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Per Anhalter durch SüdamerikaPer Anhalter durch Südamerika

Per Anhalter durch Südamerika Per Anhalter durch Südamerika - eBook-Ausgabe

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Zwei Jahre, 56.000 Kilometer, ein Kontinent

„Das hier ist nicht die Sammlung von Blogartikeln zweier Uni-Absolventen, sondern eine starke, professionelle Reisereportage.“ - Coolibri Campus

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Per Anhalter durch Südamerika — Inhalt

752 Tage und 56 000 Kilometer durch Südamerika – ein außergewöhnlicher, großartiger Reisebericht

Eigentlich als Sprachreise nach Argentinien und Chile geplant, trampen Morten und Rochssare von den Gletschern Patagoniens bis an die karibischen Traumstrände Kolumbiens und Venezuelas. Sie treiben einen Monat mit Marktbooten den Amazonas hinunter, klettern hinab in die Silberminen Boliviens und besuchen die Mennoniten in Paraguay. Sie couchsurfen durch Studenten-WGs, teilen das Landleben der einfachen Bevölkerung und den Luxus in bewachten Wohnvierteln der Metropolen. Sie schließen Freundschaften mit LKW-Fahrern und tauchen mit Seelöwen vor Galapagos. Erst nach zwei Jahren und 246 Mitfahrgelegenheiten können sie sich von diesem fernen Kontinent lösen.

€ 20,00 [D], € 20,60 [A]
Erschienen am 02.11.2016
432 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40611-6
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€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erschienen am 02.11.2016
432 Seiten
EAN 978-3-492-96592-7
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Leseprobe zu „Per Anhalter durch Südamerika“

Prolog
Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Menschen zu Reisenden werden, warum sie ihr sicheres Heim verlassen und in die weite Welt hinausgehen. Warum sie ihre Komfortzone und ihren geregelten Alltag hinter sich lassen und ins Unbekannte aufbrechen. Wagemut spielt häufig eine Rolle, Sehnsucht, Fernweh oder gar die Suche nach dem eigenen Selbst und spiritueller Erweiterung. Manchmal ist Reisen auch einfach nur eine Flucht.
Für uns ist es nichts von alledem. Als wir unsere Reise planen, fühlen wir uns weder besonders mutig, noch suchen wir eine [...]

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Prolog
Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Menschen zu Reisenden werden, warum sie ihr sicheres Heim verlassen und in die weite Welt hinausgehen. Warum sie ihre Komfortzone und ihren geregelten Alltag hinter sich lassen und ins Unbekannte aufbrechen. Wagemut spielt häufig eine Rolle, Sehnsucht, Fernweh oder gar die Suche nach dem eigenen Selbst und spiritueller Erweiterung. Manchmal ist Reisen auch einfach nur eine Flucht.
Für uns ist es nichts von alledem. Als wir unsere Reise planen, fühlen wir uns weder besonders mutig, noch suchen wir eine selbstreinigende Erfahrung. Was uns antreibt, ist eine Neugier, ein Interesse an der Welt, das uns schon seit geraumer Zeit nicht mehr ruhig sitzen lässt. Wir wollen wissen, lernen und erfahren, sehen und spüren, wie das Leben am anderen Ende der Welt ist. Wir wollen Kulturen, Bräuchen, Menschen und Regionen begegnen. Wir wollen die Luft dort drüben riechen, Unbekanntem lauschen und den Geschmack der Fremde auf unserer Zunge schmecken. Wir wollen durch die Augen der anderen sehen. Auf ihr Leben und vielleicht auch auf unser eigenes.
Während sich Freunde und Bekannte zielstrebig um ihre Karrieren bemühen und versuchen, Job und Familie unter einen Hut zu bringen, schlagen wir einen anderen Weg ein.
Die Aussicht auf eine 40-Stunden-Woche im Büro hat uns noch nie gereizt. Zwar bewundern wir diejenigen, die sich damit arrangieren können, aber in unserer Lebensplanung ist dafür momentan kein Platz. So stoßen wir kurzum alles Materielle ab, was uns noch in Deutschland hält. Wir kündigen unsere Wohnungen, verkaufen unsere Möbel, verschenken unsere Klamotten. Unsere Planung ist rudimentär. Eigentlich nicht vorhanden. Wir wollen ein halbes Jahr unterwegs sein – vorerst.
In unserem Gepäck befinden sich zwei One-Way-Tickets nach Argentinien und eine unbändige Neugierde auf alles, was uns erwartet. Unser Geist ist hungrig, und wir wollen ihn füttern.
Das Ziel heißt Südamerika. Inspiriert von großen Entdeckern wie Magellan, Humboldt und Darwin, verschlingen wir unzählige Reiseberichte. Der entfernte Kontinent übt eine besondere Faszination auf uns aus. Schneebedeckte Berggipfel und karibische Strände, trockene Wüsten und tropischer Regenwald, menschenleere Weite und überfüllte Megastädte ziehen uns in ihren Bann.
Darüber hinaus ist Südamerika eines der wenigen Gebiete dieser Erde, durch das wir mit nur einer Sprache reisen können. Das ist uns wichtig, wollen wir doch neben all den atemberaubenden Landschaften vor allem die Menschen kennenlernen.
Letztendlich reisen wir zwei Jahre lang mit Autostopp und Couchsurfing durch alle südamerikanischen Länder. Solange es Land und Straßen gibt, so beschließen wir es vorab, wollen wir in kein Flugzeug steigen. Die Reise soll als solche erlebbar bleiben. Wir wollen die kleinen Veränderungen zwischen zwei Orten spüren, genauso wie die großen Veränderungen zwischen zwei Kulturen.
Vom ersten Tag an verlieben wir uns in den fernen Kontinent – in seine Menschen, in die faszinierende Natur und die städtebauliche Pracht. Jeder neue Kontakt, jedes neue Gespräch, jeder neu entdeckte Ort bestätigt uns.
Wir reisen langsam, lassen uns Zeit, genießen jeden Augenblick. Wir haben keinen Zeitplan, keine Termine. Allein die Neugier treibt uns vorwärts. Sie lässt uns aber auch innehalten und genauer hinsehen. Überall treffen wir auf freundliche Menschen, kommen mit ihnen ins Gespräch. Der Wert einer Reise, so wird uns schnell bewusst, wird an denjenigen gemessen, denen man begegnet.



