Love Recipes – Verführung à la carte (Kitchen Love 1) - eBook-Ausgabe
Roman
Love Recipes – Verführung à la carte (Kitchen Love 1) — Inhalt
Das perfekte Romance-Rezept: Köstliches Essen, verführerische Köche und großes Herzklopfen!
Statt ihren großen Traum eines Kunststudiums zu verfolgen, leitet die vierundzwanzigjährige Lili DeLuca gewissenhaft die italienische Trattoria ihrer Familie im Herzen Chicagos. Als der berühmte britische Koch Jack Kilroy ihren Vater zu einem Kochduell herausfordert, beschließt Lili, endlich einmal nicht auf Nummer sicher zu gehen und den verlockenden Briten zu verführen. Doch Jack hat genug von oberflächlichen One-Night-Stands und davon, wie die Klatschpresse ihn darstellt. Er sucht eine ernsthafte Beziehung, und Lili DeLuca könnte genau die Zutat sein, die im Rezept für sein persönliches Glück noch fehlt …
„Love Recipes – Verführung à la carte“ ist der erste Band der sinnlichen und witzigen „Kitchen Love“-Reihe der US-amerikanischen Erfolgsautorin Kate Meader.
Kate Meader ist USA-Today-Bestsellerautorin und schreibt am liebsten prickelnde Liebesromane, in denen sich alles um köstliches Essen, unwiderstehliche Helden und energiegeladene, freche Heldinnen dreht. Ihre Romane spielen in ihrer Wahlheimat Chicago, einer Stadt, die wie gemacht ist für Essen, Romantik und Lachen – und wo sie ihren ganz persönlichen sexy Helden kennengelernt hat. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als „Beste Romance“ von Publishers Weekly und der Washington Post.
Leseprobe zu „Love Recipes – Verführung à la carte (Kitchen Love 1)“
1. Kapitel
Eigentlich sollte sie längst wohlbehütet in ihrer Wohnung über dem Restaurant ihrer Familie sitzen, die Pastareste vertilgen und die letzten Folgen ihrer Lieblingsserie ansehen. Stattdessen dachte Lili DeLuca um drei Uhr morgens in einer dunklen Gasse darüber nach, in schimmernden blauen Lycra-Hotpants und einem sternenbedeckten Bustier die Heldin zu spielen. Ob das eine gute Idee war?
Sie nahm ihren Vespahelm ab und spähte hinauf zu ihrem Schlafzimmerfenster, ehe sie ein weiteres Mal in die Gasse blickte, die zu dem Kücheneingang des [...]
1. Kapitel
Eigentlich sollte sie längst wohlbehütet in ihrer Wohnung über dem Restaurant ihrer Familie sitzen, die Pastareste vertilgen und die letzten Folgen ihrer Lieblingsserie ansehen. Stattdessen dachte Lili DeLuca um drei Uhr morgens in einer dunklen Gasse darüber nach, in schimmernden blauen Lycra-Hotpants und einem sternenbedeckten Bustier die Heldin zu spielen. Ob das eine gute Idee war?
Sie nahm ihren Vespahelm ab und spähte hinauf zu ihrem Schlafzimmerfenster, ehe sie ein weiteres Mal in die Gasse blickte, die zu dem Kücheneingang des Ristorante DeLuca führte. Die Tür stand offen, und Licht fiel hinaus in die Nacht. Niemals war ihr Helligkeit so falsch vorgekommen.
Normalerweise war auf der Damen Avenue so viel los, dass man sich auch als Frau allein sicher aufgehoben fühlen konnte.
Wicker-Park, früher eine günstige Gegend, die von unterernährten Künstlern und Hybriden aus Schauspielern und Baristas besiedelt war, hatte sich mittlerweile zu einem wahren Dschungel aus teuren Lofts, schicken Restaurants und raffinierten Weinbars gemausert. Außerdem gab es da noch das O’Casey’s Tap an der Ecke und den regelmäßigen Strom von Nachtschwärmern, sodass die Straßen immer belebt und sicher waren.
Aber nicht heute Nacht.
Die Bars hatten die letzten Schluckspechte schon vor einer Stunde wieder ausgespuckt, und die Leute schnarchten bereits tief und fest in ihren Vorstadtbetten. Trotz der drückenden Junihitze von zweiunddreißig Grad war ihr die Gegend hier noch nie so karg und kalt vorgekommen. Es mochte seine Vorteile haben, so nah am eigenen Arbeitsplatz zu leben – zum Beispiel, dass der Arbeitsweg nur eine halbe Minute dauerte oder dass man stets das beste italienische Essen Chicagos zur Verfügung hatte. Gerade aber erschien ihr die offene Küchentür viel eher bedrohlich.
Vielleicht war ja Marco im Restaurant? Ihr Ex-Freund hing dort gelegentlich gerne herum, weil er offenbar davon ausging, dass seine Investition ihm gewisse Privilegien garantierte. Eine Flasche des teuren Brunello hier, einen Veranstaltungsort für spätabendliche Pokerrunden da.
Sie schob die Erinnerungen beiseite und konzentrierte sich auf ihr aktuelles Problem. Vor sechs Stunden war ihr die jährliche Superheldenparty noch wie eine harmlose Möglichkeit erschienen, ihr Sozialleben wieder in Schwung zu bringen. Mit honigsüßen Worten hatte ihre Cousine Gina sie dazu überredet mitzukommen.
Es ist Zeit, sich wieder ins Spiel zu bringen, Lili! Nein, deine Oberschenkel sehen in diesen Shorts nicht wie Dönerspieße aus. Der Batman dahinten ist nicht fett – nur kräftig!
Ein kräftiger Batman wäre jetzt eigentlich ganz praktisch …
Sie ließ das beruhigende Verkehrsrauschen hinter sich und schlich zur Tür, den stechenden Geruch der Müllcontainer in der Nase. Irgendetwas Pelziges verschwand in der Dunkelheit. Plötzlich ertönte lärmend ein Gitarrenriff aus Brown Sugar von den Rolling Stones. Tja, der Wahnsinn hatte eben seinen ganz eigenen Soundtrack.
