Mars Discovery Mars Discovery - eBook-Ausgabe
Roman
„Das neueste Werk von Andreas Brandhorst bietet (…) einen lupenreinen SF-Hintergrund.“ - Andromeda Nachrichten
Mars Discovery — Inhalt
Eleonora Delle Grazie verlor ihre Eltern früh bei einem tragischen Raumfahrtsunglück der NASA. Die Welt ahnt nichts von dem sogenannten „Mysterium“, dem Eleonoras Eltern auf der Spur waren, und Eleonora ist fest entschlossen, die geheime Mission ihrer Eltern fortzuführen. Als sie Jahre später an Bord der „Mars Discovery“ ins All aufbricht, scheint sie dem Ziel nah. Kurz nach dem Start erfährt sie von einem außerirdischen Artefakt auf dem Mars. Doch was Eleonora tatsächlich auf dem Roten Planeten findet, übersteigt die Vorstellungen der Menschheit. Ein kosmisches Abenteuer beginnt …
Leseprobe zu „Mars Discovery“
Erster Teil
Februar–Oktober 2031: Der Mars
Mysterium Orbit der Erde
Februar 2031
1
Das Donnern von neunundzwanzig Triebwerken verschlang alle anderen Geräusche und füllte die Welt. Eleonora, Captain der im Orbit wartenden Mars Discovery, fühlte sich in ihren Sessel gedrückt, der zu einer Liege geworden war – ihr Gewicht nahm immer mehr zu, bis es ihr Mühe bereitet hätte, auch nur die Hand zu heben. Mehr als dreißigtausend Kilonewton Schubkraft stemmten sich den starken Schwerkraftarmen entgegen, mit denen die Erde die aufsteigende Rakete festzuhalten [...]
Erster Teil
Februar–Oktober 2031: Der Mars
Mysterium Orbit der Erde
Februar 2031
1
Das Donnern von neunundzwanzig Triebwerken verschlang alle anderen Geräusche und füllte die Welt. Eleonora, Captain der im Orbit wartenden Mars Discovery, fühlte sich in ihren Sessel gedrückt, der zu einer Liege geworden war – ihr Gewicht nahm immer mehr zu, bis es ihr Mühe bereitet hätte, auch nur die Hand zu heben. Mehr als dreißigtausend Kilonewton Schubkraft stemmten sich den starken Schwerkraftarmen entgegen, mit denen die Erde die aufsteigende Rakete festzuhalten versuchte.
„Alle Systeme aktiv und korrekt“, drang eine Stimme aus Eleonoras Helmlautsprecher. Sie gehörte Sergei, dem Stellvertretenden Kommandanten der Mars Discovery. „Wir sind auf Kurs. Zentraler Kern und Seitenkerne perfekt synchron.“
Damit meinte er die erste Stufe der Falcon Superheavy – bestehend aus einem Kranz mit acht Triebwerken und einem neunten in der Mitte – und die beiden Booster mit jeweils neun weiteren Triebwerkseinheiten. Die Anzeigen vor beziehungsweise über Eleonora bestätigten, dass alle Düsen wie vorgesehen feuerten und genau den Schub gaben, den sie geben sollten. Sie blickte nach links, zu Sergei und Saya, der philippinischen Biologin, dann nach rechts zu Santiago aus Ecuador, Arzt der Mars Discovery, und der Deutschen Kattrin, zuständig für organisches und anorganisches Recycling. Fünf von dreizehn, dachte sie. Die anderen acht Besatzungsmitglieder, die zusammen mit ihnen die weite Reise zum Mars antreten würden, befanden sich bereits in der Orbitalstation.
Wie der Ritt auf einer Bombe, so hatte es die aus Mexiko stammende Azzurra genannt. Eleonora dachte an eine langsame, streng kontrolliert ablaufende Explosion und erinnerte sich an eine andere Explosion, die vor zweiunddreißig Jahren ihre Eltern getötet hatte.
„Wir kriegen einen mächtigen Tritt in den Hintern, als Abschied von der Erde.“ So hatte es Sergei ausgedrückt, der klare Worte liebte. Er erinnerte Eleonora ein wenig an Großvater Francis, der seit sechsundzwanzig Jahren neben einem leeren Grab in den Dune Acres lag. Der Gedanke an ihn brachte dumpfen Schmerz, auch nach all der Zeit.