ARGENTINIEN
Buenos Aires — La Boca und die Begeisterung

Und da kommen sie : Die Mannschaften betreten den Rasen. War die Stimmung auf den Rängen bisher lediglich eindrucksvoll, so steigert sie sich nun in pure Ekstase. Die rhythmischen Fangesänge, die aus dem wogenden blau-gelben Fahnenmeer zu hören sind, wandeln sich in Sekundenbruchteilen in eine gefährlich brodelnde Brandung, die alles zu verschlingen droht.
Heute ist ein besonderes Spiel, spätestens jetzt ist es allen klar. Ein neuer Spieler steht im Aufgebot : ein talentierter Junge von gerade einmal 20 Jahren und dennoch schon ein hochdekorierter Sportler. Im letzten Jahr gewann er mit der U20 Argentiniens die Juniorenweltmeisterschaft, wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt und trägt nebenbei auch noch die Auszeichnung als bester Fußballer seines Landes und Südamerikas. Doch all das scheint ihn nicht weiter zu interessieren. Völlig ungehemmt spielt er in seinem ersten Spiel für die Boca Juniors in der „ Bombonera “ auf, erzielt zwei Tore und wird Jahre später als „ die Hand Gottes “ Weltruhm erreichen. Sein Name : Diego Armando Maradona. Für viele Argentinier der einzig wahre Fußballer auf dem Planeten.
Auch heute, mehr als 30 Jahre nach diesem denkwürdigen ersten Auftritt im Boca-Trikot, ist die Begeisterung für den Fußballer des 20. Jahrhunderts ungebrochen. Das Bild Maradonas prangt beinahe an jeder Häuserwand im Hafenviertel La Boca, der Heimstätte des Vereins. Hier im sozial schwachen Stadtteil steht nämlich die „ Bombonera “, das Stadion der Boca Juniors. Gegründet als Arbeiterverein, symbolisiert der erfolgreichste argentinische Fußballklub heute das Ideal eines gelungenen Aufstiegs innerhalb der Gesellschaft, weshalb viele seiner Anhänger vor allem in der armen Bevölkerungsschicht zu finden sind. Weder der Prunk des schicken Palermos im Norden Buenos Aires’ noch der Charme des benachbarten San Telmos sind hier zu spüren. Selbst Argentinier raten davon ab, La Boca zu betreten : Überfälle seien an der Tagesordnung.
Die einzige Ausnahme bildet der „ Caminito “. Im „ Sträßchen “, der touristischen Hauptattraktion La Bocas, reihen sich bunte Wellblechhäuser wie die Perlen einer Halskette aneinander und vermitteln das Bild eines fröhlichen und farbenfrohen Viertels, das es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Ängstliche Touristen werden in Reisebussen direkt hierhergefahren und trauen sich kaum einen Schritt aus der Gasse heraus. Hier grüßt Diego Maradona gleich mehrfach als Figur aus Pappmaschee von den Balkonen. Vom ersten Stock winkt er mit den anderen Nationalhelden Argentiniens : Che Guevara, Evita Duarte de Perón und Carlos Gardel. Unten verkaufen fahrende Händler Kunsthandwerk, und Europäer, die ihren Rucksack fest umklammert auf dem Bauch tragen, lassen sich in verführerischer Tangopose fotografieren.
