Mein Ammersee Mein Ammersee - eBook-Ausgabe
Kraftquelle und Naturparadies
— Auf Entdeckungsreise im bayerischen AlpenvorlandMit Radumrundung, Ausflugsideen und Lieblingszielen
„Man spürt es: Ihr Ammerseebuch ist eine Liebeserklärung an den Lebens-, Natur- und Kulturraum zwischen Stegen und Raisting, Schondorf und Andechs geworden.“ - Süddeutsche Zeitung Landkreise
Mein Ammersee — Inhalt
Unterwegs im Fünfseenland
„Mein Basislager liegt am Ammersee, hier tanke ich Energie, um immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen.“
In ihrem neuen Buch stellt Carmen Rohrbach uns ihre zweite Heimat vor: Sie schildert die alpenländische Landschaft im Wandel der Jahreszeiten, führt durch Ortschaften und Naturschutzgebiete und berichtet von Erlebnissen mit Bibern, Rehen und Eisvögeln.
Beliebtes Ausflugsziel und attraktive Urlaubsregion
Der Ammersee, im Südwesten Münchens gelegen, ist den meisten durch seine Nähe zum Kloster Andechs bekannt. Er ist etwas beschaulicher als der Starnberger See, aber mindestens genauso schön.
Carmen Rohrbach umrundet den drittgrößten See Bayerns mit dem Fahrrad, wandert zu ihren Lieblingsplätzen und besucht die Ortschaften am Ufer. Sie erzählt von Traditionen und kulturellen Besonderheiten. In der Begegnung mit den Menschen und ihren anschaulichen Naturbeschreibungen wird der See lebendig und lädt dazu ein, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.
„Carmen Rohrbach ist eine ausgezeichnete Beobachterin.“ DIE ZEIT
Leseprobe zu „Mein Ammersee“
Vorwort: Wie der Ammersee zu meiner Heimat wurde
Eingebettet in das von Gletschern geschaffene Alpenvorland, ruht der Ammersee. Im Winter ist er manchmal von Eis bedeckt, im Frühling kommen die Zugvögel, einige bleiben und brüten. Im Sommer leuchtet er in immer neuen blau-grünen Farben oder schlägt heftige Wellen, und im Herbst hüllt er sich in geheimnisvolle Nebelschleier. Westlich von ihm zieht sich die hügelige Landschaft hinüber zum Lech, der in den Lechtaler Alpen entspringt und in die Donau mündet.
Als Einheimische kann ich mich nicht bezeichnen, [...]
Vorwort: Wie der Ammersee zu meiner Heimat wurde
Eingebettet in das von Gletschern geschaffene Alpenvorland, ruht der Ammersee. Im Winter ist er manchmal von Eis bedeckt, im Frühling kommen die Zugvögel, einige bleiben und brüten. Im Sommer leuchtet er in immer neuen blau-grünen Farben oder schlägt heftige Wellen, und im Herbst hüllt er sich in geheimnisvolle Nebelschleier. Westlich von ihm zieht sich die hügelige Landschaft hinüber zum Lech, der in den Lechtaler Alpen entspringt und in die Donau mündet.
Als Einheimische kann ich mich nicht bezeichnen, denn ich bin hier nicht geboren. Auch habe ich mir die Gegend am Ammersee nicht bewusst als meine neue Heimat ausgesucht. War es also Zufall oder Fügung? Aus der Rückschau gesehen hätte ich es nicht besser treffen können.
Nachdem ich in jungen Jahren bei einem Fluchtversuch aus der DDR gefasst worden war, saß ich zwei Jahre lang im Gefängnis. Als ich von der Bundesrepublik freigekauft und direkt aus der Haftanstalt mit einem Bus ins Auffanglager Gießen gefahren wurde, fragte man mich dort: „In welchem Bundesland möchten Sie zukünftig leben?“
Ich war verblüfft, wie kann man etwas wählen, was man nicht kennt? Deshalb antwortete ich: „Das kann ich doch so nicht entscheiden. Zunächst einmal muss ich mir Westdeutschland anschauen, um mir einen Eindruck zu verschaffen.“
„Das geht nicht“, behauptete der Beamte, „wir müssen jetzt registrieren, wo Sie zukünftig Ihren Wohnsitz haben.“
Das gefiel mir ganz und gar nicht, denn nach der verlorenen Zeit in Haft hatte ich geglaubt, mir die Freiheit verdient zu haben. Aber ich musste schnell eine Wahl treffen, und so folgte ich einer Eingebung und sagte: „Ich entscheide mich für das Bundesland, in dem sich das Institut von Konrad Lorenz befindet.“
In der DDR war der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger nicht anerkannt, seine Schriften durften nicht verbreitet werden, dennoch hatte ich während meines Biologiestudiums von dem sogenannten Gänsevater Kenntnis erhalten und bewunderte seine Arbeit. Das Institut mit Namen „Seewiesen“ befand und befindet sich noch immer fast genau in der Mitte zwischen Starnberger See und Ammersee. So kam ich in diese Region und blieb. Inzwischen habe ich mein Basislager, wie ich gerne meinen Wohnsitz bezeichne, am Westufer des Ammersees aufgeschlagen.
