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Next to Me Next to Me - eBook-Ausgabe

Hannah Bonam-Young
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Roman

— Gefühlvolle Romance mit „Grumpy meets Sunshine“ und „Found Family“ Trope!
Paperback (16,00 €) E-Book (9,99 €)
€ 16,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 30.05.2025 Bald verfügbar Das Buch kann 30 Tage vor dem Erscheinungstermin vorbestellt werden. Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
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Next to Me — Inhalt

Manchmal muss man „Familie“ eben neu definieren.

Als Chloes suchtkranke Mutter ein Baby bekommt, tut Chloe alles dafür, um die Vormundschaft für ihre kleine Schwester übernehmen zu dürfen. Das Jugendamt erteilt ihr jedoch nur das Sorgerecht, wenn sie an der Initiative TeamUp teilnimmt, bei der zwei potenzielle Vormünder zusammenwohnen. Chloes neuer Mitbewohner ist der mürrische Warren, der um das Sorgerecht für seinen Bruder kämpft. Vom ersten Moment an geraten Chloe und Warren aneinander, aber als sie sich besser kennenlernen, fühlen sie sich immer mehr zueinander hingezogen. Doch sind sie bereit, für ihre Gefühle alles zu riskieren?

„Warmherzig, sexy und verletzlich … Hannah Bonam-Young müsst ihr auf eurem Romance-Radar haben.“ Hannah Grace

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erscheint am 30.05.2025
Übersetzt von: Ulrike Gerstner
384 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06575-7
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€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erscheint am 30.05.2025
Übersetzt von: Ulrike Gerstner
416 Seiten
EAN 978-3-492-60929-6
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Leseprobe zu „Next to Me“

Kapitel 1

Mein Telefon klingelt; eine Nummer leuchtet auf, die mir augenblicklich einen Schauer über den Rücken jagt. Ich folge meinem Instinkt und gebe den Einkaufswagen und meinen Platz in der Kassenschlange auf, um in der öffentlichen Toilette des Supermarkts in Ruhe zu telefonieren – zum Glück ist es hier leer.

„Hallo, hier ist Chloe.“ Meine Stimme zittert.

„Hi, Chloe, hier ist Rachel Feroux von den Child Protection Services. Passt es Ihnen gerade?“

Ich schließe die Toilettenkabine hinter mir ab, als sich ein allzu vertrautes Gefühl des Unbehagens in [...]

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Kapitel 1

Mein Telefon klingelt; eine Nummer leuchtet auf, die mir augenblicklich einen Schauer über den Rücken jagt. Ich folge meinem Instinkt und gebe den Einkaufswagen und meinen Platz in der Kassenschlange auf, um in der öffentlichen Toilette des Supermarkts in Ruhe zu telefonieren – zum Glück ist es hier leer.

„Hallo, hier ist Chloe.“ Meine Stimme zittert.

„Hi, Chloe, hier ist Rachel Feroux von den Child Protection Services. Passt es Ihnen gerade?“

Ich schließe die Toilettenkabine hinter mir ab, als sich ein allzu vertrautes Gefühl des Unbehagens in meine Brust schleicht. Mit der freien Hand fasse ich mir ans Schlüsselbein. Höchstwahrscheinlich überzieht mich bereits ein roter Ausschlag. „Klar.“ Connie … es muss um Connie gehen. Sie ist verletzt – oder schlimmer. Warum sollte Child Protection Services sonst anrufen? Ich habe seit über sechs Jahren mit keinem Sozialarbeiter mehr gesprochen.

„Okay, super.“ Rachel räuspert sich, dann scheint sie sich mit einem tiefen Atemzug zu wappnen. „In Ihrer Akte steht, dass Sie offen dafür sind, dass Ihre leibliche Mutter Kontakt zu Ihnen aufnimmt. Ist das noch immer korrekt?“

Will ich das wirklich? „Ja …“

„Das ist jetzt vermutlich ein ziemlich ungewöhnlicher Anruf. Ihre Mutter … Entschuldigung, Constance. Constance hat den dringenden Wunsch, dass Sie sie besuchen. Sie liegt im Krankenhaus.“

Mein Körper wird ganz kalt, und das Blut pumpt langsamer in meinen Adern. Sosehr ich auch versucht habe, mich von ihr zu lösen, ist da immer noch das drängende Bedürfnis, wissen zu wollen, dass es Connie gut geht.