Vibrationen begannen, als die Rakete höher kletterte. Sie wurden so stark, dass Eleonora die Zähne klapperten. Sie behielt die Anzeigen im Auge, was gar nicht nötig gewesen wäre, denn das Computersystem der Falcon – eine leistungsfähige KI, wenn auch nicht so hoch entwickelt wie Amelie, die Künstliche Intelligenz der Mars Discovery – kümmerte sich um alles.
„Triebwerke korrekt“, meldete Sergei, als die Vibrationen nachließen und der Flug ruhiger wurde. „Navigation korrekt. Alle Funktionen aktiv und innerhalb der Norm. Wir sind auf Kurs. Captain?“
„In Ordnung“, bestätigte Eleonora. „Helme öffnen.“
Die fünf Menschen in der Falcon-Kapsel klappten die Visiere ihrer Raumhelme auf.
„Wir sind unterwegs“, sagte die Biologin Saya. Mithilfe der internen Sensoren überprüfte sie Integrität und Stabilität der Kryo-Fracht, die in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Deshalb erfolgte der Start mit einer Superheavy – die Rakete brachte mehr als nur fünf Besatzungsmitglieder der Mars Discovery ins All.
Eleonora blickte aus dem Fenster und betrachtete die Erde, die von einer flachen Welt zu einer großen Kugel geworden war.
„Noch nicht ganz“, erwiderte sie. „Unsere eigentliche Reise beginnt erst morgen, wenn wir die Umlaufbahn der Erde verlassen.“
Dies war ein kleiner Abschied. Der große, ohne Wiederkehr, stand ihnen noch bevor.
2
Das Kupplungselement vor Eleonora bildete den Übergang von den schwerelosen Laboratoriumsektionen der Raumstation zum Kommandosegments. Vorsichtig zog sie sich an den Handgriffen durch den gelb und rot markierten Bereich und fühlte, wie sie wieder Gewicht bekam. Ihre Füße fanden den Boden, und sie schwebte nicht mehr, sondern ging durch den Ring, dessen Rotation Schwerkraft simulierte. Mehrere in grauweiße Overalls gekleidete Besatzungsmitglieder der Station grüßten respektvoll, als Eleonora – leichter als auf der Erde – durch das Verwaltungszentrum schritt und sich dem Büro des Stationskommandanten näherte.
Vor der Tür zögerte sie kurz und fragte sich erneut, warum Edmund Edgar Winters – von allen Eddie genannt, wenn er es nicht hörte – sie allein sprechen wollte. Warum galt die Einladung zu einem Gespräch nur ihr und nicht auch Sergei und den anderen Crewmitgliedern?
Unbehagen regte sich in ihr, als sie die rechte Hand zum Sensorfeld hob, und für einen irrationalen Moment befürchtete sie, die Mission der Mars Discovery könnte im letzten Moment abgesagt werden.
Das darf nicht geschehen, dachte sie. Ich muss ein Versprechen einlösen.
Die Tür öffnete sich und Eleonora Delle Grazie, Captain der Mars Discovery, betrat das Büro des Stationskommandanten.
Edmund Edgar Winters stand hinter seinem Schreibtisch auf. Links neben ihm bot ein Panoramafenster Blick auf die Erde – sie präsentierte das weite Blau des Pazifischen Ozeans.
„Bitte setzen Sie sich, Captain.“ Winters deutete auf den Sessel vor dem aus leichtem Holzimitat bestehenden Schreibtisch.
„Sir …“ Eleonora nahm Platz und saß mit geradem Rücken, die Hände auf den Beinen.
„Das ›Sir‹ können Sie sich sparen, Captain“, sagte Winters. „Ich bekleide keinen militärischen Rang, wie Sie wissen.“
„Ja, Sir.“
Die Andeutung eines Lächelns huschte über den dünnlippigen Mund des Stationskommandanten, als auch er sich setzte. „Sie fragen sich vermutlich, warum ich Sie allein hierhergebeten habe.“
„In der Tat, Sir.“
Edmund Edgar Winters faltete die Hände auf dem Schreibtisch. Links neben ihm erschienen die weißen Wolken eines Wirbelsturms über der Erde. „Es geht um die Mars Discovery und ihre Mission.“
Eleonora wartete. Ihre Anspannung nahm zu.
