Manhattan Jingle Bells Manhattan Jingle Bells - eBook-Ausgabe
Roman
— Humorvoll-prickelnde Weihnachtsromance in einem New Yorker KaufhausManhattan Jingle Bells — Inhalt
Er spielt Santa, sie seine Elfe – dabei hasst er Weihnachten. Ein humorvoller, prickelnder Weihnachtsroman in New York für Fans von Poppy J. Anderson und Saskia Louis
„›Wenn du über mich herziehen kannst, gehst du in deiner Rolle ja richtig auf.‹
Ein verschmitztes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. ›Habe ich etwa nicht die Wahrheit gesagt?‹
Sie beugte sich zu ihm hinüber. ›Doch! Aber ob du es glaubst oder nicht, wir unartigen Mädchen bekommen immer am meisten Geschenke.‹“
Betty Davis ist verzweifelt: nach nur zwei Wochen ist sie schon wieder arbeitslos und würde so kurz vor Weihnachten jeden Job annehmen. Daher steht sie kurze Zeit später als Weihnachtselfe im altehrwürdigen Kaufhaus Maint's inmitten von Manhattan. Als wäre das neongrüne Kostüm nicht schon schlimm genug, spielt niemand Geringeres als ihr Boss Josh McAllistar den Santa Claus. Der ist zwar sehr attraktiv, aber durch und durch ein Grinch und scheint sie zudem nicht ausstehen zu können. Doch Bettys Ehrgeiz ist geweckt – so schwer kann es nicht sein, ihn mit ihrer Weihnachtsstimmung anzustecken, oder? Und wider Erwarten findet sie zunehmend Gefallen an Josh, und es beginnt im Winterwunderland zwischen Weihnachtsdeko und Rentieren ordentlich zu knistern …
Leseprobe zu „Manhattan Jingle Bells“
Kapitel 1
„Dann geh doch“, schrie Simon Field so laut durch das Büro, dass die Angestellten sich Hilfe suchend hinter ihren Bildschirmen duckten.
Alle, bis auf eine.
„Mache ich auch. Mich siehst du nur noch von hinten“, feuerte Betty mit wutverzerrtem Gesicht zurück. Ihre Wangen glühten, als sie ihre Handtasche mit zitternden Fingern vom Schreibtisch nahm und mehrmals an ihrem Mantel ziehen musste, bis dieser sich endlich von ihrem Schreibtischstuhl lösen ließ. Erhobenen Hauptes stakste sie auf ihren schwindelerregend hohen Schuhen aus dem Büro.
Kaum war [...]
Kapitel 1
„Dann geh doch“, schrie Simon Field so laut durch das Büro, dass die Angestellten sich Hilfe suchend hinter ihren Bildschirmen duckten.
Alle, bis auf eine.
„Mache ich auch. Mich siehst du nur noch von hinten“, feuerte Betty mit wutverzerrtem Gesicht zurück. Ihre Wangen glühten, als sie ihre Handtasche mit zitternden Fingern vom Schreibtisch nahm und mehrmals an ihrem Mantel ziehen musste, bis dieser sich endlich von ihrem Schreibtischstuhl lösen ließ. Erhobenen Hauptes stakste sie auf ihren schwindelerregend hohen Schuhen aus dem Büro.
Kaum war sie auf dem Gehweg vor dem gläsernen Komplex angekommen, hielt sie einen Moment inne. Laut stieß sie einen Schwall Luft aus, und ihr Atem bildete kleine weiße Wölkchen. Die eiskalte New Yorker Winterluft brannte in ihrem Gesicht. Sie hatte ihr Temperament noch nie gut im Griff gehabt, doch der Auftritt eben war wohl der absolute Tiefpunkt gewesen, und dabei hatte sie gerade einmal zwei Wochen in der Marketingagentur gearbeitet.
Kopflos irrte sie durch die Straßen. Vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu gehen, war keine Option, denn ganz sicher würde ihr ihre Vermieterin, Ms. Rosewood, auflauern. Diese war mit jeder Miete mehr, die Betty im Rückstand war, penetranter geworden. Und leider war Betty sich inzwischen sicher, dass auch ihrer Vermieterin mittlerweile klar geworden war, dass sie kein aufgehender Star am Himmel war, der bald im Reichtum schwimmen würde. Es tat ihr leid, dass sie die alte Dame so täuschen musste, doch sie konnte es sich nicht leisten, die Wohnung zu verlieren, denn dann müsste sie im Auto hausen. Zumal sie nicht einmal mehr ein Auto hatte.
Für ihre letzten vier Dollar kaufte sie sich einen heißen Kaffee bei Starbucks. Obwohl es noch einen Monat bis Weihnachten war, erstrahlte bereits alles in Rot und Gold. Dicke sattgrüne Tannengirlanden hingen über der Theke und waren üppig mit Lichterketten und glitzernden Kugeln geschmückt. Bettys Laune erhellte sich schlagartig. War es doch ihre liebste Zeit im Jahr. Seufzend ließ sie sich mit dem Kaffee in der Hand auf einem der abgewetzten Ledersessel nieder und zückte ihr Handy. Gestresst rieb sie sich über das Gesicht.
„Denk nach, Betty, in irgendetwas musst du doch gut sein“, versuchte sie, sich selbst Mut zuzusprechen. Hastig scrollte sie in einer App namens Do what you love durch das Jobangebot in der Umgebung. Zynisch lachte sie leise über den Namen. Dann würde sie den ganzen Tag bei Netflix und heißer Schokolade auf dem Sofa verbringen und Vampirserien suchten. Doch dann hätte sie keine Wohnung mehr, geschweige denn ein Sofa oder einen Fernseher.
Sie straffte die Schultern, richtete sich kerzengerade auf und ermahnte sich selbst, die Jobsuche ernst zu nehmen.
„Bäckerin? Nein, lieber nicht.“ Tante Marsha war an ihrem letzten Cupcake-Versuch beinahe erstickt. Hätte man einen schnelleren Tod vorgezogen, hätte man sie aber auch einfach mit ihrem Gebäck erschlagen können, so steinhart war es gewesen. Komischerweise gelangen ihr lediglich Weihnachtsplätzchen nach den Rezepten ihrer Großmutter. „Tierpflegerin? Nein, auch nicht.“ Betty konnte keine Maus von einem Hamster unterscheiden.
