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Love at Second Sight Love at Second Sight - eBook-Ausgabe

Sophia Chase
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Roman

— Humorvolle „Fake Dating“-Romance für alle LeserInnen von Elena Armas!
Paperback (15,00 €) E-Book (4,99 €)
€ 15,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 02.05.2025 In den Warenkorb Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
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Love at Second Sight — Inhalt

Manchmal zeigt sich die wahre Liebe erst auf den zweiten Blick … 

Ein Abendessen mit ihrem attraktiven, aber viel zu ehrgeizigen Chef Josh wird für Valerie zum Desaster. Unverhofft bekommt sie Hilfe von einem charmanten Fremden, der sich als ihr Freund vorstellt und sie aus der Situation befreien will. Nur stellt sich heraus: Fakefreund Dario ist baldiger Geschäftsführer ihrer Firma und so werden die beiden gezwungen, ihre Fakebeziehung im Büro fortzusetzen! Aber Valerie bemerkt allmählich, dass ihr Chef Josh doch nicht so kaltherzig ist, wie es schien, und ihr Herz klopft immer stärker, wenn sie ihm begegnet ... Aber kann eine Fake-Trennung von Dario gut gehen? 

Sophia Chase erzählt mit ganz viel Humor die etwas andere Fake-Dating-Romance! 

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erscheint am 02.05.2025
384 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06546-7
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€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erscheint am 02.05.2025
384 Seiten
EAN 978-3-492-60949-4
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Leseprobe zu „Love at Second Sight“

KAPITEL 1

Unerwarteter Besuch

Valerie

„Er hat das Haus und den Hund bekommen. Sie den Rest, und der hatte in einem Umzugswagen Platz. Einem kleinen.“

Meine Zunge musste ich mir längst blutig gebissen haben. Gepaart mit dem amüsierten Lächeln, das ich mir abrang (wofür ich mich zutiefst verachtete), sah ich vermutlich wie jemand aus, der eine allergische Reaktion auf Erdnüsse erlitten hatte. Wobei mir einfiel, dass ich niemanden kannte, der auf Erdnüsse allergisch reagierte. Sollte das jetzt passieren, müsste ich mein verstaubtes Wissen über Erste Hilfe erst [...]

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KAPITEL 1

Unerwarteter Besuch

Valerie

„Er hat das Haus und den Hund bekommen. Sie den Rest, und der hatte in einem Umzugswagen Platz. Einem kleinen.“

Meine Zunge musste ich mir längst blutig gebissen haben. Gepaart mit dem amüsierten Lächeln, das ich mir abrang (wofür ich mich zutiefst verachtete), sah ich vermutlich wie jemand aus, der eine allergische Reaktion auf Erdnüsse erlitten hatte. Wobei mir einfiel, dass ich niemanden kannte, der auf Erdnüsse allergisch reagierte. Sollte das jetzt passieren, müsste ich mein verstaubtes Wissen über Erste Hilfe erst herauskramen.

Ich schweifte ab, war unkonzentriert. Noch immer bewegten sich Joshs Lippen, als hätte ich einen Fernseher bloß stumm geschaltet.

„Sie hat alles verloren“, fuhr er fort, mir von der schlammschlachtartigen Scheidung unserer Kollegen Leo und Reese zu erzählen, die in den vergangenen Wochen den gesamten Pausentratsch gefüllt hatte. Josh war ein eher unterkühlter, karrieregeiler Typ. Emotionen – für ihn ein Zeichen von Schwäche. Menschlichkeit – noch nie davon gehört.

Umso erstaunlicher erschien es mir, wie sehr ihn diese Scheidung beschäftigte. Fürchtete er sich vor Unruhen in seiner Abteilung?

Ich hörte die Geschichte dieser Trennung bedauerlicherweise nicht zum ersten Mal. Durch das detaillierte Wissen, das ich gänzlich gegen meinen Willen erworben hatte, bekam ich immer stärker das beklemmende Gefühl, Teil dieser Ehe gewesen zu sein. Nicht als Ehepartnerin, aber doch zumindest in vergleichbarer Stellung wie der Hund Jerry, den Leo erfolgreich erstritten hatte. Nach der Scheidung hatte er ihn in ein Tierheim gebracht, weil er keine Zeit für irgendetwas anderes als seine Karriere aufbringen wollte.

In dieser Hinsicht waren sich mein Boss Josh und Leo beängstigend ähnlich. Josh war arbeitssüchtig und ehrgeizig – aber nicht auf diese charmante Art, die man Menschen gern zuschrieb. Vielmehr lag ihm alles daran, seine Karriere voranzubringen. Damit ihm das gelang, bezeichnete er seine Angestellten (also auch mich) hinter vorgehaltener Hand gern mal als Idioten.

Sehr sympathisch. Nicht.

Bedauerlicherweise war Josh mit einer Mischung aus Selbstvertrauen und -überzeugtheit gesegnet, für die es in keinem Lebenslauf dieser Erde eine Spalte gab. Die Menschheit hatte es bis dato sogar versäumt, einen Begriff dafür zu kreieren. Nicht zum ersten Mal versuchte ich mich daran, den Mann vor mir zu kategorisieren.

Ich studierte sein Gesicht – sein kantiges Kinn, dazu die weichen Lippen und diese dunklen, aufmerksamen Augen. Auch sein Aussehen war ein einziger Gegensatz. Seine Haltung war stets erhaben, doch gleichzeitig strahlte Josh Lässigkeit aus, wenn er beispielsweise durch die Flure der Porter Medical Group schlenderte.

Er war verdammt klug. Meistens allerdings kam es mir so vor, als würde er mit aller Macht versuchen, niemanden an seinem Wissen teilhaben zu lassen. Ich hielt ihn für einen Mistkerl, der es liebte, wenn andere auf ihn angewiesen waren.

Bos(s)haft-charmant, das beschrieb ihn am besten.