Kann sein, dass du wie Wonder Woman gekleidet bist, aber das heißt noch lange nicht, dass du jetzt die Heldin spielen musst. Schau einfach kurz nach, und dann ruf jemanden an.
Sie linste zur Tür hinein. Teure Küchengeräte – ihre Geräte – lagen verstreut zwischen Tellern, Töpfen und Pfannen auf den Arbeitsflächen. Wieder wurde sie unruhig. Das sah so gar nicht nach Marcos Werk aus!
Vermutlich gab es nur eine Erklärung: Irgendein Vollidiot war zu den Klängen von Jagger und Richards in ihr Restaurant eingebrochen.
Eigentlich war klar, was als Nächstes anstand. Nun ruf schon jemanden an. Irgendjemanden! Sie könnte ihren Vater alarmieren. Ihren Cousin. Diesen süßen Cop mit den schokoladenfarbenen Augen, der sich immer am Freitag etwas zu essen aus dem Restaurant mitnahm und darauf bestand, dass sie sich bei Problemen sofort bei ihm meldete. Sie schluckte hart und bemühte sich vergeblich darum, ihr wild klopfendes Herz in den Griff zu bekommen. Aber umsonst. Es schoss weiterhin in ihrer Brust hin und her wie eine Flipperkugel.
Sie schnupperte, und ein ätzender Schwall Bleichmittel, der mit einem leichten Basilikumduft konkurrierte, biss ihr in die Nase. Zitternd legte sie ihre achthundert Dollar teure Leica-Kamera in ihren Helm und zerrte dann ihr Telefon aus der Hosentasche ihrer engen Shorts. Sie begann zu wählen. Neun. Eins …
Plötzlich ertönte aus dem Inneren des begehbaren Kühlschranks Gesang, der an den Edelstahlwänden abprallte. Ziemlich schrill. Geschlecht unklar. Wahnsinnig laut und vollkommen schief.
Sie steckte ihr Telefon wieder ein, öffnete die Tür mit dem Fliegengitter und trat leise ein.
Fieberhaft sah sie sich nach einer möglichen Waffe um und entdeckte schließlich dankbar die gusseiserne Pfanne auf dem Hackblock. Sie ersetzte den Helm in ihrer Hand durch die Pfanne und stellte zufrieden fest, dass ihr Gewicht das Zittern ihrer Hand beinahe zum Aufhören brachte. Ihre verschwommene und ziemlich lächerliche Spiegelung in der Stahltür machte ihr seltsamerweise Mut. Sie war perfekt für ein bisschen Action gekleidet. Keine Frage, sie würde es hinbekommen!
Lili ging an der Tür der Kühlkammer vorbei und machte eine sekundenschnelle Bestandsaufnahme ihres Gegners. Er war ein Schrank von einem Mann und hatte ihr den Rücken zugewandt, während er nach einem mit dem Ragù ihres Vaters gefüllten Behälter auf dem obersten Regalfach tastete. Einen Moment lang ließ sie sich von dieser Unstimmigkeit ein wenig aus dem Konzept bringen. Dieser vollkommen unmusikalische Ganove wollte das Ragù stehlen? Irgendwie passte das nicht recht zusammen, aber immerhin war er in ihr Restaurant eingedrungen. Und das mitten in der Nacht. Als er einen Schritt zurücktaumelte und Lili damit einen ordentlichen Adrenalinschub bescherte, war jeder Zweifel wie weggewischt. Sie riss die Bratpfanne nach oben und verpasste ihm einen kräftigen Hieb gegen den Kopf. Er heulte auf wie ein Wolf – das hatte gesessen! Einen Moment später hatte sie auch schon die Tür hinter dem Gauner zugeworfen. Der einen wirklich netten Hintern hatte, das musste man ihm lassen.
Gute Güte, woher war dieser Gedanke denn jetzt gekommen?! Bestimmt lag das nur an der plötzlichen Erleichterung, denn eigentlich war es ziemlich unpassend, einen Kriminellen heiß zu finden. Lili kicherte nervös und schlug sich dann die Hand vor den Mund, um diese unanständigen Gedanken im Keim zu ersticken.
Und jetzt, Shiny Shorts? Nun war es wohl höchste Zeit, die Polizei zu rufen. Aber sobald sie ihr Telefon hervorgezogen hatte, störte ein neuer Gedanke ihren Triumph. Eigentlich müsste der Kühlschrankdieb doch jetzt ein riesiges Theater veranstalten oder zumindest darum betteln, befreit zu werden. Aber nichts da. Schon seit einer vollen Minute hatte er keinen Piep mehr von sich gegeben. Da der Mechanismus an der Tür kaputt war, mit dem man sie im Notfall von innen öffnen konnte, würde der Einbrecher sich erst einmal nicht selbst befreien können. Lili presste ihr Gesicht und ihre Hände auf die kalte Tür. Das Wummern der Musik vermischte sich mit dem leisen Surren der Kühlkammer.
Noch immer kam kein Mucks aus dem eisigen Gefängnis. Lili hatte eine neue, schreckliche Befürchtung: Was, wenn sie den Mann umgebracht hatte?
Glücklicherweise – oder auch unglücklicherweise – konnte sie sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, da die Tür plötzlich ruckartig aufgerissen wurde und Lili höchst unelegant zu Boden plumpste. Mit dem Hintern voran natürlich!
Es hatte also doch jemand das Sicherheitsschloss repariert.
Zunächst sah sie ein Handgelenk, dann einen haarigen Arm und schließlich das Gesamtpaket. Sie bekam einen vagen Eindruck von etwas Großem, Bösem und Gefährlichem. Der Mann hielt die Pfanne nach oben, um eine mögliche Attacke abzuwehren, aber eigentlich hätte er sich gar keine Sorgen machen müssen. So auf dem Hosenboden sitzend waren Lilis Superkräfte doch deutlich eingeschränkt. Plötzlich bemerkte sie, wie ihre Angst einer heftigen Scham wich.
