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Mord mit TalblickMord mit Talblick

Mord mit Talblick Mord mit Talblick - eBook-Ausgabe

Simon Wasner
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Alpenkrimi

— Schwarzhumoriger Krimi mit Alpakas in der Schweiz
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€ 16,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 04.04.2025 In den Warenkorb
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Mord mit Talblick — Inhalt

Verrückte Alpakas, hohe Berge – und ein Mord. Absurd-schwarzhumorige Krimikomödie in den Schweizer Alpen für Fans von Jörg Maurer und Rita Falk 

„Und wenn Martin sich ausmalte, dass sein Leben womöglich in den nächsten Momenten enden könnte, weil er zusammen mit dem Tier, das er hasste, in eine Situation, die er hasste, mit einer Verbrecherin, die er zwar nicht hasste, aber fürchtete, geraten war, dann konnte er nur an eine Sache denken: Nie wieder in meinem ganzen Leben fahre ich in den Urlaub!“ 

Trautes Heim, Glück allein – dumm nur, dass dem Ehepaar Martin und Larissa seit Jahren von ihrer Nachbarin Frau Strobl das Leben zur Hölle gemacht wird. Und auch der gewonnene Urlaub in den Schweizer Bergen wird zum Horrortrip, denn nach einer halsbrecherischen Anfahrt entpuppt sich das malerische Chalet als heruntergekommene Jagdhütte und ausgerechnet Frau Strobl ist ebenfalls unter den Gästen. Als ein Erdrutsch die Abreise unmöglich macht und Frau Strobls Leiche im Alpakagehege gefunden wird, ist das Chaos perfekt. Schnell sind sie die Hauptverdächtigen, und so müssen Martin und Larissa wohl oder übel ermitteln.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erscheint am 04.04.2025
260 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-50841-4
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€ 2,49 [D], € 2,49 [A]
Erscheint am 04.04.2025
288 Seiten
EAN 978-3-377-90204-7
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Leseprobe zu „Mord mit Talblick“

1. 
Unter den Wolken

Das junge Alpaka mit dem gescheckten Fell schaute ein bisschen verzweifelt drein, aber das konnte man ihm ja auch nicht verübeln, in dieser Lage. Der beißende Höhenwind ließ die Gondel bedrohlich hin und her schwanken, und wenn Martin nach unten sah, begannen vor seinen Augen direkt die Sterne zu tanzen. Die Gondel, das verrieten die technischen Daten auf der Plakette neben dem Eingang, hatte ein Fassungsvermögen von zwölf Personen oder neunhundertsechzig Kilogramm und, ach ja, stammte direkt aus der Hölle. Zumindest, wenn man wie [...]

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1. 
Unter den Wolken

Das junge Alpaka mit dem gescheckten Fell schaute ein bisschen verzweifelt drein, aber das konnte man ihm ja auch nicht verübeln, in dieser Lage. Der beißende Höhenwind ließ die Gondel bedrohlich hin und her schwanken, und wenn Martin nach unten sah, begannen vor seinen Augen direkt die Sterne zu tanzen. Die Gondel, das verrieten die technischen Daten auf der Plakette neben dem Eingang, hatte ein Fassungsvermögen von zwölf Personen oder neunhundertsechzig Kilogramm und, ach ja, stammte direkt aus der Hölle. Zumindest, wenn man wie Martin eine Mordshöhenangst hatte und gezwungen war, zusammen mit einer flüchtigen Mörderin und einem ausgewachsenen Alpaka seit einer Viertelstunde in der irrsinnig dünnen Gondelkabine auszuharren, die an einem lächerlich dürren Drahtseil über einem gähnenden Abgrund hing. Da konnte der Rhein noch so kristallklar und schön funkeln, und die Berggipfel konnten sich noch so sehr bemühen, wie Toblerone-Pralinen mit Zuckergusshut auszusehen: Retten konnte das die Situation auch nicht mehr. Martin versuchte krampfhaft, weiterhin auf die Informationsplakette zu starren, weil sowohl der Blick durch den Panoramaboden als auch der auf Yvonne ihn vermutlich direkt einem Ohnmachtsanfall nahe gebracht hätten. Und da war noch gar nicht ins Spiel gekommen, dass er sich vor Alpakas ekelte wie andere Leute vor Schlangen oder Spinnen. Und wenn er, der sein ganzes Leben damit zugebracht hatte, aktive Risikovermeidung zu betreiben, sich ausmalte, dass sein Leben womöglich in den nächsten Momenten enden könnte, weil er zusammen mit dem Tier, das er hasste, in eine Situation, die er hasste, mit einer Verbrecherin, die er zwar nicht hasste, aber fürchtete, geraten war, dann konnte er nur an eine Sache denken: „Nie wieder in meinem ganzen Leben fahre ich in Urlaub!“