Den See, die Landschaft und die Orte entlang seiner Ufer habe ich in all den Jahren von verschiedenen Seiten kennengelernt, und ich empfinde den Ammersee als ein Juwel mit Verführungskraft, dem ich mich immer wieder voller Begeisterung widme. Zu allen Jahreszeiten erkunde ich ihn und versuche, seinen Naturgeheimnissen auf die Spur zu kommen. Vor der imposanten Kulisse der Zugspitze ist der Ammersee ein landschaftliches Kleinod mit kultureller Vielfalt, reich an natürlicher Schönheit und ursprünglicher Natur, ein Lebensraum, der mir zu einer vertrauten und geliebten Heimat geworden ist.
Vor etwa 15 000 Jahren am Ende der letzten Eiszeit entstanden, ist der Ammersee der drittgrößte See Bayerns. Seine Maße erscheinen allerdings auf den ersten Blick gar nicht so beeindruckend. Er ist nur sechs Kilometer breit, 16 Kilometer lang und bedeckt eine Fläche von 46 Quadratkilometern. Dafür ist er recht tief, maximal 83 Meter.
Komme ich von meinen Touren auf entfernten Kontinenten und aus fremden Ländern zurück, durchdringt, ja überflutet mich ein heimatliches Gefühl. Ich genieße es, in Bayern zu Hause zu sein. Die Gegend ist mir zur Heimat geworden, obwohl ich erst als junge Erwachsene meine Füße auf dieses schöne Land setzen durfte.
Der Ammersee vor allem hat es mir angetan. Mit seinen Wellen, dem Wind, den Wolken, die sich in ihm spiegeln. Das klare Wasser, oft blank wie durchsichtiges Glas, dann wieder stürmisch mit Schaumkronen, wie ein Meer. Im Sommer sonnig und südländisch, selbst an grauen Tagen schön.
Goldene Sonnenuntergänge berühren mich tief, einsame Uferpfade gehe ich träumend entlang, und mit meinen Skiern folge ich Loipen im Schnee. Im Frühling lausche ich den Rohrsängern im Schilf. Überhaupt, die Vogelwelt am Ammersee, sie ist so reichhaltig und begeistert mich immer wieder von Neuem. Ich werde nicht müde, ihr nachzuforschen.
Da sind die verschiedenen Enten, Rallen, Schwäne, Taucher, Säger und Möwen, die die freie Wasserfläche bevölkern. Die Uferläufer, die auf Kiesflächen brüten. Der See bietet mit seinen kleinen Buchten, dem schützenden Schilfgürtel und beidseits der Ufer den Mooren, Auen, Streuwiesen, Eichen-Buchen-Wäldern und den Moränenhügeln einer artenreichen Pflanzen- und Tierwelt geeignete Lebensräume. Deshalb wurde das Ammersee-Gebiet schon im Jahr 1976 in die Ramsar-Schutzverordnung der „international bedeutsamen Feuchtgebiete“ aufgenommen. Mir als Vogelliebhaberin schlägt das Herz höher, weil ich weiß, dass hier bereits 302 verschiedene Arten beobachtet worden sind, darunter so seltene wie Blaukehlchen, Brachvogel, Schlagschwirl, Beutel- und Bartmeise. Die größte Vielfalt herrscht dabei nicht zur Brutzeit, sondern im Winter, denn der Ammersee ist ein überlebenswichtiger Rastplatz für interkontinentale Langstreckenflieger. Reiherenten aus Sibirien, Steinwälzer aus den Tundren Skandinaviens, alle tanken hier Energie für den Weiterflug. Und manchmal verirrt sich sogar ein exotisches Exemplar in die Region, wie der Heilige Ibis, der es sich mal im November einige Tage lang am Dampfersteg von Dießen gut gehen ließ.
Obgleich der Natur, der Pflanzen- und Tierwelt meine Liebe gehört, interessieren mich auch die kulturellen Ereignisse rund um den See sowie die von seinen Bewohnern geschaffenen Einrichtungen, die Traditionen und historischen Gegebenheiten. Mein Wohnort Schondorf schmückt sich mit gleich drei Kirchen. Weithin sichtbar auf der Anhöhe thront die St.-Anna-Kirche mit ihrem formschönen Zwiebelturm, inmitten der Ortschaft steht die Pfarrkirche Heilig Kreuz und in unmittelbarer Nähe des Ufers die Kirche St. Jakob, die ihre halbrunde Apsis der Seepromenade zukehrt. Geweiht im Jahr 1149 ist sie einer der besterhaltenen romanischen Sakralbauten im Alpenvorland. Auffallend ist die Höhe der Kirche. Ursprünglich gab es einen Raum zwischen Gewölbe und Dachstuhl. Hier konnten, so die Annahme, Dorfbewohner bei Gefahr Zuflucht finden, aber auch Pilger auf ihrem 2700 Kilometer langen Weg nach Santiago de Compostela übernachten, denn Schondorf war und ist wieder eine Etappe auf dem Jakobsweg.
Bei einem Besuch der kleinen, stillen Kirche nimmt man auch heute noch die Harmonie des Raums wahr und erfährt Kraft und Geborgenheit. Nächtigen aber können die Pilger nicht mehr in der St.-Jakobs-Kirche. Sie und auch die vielen Feriengäste finden eine reiche Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten in den zahlreichen Gasthäusern, Pensionen und Ferienwohnungen Schondorfs, wie auch in den anderen Ortschaften am See.
