Mehr Power für den Kopf - eBook-Ausgabe
Das Bonusjahre-Programm: Wie man innere Ruhe findet, Probleme löst und sich weniger Sorgen macht
Mehr Power für den Kopf — Inhalt
Mehr Power für den Kopf!
Unser Wohlbefinden hängt nicht nur von ausreichend Bewegung und einer gesunden Ernährung ab – die mentale Seite ist der entscheidende Schlüssel für die Gestaltung unseres Lebens! Frank Elstner und der Psychotherapeut und Mediziner Thorsten Kienast zeigen in diesem Buch, wie man
- mentale Kraft aufbaut,
- Stress effektiv abbaut,
- Probleme löst und zu innerer Ruhe findet,
- wie man aufhört, sich unnötige Sorgen zu machen,
- mit Ängsten umgeht und sich nicht länger selbst im Wege steht.
Wir können uns jederzeit positiv verändern und unseren Alltag in Eigenregie kraftvoll bewältigen – wenn wir es nur wollen und die richtige Methode haben.
Mit zahlreichen Beispielen, Übungen und Tipps!
Dieses Buch zeigt einen sehr praxiserprobten Weg auf, wie jeder an sich arbeiten kann, um sich einfach (wieder) wohlzufühlen.
Leseprobe zu „Mehr Power für den Kopf“
Einleitung
Frank Elstner
In unserer „Bonusjahre-Reihe“ haben wir uns anfänglich mit dem großen Nutzen der richtigen Bewegung befasst (Bonusjahre), danach mit dem aktuellen Stand der Forschung zur Ernährung (Leben geht durch den Magen). Mein Freund und Fachmann bei den „Bonusjahren“, Prof. Gerd Schnack, ist nach einem langen und sehr erfüllten Leben im März 2020 verstorben. Bis zuletzt war er voller Pläne und Ideen, und ich bin sehr dankbar, dass ich mit ihm dieses gemeinsame Projekt habe durchführen können.
Der dritte Teil dieser Reihe beschäftigt sich nun [...]
Einleitung
Frank Elstner
In unserer „Bonusjahre-Reihe“ haben wir uns anfänglich mit dem großen Nutzen der richtigen Bewegung befasst (Bonusjahre), danach mit dem aktuellen Stand der Forschung zur Ernährung (Leben geht durch den Magen). Mein Freund und Fachmann bei den „Bonusjahren“, Prof. Gerd Schnack, ist nach einem langen und sehr erfüllten Leben im März 2020 verstorben. Bis zuletzt war er voller Pläne und Ideen, und ich bin sehr dankbar, dass ich mit ihm dieses gemeinsame Projekt habe durchführen können.
Der dritte Teil dieser Reihe beschäftigt sich nun also mit dem Kopf – die ursprüngliche Intention ist allerdings geblieben, nämlich praktische Anleitungen zu liefern, die es den Lesern ermöglichen, ihren Alltag in Eigenregie kraftvoller zu bewältigen, auch und gerade wenn die ein oder andere gesundheitliche Herausforderung ihren Tribut fordert. Er fällt auch in eine Zeit, in der die Folgen der Corona-Pandemie unerwartete Herausforderungen an viele von uns stellt und noch stellen wird. Hierfür und für die Bewältigung vieler anderer Krisensituationen, die das Leben bringen kann, werden Sie in diesem Buch eine Fülle von Tricks und Kniffen aus der Psychologie vorfinden, die es Ihnen ermöglichen, auf effektive Weise Kraft zu tanken und zügig einen kühlen Kopf für gute Entscheidungen zu bekommen. Für einen besonders schnellen Zugriff auf Schlüsselstrategien zum Krisenmanagement haben wir in diesem Zusammenhang am Ende auch eine Orientierungshilfe eingebaut.