Das würde übel enden. Je weiter sie scrollte, desto lauter knurrte ihr Magen. Sie musste einfach etwas finden. Ha, das war doch was. Aushilfe bei Maint’s. Nachdenklich reckte sie ihren Kopf vor und versuchte, durch die große Fensterscheibe einen Blick auf die 41st Street zu erhaschen. Das Maint’s müsste gleich dort vorn sein. „Verkaufen kann ich bestimmt“, murmelte sie, als sie ihre Jacke wieder anzog und mit geschulterter Handtasche und Kaffeebecher in der Hand loseilte. Im Verkauf wäre sie bestimmt unübertrefflich, sie war so überzeugend, sie würde sogar die Antibabypille an Nonnen loswerden.
Vor dem bestimmt hundert Jahre alten Gemäuer des elfstöckigen Gebäudes inmitten Manhattans zog sie, mit Blick in das spiegelnde Schaufenster, ihren Lippenstift nach und wiederholte stoisch ihr Mantra: „Alles wird gut. Alles wird sich fügen. Irgendwann bin ich reich.“
Ein uniformierter Pinguin öffnete ihr mit vornehmem Kopfnicken die schwere, gläserne Tür des noblen Kaufhauses. Trockene Hitze schlug ihr aus den Lüftungsschächten entgegen. Mit schwitzigen Händen und zittrigen Fingern knöpfte sie hastig ihren Mantel auf, um nicht zu zerfließen. Laut prustend strich sie ihr schwarzes Etuikleid glatt. Ein Glück, dass sie heute so schick zur Arbeit gegangen war – als persönliche Assistentin des großen Simon Field, der lediglich den Titel als Größter Idiot der Stadt verdient hatte.
Auch im Maint’s war bereits die Weihnachtssaison eingeläutet worden. Mistelzweige und teuer aussehende Kugeln hingen von der Decke. Kleine geschmückte Tannenbäume säumten die Gänge, und leise Weihnachtsmusik kam blechern aus den Lautsprechern. Schnellen Schrittes eilte sie zu dem Informationstresen, an dem ein älterer, grauhaariger Mann saß und freundlich umherblickte.
„Betty Davis, hallo, ich komme wegen des Aushilfsjobs.“
Seine buschigen Augenbrauen schossen in die Höhe. „Betty Davis?“
„Ja, ich weiß, wie die Sängerin. Meine Eltern waren große Fans von ihr. Nein, niemand aus meiner Familie ist verwandt oder verschwägert mit ihr, und noch mal nein, ich kann auch nicht singen.“
Es war offensichtlich, dass der ältere Herr seine Schwierigkeiten damit hatte, ihr zu folgen, weswegen er lediglich bedächtig nickte und sie mit großen Augen anblickte. „Ich wollte eigentlich bloß Ihren Namen verifizieren, um auf der Liste für die Vorstellungsgespräche nachschauen zu können.“
„Oh.“ Betreten senkte sie den Blick. „Die meisten Menschen stellen genau diese Fragen, wenn sie meinen Namen zum ersten Mal hören.“
Schüchtern lächelte der Mann sie an. „Das hätte ich auch als Nächstes wissen wollen.“ Mit suchendem Zeigefinger fuhr er über eine lange Liste auf einem dunkelroten Klemmbrett. „Sie scheinen keinen Termin zu haben.“
„Do-o-o-ch“, ließ sie mit völliger Überzeugung verlauten. „Ganz sicher. Das habe ich mit Judy geklärt oder war es Nancy?“ Als würde sie über die eben erfundene Mitarbeiterin nachdenken, tippte sie sich mit dem Finger ans Kinn. Die Chancen, dass in dieser konservativen Shoppinghölle eine Dame mit einem dieser Namen arbeitete, sollten gut stehen.«
„Judy Sinclair?“, fragte der grauhaarige Mann, nun schon etwas weniger verwirrt.
„Genau die.“ Betty nickte so energisch, als würden sie und Judy sich regelmäßig samstags zum Brunch treffen.
„Einen Moment, bitte, ich frage oben nach.“
Geduld war nicht Bettys Stärke. Daher tippte sie nervös mit den Fingerkuppen auf den kalten weißen Marmortresen vor sich, während der Herr versuchte, zu Judy durchgestellt zu werden.
Nachdem er endlich aufgelegt hatte, wandte er sich unsicher an sie. „Ms. Sinclair scheint nicht mehr im Haus zu sein. Mr. McAllistar würde das Gespräch aber mit Ihnen führen. Seine Assistentin entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, da Ihr Gespräch wohl vergessen wurde. Eine offene Stelle gibt es wohl noch zu besetzen.“ Er erhob sich von seinem Drehstuhl und streckte den Kopf über die Marmorplatte. „Sie gehen links an den Rentieren vorbei und nehmen den Aufzug in den neunten Stock.“
„Recht herzlichen Dank“, flötete sie. Das war zu einfach, dachte sie sich und kicherte leise.
Im neunten Stock angekommen, erstreckte sich ein schmaler, dunkler Gang vor ihr, von dem unzählige Türen in Büroräume abgingen. Eine dralle Brünette stürmte auf sie zu. „Ms. Davis. Ich entschuldige mich vielmals. Ms. Sinclair muss den Termin wohl versehentlich nicht notiert haben. Daher liegen mir auch Ihre Unterlagen nicht vor. Haben Sie diese zufällig mitgebracht, sodass Mr. McAllistar einen Blick darauf werfen kann?“
Mit aufgesetzt betretener Miene schüttelte Betty den Kopf. „Leider nein, aber ich bin mir sicher, wir werden uns auch so gut kennenlernen.“
Irritiert nickte die Dame mittleren Alters und signalisierte ihr mit einem Handzeichen, dass sie ihr folgen sollte.