„Sie hat gerade, völlig unerwartet, entbunden.“

„Wie bitte, was?“ Ich ringe nach dem nächsten Atemzug.

„Ihre Mutter hat ein Baby bekommen.“

Meine Hand trifft auf die Kabinenwand, noch bevor mein Rücken es tut, und ich rutsche nach unten, um mich auf den Boden zu setzen. Die Klamotten muss ich später wohl verbrennen.

„Nein. Das … aber … was?“

„Ich kann verstehen, dass das ein ziemlicher Brocken ist, den man erst einmal verdauen muss. Ich wünschte, es gäbe einen schonenderen Weg, Ihnen diese Nachricht beizubringen. Mir ist bewusst, dass es über zehn Jahre her ist, seit Sie Ihre Mutter zuletzt gesehen oder von ihr gehört haben.“

Das ist nicht ganz richtig. In der Highschool gab es zahlreiche Momente, in denen sie ohne die Erlaubnis meiner Adoptiveltern auftauchte, ich habe ihnen nie davon erzählt.

„Ist sie … ist Connie okay?“

„Ja, es geht ihr gut. Eine Kollegin von mir ist gerade bei ihr. Es war eine Frühgeburt. Der Arzt, der uns vorhin angerufen hat, sagte, dass sie sich vollständig erholen wird. Das Baby muss wahrscheinlich noch zwei oder drei Monate auf der Neonatologie bleiben. Es … wird nicht bei Ihrer Mutter unterkommen. Wir suchen nach anderen Betreuungsmöglichkeiten.“

Kollegin. Unterkommen. Betreuung. Die Sozialarbeiterinnen sind an der Sache dran – warum sollte Connie mich also sehen wollen? Versteht sie nicht, wie krank das alles ist? Dass sie mich braucht, während ein anderes Kind von ihr in die Obhut einer Pflegefamilie geschickt wird? Nein, nicht irgendein Kind … mein Geschwisterchen.

Sie räuspert sich. „Constance hat Sie als möglichen Vormund angegeben. Sie ist bereit, ihre elterlichen Rechte an Sie zu überschreiben. Falls nicht, kommt der Säugling nach seiner vollständigen Genesung zu einer Pflegefamilie.“

Ich halte mir das Telefon vom Gesicht und starre einen Moment lang mit leerem Blick auf das Display. Entweder habe ich schlechten Empfang oder ich bilde mir das alles nur ein. Ein möglicher Vormund? Für ein Baby. Ich?

„Aber … ich bin vierundzwanzig.“ Ich weiß nicht, warum mir ausgerechnet dieser Gedanke herausrutscht, obwohl mir noch etwa zweitausend andere im Kopf herumschwirren. Vierundzwanzig, gerade erst den Abschluss gemacht, keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anstelle … Verdammt, ich war eben nicht mal sicher, ob meine Bankkarte beim Einkaufen nicht abgelehnt wird.

„Chloe, ich verstehe, dass das viel verlangt ist von Ihnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sie … ein eher distanziertes Verhältnis zu Ihrer leiblichen Mutter haben. Allerdings wollen wir jeden möglichen Kontakt, den sie anbietet, weiterverfolgen. Sie haben jedes Recht, Nein zu sagen, und es besteht auch die Option, Ihr Geschwisterkind zu besuchen, wenn Sie das möchten.“

Ich schnappe leise nach Luft, als ein unbestreitbarer Anflug von Freude meine Lippen zu einem Lächeln verzieht und ein weiterer Gedanke die schwere Stille durchbricht. Ich habe eine Schwester oder einen Bruder. Als ich aufwuchs, hätte ich alles für ein Geschwisterchen gegeben, jemanden, der mir nahesteht und dem ich vertraue. Jemanden, den ich liebe und von dem ich bedingungslos zurückgeliebt werde. „Dürfte ich das überhaupt?“, frage ich zögernd. „Wenn ich es wollte?“

„Das würde ein viel ausführlicheres Gespräch erfordern … eines, das wir am besten in meinem Büro führen.“

„Ja … okay.“

„Es gäbe viel zu besprechen. Ich denke, im Moment sollten wir diese Nachricht erst einmal sacken lassen.“ Rachels Stimme bleibt kühl, aber bestimmt.