Dieses Buch richtet sich aber gleichermaßen auch an junge Menschen, die wissen wollen, wie sie ohne großen Aufwand effektiver arbeiten und leben können, wie ihnen ein gezieltes Training dabei hilft, entspannter und freudiger den oft stressigen Alltag zu bewältigen – oder auch neue Lösungen zu finden, wenn sie in schwierigen Phasen vor scheinbar unüberwindbare Hürden gestellt werden, bei deren Bewältigung sich durchaus Lebensläufe in verschiedene Richtungen entwickeln können. Und nein, es wird leider keinen Schalter geben, den man einfach umlegt, damit alles leichtfällt. Das kann dieses Buch nicht leisten – aber, mit Verlaub, auch kein anderes! Es wird jedoch zahlreiche hilfreiche Informationen und erprobte Übungen bieten, die dabei helfen, den eigenen psychischen Muskel deutlich leistungsfähiger zu machen. Als Zugabe bekommen Sie quasi ganz nebenbei viele erstaunliche psychologische Erkenntnisse in Bezug auf die menschliche Psyche vermittelt. Im thematischen Aufbau folgt dieses Buch im Übrigen einem klassischen Lehrbuch der Psychologie, aber eben pfiffig zusammengestellt und sehr gut lesbar – für Neugierige, die schon immer wissen wollten, wie andere Menschen und sie selber ticken.
Ich habe in meiner langen Tätigkeit in den Medien zahlreiche kluge, interessante Köpfe kennengelernt: Visionäre, die gegen gewaltige Widerstände große Projekte riskiert und geschultert haben, die sich nicht unterkriegen ließen von Zweiflern, nicht einmal von zahlreichen und oft bitteren Rückschlägen. Aber natürlich auch Menschen, die grandios gescheitert sind. Fernsehproduktionen – und vor allem Kinofilme – sind immer extrem teure und riskante Unternehmen, bei denen Siege und Niederlagen meist nahe beieinanderliegen. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt: Was unterscheidet letztendlich die Gewinner von den Verlierern? Welche Eigenschaften haben sie, um ihre Vorstellungen durchzusetzen und ein entspanntes und dadurch auch glückliches Leben zu führen? Und wie bekommen sie die dunklen Mächte unter Kontrolle, die sie von ihren Wegen abbringen wollen?
Ich habe häufig das Glück gehabt, als Kreativer mit anderen Kreativen zu arbeiten. Einer von ihnen ist André Heller, den ich schon in den Sechzigerjahren kennengelernt habe. Wir haben damals einige sehr beliebte Radiosendungen zusammen gemacht, danach habe ich seine unglaubliche Karriere beobachtet und mich über seine großen Erfolge über die Jahrzehnte hinweg sehr gefreut. André Heller hat immer nahezu Unmögliches versucht und geschafft, er hat den Zirkus neu definiert, mit afrikanischen und asiatischen Akrobaten gearbeitet, sensationelle Feuerspektakel veranstaltet und Zaubergärten am Gardasee und in Marrakesch initiiert. Er hat auch viel beachtete Lieder geschrieben, eines davon heißt: Die wahren Abenteuer sind im Kopf.
Darüber rede ich mit Prof. Dr. Thorsten Kienast, der sehr genau weiß, was in unserem Kopf vor sich geht. Der uns zeigt, wie wir diese Mindmaschine „Gehirn“ optimal einsetzen und an welchen Stellschrauben wir dafür drehen müssen. Der uns auch warnen kann vor den Fallen, in die wir oft rennen, wenn einige Teile dieser Schaltzentrale unter unserer Schädeldecke gegeneinander arbeiten. Wir werden auch lernen, wie wir dieses Gewirr aus Nervenbahnen und chemischen Reaktionen optimal programmieren, um unsere Ziele zu erreichen – und dass wir diese erst einmal definieren müssen, wenn wir Erfolg haben wollen.
Lieber Thorsten, hat André Heller recht, wenn er sagt, „Die wahren Abenteuer sind im Kopf. Und sind sie nicht im Kopf – dann sind sie nirgendwo“?
