichtern stehen. Papierschirme spendeten Farbe und Wärme, leuchtende Blumen schimmerten aus den Kästen und Taran lehnte an der Balustrade.

„Wieso bist du hier?“, flüsterte ich.

„Ich konnte dich nicht gehen lassen“, gab er zu und betrachtete mich eingehend.

„Wie kann das sein? Taran, du riskierst deinen Kopf, wenn du hier bist. Und meinen.“

„Ich liebe dich, Alysea.“ Seine Stimme klang dennoch zornig. „Es macht mich wahnsinnig, dass du diesem verzogenen, hirnlosen Prinzen versprochen bist. Weißt du, was seine liebsten Beschäftigungen sind? Grausamkeit und Weiber.“

Die Beschreibung des Königs hatte ganz anders geklungen. Aber ich konnte darauf nichts erwidern, denn ich wollte mit Taran nicht über Iulius sprechen.

„Denkst du, ich hatte eine Wahl? Mein Vater hat mich gegen meinen Willen hergeschickt. Raus damit. Warum bist du hier?“

„Ich würde lieber umkommen, als dich alleinzulassen“, gab er zurück. „Ich habe mit Engelszungen auf meinen Onkel eingeredet, aber er hat mein Einkommen gestrichen, sobald ich vom Hof sprach. Daher habe ich Zygia verkauft, um die Fahrt hierhin zu bezahlen, und ich habe ein Empfehlungsschreiben meines Onkels in der Tasche. Es ist mein gutes Recht, hier zu sein. Ich habe es mir selbst ermöglicht.“

„Taran, das ist wahnsinnig. Beim Schöpfer, ich würde es nicht ertragen, wenn sie dich …“ Wieso tat er das nur? Ich wusste, wie viel ihm sein Pferd bedeutete, es hatte Unsummen gekostet, weil es aus der Zucht des Hohepriesters von Kunai stammte. Zygia war sein Ein und Alles. Wenn er sie für mich verkaufte, dann … bei Astaria, ich wollte nicht darüber nachdenken. Taran opferte bereitwillig alles, was er besaß, nur, um bei mir zu sein. Und ich machte ihm eine Szene. Ich errötete vor Scham.

Aber die Wahrheit war auch, dass ich es nicht ertragen konnte, ohne ihn zu sein. Ich brauchte Taran. Ich liebte Taran. Jede Faser meines Körpers sehnte sich nach ihm. Nicht einen Gedanken verschwendete ich an Iulius, wenn ich des Nachts in meinem Bett lag und nicht schlafen konnte. Dort war nur Platz für Taran.

Ich klammerte mich immer noch mit beiden Händen an den Säulen fest. Wollte ihm auf keinen Fall nahekommen. Weil ich wusste, dass er mich dann küsste. Und wenn das geschah, konnte ich für nichts mehr garantieren.

„Wie bist du in den Palast gekommen?“, verlangte ich zu wissen.

„Ich habe eine Anstellung bei Lord Belmont und bleibe mit ihm hier. Du weißt, dass Lord Belmont seine Rennpferde stets zum Karneval nach Luxmore bringt und dafür eine helfende Hand braucht.“

„Du bist jetzt Pferdewirt?“, fragte ich verwundert. Lord Belmont war kein Freund der Zeamarks und würde Taran bestimmt keine gute Stelle geben.

„Nein, Stallmeister. Lord Belmont hat Zygia gekauft. Und sich mit mir über Pferde unterhalten – er versteht etwas von der Zucht und ich auch. So sind wir miteinander ins Geschäft gekommen.“

Es überraschte mich, dass Lord Hanon Zeamark seinem Neffen überhaupt hatte gehen lassen. Er hielt Taran beständig hin und spannte ihn stets für lästige, aufwendige Aufgaben ein.

„Ich werde auf dich achtgeben“, offenbarte Taran mir.

„Ich muss auf mich selbst achtgeben“, erwiderte ich vorsichtig.

Doch ich wollte nichts mehr, als dass er genau das tat. Denn niemand sonst würde das übernehmen. Mein künftiger Gemahl? Ha. Der war vermutlich froh, wenn ich in Ungnade fiel oder mir den Hals brach.

Taran machte Anstalten näherzukommen, doch ich schüttelte den Kopf. „Nicht“, flehte ich. „Mach es mir nicht noch schwerer.“

„Ich werde bleiben. Ob es dir gefällt oder nicht. Und wenn ich feststelle, dass dieser Kerl nicht gut für dich ist, dann hole ich dich hier raus und fliehe mit dir.“

„Das kannst du nicht, Taran. Das hier ist das Immerschloss. Das Reich der Ashthornes. Wir wären schneller tot, als wir überhaupt aus der Stadt kämen.“

„Das kümmert mich nicht. Hauptsache, dieser Prinz bekommt dich nicht. Er hat dich nicht verdient. Soll er eine seiner Dutzenden Huren heiraten. Wusstest du, dass er sie aufsucht?“

„Taran, wir wissen beide, dass er nicht das ist, was ich will. Aber mein Vater hat mich versprochen, also muss ich gehorchen. Ganz gleich, was ich mir für mich wünsche. Oder für dich.“

Die Musik im Saal wurde lauter. Vermutlich begann jetzt der Tanz.

„Bitte, Taran … such mich nicht auf. Es tut mir weh“, bat ich ihn.

„Kannst du nicht verstehen, dass es auch mich schmerzt?“, lautete seine Antwort.

In seinen Augen konnte ich lesen, wie sehr ihn das alles verletzte. Doch ich konnte es nicht ungeschehen machen.

„Ich werde immer bei dir sein“, erwiderte er leise. „Erst wenn du mir sagen kannst, dass du mich nicht mehr liebst … werde ich verschwinden. Kannst du das, Alysea?“

Ich schüttelte den Kopf. Allein der Gedanke an diese Worte trieb mir die Tränen in die Augen.

Taran lächelte mich traurig an. „Siehst du. Ich könnte es auch nicht sagen. Und so lange bleibe ich bei dir.“

Nika S. Daveron

Über Nika S. Daveron

Biografie

Nika S. Daveron stellte bereits im frühen Alter von 8 Jahren fest, dass das Beste am PC die Tastatur war – neben dem väterlichen Gratisvorrat an leeren Blättern. Geboren im schönen Köln, lebt sie derzeit in Neuss und ist als Sales & Account Managerin tätig. Wenn sie sich nicht gerade im Sattel oder...

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