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Odins Raben (Die Chroniken des Nordens 2) Odins Raben (Die Chroniken des Nordens 2) - eBook-Ausgabe

Tim Hodkinson
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Eine Wikinger-Saga

— Historischer Wikinger-Roman | Für alle Fans von der „Vikings“-Serie
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Odins Raben (Die Chroniken des Nordens 2) — Inhalt

Die Jagd nach dem sagenumwobenen Rabenbanner wird zum Überlebenskampf auf der eiskalten See.

AD 935: Einar ist dazu bestimmt, ein großer Krieger zu werden. Seine Gabe für den Kampf macht ihn zu einer tödlichen Waffe. Dennoch will er alles aufgegeben, um seiner Passion, der Musik, nachzugehen. Die nordisch-irische Prinzessin Affreca ist fest entschlossen, ihn auf den rechten Weg des Kriegers zurückzubringen: Er soll sie bei der Suche nach dem berüchtigten Rabenbanner unterstützten. Der Legende nach wird jede Armee siegreich, die das sagenumwobene Banner besitzt. Auch andere Könige und Wikinger des Nordens sind daher auf der Jagd. Für Einar beginnt ein brutaler Überlebenskampf. 

Band 2 des Wikinger Epos „Die Chroniken des Nordens“ um nordische Mythen, berühmte Krieger und tödliche Schlachten

Tim Hodkinson, geboren 1971, wuchs in Irland auf, wo die raue Küste und der stürmische Atlantik seine Faszination für Wikinger weckten. Er studierte mittelalterliche englische und altnordische Literatur mit Fokus auf mittelalterlicher europäischer Geschichte. Er schrieb sein ganzes Leben lang und hat ein starkes Interesse am historischen, mystischen und mysteriösen. Nachdem er mehrere glückliche Jahre in New Hampshire, USA, verbracht hat, ist er nun mit seiner Frau Trudy und drei reizenden Töchtern in ein Dorf namens Moira zurückgekehrt.

Für Fans von Bernard Cornwell und der Serie „Vikings“

€ 17,00 [D], € 17,50 [A]
Erschienen am 27.06.2024
Übersetzt von: Andreas Decker
416 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06522-1
Download Cover
€ 4,99 [D], € 4,99 [A]
Erschienen am 27.06.2024
Übersetzt von: Andreas Decker
416 Seiten
EAN 978-3-492-60702-5
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Leseprobe zu „Odins Raben (Die Chroniken des Nordens 2)“

KAPITEL 1
JORVIK
ANNO DOMINI 935 – SPÄTWINTER


Einar Thorfinnsson sollte nie erfahren, was ihn da niedergestreckt hatte. Er hatte gerade die Tür der Schenke hinter sich geschlossen und die dunkle Straße betreten, als ihn etwas an der Schläfe traf. Bunte Sterne blitzten vor seinen Augen auf, er verlor das Bewusstsein. Seine Knie gaben nach, er stürzte zu Boden, und sein letzter klarer Gedanke bestand darin, die eigene Dummheit zu verfluchen. Er hätte wissen müssen, dass der Unbekannte mit der Kapuze Ärger bedeutete. In einer Stadt wie Jorvik waren Fremde [...]

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KAPITEL 1
JORVIK
ANNO DOMINI 935 – SPÄTWINTER


Einar Thorfinnsson sollte nie erfahren, was ihn da niedergestreckt hatte. Er hatte gerade die Tür der Schenke hinter sich geschlossen und die dunkle Straße betreten, als ihn etwas an der Schläfe traf. Bunte Sterne blitzten vor seinen Augen auf, er verlor das Bewusstsein. Seine Knie gaben nach, er stürzte zu Boden, und sein letzter klarer Gedanke bestand darin, die eigene Dummheit zu verfluchen. Er hätte wissen müssen, dass der Unbekannte mit der Kapuze Ärger bedeutete. In einer Stadt wie Jorvik waren Fremde nichts Ungewöhnliches. Leute kamen und gingen, aber der Fremde mit der dunkelgrünen Kapuze war irgendwie anders gewesen. 