Winters musterte sie über den Schreibtisch hinweg, nachdenklich und gleichzeitig sehr aufmerksam. Er war Ende fünfzig: ein hagerer Mann mit spitzem Kinn, durchdringend blickenden Augen und schütterem Haar. Manche Leute sagten ihm nach, „winterkalt“ zu sein, aber Eleonora, die ihm zum ersten Mal direkt begegnete, spürte keine Kälte, die von ihm ausging, sondern eher Distanziertheit – der Stationskommandant versuchte, Abstand zu wahren, nicht nur zu den Dingen, denen seine Verantwortung galt, sondern auch Personen gegenüber. Ihm ging es darum, immer den Überblick zu wahren. Er erinnerte sie ein wenig an Blake Hammings, den Direktor des Space Center in Florida.
Winters deutete zum Fenster. „Von hier oben aus sieht die Erde friedlich aus, nicht wahr?“ Winters gab Eleonora keine Gelegenheit zu einer Antwort. „Der Schein trügt. Die Spannungen nehmen wieder zu. China zieht Truppen an der indischen Grenze zusammen, Russland rüstet weiter auf, Feuer verbrennen den Urwald des Amazonas, die Lunge der Erde, in Brasilien kommt es immer wieder zu Krawallen, Nordkorea plant einen weiteren Wasserstoffbombentest … Und so weiter und so fort. Ihr Schiff, Captain Delle Grazie, wird ein Zeichen setzen. Es wird zeigen, wie gut die Zusammenarbeit der Nationen funktionieren kann.“
Erleichterung durchströmte Eleonora. Die Mars Discovery würde zu ihrer langen Reise aufbrechen.
„Ihr Schiff steht für friedliche, erfolgreiche Kooperation“, fuhr Winters fort, weiterhin in eine Aura ernster Unnahbarkeit gehüllt. „Dieses Symbol wird in den kommenden Wochen und Monaten in den Medien der Erde eine große Rolle spielen.“
„Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, Sir“, sagte Eleonora.
Winters kniff andeutungsweise die Augen zusammen. „Was ist die Mission der Mars Discovery, Captain Delle Grazie?“
„Bitte nennen Sie mich Eleonora, Sir. Wir haben beschlossen, auf unsere Nachnamen zu verzichten.“
Winters nickte kurz. „Wie Sie wünschen, Captain Eleonora. Nun, was ist die Mission Ihres Schiffs? Mit welcher Aufgabe brechen Sie zum Mars auf?“
Die Frage erstaunte Eleonora. Es konnte Winters wohl kaum darum gehen, sie auf die Probe zu stellen.
„Wir bringen die Menschheit zum Roten Planeten“, sagte sie. „Wir fliegen zum Mars, um dort eine Kolonie zu gründen. Die Arche der Mars Discovery enthält die Saat des Lebens, von Samen zahlreicher Pflanzen über tierische Embryonen bis hin zu etwas, gegen das der Vatikan heftig protestiert hat: die Anfänge menschlichen Lebens in Form von Sperma und zehntausend gespendeten Eizellen – zehntausend potenzielle Menschen, die auf dem Mars aufwachsen werden.“
Winters nickte erneut. „Eine zweite Welt für den Homo sapiens. Für den Fall, dass mit der ersten etwas schiefgeht. Eine Garantie für sein Überleben. Ihnen ist klar, dass Sie nicht zurückkehren werden. Vor wenigen Stunden haben Sie die Erde verlassen, und zwar für immer. Sie werden den Rest Ihres Lebens auf dem Mars verbringen. Sie, Captain Eleonora, und Ihre Crew.“
„Ja, Sir.“
„Deshalb sind Sie unter all den möglichen Kandidaten ausgewählt worden, nicht nur, weil Sie bestens qualifiziert sind, sondern auch, weil niemand von Ihnen irgendwelche Bindungen auf der Erde hat: keine Familie, keine Angehörigen, keine Freunde. Sie sind allein und werden allein bleiben. Sie werden niemandem nachtrauern.“
„Die Zeit des Lebens ist zu kostbar, um sie mit Trauer zu vergeuden, Sir“, zitierte sie Großvater Francis beziehungsweise ihre Mutter.