Josh war vor mir in der Firma gewesen. Einem Pharmaunternehmen, dem vor Jahren ein Durchbruch im Sektor der Forschung zu Bluthochdruck gelungen war. Es gab eine eigene Forschungsabteilung (in der arbeiteten unter anderem Josh und ich). Wir beschäftigten uns dort nicht nur mit der Weiterentwicklung bereits bestehender Wirkstoffe, sondern konnten mithilfe von Kooperationen auch neue Substanzen oder Behandlungsarten untersuchen. Die Firma bestand insgesamt aus circa fünfzig Leuten, die sich um den Vertrieb, die Buchhaltung oder das Marketing (Linda) kümmerten. Dann gab es noch den Außendienst, der unsere Produktpalette, die wir extern produzieren ließen, in den Handel bringen sollte, und der dem Personal aus dem Gesundheitswesen, ob in den Krankenhäusern oder den Apotheken, bei Fragen zur Verfügung stand. Um alle personellen und organisatorischen Aufgaben kümmerte sich die Verwaltung.

Als ich bei PMG angefangen hatte, war Josh noch nicht mein Boss, sondern ein Laborkollege gewesen. Auf dem Flur hatte ich nett mit ihm plaudern wollen, dabei allerdings bereits winzige Schmetterlinge im Bauch gehabt. Josh hatte mir gefallen.

Wie sich herausstellte, sollte das die kürzeste Verknalltheit aller Zeiten werden. Denn Josh wischte sämtliche tiefergreifende Emotionen mit einer grimmigen Miene und einer einzigen Aussage („Flirten funktioniert bei mir nicht“) beiseite. Er interessierte sich nicht für neugierige, junge Kolleginnen.

Ich hatte nie eine Gelegenheit gefunden, Josh zu erklären, dass ich nicht mit ihm geflirtet hatte. Außerdem hatte mir besonders am Anfang der Mut dazu gefehlt.

In den folgenden zwei Jahren lernte ich viel über Josh. Meine anfängliche Verknalltheit verwandelte sich in Abneigung. Als Josh aufgrund seiner Verbissenheit, seines Ehrgeizes und seiner Gnadenlosigkeit zu meinem Boss befördert wurde, hielt ich, so gut es ging, Abstand zu ihm. Ich zog mich zumindest emotional von ihm zurück.

Denn nicht nur Dr. Josh Bedingfield lag etwas an seiner Karriere, auch ich wollte meine beruflichen Ziele erreichen. Einzig aus diesem Grund saß ich ihm an meinem freien Abend in einem Asia Restaurant gegenüber und ließ mich derart ausufernd über geschäftliche Angelegenheiten zuquatschen.

Ich war nur hergekommen, um mit ihm über mein Forschungsprojekt zu sprechen, für das ich einen Förderantrag gestellt hatte, der erst von dem griesgrämigen Kerl vor mir genehmigt werden musste. Ich war bereit, für die Dinge, die mir wichtig waren, zu kämpfen. Angesichts Joshs Verhalten war mein Kampfgeist aber nicht mehr ganz so groß.

Viel lieber wäre ich zu Hause, auch wenn die Gefahr bestand, mir bei meiner Mitbewohnerin Linda einen Magen-Darm-Virus einzufangen. Sie hatte zusammengekauert auf unserer Couch gelegen und gegen starke Übelkeit angekämpft, als ich zu meinem Termin mit Josh aufgebrochen war.

Sie anzurufen wäre mein Joker, den ich im Notfall ziehen würde. Dieses Wissen gab mir die Kraft, nicht durchzudrehen. Selbst dann nicht, als Josh die Geschichte rund um Leo und Reese weiter durchkaute. „Verstehst du jetzt, warum ich in meinem Team keine Beziehungen zwischen Kollegen dulde? Die ganze Abteilung ist das reinste Chaos. Und das nur wegen dieser beiden Sturköpfe.“

Jetzt wurde ich also bereits nach firmenpolitischen Entscheidungen gefragt. Das war ein gefährliches Pflaster, auf das ich mich besser nicht wagen sollte. „Es heißt nicht umsonst: ›Liebe ist nichts für Feiglinge.‹“

Er runzelte die Stirn, was nie ein gutes Zeichen war, wie mich meine Erfahrung gelehrt hatte. Es war eher ein Nimm-die-Beine-in-die-Hand-und-lauf-Zeichen. „Heißt es nicht ›Älterwerden ist nichts für Feiglinge‹?“

„Stimmt. Aber Beziehungen können auch kompliziert sein.“

Ich wusste nicht, wie Josh über Liebe oder Beziehungen dachte. Er war in der Hinsicht schwer einzuschätzen. Einerseits könnte er ein Frauenheld sein, andererseits kam er mir wie jemand vor, der es bequem fand, eine fixe Freundin zu haben.

Josh sah zwischen meinem Gesicht und meinem Weinglas hin und her. „Wie auch immer … Das ist nur eine der Fragen, mit denen ich mich momentan herumschlagen muss.“

Die andere Frage betraf wohl mich und meine Studie.

Josh war kein Fan von mir. Im Verhältnis dazu hypte er auch meine Studie – also gar nicht.

„Worauf willst du hinaus?“ Ich ging in die Offensive. Lieber sah ich der Wahrheit ins Gesicht, auch wenn sie schmerzhafter war, als mich mit nervenraubenden Hypothesen zu quälen.

Josh verschränkte die Hände auf dem weißen Tischtuch. „Auf deine Unehrlichkeit. Auf deine Unfähigkeit, dich an Vorgaben zu halten. Du weißt, dass ich dein Projekt mit einem Anruf beenden kann.“

Ich schluckte und wurde nervös, versuchte aber, mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen. „Es mag sein, dass ich Arbeitsschritte eingeleitet habe, ohne auf deine Freigabe zu warten. Aber die Zeit drängte, und es war bloß eine Anfrage. Eine einzige, um genau zu sein.“

„Das ist mir egal, Valerie. Gleiche Regeln für alle“, brummte er. „Was hindert mich daran, deine miserable Studie für gescheitert zu erklären?“

Diese Studie, die sich mit der Weiterentwicklung wirksamer Immuntherapie bei Krebserkrankungen beschäftigte, war mein Baby. Ich hatte mir unzählige Nächte um die Ohren geschlagen und meine ganze Überzeugung hineingesteckt. Schon während meiner Studienzeit hatte mich dieses Thema am meisten fasziniert, und ich hatte gewusst, dass ich irgendwann damit arbeiten würde. Ich glaubte, bei PMG ein Zuhause für meine Ideen gefunden zu haben. Wenn Josh diese Ansätze aber zerstörte, wäre das ein herber Rückschlag für mich.

