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Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2)Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2)

Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2) Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2) - eBook-Ausgabe

Wolfram Eberhardt
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Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2) — Inhalt

33 Fragen – 33 Antworten: Warum herrscht im Nahen Osten immer Krieg?

Der Nahe Osten ist ohne Zweifel eine der krisenreichsten Regionen der Welt. Seit über 70 Jahren warten hier Israelis und Palästinenser vergeblich auf Frieden. Trotz aller Vermittlungsversuche gewinnt stets die Gewalt die Oberhand. In mehreren arabischen Ländern toben Bürgerkriege, radikal-islamische Terrorgruppen treiben ihr Unwesen. Nun droht auch noch ein Waffengang der USA mit dem Iran. Wie lässt sich die Gewalt in der Region erklären? Gibt es historische Wurzeln für die Konflikte? Welche Player sind involviert? Wer ist zum Frieden bereit, wer will Terror und Gewalt? Welche Rolle spielen die Großmächte? Wie könnten tragfähige Lösungen aussehen? Und was bedeutet das alles für uns? Dieses Buch beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

€ 10,00 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 15.05.2020
128 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31589-0
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 16.04.2020
128 Seiten
EAN 978-3-492-99652-5
Download Cover

Leseprobe zu „Nahostkonflikt (33 Fragen – 33 Antworten 2)“

Einleitung
Lange Zeit war der Nahe Osten für uns eher fern. Was in dieser Weltgegend geschah, war für die meisten Europäer, um ehrlich zu sein, zweitrangig. Mit ungläubigem Kopfschütteln gedachte man kurz den Irrungen und Wirrungen in der Region, um sich gleich darauf „Wichtigerem“ zuzuwenden.
Allerdings hat sich das Bild grundlegend gewandelt, seit die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten auch bei uns landen. Plötzlich ist von Bedeutung, wie und ob die Bürgerkriege in Syrien oder Libyen enden, ob Saudi-Arabien den radikalen Islam exportiert oder der [...]

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Einleitung
Lange Zeit war der Nahe Osten für uns eher fern. Was in dieser Weltgegend geschah, war für die meisten Europäer, um ehrlich zu sein, zweitrangig. Mit ungläubigem Kopfschütteln gedachte man kurz den Irrungen und Wirrungen in der Region, um sich gleich darauf „Wichtigerem“ zuzuwenden.
Allerdings hat sich das Bild grundlegend gewandelt, seit die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten auch bei uns landen. Plötzlich ist von Bedeutung, wie und ob die Bürgerkriege in Syrien oder Libyen enden, ob Saudi-Arabien den radikalen Islam exportiert oder der Iran tatsächlich an einer Atombombe bastelt und möglicherweise in einen bewaffneten Konflikt mit den USA oder Israel schlittert. Ob die Dschihadisten des IS und von al-Qaida besiegt sind oder ob sie erneut ganze Staaten terrorisieren können und so neue Flüchtlingswellen von ungeahntem Ausmaß auslösen.
Der Nahostkonflikt, der lange nur als Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verstanden wurde, umfasst in Wahrheit den ganzen Nahen Osten. Die Gesellschaften der Region weisen verschiedene ethnische, religiöse, soziale oder politische Gräben auf, an deren Rändern es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kommen kann. Hinzu kommen äußere Kräfte, die militärisch oder politisch eingreifen, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Nicht selten heizen sie, wie im syrischen Bürgerkrieg, die Konflikte noch zusätzlich an. Was wiederum Auswirkungen auch auf Deutschland und Europa hat.
All diese Aspekte sollen mit den folgenden 33 Fragen und Antworten auch für Nahost-Laien beleuchtet werden.
Bei der Auswahl und der Beantwortung der Fragen stand mir stets mein Freund Ridha Kidir, der als irakischer Flüchtling nach Deutschland kam, hilfreich zur Seite. Obwohl ich selbst als Journalist jahrzehntelang die arabische Welt bereist habe, verschaffte er mir immer wieder unschätzbare, überraschende Einblicke. Ebenso hat mein Freund Pinhas Inbari, ein sehr erfahrener Nahost-Korrespondent, der in Israel lebt, die Antworten maßgeblich beeinflusst. Und nicht zuletzt meine liebe Frau Kerstin, die unermüdlich Korrektur gelesen hat. Ihnen allen gilt mein größter Dank.