„Richtig.“ Ich kneife mir in den Nasenrücken. Meine Augen sind geschlossen, doch der Raum dreht sich weiter.

„Constance will Sie trotzdem gern sehen.“

„Okay.“ Ich weiß nicht, ob es die Aussicht auf ein Treffen mit Connie ist oder der Gedanke, dass sie mich nicht schon vorher kontaktiert hat, der meine Lippen zum Beben bringt, doch so oder so passiert es.

„Aber um es ganz klar zu sagen, die Entscheidung liegt letztendlich bei Ihnen.“ Rachels sanfte Zuversicht beruhigt mich ein wenig.

„Okay …“

„Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Telefonnummer meiner Kollegin gebe, die gerade bei Constance ist? Wenn Sie sich entschließen, sie zu besuchen, schickt sie Ihnen die nötigen Informationen. Von dort aus machen wir dann weiter, wie auch immer Sie sich entscheiden.“

Mein Kopf schmerzt und pocht, wie an einem unbarmherzig schwülen Tag vor einem Gewitter.

Nachdem Rachel mir die Kontaktdaten ihrer Kollegin gegeben hat, lege ich auf und massiere die Stelle zwischen meinen Augen. Es scheint zu helfen, mich auf diesen Punkt zu konzentrieren, und das leichte Unbehagen, das ich bewusst herbeiführe, willentlich in Kauf zu nehmen. Ich denke an Connie, oder zumindest an meine letzte Erinnerung an sie und übertrage dieses Bild auf ein Krankenhausbett.

Ich spüre, dass mein Mitgefühl zunimmt, obwohl ich den Impuls verspüre, meine Emotionen zu unterdrücken und aus der Toilette zu verschwinden, ohne eine Szene zu machen. Ich stelle mir die Ähnlichkeiten zwischen ihrem jetzigen Zustand und dem Bild vor, das früher auf ihrem Nachttisch stand. Unser erstes gemeinsames Foto, aufgenommen, als sie vor fast fünfundzwanzig Jahren in einem anderen Krankenhausbett lag. Auch damals war sie allein – und gerade mal siebzehn.

Meine Gedanken kreisen um meine Mutter, bis sich eine unwillkommene Erinnerung nach oben drängt. Ich war vier Jahre alt und saß in einem leeren Schulbus, der bereits die zweite Runde durch meine Straße drehte. Da waren nur noch der Busfahrer und meine Kindergärtnerin, und ich erinnere mich, dass sie mich beide mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansahen wie meine Mutter, als ich ein paar Tage zuvor von einem Baum gefallen war. Ich fragte mich, warum sie das taten – ich hatte mir doch gar nicht wehgetan.

„Hat Mommy nicht erzählt, was sie heute vorhat?“, wollte Miss Brown wissen.

„Nein“, antwortete mein kleines Ich.

„Kennst du die Telefonnummer deiner Grandma? Oder weißt du vielleicht, wo sie arbeitet?“

„Ich habe keine Großmutter. Ich habe einen Onkel, aber der lebt auf einem großen Boot.“

„Und dein … Dad? Kennst du den Namen deines Vaters, Spätzchen?“ Miss Brown machte mich nervös. Ich wollte endlich zu meiner Mom. Vor allem, damit ich ihr meine Zeichnung zeigen und sie fragen konnte, ob ich auch einen Dad habe, so wie meine Freundin Sara. Saras Dad schien nett zu sein. Vielleicht, so hatte ich gedacht, könnte er auch mein Dad werden.