Thorsten Kienast
Thorsten Kienast: Ja, hat er. Und wir können uns ja mal auf die Suche machen.
1 Verstehen, wie die persönliche Psyche funktioniert, und darüber zu Gelassenheit finden
Hier erfahren Sie:
1. Warum wir unsere Denkmaschine updaten müssen (Perspektive I)
2. Wie wir uns vor „mentalen Viren“ schützen können (Perspektive II)
3. Warum unsere Herkunft uns immer noch im Griff hat (Perspektive III)
1 Warum wir unsere Denkmaschine updaten müssen (Perspektive I)
Elstner: Ich habe im Laufe der Jahrzehnte viele interessante Biografien gelesen, viele spannende Künstler kennengelernt, viele von ihnen sind auch kommerziell sehr erfolgreich. Einige allerdings haben ihren Ruhm nicht verkraftet – oder auch die Tatsache, dass ihr Können irgendwann nicht mehr so gefragt war. Gelegentlich haben uns dann die Agenturen gesagt, dass ein ehemals bekannter Showstar nicht mehr vorzeigbar ist. „Der tickt nicht mehr richtig“, erfuhren wir dann unter der Hand. Aber wir sehen auch, dass eine Krise, die viele Menschen betrifft, wie die Corona-Krise, dafür sorgt, dass sich viele mit einem Mal komplett anders verhalten als vorher. Einige laufen zu Höchstform auf, andere verfallen in eine Lähmung. Was können wir tun, dass wir immer „richtig ticken“?
Kienast: Nun, da gibt es viele Wege …
Elstner: Hast du eine Anleitung, so etwas wie „Richtig ticken für Dummies“?
Kienast: Probieren wir es mal. Erste Voraussetzung ist, dass wir zunächst einmal herausfinden, wie wir ticken, also erkennen, was unser Denken und Fühlen beeinflusst und uns bei unseren Entscheidungen hilft. Ich mache das jetzt mal mit dir. Erzähl doch einmal: Wie hast du es eigentlich geschafft, so erfolgreich in der Medienbranche zu werden? Wie sahen deine ersten Schritte aus?
Elstner: Ich bin da natürlich etwas erblich vorbelastet. Meine Eltern waren beide Schauspieler, wir sind häufig umgezogen – je nach Engagement. Und so kamen wir nach Baden-Baden, wo mein Vater am Theater gastierte und meine Mutter beim damaligen Südwestfunk arbeitete. Der hat schon früh eifrig Hörspiele produziert, und eines Tages suchten sie einen Jungen, der Hochdeutsch spricht. Und da kam ich ins Spiel. Ich konnte mir ein bisschen Geld nebenbei verdienen. Spätestens, als ich bei dem Hörspiel Bambi die „Hauptrolle“ bekam, war meine Leidenschaft für dieses Medium geboren. Einerseits, weil ich spürte, dass diese Tätigkeit Spaß macht, andererseits auch, weil ich finanziell etwas zur Familienkasse beisteuern konnte – die war nicht sehr üppig bestückt, wir hatten eigentlich keinen finanziellen Spielraum.
Kienast: Glaubst du, du hättest auch so viel im Studio gearbeitet, wenn deine Eltern mehr Geld gehabt hätten?
Elstner: Wahrscheinlich nicht. Dafür bin ich zu gerne draußen gewesen. Allerdings bin ich beim Fußballspielen bei der Wahl der Teammitglieder immer als Letzter übrig geblieben und hatte daher auch so ein bisschen den Drang, mich anderswo zu beweisen. Es ist kein wirklich gutes Gefühl, bei der Mannschaftszusammenstellung immer bis zum Schluss stehen bleiben zu müssen, weil dich keiner in seiner Gruppe haben möchte. Aber ich habe auch noch andere Sachen gemacht. Kennst du den „Hungerberg“ in Baden-Baden?