1.
Was ist eigentlich der Nahe Osten?
Die Bezeichnung Naher Osten erschließt sich kaum ohne die Frage: östlich wovon? So verstehen Chinesen selbstverständlich etwas ganz anderes unter dem „nahen“ Osten als beispielsweise US-Amerikaner. Der Nahe Osten, wie wir Europäer ihn kennen, spiegelt die Sichtweise der westeuropäischen Kolonialmächte im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wider. Der östliche Mittelmeerraum war ihnen nah, China und Japan dagegen lagen in „Fernost“.
Der Nahe Osten wird aber auch „Middle East“, also „Mittlerer Osten“, genannt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass sich das Kolonialreich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland einst auf Indien stützte. Alles, was zwischen dem Mittelmeer und Indien lag, wurde daher als Mittlerer Osten empfunden. Eine Perspektive, die sich seltsamerweise auch die Araber des Nahen Ostens zu eigen gemacht haben, nennen sie ihre Heimatregion doch bis heute „Asharq al-Awsat“ – Mittlerer Osten.
Heute besteht aus Sicht der Europäer Einigkeit darin, dass Israel, der Libanon, Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Oman, Jemen, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Kuwait, Ägypten und Iran zum Nahen Osten zählen. Mitunter werden aber auch Libyen und die nordafrikanischen Staaten Algerien und Marokko hinzugezählt, manchmal sogar die Türkei. In diesem Buch wird der Begriff Naher Osten auf die Staaten Nordafrikas ausgeweitet, da sie eindeutig zum arabisch-islamischen Kulturkreis gehören und sich die Problemlagen ähneln.
Der Nahe Osten ist weit mehr als ein geografischer Raum. Mesopotamien (der heutige Irak und das nordöstliche Syrien) gilt als Wiege der Zivilisation. Hier vollzog der Mensch seine Wandlung vom Jäger und Sammler hin zum sesshaften Ackerbauern und Viehzüchter. Bewässerungstechniken wurden entwickelt, Tauschhandel und Handwerk vorangetrieben, Tempel errichtet. Im Nahen Osten entstanden die drei großen monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Die wichtigsten fossilen Energieträger lagern hier, zwei Drittel der weltweiten Erdölreserven und knapp 44 Prozent der Erdgasreserven.
Fazit: Der Begriff des Nahen Ostens bleibt unscharf. Es gibt jedoch gute Gründe, auch die nordafrikanischen arabischen Staaten aufgrund ihrer Kulturgeschichte zum Nahen Osten hinzuzuzählen, selbst wenn die geografische Lage dem eigentlich widerspricht.