„Nee“, antwortete ich.

„Okay, in Ordnung. Ich denke, wir beide werden heute ein kleines Abenteuer erleben. Möchtest du gerne sehen, wo Miss Brown wohnt?“

„Sie haben einen Hund, oder?“, fragte ich.

„Äh … ja, habe ich.“

„Ich mag keine Hunde. Die stinken.“

„Wie wär’s dann, wenn wir ihn nach draußen schicken und wir beide drinnen spielen?“

Miss Brown nahm mich zwei Stunden lang mit zu sich nach Hause, bevor Child Protection Services eintraf und mich zu einem Notpflegeplatz brachte.

In meiner Akte – die ich zu meinem achtzehnten Geburtstag „geschenkt“ bekam – las ich, dass die Polizei Connie ein paar Tage später aufspürte. Sie war high, betrunken und wütend, dass man sie gefunden hatte. Ich wurde ein Jahr lang von einer Pflegefamilie zur anderen gereicht, bis es meiner Mutter gelang, so weit wieder trocken zu werden, dass ich zu ihr zurückziehen konnte. Ich wusste, dass sie hart dafür gekämpft hatte. Betreuer, Sozialarbeiter und Lehrer – sie alle erzählten mir, wie sehr sich meine Mutter darum bemüht hatte, mich zurückzubekommen.

Ich verstand nie, warum sie mir das erzählten, als ob eine Fünfjährige dankbar sein sollte, bei ihrer eigenen Mutter zu sein. Als wäre ich eine Abstinenz-Medaille und kein Mensch.

Als Connie zehn Monate später wieder rückfällig wurde, war mein Kopf so voll mit erzwungener Dankbarkeit, dass ich mehr Mitleid mit ihr als mit mir selbst hatte. Man hätte mir sagen sollen, dass ich es nicht verdiene, drei Tage lang nichts als trockene Fruit Loops zu essen – aber das war nicht der Fall. Stattdessen war ich um ihretwillen traurig. Das bin ich immer noch.

Jetzt hat sie ein weiteres Kind in diesen Schlamassel hineingeworfen.

Entschlossenheit erfüllt meine Brust, und ich öffne die Augen, um in die mit Neonlicht erhellte Toilette und in meinen erwachsenen Körper zurückzukehren, der zittert, weil sich Wellen der Übelkeit in mir ausbreiten und mich eine Gänsehaut überzieht. Ich weiß, dass ich zu meiner Mutter gehen muss. Ich werde nicht zulassen, dass mein Geschwisterchen das Gleiche durchmacht wie ich. Das kann ich nicht.


Kapitel 2

Ich verlasse die Kabine und wasche mir die Hände. Als ich sicher bin, dass ich auch den letzten Rest öffentlicher Toilette von mir abgeschrubbt habe, spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Die Wassertropfen laufen in den Ausschnitt meines T-Shirts, während ich mich über das Waschbecken beuge und mich mit festem Griff an beiden Seiten abstütze. Übergib dich bloß nicht in der Toilette eines Supermarkts. Ich betrachte mein Spiegelbild in dem trüben Glas, das über dem Waschbecken hängt.

Die Augen meiner Mutter blicken mich an. Tiefgrün mit bernsteinfarbenen Sprenkeln. Dichte, dunkle Wimpern und noch kräftigere Augenbrauen. Die Frauen in unserer Familie waren dafür gemacht, den Elementen zu trotzen, Kinder auf dem Rücken zu tragen, Hungersnöte zu überstehen – zu überleben. Starke Stirn, starke Nase, starker Körper, starkes Herz. Connie hat das auf jede meiner Geburtstagskarten geschrieben – in den Jahren, in denen sie sich daran erinnerte.

Ich fand es immer total durchgeknallt, so etwas zu schreiben, aber jetzt kann ich mich damit irgendwie anfreunden. Ich fühlte mich besser in meiner kurvig-weichen Figur, als ich erkannte, dass mein Körper sich so entwickelt hatte, dass er Gewicht und Stärke aushalten kann, weil er das alles überstehen musste.