„Nehmen Sie gern Platz. Mr. McAllistar wird sofort für Sie da sein.“
Entspannt blickte Betty sich in dem düsteren Raum um. Mr. McAllistar schien wohl eine Schwäche für Eiche rustikal zu haben. Aber gut, wen wunderte es, wenn man bedachte, dass der gute Mann an die hundert Jahre alt sein musste. Jeder in Manhattan kannte das Maint’s, dessen Leitung seit Ewigkeiten bereits von einer Generation zur nächsten übertragen worden war. Es kam ihr gelegen, dass ihr nie da gewesener Lebenslauf verlegt worden war, so konnte sie ihm alles Mögliche über ihre bisher sehr erfolgreiche Karriere im Verkauf bei exzellenten Häusern erzählen.
Mit einem Ruck wurde die schwere hölzerne Tür aufgestoßen, und ein junger Mann betrat den Raum. Gleichermaßen überrascht wie verwirrt klappte Bettys Mund auf.
Unbeirrt von ihrer Reaktion streckte er ihr die Hand zur Begrüßung entgegen. „Josh McAllistar. Hallo, Ms. Davis?“
Mit in Falten gelegter Stirn blickte sie ihn an und stammelte: „Hallo, ja, richtig.“
Seine harten Gesichtszüge um das kantige Kinn entspannten sich auch nicht, als sie sich zu einem freundlichen Lächeln durchrang. Gedankenverloren ließ er sich auf dem schweren schwarzen Ledersessel hinter dem Schreibtisch nieder und scannte den Tisch mit suchenden Augen ab. „Ich habe jetzt keinen Lebenslauf von Ihnen, aber wenn Judy Sie eingeladen hat, gehe ich davon aus, dass Sie zum einen die notwendigen Fähigkeiten und zum anderen die Freude daran mitbringen. Zudem muss ich die Stelle schnellstmöglich besetzen, da, wie Sie ja vermutlich wissen, die Weihnachtssaison in unserem Hause bereits nächste Woche richtig losgeht.“
Mit verständnisvollem Lächeln nickte sie langsam. „Natürlich, machen Sie sich keine Gedanken. Das ist der Job, von dem ich schon immer geträumt habe. Glauben Sie mir, mit mir haben Sie die richtige Besetzung.“
Josh McAllistar zog eine Braue nach oben, bedachte sie mit einem skeptischen Blick, zuckte aber nur Sekunden später mit den Schultern. „Na, wenn Sie meinen. Umso besser. Montag geht es los. Seien Sie pünktlich um neun Uhr für die Lagebesprechung da. Es ist der erste Tag von Santa Claus, und wir erwarten einen Run wie jedes Jahr.“
Bettys Herz hüpfte vor Glück. Sie würde nicht nur in einem der edelsten Kaufhäuser New Yorks als Verkäuferin arbeiten, sondern könnte in ihrer Mittagspause auch noch Zuckerstangen bei Santa abstauben. „Ich werde überpünktlich sein“, versicherte sie ihrem neuen Boss freudestrahlend.
Dieser drückte auf einen Knopf an seinem Laptop. Leises Rauschen ertönte, bevor er sprach. „Laura, bringen Sie Ms. Davis bitte ihr Kostüm.“
Gerade noch so konnte Betty sich davon abhalten, begeistert in die Hände zu klatschen. Sie hatte nicht damit gerechnet, ein Outfit gestellt zu bekommen. Allerdings war es logisch, trugen doch alle Verkäuferin diese schicken Sets aus schwarzen Shirts und Röcken mit diesen leicht spießigen, wenn auch irgendwie niedlichen Halstüchern. Sie hätte ausflippen können vor Freude, als Laura zur Tür hereinkam. Doch eine Sekunde später fiel ihr Blick auf etwas Giftgrünes in deren perfekt manikürten Fingern.
Lächelnd streckte Laura ihr die Scheußlichkeit entgegen.
Mit angestrengt hochgezogenen Mundwinkeln blickte Betty erst seine Assistentin und dann Mr. McAllistar an. „Was genau ist das?“
Ihr neuer Chef schenkte ihr einen gestressten, mit einer Portion Genervtheit gespickten Blick. „Ihr Kostüm. Was sonst?“
„Tragen das alle Verkäuferinnen zur Weihnachtszeit?“, fragte sie noch immer verwirrt.
Dieses Mal machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, von den Unterlagen vor ihm aufzublicken. „Nein, das trägt nur der Elf zu Weihnachten.“
„Elf?“, rief Betty so schrill, dass ihre Stimme sich beinahe überschlug. „Was für ein Elf?“
Josh McAllistar atmete hörbar aus und erklärte dann ungeduldig. „Sie wollten doch den Job als Elf, als Santas Assistent. Warum jetzt die Fragen??“
„Elf“, wiederholte Betty fassungslos. Das war die letzte unbesetzte Stelle, die offensichtlich keiner hatte haben wollen. Ihr Magen zog sich zusammen, und sie trug einen inneren Kampf mit sich aus. Sie konnte den Job annehmen, ihre Würde bis nach Weihnachten mit reichlich Eierpunsch betäuben, oder sie würde in spätestens einer Woche auf der Straße sitzen.
Zurückhaltend beugte sie sich über den Schreibtisch von Josh McAllistar. „Was verdient man als Elf denn so?“, raunte sie ihm mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
Er hob den Blick, und seine funkelnd grünen Augen trafen ihre. Ihr war nicht entgangen, dass er mit seinem dunklen Haar, dem Dreitagebart und der sportlichen Figur ein sehr attraktiver Mann war, doch diese Augen brachten sie kurzzeitig völlig aus dem Konzept. Nervös versuchte sie zu schlucken, doch ihre staubtrockene Kehle erschwerte das.
„Fünfzehn die Stunde, acht Stunden am Tag, sechs Tage die Woche … bis Heiligabend.“
Ihr Mund formte ein stummes Wow!, und seine smaragdgrünen Augen flogen zu ihren vollen Lippen. Benommen trat sie einen Schritt zurück. Diese Arbeitsbedingungen hatte sie tatsächlich nicht erwartet – viel Geld und ein heißer Chef. Es wäre unverantwortlich und vor allem dämlich, diesen Job abzulehnen. Daher entschied sie sich für den Eierpunsch und die Beurlaubung ihrer Würde. Mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen nahm sie Laura das Kostüm aus der Hand und warf einen beinahe angewiderten Blick auf den grellen Einteiler in Grün mit rotem Gürtel und angenähten rot-gelb geringelten Socken.