Kienast: Ja, an dem sind wir vor einiger Zeit entlanggefahren.
Elstner: Dort habe ich als Schüler eine größere Anzahl von Bäumen gesetzt und immer wieder bei der Pflege geholfen. Solche Sachen habe ich sehr gerne gemacht. Auch mit Freunden. Und von solchen Arbeiten gab es hier im Schwarzwald eine ganze Menge. Wenn ich nicht immer den Gedanken gehabt hätte, meine Familie mit meinem Job zu unterstützen, wäre ich allerdings nicht so eifrig dabeigeblieben.
Kienast: Okay, das hat dir also Freude gemacht, das behalte ich jetzt einmal im Hinterkopf. Kommen wir aber nun noch einmal zurück zum Fußball: Warum bist du da so oft als Letzter übrig geblieben?
Elstner: Ganz einfach – ich habe grottenschlecht gespielt! Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich nur eingeschränkt sehen kann. Du weißt doch, dass eines meiner Augen von Geburt an verkümmert ist. Für mich ist das kein Problem, denn ich kenne es nicht anders. Aber einige Dinge gehen dann eben nicht ganz so gut. Und dazu gehört räumliches Sehen. Das hat dazu geführt, dass ich beim Fußball nicht der Held gewesen bin, obwohl ich das Spiel selbst sehr mag und ein großer Fan bin.
Kienast: Also, kurz gesagt: Weil du weniger frustrierende Erfahrungen beim Fußballspielen machen wolltest, bist du lieber ins Studio gegangen und hast die Tage dort verbracht?
Elstner: Ja. Es hat mich auch zunehmend interessiert, was die Leute dort machen, und ich fand es toll, dass man die Ergebnisse alle später im Radio und Fernsehen hören oder sehen konnte. Und man hat eben Geld verdienen können. Eine komplett neue Welt, in der ich aufgegangen bin. Nebenbei – beim Radio hat es naturgemäß niemanden interessiert, wie ich aussah oder ob ich räumlich sehen konnte, da war nur wichtig, dass ich über Sprache gute Stimmung verbreiten konnte …
Kienast: Lass mich noch eine weitere Frage stellen: Du hättest ja auch eifriger trainieren können, um beim Fußball zu punkten. Warum hast du das nicht gemacht?
Elstner: Na ja, durch mein Handicap waren die langfristigen Erfolgsaussichten nicht besonders gut. Und ich wollte vor allem auch nicht verantwortlich gemacht werden, wenn meine Mannschaft verliert. Es fiel mir auch schwer, immer mitzuhalten – im Studio ist mir dagegen alles sehr leichtgefallen. Außerdem: Der Ton auf dem Fußballplatz war mir oft zu rau, zu laut. Im Studio dagegen herrschte Stille!
Kienast: Fassen wir doch diese ersten Erkenntnisse einmal zusammen: Obwohl das ja nicht immer ein Zuckerschlecken war beim Sender, bist du dabeigeblieben, weil die Leute dich talentiert fanden und du Chancen und Anerkennung bekommen und dabei auch noch Geld verdient hast. Mit dem kleinen Einkommen konntest du deine Eltern entlasten und indirekt auch deinen eigenen Wert erhöhen. Außerdem kam es zu dem glücklichen Umstand, dass dein Sehdefizit keine Rolle spielte und sich niemand daran störte. All das – und ein Quäntchen Glück – hat letztlich dazu beigetragen, dass deine Laufbahn so ihren Anfang genommen hat. Die Tatsache, dass du deine Aufgaben auch immer erfolgreich zu Ende gebracht hast, hat dir zusätzlich die nötige Kraft gegeben, den damit verbundenen Stress auf Dauer durchzuhalten. Das ist wichtig zu wissen: Nicht nur das bloße Talent oder die Freude an deiner Arbeit hat dir geholfen, sondern auch das Gefühl, genau das Richtige zu tun. Du hast also eine Erfahrung gemacht und gelernt. Darauf hat sich dein weiteres Planen und Handeln aufgebaut. Neudeutsch würden wir sagen: Du hast dir eine „App“ in deiner Psyche zusammengebastelt, die dich mehr oder weniger automatisch in eine bestimmte Richtung gelenkt hat – deine Arbeit beim Rundfunk.