„Sehr richtig“, bestätigte Winters. „Sehr richtig.“
Er öffnete eine Schublade, holte einen silbernen Datenchip, groß wie eine Münze, hervor und legte ihn auf den Schreibtisch. Einige Sekunden lang sah er stumm darauf hinab, dann kehrte sein Blick zu Eleonora zurück.
„Ihre Eltern sind 1999 bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen. Damals waren Sie sieben Jahre alt. Ihr Großvater Francis hat sich um Sie gekümmert, bis er sechs Jahre später starb. Er brachte Sie zu SpaceX.“
„Ich verdanke ihm viel“, sagte Eleonora.
„Er hat Ihnen den Weg ein wenig erleichtert, aber die größten Hindernisse haben Sie aus eigener Kraft geschafft“, betonte Winters. „Von Kindesbeinen an wollten Sie Astronautin werden. Sie haben hart dafür gearbeitet. Für etwas anderes gab es in Ihrem Leben keinen Platz.“
Eleonora suchte im Gesicht des Stationskommandanten nach Hinweisen, worauf er hinauswollte, doch seine Mimik gab nichts preis.
„Wissen Sie, worum es damals ging?“
Eleonora zögerte.
„Sie können offen sprechen, Captain. Ich bin in alles eingeweiht. Ich kenne die Hintergründe.“
„Ich kenne sie nicht“, sagte Eleonora. „Ich weiß nur, dass meine Eltern zu einer geheimen Mission aufbrechen sollten. Mehr hat mir mein Großvater nie erzählt.“
Winters beugte sich vor und schob den silbernen Datenchip über den Schreibtisch. „Die darin gespeicherten Informationen betreffen die geheime Mission Ihrer Eltern, die jetzt zu Ihrer Mission wird, Captain Eleonora. Sie ist mindestens ebenso wichtig wie Ihre offizielle Aufgabe.“
Mindestens, dachte Eleonora und starrte auf den Chip.
„Mysterium“, fuhr Winters fort. „Diesen Namen haben wir Ihrem zweiten Auftrag gegeben. Die Daten sind verschlüsselt und können mit Ihrer ID-Nummer decodiert werden, wenn die Mars Discovery elf Tage unterwegs und mindestens eine Million Kilometer von der Erde entfernt ist. Alles unterliegt strengster Geheimhaltung, Captain. Sie werden auch Ihrer Crew gegenüber Stillschweigen wahren.“
„Wir sind eine Gemeinschaft“, sagte Eleonora. „Wir haben keine Geheimnisse voreinander.“
„Dies wird Ihr Geheimnis bleiben“, entgegnete Winters streng. „Sie werden den anderen zwölf Crewmitgliedern nichts darüber verlauten lassen. Sie verstehen den Grund, sobald Sie vom Inhalt des Datenchips Kenntnis erlangen.“
Der Stationskommandant saß ebenso gerade wie Eleonora und faltete erneut die Hände auf dem Schreibtisch.
„Die Russen bereiten ebenfalls eine Marsmission vor, aber bei Ihrem Projekt kam es zu Verzögerungen. Sie werden später starten und müssen daher den weiteren Weg zum Mars nehmen. Mit ihrem Eintreffen rechnen wir nicht vor zwei Jahren nach Ihrer Landung. Auch die Chinesen könnten ein Raumschiff auf die Reise schicken, wir wissen es nicht genau.“ Winters zögerte kurz. „Zu Ihre Crew gehören zwei Russen und ein Chinese.“
„Nein“, sagte Eleonora.
Winters hob die Brauen.
„Sergei und Alenka stammen aus Russland und Tseng aus China“, erklärte Eleonora. „Aber das betrifft nur die Herkunft. Sie sind Astronauten, ihre Nationalität spielt keine Rolle.“
„Wie Sie meinen. Wir gehen davon aus, dass Sie anderthalb bis zwei Jahre Zeit auf dem Mars allein sein werden. Zeit genug für Mysterium.“
Winters stand auf.