Ich sah mich im Restaurant um. Mein Blick blieb an einem langsam zu Boden segelnden Kassenbon hängen. Eine Weile war ich wie hypnotisiert, dann erwachte ich, und zurück war die Panik. Ich stand auf, stotterte eine Entschuldigung und ging nach draußen. Vergessen war meine tolle Ausrede. Ich brauchte Abstand, bevor ich in Tränen ausbrach oder irgendetwas sagte, womit ich meinen Job riskierte.

Vor dem Restaurant empfing mich schwüle Luft, doch ich konnte wenigstens wieder atmen. Mitten in der Innenstadt dröhnte der omnipräsente Verkehrslärm. Der Gehsteig war schmal, das gläserne Bürogebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite thronte über den anderen niedrigen Bauwerken rundherum. Der Geruch nach Frittiertem aus dem Asia Restaurant hatte einen Teil der Straße eingenommen. Als würde sich der Laden auf diese Weise bemühen, Fußgänger ins Innere zu locken. Ich lehnte mich gegen die Backsteinfassade, schloss kurz die Augen und rief Linda an. Meine Freundin klang, als wäre sie von den Toten zurückgekehrt. Noch nie zuvor war ich glücklicher gewesen, ihre Stimme zu hören.

„Es ist so schrecklich wie befürchtet. Bitte rette mich!“, jammerte ich. Linda wusste von meinen Problemen mit Josh, immerhin teilten wir uns nicht nur eine Wohnung, sondern arbeiteten auch beide für PMG. Linda war zwar nicht in der Forschung, sondern in der Marketingabteilung. Sie kannte Josh aber persönlich und nicht nur aus meinen Erzählungen.

Sie stieß ein kraftloses Schnauben aus. „Sagt diejenige von uns beiden, die nicht seit zwei Stunden auf dem Toilettenboden sitzt und sich die Seele aus dem Leib reihert. Aber okay, überschütte mich mit deinem Selbstmitleid.“

„Ich wäre viel lieber für dich da.“

„Um mir die Haare aus dem Gesicht zu halten? Nein, danke. Kotzen ist eine einsame Sache.“

Linda hatte nicht einmal lange Haare. Es gab nichts zu halten, ausgenommen ihre Hand vielleicht. Stellvertretend knetete ich meine eigene, etwas feuchte und kalte Hand und sah zu, wie eine Gruppe, bestehend aus vier Männern, aus dem Taxi stieg. Einer von ihnen, ein blonder, großer Kerl, blieb mit dem Handy in der Hand etwa drei Meter neben mir stehen. Wir wechselten einen kurzen Blick. Auf sein schiefes Lächeln hin machte sich auch in meinem Gesicht ein Grinsen breit.

„Ich glaube, er versucht mich zu erpressen oder zu foltern oder zu demütigen“, fuhr ich fort und zog mit der Spitze meines rechten Schuhs eine schmutzige Betonrille am Boden nach.

„Valerie, du steigerst dich meiner Meinung nach zu sehr rein. Lass ihn einfach reden.“

Ich dachte über ihren Rat nach. Wie groß war die Chance, dass ich mich eine weitere Stunde diplomatisch verhielt? Gering. Erschreckend gering. Aber ich musste an meinen Job denken.

„Denk an deinen Job!“, bekräftigte Linda, als könnte sie meine Gedanken lesen.

Ich nickte, obwohl sie es nicht sehen konnte. „Ich muss mir in Erinnerung rufen, dass es hier um meinen Job geht. Josh ist kein Freund oder so, sondern eine Hürde. Eine ziemlich unangenehme, unhöfliche Hürde.“

„Ja, verdammt. Nimm Anlauf für die Josh-Hürde und konzentriere dich auf den Sprung.“

„Ich hoffe, ich stolpere nicht und breche mir die Nase.“

Linda schnaubte, was wohl so etwas wie Zuversicht vermitteln sollte. „Du wirst nicht stolpern. Bleib hart, Valerie.“

„Du kommst mich doch im Gefängnis besuchen, sollte ich durchdrehen?“

„Darauf kannst du dich verlassen. Aber so weit wird es nicht kommen. Kneif die Arschbacken zusammen und geh zurück an den Tisch!“

Ihr Befehl war eindeutig. Alles in mir sträubte sich jedoch, Folge zu leisten.

Es war etwas völlig anderes, Josh in der Abteilung, umringt von meinen Kollegen, zu ertragen. Allein mit ihm zu sein und die geballte Ladung seiner Boshaftigkeit auszuhalten überforderte mich. Ich war nicht besonders gut darin, menschliche Konflikte zu lösen. Menschen waren zu unberechenbar für mich. Zu impulsiv. Zu dramatisch.

Vor allem Josh.

Nachdem ich aufgelegt hatte, atmete ich tief durch und wappnete mich für den zweiten Akt unseres Dramas. Wie ich bei meiner Rückkehr feststellte, hatte mich die kurze Unterbrechung nicht gestärkt, sondern noch angespannter werden lassen.

Josh machte seinem Frust über das Restaurant Luft. Er verfügte zumindest über so etwas wie einen Vergleichswert. Sein Leben bestand aus It-Lokalen mit It-Gerichten und It-Leuten. Ich hingegen aß meistens zu Hause, weil ich es liebte, auf der Couch in Jogginghosen zu sitzen und dabei einen Film anzusehen.