Elstner: Ich wusste anfangs natürlich nicht, wohin das Ganze führt. Aber was du sagst, trifft zu. Ich vermute mal, das ist bei den meisten Menschen so, dass sich der Lebensweg einerseits aus Zufällen und andererseits aus den gemachten Erfahrungen und auftauchenden Chancen zusammensetzt.
Kienast: Nun versuche ich einmal zu verstehen, warum du dich für deine Talente entschieden hast, viele Menschen arbeiten ja ein Leben lang eher gegen ihre Talente an. Also: Was man oft hört, wenn über dich gesprochen wird, sind Beschreibungen wie „freundlich“, „höflich“, „liebenswert“. Aber manchmal hast du dich doch sicher auch aufgeregt, hast vielleicht jemanden beleidigt oder angemeckert. Wie bist du mit Gästen umgegangen, mit denen du nun gar nichts anfangen konntest?
Elstner: Na ja, ich hatte meist eine komfortable Situation: Da ich ja immer derjenige war, der die Fragen stellte, war es mir auch jederzeit möglich, das Gespräch zu gestalten. Wenn ich also den Eindruck hatte, dass es todlangweilig war, was da inhaltlich rüberkam – weil der Interviewpartner beispielsweise vorgefertigte Statements abgab –, habe ich versucht, verstärkt nach den Gründen für sein Handeln zu suchen, nicht nur nach den Ergebnissen. Und da versteckten sich oft die interessanteren Geschichten.
Wichtig ist übrigens auch das richtige Maß an Vorbereitung. Wenn man von seinem Gegenüber zu viel weiß und schon alle Antworten kennt, ist man als Interviewer nicht mehr neugierig. Wenn man aber zu wenig weiß, merkt der Gesprächspartner, dass der Interviewer keine Ahnung hat, und ist eventuell beleidigt. Wenn man es schafft, hier die richtige Balance zu finden, spiegelt sich das auch in den Einschaltquoten wider, von denen wir letztlich abhängig sind.
Kienast: Das ist auch ein bisschen so in meinem Job. Wir Verhaltenswissenschaftler und Psychotherapeuten haben jedoch in den Verhaltenstrainings keine Zuschauer, die wir unterhalten müssen. In diesem Unterschied steckt auch eine weitere deiner Eigenschaften, die viele Menschen sehr zu schätzen wissen: die Fähigkeit, aus einem Gespräch heraus gute Unterhaltung zu formen! Dieser „Entertainment-Faktor“ ist bei uns an der Uni auch gefragt – allerdings nur von den Studenten in der Vorlesung.
Elstner: Zugegeben, es ist recht schwierig, über sich selbst zu lachen, wenn man gerade durch unsichere Zeiten geht. Das gilt wohl für prominente Interviewpartner genauso wie für jeden anderen Menschen auch.
Kienast: Vom verkannten Fußballspieler zur Showlegende – warum hast du das so gut hinbekommen?
Elstner: Gute Frage. Übung?
Kienast: Bestimmt. Aber ist das alles wirklich nur Übung? Oder steckt da noch etwas anderes dahinter?