2. 
Das hässlichste Haus in der Straße
Zweieinhalb Wochen zuvor.

Wenn Martin neue Leute zu sich nach Hause einlud und die fragten, wo in Karlsruhe er denn wohne, dann beschrieb er immer den Weg nach Neureut-Heide, dann in den Magnolienweg und beendete die Beschreibung stets mit den Worten: „Und dann bitte nicht verunsichern lassen und das Weite suchen, es ist einfach nur das hässlichste, baufälligste und insgesamt wenig vertrauenerweckende Haus am Ende der Straße.“

Die Menschen lachten dann immer etwas verschüchtert, weil sie sich nicht sicher waren, ob Martin einen Scherz gemacht hatte, aber sobald sie in den Magnolienweg einbogen und das Trauerspiel mit eigenen Augen sahen, kam ihnen seine Beschreibung fast schon beschönigend vor. Wenn sie denn überhaupt noch Leute zu sich nach Hause einluden und es vor lauter Scham nicht einfach vorzogen, sich auswärts zum Abendessen zu verabreden. Das war im Grunde genommen ziemlich traurig. Denn eigentlich war die Wohngegend als solche recht hübsch: im Grünen, zwar nahe an der Karlsruher Innenstadt, aber trotzdem sehr ruhig, viele Einfamilienhäuser, ein kleines Naherholungsgebiet und ein See mit Minisandstrand. Gut, der See war ein biologisches Ungetüm und Baden darin absolut verboten, aber das änderte ja nichts daran, dass man abends mit einer Picknickdecke am Strand sitzen und eine Limo trinken konnte. Das taten auch viele, denn die Gegend war seit einigen Jahren ungemein beliebt, vor allem bei jungen Familien. Und gerade der Magnolienweg zeichnete sich dadurch aus, dass viele alte Häuser in den letzten Jahren kernsaniert oder gleich abgerissen und durch neue ersetzt worden waren. Die Hausbesitzer ließen sich natürlich nicht lumpen, und so stand vor jedem Haus eine Wärmepumpe, betrieben von den Solarzellen auf den Dächern, in der Garage ein quietschbunter Elektrosportwagen, und dahinter tuckerten leise die Pools. Das musste man sich leisten können, und durch die Aufwertung des gesamten Viertels war selbst ihre baufällige Wohnung sündhaft teuer gewesen, als sie sie vor zwei Jahren gekauft hatten. Aber ohnehin hatte die Nummer 4 es schwer, gegen ihre Nachbarhäuser zu bestehen: Die anderen Häuser waren ausnahmslos in lebendigen, fröhlichen Farben gestrichen, und ihre Besitzer grüßten immer freundlich, wenn sie morgens vor der Arbeit ihre obligatorische Runde joggen gingen. Die meisten Nachbarn hatten gute Jobs, wohlerzogene Kinder, eventuell eine Haushaltshilfe, und zwei- bis dreimal im Jahr fuhren sie in Urlaub. Laute Partys wurden in der Regel vermieden oder zumindest im Vorfeld angekündigt, der Müll fein säuberlich getrennt, und weil die Straße keine Durchgangsstraße war, gab es, von den vielen Lieferwagen der Post- und Kurierdienste einmal abgesehen, wenig Lärm und Aufregung. Es war wirklich die perfekte Gegend für ein Pärchen wie Martin und Larissa, die die Ruhe liebten und hier womöglich einmal ihre Kinder großziehen würden. Sicher, Martin war weder so dynamisch noch so strahlend gut aussehend wie seine Nachbarn, er verdiente vermutlich auch weniger, und ihr Auto sah nicht aus, als wäre es gerade als Kulisse aus dem neuesten Fast & Furious-Streifen zurückgekehrt. Er hatte außerdem kein Sixpack, sein Haar wurde schon sichtlich dünner, und er ging in seiner Freizeit nicht ohne Sicherungsleine klettern. Alles in allem war er vermutlich einfach jemand, den man als Langweiler bezeichnen würde. Aber rechtfertigte all das schon, dass das Schicksal ihn seit zwei Jahren jeden Morgen in der Hölle aufwachen ließ?