2.
Warum denkt fast jeder beim Wort „Nahost“ unweigerlich an Konflikte?
Sicherlich kennen Sie aus den Nachrichten Schlagzeilen wie diese: „Israelis und Palästinenser endlich zum Frieden bereit“ – „In Syrien endet mit den ersten freien demokratischen Wahlen der Bürgerkrieg“ – „al-Qaida und IS distanzieren sich vom bewaffneten Kampf gegen den Westen“ – „Der Iran söhnt sich mit den USA aus“ …
Nein? Derartige Schlagzeilen haben Sie nie gehört oder gelesen? Kein Wunder, es handelt sich um Nachrichten, auf die wir schon seit Jahrzehnten vergeblich warten. Stattdessen sind die News aus der arabisch-muslimischen Welt des Nahen Ostens ganz anderer Natur: Terroranschläge von Dschihadisten im Irak, in Syrien oder Ägypten prägen das Bild. Oder Bürgerkriege, die im Jemen, in Libyen und Syrien toben. Oder Raketenangriffe der Hamas auf Israel, israelische Vergeltungsschläge im Gazastreifen. Oder arabische Diktatoren und Militärherrscher, die seit eh und je jegliche Opposition und Meinungsfreiheit mit Gewalt unterdrücken und die Demokratie höchstens als Mittel zum Machterhalt missbrauchen.
Wer bei Google die Worte „Terror Attack“ und „Middle East“ (für uns der Nahe Osten) eingibt, bekommt ca. 80 Millionen Treffer, die gleiche Wortkombination mit „Europe“ ergibt nur ca. 50 Millionen Treffer. Zu Recht werden Sie einwenden, dass so eine Suchmaschinenzahl nicht viel aussagt. Nur dass die Zahlen der UN nichts Besseres verheißen. Der Arab Human Development Report 2016 listet die Zahl der Anschläge sowie der Toten in der arabischen Welt auf – hinzugezählt wurden hier zum klassischen Nahen Osten Länder wie Sudan, Somalia, Algerien, Marokko. Der Iran wurde nicht erfasst. Allein zwischen 2000 und 2014 ereigneten sich in dieser Region 36 Prozent (ca. 26.000) aller weltweit verzeichneten Terrorakte, und das, obwohl gerade einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung hier leben. Schlimmer noch: 43 Prozent aller zu beklagenden Terrortoten auf der Welt kamen in diesem Zeitraum in der arabischen Welt ums Leben. 41 Prozent aller weltweit Vertriebenen stammten 2014 aus dieser Region. Wir denken also nicht zu Unrecht beim Wort Nahost an Unterdrückung, Unruhen, Krisen, Konflikte und Tote.
Die Konfliktlage hat sich vor allem seit Gründung des jüdischen Staates Israel im Jahr 1948 deutlich verschärft. Nicht nur die Palästinenser revoltierten, auch die umliegenden arabischen Staaten wollten die Neugründung im arabisch-muslimischen Kernland schnellstens militärisch beseitigen.
Ein Fehlschlag! Israel besetzte weite Teile des Gebiets, das eigentlich von der UN für einen zukünftigen Palästinenserstaat vorgesehen war. Israel besiegte 1967 im Sechstagekrieg wieder die arabischen Nachbarn, besetzte nun auch noch den ägyptischen Sinai, das Westjordanland, die Altstadt des heiligen Jerusalem, den Südlibanon sowie die Golanhöhen. 1973 gelang es den Arabern im Yom-Kippur-Krieg zunächst, den Spieß umzudrehen. Um eine drohende Niederlage abzuwenden, forderte Israels Verteidigungsminister Mosche Dajan sogar den Einsatz von Nuklearwaffen, wie sein damaliger Sprecher später bestätigte. Die Welt schrammte nur um Haaresbreite an einem Atomkrieg vorbei.
Da Israel offenbar auf offenem Feld nicht zu besiegen war, versuchten die Palästinensische Befreiungsfront PLO und radikal-islamische Gruppen wie die palästinensische Hamas (auf Deutsch „Eifer“) oder die libanesische Hisbollah („Partei Gottes“) in den nächsten Jahrzehnten, den jüdischen Staat mit Terror zu zermürben. Selbstmordattentäter vernichteten in den Neunzigerjahren jegliche Friedenshoffnung. Die Hamas feuert bis heute aus dem Gazastreifen immer wieder Raketen auf Israel ab, die israelische Luftwaffe antwortet zur Abschreckung oft mit übertriebener Härte. Allein zwischen 2008 und 2019 kostete der Konflikt 5500 Palästinensern und 236 Israelis das Leben, wie die UN-Organisation für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) ermittelte.
Aber nicht alle Kriege und Krisen der Region sind Israel anzulasten. Kurz nach der islamischen Revolution im Iran kam es 1980 zum ersten Golfkrieg zwischen dem irakischen Diktator Saddam Hussein und der iranischen Regierung unter Ajatollah Khomeini. Beide Seiten kämpften um Grenzen, Öl und die Vormachtstellung in der Region. Der Abnutzungskrieg, bei dem der Irak sogar Giftgas einsetzte, endete erst acht Jahre später, nachdem ca. 1,25 Millionen Menschen ihr Leben gelassen hatten. Der materielle Schaden wird allein für den Irak auf 150 Milliarden Dollar geschätzt.
Der Zweite Golfkrieg folgte 1991, nachdem irakische Truppen Kuwait überfallen hatten. Eine Anti-Irak-Koalition unter der Führung der USA startete 1991 die „Operation Desert Storm“. Saddam Hussein feuerte zur Vergeltung Scud-Raketen auf Israel ab. Israels Bevölkerung bereitete sich auf einen Giftgasangriff vor. 2003 dann der Dritte Golfkrieg: US-Truppen – unterstützt durch eine „Koalition der Willigen“ – griffen den Irak an, wollten Massenvernichtungswaffen zerstören, die sie nie fanden.
Aber auch Bürgerkriege erschüttern die Region immer wieder aufs Neue. Der libanesische dauerte fast 15 Jahre von 1975 bis 1989. Bei den Konflikten zwischen verschiedenen ethnischen, politischen und religiösen Gruppierungen starben 90.000 Menschen, 800.000 flohen ins Ausland. Der Arabische Frühling, bei dem sich Araber gegen ihre despotischen Regime erhoben, führte in Syrien, Libyen und im Jemen zu blutigen Bürgerkriegen, die Hunderttausende Araber das Leben kosteten und Millionen zu Vertriebenen machten. Die innerstaatlichen Konflikte zeigten dabei Züge von Religionskriegen, schiitische und sunnitische sowie säkulare und radikal-islamische Kämpfer nahmen sich gegenseitig unter Beschuss.
Fazit: Der Nahe Osten ist tatsächlich eine gefährliche Weltgegend. Denn hier wird immer wieder entweder um Land, Öl oder die religiöse Vorherrschaft gekämpft. Oft droht die Gefahr, dass sich Konflikte wie ein Flächenbrand in der Region ausbreiten.