„Mein Ammersee“ heißt dieses Buch, ist also aus meinem persönlichen Blickwinkel geschrieben und gespeist aus meinen Erlebnissen und meinen Vorlieben für bestimmte Themen. Deshalb gehört der Natur die Priorität, also nimmt die Pflanzen- und Tierwelt einen großen Raum ein, an zweiter Stelle steht mein Interesse für Geschichte. Ich finde es einfach wichtig und spannend zu wissen, wie es früher hier war. Eher vernachlässigt habe ich die touristischen Sehenswürdigkeiten, denn darüber kann man sich in vielen anderen bereits erschienenen Büchern und in den Tourismusbüros informieren. Sie beschreibe ich nur, wenn ich sie mit einem persönlichen Erlebnis verbinden kann.
Die reizvolle Landschaft lockt zahlreiche Menschen an, das war auch zu früheren Zeiten schon so. Daher verknüpfen sich mit dem Ammersee-Gebiet die Namen berühmter Persönlichkeiten. Viele Künstler zog es hierher, manche blieben nur kurz, wie der Maler Wilhelm Leibl, andere ließen sich Villen am Seeufer bauen, wie Heinz und Walter Rose, Herbert Rolf Schlegel, Eduard Selzam, Max Raffler und Paul Paede. Auch Musiker wie Hans Pfitzner und Carl Orff, Wolfgang Wagner, der Enkel von Richard Wagner, und die Schriftstellerin Luise Rinser ließen sich hier nieder, sogar Bertolt Brecht hatte ein Haus am See, das er aber nach kurzer Zeit bereits wieder verlassen musste und dem er nachtrauerte, indem er schrieb: „Sieben Wochen meines Lebens war ich reich.“ Diesen bedeutenden Menschen habe ich in meinem Buch nur wenig Platz eingeräumt, denn das würde den Rahmen sprengen. Über sie kann der interessierte Leser in zahlreichen anderen Büchern mehr erfahren.
Mit meinen Beschreibungen und Erlebnissen hoffe ich, Sie neugierig zu machen. Sie sollen Ihnen Anregungen und Ideen für eigene Entdeckungstouren und Ausflüge mit auf den Weg geben. Beginnen möchte ich mit einer Radtour rund um den See, die der Einstimmung und Orientierung dient. Details zu den Ortschaften und Naturgebieten folgen in den späteren Kapiteln. Lassen Sie sich mitnehmen und vielleicht sogar verzaubern von einer Entdeckungsreise in die Heimat.
Mit dem Rad einmal rund um den See
Ich bin startklar. Die Reifen habe ich noch einmal aufgepumpt, Luftpumpe und Flickzeug sicherheitshalber eingepackt. Notizheft, Fernglas, Fotoapparat, Wasser und Wegzehrung, natürlich auch etwas Geld sind gut verstaut.
Als ich die roten Packtaschen am Gepäckträger befestige, überfällt mich schlagartig die Erinnerung an mein Donau-Abenteuer, als ich von der Quelle des Flusses im Schwarzwald bis zu seiner Mündung ins Schwarze Meer geradelt bin. Was war das doch für ein fantastisches Erlebnis! Dennoch habe ich seitdem keine ausgedehnte Radtour mehr unternommen, denn das Unterwegssein mit Fahrrad ist mir normalerweise zu schnell. Lieber nehme ich Schritt für Schritt die Umgebung wahr, achte auf Kleinigkeiten, die sich unter meinem Blick als etwas Bedeutsames erweisen.
Doch um den Ammersee zu umrunden, schwinge ich mich gern auf meinen Drahtesel, denn nur so bekomme ich einen Gesamteindruck von der Landschaft, den Orten und der Natur. Dafür ist die Geschwindigkeit eines Fahrrads gerade richtig. Die Strecke von etwa 50 Kilometern will ich an einem Tag schaffen. Der Gesamtumfang des Sees wird zwar mit nur 43 Kilometern angegeben, doch der Fahrradweg weicht hin und wieder in Bögen und Schlangenlinien vom Uferrand ab, weshalb ein paar Kilometer hinzukommen werden. Und wie ich mich kenne, werde ich wahrscheinlich noch den einen oder anderen Abstecher machen.
Ich wundere mich, dass ich tatsächlich ein wenig aufgeregt bin. Obwohl ich viele Abschnitte am See kenne und oft an ihm entlangwandere, bin ich doch noch nie ganz um ihn herumgefahren oder -gegangen. Erwartungsvoll starte ich an meiner Haustür in Schondorf. Den Kilometeranzeiger am Fahrrad habe ich neu programmiert, dort prangt jetzt die Zahl Null.