Als ich überlegte, wie ich dafür sorgen konnte, dass dieser Abend endlich ein Ende nahm, wurde plötzlich ein dritter Stuhl an unseren Tisch geschoben. Darauf sank der Typ, der eben noch draußen neben mir gestanden hatte. Ich war sicher, zu träumen … aber er griff nach meiner Hand. Seine warme Hand legte sich um meine schwitzende. Und das fühlte sich gut an. Was seltsam war. Ich kannte den Kerl nicht, aber er gab mir in diesem Moment des inneren Aufruhrs überraschend Halt.

Während mein Blick dem Sekundenzeiger auf der Armbanduhr des Händchenhalters folgte, hörte ich eine sympathisch-tiefe Stimme. „Ich bin einen Tag früher angereist und wollte dich überraschen, Schatz. Ich weiß, dies ist ein beruflicher Termin, aber ich habe es ohne dich nicht länger ausgehalten.“

Redete er etwa mit mir?

Zum ersten Mal schienen Josh und ich ähnlich zu fühlen – wir waren beide überrascht. Und überfordert.

In meinem Fall war das mehr als einleuchtend, schließlich hatte mich dieser Fremde gerade Schatz genannt und hielt dabei meine Hand auf eine vertraute, irgendwie sogar schmutzige Art. Es war kein zuvorkommendes Ich-helfe-Ihnen-über-die-Straße-Miss-Händchenhalten, sondern ein intimes Ich-habe-dich-nackt-gesehen-Händchenhalten.

„Also … Sie … Sie …“ Er musste mich verwechseln. Das wollte ich sagen.

Laut einer nicht bestätigten Theorie meiner besten Freundin hatte jeder Mensch sieben Doppelgänger. Eine dieser sieben Personen, die mir ähnlich sahen, führte offensichtlich eine Beziehung mit diesem Mann.

Meine Stimme versagte ihren Dienst, was zum einen an dem Lächeln des Kerls lag. Zum anderen war ich nicht geübt im Umgang mit Männern, die mich aus heiterem Himmel Schatz nannten.

„Ich war lange weg, ich weiß. Verständlich, dass es dir deswegen die Sprache verschlägt.“

Ich musste träumen. Ja, absolut.

Wenn das hier allerdings ein Traum war, bedeutete das, dass ich mein Abendessen mit Josh noch vor mir hatte. Was semi-motivierend war, wenn ich bedachte, dass dann bald mein Wecker klingeln würde und ich aus dem Bett steigen musste.

Josh (ob der real war oder nicht, stand noch nicht fest) rang unterdessen ebenfalls um Worte. Okay, es musste ein Traum sein. Dem echten Josh verschlug es nie die Sprache. „Dario? Dario Hill?“

Jetzt sprach er auch noch in Codes, die ich nicht verstand.

Wer, zum Teufel, war Dario Hill?

Der Typ, der vermutlich Dario hieß, zwinkerte mir zu. Das sollte mich beruhigen oder mir zumindest das Gefühl geben, dass er alles unter Kontrolle hatte.

Danach wandte mein Handwärmer seinen Blick Josh zu. „Ja, richtig. Woher wissen Sie das?“

Genau, woher wusste Josh das?

„Josh Bedingfield, freut mich sehr“, trällerte mein eiskalter Boss auf eine Weise, wie ich sie noch nie zuvor bei ihm erlebt hatte. Zu allem Überfluss erhob er sich und streckte seine Hand aus.

Eine kurze Inspektion unserer Hände ergab, dass meine Linke in seiner Rechten lag. Dario würde mich also loslassen müssen. Die Vorstellung der körperlichen Trennung war erleichternd und deprimierend zugleich. Ob es meiner Doppelgängerin auch jedes Mal so ging, wenn sie sich von ihm verabschieden musste?

„Ich arbeite ebenfalls für PMG. Wir haben uns bei dem Meeting getroffen, als du alle Abteilungsleiter kennengelernt hast.“

Die Miene des Fremden wurde auf Joshs Aussage hin düster. Ruckartig beendete er den Körperkontakt zu mir und reichte meinem Vorgesetzten die Hand mit einer Geschäftigkeit, die ich irritierend fand. „Porter Medical Group“, wiederholte er, klang aber nicht wie jemand, dem der Name meines Arbeitgebers gänzlich unbekannt war.

Josh nickte. „Ja.“

Mein Fake-Freund sah entsetzt zu mir, dann zurück zu Josh. „Ich … also ich …“ Er seufzte, stieß dann aber ein kurzes Lachen aus. „Ich erinnere mich, ja.“

Dario arbeitete für PMG? Konnte es noch schlimmer kommen?

„Ich wusste gar nichts … davon“, meinte Josh und deutete sporadisch zwischen mir und dem Kerl hin und her. Dario drückte meine Hand und schenkte Josh ein selbstsicheres Lächeln.

Einen Augenblick lang war es still an unserem Tisch. Dumpf nahm ich die Restaurantgeräusche wahr – das Klirren von Gläsern, das Klimpern von Besteck und das monotone Brummen unterschiedlicher Stimmen.

„Valerie, du hast davon nichts erwähnt.“ Josh gab sich Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken. Vorhin hatte er noch klargemacht, dass er Beziehungen am Arbeitsplatz verabscheute. Er musste sich echt veräppelt vorkommen.

Doch anstatt den Irrtum aufzuklären, begann ich nun, Spaß daran zu haben, Josh derart in Verlegenheit zu bringen. Wenn ich diesen Dario dafür benutzen konnte, Josh zu verunsichern, war es das in jedem Fall wert. Außerdem hatte ich das Gefühl, Dario zur Seite stehen zu müssen. „Wir wollten keine große Sache daraus machen. Es ist auch noch ganz frisch.“ Ich strahlte Dario auf eine Weise an, wie man es vermutlich in jedem Schauspielgrundkurs lernte.

Dario spielte mit. „Ich wollte nicht derart überraschend hereinplatzen. Ich war in der Nähe und dachte, es wäre … nett. Passend irgendwie, aufgrund der Verhältnisse. Ihr seid hoffentlich fast fertig mit dem Gespräch“, murmelte er und hielt dabei den Blickkontakt zu mir aufrecht. Via Telepathie sagten seine dunklen Augen so etwas wie: „Reiß mir nicht den Kopf ab. Ich wollte bloß witzig sein und finde dich toll.“ Im letzten Teil der gedanklichen Übermittlung trat eine Frequenzstörung auf. Ich war nicht sicher, ob er toll oder bemitleidenswert gesagt beziehungsweise gedacht hatte.

