Mord am Spieß (Die kulinarischen Fälle von Camilla und Peppino 2) Mord am Spieß (Die kulinarischen Fälle von Camilla und Peppino 2) - eBook-Ausgabe
Kriminalroman
— Kulinarischer Krimi mit HumorMord am Spieß (Die kulinarischen Fälle von Camilla und Peppino 2) — Inhalt
Die ermittelnden Köche Camilla und Peppino müssen erneut zusammen arbeiten, um Peppinos Familie aus dem Schlamassel zu befreien.
Camilla und Peppino führen endlich ohne Streitigkeiten oder plötzliche Todesfälle ihre benachbarten Lokale. Doch ein neuer Mord bringt die kulinarische Idylle wieder durcheinander. Ausgerechnet Camillas Mitarbeiter wird ermordet aufgefunden. Schnell stellt die Polizei Verbindungen zur Mafia fest. Peppinos entfernte Verwandte, seine Stammgäste und sein Vater geraten unter Verdacht. Vor kurzem noch erbitterte Rivalen, ermitteln die beiden Köche erneut zusammen, um den Mord aufzuklären und die Unschuld von Peppinos Familie zu beweisen. Aber was, wenn Peppinos Familie doch keine reine Weste hat?
Band 2 der neuen kulinarischen Krimireihe mit Humor von Tim Berger, dem Pseudonym eines SPIEGEL-Bestsellerautors
Tim Berger ist das Pseudonym des SPIEGEL-Bestsellerautors Jürgen Seibold, der sich mit zahlreichen Projekten in der Spannung etabliert hat. Nun nimmt er sich des Themas “Foodtrends” mit Humor und cosy Atmosphäre in kulinarischen Krimis an.
Für Leser:innen von Tom Hillenbrand
Alle Bände der Reihe "Die kulinarischen Fälle von Camilla und Peppino"
- Ein Häppchen Mord
- Mord am Spieß
Mit leckeren Rezepten zum Nachkochen
Leseprobe zu „Mord am Spieß (Die kulinarischen Fälle von Camilla und Peppino 2)“
Kapitel 1
Albert „Al“ Poner schlief seit Jahren nicht mehr gut. Aber wenn er dann mal eingenickt war, träumte er oft von den alten Zeiten. Als er noch jünger war und dünner, als er besser geschlafen hatte und als er nicht allein auf diesem Hausboot lebte, sondern meistens weibliche Gesellschaft hatte.
Pia zum Beispiel, an die er schöne, aber leider nicht nur gute Erinnerungen hatte. Er sah sie vor sich, attraktiv, clever und zärtlich. Und wie er so dalag in seinem Bett, hatte er das Gefühl, sie wiege ihn wieder wie damals in ihren Armen. Hin und her, und [...]
Kapitel 1
Albert „Al“ Poner schlief seit Jahren nicht mehr gut. Aber wenn er dann mal eingenickt war, träumte er oft von den alten Zeiten. Als er noch jünger war und dünner, als er besser geschlafen hatte und als er nicht allein auf diesem Hausboot lebte, sondern meistens weibliche Gesellschaft hatte.
Pia zum Beispiel, an die er schöne, aber leider nicht nur gute Erinnerungen hatte. Er sah sie vor sich, attraktiv, clever und zärtlich. Und wie er so dalag in seinem Bett, hatte er das Gefühl, sie wiege ihn wieder wie damals in ihren Armen. Hin und her, und hin und her, ganz langsam und sachte.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er schnupperte, ob er in diesem Traum wohl auch ihren herrlichen Duft riechen konnte. Doch was ihm in die Nase stieg, war eine unangenehme Mischung aus Brackwasser und Schiffsdiesel.
Das Schaukeln wurde stärker, er blinzelte, öffnete die Augen … und sah draußen vor dem gekippten Fenster einen dieser verdammten Lastkähne vorbeifahren, die seit einiger Zeit wieder das Terminal vier in seiner Nachbarschaft ansteuerten, das so lange verlassen gelegen hatte.
An diesem Morgen stand Sadik früher auf als sonst. Kurz nach vier Uhr wälzte er sich aus dem Bett, brühte einen starken Kaffee auf und schlüpfte ungeduldig in die ersten Klamotten, die ihm in die Finger kamen. Seinen Mitarbeitern hatte er nichts gesagt. Heute würde ihn niemand chauffieren, die ersten Minuten seines Bistro & Grill wollte er allein erleben. Kurz überlegte er, welchen Wagen er nehmen solle, doch dann entschied er sich, zu Fuß zum Shqipëria zu gehen. Die halbe Stunde an der noch halbwegs frischen Stadtluft würde ihn vollends wach werden lassen, und nach einem kleinen Spaziergang würde ihm vielleicht sogar schon etwas Deftiges schmecken.
Auf dem Weg durch die Straßen ging er in Gedanken die Speisekarte seines Lokals durch, das ausschließlich albanische Spezialitäten beinhaltete – bis auf Kebab vom Drehspieß, zu dem ihm der Küchenhändler aber dringend geraten hatte, um auch die Laufkundschaft anzulocken. Sadik hätte den Spieß nicht gebraucht, aber er war bisher immer gut damit gefahren, auf Experten zu hören. Er selbst dagegen wollte sich lieber an die traditionellen Gerichte des Landes halten. Ob er wohl einen Byrek nehmen würde, den die türkischen Dönerläden als Börek anboten? Oder eine Suxhuk mit Eiern und Fladenbrot? Doch als er sich vorstellte, wie die scharfe Wurst seinem Magen so früh am Morgen zusetzen würde, strich er diese Möglichkeit von seiner Liste. Vermutlich würde er sich doch lieber für einen Teller Oshmare Korçe entscheiden, etwas deftiger als bayrischer oder österreichischer Schmarrn, aber gut geeignet für ein handfestes Frühstück.