An Hilfe war nicht zu denken. Alle Zecher in der Schenke waren nach Hause gegangen. Die Thralle, die dort arbeiteten, ließen sicher gerade ihre müden Körper auf ihre Pritschen fallen, genau wie Gorm, der Wirt. Einar war nur noch wach, weil er geblieben war, nachdem der letzte Gast die Stube verlassen hatte. Er hatte auf den Lohn für seinen Auftritt gewartet, während Gorm die Abendeinnahmen zusammenrechnete. In der Zwischenzeit hatte er den Fremden, den er zuvor hinten im Raum entdeckt hatte, vergessen.

Der Fremde hatte seine Kapuze nicht abgesetzt, obwohl er sich nicht im Freien befunden hatte. An sich war das nicht ungewöhnlich. Leute mit Skorbut, Ausschlag oder Ungeziefer hielten die Köpfe oft verhüllt. Als Einar seinen üblichen Platz am Feuer eingenommen und die drápa von Hrolf Kraki vorgetragen hatte, um die Anwesenden zu unterhalten, war er überzeugt gewesen, von dem Fremden beobachtet zu werden. Eine der Mägde hatte das bestätigt und ihm amüsiert verraten, dass sich der Mann nach seinem Namen erkundigt hatte.

Er hätte die Gefahr erkennen müssen. Jetzt war es zu spät. Seine Sicht klärte sich. Die undurchdringliche Dunkelheit der Nacht wurde von ein paar flackernden Fackeln auf langen Stangen zurückgedrängt, die hier und da auf der Straße standen. Als Erstes wurde ihm der durchdringende Gestank von Scheiße und Pisse bewusst. Er lag auf der linken Seite, eine Wange auf der kalten, glitschigen Holzplanke des Bohlenweges, der als Straße 
diente. Diese Bohlenwege führten in geraden Linien zwischen den Häusern und Läden durch die Stadt. Sie sollten die Füße der Bewohner von den offenen Kloaken fernhalten, die darunter verliefen. Nur die Holzplanke trennte Einars Nase von dem Unrat, und der Gestank war widerlich.

Er keuchte. Schmerz pochte in seiner Schläfe. Jemand trat ihm gegen die rechte Schulter und wälzte ihn auf den Rücken. Über sich sah er die Strohdächer der langen, niedrigen Gebäude, die die Straßen säumten, und die Sterne funkelten an einem Himmel, der so schwarz wie der Sand auf den Lavafeldern in Island war, seiner Heimat. Ein Ort, der im Augenblick so fern erschien wie diese Sterne.

Drei Männer standen über ihm. Im fahlen Licht konnte er ihre Züge nicht ausmachen, aber das Aufblitzen ihrer Klingen war unverkennbar. „Du bist schwer zu finden“, sagte einer der Männer.

„Wo sind die Schwerter?“, fragte einer seiner Gefährten. „Ricbehrt will sie wiederhaben.“ 

Sachsen – Einar erkannte die Sprache. Oder Engländer, wie sie sich nun selbst bezeichneten.

„Erzähl uns nicht, dass du es nicht weißt“, sagte der dritte Mann, der Einars verwirrte Miene bemerkte, in der Sprache der 
Sachsen. Er hatte jedoch einen seltsamen Akzent. Vielleicht war er ein Franke?

„Hoffentlich hast du ihn nicht zu hart getroffen, Osric“, zischte einer der Angreifer seinem Gefährten zu, „und ihm den Verstand rausgeprügelt, bevor wir herausfinden, wo er die Schwerter versteckt hat. Das könnten wir überhaupt nicht gebrauchen.“

Noch immer tanzten viele kleine Lichter vor Einars Augen. Ihm war schlecht. Mit einem Stöhnen griff er sich an den Kopf, tastete vorsichtig nach seiner dröhnenden rechten Schläfe. Er spürte etwas Warmes und Klebriges, und ihm war klar, dass es sein Blut war.

„Meine Harfe“, stöhnte er, denn ihm wurde bewusst, dass sich der Lederbeutel mit dem Instrument nicht länger in seiner Hand befand.