3.
Sind die Kolonialmächte schuld an den Konflikten im Nahen Osten?
Die Antwort muss klar lauten: Ja, sie tragen eine Teilschuld, aber sicherlich nicht die ganze. Schon während des Ersten Weltkriegs planten die Alliierten eine Aufteilung des Osmanischen Reiches. Sie wollten den Nahen Osten ganz nach ihren Vorstellungen umgestalten. Sir Henry McMahon, der britische Hochkommissar von Ägypten, machte zwar zunächst in einem Briefwechsel (1915–1916) dem Scherifen von Mekka Hussein ibn Ali Hoffnung, dass die Araber nach Kriegsende einen unabhängigen arabischen Staat von Palästina bis zum Persischen Golf bekommen könnten. Doch die Balfour-Deklaration, in der die Briten bereits 1917 den Juden Hoffnung auf eine „nationale Heimstätte in Palästina“ machen, läuft dem völlig zuwider.
Ebenso das Sykes-Picot-Abkommen. Am 16. Mai 1916 unterzeichneten Sir Mark Sykes, der im Kriegsamt der britischen Regierung tätig war, und der französische Generalkonsul von Beirut François Georges-Picot ein Geheimabkommen, von dem die Araber bis zum Kriegsende nichts erfuhren. Die beiden Diplomaten teilten mit dem Lineal den Nahen Osten nach den Interessen der damaligen Großmächte auf: in eine südliche Sphäre, die unter britischem Einfluss stehen, und eine nördliche, in der Frankreich die Geschicke bestimmen sollte. Vom arabischen Großreich war längst keine Rede mehr.
Nach dem Untergang des Osmanischen Reichs erhielt Frankreich ein Völkerbundmandat für das Gebiet, in dem heute Syrien und der Libanon liegen. Den Briten wurde der Irak, Jordanien und Palästina zugesprochen. Um den geprellten Scherifen von Mekka zu besänftigen, ernannten die Briten seinen Sohn Faisal 1921 zum König des Irak – jedoch musste er eine „Schutzherrschaft“ der Briten akzeptieren. Eine Taktik, deren sich die Kolonialmächte immer wieder bedienten. Wurde der Widerstand der Araber in den Mandatsgebieten zu groß, installierten sie dort heimische Marionettenregime.
Aus den Mandatsgebieten der Kolonialmächte und den Trümmern des Osmanischen Reichs erwuchsen die heutigen Staaten des Nahen Ostens. Arabische Interessen spielten bei der Grenzziehung allerdings kaum eine Rolle, ethnische und religiöse Zugehörigkeiten wurden schlichtweg ignoriert. Mit fatalen Folgen. Es bildeten sich heterogene Staaten mit einem schwachen Nationengefühl. Allein der Kampf gegen die Kolonialherren schien die Grundlage dieses Gefühls zu sein. Nur, reicht „Antiimperialismus“, um die Identität der jungen Nationen auf Dauer zu festigen? Bis heute wird zwar in den arabischen Ländern immer wieder mit markigen Worten der Nationalstolz beschworen, doch steht er auf tönernen Füßen. Als gemeinsamer Nenner der Nation bleibt häufig nur der starke Führer, der einem Vater gleich die zerstrittenen Kinder an einen Tisch zwingt.
Als es während des Arabischen Frühlings zu Aufständen kam, zeigte sich schnell, dass besonders diejenigen Staaten stabil blieben, die so etwas wie eine vorkoloniale Identität besaßen. Alle Ägypter sind stolz auf ihr pharaonisches Erbe, viele Iraner definieren sich über die Gräben hinweg auch als Perser, Tunesier wissen, dass sie einst einer antiken Hochkultur angehörten. In Libyen, Syrien oder im Irak, wo das historisch verwurzelte Wirgefühl fehlt, stellten die Aufständischen nicht nur die Herrschaft infrage, sondern gleich die ganze Nation und ihre Landesgrenzen. So würden die Kurden des Iraks, Syriens oder der Türkei nur zu gerne ihre Nationalität abgeben, um einen eigenen Staat zu gründen. Und die Dschihadisten des IS träumen nicht von einem Syrien unter ihrer Herrschaft, sondern von einem islamischen Großreich, als Gegenmodell zu den säkularen Nationalstaaten, die die Kolonialherren auf dem Reißbrett entworfen hatten.