Sadik lächelte, als er sich die Speisen vorstellte, die er in Kürze vor sich sehen würde, von seinen eigenen Köchen zubereitet, in seinem eigenen Bistro & Grill serviert. Er hatte die albanische Küche genau studiert, als er vor Jahren begonnen hatte, sich als Albaner auszugeben. Zu Sadik war er damals geworden, weil er befürchtet hatte, als Alexander Wiedemann aus Detmold weniger leicht in der Unterwelt dieser großen Stadt Fuß zu fassen. Die falsche Identität hatte sich bewährt, und bis auf einige Polizisten, die im Gegenzug für Informationen über sein Doppelleben schwiegen, war ihm bisher niemand auf die Schliche gekommen. Damit das so blieb, pflegte er die Marotte, mit niemandem zu reden, sondern seine Mitarbeiter mit Gesten und Textnachrichten am Handy zu kommandieren. Und damit niemand merkte, dass er das Albanische nur sehr rudimentär verstand, bestand er darauf, dass in seiner Umgebung ausschließlich Deutsch gesprochen wurde.
„Schließlich machen wir unsere Geschäfte in Deutschland“, erklärte er dazu per Textnachricht – wenn nötig. „Da gebietet es die Höflichkeit, dass wir auch die deutsche Sprache benutzen.“
Inzwischen war ein solcher Hinweis so gut wie nie mehr notwendig, und falls sich doch jemand überrascht zeigte, dass immer andere für Sadik sprachen, erklärten es Assistenten wie Azi, manchmal unterstützt von einem schmerzhaften Griff, mit dem der andere fixiert wurde, bis er verstanden und akzeptiert hatte.
Das funktionierte gut, und nur sehr selten musste Sadik einen Tadel verteilen. Er war zufrieden mit seinen Leuten, und wenn er darauf achtete, alle nur da einzusetzen, wo sie ihre Fähigkeiten beweisen konnten und ihre Schwächen nicht zutage traten, würde das auch so bleiben.
Die beiden jungen Albaner jedoch, die um fünf Uhr das Shqipëria öffnen sollten, würde er noch einmal belehren müssen. Die Tür des Lokals war verschlossen. Sadik schaute erneut auf die Uhr. Es war schon fünf nach fünf. Auf dem Gehweg hastete ein Mann heran, und als er nur noch ein paar Meter entfernt war, hob Sadik beruhigend die Hand.
„Keine Sorge, wir öffnen sofort“, sagte er. „Geht gleich los.“
Der Mann schaute Sadik verblüfft an, eilte aber an ihm vorbei, ohne auch nur seine Geschwindigkeit zu vermindern. Das war wohl kein potenzieller Kunde für den heutigen Morgen gewesen.
Sadik drückte die Klinke der Eingangstür, dann holte er seinen Ersatzschlüssel hervor und sperrte auf. Ihn empfingen keine Grillaromen, kein Duft nach gebratenem Gemüse, warmem Spinat oder gebackenem Blätterteig, nur ein schwacher, unangenehmer Geruch, den er nicht sofort zuordnen konnte. Nicht einmal Tee war offenbar bisher aufgesetzt worden, und als er sich weiter umschaute, sah er auch, dass noch keines der Küchengeräte eingeschaltet war.
Dann fiel sein Blick auf den Drehspieß, der etwas weiter hinten im Bistro eingebaut war, damit das Shqipëria nicht schon von außen einer Dönerbude ähnelte. Er brauchte einen Moment, bis er verstand, was er vor sich sah. Dann tippte er die Notrufnummer, besann sich anders, löschte die Eingabe, bevor er angerufen hatte, und wählte stattdessen die Telefonnummer eines Mannes, der ihm vielleicht diskreter helfen konnte als die Polizei.
Der Klingelton des Smartphones schnitt scharf durch die Stille, aber Peppino Sensoni begann trotzdem erst während des dritten Läutens nach dem Telefon zu fingern. Es läutete noch zweimal, bevor er es sich schließlich schlaftrunken ans Ohr hielt.
„Sensoni, ich brauche deine Hilfe.“
Peppino blinzelte. Die Stimme kannte er, konnte sie aber erst nach einem Moment zuordnen, denn so aufgeregt hatte Sadik, der Albaner, selten geklungen.
„Kannst du bitte kurz in mein neues Bistro kommen?“
„Hatte ich sowieso vor“, antwortete Peppino. „So gegen halb zehn. Sind Sie heute auch dort?“
„Ja, ich bin auch dort, aber halb zehn habe ich nicht gemeint. Jetzt wäre gut.“
Peppino nahm das Handy vom Ohr und las die Uhrzeit vom Display ab.
„Tut mir leid“, brummte er dann, „aber um kurz nach fünf ist es mir noch nicht nach Döner.“
„Du sollst hier auch nichts essen. Ich brauch dich als Ex-Polizisten.“
„Ich bin kein Ex-Polizist, ich bin nur beurlaubt, weil ich meinen Eltern …“
Peppino unterbrach sich und lauschte.