Meine Wohnung liegt zwar nur etwa 400 Meter Luftlinie vom Seeufer entfernt, doch leider muss ich, um dorthin zu gelangen, ein Stück auf der verkehrsreichen Ortsstraße radeln und dann in die lange Bahnhofstraße einbiegen, die Richtung See führt. Es geht steil bergab, an der Buchhandlung Timbooktu und einem kleinen Platz vorbei. Dieser trägt den Namen des Malers Wilhelm Leibl (1844–1900), der zwei Jahre in Schondorf lebte und sich in Therese, die Tochter des Seewirts, verliebte, die von ihm einen Sohn bekam, der allerdings kaum ein Jahr alt wurde. Die Resl, wie ihr Vorname abgekürzt wurde, heiratete einen anderen, die Eltern hatten den besitzlosen Künstler abgelehnt. Dabei war Wilhelm Leibl einer der bedeutendsten Maler des Realismus. Seine Bilder sind wirklichkeitsnahe Darstellungen des bäuerlichen Lebens, ihnen haftet nichts romantisch Verklärendes an. Seine Porträts berühren mich durch ihre Detailtreue und haben einen tiefgründigen, symbolisch wirkenden Ausdruck. Kaum ein anderer Maler seiner Zeit hat es verstanden, Personen so abzubilden wie der Menschendarsteller Leibl. In den Gesichtern der Dargestellten scheinen sich deren Gedanken widerzuspiegeln. In Schondorf entstanden einige seiner bekanntesten Werke. „Das ungleiche Paar“ zeigt seine Geliebte neben einem verrunzelten Alten. Zunächst hatte ich angenommen, dies sei ihr Stiefvater, da er seinen Arm besitzergreifend um das Mädchen legt und den Mund zu einem breiten Grinsen verzieht, als wolle er dem Maler signalisieren: „Die kriegst du nicht!“ Wie ich bei Nachforschungen festgestellt habe, soll es sich bei dem Alten jedoch um den Fischer und Witwer Leonhard Böck handeln.
Ein anderes berühmtes Bild Leibls ist „Der Jäger“, ein Porträt, das Anton Freiherr von Perfall zeigt, mit dem der Maler befreundet war und dessen Familie noch heute das Schloss über dem nordwestlichen Hochufer bei Greifenberg gehört. Über die Familie Perfall werde ich später noch berichten.
Den Wilhelm-Leibl-Platz hat die Gemeinde mit einem Brunnen und Sitzbänken verschönert. Die Wirtin des gegenüberliegenden Cafés Panini begrüßt hier, im einzigen Biozertifizierten Restaurant Schondorfs und der näheren Umgebung, im Sommer ihre Gäste an mit Sonnenschirmen beschatteten Tischen.
Nun biege ich scharf links ab und nehme eine stille, von hohen Bäumen überwölbte Straße, bis ich schließlich das Seerestaurant und Café Forster mit Strandbad und Umkleidekabinen erreiche. Hier gehe ich morgens regelmäßig schwimmen.
Heute halte ich nur kurz an, um einen ersten Blick über den See zu werfen. Leichter Nebel schwebt über dem milchig wirkenden Wasser, und in dunstiger Ferne ragt eine weiße, noch immer mit Schnee bestäubte Alpenkette in den blassblauen Himmel. Da erschallt der Ruf eines Kuckucks. Er ist also schon da! Und beweist, dass der Frühling allmählich in den Sommer übergeht.
Dann radle ich auf einem mit Kies bedeckten Weg entlang der Seepromenade, wo zwei prächtige Tulpenbäume ihre stattlichen Kronen in den Himmel strecken, die jetzt im Mai über und über mit weißen Blüten geschmückt sind. Die aus Nordamerika stammenden Bäume gehören zu den Magnoliengewächsen. Ihre glockenförmigen Blüten verströmen einen verführerischen Duft. Ich atme ihn tief ein und fühle mich seelisch gestärkt für meine Radtour, die ich auf der Seestraße fortsetze.
Linker Hand liegt am Seeufer der jetzt noch verwaiste Steg, wo im Sommer die Dampfschiffe anlegen und wieder abfahren. Rechter Hand folgt die Gaststätte Seepost mit Terrasse und einem Biergarten unter Kastanien. Hier hatte der Maler Wilhelm Leibl die Wirtstochter Resl kennengelernt.
Villen und Landhäuser des vorletzten Jahrhunderts säumen die Straße. An einem Haus weist eine Inschrift darauf hin, dass Wilhelm Leibl darin von 1875 bis 1877 wohnte. Es ist aber nicht mehr die ursprüngliche Kate, in der der Maler zwei karge, winzige Zimmer gemietet hatte. Das alte Haus ist längst abgerissen und durch ein neues ersetzt worden.
Der Ort erstreckt sich noch gut einen Kilometer weiter am See entlang, der aber nur ab und zu durch die Bäume hindurchglitzert. Die Reihe schmucker Bauten mit Türmchen und Erkern wird ab und zu unterbrochen von weniger geglückter zeitgenössischer Architektur. Sogar bunkerähnlich anmutende Häuser mit Fenstern wie Schießscharten stören das Gesamtbild. Aber das ist sicherlich Geschmackssache.
Bald geht die Seestraße in einen verkehrsfreien, radlerfreundlichen, kiesigen Erdweg über, der auch von Spaziergängern frequentiert wird. Beidseits beugen sich Baumkronen über den Pfad. Rotkehlchen, Amsel, Singdrossel, Fitis und Zilpzalp zwitschern, was ihre Kehlen hergeben, und auch der Kuckuck lässt sich wieder ab und zu hören. Ich lasse das Strandbad Schondorf hinter mir und folge noch ein paar Kilometer dem von Bäumen beschatteten Pfad, der bei Utting wieder in eine asphaltierte Straße mündet. Vorbei an Campingplatz, Segelschulen, Bootsverleih, Tennisplätzen und der Gaststätte Alte Villa, auch sie ausgestattet mit einem gemütlichen Biergarten, gelange ich zum Uttinger Strandbad, das einen zehn Meter hohen Sprungturm zu bieten hat. Mit Blick auf den See radle ich von hier zur Anlegestelle der Dampfschiffe, die die einzelnen Ortschaften rings um den See miteinander verbinden. Utting selbst zieht sich rechts den Hang hinauf. Vom Radweg aus bekommt man keinen Eindruck vom Ort. Dafür kann man herrschaftliche Villen entlang des Ufers bewundern.