Elstner: Du meinst, vielleicht so etwas wie ein angeborenes „Zuhörergen?“
Kienast: Gute Idee! In jedem Fall würde ich bei dir ein oder mehrere angeborene Talente für den Umgang mit Menschen annehmen. Deine Offenheit und Wertschätzung und vor allem deine Neugier sind die Triebkräfte. Wir nennen diese Talente Traits, das sind Persönlichkeitseigenschaften, die schon sehr früh im Leben eines Menschen zum Tragen kommen. Der Trait der Aufgeschlossenheit passt bei dir wie ein fehlendes Puzzlestück. Damit ist schon einmal eine sehr gute Konstellation erreicht. Zur Info: Andere sehr bekannte und wissenschaftlich sogar messbare Traits wären zum Beispiel: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit – aber auch viele andere mehr. Damit sich ein solcher Trait nun richtig entfalten kann, benötigt er allerdings noch einen weiteren Faktor, der ihn aktiviert, einen Zünder sozusagen.
Elstner: Was könnte dieser „Psychozünder“ sein?
Kienast: Eine „Grundannahme“, wie die Psychologen sagen. Oder einfacher ausgedrückt: ein Leitsatz! Das ist die erste Perspektive in unserem Kapitel „Wie wir ticken“. Kennt man seine eigenen Leitsätze, kann man fast schon vorhersagen, wie man in bestimmten Situationen reagieren wird. Leitsätze sind automatische Auslöser für bestimmte Verhaltensweisen – und auch Motivatoren, die uns wie von Geisterhand immer in ähnliche Situationen drängen, also immer dieselben Perspektiven vorschlagen, aus denen heraus wir Situationen betrachten. Meist haben Menschen, deren Leitsätze eine sehr starke Wirkung entfalten, irgendwann in ihrer Lebensgeschichte über längere Zeit die Erfahrung gemacht, dass sie damit sehr gut fahren. Und diese Erfahrungen haben sie geprägt! Was, denkst du, ist dein Leitsatz?
Elstner: Da gibt es einige, beispielsweise: „Der andere könnte recht haben.“ Diese hilfreiche Erkenntnis ist allerdings nicht von mir, sondern stammt von dem bekannten Philosophen Hans-Georg Gadamer.
Kienast: Ich bin jetzt mal mutig und schließe aus dem, was ich von dir kenne, das Folgende: Du bist durch diesen Leitsatz darauf „konditioniert“, abzuwarten, was die anderen sagen, zuzuhören, die empfangene Information durch deinen Kopf laufen zu lassen und dann erst zu bewerten.
Elstner: Stimmt.
Kienast: Das macht nicht jeder so. Einigen Menschen ist völlig egal, was der andere sagt. Die gehören dann nicht gerade zu den besten Moderatoren im Showbusiness. Du hast jedoch immer im Blick, dass viele unterschiedliche Wege möglich sind, um ein Ziel zu erreichen. Und du bist neugierig, weil du überzeugt bist, dass die Art und Weise, wie dein Gesprächspartner denkt und vorgeht, dich und die Zuschauer bereichern könnte – gerade, wenn er etwas anders tickt als andere Menschen. Ein Leitsatz wie „Der andere könnte recht haben“ verhilft einem zu einer guten Mischung aus Geduld und Neugier, verbunden mit einer souveränen Zurückhaltung. Wenn man interessiert zuhört, was das Gegenüber mitteilt, kann man sich auch in aller Ruhe eine clevere Reaktion zurechtlegen. Solche Erfahrungen trainieren Gelassenheit, Geduld und Empathie. Und gerade Empathie ist das stärkste Instrument der sozialen Intelligenz: feine, aber mächtige Antennen des zwischenmenschlichen Miteinanders, die es ermöglichen, immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Ein solcher Leitsatz zündet die passenden Traits, und die wiederum lassen deine „Psycho-App“ erfolgreich laufen. Jeder hat zwischen einem und drei solcher Kernleitsätze. Selten mehr. Sie sind wenig flexibel, aber sichern den eigenen Persönlichkeitsstil. Unsere ganz persönliche Marke.