„Sadik? Hallo?“
Der andere hatte aufgelegt. Peppino legte missmutig das Handy weg, setzte sich auf und gähnte. Zehn nach fünf. Was konnte Sadik da von ihm wollen? Hatte jemand in seinem neuen Bistro Mist gebaut? Und was wollte er dann von ihm? Peppino war im Moment kein Kripokommissar, sondern Koch der Trattoria seiner Familie. Und es war noch nicht ausgemacht, dass er wieder ins Polizeipräsidium zurückkehren würde. Eingesprungen war er im Salento, weil sich die Demenz seines Vaters verschlimmert hatte. Toto Sensoni fiel deshalb als Koch und Padrone der Trattoria aus, und seine Frau Gina konnte ebenfalls nicht mehr helfen, weil sie alle Hände voll zu tun hatte, ihren Mann heil durch den Tag zu bringen. Was er noch konnte wie all die Jahre zuvor, war vor dem Lokal unter der großen Linde zu sitzen und Vino und Grappa zu trinken, doch davon war die Arbeit in der Küche nicht getan.
Während er darüber nachdachte, worum es Sadik, dem Albaner, gehen mochte, hatten ihn seine Beine schon ins Bad getragen. Ein Schwall kalten Wassers weckte ihn leidlich, und ein paar Minuten später schwang er sich in der Garageneinfahrt seines Elternhauses auf das alte Mofa. Er musste das Pedal zwei-, dreimal treten, bevor der Zweitakter schnarrend ansprang. Den Helm hatte er schon auf dem Weg hinunter aufgesetzt, und nun knatterte er so schnell, wie es das alte Gefährt eben zuließ, zum Shqipëria. Sadik hatte ihm zuletzt sehr geholfen, da konnte er sich jetzt nicht einfach so aus der Affäre ziehen.
Das Mofa war laut, noch lauter war Peppinos Fluch gewesen, als er das alte Ding nicht gleich zum Laufen brachte. Camilla Brown schlief seit dem Tod des Gastes vor einigen Wochen nicht mehr besonders gut. Manchmal musste sie sich zweimal in einer Nacht an den Küchentisch setzen und zu einem Glas Wasser darauf warten, dass die Müdigkeit groß genug wurde und sie wieder einschlafen konnte. Und manchmal, wie heute, wurde sie schon vor Sonnenaufgang wach und durfte gar nicht mehr darauf hoffen, noch einmal in den Schlaf zu finden.
Wo wollte Peppino denn um diese Zeit hin? Ihr Handy zeigte Viertel nach fünf, und wenn er einen zeitigen Einkauf für das Salento hätte erledigen wollen, würde er ja wohl kaum das Mofa nehmen. Camilla beugte sich noch ein wenig weiter aus dem Fenster, das sie schon vor einer Stunde geöffnet hatte. Peppino war bereits um die nächste Straßenecke verschwunden, sie würde ihn später fragen müssen, was so früh so eilig gewesen war.
Am Gebäude der Trattoria wurde nun ebenfalls ein Fenster geöffnet. Nicht in der Wohnung der Sensonis über dem Lokal, wo Peppino derzeit in seinem einstigen Jugendzimmer schlief, um nachts nicht noch in seine Wohnung fahren zu müssen, die ein paar Kilometer entfernt in einem anderen Viertel der Stadt lag. Das Fenster schwang in der kleinen Dachwohnung auf, und Donatella, die Bedienung des Salento, die dort logierte, schaute verschlafen heraus. Ihre zerzausten Locken verdeckten ihr schönes Gesicht, als sie auf die Straße hinunterblickte. Und als sie den Kopf wieder hob, sich die Haare teilten und Donatella über die Straße hinweg auch Camilla am Fenster stehen sah, nickte die ihr nur kurz zu und zog sich dann ins Zimmer zurück.
Sadik wartete vor seinem neuen Lokal. Er knetete nervös die Finger, und das überzeugte Peppino vollends vom Ernst der Lage. Er konnte kaum das Mofa abstellen, da zerrte der andere ihn schon ins Innere des Shqipëria. Alles wirkte ruhig, aufgeräumt und leer, nicht ungewöhnlich für eine Grillbude um diese Uhrzeit. Dann hatte Sadik ihn so weit in das Bistro geführt, dass Peppino den übergroßen Grillspieß sehen konnte.
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es ihm.
Der Drehspieß war mit einer männlichen Leiche bestückt, die furchtbar verrenkt an dem sonst leeren Metallstab in der Mitte befestigt war. Peppino trat näher. Wenigstens war der Tote nicht wirklich aufgespießt worden, Kabelbinder aus Plastik fixierten ihn in seiner unnatürlichen Haltung. Aus einer Wunde am Hinterkopf war Blut durch die kurz geschorenen Haare bis auf die Schultern gesickert. Das Blut glänzte nur noch an manchen Stellen und war größtenteils bereits getrocknet. Doch der Winkel, in dem der Kopf auf dem Hals saß, deutete eher darauf hin, dass ihm jemand das Genick gebrochen hatte. Vermutlich war das Opfer schon tot gewesen, als es auf dem Boden aufgeschlagen war und sich die Wunde am Hinterkopf zugezogen hatte.