Ich legte den Kopf schief und übermittelte telepathisch zurück. „Du bist offensichtlich verrückt. Aber irgendwie ist es tatsächlich lustig.“

Josh durchbrach unsere nonverbale Unterhaltung. „Wir waren gerade dabei, über Valeries CART-T-Studie zu sprechen. Womöglich bist du damit schon vertraut und konntest dich vor deinem offiziellen Start in einzelne Projekte einlesen.“

Plötzlich war meine Studie also nennenswert. Ich kannte Joshs verschiedene Tonlagen, und die waren allerhöchstens neutral. Dieser Dario Hill musste übermenschliche Fähigkeiten besitzen, wenn Josh sich derart verhielt.

„Nein, nein. Ich möchte mich in Ruhe und vor Ort mit allen Fakten befassen.“

„Du beschwerst dich doch dauernd, dass ich von morgens bis abends über nichts anderes rede“, warf ich ein und lächelte frech.

„Du liegst mir mit deinen Gedanken rund um dein Projekt echt in den Ohren. Aber ich mag, wie du strahlst, wenn du von deiner Forschung sprichst.“

Wow, das war charmant. Ich musste etwas erwidern. „Und ich mag, dass du dir Zeit nimmst, dir all meine Pläne und Überlegungen anzuhören.“ Ich sah zu Josh, der wirkte, als würde er sich gleich übergeben. „Im Gegenzug spiele ich Runde um Runde UNO mit ihm.“

„UNO?“, erkundigte sich Josh ungläubig.

Dario seufzte. „Ich bin süchtig danach.“

„Ist er.“ Ich hatte den Verstand verloren, aber es war unglaublich lustig, so zu tun, als würde mich mit diesem völlig Fremden ein gemeinsames Leben verbinden.

„Dafür liebt …“ Ihm fiel mein Name nicht ein. Ich flehte zu Gott, dass ich nicht gleich irgendeinen dämlichen Spitznamen von Dario verpasst bekam. „Pinky liebt Disney-Filme. Ich wurde in ein Paralleluniversum hineingezogen, das bunt, schrill und chaotisch ist.“

Gott war nicht sonderlich gut auf die Wünsche von Lügnern zu sprechen. Während meines Zwiegesprächs mit dem Schöpfer eruierte Josh indessen die Infos, die Dario ihm serviert hatte. In Wahrheit hasste ich Pink, und Disney war auch nicht wirklich mein Ding. Um das zu erkennen, musste man nicht meine beste Freundin sein. „Pinky?“, wiederholte Josh – zuerst schmunzelnd, dann brach er in Gelächter aus.

„Sie hasst diesen Spitznamen“, kommentierte Dario.

„Tue ich wirklich. Lass ihn uns einfach vergessen, okay?“

„Dario, du bist in meiner Abteilung jederzeit willkommen“, erwiderte Josh freundlich und rieb sich den vom Lachen wohl schmerzenden Bauch. „Vorausgesetzt, du bringst weitere witzige Anekdoten rund um Valerie mit.“

Gedanklich versuchte ich das Puzzle zusammenzusetzen. Wenn dieser Typ in Joshs Abteilung jederzeit willkommen war, musste er einen guten Grund dafür haben. Niemand konnte einfach so in unsere Büros spazieren. Wir seien kein Vergnügungspark, hatte Josh einst gewettert, als ein Kollege zu seinem Geburtstag eine kleine Party in der Teeküche veranstaltet hatte.

Was zog Josh hier ab?

Ich konnte aber nicht fragen, warum Dario praktisch der rote Teppich ausgerollt wurde. Als seine Freundin oder was auch immer ich war, sollte ich so etwas schließlich wissen.

Zumindest betrachtete mich Josh nicht mehr so abfällig wie gewohnt, sondern beinahe ehrfürchtig. Als hätte ich einen wilden Tiger gezähmt.

Es könnte also bedeutend schlimmer für mich laufen. Und hey, ich hatte nicht die Idee zu dieser Showeinlage gehabt. Das war ganz allein dieser Kerl gewesen. Ich war unschuldig.

Das spornte mich an, und ich versuchte, mich zu entspannen. So wild konnte es schon nicht sein. Der Typ war wahrscheinlich das neue Oberhaupt unserer Außendienstmitarbeiter.

In der darauffolgenden halben Stunde plauderten wir über das Wetter, Reisen, London und die Rückkehr Darios dorthin. Ich erfuhr, dass mein Fake-Freund vor zwei Monaten nach einem längeren Aufenthalt in New York zurück nach England gekommen war.

Josh war offenbar selbst schon mehrere Male in den USA gewesen, beruflich und privat, wie er erklärte. Wie er von New York erzählte, war fesselnd. Seine Stimme ging mir unter die Haut. Ich hatte diese Seite von ihm noch nie zu Gesicht bekommen. Diese ungefilterte Begeisterung. Diese Menschlichkeit. Es war verwirrend und berauschend zugleich. Später würde ich mir bestimmt einreden, geträumt zu haben oder betrunken gewesen zu sein. Denn das alles – diese Verwechslung und Joshs Fröhlichkeit (im Gegensatz zu seiner sonstigen Laune) – war unerklärlich für mich. Auch Linda würde mir bestimmt nicht glauben.

„Ihr beide kennt euch also von früher?“ Mit entspannter Körperhaltung, Arme auf dem Tisch abgestützt und zurückgelehnt, hakte Josh nach.

„Also … um ehrlich zu sein …“, fing Dario an.

Angetrieben von dem einen Glas Wein zu viel, unterbrach ich ihn. „Wir haben uns erst vor zwei Monaten auf der Geburtstagsfeier unserer gemeinsamen Freundin Janet kennengelernt.“

Dario sah verwundert zu mir. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt. Offensichtlich war er nicht mehr allzu begeistert, dieses Theater fortzusetzen. Aber was blieb ihm übrig?