„Helft ihm auf die Beine“, sagte Osric. „Schaffen wir ihn rein, damit wir ihn richtig befragen können.“

Sie zerrten ihn auf die Füße. Wieder verschwamm die Welt vor seinen Augen, seine Knie gaben erneut nach. Der Franke fing ihn auf und murmelte etwas in seiner eigenen Sprache, das verdächtig nach einem Fluch klang.

„Du hast ihn zu hart geschlagen, Osric“, beschwerte sich der andere Sachse. „Jetzt müssen wir ihn tragen.“

„Hör auf zu jammern“, sagte Osric. „Packt ihn an den Armen.“

„Warum müssen wir die ganze Arbeit machen?“, protestierte der Franke. „Du hast ihn geschlagen.“

„Weil ich hier das Sagen habe“, erwiderte Osric. „Richtig?“

Einen Augenblick lang starrten sich Osric und der Franke an, ihr Atem bildete weiße Wölkchen in der kalten Nachtluft, dann schaute der Franke zur Seite. Anscheinend hatte Osric recht.

„Ich bin direkt hinter ihm“, sagte Osric. „Wenn er Ärger macht, schlitze ich ihn auf.“

Der Franke und der andere Sachse legten sich Einars Arme über die Schultern, und er sackte zwischen ihnen zusammen.

„Beweg dich endlich, verflucht“, schimpfte der Franke, der links von Einar war.

Einar ließ den Kopf noch immer hängen, warf aber einen schnellen Blick nach links und rechts. Er musste wissen, wo sie ihre Messer trugen. Die beiden Männer hielten ihre Klingen in den freien Händen, auf der anderen Seite von Einar. Er hatte jedoch nicht die geringste Ahnung, was Osric tat.
Einar wusste nicht, wer diese Männer waren, aber so benommen er auch war, hatte er nicht die geringsten Zweifel, dass er in ernsthaften Schwierigkeiten steckte, wenn sie ihn von der Straße schafften und er ihrer Gnade ausgeliefert war. Das war vermutlich seine letzte Chance zur Flucht.

Er biss die Zähne zusammen, um die Benommenheit zu vertreiben. Dann stemmte er die Füße fest auf die Bohlen. Er spannte die Oberschenkel an und richtete sich auf. Diesmal war er so solide wie eine Eiche. Er legte die Arme um die Hälse der Männer und zog sie ruckartig gegeneinander. Ihre Köpfe schlugen mit einem Geräusch zusammen, als wären sie zwei volle AleFässer. Sie schrien auf und hielten sich die Köpfe. Einar ließ sie los und rannte so schnell, wie er konnte. Jeden Augenblick erwartete er, den heißen Schmerz von Osrics Messer im Rücken zu spüren. Stattdessen vernahm er nur einen Fluch.

Er war frei, hatte sich aber noch lange nicht von dem Schlag auf den Kopf erholt. Bei jedem Schritt verschwamm seine Sicht. Die Straße schien zur Seite zu kippen, und er stolperte. Hinter ihm donnerten Schritte auf den Bohlen, während sein linker Fuß auf dem feuchten Holz wegrutschte.

Dann traf ihn etwas Schweres von hinten, und er fiel. Einer der Männer hatte sich auf ihn geworfen und ihm beide Arme um die Beine geschlungen. Einar stürzte kopfüber. Die Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben, und seine Zähne schlugen aufeinander, als sein Gesicht auf den Holzbohlen auftraf.

Der Angreifer hielt seine Beine fest. Einar war noch immer benommen, aber er wusste, dass er hier wegmusste. Er wand sich und trat zu. Der Angreifer hielt verbissen fest, aber es gelang Einar, den rechten Fuß loszureißen. Dabei verlor er den Schuh, der über den Bohlenweg rollte und im Unrat landete.Einar trat hart zu, zweimal. Der Mann, der noch immer sein anderes Bein hielt, fluchte und ließ los. Einar warf einen Blick 
hinter sich. Die anderen hatten ihn fast erreicht.

Er rappelte sich auf und stolperte mit rudernden Armen vorwärts, versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Dann rannte er wieder, wobei sein nackter Fuß ständig auf dem feuchten Untergrund wegrutschte.