„Kennen Sie den Toten?“
»Das ist Sevian, einer meiner beiden Köche. Er soll das Shqipëria zusammen mit seinem jüngeren Bruder Bekim führen.«
Sadik räusperte sich.
„Er sollte“, fügte er hinzu.
Peppino beäugte die Leiche von allen Seiten, so gut es die Einfassung des Drehspießes zuließ, dann musterte er die Schränke, Arbeitsflächen und den Fußboden um den Fundort herum.
„Sie haben nichts angefasst, hoffe ich.“
„Natürlich nicht.“
Sadik klang fast ein bisschen beleidigt.
„Mit Polizeiarbeit kenne ich mich schließlich aus.“
Peppino konnte ein kurzes Schmunzeln nicht unterdrücken. In diesem Punkt war Sadik nicht zu widersprechen. Als einer der führenden Clanchefs der Stadt war er mit dem Vorgehen der Polizei mehr vertraut, als ihm lieb war.
„Und warum haben Sie mich angerufen und nicht meine Kollegen?“, fragte Peppino schließlich.
„Na ja, es ist immer etwas heikel, wenn die Polizei in meinem Umfeld ermittelt. Und da dachte ich …“
Sadik verstummte und grinste ihn an.
„Sie dachten … was?“
Sadiks Grinsen erlosch.
„Ich dachte, dass du dich dieser Sache persönlich annehmen könntest. Schließlich habe ich noch etwas gut bei dir, schon vergessen?“
Peppino seufzte.
„Nein, ich habe nicht vergessen, dass Sie mir sehr geholfen haben, als es um die beiden Toten im Camilla’s und im Salento ging. Und ich weiß, dass das mit dem Essen, das wir Ihnen danach spendiert haben, nicht ausgeglichen ist. Aber …“
Sadiks Augenbrauen gingen nach oben. Dessen Mitarbeiter hätten das als letzte Warnstufe verstanden, bevor ihr Chef sie maßregelte oder ihnen Schlimmeres antat. Doch Peppino arbeitete nicht für Sadik, und wenn er sich vor der Wut eines Ganoven fürchten würde, wäre er der Kripo in all den Jahren keine große Hilfe gewesen.
„Das hier können Sie nicht einfach vertuschen, Sadik“, sagte er deshalb ruhig. „Ihr Koch hat sich ja wohl nicht selbst erschlagen und an diesem Drehspieß befestigt. Und Mord muss nun mal die Kripo untersuchen.“
„Schade, ich dachte …“
„Natürlich werde ich auch persönlich Erkundigungen einziehen, und wenn Sie mir Tipps geben, wo ich da am ehesten fündig werde, kann das sicher nicht schaden. Ich kann meinen Kollegen davon auch erzählen, und vielleicht gehen Sie manchen Spuren, um die ich mich kümmern kann, zunächst nicht selbst nach. Meine Kollegen sind, glaube ich, im Großen und Ganzen ganz zufrieden damit, wie das im Fall der vergifteten Salsicce gelaufen ist. Gut möglich, dass sie sich auch diesmal darauf einlassen, mich ein bisschen mitermitteln zu lassen, aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“
Sadik schien zu dem Schluss zu kommen, dass er auf keine andere Lösung hoffen durfte, und als Peppino sein Handy hob und ihn fragend ansah, wirkte er schon recht zufrieden mit diesem Angebot und nickte.
Peppino wählte die Handynummer von Hanns Fehsen, dem dienstältesten Kommissar der hiesigen Kripo. Fehsen hob ab, doch statt seines Namens brachte er nur ein heiseres Husten hervor.
„Hanns, ich bin’s, Peppino. Scusi, dass ich dich um diese Zeit anrufe, aber es gibt Arbeit.“
Kurz darauf wimmelte das Shqipëria vor Polizisten. Uniformierte kontrollierten, dass niemand die Absperrungen missachtete, Männer und Frauen in weißen Ganzkörperanzügen nahmen Fingerabdrücke, sammelten DNA-Spuren, stellten nummerierte Täfelchen auf und machten Fotos. Fehsen sah fürchterlich aus. Offenbar hatte er am Abend zuvor oder in der Nacht mehr getrunken als sonst, und er war schon an normalen Tagen Wein und Bier sehr zugetan. Mit Pfefferminzpastillen hatte er es geschafft, dass sein Atem kaum mehr nach Alkohol roch, aber die rot geränderten Augen und die tiefen Ringe darunter sprachen Bände. Auch Kriminalhauptkommissar Jochen Maigert war nicht sehr fotogen in Sadiks Bistro & Grill eingetroffen, aber er schlief einfach zu wenig, aß zu viel, kleidete sich sehr unvorteilhaft und hielt nicht viel von einer gründlichen Rasur. Nur Kriminalhauptkommissarin Aglaia Bommers, ihren beiden männlichen Kollegen ranggleich, ihnen aber in puncto Fitness und Disziplin haushoch überlegen, erschien wie aus dem Ei gepellt. Sie begrüßte Peppino besonders freundlich, und als er sie lächelnd zurückgrüßte, strahlten ihre Augen für einen Moment, bevor sie sich von Sadik auf den aktuellen Stand bringen ließ.
„So sah das schon aus, als ich um fünf nach fünf hier eintraf“, beteuerte er.