Als sie die Wohnung im Magnolienweg gekauft hatten, hatte der Makler von ihr und ihren unendlichen Möglichkeiten geschwärmt, alles Lügen natürlich, und sie waren sehenden Auges in die Katastrophe geschlittert. Dabei, und das war das Schlimme, hätten sie es ja ahnen können. Das Haus hatte damals schon fürchterlich ausgesehen: Der Außenputz bröckelig, eine Anstrichfarbe nur noch erahnbar, das Treppenhaus voll gesprungener Fliesen in zarten Siebzigerjahre-Brauntönen, das grauenhafte überlebensgroße Ölgemälde zweier Pferde im Treppenhaus, deren starrer Blick ihn bis heute in seinen Albträumen verfolgte. Und damit waren sie noch gar nicht bei dem feuchten Keller, dem Schimmel im Hausflur, dem undichten Dach, der bedrohlich schwankenden Regenrinne, dem sumpfigen Hof und den beiden Wellblechgaragen, die einen Hauch von brasilianischer Favela versprühten, angelangt. Oder, wie der schmierige Makler es damals ausgedrückt hatte: „Eine charmante Immobilie mit Potenzial. Sicher, es gibt einiges zu tun, aber das ist natürlich für Sie auch eine großartige Gelegenheit, der Einheit Ihren eigenen, ganz individuellen Stempel aufzudrücken. Ach, was sage ich. Der Einheit, nein. Ihrem neuen Zuhause! Nicht wahr, Sportsfreund?“

Dabei hatte er versucht, schelmisch zu zwinkern und Martin einen kumpelhaften Knuff zu versetzen, aber zum Glück hatte Larissa ihn rechtzeitig weggezogen, denn wenn es etwas gab, was Martin nicht ausstehen konnte, dann war es eine spontane und ungeplante Berührung unter Fremden.

„Und die Nachbarin?“, fragte Martina den Makler.

„Hach!“, sagte er säuselnd und berührte mit der Hand seine Brust auf Höhe des Herzens, wo er in seiner Anzugweste eine altmodische Taschenuhr verstaut hatte, „Frau Strobl. Ein echter Traum. Eine liebenswerte ältere Dame, leider seit vielen Jahren verwitwet. Ich glaube, sie hat eine erwachsene Tochter, die“, er sprach jetzt betont leise, „sie leider nicht besonders oft besuchen kommt. Ich zumindest habe sie noch nie gesehen. Sie wird sich sicherlich über Ihre kleine Familie freuen, besonders, wenn es da mal Zuwachs geben sollte. Und wissen Sie: Sie wohnt schon ewig in diesem Haus. Ich bin mir sicher, dass sie es kaum erwarten kann, gemeinsam mit Ihnen die Renovierung anzugehen!“

Vielleicht war es der Traum, Eigentum zu besitzen, der sie damals alle Warnzeichen hatte ignorieren lassen. Vielleicht war der Makler auch der Teufel höchstpersönlich, dem es gelungen war, sie mit seinen Lügen und seinen schmierigen, zurückgegelten Haaren um den Finger zu wickeln. Vielleicht auch das Gefühl, ein Zuhause gefunden zu haben, bevor Kinder ins Spiel kamen. Und ganz sicher war es leider auch Martins absurd großes Sicherheitsbedürfnis gewesen, das in ihm schon immer den Wunsch genährt hatte, ihr Geld solide anzulegen, in Betongold, wie man so schön sagte. Auf jeden Fall hatten sie noch am selben Tag einen Termin bei der Bank ausgemacht und die Verträge unterschrieben. Dann hatte Larissa Muffins mit kleinen Schokotropfen darauf gebacken, sie zogen sich etwas Ordentliches an und machten sich auf den Weg, ihren Antrittsbesuch bei Frau Strobl zu absolvieren, der reizenden Dame, die es kaum erwarten konnte, mit ihnen gemeinsam die Renovierung anzugehen.

So konnte man sich irren.