Elstner: Das bedeutet, unser Gehirn greift auf unsere Erfahrungen zurück und entscheidet dann, wie wir denken, handeln – ja, wie wir „ticken“? Und lässt sich dabei durch solche Leitsätze tatsächlich recht einfach beeinflussen?
Kienast: Genau. Und das in einem dramatischen Ausmaß. Unsere wichtigsten Lernerfahrungen nennt man nicht umsonst Prägungen. Also – du machst auf irgendeinem Gebiet eine neue Erfahrung, probierst etwas aus. Je nach Ergebnis leitet unser Gehirn ganz reflektorisch Regeln ab, die den kommenden Erfahrungen sofort einen Stempel aufdrücken, indem sie diese, grob gesagt, als gut oder schlecht definieren, also in eine Schublade stecken. Der Begriff des Stempels ist sehr wichtig für das Verstehen. Stempel sind Prägungen, Regeln und Erfahrungen, die – zusammen mit einem stereotypen Handlungsmuster – verpackt, verschnürt und wie ein Computerprogramm auf einer Festplatte im Unterbewusstsein abgelegt werden. Passiert nun ein ähnliches Ereignis wie das abgelegte, startet die App automatisch, und wir greifen ohne Umweg oder intensives Nachdenken auf dieses abgelegte Muster zurück. Wir handeln, ohne uns aber tatsächlich an die neue Situation anzupassen, was oftmals eigentlich notwendig wäre. Man könnte auch sagen, wir reagieren dann stumpf, weil unsere Handlung genauso unüberlegt abläuft, wie es die vorprogrammierte App verlangt. Und von solchen ursprünglich einmal erlernten, mittlerweile aber automatisch ablaufenden Handlungsmustern haben wir jede Menge, weil sie sich natürlich im Rahmen unserer Lebensgeschichte als gezogene Lehren aus verschiedenen Lebenssituationen ansammeln. Die Biografie als Lehrmeister. Die so programmierten Handlungsmuster sind in jedem Moment startbereit und warten treu darauf, zum Einsatz zu kommen. Sie sind es, die uns oft die Entscheidung abnehmen, wie wir uns verhalten sollen. Sie machen uns zu der Person, als die wir gesehen werden.
Elstner: Also eine Reihe von Autopilot-Programmen, die uns viel Alltagsarbeit abnehmen.
Kienast: Und im Grunde ist das auch alles gut so. Denn das ist ja der Sinn von Lernen: dass wir Lehren, also Regeln, aus dem Gelernten ableiten und nicht jedes Mal von Neuem nachdenken müssen, wie wir uns verhalten sollen. Stell dir vor, du braust mit dem Auto bei Rot über die Ampel, wirst geblitzt, musst eine ordentliche Strafe bezahlen und bekommst noch einen Punkt als Zugabe. Diese Erfahrung bekommt den Stempel: „Auf alle Fälle künftig verhindern.“ Beim nächsten Mal wirst du, ohne groß darüber nachzudenken, schon bei Gelb rechtzeitig auf die Bremse treten, damit sich die schlechte Erfahrung nicht wiederholt. Zumindest passiert das bei den meisten so. Regeln oder Stempel geben einem den Impuls, bekannte Situationen schnell einzuordnen. Aber sie haben einen Nachteil: Sie können das eigene Denken auch einengen, weil man geneigt ist, künftig immer nach Schema F vorzugehen. Man wird manchen Situationen gegenüber unsensibler und weniger empathisch und merkt es nicht mehr, wenn sich wichtige Parameter verändern. Schema F halt. Solche Stempel können uns ganz plötzlich, aber auch schleichend ihre Prägung aufdrücken. Bei einem überwältigenden Phänomen geht es sehr schnell, bei einem schwachen, aber über eine lange Zeit regelmäßig eintretenden Erlebnis geht es Schritt für Schritt. Um nicht immer wieder in dieselbe Falle zu tappen, muss man Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Feingefühl trainieren. Denn dadurch bekommt die Prägungs-App die Möglichkeit, sich ein Update, eine Version 3.0 oder 4.0, zu ziehen und auf dem „Psycho-Prozessor“ wieder gut zu laufen. Wenn man das nicht tut, läuft man Gefahr, in einem veralteten Betriebssystem stecken zu bleiben – wenn wir in der Computersprache bleiben wollen. Oder anders ausgedrückt: in das Raster „Old School“, „unbelehrbar“ oder „seltsamer Typ“ zu fallen.