Mein kastanienbraunes Haar ist viel zu lang geworden und fällt mir fast bis zu den Fingerspitzen, aber ich mag es so. Vor allem, weil meine Adoptivmutter es verabscheuen würde – es ist so unpraktisch. Ich binde es jetzt hoch, damit mein Hals atmen kann. Alles fühlt sich zu nah an meiner Haut an.

Vor der Toilette des Supermarkts gehen die Scharen von Einkaufenden ihrem Tagwerk nach. Durchsagen über den Deckenlautsprecher preisen ein Sonderangebot für Küchenpapier an. Das Piepen der Kassensysteme ist gleichmäßig und durchdringend. Das Lächeln der Kassiererinnen aufgesetzt und höflich. Eine Frau löst einen Gutschein für Katzenstreu ein und erhält ganze zwanzig Cent Rabatt. Für alle anderen hat sich die Welt nicht auf den Kopf gestellt.

Ich lasse meinen Einkaufswagen stehen und nehme mir vor, diesen Laden nie wieder zu betreten, für den Fall, dass ich dabei beobachtet wurde. Im Wagen liegen immerhin Tiefkühlprodukte.

Als ich gehe, sehe ich, wie eine Familie den Laden betritt. Zwei Eltern, zwei Kinder. Sie kichern miteinander. Der Vater schneidet eine Grimasse für das kleine Mädchen, das sich am Ende des Wagens festklammert. Ich schlucke den Groll hinunter, der mir die Kehle hinaufzubrennen droht und sich in Tränen verwandeln könnte. Ich beneide sie zutiefst.

Endlich draußen lehne ich mich an die Betonwand des Gebäudes und atme die dringend benötigte milde Juniluft ein. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, bestand meine To-do-Liste daraus, Lebensmittel einzukaufen, eine von meinem Vater empfohlene Doku anzusehen und mich vielleicht so weit zu betrinken, dass ich dazu bereit bin, eine weitere Dating-App runterzuladen. Jetzt gilt es, größere Dinge zu bewältigen.

Ich hole mein Handy heraus, um Rachels Kollegin anzurufen.

„Hallo, hier ist Odette.“

„Hallo, Odette, hier ist Chloe, Connies Tochter.“

„O ja“, ruft Odette aus. „Hallo, Liebes, schön, von dir zu hören.“ Ihr Ton ist so warm, dass sich Schmerz in meiner Brust zusammenballt. Der Wunsch, von ihr getröstet zu werden, wird von meinem Drang übertroffen, diesen Tag mit Höchstgeschwindigkeit voranzutreiben. Ich darf nicht innehalten, muss in Bewegung bleiben.

„Können Sie mir sagen, wo Connie ist und ob ich sie sehen darf?“

„Natürlich. Ist das eine Handynummer? Dann schicke ich dir die Details am besten per SMS. Ist das in Ordnung?“

„Das wäre klasse, danke.“

„Okay, Liebes, bis bald“, sagt Odette sanft.

Ich kopiere die Adresse des Krankenhauses aus Odettes Nachricht und füge sie in das Navi auf meinem Handy ein. Ich werde auf gar keinen Fall für eine Taxifahrt quer durch die Stadt bezahlen, aber ich habe auch kein Kleingeld für den Bus. Ich würde ja wieder reingehen, um den Geldautomaten zu benutzen, doch womöglich warten die dort schon auf die Besitzerin des verlassenen Einkaufswagens oder fangen an, Fahndungsplakate aufzuhängen. Das ist also keine Option.

Da ist allerdings noch mein erloschenes Studententicket für den Bus, das ich von meiner Alma Mater bekommen habe. Mein Abschluss ist erst einen Monat her. Das muss doch zu etwas nütze sein. Vielleicht ist das Ticket so etwas wie ein abgelaufener Joghurt, den man noch essen kann, wenn man zu pleite ist, um sich einen neuen zu kaufen – und das bin ich.