„Ah, ich habe die Schuhe vergessen“, rief Laura aufgebracht.
„Klar, die Schuhe.“ Betty schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und wandte sich grinsend McAllistar zu. „Fehlen nur noch die grünen Schuhe mit der nach oben gebogenen Spitze, damit ich mich ganz zum Vollidioten …“ Sie wandte ihren Blick zu der sich räuspernden Laura, und ihr Blick fiel auf genau solche Stoffschuhe. „Oh wow, ihr habt die wirklich“, sagte sie ungläubig. Sie drehte ihren Kopf erneut zu ihrem Boss und hätte meinen können, ein Schmunzeln wäre über sein Gesicht gehuscht. Doch nun hatte er den Grinch-Modus wieder angeworfen und ignorierte sie und Laura, als sie über die Größe des Kostüms diskutierten.
Es entsprach absolut nicht Bettys Naturell, eine Viertelstunde zu früh zur Arbeit zu erscheinen. Doch sie hatte sich mittlerweile mit ihrem neuen Job angefreundet und freute sich darauf, als Elf ein paar Kinder glücklich machen zu können. Der Job war wenigstens sinnvoller, als jeden Tag Simon Fields am Schreibtisch angetrocknete Espressotassen wegzuräumen.
Nachdem sie am Mitarbeitereingang geklingelt hatte, ertönte ein lautes Summen, das ihr Einlass gewährte. Stöhnend stemmte sie die schwere Metalltür auf, als ein Arm an ihr vorbeischoss. Mit Leichtigkeit stieß er die Tür auf und gewährte ihr damit Zugang.
„Bei Ihnen gab es einen Proteinshake zum Frühstück, oder?“, foppte sie ihren neuen Boss.
„Ich frühstücke nicht“, erwiderte er knapp. Da sein Blick nicht darauf schließen ließ, dass er an Small Talk über das Wetter oder Weihnachtsgeschenke interessiert war, schwieg auch Betty, als sie vor ihm zu den Aufzügen ging.
„Grün steht Ihnen“, ließ Josh McAllistar verlauten, nachdem er sich vor den Aufzügen neben sie gestellt hatte und unentwegt auf sein Handy starrte. Hastig wischte und tippte sein Daumen darauf herum. Selbst als der Aufzug seine Türen öffnete, wandte er den Blick nicht von dem Minibildschirm ab.
Sie fragte sich ernsthaft, ob er sie überhaupt angeschaut hatte. Mit zitternden Fingern drückte sie die Taste mit der Neun. Selten hatte sie sich so unwohl gefühlt. Ob das nun an dem schlimmsten Outfit ihres Lebens oder an dem Mann neben ihr in der Aufzugskabine lag, konnte sie noch nicht so ganz ausloten.
Im neunten Stock angekommen, ertönte ein lautes „Ping“, und die Aufzugtüren öffneten sich.
Bevor Josh McAllistar vor ihr aus der Kabine trat, wünschte er ihr ein gemurmeltes „Viel Glück“.
Betty war jedoch zu sehr damit beschäftigt, unauffällig den doch sehr trainierten Hintern in der dunkelgrauen Anzughose zu mustern. Wieso mussten die attraktivsten Kerle immer so unsympathisch sein?
Watschelnd kam sie, dank der unnatürlich gebogenen Elfenschuhe, nur sehr langsam voran und war verwundert, erneut auf ihren Chef zu treffen, als sie um die Ecke bog. Sie hatte nicht erwartet, dass er die Lagebesprechung selbst führen würde.
Doch etwas anderes schien hier vor sich zu gehen, zumindest war es so wichtig, dass Josh McAllistar endlich seinen Blick von seinem Telefon hatte losreißen können und gerade versuchte, eine Frau mittleren Alters zu beruhigen. Doch diese dachte gar nicht daran. Der lange graue Zopf am Hinterkopf flog nur so durch die Gegend, als sie wild gestikulierend erklärte: „Es ist ein Desaster. In unserer beinahe hundertzwanzigjährigen Firmengeschichte gab es noch keinen Start einer Weihnachtssaison ohne Santa.“
Nun öffnete sich eine Glastür, und Laura und McAllistar senior betraten den Flur. Betty kannte den alten grauhaarigen Mann nur von Plakaten, hatte ihn sich aber immer wesentlich größer vorgestellt. Nun, live vor ihr sah er einfach nur rund aus. Sie musste ein Schmunzeln unterdrücken, würde George McAllistar doch den perfekten Weihnachtsmann abgeben.
„Was ist hier los?“, fragte der Seniorchef irritiert.
Judy wandte sich aufgeregt an ihn. „Es ist eine Katastrophe, Mr. McAllistar.“ Ihre Wangen waren inzwischen der Inbegriff von Weihnachtsrot, und sie schien Gefahr zu laufen zu hyperventilieren.
Gespannt sahen McAllistar senior und Laura sie an.
„Santa kommt nicht.“
„Was meinen Sie mit, Santa kommt nicht?“, fragte George McAllistar überrascht, während sein Sohn lediglich genervt seufzte.
„Er hat abgesagt, heute Morgen. In einer Nachricht auf meinem Anrufbeantworter.“ Judys Stimme überschlug sich förmlich vor Entrüstung. Offensichtlich war sie der Meinung, dass man von einem Santa bessere Manieren erwarten könne. „Er geht lieber zu Jessy’s, in die 50te“, erklärte sie so abschätzig, dass man hätte meinen können, in dem Kaufhaus ein paar Blocks weiter gäbe es eine Krankheit gratis zu jedem Einkauf dazu.
McAllistar kniff fragend die Augen zusammen. „Aber wir buchen doch immer über die Agentur. Die müssen uns doch einen Ersatz schicken. Wo ist das Problem? Soll ich dort anrufen?“
„Nun ja“, stammelte Laura mit hochrotem Kopf und warf Josh McAllistar einen scheuen Blick zu. „Dieses Jahr lief es etwas unglücklich …“
Weiter kam sie nicht, da der Juniorchef sie entnervt unterbrach. „Es ist meine Schuld“, gab er ohne Umschweife zu. „Ich habe den Vertrag mit der Agentur zu lange liegen lassen, weil ich Angebote vergleichen wollte. Alle guten Santas waren bereits weg, und wir haben privat beauftragt.“ Er senkte den Blick wieder auf sein Telefon, das unaufhörlich in seiner Hand vibrierte. „Dann haben wir eben erst morgen einen“, schob er murmelnd nach.