Alles wirkt hier unauthentisch : die Kellner, die vor den unzähligen Restaurants in dieser kurzen Gasse um zahlende Kunden werben, die Tangotänzer auf den Terrassen der Gaststätten, die ihre Leidenschaft für diesen stolzen Tanz schon vor langer Zeit verloren haben und nur noch gelangweilt in die Weite starren, der Maradona-Doppelgänger, der lediglich dann freundlich lacht, wenn eine Kamera auf ihn gerichtet ist. Sie alle verdienen ihr Geld an den Touristen, die in Scharen hierhergekarrt werden, um drei Fotos zu machen und zusammen mit 500 anderen hungrigen Mäulern mittagzuessen. Dann geht es zurück in den Bus, und was bleibt, sind Lügen der Erinnerung. Weder das gestellte Tangofoto noch die Umarmung mit Maradona waren echt.
Doch La Boca ist weit mehr als eine kleine betrügerische Straße. La Boca ist Begeisterung, ist Leidenschaft, ist Identifikation – zumindest wenn es um Fußball geht. Das blau-gelbe Trikot der Boca Juniors ist die Arbeitsuniform, der Paradeanzug und wahrscheinlich auch das Nachthemd jedes einzelnen Bewohners dieses Viertels. Es macht den Anschein, als ob jeden Tag ein Heimspiel wäre, so omnipräsent sind die Farben des Vereins. Doch was passiert, wenn Boca wirklich einmal zu Hause spielt, ist fast nicht in Worte zu fassen. Von überall pilgern Tausende und Abertausende Fans in Richtung des Stadions. Wenn in einem der Stadtbusse mit 22 Sitzplätzen plötzlich 80 Boca Juniors-Fans überschwänglich ihre Lieder singen, gegen die Innenwände trommeln, sich weit aus den Fenstern lehnen, auf und ab hüpfen und so den Bus bei voller Fahrt zum Schaukeln bringen, dann passiert ganz offensichtlich etwas Besonderes – Boca spielt.
Rund um die „ Bombonera “ geht es etwas beschaulicher, aber nicht weniger enthusiastisch zu. An jeder Ecke finden Expertengespräche statt, und diejenigen, die es nicht bis ins Stadion geschafft haben, schauen in einer großen Traube die Liveübertragung auf einem Fernseher, den jemand zur Freude aller vor die Tür gestellt hat. Ich stelle mich einen Augenblick lang in die Menge und schaue dem Spielgeschehen zu. Boca greift an, ein Alleingang, ein Schuss – weit vorbei. Alle um mich herum stöhnen entsetzt über die vergebene Chance auf. „ No es Maradona, lamentablemente “ – „ Leider ist er nicht Maradona “, ächzt jemand hinter mir. Der hätte den Ball nämlich reingemacht.
Sofort ist der Diego-Effekt da. Jeder hat eine eigene Geschichte zu erzählen, eine eigene Erinnerung, einen eigenen Diego-Moment. Die ehemalige Nummer 10 ist eine lebende Legende, an deren Nimbus ganz Argentinien arbeitet. So werden zehn Prozent umgangssprachlich „ Diego “ genannt, und der Code für Marihuana im Wert von zehn Pesos heißt – wie sollte es anders sein – „ Diego “.
Der Personenkult wird auch nicht durch Drogenskandale und kolossale Misserfolge als Trainer geschwächt. Diego ist und bleibt Diego – der mit Abstand beste Fußballer der Welt. Und so wird es auch weiterhin einen Doppelgänger im Caminito geben, Touristen werden weiterhin T-Shirts, Tassen und Schlüsselanhänger mit seinem Konterfei kaufen, und irgendwann wird Diego vom Zehn-Peso-Schein lächeln. Ich glaube fest daran.