„Morgen werde ich Sie und die Crew offiziell verabschieden“, sagte er. „Aber ich wünsche Ihnen schon jetzt viel Glück und viel Erfolg.“
Eleonora erhob sich ebenfalls. „Danke, Sir.“
Mit dem kleinen Datenchip, heiß und schwer wie Blei in der Hosentasche, verließ sie das Büro des Stationskommandanten.
3
Es hatte ein bewegender Moment sein sollen, die offizielle Verabschiedung der Crew im großen Ausrüstungsraum vor dem Verbindungstunnel, der zum Anleger mit dem Shuttle führte. Vielleicht war er das auch für die übrigen Teilnehmer und die Zuschauer auf der Erde. Doch Eleonoras Gedanken glitten immer wieder zu dem kleinen Datenchip, den sie im Sicherheitsfach ihrer Kabine wusste. Mysterium. Es gefiel ihr nicht, ein Geheimnis zu haben, das sie nicht mit Sergei und den anderen teilen durfte, denn es rückte sie ein wenig von der Gemeinschaft weg.
Würdenträger, Staatsmänner und andere Personen auf der Erde, die aus irgendeinem Grund als wichtig galten, blickten von den extra für diesen Anlass installierten Bildschirmen und sprachen über die Menschheit und ihre Zukunft im All. Eleonora hörte mit halbem Ohr zu und nahm zur Kenntnis, dass kein Repräsentant des Vatikans zu den Rednern zählte – die katholische Kirche gehörte noch immer zu den größten Kritikern von Fracht und Mission der Mars Discovery. Ihr gefiel nicht, dass die ersten Menschen des Mars das Ergebnis von künstlicher Befruchtung sein sollten und nicht in einem Mutterleib heranreifen würden.
Was konnte mindestens ebenso wichtig sein wie die offizielle Mission, mit der sie zu einer sieben Monate langen Reise aufbrachen?
Die versammelten Wissenschaftler und Besatzungsmitglieder der Raumstation unterbrachen die Rede des Stationskommandanten immer wieder mit höflichem Beifall. Eleonora fragte sich, wer von ihnen Bescheid wusste. Auf wen beschränkte sich die Kenntnis von der zweiten, nicht minder wichtigen Mission? Eine Antwort auf diese Frage hätte ihr vermutlich einen Anhaltspunkt gegeben, worum es dabei ging.
Während Edmund Edgar Winters die historische Bedeutung der Mars Discovery mit dem Flug der Apollo 11 vor mehr als sechzig Jahren verglich, kehrten Eleonoras Gedanken zu ihren Eltern zurück. Eine geheime Marsmission im Jahr 1999? Ein geplanter Flug zum Roten Planeten, von dem die Öffentlichkeit damals nichts erfahren hatte? Warum? Was steckte dahinter?
Ich trete euer Erbe an, dachte sie. Aber ich weiß noch nicht, woraus dieses Erbe besteht. Ich erfahre es erst in elf Tagen.
Winters sprach über die internationalen Vorbereitungen für den Flug der Mars Discovery und die Auswahl der Kandidaten. Er stand reglos und gerade, nur seine Lippen bewegten sich. Die Gesichter auf den großen Bildschirmen beobachteten ihn, einige von ihnen schienen sich ein wenig zu langweilen. Die Besatzungsmitglieder und Wissenschaftler wirkten entspannt, viele lächelten – dieser Tag gehört auch ihren Träumen und Hoffnungen. Es ging los, es ging endlich los, nach all den Jahren.
Rechts und links neben Eleonora wartete ihre Crew auf das Ende der feierlichen Zeremonie: Sergei, Tseng, Saya, Santiago, Kattrin, Alenka, Lambert, Helena, Bertrand, Azzurra, Penelope und Reynolds. Dreizehn mit ihr, sieben Frauen und sechs Männer, nicht nur kompetent, sondern auch psychologisch kompatibel. Wie weit diese Kompatibilität reichte, würde sich in den kommenden sieben Monaten zeigen. Auch das gehörte zu Eleonoras Aufgaben als Kommandantin: einen Ausgleich zu schaffen, das ruhige Zentrum zu sein und entstehende Konflikte rechtzeitig zu erkennen.