„Du hättest mich umbringen können, verdammt noch …“, donnerte der Kühlschrankdieb. Dann klappte ihm der Kiefer herunter. Tja, diesen Effekt hatten knapp bekleidete Superheldinnen nun mal.
Der Eindringling hatte dichtes schwarzes Haar, goldgefleckte grüne Augen und ein Gesicht, das direkt aus einem Renaissancegemälde entsprungen zu sein schien. Das waren seine augenscheinlichsten Merkmale. Einen Ganzkörpercheck verschob Lili erst einmal, da sie in Schwierigkeiten steckte. In großen sogar.
Es war er.
Er fasste an seinen Hinterkopf und stellte dann die Pfanne so vorsichtig ab, als handele es sich dabei um eine geladene Waffe.
Nachdem er lässig in Richtung Tresen gewinkt hatte, verstummte die Musik abrupt. Das hatte er wahrscheinlich während seiner Ausbildung bei der dunklen Seite der Macht gelernt.
„Alles klar bei dir, Süße?“, fragte er sie lässig und steckte eine iPod-Fernbedienung in seine Hosentasche, ehe er sich halbherzig in ihre Richtung bewegte. Sie hob die Hand, um ihm zu zeigen, dass alles okay war. Zu spät.
Vorsichtig linste sie hinab auf ihre Brüste und atmete erleichtert auf. Zum Glück war kein Nippel zu sehen. Sie sprang auf und rieb sich ihren schmerzenden Hintern.
Yep. Du trägst ein Wonder-Woman-Kostüm und hast gerade einen der berühmtesten Männer der westlichen Hemisphäre ausgeknockt.
Schließlich sah sie ihm ins Gesicht, das mittlerweile einen recht finsteren Ausdruck angenommen hatte.
„Ich bin Jack.“
„Ist mir inzwischen klar.“
Lili wusste, dass sie in ihrem Outfit die Blicke zwangsläufig auf sich zog. Der Sturz auf ihren Hintern hätte ihrem Ego natürlich einen gewaltigen Knacks verpassen können, aber sie wusste zumindest, dass sie verdammt gut aussehend in den Abend gestartet war. Dieser Meinung waren immerhin vier der fünf tonusschwachen Supermänner auf der Party gewesen! Ihre Jahre als übergewichtige Teenagerin lagen längst hinter ihr, und seitdem stand sie voll hinter ihrer Kleidergröße 44. Und an den Tagen, an denen sie sich weniger attraktiv fühlte – und kannte nicht jede Frau solche Momente? –, gab es immer noch genug Freunde, die ihr versicherten, wie unwiderstehlich ihre Kurven waren.
Jack Kilroys ungewöhnlich hübsche Visage war ihr schon lange vertraut gewesen. Nicht, weil sie ein Fan war – um Gottes willen! Sondern weil ihre Schwester ihr permanent damit in den Ohren lag, wie vollkommen er war und außerdem ihr gesamtes Umfeld dazu bewegen wollte, seine Kochshow anzusehen: Kilroy’s Kitchen (Kommt immer Montagabend um sieben auf dem Kochkanal – nicht vergessen, Lili!). Als megaheißer Brite war er im vergangenen Jahr erst durch seine TV-Show und dann durch seinen Bestseller Französisch Kochen für Anfänger bekannt geworden. Sein bezauberndes Lächeln zierte die Cover diverser Lifestyle- und Kochmagazine, und außerdem konnte man ihn immer wieder dabei beobachten, wie er seinen ganz eigenen Foodie-Charme in verschiedenen Talkshows verbreitete. Erst vor Kurzem hatten seine Trennung von einem Soapstar und eine Prügelei mit einem Paparazzo den Klatschspalten und Nachrichtensendern delikates Futter geliefert.
Im Fernsehen mochte es so aussehen, als habe er ein paar Pfund mehr auf den Rippen, aber im echten Leben war Jack Kilroy einfach nur schlank und wahnsinnig heiß. Seine breiten Schultern überraschten sie nicht, wohl aber das Tribal-Tattoo auf seinem rechten Oberarm. Es war so ganz und gar unbritisch und verlieh ihm einen gefährlichen, sexy Touch. Ihr Blick wanderte hinab auf sein Black-Sabbath-Shirt, das sich über seine wohlgeformten, durchtrainierten Brustmuskeln spannte. Bestimmt hatte er das dem jahrelangen Stemmen von schweren Suppentöpfen zu verdanken. Die langen Beine in den lässigen Jeans vervollständigten diesen verlockenden Anblick.
Ja, Jack Kilroy war der leibhaftige Beweis dafür, dass es einen Gott gab.
„Ist das deine übliche Vorgehensweise? Dass du Leuten erst einmal mit einer Pfanne eins überbrätst, ehe du ihnen Fragen stellst?“, erkundigte er sich, nachdem auch er sie einmal von Kopf bis Fuß gemustert hatte. „Und soll ich erst einmal stillhalten, damit du mit deinem Lasso die ganze Wahrheit aus mir herausquetschen kannst?“ Er deutete auf das goldene Seil, das in einer Schlaufe an ihrer Hüfte hing.
Falls er annahm, dass er sie mit seinem Fachwissen über Wonder Woman irgendwie beeindrucken konnte, dann hatte er sich geschnitten!
Na gut, ein bisschen beeindruckt war sie schon.
„Ich dachte, du wärst ein Dieb. Ich wollte schon die Polizei rufen.“
„Willst du etwa behaupten, hier gäbe es irgendetwas, das sich zu klauen lohnt?“
Von seinem herablassenden Tonfall wurde ihr ganz heiß vor Wut. Vielleicht lag das aber auch an seinen smaragdfarbenen Augen und seinem unbeirrten Blick.
„Machst du Witze? Diese Küchenausstattung befindet sich schon seit Generationen im Besitz meiner Familie.“ Gerade war alles vollkommen chaotisch auf sämtlichen verfügbaren Ablageflächen verteilt. „Wie zum Beispiel die Pastamaschine meiner nonna.“ Sie deutete auf ein verstaubtes Gerät, das neben dem Gewürzbord auf der Arbeitsfläche stand.