Judy stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, während sie die andere fest auf ihre Brust presste. „Erst morgen? Ein Weihnachtssaison-Start ohne Weihnachtsmann? Unten steht das Winter Wonderland. Kniehoch Kunstschnee, üppig dekorierte Tannenbäume, überall Girlanden, überdimensionale Geschenke, ein begehbares Lebkuchenhaus und Santas Weihnachtsthron. Wer soll da heute sitzen?“, fragte sie ihn so hysterisch, dass er, sichtlich überrascht von Judys Gefühlsausbruch, kurz zusammenzuckte.
„Josh, in mein Büro“, forderte sein Vater ihn mit einem Unterton in der Stimme auf, der verdeutlichte, dass er keine Widerrede duldete. Das schien auch sein Sohn wahrgenommen zu haben und folgte seinem Vater kopfschüttelnd in dessen Büro.
Während Laura und Judy sich neugierig zur Tür hinüberbeugten, konnte Betty die Unterhaltung der beiden Männer auch ohne große Mühe in zwei Metern Entfernung noch verfolgen.
„Ich denke, du wirst mir nicht widersprechen, wenn ich dir sage, dass das eine deiner größten Verfehlungen bislang ist. Wenn wir in einer Stunde öffnen, hat ein Santa Claus auf diesem Stuhl zu sitzen.“
„Ich gebe zu, dass es nicht ideal ist. Aber ich kann keinen herzaubern. Wir werden sehen, was wir für morgen tun können“, gab sein Sohn monoton zurück.
„Du hast mich nicht richtig verstanden. Ich erwarte dich in einer Stunde in einem roten Kostüm unten in der Weihnachtswelt“, entgegnete George McAllistar ruhig.
Sein Sohn lachte so schallend los, dass Betty erschrak.
„Bist du noch ganz bei Sinnen, Dad? Wir haben zig männliche Mitarbeiter. Warum, um alles in der Welt, sollte ich mich da unten hinsetzen und meine Zeit verschwenden?“ Entnervt stöhnte er.
„Weil es dir guttun wird. Du führst unser Unternehmen nicht schlecht, mein Sohn. Mit Köpfchen, aber was dir fehlt, ist das hier drinnen.“
Betty konnte nur erahnen, dass der alte Mann auf sein Herz zeigte.
„Dad, wirst du langsam senil? Das kann nicht dein Ernst sein. Ich weigere mich, Santa zu spielen.“
„Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Du wirst so lange das rote Weihnachtsmann-Kostüm tragen, bis wir einen Ersatz gefunden haben, andernfalls kannst du deinen Schreibtisch räumen … umgehend.“ Energisch riss er die Tür auf.
Judy und Laura machten laut quiekend einen Satz zurück und starrten Josh McAllistar entgeistert an. Diesem kam förmlich der Rauch zu den Ohren heraus. Wutentbrannt stapfte er in sein Büro und donnerte die Tür laut krachend ins Schloss.
Auch wenn Betty sich an solchen Spektakeln durchaus erfreuen konnte und bislang jede ihrer sechzehn Kündigungen ebenso theatralisch in Szene gesetzt hatte, war sie nun verunsichert. Mit in Falten gelegter Stirn wandte sie sich den beiden Frauen zu. „Also, braucht man mich dann jetzt noch? Aber den Tag bekomme ich doch auf jeden Fall bezahlt, oder?“ An den Mienen der beiden Damen erkannte sie, dass das nicht deren akutestes Problem zu sein schien. „War nur eine Frage“, schob sie daher hastig nach und hob entschuldigend die Hände.
„Ms. Davis, warten Sie doch bitte unten in unserer Weihnachtswelt auf weitere Instruktionen, ja?“, bat Laura sie mit aufgesetztem Lächeln.
„Alles klar“, gab Betty zurück und machte sich auf den Weg zu den Aufzügen. Da sie nicht davon ausging, in einer Stunde einen Santa an ihrer Seite zu haben, überlegte sie bereits, wo sie ihren nächsten Job finden könnte.
Im Erdgeschoss angekommen war es unmöglich, ihren Arbeitsplatz zu verfehlen. Judy hatte nicht übertrieben. Hier war tatsächlich das Winter Wonderland explodiert. Unzählige Schneeflocken flogen durch die Luft und legten sich auf die Dekoration aus grell leuchtenden Rentieren, riesigen Geschenkkartons, die Betty beinahe bis zur Schulter reichten, und einem Schlitten, bestückt mit einem überdimensionalen Geschenkesack. Leise Weihnachtsmusik kam bereits aus den Lautsprechern, und sie schlenderte hinüber zum Lebkuchenhaus. Die Rückseite des Häuschens war offen, und Miniaturbänke befanden sich darin, auf welchen – dem Schild davor zufolge – Kinder Platz nehmen konnten, um ihre eigenen Lebkuchenhäuser zu basteln und zu dekorieren. Obwohl Betty selten sentimental wurde, kam sie nicht umhin zuzugeben, dass das nicht nur mit Abstand ihr schönster bisheriger Arbeitsplatz war, sondern tatsächlich auch bereits jetzt Weihnachtsstimmung in ihr aufkam. Seufzend kletterte sie auf den Weihnachtsschlitten. Ein Jammer, dass dieser Job hier vermutlich auch als ihr kürzester jemals in ihre berufliche Laufbahn eingehen würde.
Eine Dreiviertelstunde später wuselten unzählige Verkäufer durch das riesige Kaufhaus, doch von den McAllistars oder Judy und Laura war weit und breit nichts zu sehen. Betty wurde nervös, als sich zwei in dunkelroter Uniform gekleidete Herren an der riesigen Eingangstür postierten. Was würde sie tun, wenn das Kaufhaus öffnete und die Kinder sie überrannten? Ein Elf, der Wünsche aufnahm? Die Kids wären sicherlich enttäuscht. Nervös schwankte ihr Blick erneut hinüber zu den Aufzügen. Und plötzlich setzte sich tatsächlich das orange Licht auf der Zahlenleiste über den Aufzügen in Bewegung. Ihr Herz pochte aufgeregt in ihrer Brust.