Der Busfahrer winkt mich durch, ohne das Kleingedruckte zu lesen – Gott sei Dank –, und ich setze mich nach hinten ans Fenster. Ich verdränge die Gedanken daran, wohin ich fahre, und hoffe, dass ich nicht auch noch „in öffentlichen Verkehrsmitteln geweint“ zu meinen heutigen Errungenschaften zählen muss.

Die Fahrt geht viel zu schnell vorbei. Die hinteren Türen öffnen sich und geben den Blick frei auf eine überfüllte Haltestelle voller Menschen in Kitteln, die sich darum drängen, einzusteigen. Ich bahne mir einen Weg durch sie hindurch und gehe die Rampe zum Besuchereingang des Krankenhauses hinauf.

Als ich in den leeren Aufzug steige, dämmert mir, dass ich bis vor neunzig Minuten schon seit ein paar Wochen nicht mehr an Connie gedacht habe. Nicht seit dem Muttertag. Die Schuldgefühle kommen in einer unerwarteten und tsunamigroßen Welle.

Ohne innezuhalten suche ich hektisch die Knöpfe an der Wand ab und presse den Notfallknopf. Der Aufzug hält sofort an. Ich lege mir die Hände in den Nacken und drücke mit den Unterarmen gegen die Brust – so wie es mir meine Adoptiveltern beigebracht haben, wenn ich unter Angstzuständen litt oder, wie sie es liebevoll nannten, mir die Nerven flatterten.

Ich habe Connie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Ich wusste nicht mal, ob sie noch lebt, obwohl ich immer vermutet habe, dass ich es spüre, falls sie sterben würde. Was soll ich zu ihr sagen? Wie soll ich sie nennen? Hätte ich zuerst im Souvenirladen in der Lobby vorbeischauen sollen? Besorgt man Blumen für die frischgebackene Mutter, die allein wieder entlassen wird?

„Hallo, stimmt etwas nicht?“ Eine gedämpfte Männerstimme ertönt aus dem Lautsprecher des Aufzugs. Mist.

„O nein, tut mir leid, ich habe aus Versehen den Notfallknopf gedrückt“, stottere ich.

„Kein Problem.“ Der Aufzug surrt und springt wieder an.

Zwei Etagen später steige ich aus und folge den violetten Pfeilen auf dem Boden zur Entbindungsstation, wie Odette es mir gesagt hat. Vor dem Eingang der verschlossenen Doppeltüren hängt ein Telefon an der Wand. Auf einem Aufkleber daneben steht: „Informieren Sie bitte das Krankenhauspersonal, wen Sie besuchen wollen, und warten Sie, bis die Türen geöffnet werden.“ Ich nehme den Hörer ab, und es bimmelt ein paarmal, bevor eine etwas mürrisch klingende Frau abnimmt.

„Hallo. Ich möchte zu Constance Walden.“ Ich habe meinen Vor-Adoptions-Nachnamen schon lange nicht mehr laut ausgesprochen.

„Einen Moment, bitte.“ Es klickt in der Leitung, und die Türen öffnen sich langsam mit einem Summen. Ich gehe hinein und nicke der Krankenschwester an der Rezeption zu. Sie blickt nur kurz auf, während sie über ihre Schulter in Richtung Connies Zimmer zeigt.

„Am Ende des Flurs auf der linken Seite“, flötet eine andere, freundlichere Krankenschwester von hinten und schenkt mir ein mitfühlendes Lächeln.

„Danke.“ Um mich aufrecht zu halten, müssen sich meine Füße schneller bewegen, als meine Ängste wachsen können.

Ich klopfe dreimal und verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, bevor eine hochgewachsene Frau heraustritt. Sie ist wahrscheinlich Mitte sechzig, von Kopf bis Fuß in Lila gekleidet und hat Dreadlocks, die ihr bis über die Schultern reichen. Sie hat braune Haut, auf ihren Wangen liegt Rouge, und mit ihren freundlichen Augen mustert sie mich anerkennend von oben bis unten.