„Du meinst dieses verrostete Teil dahinten in der Ecke?“
„Es ist nicht verrostet, sondern vintage. Ich dachte, ihr Briten mögt so etwas?“
„Klar, aber wenn man sich durch diese Teile eine Lebensmittelvergiftung holt, dann endet unsere Liebe auch ganz schnell wieder.“
Protest kam Lili plötzlich sinnlos vor. Immerhin hatte ihr Vater das Ding seit über zehn Jahren nicht mehr benutzt.
„Wenn ich nicht ganz falschliege, musst du Caras Schwester sein. Lilah, nicht wahr?“
„Ja, ich bin Caras Schwester, aber ich heiße Lil…“
„Ich dachte schon, du wärst die Empfangsdame“, unterbrach er sie. „Begrüßt man sich in italienischen Lokalen neuerdings mit Bratpfannen?“
Es ist drei Uhr morgens!, hätte sie am liebsten gerufen. Wahrscheinlich hatte der Schlag auf seinen Kopf doch Auswirkungen auf sein Denkvermögen gehabt. Wie aufs Stichwort rieb er sich den Schädel und umklammerte die Kante der Arbeitsfläche so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er würde doch nicht ohnmächtig werden?
„Ich bin die Geschäftsführerin dieses Restaurants und habe dich nicht erwartet. Wenn ich gewusst hätte, dass Le Kilroy uns höchstpersönlich die Ehre erweisen würde, hätte ich natürlich den roten Teppich ausgerollt.“
Sie schlenderte hinüber zur Gefriertruhe und sah sich dann schnell genug um, um Zeugin seines tranceartigen Blickes auf ihren Hintern zu werden. Meine Güte, nicht einmal ein Schlag auf den Kopf konnte diesen Kerl aus seinem ewigen Flirtmodus reißen! Mit wenigen Handgriffen hatte sie eine Kühlkompresse in eine Serviette gewickelt und reichte sie ihm.
„Wie geht es deinem Kopf? Und ist dir das mit dem Duzen eigentlich recht?“
„Klar. Und mit meinem Kopf ist alles in Ordnung. Wie steht es mit deinem …“ Er deutete mit einer Hand auf ihren Hintern, während er mit der anderen die Kühlkompresse an seinen Schädel drückte.
„Dem geht es bestens“, fauchte sie.
„Sieht ganz so aus“, grinste er.
Bekam der Typ denn nie genug?! „Das ist also deine übliche Herangehensweise, ja? Nicht zu fassen, dass du in der Damenwelt solch einen Erfolg hast.“
Die Klatschmagazine widmeten seinen ständig wechselnden Liebhaberinnen ganze Seiten. Infrage kamen ohnehin nur Fembots aus Hollywood und ausgehungerte Models. Um seine Kochkunst ging es ihnen ganz sicher nicht.
„Es kamen noch keine Klagen“, meinte er.
Sie verschränkte die Arme, um ein wenig würdevoller zu wirken. Gar nicht so leicht in diesem Outfit.
„Also, wie wäre es mit einer Erklärung?“, fragte sie dann etwas schnippisch.
„Meinst du, warum noch keine Beschwerden kamen?“
„Nein. Ich will wissen, was du zu dieser unchristlichen Zeit im Restaurant meiner Familie zu suchen hast.“
„In erster Linie habe ich es darauf angelegt, von einer Superheldin überwältigt zu werden.“
Okay, das war ziemlich süß. Lili konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„Ich bereite mich auf die Show vor und mache eine Bestandsaufnahme. Hat Cara dir denn nichts davon gesagt?“, erkundigte er sich.
Natürlich nicht. Sonst hätte sie ihn schließlich nicht gefragt!
„Ich habe meine Nachrichten noch nicht gecheckt“, schwindelte sie, weil sie nicht zugeben wollte, dass ihre Schwester sie nicht informiert hatte. „Ich war den Abend über sehr beschäftigt.“
„Damit, Katzen von Bäumen zu retten und in einem einzigen Satz von Hochhaus zu Hochhaus zu springen?“
„Das ist der falsche Superheld“, erwiderte sie, immer noch verärgert, weil Cara sie nicht auf den neuesten Stand gebracht hatte. „Und du hast noch nicht erklärt, warum du dich ausgerechnet hier auf deine Show vorbereitest.“ Ihn daran zu erinnern, wie spät es war, war wohl ohnehin sinnlos.
„Weil wir die Sendung hier aufzeichnen, Sweetie. Jack Kilroy macht euer kleines Restaurant richtig berühmt.“
Gut, dass Laurent nicht da war. Wenn er mitbekommen hätte, wie Jack Kilroy von sich in der dritten Person sprach, hätte er sich einfach nur schlappgelacht.
„Hier? Warum sollte deine dämliche Show denn hier gedreht werden?“
Jack überhörte den schnippischen Spruch, obwohl auch ihr Satz zum Thema Damenwelt schon hart an der Grenze gewesen war. Ein wenig heuchlerisch obendrein – sendete diese mit den Hüften wackelnde Frau denn nicht selbst eindeutige Signale?
„Ich habe mir das nicht ausgesucht, glaub mir. Eigentlich ist es hier viel zu eng, und auch die Ausstattung ist für meine Ansprüche viel zu … vintage.“
Nichtsdestotrotz gefiel der Ort Jack, ja, er machte ihn beinahe nostalgisch. Die Edelstahltheke war zerkratzt und abgenutzt und zeugte von den vielen erfolgreichen Jahren des Restaurants. Er liebte solche alten Orte. Irgendwie fühlte es sich behaglich an, auf Arbeitsflächen zu arbeiten, die schon so viel erlebt hatten.