 

Martin erinnerte sich genau an den Tag ihrer Unterschrift unter den Kaufvertrag. Von Glück beseelt standen sie mit der Muffinbox und einer eilig gekauften Flasche Discountersekt vor Frau Strobls Tür, um sich bei ihr vorzustellen und mit ihr auf die baldige Renovierung ihres gemeinsamen Hauses anzustoßen. Sicher, das alles würde nicht billig werden, aber der enorme Wertgewinn der Immobilie, die Gewissheit, in einem aufstrebenden Viertel zu wohnen, die ideale Lage. Sie dachten wirklich, ein Traum würde in Erfüllung gehen.

Martin konnte die absurde Szene noch immer vor seinem inneren Auge sehen: Wie sie, leicht kichernd, gemeinsam den rostigen Schlüssel in die Hand nahmen und ihn in das ebenso rostige Schloss erst schoben, dann drückten, schließlich hämmerten. Wie sie die Haustür öffneten, ihnen der Muff von fehlender Frischluft und fröhlich sprießendem Schimmel entgegenkroch. Wie sie an den verdammt gruseligen Pferden vorbeiliefen, die ihnen erst jetzt so richtig ins Auge stachen, weil der Makler bei der Besichtigung wahrscheinlich absichtlich die Lampe über ihnen herausgeschraubt hatte. Jetzt glotzten sie Martin aus starren, irren Augen und mit bebenden Nüstern an, und ihm lief es direkt eiskalt den Rücken herunter. Schlangen, Spinnen, Mäuse, Ratten, alles kein Problem für ihn. Aber seit er an seinem zehnten Geburtstag von einem Alpaka, das seine Mutter extra als Überraschung organisiert hatte, in die Hand gebissen worden war und beinahe seinen rechten Zeigefinger verloren hätte, hatte er panische Angst bei gleichzeitigem Ekel vor Alpakas, Eseln und allem, was ihn auch nur indirekt an irgendetwas Pferdeartiges erinnerte. Er hasste ihr Fell, ihre riesigen Augen, ihre noch riesigeren Nasenlöcher und ihre abstrus ungepflegten Zähne. Martin machte jetzt einen kleinen Schreckhopser zur Seite und trat dabei Larissa auf die Füße. Sie stieß einen leisen Schmerzensschrei aus und ließ beinahe die Muffins fallen, legte ihm dann aber die Hand auf die Schulter und sagte ruhig: „Das Bild lassen wir direkt morgen abhängen.“

Deswegen liebe ich diese Frau, dachte er und beruhigte sich tatsächlich ein bisschen. Kaum hatte Larissa das Entfernen des Gemäldes angekündigt, gelang es ihm, von den Augen der Pferde abzulassen, sich umzudrehen und vor Frau Strobls Tür zu treten. Martin suchte nach einer Klingel, fand aber keine und klopfte schließlich an. Nachdem er dreimal geklopft hatte und noch immer niemand reagierte, drehte er probehalber am Türknauf, um herauszufinden, ob sie sich von außen öffnen ließ. Das tat er nicht aus Übergriffigkeit, sondern aus echter Besorgnis, die wahrscheinlich auch berufsbedingt sein ständiger Begleiter war. Schließlich war Frau Strobl nicht mehr die Jüngste und bekam, falls der Makler sie da nicht auch belogen hatte, nicht sehr oft Besuch. Martin war Versicherungsberater, und das mit Leib und Seele. Schon in der Abizeitung stand neben einem Bild mit Seitenscheitel und damals altmodischer, heute aber erstaunlich trendiger Hornbrille, dass sein Berufswunsch Versicherungsmakler sei, während bei seinen Freunden Dinge wie „Biertester“ oder „König von Mallorca“ zu lesen gewesen waren. Nach einem in Mannheim in Windeseile und mit Bestnoten absolvierten Studium beschäftigte er sich seit mittlerweile zehn Jahren jeden Tag aufs Neue mit vollem Elan und ganzer Hingabe mit dem Risiko. Dabei litt er sehr darunter, dass seine Zunft in letzter Zeit mehr und mehr in Verruf geraten war: Er sei ein Betrüger, ein Halsabschneider, das hörte er nun immer häufiger. Dabei hatte er noch nie einem Kunden eine Versicherung verkauft, die dieser nicht benötigt hätte. Stets war er aufrichtig und erläuterte nach bestem Wissen und Gewissen, welche Risiken existierten und gegen welche sich seine Kunden am besten absichern sollten. Und davon gab es, zumindest seiner Wahrnehmung nach, mehr als genug. Man könnte es also so formulieren: Oft verkaufte er seinen Kunden tatsächlich Versicherungen, die sie noch nicht hatten. Aber, und das war ja das Wichtigste: die sie auf jeden Fall einmal brauchen könnten. Denn Martin rechnete mit allem, und zwar immer. Es überraschte also auch seine Frau nicht, dass er so schnell versuchte, Frau Strobls Fernbleiben auf den Grund zu gehen: Schließlich gab es keinen Moment, in dem er nicht mit einem schrecklichen Unfall oder einem plötzlichen Ableben kalkulierte.