„Oh, Miss Chloe … sieh dich nur an.“ Sie verschränkt ihre Hände vor dem Gesicht. „Du erinnerst dich sicher nicht an mich, aber ich kenne deine Mutter schon sehr lange. Wir haben uns getroffen, als du erst fünf Jahre alt warst.“ Sie streckt mir eine Hand entgegen, die ich bereitwillig ergreife. „Es ist so schön, dich wiederzusehen, meine Liebe. Auch wenn ich wünschte, es wäre unter anderen Umständen.“ Wir lassen beide los.

Ich erinnere mich an sie, zumindest an ihre freundlichen Augen, und fühle mich dadurch ein bisschen sicherer. „Es ist schön, Sie wiederzusehen, Odette.“ Ich zwinge mich zu einem Lächeln, und sie legt mir eine Hand auf die Schulter, die tröstende Berührung treibt mir fast die Tränen in die Augen. Aber ich kann mich zusammenreißen.

„Wie geht es dir denn so?“

„Verrückter Morgen.“ Trotz meiner Bemühungen klingt meine Stimme absolut nicht locker.

„Hmm, das kann ich mir vorstellen“, sagt sie. „Nun, Liebes, ich bin jetzt hier, um die Freundin deiner Mama zu sein. Ist es okay, wenn ich sie deine Mama nenne?“

Ich zucke mit den Schultern, aber bevor ich etwas sagen kann, fährt sie fort: „Connie und ich sind über die Jahre in Kontakt geblieben … immer dann, wenn es ihr gut geht. Ich habe sie bei Rehabilitationsprogrammen, einer Selbsthilfegruppe und so weiter unterstützt. Meistens versuche ich, ein offenes Ohr für sie zu haben. Als sie mich gestern Abend hierherbat, hatte ich seit zwei Jahren nichts mehr von ihr gehört. Das Krankenhauspersonal war alles andere als freundlich zu ihr. Sie hatte das Baby noch nicht einmal gesehen, bevor ich heute Morgen hier ankam. Connie …“

Sie hört auf zu sprechen, atmet aus und reibt sich mit der geschlossenen Faust das Auge. „Connie war in der Notaufnahme und klagte über Bauchschmerzen. Sie war betrunken. Man stellte fest, dass sie in den Wehen lag, und führte einen Kaiserschnitt durch. Sie wusste nicht, dass sie schwanger war.“ Odettes Gesicht wird ernst. „Ich bin zwar Sozialarbeiterin, doch wenn ich durch diese Tür trete, komme ich zuerst als Connies Freundin. Ich möchte klarstellen, meine Liebe, dass ich weiß, dass sie viele Fehler gemacht hat. Ich weiß, dass du sehr darunter leiden musstest. Aber sie macht eine harte Zeit durch, und wir müssen so mitfühlend sein, wie es uns im Moment möglich ist.“

Schuldgefühle umschlingen mein Herz, und es schlägt ein wenig schneller. „Verstanden.“ Ich schlucke schwer.

„Okay, Liebes. Bist du bereit reinzugehen?“

Ich zögere, die Frage zu stellen, aber ich muss es erfahren, bevor ich mich vom Fleck bewege. „Ist … ist das Baby da drin?“

„Nein. Sie ist auf der Frühchenstation. Ihr geht es den Umständen entsprechend.“

Ich habe eine Schwester. „Kann ich sie sehen?“, frage ich beklommen. „Später?“

Odette runzelt die Stirn und nickt ein paarmal. „Natürlich, Liebes.“

Ich presse den Mund zu einer schmalen Linie zusammen, stelle mich aufrecht hin und atme tief ein. „Okay. Ich bin bereit.“

Hannah  Bonam-Young

Über Hannah Bonam-Young

Biografie

Hannah Bonam-Young lebt mit ihrer Familie in der Nähe der Niagarafälle in Kanada. Ihr ist es wichtig, dass in ihren Büchern besondere Figuren vorkommen, mit denen sich möglichst viele LeserInnen identifizieren können. Zunächst erschienen ihre Romane im Selfpublishing, bis sie schließlich von einem...

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