Elstner: Das sollte man vermeiden. Woher kommt denn dieser Ausdruck Schema F eigentlich?
Kienast: Das geht auf das preußische Militär zurück. Das hat im Jahr 1861 begonnen, Berichte über die aktuelle Truppenstärke einzufordern. Dafür wurde eine Vorlage erstellt, die immer nach dem gleichen Muster ausgefüllt werden musste. Diese Vorlage hieß „Frontrapport“, daher das F. Wichtig für uns – es ist hilfreich, unsere Stempel kennenzulernen. Denn dadurch können wir begreifen, warum wir uns in bestimmten Situationen immer ähnlich verhalten. Und wenn darunter Situationen sind, die uns immer wieder Probleme bereiten, können wir versuchen, durch das bewusste Verändern dieser Prägungen unser Verhalten zu beeinflussen! Das geht mit etwas Training leichter, als man denkt.
PRÄGUNGEN, STEMPEL UND PSYCHO-APPs
Besondere lebensgeschichtliche Lernerfahrungen nennen wir „Prägungen“. Die daraus abgeleiteten Lektionen nennen wir „Stempel“. Ein solcher Stempel prägt das Verhalten der betroffenen Person in ihrem heutigen Alltag klar erkennbar und wird so sichtbar.
Beispiel: Wird eine Person durch ein Umfeld geprägt, in dem immer eine hohe Leistung eingefordert wird, könnte der Stempel beispielsweise lauten: „Ohne Fleiß kein Preis.“
Aufgabe Teil 1:
Nehmen Sie sich hierfür eine Stunde Zeit. Forschen Sie nach sechs Personen oder erlebten Situationen in Ihrem Leben, die einen solchen Stempel hinterlassen haben. Notieren Sie diesen Stempel auf einem Blatt Papier.
Beispiele: Person X: „Jungs weinen nicht“, Lehrer: „Wer nicht lernt, braucht überhaupt nicht erst anzutreten“, Person Y: „Die anderen sind alle Aufschneider.“
Aufgabe Teil 2:
Versuchen Sie nun, die vergangenen zwei Wochen vor Ihrem inneren Auge gründlich durchzugehen, und schauen Sie, wann und in welchen Situationen jeder einzelne dieser Stempel Ihren Blick, Ihr Verhalten, Ihre Gedanken, Ihre Gefühle oder Ihre Entscheidungen beeinflusst hat. Damit erkennen Sie Ihre persönlichen Apps, die sich aus dieser Prägung und diesen Stempeln gebildet haben. Geben Sie jeder App einen für Sie griffigen Namen, und zählen Sie, wie viele Apps Ihr Alltagsgeschehen beeinflussen.
Beispiele für Namen: „Gollum“, „Sturmtief Nobody“, „Bernd“, „Clown“, „Schneeflocke“ usw.
Aufgabe Teil 2 – alternativ:
Wenn Sie keine aktivierten Apps aus den letzten zwei Wochen aufspüren können oder Spaß an der obigen Übung bekommen haben: Beobachten Sie in den nächsten zwei Tagen genau, ob, wann und wie einer der sechs Stempel aktiviert wird und wie Ihr Verhalten, Ihr Gefühl, Ihre Gedanken und Entscheidungen dadurch beeinflusst werden. Letzteres sind Ihre „Alltags-Apps“, die zwar automatisch und besonders schnell, leider aber wenig flexibel Ihr Leben bestimmen.
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