In dem Augenblick, in dem Martin versuchte, den Knauf zu drehen, hörte er von drinnen aber erstaunlich schnell schlurfende Schritte, und keine zwei Sekunden später öffnete sich die Tür. Und da stand sie, in all ihrer nicht vorhandenen Pracht, und starrte die beiden aus funkelnd bösen Augen an: Frau Strobl oder, wie Martin und Larissa sie seit diesem Tag nur noch nannten: der Satan. Martin war überdurchschnittlich groß, und weil er so schlank war, wirkte er noch größer. Larissa hingegen war ziemlich klein, drahtig und braun gebrannt, wie es sich für eine Sportlehrerin vermutlich gehörte. Rein größentechnisch konnte man Frau Strobl zwischen ihnen einsortieren, was aber überhaupt keine Rolle spielte. Denn ihre sehr spezielle Ausstrahlung war alles andere als durchschnittlich. Sie trug eine Art Hauspantoffeln, die aussahen, als hätte man einen pinkfarbenen Igel bei lebendigem Leib gehäutet, eine Leggins mit Leopardenmuster und eine ebensolche Bluse, an der linken Hand prangte eine goldene Armbanduhr, um den Hals eine Diamantkette. Ihre Haare funkelten feuerrot und sahen nach frischer Dauerwelle und einem Hauch von Fegefeuer aus. Ihre Augen waren eisblau und versprühten nicht den leisesten Funken Wärme, was durch die äußerst dünn gezupften, womöglich auch tätowierten Augenbrauen nur noch verstärkt wurde. Natürlich waren auch sie feuerrot.

„Guten Tag, Frau Strobl“, sagte Larissa strahlend und winkte mit der Muffinbox, „wir sind …“

„Wenn Sie nicht sofort aus meinem Haus verschwinden, rufe ich die Geheimpolizei und sorge dafür, dass Sie für immer in einem sibirischen Gulag verschwinden“, sagte ihre neue Nachbarin mit Nachdruck, starkem russischen Akzent und schleppend rollendem R. „Und im Übrigen bin ich russisch-orthodox und habe kein Interesse daran, Zeugin Jehovas zu werden.“

Die beiden lachten kurz auf, weil ihnen das offensichtliche Missverständnis bewusst wurde, dem die alte Frau aufgesessen war. Ein Missverständnis, das ja schnell aus dem Weg zu räumen war. Leider hatten sie zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht erkannt, dass Karolina Strobl nicht nur ein Problem mit den Zeugen Jehovas hatte, sondern mit der gesamten Menschheit.

„Liebe Frau Strobl“, sagte Larissa erneut freundlich und hielt wie zur Unterstützung die Box mit den Muffins auf Höhe ihres strohblonden Dutts, „wir sind nicht von den Zeugen Jehovas. Wir sind die neuen Nachbarn und wollten uns nur …“

„Neue Nachbarn?“ Zu ihrem Entsetzen sammelte Frau Strobl deutlich hörbar Speichel in ihrer Mundhöhle und spuckte dann auf ihrer eigenen Fußmatte mit dem verschlissenen Wort Willkommen aus. „Brauche ich nicht. Will ich auch nicht. Und wenn Sie versuchen, mir in Ihren verschimmelten Küchlein Drogen unterzujubeln und mich dann auszurauben, dann seien sie gewarnt: Mein Hund ist ein direkter Nachkomme von Genosse Stalins Spaniel. Er ist sehr aggressiv, hat vermutlich Tollwut und beißt!“

„Frau Strobl“, sagte Martin und schob Larissa sanft ein bisschen zur Seite, weil er wusste, dass sie bei solchen Gelegenheiten schnell mal die Diplomatie fallen lassen und sich in einen Streit hineinsteigern konnte, „das ist alles ein großes Missverständnis. Es tut mir sehr leid, falls wir Sie erschreckt haben sollten.“