„Im Grunde kenne ich … Janet kaum.“ Dario versprühte plötzlich Vibes von der Sorte, als würde er den Versuch unternehmen, diese Fake-Freund-Sache kleinreden zu wollen.

Das gefiel mir nicht. Ich wollte vor Josh nicht als Lügnerin dastehen. „Seid ihr nicht zusammen zur Schule gegangen? Das erzählt Janet zumindest.“

Dario seufzte zuerst, lachte dann aber unsicher. „Stimmt“, murmelte er.

„Ich glaube, ganz um uns geschehen war es, als ich dich bei unserem ersten Abendessen vor einem grausamen Erstickungstod retten konnte.“

Damit weckte ich Joshs Neugier. „Das sind ja ganz neue Seiten an Valerie. So aufopfernd.“

Ich sitze mit am Tisch, Arsch! „Ich würde nicht jeden retten“, meinte ich spitz, lächelte aber zuckersüß.

Dario, der von unserem Krieg nichts wissen konnte, hielt sich zurück. Josh hingegen startete ein zermürbendes Anstarrduell, dem ich nur kurz gewappnet war. Allzu lange konnte er seine Freundlichkeit also doch nicht aufrechterhalten.

 

Bei der Verabschiedung wenig später ließ sich Josh noch einmal zu einer Überschwänglichkeit hinreißen. „Alles Gute für euch beide. Wir sehen uns nächste Woche.“ Josh verließ das Restaurant zuerst, als wolle er uns noch ein wenig Zweisamkeit bieten.

„Nun, also, es war ein unterhaltsamer Abend“, murmelte Dario.

Wie sollte ich mich verhalten? Auch Dario war verunsichert. Seine Idee war mir zuerst genial erschienen, dann aber wurde ich mir der Konsequenzen bewusst.

„Ich bringe dich noch zu deinem Wagen.“

„Gut … das wäre nett“, entgegnete ich zögerlich.

War jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu erwähnen, dass ich kein Auto besaß? Vermutlich.

Auf dem Parkplatz blieb ich vor einem x-beliebigen Auto stehen. „Da wären wir.“

„Es tut mir leid. Ich habe gehört, wie du vorhin telefoniert hast, und ging davon aus, du hättest ein echt schreckliches Geschäftsessen.“

„Und da dachtest du, dass du mich retten müsstest.“

Er seufzte. „Nach dem, was du am Telefon erzählt hast, schien deine Begleitung ein ziemlicher Kotzbrocken zu sein. Also dachte ich mir, ich schaue ihn mir mal an. Ich wollte mir einen Spaß erlauben, mehr nicht.“

Ja, so ein Typ war Dario vermutlich. Einer, der das Leben locker nahm. Mit Männern wie ihm hatte ich Erfahrung von der schmerzhaften Sorte, und das war erst so kurz her, dass ich den Stachel in meiner Brust noch deutlich spüren konnte.

„Spaß“, wiederholte ich, als wäre mir der Begriff fremd. „Für mich ist das aber kein Spaß. Du hast mich in eine unangenehme Lage gebracht. Das hätte nach hinten losgehen können.“

Ich war die Moralverfechterin und Dario der locker lässige Typ, dem meine Predigt ein zerknirschtes Lächeln entlockte. „Tut mir leid.“

„Das sagtest du bereits.“

„Es tut mir aber wirklich leid. Trotzdem war es lustig.“

„Josh ist mein Boss.“

Dario zog beide Augenbrauen hoch. „Logisch. Das habe ich mittlerweile auch verstanden. Ich musste die Stimmung an eurem Tisch auflockern, das war meine menschliche Pflicht.“

„Bist du betrunken?“

„Ein wenig vielleicht.“

Ich seufzte. „Habe ich das richtig verstanden, du fängst bei PMG an?“

Dario nickte bloß und kniff dabei die Lippen zusammen.

„Wann?“

„Nächste Woche.“

„Wusstest du von dem Abendessen mit Josh?“

„Ich habe Josh im ersten Moment nicht erkannt. Als er anfing, von der Firma zu sprechen, da war es bereits zu spät.“

„In welcher Abteilung wirst du arbeiten?“ Bitte nicht in meiner. Bitte nicht in meiner!

Dario trat von einem Fuß auf den anderen. „In … in der … Verwaltung.“

„In der Verwaltung“, wiederholte ich. „Wow.“ Würde ich ihn dort häufig sehen? Vermutlich nicht. Mit den Leuten aus der Verwaltung hatte ich kaum etwas zu tun.

„Josh ist vermutlich nicht der Typ, der mit dieser Geschichte in der Firma hausieren geht. Klar, die Konstellation war nicht gefahrlos, trotzdem war es ein lustiger Abend, Valerie.“

Seine Lockerheit stresste mich. „Ich werde jetzt besser gehen.“

„Fahren.“ Dario deutete hinter mich.

„Ja … stimmt.“ Offensichtlich war ich eine wahre Meisterin darin, von einer Notlüge zur nächsten zu stolpern. Wow, meine Eltern waren bestimmt stolz auf mich.

„Alles Gute, Dario“, murmelte ich und wurde von einer unpassenden Sentimentalität gepackt.

Ich umklammerte den Griff meiner Handtasche und wollte einerseits, dass Dario verschwand. Andererseits hatte mich seine Gegenwart im Bezug auf Josh stärker werden lassen.

Wir blieben noch kurz stehen und sahen einander an, als würden wir darauf warten, dass der andere etwas sagte. Eine Lösung zu dieser Misere vielleicht, in die wir uns geritten hatten. Mit vor Selbstbewusstsein strotzenden Schritten ging er zurück ins Restaurant.

Wie betrunken konnte er schon sein?

Allein wurde mir der Parkplatz langsam suspekt. Ich wollte aber auch nicht gehen. Ich wollte diese Leichtigkeit konservieren, die Dario mit seiner Rettungsaktion geschaffen hatte. Ich konnte mich aber schlecht an einer Illusion festhalten, während da draußen, jenseits des Maschendrahtzauns, der den Parkplatz umspannte, mein echtes Leben auf mich wartete. All meine Verpflichtungen, Wünsche und Träume.