„Einbruchsspuren?“
„Darauf habe ich nicht geachtet. Ich war wütend, weil mein neues Bistro eigentlich pünktlich um fünf geöffnet werden sollte.“
„Warum denn schon so früh?“
»Das Shqipëria soll auch für Gäste da sein, die früh zur Arbeit gehen und nicht den halben Vormittag verschlafen. Mein Bistro & Grill soll Anlaufstelle für Menschen sein, die hart arbeiten und sich vor oder nach der Arbeit etwas Gutes gönnen wollen. Albanische Küche, hausgemacht, ohne Schnickschnack.«
Fehsen trat zu ihnen und hörte zu. Sadik schnupperte übertrieben, als verströme der Kommissar eine ordentliche Fahne.
„Deshalb machen wir auch um zwanzig Uhr zu. Hier soll sich niemand besaufen, alles solide und schmackhaft, kein Gesocks.“
Fehsen lächelte müde, und als Bommers ihr Gegenüber schon wegen der offensichtlichen Anspielung anschnauzen wollte, legte er ihr nur die Hand auf den Arm und schüttelte langsam den Kopf.
„Übertreiben Sie es nicht“, knurrte sie nach einer kurzen Pause und fügte leise zischend hinzu: „Alexander …“
Fehsen, Maigert und sie wussten wie Peppino von „Sadiks“ Albanienschwindel, behielten es aber den meisten anderen Kollegen gegenüber für sich. Allen Seiten war bewusst, wie schnell dieses kleine Geheimnis auffliegen konnte, aber Sadik tat cool und ging nicht auf die Bemerkung ein.
„Wollten Sie den Tod Ihres Kochs mit Ihren eigenen Methoden regeln?“, fragte Aglaia Bommers.
„Eigene Methoden? Keine Ahnung, wovon Sie reden.“
„Sie werden Ihre Gründe gehabt haben, warum Sie nicht direkt die Kripo angerufen haben, sondern unseren Kollegen Giuseppe Sensoni – von dem Sie sicher wissen, dass er derzeit beurlaubt ist.“
Sadik schaute flehend zu Peppino. Ausgerechnet Fehsen sprang ihm bei.
„Sie werden wohl in der Aufregung nicht gewusst haben, was zu tun ist“, schlug er vor. „Und da ist Ihnen im ersten Moment vermutlich nur die Nummer unseres Kollegen eingefallen. Stimmt’s?“
„Äh …“ Sadik räusperte sich. „Stimmt genau, Herr Fehsen. Und es tut mir leid, falls ich Sie gerade …“
Fehsen winkte ab.
„Die Kriminaltechniker konnten nichts finden, was auf einen Einbruch hindeutet“, berichtete er, „weder an der Vorder- noch an der Hintertür. Es scheint aber heute früh ein Lieferwagen vor dem Hintereingang gehalten zu haben, Schuhabdrücke legen nahe, dass ein- oder ausgeladen wurde.“
„Das müsste einer unserer Lieferanten gewesen sein“, merkte Sadik an. „Wir lassen uns die Dönerspieße und das meiste Fleisch jeden Morgen frisch bringen.“
„Nur das meiste Fleisch frisch?“, hakte Bommers bissig nach. Sie hatte ihm die Anspielung auf Fehsens Zustand noch nicht verziehen.
„Manches wird mariniert“, erklärte Sadik ruhig. „Das kaufen wir schon am Vortag ein, bereiten es vor und lassen es dann im Kühlschrank über Nacht durchziehen. Zumindest haben wir das gestern so gemacht, das Bistro & Grill hätte ja erst heute früh eröffnet werden sollen.“
„Wie auch immer“, brachte Fehsen das Gespräch zurück aufs Thema. „Wie viele Lieferanten kommen denn so früh am Morgen zu Ihrem … Lokal?“
„Vor fünf nur einer. Ich nehme an, dass Sie die Adresse brauchen?“
„Es ist immer eine Freude, wenn jemand mitdenkt. Ja, die Adresse wäre wunderbar.“
Sadik flitzte in ein kleines Kabuff hinter der Theke und kam mit einem Aktenordner zurück, in dem er blätterte. Auf halbem Weg hatte er gefunden, was er suchte, und bei Fehsen angekommen, hielt er ihm den Lieferschein einer Firma hin, den der Kommissar mit dem Handy fotografierte.
„Darum kann ich mich kümmern“, sagte Maigert.
Fehsen schickte ihm die Aufnahme, und der Kollege machte sich auf den Weg. Aglaia Bommers bemerkte, dass ihr einer der Kriminaltechniker ein Zeichen gab, und ging zu ihm.
„Sie lassen uns hier am besten unsere Arbeit machen“, wandte sich Fehsen an Sadik. „Für weitere Fragen haben wir ja Ihre Handynummer.“
„Ich warte draußen“, sagte der und nickte zu Peppino. „Nachher würde ich gern noch etwas mit Ihrem Kollegen besprechen.“
„Kann ich mir gut vorstellen.“
Fehsen wartete, bis Sadik das Shqipëria verlassen hatte, dann ging er mit Peppino etwas vom Fundort der Leiche weg.
„Dann erzähl mal“, sagte er und grinste ihn müde an.
Peppino schilderte ihm den frühmorgendlichen Anruf Sadiks, nannte dessen Gründe dafür und seine Antwort darauf.