Martin sprach ruhig und langsam, man wusste ja schließlich nicht, wie gut die alte Dame hörte und wie schnell sie noch Dinge begriff. Auch wenn, das musste er zugeben, sie eigentlich gar nicht so alt, wie von ihrem Makler beschrieben, und außerdem recht rüstig wirkte. Sie mochte sechzig sein, und ihre Dauerwelle sah zwar sehr altmodisch, aber nicht ungepflegt aus. Dazu der Goldschmuck und die für ihr Alter etwas zu große, etwas zu auffällige Perlenkette. Sie versprühte gesunden, leicht mafiös angehauchten Ostblockcharme, war aber vermutlich nicht senil. Man würde also mit ihr reden können. Denn das war es, was Martin aus seinem Alltag als Versicherungsmakler ganz sicher wusste: Man konnte mit jedem reden, wenn man erst mal eine persönliche, vertrauensvolle Basis geschaffen hatte.

„Wie Sie sicherlich wissen“, führte er weiter aus, „stand die Wohnung über Ihnen eine ganze Weile lang leer und ist nun verkauft worden. Und wir, Larissa und Martin Imhoff, sind die neuen Käufer. Und die Muffins, die“, er warf Larissa einen raschen Blick zu, „ganz und gar nicht verschimmelt sind, haben wir mitgebracht, weil wir dachten, wir könnten uns bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen, um zu besprechen, wie es mit dem Haus weitergeht.“

„Nicht verschimmelt?“, fragte Frau Strobl und zog eine dünne, rote Augenbraue in die Höhe. „Und was ist das dann für ein widerlich weißes Zeug obendrauf?“

„Das widerlich weiße Zeug“, sagte Larissa, und Martin bemerkte, wie ihre Stimme an Schärfe deutlich zunahm, „nennt man Topping.“

Es war jetzt sehr wichtig, dass es ihm gelang, das Gespräch in ruhigere Bahnen zu lenken. Wenn es ums Backen und Kochen ging, war seine sonst so toughe Frau nämlich sehr empfindlich, weil ihr tatsächlich öfter mal etwas anbrannte oder verschimmelte. Nicht, dass er ihr das jemals ins Gesicht sagen würde. Er war kein besonders konfrontativer Mensch. Einmal hatte er lieber eine Wurmvergiftung riskiert, als ihr zu beichten, dass er einen halbierten Regenwurm in ihrem Zitronenkuchen gefunden hatte. Er hatte schon schönere Geburtstage verbracht.

„Wie dem auch sei“, sagte er und kam nicht umhin, zu bemerken, dass aus Frau Strobls Wohnung ein Geruch irgendwo zwischen vergammelndem Ehemann und Knoblauchfondue strömte, „nachdem wir diesen Irrtum ja jetzt geklärt haben, könnten wir doch bestimmt reinkommen und uns kennenlernen und dann in aller Ruhe gemeinsam überlegen, wie es mit dem Haus weitergehen soll.“

„Dazu muss ich Sie nicht hereinbitten. Das können wir auch direkt hier klären“, sagte Frau Strobl kalt und hakte zur Sicherheit schon einmal die Türkette ein.

„Hier?“, antwortete Martin, der im Gegensatz zu Larissa immer noch nicht verstanden hatte, dass sie auf diplomatischem Wege kaum weiterkommen würden. „Aber es gibt doch so viel anzugehen. Die Fassade, das Treppenhaus. Der Keller. Die Elektrik. Die Garagen. Und dann das Pferdebild“, schloss er seine Ausführung mit einem kleinen Scherz. Der kam natürlich gar nicht gut an.

„Sparen Sie sich die Mühe. Sie sind nicht die Ersten, die versuchen wollen, hier etwas zu verändern. Hier bleibt alles ganz genau so, wie es jetzt ist. Und wenn Sie Hand an mein geliebtes Pferdebild legen“, ihre Augen funkelten jetzt vor purem Hass, „dann bringe ich Sie höchstpersönlich um und verscharre Ihre Leichen in meinem Garten. Dagegen wird dann selbst die Ermordung von Leo Trotzki ein harmloser Streich gewesen sein.“