Mysterium, flüsterte es in ihr. Welches Geheimnis hatten ihre Eltern damals mit in den Tod genommen?
Schließlich kam sie selbst an die Reihe und löste Winters am Rednerpult ab. Sie sprach frei, ohne ein Manuskript, das ihr Augmented-Reality-Linsen in den Augen zeigten. Vor vielen Jahren hatte sie gelernt, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren, alles andere auszublenden, und das gelang ihr auch jetzt. Sie sprach die Worte, die Winters und das Kolonieprojekt von ihr erwarteten, vor allem für die Medien der Erde bestimmte Worte, die ihr den lautesten Applaus und ein anerkennendes Nicken von Winters einbrachten.
Die Gesichter der VIPs verschwanden von den Bildschirmen, es wurden noch einmal Hände geschüttelt, zum letzten Mal, und der Ausrüstungsraum leerte sich. In Schutzkombis gekleidet und mit dem Raumhelm unterm Arm gingen die dreizehn der Mars Discovery durch den Verbindungstunnel zum Anleger mit dem Shuttle.
„Eddie war noch steifer als sonst“, sagte Helena auf dem Weg zum Schiff.
„Die beste Rede hast du gehalten, Eleonora“, fügte Penelope hinzu. „Von den meisten anderen haben wir nur leere Worte gehört.“
„Ja“, pflichtete ihr Santiago bei. „Du hast wirklich Abschied genommen. Man konnte es fühlen.“
Eleonora nahm das Lob mit einem dankbaren Nicken entgegen, blickte durchs Fenster des Shuttles und betrachtete die Mars Discovery in ihrer Warteposition einige Kilometer über der Raumstation. Besonders schön war sie nicht: eine Ansammlung von Kugeln, Zylindern und Ringen, dazwischen ein Netzwerk aus Streben, Verbindungsröhren und kleinen Kuppeln, die in verschiedene Richtungen zeigten. Die Kommandokapsel wirkte wie ein kleiner Buckel auf dem Drehkörper, dessen Rotation eine Schwerkraft von Erdnorm simulieren würde, was die Crew vor Muskelschwund bewahrte. Die „Arche“ befand sich unterhalb des Drehkörpers, hinter einer besonderen Abschirmung aus mit Blei angereicherten Kohlefasern und Nanoröhren, um sie so gut wie möglich vor Strahlung und Mikrometeoriten zu schützen: zwölf Tanks, angeordnet wie die Patronenkammern eines Revolvers, in der Mitte eine hohle Achse, die nicht nur Zugang zu den einzelnen Räumen der Arche gewährte, sondern auch zu Reaktorkern und Triebwerk und den mehrere Kilometer lang ausgebreiteten „Flügeln“ aus hocheffizienten Solarzellen.
Sergei beugte sich zu ihr. „Du wirkst sehr nachdenklich“, sagte er leise. „Freust du dich nicht, dass unsere Reise beginnt?“
„Ich bin neugierig darauf, was uns erwartet“, gab Eleonora zur Antwort.
„Ein zeitloses Abenteuer! Ich habe schon einige Geschichten von Andreas Brandhorst gelesen, doch was er mit ›Mars Discovery‹ geschaffen hat, sucht seinesgleichen.“
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mars Discovery lesenswerte Science Fiction ist, die als Kindertraum beginnt, Space Opera wird und zunehmend angereichert wird durch Elemente der Hard SF und der Esoterik.“
„Das neueste Werk von Andreas Brandhorst bietet (…) einen lupenreinen SF-Hintergrund.“
„Ein spannendes und mitreißendes Abenteuer zwischen den Sternen“
„In ›Mars Discovery‹ setzt Andreas Brandhorst auf brillante Weise die Gedanken zur möglichen Weiterentwicklung von KI’s, die aktuell gerade in China besonders vorangetrieben wird, fort. Brandhorst inszeniert den Worst Case kinoreif, da ziehe ich gerne den Hut vor dem Meister – atemberaubend.“
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