Nachdem ich die Häuser hinter mir gelassen habe, radle ich auf einer schmalen, asphaltierten Fahrstraße, die nach dem österreichischen Maler Eduard Thöny (1866–1950) benannt ist. Bekannt geworden ist dieser als Karikaturist für die Satirezeitschrift Simplicissimus. In Holzhausen erwarb er ein Seegrundstück, wo er bis zu seinem Lebensende wohnte.
Ein aufwendig gestalteter Wegweiser zeigt die Entfernungen zu den in alle Richtungen am See verstreut liegenden Ortschaften, zudem verweist eine daneben angebrachte Tafel mit Karte auf den Ammer-Amper-Radweg. Er ist 202 Kilometer lang, beginnt an der Ammerquelle in den Alpen und reicht bis zur Mündung der Amper, die bei Moosburg in die Isar strömt. Das könnte ein neues Ziel für mich sein, denke ich, doch zunächst will ich mich vollkommen auf meine Seeumrundung konzentrieren.
Links der Straße reihen sich ansehnlich restaurierte Fischerkaten mit neu installiertem Fachwerk aneinander, rechter Hand erstreckt sich eine Streuobstwiese. Im Schatten der Apfelbäume weiden wollige braune Schafe. Der Naturschutzbund hat hier eine seiner Infotafeln aufgestellt. Ich halte extra an und erfahre, dass es in Deutschland über 2700 Apfelsorten gibt und weltweit sogar etwa 20 000. Was, so viele?, schießt es mir durch den Kopf. Kaum zu glauben! In den Supermärkten ist die Auswahl mit jeweils fünf bis sechs Sorten in der Regel allerdings sehr beschränkt. Auf Bauernmärkten findet man meist immerhin noch etwa 30 Sorten. Dabei hat jede ihr eigenes Aroma.
Wenig später stoppe ich erneut, diesmal bei der Selzamwiese, sie grenzt an die rechte Straßenseite. Auch hier eine Tafel. Sie erklärt, wie wertvoll Wiesen sind, die nicht gedüngt und nur zwei Mal im Jahr gemäht werden. Ein entscheidender Unterschied zu den Wirtschaftswiesen, die man mindestens fünfmal mäht und die deswegen kräftig gedüngt werden. Dort wächst dann nur noch Löwenzahn. Die Selzamwiese hingegen erstrahlt in buntem Blumenschmuck. Beim Vorbeiradeln leuchtet mir blau der Wiesensalbei entgegen, dazwischen Glockenblumen, Knöterich und der Wiesenbocksbart mit seinen handtellergroßen Blüten, gelb wie kleine Sonnen. Wiesen wie diese boten früher in unserer Kulturlandschaft Lebensgemeinschaften aus unterschiedlichsten Pflanzen und Insekten, jeweils angepasst an den Boden und das Mikroklima, einen Lebensraum. Leider sind sie inzwischen fast alle verschwunden.
An Utting schließt sich nun der Ortsteil Holzhausen an, der aus Villen, Gärten und Waldgehölzen besteht. Die Straße führt mich am Künstlerhaus Gasteiger vorbei. Das Ensemble, das ganz dem Jugendstil geweiht ist, besteht aus Wohnhaus, Blumenterrasse und einem zauberhaften, vom Kittenbach durchflossenen Landschaftsgarten. Mathias Gasteiger (1871–1934) war Bildhauer. Am Tor begrüßen den Eintretenden seine Skulpturen, die auch den Park schmücken. Seine Frau Anna Sophie (1877–1954) war Malerin. Beider Werke sind im Wohnhaus ausgestellt, ebenso die Originalmöbel und Fotos aus der damaligen Zeit. Während der Park frei zugänglich ist, öffnet das Wohnhaus mit dem Museum nur an Sonntagen oder nach vorheriger Anmeldung seine Pforten.
Die Schienen der Ammerseebahn nähern sich anschließend rechts der Straße und folgen ihr einige Kilometer. Meine Route mündet in einen Waldweg, auf beiden Seiten hohe Bäume, die Stämme von Efeu ummantelt. Ich habe das „Seeholz“ erreicht, das vom Fahrradweg und dem Schienenstrang durchquert wird. Da nur einmal jede Stunde je ein Zug hin und zurück fährt, stört die Bahnlinie kaum. Es gibt im Alpenvorland nur noch wenige Wälder wie das Seeholz, wo Eichen wachsen, die 300 Jahre und älter sind. Es ist nur ein kleines Wäldchen, misst kaum 70 Hektar, und die Fahrradstrecke ist nur ungefähr drei Kilometer lang, dennoch soll es der größte noch existierende Eichenwald in unserer Region sein. Neben den knorrigen Eichen stehen da auch Buchen, Eschen und Erlen. Früher trieben Bauern ihre Schweine zur Eichelmast in den Wald, deshalb blieb er in seinem ursprünglichen Zustand erhalten, heute ist er ein Naturschutzgebiet.