Jack ließ seinen Blick wieder zu Caras Schwester wandern und fragte sich, wie es wäre, sie einfach auf den Tresen zu heben und direkt zur Sache zu kommen. Das ultraeng sitzende Kostüm schnürte ihre Taille ein und presste ihre Brüste auf eine Art und Weise nach oben, als wäre sie einem Comicheft entsprungen. In diesem Outfit erinnerte die Figur der Frau an eine Sanduhr – was man jenseits irgendwelcher Burlesque-Shows im Stil der Sechzigerjahre nicht häufig zu sehen bekam. Tja, das war eine wirklich gut gebaute Frau mit einem derart verlockenden Po, dass er jetzt schon wusste, an welcher Fantasie er sich später ergötzen würde. Sein Kopf pochte zwar noch immer schmerzhaft, aber dieser Anblick versprach definitiv Linderung.
Seine Kommentare zur mangelnden Größe des Restaurants und dem Vintagecharakter der Geräte hatten genau die Wirkung, die er sich erhofft hatte. Wilde Gesten, Sticheleien, glühende Augen. Diese Augen waren im Übrigen auch sehr schön. Hatten fast die Farbe von Curaçao-Likör. Sie funkelten so neckisch, dass er Mühe hatte, nicht zu grinsen.
„Die Küche ist nicht zu eng. Sie ist perfekt.“ Lili deutete auf die Herde und Öfen, die an der hinteren Wand nebeneinander aufgereiht standen. „In dieser winzigen Küche bereiten wir jeden Samstagabend um die hundertfünfzig Gerichte zu, und was wir nun wirklich nicht nötig haben, ist irgendein kilroysches Gütesiegel. Besten Dank. Wir sind auch ohne diesen Quatsch schon bekannt genug.“
„Ich habe diese Küche nie als winzig bezeichnet, aber ich bewundere es sehr, wie gut ihr mit dem begrenzten Platz zurechtkommt.“
Caras Schwester schnaubte und bewegte sich dann auf den schweren Standmixer zu. Sie würde doch jetzt nicht anfangen zu putzen? Beschwichtigend legte er eine Hand auf ihren Arm.
„Hey, keine Sorge. Ich sorge dafür, dass alles wieder so aussieht wie vorher.“
Sie starrte kurz auf seine Hand, die auf ihrer goldenen Haut ruhte, dann funkelte sie ihn wütend an. Pfoten weg! Sie schob sich eine Haarlocke hinters Ohr und begann mit ihrer Mission, die darin bestand, aufzuräumen und ihn wie einen Vollidioten erscheinen zu lassen. Eine Wolke widerspenstigen kakaobraunen Haars verdeckte ihr Gesicht und verlieh ihr einen leicht irren Touch.
Aber es brauchte mehr als einen tödlichen Blick und ein paar wilde Locken, um ihn in die Flucht zu schlagen. Es machte einfach viel zu viel Spaß, sie zu necken!
„Ich bin ziemlich fix, Sweetie. Und wenn wir das mit deinen Superkräften kombinieren, sind wir ruck, zuck fertig.“
Sie warf ihr Haar zurück und sah ihn mitleidig an. „An deiner Stelle würde ich lieber nicht so laut herumtönen, wie schnell du fertig bist. Das hört keine Frau gern.“
Autsch.
Noch ehe er eine schlagfertige Antwort parat hatte, flog auch schon die Küchentür auf und Cara DeLuca, seine Produzentin, stürzte herein. Weder die ungewöhnliche Uhrzeit noch die wüstenähnliche Hitze hielten sie davon ab, einen todschicken cremefarbenen Zweiteiler und Absatzschuhe zu tragen. Laurent, sein Souschef und enger Vertrauter, stolperte träge und mit einem Tablett mit Kaffeebechern in den Händen hinter ihr her.
„Okay, jetzt bringst du mich sicher um“, meinte er Cara murmeln zu hören.
Ganz offenbar drohte ein waschechtes Geschwisterdrama. Da er selbst eine jüngere Schwester hatte, kannte er die Anzeichen dafür nur zu gut.
„Lili, was um alles in der Welt trägst du da bloß?!“ Dann winkte Cara ab. „Ach, was soll’s.“
Lili. Er hatte sie Lilah genannt. Lili passte viel besser.
In Windeseile verschaffte Cara sich einen Überblick über die Situation in der Küche. Seine Producerin war alles andere als langsam. Dadurch war sie einerseits sehr gut in ihrem Job, konnte aber auch ziemlich schnippisch sein. In der Crew war sie auch unter dem Namen Zitronentarte bekannt – und das bestimmt nicht, weil sie so süß war.
„Warum hältst du den Kopf so schief?“
Jack linste zu Lili hinüber. Er wollte sie nicht verpfeifen, aber das war auch nicht nötig, weil sie sofort alles zugab. Mehr oder weniger.
„Ich dachte, er gehört zu dieser Bande Klassikrock liebender Ganoven, die so furchtbar schief singen und in ganz Chicago italienische Küchen ausrauben. Und ich war ja sowieso schon perfekt gekleidet, um Verbrechen zu bekämpfen … Da habe ich einfach instinktiv reagiert und deinen Star in die Kühlkammer gesperrt.“
Um ein Haar hätte er losgeprustet, auch wenn sie gerade ziemlich eindeutig seinen Gesang beleidigt hatte.
Auch ihre Mundwinkel zuckten verdächtig.
„Lili, so kannst du doch nicht mit einer Ikone umgehen!“, fauchte Cara.
„Ich finde auch, dass der Hieb mit der Bratpfanne etwas zu weit ging“, ergänzte Jack.
Caras Kopf wirbelte herum, als wäre sie direkt dem Film Der Exorzist entsprungen.
„Du hast …?!“
Jack rieb sich den Hinterkopf, um die Sache noch ein wenig dramatischer zu gestalten. „Ich glaube nicht, dass ich eine Platzwunde habe. Aber eine dicke Beule bekomme ich bestimmt.“
Cara streichelte über seinen Kopf und jaulte auf wie ein Hundewelpe. „Gott, Lili! Ist dir klar, was passiert wäre, wenn Jack eine Gehirnerschütterung gehabt und in die Notaufnahme gemusst hätte?“
„Vielleicht wäre das ja gut für seine persönliche Entwicklung gewesen? Eine kleine Lektion in Sachen Demut würde ihm jedenfalls nicht schaden“, erwiderte Lili.