„Gut gemacht“, brummte Fehsen. „Und was hast du jetzt vor?“
„Ich werde mir anhören, wen er für diese Sauerei hier im Verdacht hat. Vermutlich einen anderen der hiesigen Clanchefs. Und wenn es für euch okay ist, dann gehe ich der Spur nach, die Sadik mir nennt. Ich halte euch auf dem Laufenden, und ihr treibt eure Ermittlungen in diese Richtung nicht allzu sehr voran.“
Fehsen wiegte den Kopf und grinste.
„Wir haben ohnehin nie genug Leute, um allen Spuren gleichzeitig nachzugehen.“
„Und wenn Polizeirat Wallis dich fragt, hast du das natürlich nie gesagt“, versetzte Peppino mit einem Augenzwinkern.
„So ist es. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Glück, und vielleicht läuft deine ehrenamtliche Mitarbeit auch diesmal wieder so gut wie im Fall der vergifteten Salsicce.“
Er tätschelte ihm lächelnd die Schulter und wandte sich ab. Peppino sah ihm einen Moment lang nach, dann ging er vor die Tür, wo Sadik nervös auf und ab ging und immer wieder ungeduldig durch das Schaufenster seines Bistros schaute.
Aus reiner Gewohnheit hatte Camilla ihr Restaurant inspiziert, hatte in der Küche nachgewischt, im Gastraum die Tischdecken zurechtgezupft und den Zustand von Besteck, Geschirr und Gläsern überprüft. Das Camilla’s war noch immer geschlossen, und auch wenn die Polizei längst keine Einwände mehr dagegen hatte, dass sie das Lokal wieder öffnete, hing vor dem Eingang noch immer das Schild mit der Aufschrift „Vorübergehend geschlossen“. Für Camilla war die fürchterliche Geschichte um den Gast, der an ihren veganen Salsicce gestorben war, allerdings noch längst nicht vorüber. Sie schreckte nachts auf, der Todesfall drängte sich in ihre Träume, und manchmal verharrte sie am helllichten Tag plötzlich mitten im Schritt und sah den Mann, wie er zuckend und röchelnd im Camilla’s starb, in Gedanken vor sich.
Ihr Vermieter Horst Schachner, dessen frühere Schlachterei sie zum Restaurant umgebaut hatte, erließ ihr seit dem Zwischenfall die Miete. Und auch wenn er es nie ansprach, wenn sie sich auf der Straße oder gegenüber in der Trattoria trafen, irgendwann würde sie mit den monatlichen Zahlungen wieder beginnen müssen. Dafür würde sie ihr Restaurant wieder in Betrieb nehmen, würde alten und neuen Gästen gegenübertreten müssen, die natürlich von dem Zwischenfall wussten. Die sie mustern würden, und manche von ihnen würden sogar nur aus Sensationslust zum Essen kommen.
Durch die gekippten Fenster hörte sie das alte Mofa der Trattoria heranknattern. Sofort nahm sie die Hand vom Tischtuch und beeilte sich, den Gehweg vor dem Restaurant zu erreichen, bevor Peppino wieder in seinem Elternhaus verschwunden war. Die Haustür ließ sie offen stehen, und sobald sie in Sichtweite ihres Nachbarn kam, setzte sie ihre Schritte betont langsam, als schlendere sie so kurz nach sechs Uhr morgens ganz zufällig die Straße entlang.
Peppino Sensoni bemerkte sie zunächst nicht. Er kurvte mit dem Mofa in die Garageneinfahrt, schwang sich vom Sitz und schob das Gefährt auf den kleinen Platz zwischen der Garage und der Einhausung für die Mülleimer. Er zog das klapprige Ding auf den Ständer, auf dem es noch ein-, zweimal etwas wacklig hin und her schaukelte, nahm seinen altmodischen Helm ab und hängte ihn über den Lenker.
Camilla betrachtete ihren Nachbarn aus den Augenwinkeln. Wo er wohl gewesen war um diese Uhrzeit? Nein, sie war nicht eifersüchtig, an den Besuch bei einer Frau hatte sie in diesem Moment auch nicht gedacht. Wobei, ein bisschen eifersüchtig war sie manchmal schon. Etwa wenn die hübsche Bedienung Donatella ihn zuckersüß anlächelte oder wenn Kripokommissarin Bommers zu Besuch in die Trattoria kam und sich mit ihm auf einen Cappuccino oder ein Glas Wein vertraulicher unterhielt, als ihr das unter Kollegen üblich schien. Doch Donatella war seit einigen Wochen sehr interessiert an Camillas Soßenkoch: Bernie Häberling schaute zuletzt oft vor Ort vorbei, fragte seine Chefin nach ihren Plänen für das Restaurant und ging dann auffällig beschwingt hinüber zur Trattoria, die er meist erst nach Donatellas Feierabend verließ, um mit der jungen Frau noch um den Block zu spazieren. Und mit Aglaia Bommers redete Peppino zwar gern und ausgiebig, allem Anschein nach hatte er aber mehr mit ihr nicht im Sinn.
Und was war das zwischen Camilla und Peppino? Wenn sie das wüsste … Zwar hatte sie ihn geküsst, als sie ihre Recherchen zum Mord an ihrem Gast erfolgreich zu Ende gebracht hatten, doch bisher war nichts weiter geschehen. Er hatte ihren Kuss erwidert, anschließend waren sie aber beide nach Hause gegangen. Das erste Treffen danach war etwas unbeholfen gewesen, aber sie hatten schnell zu einem unverkrampften Umgang miteinander zurückgefunden, und auch die Frotzeleien, mit denen sie sich zuvor bedacht hatten, flogen inzwischen wieder zwischen ihnen hin und her. So richtig wusste Camilla nicht, was sie davon halten sollte. Einerseits fand sie diese Zurückhaltung süß, und auch die backfischhafte Verliebtheit gefiel ihr im Grunde – andererseits war sie eine erwachsene Frau, die sich mit dem attraktiven Nachbarn durchaus mehr vorstellen konnte als Gespräche.