Nachdem ich das Seeholz hinter mir gelassen habe, kommt nun neben den Schienen auch noch die verkehrsreiche Landstraße, die von Schondorf nach Dießen führt, nah an den Radweg heran. So ist es das erste Mal während meiner Tour, dass ich nicht Vogelgezwitscher höre, sondern Verkehrslärm. Doch nicht lange, dann entfernt sich die Straße wieder zum Höhenzug hinauf, und am Radweg herrscht erneut Stille.
15 Kilometer von meinem Zuhause entfernt, erreiche ich St. Alban, ein Kloster mit Wallfahrtskirche, Wirtschaftsgebäuden und Kinderheim, das von Benediktinernonnen betrieben wird. Die Kirche ist dem heiligen Alban, einem Märtyrer, geweiht, der 406 zur Zeit der Römerherrschaft in Mainz enthauptet wurde. An der Kirchenmauer steht in einer Nische eine Skulptur, die den Heiligen mit seinem abgeschlagenen Kopf unterm Arm darstellt. Die ursprünglich gotische Kirche wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Barockstil erneuert. Jedoch reicht ihre Grundsteinlegung weit zurück. Um das Jahr 1000 soll die heilige Kunissa den Kirchenbau initiiert haben. Leider weiß man nicht viel über diese Frau. Möglicherweise entstammt sie einer Adelsfamilie vom Bodensee und wurde mit einem Grafen der Dießen-Andechser verheiratet. Auch das Kanonissenstift von Dießen soll sie gegründet haben. Im Bayerischen Nationalmuseum wird eine Tonplatte aufbewahrt, auf der das Todesdatum von Kunissa vermerkt ist, der 6. März 1020.
Von St. Alban bis Dießen sind es nur wenige Kilometer auf einem Kiesweg, der beidseits von Birken gesäumt ist. Und schon erblicke ich wieder den See, am Ufer hohe Bäume. Auf der freien Fläche, wo sonst der Töpfermarkt stattfindet, schwirren laut zwitschernd Mehlschwalben hin und her. Am Kiosk in den Seeanlagen gönne ich mir eine erste Rast und bestelle einen Cappuccino. Von meinem Platz aus habe ich einen freien Blick über den See. Die klare Luft erlaubt es, bis zur Herrschinger Bucht hinüberzusehen und zum Kloster Andechs auf dem Hochufer. Das blaugrüne Wasser ist in Bewegung. Sonnenflecken tanzen auf den Wellen. Kein einziges Segelboot kreuzt auf dem leicht gekräuselten See, dafür beleben Möwen, Enten, Schwäne und Blessrallen das Wasser.
Nach der Kaffeepause geht es auf dem Radweg durch die Uferanlagen. Am südwestlichen Ortsende von Dießen führt ein hölzerner Steg mitten durchs Schilf zu einem Beobachtungsturm. Es gibt keine bessere Stelle, um das Naturschutzgebiet der Ammermündung zu überblicken, ohne die Vögel zu stören. Selbst Blaukehlchen und Bartmeisen konnte ich von hier aus schon beobachten.
Diesmal aber fahre ich weiter. Der Radweg führt dicht entlang der verkehrsreichen Landstraße Dießen–Pähl–Weilheim, die als „Birkenallee“ bekannt und wegen zahlreicher Unfälle gefürchtet ist. Nach wenigen Hundert Metern kann ich die Schnellstraße überqueren und in die Straße nach Raisting einbiegen. Einen extra Radweg gibt es hier nicht, doch die Raistinger Straße ist wenig befahren. Rechts verlaufen wieder die Schienen der Ammerseebahn, und links erstreckt sich das Feuchtgebiet „Ammersee Südende“. Aus dem Grün der Gräser leuchten blau die Schwertlilien. Es ist die Sibirische Iris. Greifvögel kreisen am Himmel und lassen sich von der Thermik immer höher tragen. Eine Brücke überquert den Fluss Rott, der kräftig rauschend dem Ammersee entgegeneilt. Früher speiste die Rott die Ammer, um dann mit ihr gemeinsam in den See zu fließen. Inzwischen ist der Ammerzufluss einige Hundert Meter verlegt worden, und es gibt an dieser Stelle nur noch ein Restgewässer, die sogenannte Alte Ammer.
Links der Fahrstraße halte ich an einer Kapelle und entdecke im Vorraum eine historische Inschrift: „In den Jahren 1918–1925 wurde der Lauf der Ammer von Weilheim bis zum See begradigt. Kulturbauamt, Straßen- und Flussbauamt planten das große Werk. Land, Stadt und Kreis gewährten mit weitsichtigem Blick erhebliche Mittel. Grundeigentümer und Gemeinden haben in Treu zusammen das mühsame Werk durchgeführt. Möge es dem Vaterlande zum Heil geraten und künftige Geschlechter zur Nachahmung ermuntern. Nimm es, treuer Gott, in deinen Schutz.“
Während ich den Text betrachte, zwitschert ein Rotkehlchen in den Büschen neben der Kapelle. So war das also damals: Die Menschen dachten, sie vollbrächten eine gute Tat, und vernichteten doch unwiederbringlichen, kostbaren Lebensraum. Für sie handelte es sich um wertloses Sumpfgebiet. Wir Nachfahren mühen uns heute, die letzten Reste des einstigen Ammermooses zu schützen und zu erhalten für eine Tier- und Pflanzenwelt, die nur in Feuchtgebieten leben kann.