Wieder zuckte ihr Mundwinkel – und er empfand plötzlich große Lust, einmal mit der Zunge darüber zu fahren.
Laurent war verdächtig still gewesen, aber nun trat er einen Schritt nach vorn, und Jack machte sich schon einmal auf eine geballte Ladung gallischen Charmes gefasst. Wie immer wirkte sein Kumpel, dessen sandfarbenes Haar in alle Richtungen abstand, als wäre er eben erst aufgestanden. Seine strahlend blauen Augen blitzten.
„Bonjour, ich bin Laurent Benoit. Ich arbeite mit Jack.“ Er sprach seinen Namen wie Zhaque aus, was faul, sexy und französisch zugleich klang. „Du musst Caras wunderschöne Schwester Lili sein.“
Er reichte Lili die Hand, und sie griff widerstrebend zu, während Laurent sie verführerisch anlächelte. „Enchanté“, sagte er und hob ihre Hand an seine Lippen, um sie zu küssen. Lili lachte heiser auf – das war in den gesamten fünf Minuten, die er allein mit ihr verbracht hatte, kein einziges Mal vorgekommen. Der Kerl war einfach unschlagbar.
„Das ist doch mal ein Akzent, mit dem ich was anfangen kann“, murmelte Lili.
Jack seufzte. Laurent – ein brillanter Souschef, gelegentlich bester Freund und heftigster Konkurrent in Sachen Liebe – verkörperte das Bild des französischen Lovers in Perfektion. So gut er in der Küche war, so gut würde er sich auch in jeder Tourismuskampagne für Frankreich machen. Er brauchte nichts weiter als eine Baskenmütze, ein Baguette und eine Packung Kondome.
Jacks Kopf schmerzte immer noch, und er war furchtbar erschöpft. Er war sich ziemlich sicher, dass er in der Kühlkammer ein paar Sekunden lang das Bewusstsein verloren hatte, und musste gegen den immer stärker werdenden Schwindel ankämpfen. Kaffee. Den brauchte er jetzt. Kaffee und irgendetwas, worauf er sich konzentrieren konnte. Etwas, das nicht so kurvig und weich aussah und diese männerverschlingenden Vibes aussandte.
„Besteht die Chance, dass wir jetzt mit dem ursprünglichen Plan weitermachen?“, fuhr er Cara ein wenig heftiger als beabsichtigt an.
„Na klar, Babe. Du kannst direkt loslegen.“ Cara packte Lili am Arm und zerrte sie aus der Küche. „Liliana Sophia DeLuca, wir unterhalten uns jetzt mal im Büro, wenn dir das recht ist.“
Laurent stand mit verschränkten Armen da und ließ die Szene auf sich wirken.
„Ich glaube, ich bin verliebt“, stöhnte er. „Ist sie nicht die süßeste chérie, die du je gesehen hast?“
Jack prustete. „Du hast dich in diesem Jahr jetzt schon zum vierten Mal verliebt, und es ist gerade mal Juni!“
„Hast du denn nicht gesehen, wie sie ihre Nase krausgezogen hat, als ich ihre Hand genommen habe? Und dieser liebliche derrière … Was gäbe ich drum, ihn näher betrachten zu dürfen.“
„Kann sein, dass sie einen süßen Hintern hat, aber glaub mir, ihr Bowlingarm ist verdammt gefährlich.“ Wieder fanden seine Finger die Stelle, an der die Pfanne seinen Schädel getroffen hatte. Da war definitiv eine Beule.
Jack folgte Laurents Blick zur Schwingtür, durch die Cara und Lili eben entschwunden waren. Plötzlich hatte er eine Vision davon, wie seine Lippen Lilis berührten und ihre wunderschönen Augen ihn dabei voller Leidenschaft ansahen. Es dauerte nicht lang, bis er sich vorstellte, wie er an der Innenseite ihrer Oberschenkel hinaufstrich und dann kurz am Saum ihrer engen, blau schimmernden Shorts verweilte.
Es wurde gerade richtig interessant, als ihn das Aufprallen einer Pfanne auf den Boden zurück ins Hier und Jetzt beförderte. Laurent murmelte eine Entschuldigung, und Jack blinzelte, um seine überbordende Fantasie in Schach zu halten. Immerhin hatte er seine Schmerzen auf diese Weise einen Moment lang vergessen können. Vielleicht sollte er die Kühlkompresse jetzt mal in seinen Schritt drücken?
Evie, seine drachenähnliche Agentin, hatte sich klar ausgedrückt. Denk an den Vertrag, Jack. Verhalt dich schön unauffällig! Und ganz egal, was passiert: Lass dich auf keinen Fall aufs Personal ein! Der Deal mit dem Medienkonzern war wie eine Rakete, die seine Marke in die Stratosphäre katapultieren würde. Schluss mit dem mickrigen Fernsehkram. Stattdessen würde er seine Botschaft von einer bezahlbaren Haute Cuisine so weit wie möglich verbreiten und sich dadurch mit Ruhm bekleckern.
Er durfte sich also keinesfalls von Frauen ablenken lassen, selbst wenn es sich dabei um so verlockende Kandidatinnen wie Caras Schwester handelte. Er sollte die Angelegenheit einfach vergessen – besonders nach seiner desaströsen letzten Beziehung. Auch wenn Lili wirklich den schönsten derrière des gesamten mittleren Westens hatte.
Lili stolperte hinter Cara her ins Büro, das sich in den Hinterräumen des Restaurants befand, und konzentrierte sich auf den üppigen platinblonden Pferdeschwanz ihrer Schwester. Nachdem sie den Drehstuhl vorsichtig mit einem Taschentuch abgewischt hatte, nahm Cara in ihrem cremefarbenen Seidenrock darauf Platz und strich den Stoff glatt.