Hinter ihm donnerten seine beiden Verfolger über die Holzbohlen. Sie waren direkt hinter ihm. Er bereitete sich auf den nächsten Sturz oder den heißen Stich einer Waffe vor, die die letzte Dunkelheit bringen würde.

Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass die Männer nur noch wenige Schritte entfernt waren. Ein Stück dahinter war der Mann, der ihn zu Boden gerissen hatte, auch wieder auf den Füßen und holte auf. Einar sah wieder nach vorn. Auf keinen Fall durfte er jetzt gegen eine Mauer laufen oder vom Bohlenweg stürzen.

Rutschend kam er zum Halt. Ein kleines Stück voraus war eine Kreuzung. Sie wurde von vier flackernden Fackeln auf langen Stangen erleuchtet. Direkt in der Mitte, wo sich die Wege trafen, stand der Fremde mit der Kapuze aus der Schenke. Er hielt einen gespannten Bogen, und die Eisenspitze des Pfeils zielte direkt auf Einar.



KAPITEL 2

Runter!«, rief der Fremde. 

Tief in Einars Verstand blitzte etwas auf. Bevor ihm klar wurde, dass es Erkennen war, warf er sich wieder zu Boden. Der 
Pfeil surrte wie eine wütende Wespe über Einar hinweg. Der Mann, der direkt hinter ihm war, hatte keine Chance. Mit einem dumpfen Geräusch traf ihn der Pfeil mitten in die Brust, und er grunzte, während er noch ein paar Schritte weitertaumelte. Dann fiel er krachend auf die Holzbohlen, direkt 
neben Einar, der plötzlich in die bereits brechenden Augen des Franken blickte.

„Beim Blut Christi!“ Osric kam rutschend zum Stehen, ebenso wie sein Gefährte.

Die grüne Kapuze wurde zurückgeschlagen. Langes, zu einem Zopf geflochtenes rotblondes Haar löste sich und wand sich wie eine Schlange auf ihrer rechten Schulter. Die Haut der Frau war so blass, dass sie in der Dunkelheit zu glühen schien. Die Brauen waren dunkel und gewölbt und hätten auch zu einer Katze gepasst. Ihre Schönheit ließ jeden Mann verharren. Ihr Bogen hatte noch größere Durchschlagskraft. Mit einer schnellen 
Bewegung hakte sie einen weiteren Pfeil ein, spannte die Sehne und zielte wieder auf die Straße.

„Affreca!“, sagte Einar.

Trotz der Situation versetzte ihm ihr Anblick einen seltsamen Stich.

„Bleibt, wo ihr seid, oder ihr seid tot“, rief Affreca den Männern zu.

Sie sprach Nordisch mit irischem Akzent. Selbst im Dämmerlicht konnte Einar die Verblüffung auf den Gesichtern der Sachsen sehen. Er rappelte sich wieder auf.

„An eurer Stelle würde ich mich nicht rühren.“ 

Einar benutzte die Version der englischen Sprache, die er während seines Aufenthalts in Jorvik aufgeschnappt hatte. Es war eine Bastardsprache  – hauptsächlich Sächsisch mit vielen nordischen Elementen  –, aber sie war verbreitet genug, dass sich Angeln, Sachsen und Nordmänner in diesem geteilten Reich verständigen konnten. „Sie trifft einen flüchtenden Hasen auf hundert Schritte.“

Seine Verfolger wechselten einen Blick. Dann sprangen sie vom Bohlenweg, einer lief nach rechts, der andere nach links, und tauchten in die Dunkelheit zwischen den langen schmalen Häusern.

Affreca schoss. Osric stieß einen Schrei aus, verschwand aber trotzdem in der Finsternis. Affreca ließ einen weiteren Pfeil von der Sehne fliegen, der genau in dem Augenblick in die Ecke eines Hauses schlug, hinter der der andere Mann verschwand.

„Einen könntest du erwischt haben“, sagte Einar zu Affreca, als diese zu ihm lief. Sie spähten in die dunklen Gassen zwischen den Häusern auf beiden Seiten. Nichts bewegte sich dort.