Damit knallte sie die Tür vor ihren Nasen so heftig zu, dass die Muffins in der Box hin und her hüpften und vermutlich asbesthaltiger Staub von der Decke in die offene Form rieselte. Sie standen noch eine Weile unschlüssig vor der Tür herum, bis Larissa ihren Mann am Arm packte und nach draußen zog. Schwer atmend, weil die frische Luft ihre Lungen überforderte, öffnete Larissa die Biomülltonne vor dem Haus so schwungvoll und aggressiv, dass der Deckel ordentlich gegen die Rückwand der Tonne knallte. Dann kippte sie, ohne zu zögern, die Baustaubmuffins hinein. Sie atmete tief ein und aus, und Martin sah am Zittern ihres Körpers, wie sehr sie mit sich zu kämpfen hatte. Nicht etwa, weil sie Angst hatte oder weil Frau Strobls grobe postkommunistische Art sie so vor den Kopf gestoßen hatte. Nein, so tickte Larissa nicht. Sie entstammte einer uralten badischen Dynastie von Handballspielerinnen und war mit vier älteren Schwestern aufgewachsen. Wer Larissa blöd kam, das hatte Martin schon oft miterleben müssen, der konnte sich auf etwas gefasst machen. Vermutlich hatte sie sich auch deswegen direkt beim ersten Kennenlernen in ihn verliebt: Weil er mit seinem ausgleichenden, defensiven Wesen schon mehr als einmal dafür gesorgt hatte, dass sie nicht aufgrund einer gestohlenen Vorfahrt jemanden krankenhausreif geschlagen hatte. Und umgekehrt war Martin immer froh, dass sie es war, die die vielen kleinen und großen Kämpfe des Alltags ausfocht. Sie waren jetzt seit zehn Jahren zusammen und seit fast vier Jahren verheiratet und nach wie vor, man konnte es nicht anders sagen, ein tolles Team.

Martin ging langsam auf sie zu wie ein Tierpfleger, der ein tollwütiges Raubtier beruhigen musste. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, spürte das Schulterpolster ihres Blazers, den sie heute extra angezogen hatte, und sprach langsam und beruhigend auf sie ein. Dass sich schon eine Lösung finden würde. Dass sie jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn werfen konnten. Dass auch Frau Strobl, ob sie es wollte oder nicht, auf eine Zusammenarbeit angewiesen war. Dass die Hausverwaltung ja immer mit im Boot und sicherlich auf ihrer Seite wäre. Tatsächlich beruhigte sich Larissa, zumindest ein wenig. Oft waren dafür noch nicht einmal Worte notwendig. Martin und Larissa waren berühmt für ihre stumme Kommunikation, bei der ein Augenrollen oder ein Zucken des Mundwinkels dem anderen direkt mitteilte, was einem gerade durch den Kopf ging. In diesem Fall antwortete Larissa Martin mit einem Augenrollen bei gleichzeitig schmal gezogenen Lippen. Das bedeutete: Es nervt mich, aber du hast ja recht.

Sie ordnete ihren Dutt, ließ den Rest ihrer Aggression am Deckel der Biotonne aus, die sie mit einem kräftigen Kick ihrer Turnschuhe so fest nach oben trat, dass er mit einem ziemlichen Krachen wieder auf den Rahmen knallte. Aber dann hatte sie sich wieder gefangen. Sie fasste Martin an den Händen und sah ihm tief in die Augen. Nur ein kleines Wuttränchen, das ihre linke Wange herunterlief, verriet noch, dass sie bis gerade eben vor Zorn beinahe zum unglaublichen Hulk mutiert wäre. Und Martin, der fast zwei Köpfe größer war und ihren Blick erwiderte, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen seiner berühmt tollpatschigen Küsse, wobei sein Hemd immer, wirklich immer, aus der Hose rutschte und er es dann umständlich wieder hineinnesteln musste. Sie lächelten. Das war das Schöne an ihrer Ehe: Ihre Liebe zueinander war fast schon disneyartig groß, und sie wussten, dass sie zusammen alles schaffen konnten. Denn niemand ergänzte sich so gut wie sie. Da konnte sie nichts aufhalten. Nur hatten sie da leider die Rechnung ohne Karolina Strobl gemacht.

Simon Wasner

Über Simon Wasner

Biografie

Simon Wasner wurde 1987 in Karlsruhe geboren und studierte Lehramt in Freiburg im Breisgau, Basel und Rennes. Er unterrichtet Deutsch, Geschichte, Religion und Psychologie. Im Januar 2018 erschien sein Debütroman „Mein Leben und andere Reinfälle“. 2021 folgte sein Einstand bei Piper mit der Komödie...

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