Als die Türen sich öffneten, konnte sie ein lautes Lachen nicht zurückhalten. Aus vollem Herzen prustete sie los, schlug sich aber umgehend die Hand vor den Mund, als Josh McAllistar ihr einen bitterbösen Blick über dem Rauschebart hinweg zuwarf. McAllistar junior steckte tatsächlich in einem flauschigen knallroten Weihnachtsmann-Kostüm. Er hatte locker hundert Kilo zugelegt und Betty stellte bedrückt fest, dass sie seinen trainierten Körper nun leider nicht mehr genießen konnte. Obwohl sie bereits in ihrem giftgrünen Polyester-Scheusal von Kostüm schwitzte, trieb der Anblick von Josh mit dem Bart und der dicken Mütze auf dem Kopf ihre Temperatur nochmals um ein paar Grad nach oben.
Mehr als widerwillig ging er an ihr vorbei und ließ sich mit grimmigem Blick auf den großen Santa-Thron fallen. Verärgert blickte er seinen Vater an, der ihm gefolgt war.
„Einen Tag – morgen sitze ich wieder oben am Schreibtisch.“
Sein Vater klopfte ihm auf die Schulter. „Darüber sprechen wir später.“ Energisch klatschte der Seniorchef in die Hände und wandte sich mit lauter Stimme an die Belegschaft, die sich in den einzelnen Etagen an den Brüstungen versammelt hatten und auf die Weihnachtswelt hinabblickte. „Gleich geht es los. Das erste Problem haben wir bereits gelöst, und ich bin überglücklich, dass hier nun ein Santa sitzt.“ Er wandte sich mit einem Schmunzeln an Betty. „Ich bin mir sicher, unser neuer Elf wird ihn tatkräftig unterstützen.“
Brav nickte sie und warf einen Blick auf Josh, dessen Blick noch immer so düster war, dass der Wunsch der meisten Kids wohl gleich der sein dürfte, so schnell wie möglich wieder von Santa wegzukommen.
McAllistar senior setzte seine Rede unbeirrt fort: „Lasst uns die kommenden Wochen zu der zauberhaftesten, besinnlichsten, aber auch erfolgreichsten Weihnachtssaison aller Zeiten machen.“
Die Angestellten des Maint’s klatschten begeistert und nahmen dann eilig ihre Plätze ein, während George McAllistar beinahe königlich zum Haupteingang schritt. Dicht gefolgt von Laura und Judy, die so nervös waren, als würde man den Präsidenten und den Papst am heutigen Tag für eine gemeinsame Shoppingtour erwarten.
Betty musste kichern bei der Vorstellung.
„Schön, dass wenigstens einer von uns Spaß hat“, zischte Josh zornig.
„Jetzt entspannen Sie sich doch mal“, gab sie zurück. „Das hier ist doch bestimmt schöner, als da oben am Schreibtisch in den Laptop zu starren und mit irgendwelchen Zahlen zu jonglieren.“
„Zweihundert laufende Rotznasen auf meinem Schoß, die mir alle von ihren völlig überzogenen Wünschen berichten und an so einen Schwachsinn wie den Weihnachtsmann glauben?“, entgegnete er schnaubend.
„Woah, woah, das habe ich eben nicht gehört. Ich schwöre Ihnen, wenn Sie auch nur einem Kind verraten, dass es den Weihnachtsmann nicht wirklich gibt, ziehe ich Ihnen mit der Zuckerstange eins über die Rübe“, erwiderte Betty angriffslustig. Sie war gerade so schön in Weihnachtsstimmung gekommen und wollte sich von dem Grinch nicht alles kaputt machen lassen.
Josh war aufgestanden und überragte sie nun um beinahe einen ganzen Kopf. „Ms. Davis, auch wenn ich gezwungen bin, dieses lächerliche Kostüm zu tragen, bin ich immer noch Ihr Boss. Vergessen Sie das nicht.“
Er hatte recht. Und er konnte sie jederzeit feuern. Betty räusperte sich verlegen und straffte die Schultern. „Verzeihen Sie, Mr. McAllistar, oder sollte ich Santa sagen?“ Verdammt, es war schon wieder mit ihr durchgegangen. Sie konnte an Joshs Miene trotz Bart erkennen, dass sie mit dem Feuer spielte.
„Ms. Davis, treiben Sie es nicht zu weit.“
„Alles klar.“
Mit einem wütenden Schnauben drückte er ihr ein Glas mit Zuckerstangen in die Hand. „Machen Sie einfach nur Ihren Job, und ich bete, dass dieser Tag schnell vergehen möge.“
Nachdem George McAllistar die Weihnachtszeit im Maint’s erneut feierlich vor der Tür eingeläutet hatte, stürmten genervte Eltern und aufgeregte Kinder das Kaufhaus. Mit großen Augen standen sie vor dem Winter Wonderland und erfreuten sich an jedem noch so kleinen Glitzerstern. Betty seufzte leise. Sie erinnerte sich so gern an die Weihnachtszeit im Hause Davis zurück. Ihre Mutter war verrückt nach der Adventszeit gewesen, hatte bereits Mitte November alles festlich dekoriert gehabt und die ersten Plätzchen mit ihr und ihrer großen Schwester gebacken. Diese Tradition führte Betty noch heute fort.
Mariah Careys Gejaule holte sie in die Realität zurück. „All I want for Christmas is youuuuuu …“ Auch wenn sie Weihnachten liebte, war sie nicht sicher, wie häufig sie dieses Lied am Tag ertragen konnte.
Die Kinder hatten sich brav zu einer Schlange formiert und warteten ungeduldig darauf, bei Santa ihren größten Weihnachtswunsch loszuwerden und bei ihr, dem Elf, eine Zuckerstange abstauben zu können. Die Kleinsten der Kleinen verstanden nicht, warum sie sich anstellen mussten, und so füllte bald lautes Kindergeschrei, Geplapper und schimpfende Eltern die Halle im Erdgeschoss des ehrwürdigen Gebäudes.