„Ich weiß nicht, was in Hels Namen du in Jorvik zu suchen hast.“ Einar breitete die Arme aus, nur um sie wieder sinken zu 
lassen und Affreca unbeholfen auf die linke Schulter zu schlagen. „Aber ich bin wirklich froh, dich zu sehen.“

Affreca hob die Brauen, dann schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn fest. In Einars Lenden pochte das Blut. Er erwiderte die Umarmung und ließ schnell wieder los.

Aus der Gasse, in der Osric verschwunden war, drang ein Geräusch. Es klang, als wäre jemand über etwas gestolpert. Zwar gedämpft, aber es reichte, dass sie sich wieder auf die Situation konzentrierten. Die Dunkelheit jenseits der spärlichen Fackeln auf 
dem Bohlenweg bot jedem sich anschleichenden Angreifer perfekte Deckung. In diesem Augenblick konnten dort weitere Verfolger mit gespannten Bogen oder erhobenen Speeren lauern.

„Hier draußen ist es zu gefährlich“, sagte Affreca.

„Lass uns zurück zur Schenke gehen“, schlug Einar vor. „Meine Unterkunft ist zu weit weg.“

Sie stießen den toten Franken in die Gosse mit dem dreckigen Wasser. Einars Schuh befand sich irgendwo auf dem Grund des schwarzen Matsches, aber er hatte jetzt keine Zeit, ihn dort herauszufischen. Davon abgesehen, konnte er sich nicht dazu überwinden, in etwas herumzuwühlen, das nichts anderes als eine mit Abfällen verstopfte Kloake war.

Sie eilten zurück zur Schenke. Einars Harfe lag noch immer in ihrer Tasche, wo er sie auf dem Weg fallen gelassen hatte. Auf ihr beharrliches Klopfen reagierte Gorm zunächst mit der Forderung, sie sollten verschwinden. Als sie auf Einlass beharrten, wurden schließlich die Riegel lautstark zurückgezogen und die Tür geöffnet. Der breitschultrige Wirt mit dem großen Bierbauch stand vor ihnen, in der fleischigen Faust einen großen 
Holzknüppel, und wollte gerade die Forderung wiederholen, dass sie verschwinden sollten. Beim Anblick Einars, dessen rechte Wange anschwoll und dem Blut aus der Kopfwunde übers Gesicht lief, blieben ihm die Worte im Hals stecken.

Im nächsten Augenblick waren sie in der Schenke und die Tür hinter ihnen fest verriegelt. Gorm führte sie zu einem Tisch in der Nähe des ersterbenden Feuers. Im Raum stank es immer noch nach den vielen Körpern, die sich dort zuvor gedrängt hatten. Der Geruch von Ale, Eintopf, Schweiß und feuchter Kleidung hing in der Luft, aber verglichen mit der Kälte und der Dunkelheit und den auf den Straßen lauernden Gefahren erschien Einar die Schenke wie Fólkvangr, Freyas himmlisches Reich, in dem ewiger Sommer herrschte.

Affreca sah ihn fassungslos an, als Einar ihr kurze Zeit später verriet, warum er in Jorvik war.

„Unterricht in der Dichtkunst?“ Affreca verzog den Mund, als hätte er gerade einen üblen Furz gelassen. „Du hast Ulrichs úlfhéðnar verlassen, um Sänger zu werden?“

Einar zuckte mit den Schultern.

„In Jorvik lebt ein großer Skalde“, erklärte er. „Wenn ich berühmt werden will, muss ich noch viel lernen.“ Affreca kniff die Augen zusammen.

„Der Junge ist gut“, sagte Gorm und nickte in Einars Richtung. „Einer der besten Skalden, die wir je gehabt haben. Die Gäste lieben ihn.“

„Und Gorm bezahlt mich gut dafür, dass ich sie unterhalte“, sagte Einar. „So kann ich mir den Unterricht leisten, damit ich noch besser werde.“

Gorm, dessen kahler, mit Narben übersäter Kopf selbst von einem Leben voller Gewalt kündete, sagte: „Du siehst aus, als wärst du im Krieg gewesen, Junge. Die Straßen dieser Stadt sind nach Einbruch der Dunkelheit gefährlich. Es ist eine Schande, dass ehrliche Männer sie nicht benutzen können, ohne von Schurken und Dieben angegriffen zu werden.“

Einar schüttelte den Kopf.„Die Männer haben mich gesucht. Ich bin sicher, dass zwei von ihnen Sachsen waren und einer ein Franke. Sie müssen für 
den Waffenhändler Ricbehrt arbeiten.“

Er warf Affreca einen Blick zu. „Er will seine Schwerter zurück.“

„Die wir ihm in Irland gestohlen haben?“, fragte Affreca.