Mein sentimentales Gedankenspiel wurde von einem Typ unterbrochen, der demonstrativ mit seinem Autoschlüssel vor mir klimperte. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte er.

Ich war verwirrt – ein offensichtlicher Dauerzustand an diesem Abend. „Wieso?“

„Na ja, das ist mein Auto, vor dem du stehst.“


KAPITEL 2

Valium – oder so

Valerie

In meinem Büro galt striktes Essverbot, womit ich in dieser Firma ein Novum darstellte (eine winzige Ausnahme machte ich nur für Linda, weil sie nicht nur die allerbeste Freundin ist, die man sich wünschen konnte, sondern obendrein auch noch hart mit mir über diese Regel verhandelt hatte). Es gab Leute, die Pizza über ihren Tastaturen aßen. Leute, die an der Sandwichtheke nicht etwa überlegten, welche Kreation am geruchneutralsten war, sondern freimütig zum intensivsten Käse griffen.

Eine dieser Barbaren war Linda, die mit einem Lachs-Gorgonzola-Sandwich mein Büro betrat. Bis vor Kurzem hatte sie noch über der Kloschüssel gehangen, und heute schaufelte sie tonnenweise Essen in sich hinein. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen ihres minimalen Schlafbedarfs war ich immer mehr davon überzeugt, dass Linda ein Alien war. Gelandet auf der Erde, um die Geduld der Menschheit zu prüfen – allen voran meine. Um uns zu täuschen, hatte sie sich eine blonde Perücke besorgt.

„Hey, du.“ Kauend begrüßte sie mich und nahm auf einem meiner kaum benutzten Besucherstühle Platz. Ich hatte hinter meinem Schreibtisch Stellung bezogen. Mein Büro war winzig und wegen des einen Fensters rechts von mir ziemlich dunkel, aber ich hatte es im Laufe der Jahre ganz nach meinem Geschmack gestaltet. Aus dem vormals kahlen Raum, mit den faden Regalen an den Wänden, war ein gemütliches Plätzchen geworden. Umringt von Bildern und Pflanzen, konnte ich mich perfekt auf meine Projekte konzentrieren.

„Du sitzt auf meinen Unterlagen.“

Sie wisperte ein „Ups“, hob den Hintern und warf besagte Akten achtlos auf den Boden.

Gedanklich schrie ich und hoffte, einer der Ordner, die vor mir lagen, würde Linda auf den großen Zeh fallen. Äußerlich war ich ruhiger. „Ich mag es nicht, wenn du hier isst.“ Halbwegs ruhig.

„Es ist nur ein Sandwich. Beruhig dich, Frankenstein.“

„Irgendwann werde ich ein Disziplinarverfahren gegen dich einleiten.“

„Ich auch gegen dich, solltest du noch einmal zuckerfreie Schokolade kaufen.“ Sie rümpfte ihre Stupsnase, als hätte ich anstatt gesunder Süßigkeiten eine Seuche in unser Haus geholt.

Was soll ich sagen? Ich liebte sie genauso sehr, wie sie mich in den Wahnsinn trieb. Sie war mein Kryptonit. Mein Yang. Meine strengste Kritikerin und meine größte Stütze. Kennengelernt hatte ich Linda durch eine ehemalige Studienkollegin, die sie mir als Profi in Sachen Grafikdesign empfohlen hatte. Wir hatten uns einige Male getroffen, damit sie mir bei meinen Bewerbungsunterlagen helfen konnte, und uns sofort gut verstanden. Irgendwann war Linda einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden. Sie hatte mir außerdem geraten, mich bei PMG zu bewerben. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr in der Marketingabteilung des Unternehmens tätig gewesen.

Gemeinsam hatten wir vor zwei Jahren einen chaotisch-witzigen Roadtrip durch den Westen der USA unternommen. Noch heute konnten wir über den Abend fürchterlich lachen, als Linda gegen die geschlossene Schiebetür eines Hotels gelaufen war. Gut, sie war nicht mehr nüchtern gewesen. Am nächsten Tag hatte das Personal einen Zettel mit der Warnung angebracht, dass die Tür ab einer gewissen Uhrzeit nur noch manuell zu öffnen war.

„Von eins bis zehn – wie hoch ist der Partybarometer? Oder wie ich sage: Partymeter?“

„O Gott, verschone mich. Solch schreckliche Wortspiele habe nicht einmal ich Schokoladen-Schänderin verdient.“

Kichernd brach Linda eine weitere Regel – sie legte ihre Beine über die Armlehne, sodass ihre Schuhe wie ein Pendel neben ihr baumelten. „Komm schon. Freust du dich nicht auf den neuen Boss und all die Leckereien, die sein Empfang für uns bedeuten? Man munkelt, es gibt sogar Torte.“

„Mein Stimmungsbarometer ist bei null.“

„Eine dreistöckige Ultraleckertorte.“

„Immer noch bei null.“ Ich hatte nicht viel übrig für gezwungene Fressorgien.

Verblüfft zog Linda beide Augenbrauen hoch. „Du bist eiskalt. An dir perlt jede Emotion ab wie an Teflon.“

„So ist das nicht“, verteidigte ich mich. Was ich nicht musste, denn Linda kannte meine sentimentale Seite. Die blieb aber stumm, wenn es um die Einstandsfeier unseres neuen Geschäftsführers ging. „Ich will mich einfach nicht der Illusion hingeben, irgendetwas würde sich in dieser Firma verbessern, nur weil sich der Name unseres Bosses ändert.“

„Du hast ein Problem mit Veränderungen“, analysierte sie und leckte sich ein Stück Lachs vom Finger.

„Habe ich nicht.“ Hatte ich doch. Veränderungen waren schrecklich. Schrecklich stressig und anstrengend.