Camilla blieb stehen und seufzte.
„So schlimm?“
Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. Peppino stand vor ihr und grinste sie an wie ein Lausbub.
„Hab gerade gesehen, dass du hier rumspazierst. Lässt dich die Sache mit dem Gast noch immer nicht gut schlafen?“
„Nein, ich … äh … ja, genau.“
Sie blinzelte, und als sein Grinsen noch etwas breiter wurde, wusste sie nicht, ob sie erleichtert sein sollte, weil er ihr das Gestammel ohne Kommentar durchgehen ließ, oder sich ärgern, weil er so viel souveräner mit der Situation umging als sie.
„Ich schlafe tatsächlich noch immer schlecht“, sagte sie nach einer kleinen Pause. „Und vorhin habe ich mitbekommen, dass du mit dem Mofa weggefahren bist.“
„Oh, habe ich dich geweckt? Das tut mir leid, das blöde Ding war das erste Gefährt, das mir auf die Schnelle in den Sinn gekommen ist.“
„Nein, ich war schon wach. Aber wo musstest du denn so dringend hin um diese Uhrzeit?“
„Sadik hat mich angerufen. In seiner neuen Grillbude gab es einen Toten.“
Camilla riss die Augen auf.
„Aber nicht schon wieder irgendwas mit vergiftetem Essen, oder?“
„Nein, diesmal nicht. Einer von Sadiks Köchen hing tot im Dönerspieß.“
Sie verzog das Gesicht, und er beeilte sich, sie zu beruhigen.
„Nicht aufgespießt, er war da nur mit Kabelbindern befestigt. Aber tot war er trotzdem.“
„Warum hat Sadik dich angerufen und nicht die Polizei?“
„Er hat wohl gehofft, das ließe sich regeln, ohne dass die Kripo die Nase in seine Geschäfte steckt. Zum Glück konnte ich ihm diese Idee ausreden, aber …“
„Aber?“
„Ich musste ihm versprechen, ebenfalls Nachforschungen anzustellen. Nachdem er uns zuletzt geholfen hat, bin ich ihm ja noch etwas schuldig.“
„Nicht nur du.“
Peppino zuckte mit den Schultern.
„Meine Kollegen von der Kripo“, fuhr er fort, „sind einverstanden, dass ich mich in dieser Sache ein bisschen umhöre. Ich muss sie natürlich auf dem Laufenden halten, aber sie lassen mich einstweilen machen.“
„Schön“, sagte Camilla. Ihre betrübte Miene strafte sie Lügen.
Er sah sie prüfend an, und als sie sich gerade abwenden und zu ihrer Wohnung zurückgehen wollte, legte er ihr eine Hand auf die Schulter.
„Magst du mir helfen?“, fragte er.
Durch das Lächeln, das sich in diesem Moment auf ihr Gesicht legte, wurde ihm ganz warm.
„Na, dann komm mal mit ins Salento. Ich mach uns einen Kaffee und erzähl dir alles, was ich bisher weiß.“
Im Gastraum der Trattoria war es noch dämmrig, und Camilla erschrak, als sie Peppinos Vater Toto im Pyjama am Stammtisch sitzen sah. Er hatte kein Weinglas vor sich, wenigstens das nicht, aber mit seinen wirren Haaren, der fahlen Gesichtsfarbe und dem leeren Blick wirkte er im ersten Moment wie ein Geist. Peppino setzte sich neben seinen Vater und drehte behutsam dessen Kopf zu sich.
„Guten Morgen, papà.“
Er sprach ihn mit sehr sanfter Stimme an, und in den Augen des Alten begann es zu glimmen, als werde ganz weit hinten ein schwacher Funken geschlagen.
„Sitzt du schon lange hier?“, fuhr Peppino fort.
„Nein, natürlich nicht. Erst seit die anderen Gäste …“
Er machte eine fahrige Geste, die das ganze Lokal umfasste, dann sah er sich um und stellte fest, dass außer ihm, seinem Sohn und der Engländerin niemand anwesend war. Toto Sensoni verstummte, seine Augen schimmerten. Peppino wartete einen Moment, und als der Vater den Blick senkte und die Schultern hängen ließ, griff er vorsichtig nach seinem Oberarm.
„Komm, papà, ich bring dich ins Bett.“
Toto ließ sich aufhelfen, und dann trottete er neben seinem Sohn aus dem Gastraum. Camilla hörte sie auf der Treppe nach oben gehen, Peppino mit festem Schritt und leise und beruhigend auf seinen Vater einplaudernd, der Alte schlurfend und schweigend.
Als Peppino kurz darauf wieder ins Lokal kam, hatte Camilla schon zwei Kaffee aus der Maschine gelassen.