Sie beugte sich zu Josh hinüber. „Sie sollten unbedingt Eierpunsch anbieten.“
Entsetzt blickte er sie an. „Für die Kinder?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen erwiderte sie seinen Blick verdutzt. „Nein, für mich natürlich.“
Auch wenn es wegen des Barts schwer zu erkennen war, glaubte sie, ihm damit ein Lächeln entlockt zu haben. Sie zuckte beim Blick auf die schwitzenden Eltern, die in ihren Wollmänteln versuchten, ihren Nachwuchs im Zaum zu halten, mit den Schultern. „Und einige Eltern würden wohl auch dankend ein Gläschen annehmen.“
Nachdem eine Mitarbeiterin ein rotgolden glitzerndes Absperrband zum Thron durchschnitten hatte, machte sich das erste Kind auf den Weg zu Santa Claus.
Josh räusperte sich, und Betty kam nicht umhin zu bemerken, dass er einen nervösen Eindruck machte.
„Hallo, Kind, wie ist dein Name?“, fragte er die Kleine mit den zwei blonden Zöpfen hölzern.
Entsetzt blickte Betty ihn an. Wow, der Mann hatte wohl null Erfahrung mit den Kleinen.
„Mindy“, gab das Mädchen schüchtern zurück.
„Okay“, entgegnete Josh knapp.
Betty presste die Lippen aufeinander und zuckte mit ihren Augenbrauen, um ihm zu signalisieren, dass er in die Gänge kommen sollte.
„Ach so, was soll Santa dir bringen?“, fragte er das Mädchen freudlos.
Ungläubig warf Betty die Hände in die Höhe. „Sie sind Santa“, zischte sie Josh zu.
Dieser korrigierte sich hastig. „Also, was soll ich dir bringen?“
Ein Strahlen von einem Ohr bis zum anderen breitete sich auf dem Gesicht der Kleinen aus. „Die neue Automechaniker-Barbie“, antwortete sie fröhlich und mit leuchtenden Augen.
„Bei der gibt es Lieferschwierigkeiten“, entgegnete Josh unverhohlen und schüttelte den Kopf.
Verzweifelt schlug Betty die Hände vors Gesicht. Sie nahm eine Handvoll Zuckerstangen aus dem Glas und drückte sie dem Mädchen in die kleinen Finger, während sie ihr von Santas Schoß half. „Hier, ein paar mehr für dich, weil der liebe Santa erst nachdenken muss, wo er diese wunderbare Barbie für dich herzaubern kann.“ Der verstört dreinblickenden Mutter erklärte sie mit einem engelsgleichen Lächeln: „Er ist noch in der Probezeit. Es ist so schwer, gutes Personal zu finden. Ich hoffe, Sie beehren uns bald wieder.“ Mit erhobener Hand signalisierte sie dem Angestellten bei der Schlange, das nächste Kind noch nicht zu Santa durchzulassen.
Josh schien das alles gar nicht wahrzunehmen und zupfte sein Kostüm zurecht. Als er bemerkte, dass sie ihn anstarrte, entgegnete er ruhig: »War gut, oder?
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihn noch immer schockiert an. „Nein!“ Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein? Wie nein? Was meinen Sie mit ›Nein‹?“, echauffierte Josh sich. „Ich habe das Kind nach seinem Namen gefragt, nach seinem Wunsch …“
„Und ihr diesen sofort wieder kaputt gemacht“, unterbrach Betty ihn schroff.
„Ich habe lediglich für realistische Erwartungen gesorgt. Was bringt es dem Kind, sich etwas zu wünschen, das nicht lieferbar ist? Am Ende ist das Mädchen enttäuscht. Davor habe ich es bewahrt.“
Ungläubig schüttelte Betty noch immer den Kopf. „Erinnern Sie sich nicht mehr an den Weihnachtsmann in Ihrer Kindheit? Saßen Sie nie bei einem auf dem Schoß?“
„Doch“, gab er zurück. „Bei dem hier im Kaufhaus halt.“
„Und erinnern Sie sich noch daran, wie Santa mit den Kindern gesprochen hat?“
Laut seufzte er. „Nein, wie sollte ich mich daran erinnern können? Ich kann mich nicht mal an das Gespräch mit meinem Date von letzter Woche erinnern“, er zog die Stirn in Falten, „geschweige denn an ihren Namen.“
Betty verschränkte die Arme vor ihrem Körper. „Sie werden mir von Minute zu Minute sympathischer.“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
„Ihre Sympathie interessiert mich auch nicht. Alles, was ich will, ist, diesen Tag so schnell wie möglich hinter mich zu bringen“, zischte Josh.
„Oh, glauben Sie mir. Und ich erst. Gegen Sie ist der Grinch der größte Weihnachts-Stimmungsmacher.“
„Das Wort gibt es nicht“, erwiderte Josh knapp und blickte ungeduldig hinüber zur Schlange der wartenden Kunden.
„Okay, ab jetzt überlassen Sie das Reden mir. So wenig wie möglich will ich von Ihnen hören“, wies sie ihn bestimmt an.
„Sie vergreifen sich schon wieder im Ton, Ms. Davis.“
Sie beugte sich zu ihm hinunter und schenkte ihm ein aufgesetztes Lächeln. „Wenn Sie an Weihnachten noch Kundschaft haben wollen, sollten Sie besser auf mich hören.“
Der erwartete Konter blieb aus. Stumm hakte sich Joshs Blick in ihren, und er sah ihr tief in die Augen.
Betty wurde schlagartig heiß, die Art, wie diese tiefgrünen Augen sie anblickten, brachte sie tatsächlich kurzzeitig durcheinander. Laut räuspernd richtete sie sich wieder auf, zog ihr Kostüm zurecht und winkte den nächsten kleinen Besucher heran.