Jetzt kam die Ich-hatte-eine-dramatische-Kindheit-Nummer. Okay, meine Kindheit war wenig dramatisch, dafür aber turbulent gewesen. Meine Eltern liebten Umzüge, was für sich gesehen schon verrückt genug war. Sie betrieben außerdem exzessives Karriereroulette. Mal führten sie ein Restaurant, dann wieder ein B&B, anschließend eine Bäckerei. Als Höhepunkt hatten wir sogar einmal eine Hundepension gehabt. Das hatte sich nicht etwa alles an einem Ort abgespielt. Nein, wir hatten dafür jedes Mal umziehen müssen.

Vor allem meine Mum wollte mich vor dem Stress, den mein Job mit sich brachte, schützen. Sie hatte mir erst gestern, als ich zwei ihrer Anrufe weggedrückt, den dritten dann aber angenommen hatte, erklärt, worauf es im Leben ankam. „Du arbeitest zu viel, Valerie. Ich würde mir wünschen, dass es mehr für dich gibt als deinen Job.“

„Ich kümmere mich ja außerdem noch um Linda. Oder sie um mich. Mir geht es gut, wirklich.“

Sie hatte unzufrieden geseufzt. „Komm doch mal wieder für eine Weile zu uns. Mach Urlaub. Atme. Lebe.“ Es hatte viel Überzeugung gebraucht, ihr zu versichern, dass es mir gut ging. Das war nur deshalb möglich, weil meine Mutter auf höhere Mächte vertraute. Sie war sicher, dass das Leben einen Plan für jeden von uns hatte und wir nur feinfühlig genug durchs Leben gehen mussten, um die Hinweise zu bemerken. Vermutlich hatte sie deshalb so oft das Gewerbe gewechselt, weil sie jedem Wink vertraute.

Als Kind war man seinen Eltern ausgeliefert. Meine Schwester und ich hatten mit ihnen kommen müssen. Bis zu einem gewissen Punkt hatten wir das cool gefunden. Erst später hatte ich eine Abneigung gegen Umzüge und allgemein gegen Veränderungen entwickelt. Das machte das Zusammenleben mit mir nicht unbedingt einfach. Linda hielt es als einer der wenigen Menschen mit mir aus, wofür sie vielleicht irgendeinen Orden erhalten würde.

„Wie weit bist du mit deinem Bericht?“, erkundigte ich mich.

„Denkst du, jeder von uns bekommt einen Parkplatz?“

Ich klappte das Protokoll, in dem ich gerade geblättert hatte, zu und sah zu Linda. „Wir benutzen den öffentlichen Nahverkehr.“

Linda zuckte die Schultern. „Cool wäre es, wenn er diese Relax-Arbeitsbereiche einrichtet. Du weißt schon, wo man auf einer Couch liegend mit seinem Laptop arbeiten kann und dabei die Füße massiert bekommt.“

„Das wird niemals passieren“. Ich musste ihre ausufernde Fantasie einbremsen. „Allerhöchstens bekommen wir neue Notizblöcke. Woher willst du überhaupt wissen, dass es ein er wird?“

„Stand in der Mail“, erwiderte sie.

„Es gab eine Mail dazu?“

Natürlich gab es die. Unsere Firma bevorzugte es, sich in ihrem Postverkehr auf semi-wichtige Dinge zu konzentrieren. Ich wartete zwar schon seit Wochen auf eine Rückmeldung bezüglich Labormaterialien, bekam aber täglich Informationen darüber, was es in der Kantine zu essen gab oder welcher grenzgeniale Social-Media-Auftritt geplant war (gemessen daran, dass wir vor fünfzehn Jahren lebten und Facebook als Neuheit galt).

Linda seufzte und schob sich den letzten Bissen Sandwich in den Mund, der eher als Brocken zu bezeichnen war. Mit vollen Backen kam sie um meinen Schreibtisch zu mir. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Vor allem deshalb, weil sie meine Hände zur Seite schubste und mein Mail-Programm öffnete, in das ich mich bereits heute Morgen eingeloggt, das ich jedoch zwischenzeitlich ignoriert hatte.

Da sie mit vollem Mund sprach, hörte es sich für mich in etwa so an: „Valium ist hin.“ Was keinen Sinn ergab.

Erst als ich auf den Computermonitor schaute, begriff ich. „Wie hatte ich diese Mail übersehen können?“ Vor lauter Entsetzen klang meine Stimme schrill und schief.

„Weil du beispielsweise eine grundsätzliche Abneigung gegen elektronischen Postverkehr hast.“

Es war irre. Vernichtend. Schrecklich.

Ich sah meine Karriere am Boden. Zerquetscht von diesen Händen auf dem Bildschirm vor mir. Große Hände. Quetschfähige Hände. Vertraute Hände.

Doch nicht nur die Hände hatten mich in meinen Gedanken verfolgt. In Erinnerung war mir auch dieses sympathische Lächeln geblieben, das auf dem Bild in der Mail etwas zurückhaltender wirkte. Ich war zu beschäftigt gewesen, um seinen Namen zu googeln oder mich in der Firma nach neuen Mitarbeitern zu erkundigen. Plötzlich war ich aber mit dem Worst-Case-Szenario konfrontiert.

„In der Verwaltung!“, schrie ich meinen Monitor an. „In der verdammten Verwaltung!“

Linda runzelte die Stirn. „Drehst du jetzt durch?“

„Linda, ich … ich glaube, ich habe ein Problem.“

Sophia Chase

Über Sophia Chase

Biografie

Sophia Chase, Jahrgang 1991, arbeitete zuerst im pharmazeutischen Bereich, ehe sie durch ihre Leseleidenschaft zum Schreiben kam. 2011 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Linz (Österreich), arbeitet als Autorin und studiert Rechtswissenschaften. 

Veranstaltung
Lesung
Mittwoch, 14. Mai 2025 in Linz
Zeit:
18:30 Uhr
Ort:
Thalia Buch & Medien GmbH,
Landstr. 41
4020 Linz
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Gespräch
Mittwoch, 28. Mai 2025 in Wien
Zeit:
19:00 Uhr
Ort:
Thalia Buch & Medien GmbH,
Mariahilferstraße 99
1060 Wien
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