„Nettes Kostüm“, kommentierte sie mit einem wissenden Grinsen. „Jack scheint es zu gefallen.“
Die Absurdität dieses Statements tötete das aufregende Gefühl, das Lili unter Jacks begehrlichen Blicken empfunden hatte, sofort wieder ab. Es war richtig gewesen, der Sache nicht zu trauen. Er sah viel zu gut aus, war zu charmant, zu … alles. Ein Mann mit einem solchen Ego brauchte permanent Bestätigung seitens der Damenwelt. Die Erinnerungen an ihren Ex waren noch frisch: So eine Geschichte wollte sie kein zweites Mal erleben.
Lili griff nach ihrem großen Pullover, der an der Tür hing, und zog ihn sich über den Kopf. „Hast du Mom schon gesehen?“
Cara betrachtete ihre Fingernägel. Eine Vermeidungsstrategie, die Lili sofort auffiel, da sie sie selbst gern benutzte. „Ich habe mit ihr telefoniert. Sie klingt eigentlich recht fröhlich. Ich wollte ihr später ein Geschenk vorbeibringen.“
Lili verkniff sich eine schnippische Antwort. Caras Talent, unangenehme Tatsachen zu ignorieren, war wirklich legendär und hatte in letzter Zeit zu einigem Zwist zwischen den beiden Schwestern gesorgt.
Warum sollte man sich auch die Mühe eines Besuchs machen, wenn ein wöchentlicher Geschenkkorb doch ebenso gut folgende Nachricht überbrachte: Herzlichen Glückwunsch, dass du den Krebs besiegt hast, Mom! Aber gerade war nicht der richtige Zeitpunkt für eine Konfrontation. Und wie sollte man jemanden hassen, der auf eine so zerbrechliche Art und Weise schön war? Lili musste dringend das Thema wechseln.
„Cara, du hättest mich wirklich vor dieser britischen Invasion warnen können.“
Cara schlug ihre wohlgeformten Beine übereinander und zupfte einen unsichtbaren Fussel von ihrem tulpenförmigen Rock. Wahrscheinlich trug sie Größe 34, auch wenn ihre Schwester ein wenig draller aussah als bei den vergangenen Besuchen. Dass Cara so dünn war, weckte sowohl Lilis Neid als auch ihre Ehrfurcht. Wie schaffte Cara es nur, sich so im Griff zu haben? Manchmal hatte Lili sogar die Vermutung, wenn nicht gar die leise Hoffnung, dass Cara adoptiert war. Wie sonst ließ sich ihre vollkommen unitalienische Haltung dem Essen gegenüber erklären?
Cara zuckte auf ihre ganz eigene nonchalante Art und Weise mit den Schultern. „Ich habe gestern mit Il Duce gesprochen und er ist einverstanden.“
Il Duce war der Spitzname ihres Vaters, der von der erstaunlichen Ähnlichkeit zwischen ihm und einem ehemaligen italienischen Diktator herrührte. Lili war zwar de facto die Geschäftsführerin des Restaurants, solange ihre Mutter sich von der Krebserkrankung erholte, aber eigentlich hatte immer noch ihr Vater das Sagen. Deswegen war es keine große Überraschung, dass er die Entscheidung ohne sie getroffen hatte.
Als Cara einen sanfteren Ton anschlug, wusste Lili, dass sie ihre Verletztheit nicht schnell genug überspielt hatte.
„Es ist eine einmalige Chance für das Restaurant. Erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, dass wir nächste Woche im Seraphina’s auf der Randolph Street drehen wollten? Na, und gestern haben wir erfahren, dass sie wegen Verstößen gegen das Lebensmittelgesetz schließen mussten. Ratten!“ Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, als hätte sie die Biester mit ihren eigenen unschuldigen Augen gesehen. „Wir haben händeringend nach einer Alternative gesucht, und da habe ich Jack eben unser Restaurant vorgeschlagen. Ehrlich gesagt ist er richtig dankbar, dass Dad ihm aus der Patsche hilft.“
Von Jacks Dankbarkeit hatte Lili vorhin wenig gespürt. Eigentlich hatte er sich eher so benommen, als täte er ihnen einen Gefallen – und wenn sie ehrlich war, stimmte das ja sogar ein bisschen. Ihr Herumgeprahle, wie fantastisch das Restaurant dastand, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie definitiv in Schwierigkeiten steckten. Das lag zum einen an dem Druck von außen, zum anderen an internen Problemen. Sie konnten von Glück sprechen, wenn sie an einem Samstag um die achtzig Gäste hatten. An den Abenden unter der Woche war das Restaurant gespenstisch leer. Die klassische italienische Küche war einfach nicht mehr in, und so köstlich das Essen ihres Vaters auch war, so schwer war es doch, mit all den hippen, trendigen Lokalen mitzuhalten, die überall in Wicker Park wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Lili hatte jede Menge Ideen für neue Konzepte, aber ihr despotischer Vater stellte sich quer.
„Was hältst du denn von ihm?“, fragte Cara. „Jack Kilroy ist ziemlich süß, oder?“
Immer noch besorgt zuckte Lili mit den Schultern. Seit Caras New Yorker Firma, Foodie Productions, im Januar die Zuständigkeit für Jack Kilroys Show übernommen hatte, fuhr ihre Schwester total auf ihn ab. Cara war der Auftrag sehr wichtig, und wenn man ihr glauben konnte, gehörte dieser Show die Zukunft. Es blieb für Lili trotzdem ein Rätsel, warum ausgerechnet ihre Schwester, die sich herzlich wenig aus Essen machte, Kochsendungen produzierte.
„Warum kocht er denn in einer Restaurantküche und nicht in einem Studio – so wie all die anderen Starköche? Es überrascht mich, dass Mr Sexgott sich mit einem solchen Ort überhaupt abgibt.“
„Ab und zu begibt Mr Sexgott sich eben auch mal in niedere Gefilde.“
Sein britischer Akzent jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie drehte sich um und stellte wieder einmal fest, dass sein Aussehen eine echte Sünde war. Lili konzentrierte sich auf sein Gesicht und nutzte dabei ihren scharfen Fotografinnenblick. Musterte die Sommersprossen auf seiner Nase. Die Narbe an seinem Kinn, die wie aufgemalt wirkte. Seine wundervollen dunklen, seidigen Wimpern, die seine grünen Augen umkränzten. Im echten Leben war Jack noch viel beeindruckender als auf dem Bildschirm.