Besonders radikale Muslime sind noch immer beseelt vom Gedanken, Muslime über die Ländergrenzen hinweg zu einen. Im Gegensatz zu den säkularen Nationalisten können sie auf den identitätsstiftenden Islam für ihren panislamischen Traum zurückgreifen. Denn der Islam propagiert das jahrtausendealte Konzept der Umma, demzufolge eigentlich alle Muslime weltweit eine Nation bilden. Als IS-Kämpfer die Grenze zwischen Syrien und dem Irak überquerten, stellten sie sofort ein Propagandavideo mit dem Titel „Das Ende von Sykes-Picot“ ins Netz. Die klare Botschaft: Die kolonialen Grenzen haben ausgedient, wir sind eine Nation.
Aber auch säkulare Potentaten wie Saddam Hussein machten klar, dass für sie die Grenzen der Region kaum etwas bedeuten. Als der Diktator 1990 in Kuwait einmarschierte, um sich Ölquellen einzuverleiben, berief er sich darauf, dass Kuwait zur Zeit der Osmanen zum Verwaltungsgebiet Basra gehörte. Bagdad hätte die Lostrennung Kuwaits, die auf britischen „Machenschaften“ beruhe, nie anerkannt.
Sind die künstlichen Grenzen aus Kolonialzeiten also tatsächlich der Grund für die endlosen Konflikte in der Region? Nein, das wäre zu kurz gegriffen. Natürlich erregen sich die Araber bis heute zu Recht über die Eingriffe der Kolonialherren. Ethnische Zugehörigkeiten wurden missachtet, Stämme voneinander getrennt, Sunniten und Schiiten in Staaten miteinander vereint, was ein Zusammenleben sicherlich nicht erleichtert. Aber muss deswegen gleich Krieg oder Terror herrschen? Die Geschichte kennt viele heterogene Staaten, in denen ein friedliches Miteinander möglich ist. Auch in Deutschland sind sich Norddeutsche und Bayern nicht immer grün, aber sich deswegen voneinander trennen oder gleich bekriegen? Auch neue Grenzziehungen würden den Nahen Osten nicht friedlicher machen, denn ethnisch oder konfessionell reine Staaten wird es nicht geben. Und sollte es auch nicht. Die arabische Mitte sollte stattdessen darauf drängen, dass es zum Dialog innerhalb der polarisierten heterogenen Gesellschaften kommt, um gewalttätige Konflikte und den Zerfall der arabischen Staaten zu verhindern.
Fazit: Die Kolonialmächte trugen eindeutig dazu bei, dass im Nahen Osten schwache Nationalstaaten entstanden. Doch die arabischen Nationen sind selbst dafür verantwortlich, dass ein friedliches Miteinander zwischen den Konfessionen und Ethnien offensichtlich bislang nicht gelingt.

Wolfram Eberhardt

Über Wolfram Eberhardt

Biografie

Wolfram Eberhardt, Jahrgang 1964, arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Journalist. Für das Nachrichtenmagazin Focus hat er 15 Jahre über den Nahen Osten berichtet. Gespräche mit hochrangigen Politikern wie Jassir Arafat oder Benjamin Netanjahu, radikalen Islamisten sowie friedliebenden Muslimen...

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