Als ich Raisting erreiche, zeigt mein Kilometerzähler die Zahl 20. Bei der Kirche St. Remigius in der Ortsmitte halte ich an. Meine bevorzugten Freunde, die Dohlen, umkreisen den Kirchturm. Erfreut stelle ich fest, dass sich die Kirchentür öffnen lässt. Ich trete ein, halte inne und nehme die Stille des Kirchenraums in mich auf. Remigius ist ein Heiliger des frühen Christentums. Dass diese Dorfkirche und auch ihr Vorgängerbau nach Remigius (437–533) benannt ist, deutet darauf hin, dass sich die christliche Religion in dieser Gegend bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt verbreitet hatte. Der Heilige entstammte einer gallo-römischen Adelsfamilie, also einer Verbindung von Kelten und Römern. Im Fränkischen Reich war er ein angesehener Bischof. Berühmtheit erlangte er, da er den Merowingerkönig Chlodwig I. getauft hat. Remigius ist einer der wenigen Heiligen, die nicht als Märtyrer sterben mussten.
Während ich in Richtung Erdfunkstelle durch den Ort radle, entdecke ich allenthalben brütende Störche auf den Dächern. Sie haben dieses Jahr früh begonnen. Ein Storchenpaar nistet auf einem von blühender Klematis ummantelten Baum. Der Anblick rührt mich, als die Storchenküken neugierig über den Nestrand lugen.
Nach insgesamt 22 Kilometern erreiche ich die Antennen, die den weltweiten Funkkontakt über Satelliten ermöglichen. Es ist beeindruckend: Gigantische metallisch schimmernde Schüsseln – ich zähle 18 – erheben sich vor der Kulisse der Alpenkette. Nahe der Anlage steht die neben den Riesenspiegeln winzig wirkende Kirche St. Johann am Feldrand. Was für ein Kontrast: modernste Spitzentechnologie in dieser urbayerischen, traditionellen Gegend.
Weiter geht es auf einem Radweg südlich der Grenze des Ramsar-Schutzgebietes durch den uralten Verlandungsbereich des Sees. Nach der eiszeitlichen Gletscherschmelze dehnte sich der See weit nach Süden aus. Doch allmählich bildete sich fester Boden, indem die Ammer bei jedem Hochwasser von den Ufern und aus den Bergen abgetragenes Material mitbrachte. Die Wiesen rechts und links des Radweges wirken trocken, erinnern nicht mehr an ein ehemaliges Feuchtgebiet. Bauern haben es mit Gräben entwässert, um es landwirtschaftlich zu nutzen.
Bei der Brücke über die „Neue Ammer“ erreiche ich wieder die „Birkenallee“. Der Fahrradweg verläuft auf der linken Seite, und ich warte eine ganze Weile, bis eine Lücke im flutenden Verkehr entsteht und ich die Straße überqueren kann.
Als ich Vorderfischen am Ostufer erreiche, zeigt mein Zähler 30 Kilometer. Der Ort geht fast lückenlos in Mitterfischen über. Die Anhöhe ist mit der Kirche St. Pankratius geschmückt. So wie St. Remigius in Raisting ist auch sie einem Heiligen des frühen Christentums geweiht. Pankraz, wie er in Bayern genannt wird, wurde um 290 in Kleinasien, im Gebiet der heutigen Türkei, geboren. Schon mit zehn Jahren verlor er beide Eltern. Sein Onkel nahm ihn mit nach Italien, wo sie sich in der Nähe von Rom niederließen. Der Onkel starb bald, und der Junge fand Zuflucht bei einer christlichen Gemeinde. Es war die Zeit der Christenverfolgung durch den römischen Kaiser Diokletian. Pankratius war erst 14 Jahre alt, als er verhaftet wurde. Wegen seines jugendlichen Alters wollte man ihn verschonen, wenn er seinem Glauben abschwor. Doch der Junge blieb standhaft. Im Jahr 304 wurde er enthauptet. Inzwischen gehört er zu den Eisheiligen. Wird die Vegetation durch kalte Nächte im Mai geschädigt, gibt man die Schuld Pankratius und noch vier weiteren Heiligen.
Der Radweg von Fischen verläuft parallel zur Hauptstraße. Immer in Ufernähe gelange ich nach Aidenried. Hier bin ich gezwungen, ein Stück auf der verkehrsreichen Straße zu fahren. Ich atme auf, als es bei Wartaweil wieder einen sicheren Radweg gibt. Wartaweil ist ein Ortsteil von Herrsching und zugleich der Name einer Begegnungsstätte, in der man Natur und den Umgang mit ihr erleben kann. Nach nunmehr 40 Kilometern erreiche ich Herrsching und habe einige Mühe, einen Radweg zu finden. Derjenige am See endet nach wenigen Hundert Metern.
Die Landstraße, die Richtung Breitbrunn führt, ist stark befahren. Deshalb biege ich nach kurzer Zeit rechts ab, auf einen Fußweg nach Rausch. Das ist ein Weiler aus wenigen Häusern, an denen ich schnell vorbeigefahren bin. Nun folgt ein jäher Anstieg, der steilste auf der gesamten Strecke. Auf einem geteerten Weg gelange ich nach Ellwang, hier gibt es noch weniger Gebäude als in Rausch. Von dort geht es durch einen Wald nach Breitbrunn. In der Nähe erhebt sich der 617 Meter hohe Jaudesberg, der mich zu einem Abstecher verführt. Es lohnt sich. Von oben kann ich weit über den See blicken, bis zur gegenüberliegenden Seite, wo sich mein Endziel und Heimatort Schondorf ans Ufer schmiegt.