„Hallo“, begrüßte sie den Jungen fröhlich. „Willst du Santa verraten, wie du heißt?“
Ohne Pause hatte sie die letzten sechs Stunden Elf gespielt. Der Andrang war riesig gewesen, und sie hatte bestimmt zweihundert neue Ideen für zukünftige Kindernamen gesammelt, zwei unangenehme Wiedersehen mit Ex-Freunden und deren Söhnen gehabt und an die hundert Zuckerstangen gegessen. Sie war müde, und ihr war übel.
Hinter der großen Leinwand, vor der das Winter Wonderland drapiert worden war, führte ein schmaler Gang in einen Bereich, der lediglich für Mitarbeiter zugänglich war. Dort befanden sich auch Umkleiden für die Belegschaft. Betty zog sich die Elfenschuhe von den Füßen und schlüpfte in bequeme Boots, die sie in weiser Voraussicht mitgebracht hatte. Josh riss sich den Bart vom Gesicht und seufzte laut.
Erschöpft und mit flehender Stimme wandte sie sich an ihn. „Sagen Sie mir bitte, dass Judy für morgen bereits einen neuen Santa hat.“
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie für einen Moment stumm, bevor er patzig wurde. „Entgegen Ihrer Behauptung finde ich, dass ich einen sehr guten Job gemacht habe.“
Entsetzt riss sie die Augen auf und schnaubte laut. „Da hätte ich ja als Penis-Double noch besser performt.“
Für einen Moment blickte ihr Boss sie schockiert an, und in Betty machte sich das beklemmende Gefühl breit, dass sie es mit dieser Aussage doch ein bisschen zu weit getrieben hatte. Aber die Sache mit dem Denken vor dem Reden hatte noch nie zu ihren Stärken gehört.
Doch wider Erwarten fing Josh McAllistar lautstark an zu lachen. „Sie sind alles andere als auf den Mund gefallen, das muss man Ihnen lassen.“ Er schälte seine Arme aus dem Kostüm und trug darunter lediglich ein enges weißes T-Shirt. Darunter zeichneten sich extrem gut definierte Brustmuskeln ab, und Betty musste ein paarmal blinzeln, bevor sie ihren Blick losreißen konnte. Mit über dem Arm geworfenen Santa-Mantel ging Josh an ihr vorbei, hielt dann aber doch noch einmal inne und drehte sich zu ihr um. Ein freches Funkeln blitzte in seinen Augen auf. „Aber glauben Sie mir, um mein bestes Stück zu doubeln, bräuchte es mehr als eine Person.“
Ungläubig klappte Bettys Kinnlade herunter. Das hatte er eben nicht wirklich gesagt? Diese Aussage schockierte sie und machte sie gleichermaßen irgendwie ziemlich an. Verwirrt blickte sie ihm nach, als er in einem Zimmer in dem dunklen Flur verschwand. Hatte Josh McAllistar eben tatsächlich mit ihr geflirtet? Der Ober-Grinch?
Nach diesem ereignisreichen Tag stand ihr der Sinn tatsächlich nach einem Glas Eierpunsch. Daher hatte sie ihre beste Freundin Liz auf dem Heimweg angerufen und zu einem Mädelsabend eingeladen.
Keine Stunde später saßen die beiden vor Bettys weihnachtlich dekoriertem Kunsttannenbaum auf dem Sofa und mampften Weihnachtsplätzchen, die sie bereits massig auf Vorrat gebacken hatte.
„Manchmal beneide ich dich“, erklärte Liz ihr mit verträumtem Grinsen, nachdem sie sich die Schilderung des heutigen Tags geduldig angehört hatte. „Dein Leben ist so aufregend. Schon wieder ein neuer Job und ein neuer heißer Boss mit beeindruckender Zuckerstange.“ Sie brach in schallendes Gelächter aus, während Betty entrüstet schnaubte.
„Er ist ein Vollidiot. Wer schafft es denn nicht, Santa zu spielen? Alles, was man machen muss, ist, die Kids nach ihrem Namen und ihrem Wunsch zu fragen. Das kann doch nicht so schwer sein. Und außerdem ist er ein Playboy. Er konnte sich allen Ernstes nicht mehr an den Namen seines Dates von letzter Woche erinnern? Letzte Woche! Ich weiß noch, wie mein erster Freund im Kindergarten hieß.“
Mit zuckenden Mundwinkeln und hochgezogenen Augenbrauen musterte ihre beste Freundin sie. „Er regt dich aber ganz schön auf. Und wir wissen beide, was das bedeutet.“
„Red keinen Quatsch“, zischte Betty und nippte unschuldig am Punsch.
Grinsend stupste Liz ihr in die Seite und kannte keine Gnade. „Meine Liebe, du springst genau auf solche Typen an. Einfach immer. Je mehr sie dich zur Weißglut treiben, desto besser.“
„Niemals. Was sollte ich an dem Grinch denn finden? Jemand, der nicht mal für einen Tag Santa spielen kann.“ Sie legte den Kopf schief. „Einen sehr gut aussehenden, das muss ich zugeben. Aber seine Zuckerstange will ich ganz sicher nicht unter dem Baum haben.“ Die beiden Freundinnen lachten und prosteten sich zum wiederholten Male zu.
June entführt uns hier in das vorweihnachtliche Manhattan und verzaubert uns mit der Geschichte um Betty und Josh. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein und doch müssen sie zusammen arbeiten. Doch werden sie auch zusammen finden? Anziehungskraft ist in jedem Fall vorhanden. June schafft es, dass ich auch im Sommer bei 30 Grad von Plätzchen, Glühwein und Zuckerstangen träume. Und Zuckerstangen auf immer und ewig mit ihrem Buch assoziieren werde. Es ist eine charmante Lektüre, in der weder Humor noch Drama fehlt. Und natürlich a little bit of spice. Beide Protagonisten sind unglaublich nahbar und sympathisch und bezaubern mit ihrer unterschiedlichen Art. Die Liebesgeschichte zwischen Betty und Josh entwickelt sich langsam und lässt den Leser dabei jede Sekunde teilhaben und mitfühlen. June hat es wieder geschafft, mich zum Lachen zu bringen, mir die Röte ins Gesicht zu treiben und mich von der Vorweihnachtszeit träumen zu lassen. Der Schreibstil wird einfach von Buch zu Buch nochmal besser und ich hatte, mal wieder, ein unglaublich tolles Leseerlebnis!
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