„Danke“, sagte er und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
Camilla nippte von ihrem Espresso und beobachtete ihn. Die Szene mit seinem Vater setzte ihm erkennbar zu. Darüber wurde sein Kaffee lauwarm, aber sie wartete geduldig, und schließlich, nach einigen Minuten, hob Peppino den Kopf, lächelte sie wehmütig an, trank den Espresso in einem Schluck und setzte das Tässchen mit säuerlicher Miene wieder ab.
„Wir können uns wegen des Toten in der Grillbude gern auch nachher noch einmal treffen“, bot Camilla an.
„Nein, nein, das passt schon. Meinen Vater muss ich immer mal wieder irgendwo auflesen. Ich bin ja schon froh, dass er diesmal im Haus geblieben ist.“
Er lächelte dünn, stand auf und hantierte an der Kaffeemaschine.
„Auch noch einen?“
Sie nickte, und kurz darauf saßen sie sich wieder gegenüber. Diesmal kippte er den Espresso sofort, schmeckte ihm ein wenig nach, schloss die Augen und räusperte sich, bevor er ihr alles erzählte.
„Und wen hat Sadik im Verdacht?“, fragte sie, nachdem sie sich seinen Bericht angehört hatte.
„Eigentlich will er nicht glauben, dass der Mord mit ihm zu tun hat.“
„Schon klar, Ermittlungen wären schlecht fürs Geschäft und so weiter. Aber hat er dich nicht genau darum gebeten?“
„Das schon, aber er ist überzeugt davon, dass es in der Stadt keiner wagt, sich mit ihm anzulegen.“
„Ach du meine Güte“, seufzte Camilla. „Hältst du ihn auch für so bedeutend wie er sich selbst?“
„Schwer zu sagen, aber wenn ihm jemand mit dem toten Koch schaden wollte, würde Sadik das irgendwann herausfinden, und am Ende wären beide Clans, die sich deswegen in den Haaren liegen würden, geschwächt. Davon hätte keiner der beiden wirklich etwas. Am ehesten würden die unbeteiligten Clans von einer solchen Auseinandersetzung profitieren.“
„Dann wäre es also möglich, dass einer von Sadiks Widersachern den Koch auf dem Gewissen hat, einem anderen Ganoven die Schuld unterschiebt und in aller Ruhe zuschaut, wie sich die beiden Konkurrenten die Köpfe einschlagen?“
„Etwas weit hergeholt, vielleicht, aber möglich, ja.“
„Wen könnte dieses Lokal sonst noch so sehr stören, dass er dafür einen Mord begeht?“
„Keine Ahnung. Die Übernahme des Bistros scheint friedlich abgelaufen zu sein. Der Vorpächter wollte ohnehin aufhören, und Sadik hat ihm eine gute Ablöse bezahlt, soweit ich das einschätzen kann.“
„Und mit Lieferanten kann er wegen offener Rechnungen oder reklamierter Ware eigentlich noch keinen Ärger gehabt haben, er wollte ja erst heute eröffnen.“
„Sehe ich auch so.“
„Ist Sadik mit seiner Grillbude einem Gastronomen in der Nachbarschaft auf die Füße getreten?“
»Das Shqipëria liegt an einer Straße, die aus der Innenstadt zum Bahnhof führt. Nicht gerade die schickste Lage, aber es kommt reichlich potenzielle Laufkundschaft vorbei. Gasthäuser gibt es dort nicht, aber über die Straße verteilen sich eine Hähnchenbraterei, ein Dönerladen, eine Bäckerei mit kleinem Cafébereich und ein Stück entfernt eine Metzgerei mit Imbiss.«
„Dann wären das unsere ersten Anlaufstationen, richtig?“
»Ja, und der Lieferant, der früh am Morgen im Shqipëria Ware abgeladen hat.«
„Hast du nicht gesagt, dass Sadik der Kripo dessen Adresse gegeben hat?“
Peppino grinste.
„Das schon, und natürlich werden die Kollegen mit ihm reden, vielleicht inzwischen schon geredet haben.“
„Aber?“
„Sadik hat angedeutet, dass der Lieferant nicht gern mit der Polizei zu tun hat. Er wird ihnen also vielleicht nicht alles erzählen, was er weiß, sondern nur das Nötigste.“
„Dann wollen wir mal“, sagte sie und stand auf. „Aber wir müssen nicht das Mofa nehmen?“
Peppino fischte den Autoschlüssel aus einer Schublade hinter der Theke, folgte ihr lachend hinaus, sperrte das Lokal hinter sich zu und ließ das Garagentor aufschwingen. Doch darin stand kein Fahrzeug.
„Ist was?“, fragte Camilla.
„Ich habe den Wagen gestern in der Garage abgestellt.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Na ja, da wird ihn wohl danach noch jemand gefahren haben. Das alte Ding ist als Familienauto für jeden da, der es gerade braucht.“
Er schloss die Garage wieder und blickte die Straße entlang. Vor dem Nachbarhaus entdeckte er den Kombi der Sensonis, er stand etwas schräg am Straßenrand und blockierte so, wie er geparkt war, zwei Stellplätze. Peppino runzelte die Stirn und ging zur Fahrertür. Auf dem Weg dorthin strich er beiläufig über die Motorhaube, was ihn für einen Moment überrascht mitten in der Bewegung verharren ließ.
Camilla beobachtete ihn, sagte aber nichts. Und als sie auf der Beifahrerseite selbst die Fingerspitzen kurz auf die Haube legte, fühlte sich das Metall so warm an, als sei erst vor Kurzem noch jemand mit dem Wagen gefahren.
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