Ihr fiel viel zu spät auf, dass sie ihn regelrecht angaffte, aber lustigerweise machte er es umgekehrt genauso. War vielleicht eine gute Flirtstrategie, jemandem mit einer Bratpfanne auf den Kopf zu hauen! Sie zog an dem Saum ihres Pullovers und spürte, wie die Wolle an ihrer Haut kratzte. Die glühte unter Jacks Blicken ohnehin schon.
Er blinzelte und hielt ihr den Vespahelm entgegen. „Der gehört dir, nehme ich an?“
Sie nahm ihn mit zittrigen Händen entgegen und stellte erleichtert fest, dass ihre Kamera und ihr Telefon immer noch darin lagen. „Danke“, murmelte sie.
„Du bist in diesem Outfit Motorrad gefahren?“
„Mit dem Roller, um genau zu sein. Und, was ist dabei?“
„Ach, ich versuche es mir nur gerade bildhaft vorzustellen.“
Du lieber … Was soll’s. „Wir sollten über die Show sprechen.“
„Also“, sagte Cara. „Ich setze dich mal grob ins Bild.“ Sie lehnte sich nach vorn wie bei einem Pitch vor einem Hollywoodproduzenten. „Es geht um ein Kochduell zwischen Jack und einem anderen berühmten Koch, und zwar auf einem Gebiet, auf dem er sich nicht so gut auskennt. Jacks Spezialität ist die französische Küche. Er wird also gegen andere Kochstile antreten, ein brandneues Menü kreieren und das Essen anschließend echten Gästen servieren. In diesem Fall wird er gegen Dad antreten, und wer die meisten Stimmen bekommt, gewinnt. Ganz simpel, oder? Die Show ist noch ganz neu. Sie heißt Jackpot – Ein Koch für alle Fälle und die Pilotsendung wird im Ristorante DeLuca gedreht!“
Lili lehnte sich an den Schreibtisch und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Jack zu, der lässig am Türrahmen lehnte.
Ihr Vater hatte bereits Preise gewonnen – zum Beispiel die Auszeichnung als bestes italienisches Restaurant vom Chicago Magazine, auch wenn das schon zehn Jahre zurücklag – und die Köche kamen von nah und fern, um von ihm die Kunst der richtigen Gnocchi-Zubereitung zu lernen. Er war ein echtes Kochgenie und kein Narzisst, der sich ganz auf seinen Charme und seine hübschen Wangenknochen verließ. Es war höchste Zeit, dass sie diesem eingebildeten Kerl zeigte, wo es langging.
„Du stehst also nicht so auf die italienische Küche, ja?“
Während Jack darüber nachzudenken schien, ergriff Cara wieder das Wort. „Es gibt auch noch einen interessanten Twist bei der Sache. Jack darf seine eigenen Vorspeisen aussuchen und auch das Dessert, aber Dad wählt die Pastagerichte und die Hauptspeisen für beide Köche aus. Jack erfährt erst am Tag des Duells, welche es sind.“
Lili fielen spontan eine Menge Gerichte ein, die in letzter Minute richtig Probleme bereiten konnten. Das würde ein Spaß werden! Ihr Blick wanderte an dem langen, schlanken Körper des britischen Muskelprotzes hinab. Ein Riesenspaß sogar.
„Denkt ihr, ich sollte mir Sorgen machen?“, fragte er in einem Tonfall, der klarstellen sollte, dass er vollkommen entspannt war.
„Oh, und ob. Mein Vater wird es dir nicht leicht machen, Brit-Boy.“
Seine Mundwinkel zuckten. „Mach dir mal keine Sorgen, Süße. Brit-Boy wird es schon hinkriegen, einen Topf Linguine mit geschmolzenem Mozzarella und Kalbfleisch zu zaubern. Die italienische Küche ist nun wirklich nicht die komplexeste – nichts gegen deinen Vater! Und die meisten Restaurants würden dafür morden, Teil meiner Show zu sein. Immerhin könnt ihr euch darauf verlassen, dass ihr das nächste halbe Jahr über ausgebucht sein werdet.“
Wow. Jack Kilroy hatte der italienischen Küche gerade eine echte Abfuhr erteilt, und das setzte ihr tatsächlich zu.
„Wenn du tatsächlich denkst, dass die italienische Küche derart simpel ist, solltest du vielleicht heute Abend zum Essen vorbeikommen. Dann wirst du schon sehen, dass mein Vater besser Käse schmelzen kann als jeder andere dämliche Spitzenkoch. Kann sein, dass ein Teufelskerl wie du dabei nichts Neues übers Kochen lernt. Aber vielleicht ja ein paar Manieren?“
Er öffnete den Mund, schwieg dann aber. Gut so.
Schließlich ging er an ihr vorbei und drückte Cara ein Blatt Papier in die Hand.
„Hier steht alles drauf, was ich brauche. Ich will morgen alle Gerichte probekochen.“ Mit diesen Worten verließ er die Küche wie ein Schauspieler die Bühne.
Ungläubig schüttelte Lili den Kopf. „Ich weiß ja, dass der Typ jetzt dein Boss ist, Cara. Aber wie kann er sich nur erdreisten, zu behaupten, die italienische Küche sei nicht raffiniert? Du hättest mal hören sollen, wie er vorhin über unsere Küche und unsere Ausrüstung hergezogen ist. Für wen hält er sich bloß?“
Cara zupfte an ihrer tief ausgeschnittenen Bluse, löste ihren Pferdeschwanz und warf ihr perfektes platinblondes Haar zurück.
„Dieser sexy Typ, kleine Schwester, ist dein Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk zugleich.“
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