„Weißt du noch von anderen?“, gab Einar zurück.

„Ihr habt es ihnen bestimmt ordentlich gezeigt“, meinte Gorm.

„Meine Freundin hat vermutlich einen von ihnen getötet“, sagte Einar. „Wir haben ihn im Straßengraben zurückgelassen.“

Gorm verzog das Gesicht. „Dann habt ihr etwas zu trinken verdient. In meinen Augen ist Sachsen zu töten kein Mord. So, wie sie sich heutzutage über uns erheben, überrascht es mich, dass nicht mehr von ihnen in einem Graben enden. Aber deswegen wird es Ärger geben. Wenn man die Leiche findet, werden die Männer des Jarls in der Stadt umherstreifen wie Hunde auf der Fuchsjagd. Ich hole uns einen Krug Ale.“

Affreca schüttelte den Kopf. „Also singt der Sohn des Schädelspalters jetzt für Münzen in einer Schenke?“, sagte sie verächtlich. „Wir waren der Meinung, du wärst hier, um mehr über das Kriegerhandwerk zu lernen. Oder um Verbündete für die Rache an Jarl Thorfinn zu finden. König Æthelstan von Wessex stellt ein Heer auf, das nach Norden marschieren soll. Wir haben gedacht, dass du dies vielleicht als Möglichkeit siehst, dir zu holen, was rechtmäßig dir gehört: das Jarltum von Orkney.“

Einar runzelte die Stirn. „Ich weiß nichts von Æthelstan. Davon abgesehen, wie sollte ich Orkney erobern? Ich würde mein eigenes Heer brauchen. Jarl Thorfinn ist zu stark. Ich kann nicht mein Leben mit der Hoffnung verschwenden, dass ich ihm eines Tages gegenübertreten kann.“

Er sah ihren Gesichtsausdruck und wurde knallrot. 

„Es gibt außer dem Kampf noch andere Möglichkeiten, um Ruhm zu erringen.“ Zur Abwechslung strömten die Worte aus 
seinem Mund, ohne dass ihm sein Kopf im Weg war. „Odin hat mir die Gabe der Dichtkunst verliehen. Damit kann ich mir einen Namen machen. Und dieser Ruhm wird so lange andauern wie der eines jeden Kriegers.“

Affreca schnaubte. „Und was ist mit der Ehre, Einar? Was ist mit der Rache?“

„Rache wofür?“ Die Scham, die ihn hatte erröten lassen, verwandelte sich in Wut. „Thorfinn hat meine Mutter nicht ermorden können, nicht wahr?“

„Er hat es versucht. Er hat versucht, uns alle zu töten.“

„Und wir haben die Männer getötet, die er dazu losgeschickt hat. Einschließlich seines Sohnes  – mein eigener Halbbruder Hrolf. Falls du das vergessen haben solltest.“

„Glaubst du, Thorfinn wird einfach so aufgeben? Er ist dort draußen und sucht nach dir. Willst du einfach darauf warten, 
dass er kommt und dich erwischt?“

Einar seufzte. Die Aufregung nach den Geschehnissen dieser Nacht ebbte ab und hinterließ eine tiefe Müdigkeit. Es war Zeit, zur Sache zu kommen. Er fixierte sie mit seinem Blick.

„Warum bist du wirklich hier, Affreca?“

Tim Hodkinson

Über Tim Hodkinson

Biografie

Tim Hodkinson wurde 1971 in Nordirland geboren. Er studierte mittelalterliche englische und altnordische Literatur an der Universität mit Fokus auf mittelalterlicher europäischer Geschichte. Er hat sein ganzes Leben lang geschrieben und hat ein starkes Interesse am historischen, mystischen und...

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