Rasant geht es nun hinab nach Buch, doch statt dem Radweg weiter nach Stegen zu folgen, das im Westen von Inning am See liegt, mache ich einen Abstecher in das Zentrum des Ortes, wo die Pfarrkirche St. Johannes Baptist mit der ungewohnten doppelten Zwiebelhaube auffällt. Ein stattliches mehrstöckiges Haus, gleich neben der Kirche, zieht ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich. An der Fassade, oben am Giebel, prangt ein Fresko. Es zeigt Ritter zu Pferd mit hochgereckten Lanzen. Im Jahr 1021 soll Kaiser Heinrich II. (973–1024) mit 60 000 Mann auf seinem Marsch nach Italien in Inning übernachtet haben. Sogar das genaue Datum ist vermerkt: der 15. November. Heinrich II. entstammt dem Adelsgeschlecht der Ottonen, und bevor er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde, hatte er bereits zahlreiche Herrschaftstitel inne: Herzog von Bayern, König des Ostfrankenreiches und schließlich König von Italien.
Der Kaiser und seine engsten Gefolgsleute werden feste Quartiere im Ort bekommen haben, die übrige Mannschaft musste wahrscheinlich im Freien nächtigen, vermute ich. Heute hat Inning 4700 Einwohner, damals waren es sicherlich weniger, da wird nicht genug Platz für alle in den Häusern gewesen sein. Erstaunlich, dass ein Kaiser diesen unbedeutenden Fleck zur Übernachtung gewählt hat. Möglich allerdings, dass Inning zu der Zeit gar nicht so bedeutungslos war, denn seit den Römern führte eine Handelsstraße hier entlang und später dann die Salzstraße von München nach Landsberg am Lech. Inning diente bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Stapelplatz, also als Zwischenlager und Umschlagsort für Salz und vielerlei Waren. Seit mindestens 4000 Jahren ist die Gegend besiedelt, wie archäologische Ausgrabungen von über 40 Hügelgräbern aus der Bronzezeit in einem Waldstück oberhalb von Stegen beweisen. Auch aus der Hallstattzeit (800–450 v. Chr.), als die Menschen bereits Eisenwerkzeug verwendeten, gibt es Fundstücke in und um Inning. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Ort 912 vom Eichstätter Bischof Odalfried. In der Urkunde wird Inning allerdings „Uninga“ genannt, das bedeutet so viel wie „bei den Leuten des Uno“. Also gab es damals, zu Zeiten des Bischofs, einen lokalen Herrscher namens Uno. Danach geriet Inning unter wechselnde Besitzer, von den Dießen-Andechsern über die Haltenberger bis zu den Greifenbergern.
Nun biege ich nach links in die Landsberger Straße, und nach einer angenehmen Fahrt bergab erreiche ich wieder den See bei Stegen. Dieser Ortsteil von Inning scheint mir so gut wie nur aus Restaurants und Biergärten zu bestehen – und vielleicht noch ein paar Villen. Mit Gästen war ich schon oft hier. In einem der Wirtshäuser mit Freunden sitzen, genussvoll etwas essen und trinken, den Blick von Norden nach Süden schweifen lassen, über den ganzen herrlichen See, mit der Alpenkette am Horizont, was gibt es Schöneres?
Wenige Hundert Meter hinter Stegen fahre ich über eine Brücke, unter der die Amper aus dem See herausfließt. Das Wasser im See hat sich hier einen Weg gebahnt, gewissermaßen den Stöpsel gezogen. Der Bereich des Flusses ist kaum einsehbar, denn er wird von zwei Verkehrswegen zerschnitten und überdacht, der Autobahn und der Landstraße, die dicht nebeneinander verlaufen und einen breiten Streifen Natur beanspruchen. Schilf, Büsche und Morast hindern mich daran, nah an den Fluss zu gelangen. Anschließend, nachdem die Amper die Windach aufgenommen hat, beginnt das Landschaftsschutzgebiet Ampermoos.
Nun sind es nur noch etwa drei Kilometer bis Schondorf auf einem Erdweg durch ein als „Weingarten“ bezeichnetes Waldstück, immer am Seeufer entlang. Es heißt, während der Römerzeit sei es so warm gewesen, dass hier statt Bäumen Weinreben gewachsen wären.
Wieder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt, blicke ich auf meinen Kilometerzähler: 55 steht da. Auf Radkarten werden für die Umrundung 46,8 Kilometer angegeben. Da bin ich wohl einige Schleifen und Umwege gefahren. Auch die anvisierte Zeit von dreieinhalb Stunden habe ich fast um das Doppelte überschritten, schließlich brauchte ich Zeit zum Fotografieren und Erkunden. Die Strecke am Westufer gefiel mir besser als die andere Hälfte. Sie ist ruhiger, der Radweg verläuft meist fern von Fahrstraßen und fast immer in Seenähe. Er bietet viel Natur und berührt Orte nur an deren äußerstem Rand. Wer nicht so naturbegeistert ist, der fühlt sich vielleicht am Ostufer wohler, wo er mehr Einkehrmöglichkeiten, Unterhaltung, Kontakte und Abwechslung in den sich aneinanderreihenden Ortschaften findet.
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