Gottes Segen und geschlossene Welten in Rosario
Mit einem klapprigen Zug verlassen wir Buenos Aires. Langsam rattern wir durch die Vororte der Megametropole, bis wir an der Endstation Zárate ankommen. Zárate ist klein, wie klein, weiß ich nicht, aber Menschen mit Rucksäcken scheinen selten zu sein. Im Bus in Richtung Autobahn werden wir neugierig beäugt. Eine ältere Dame kann sich nicht zurückhalten, spricht uns an, fragt uns aus.
Am Ende des Gespräches haben wir ihren und Gottes Segen und den Ratschlag : „ Kinder, passt auf euch auf ! Die Zeiten sind nicht einfach ! “ Das macht Mut. Auf den letzten Metern zur Autobahn, die wir zu Fuß zurücklegen, ein ähnliches Bild. Der ältere Herr, der stolz zu erkennen gibt, dass er unseren Akzent grob als „ europäisch “ einstufen kann, gibt uns zwar Auskunft, schlägt aber, als er von unseren Plänen erfährt, per Anhalter durch das Land zu reisen, die Hände über dem Kopf zusammen, den er dabei gleichzeitig heftig schüttelt. Auch er schenkt uns Gottes Segen.
Bei so viel göttlichem Segen kann ja gar nichts mehr schiefgehen. Wir gehen weiter. Und tatsächlich : An der Autobahn Richtung Rosario hält nach unglaublichen zwei Minuten Carlos an. Ich habe mehr Zeit damit verbracht, liebevoll unser Pappschild zu beschriften, als wir auf eine Mitfahrgelegenheit warten müssen. Wir steigen ein. Carlos ist 30 und hat ein sehr rundes, aber nicht minder nettes Gesicht. Nur sein Auto macht mir Sorgen. Es klappert verdächtig, die Sicherheitsgurte funktionieren nicht, und die beiden Seitenspiegel sind auch nicht vorhanden. Auf meinem inneren Notizzettel füge ich hinzu : „ Nicht nur Zustand des Fahrers, sondern auch des Fahrzeuges begutachten. “ Auf den 250 Kilometern bis nach Rosario müssen wir viermal tanken. Warum wir dabei jedes Mal aus dem Auto aussteigen müssen, bleibt uns jedoch ein Rätsel.
Nichtsdestotrotz erreichen wir am frühen Abend Rosario, die drittgrößte Stadt des Landes. Direkt am Rio Paraná gelegen, sagt man Rosario nach, dass es die Stadt mit der höchsten Lebensqualität in Argentinien sei. Die für argentinische Verhältnisse beschauliche Einwohnerzahl von einer Million lässt dabei beinahe eine gemütliche Kleinstadtatmosphäre aufkommen.
Kurz nachdem wir von der Autobahn abfahren, sehen wir das größte Casino des Landes, welches dem mittlerweile verstorbenen Expräsidenten Néstor Kirchner gehörte. Direkt neben dem Casino, wie paradox, ein Armenviertel, ein „ Villa “. Die verschwenderische Beleuchtung des Casinos macht Kinder sichtbar, die in der Dämmerung barfuß im Müll spielen. Nach der Busfahrt ins Zentrum werden wir von unseren Couchsurfing-Hosts Flor und Pedro empfangen. Die beiden sind selbst ein Jahr lang per Anhalter und mit Couchsurfing durch Südamerika gereist und nehmen als Dank nun selbst fleißig Reisende bei sich auf. Die Wohnung der beiden begeisterten Musikstudenten und Musiklehrer ist übersät mit Instrumenten aus aller Herren Länder.
Am selben Abend werden wir direkt zu einer kleinen Feier des Karnevalvereins eingeladen, in dem Pedro singt. Die junge Gruppe bringt politische Satire in melodischer Form unters bereits karnevalverrückte Volk.
Am nächsten Tag sind wir gegen Mittag bei Flors Vater und seiner Frau zum Grillen eingeladen. Flors Vater wohnt in einem „ Country “. Das ist genau das Gegenteil einer Villa. In einem Country wohnen die Reichen unter sich – mit „ mehr Sicherheit “, wie sie selbst betonen. Diese Art zu leben sei eher der neuen Frau ihres Vaters zuzuschreiben, erzählt uns Flor. Lorena sei „ sehr speziell “. Ein Country, das sind etwa 200 große Villen mit großen Gärten und großen Autos davor. 200 Villen, umgeben von einer Mauer. Mehrere Autos einer privaten Securityfirma fahren 24 Stunden am Tag im Country Streife. Der riesige Eingang des Countrys erinnert an den Eingang eines Freizeitparks. Um reinzukommen, muss man beim Sicherheitspersonal seinen Namen angeben und die Person, zu der man möchte. Mit einem Telefonanruf wird dies dann überprüft. Wenn alles stimmt, darf man hinein. Hinein in eine andere Welt. Schöne Anekdote : Morgens fährt ein Junge auf dem Fahrrad durch das verschlossene Reichenviertel und wirft zusammengerollte Zeitungen in die gepflegten Vorgärten – wie in den schönen alten US-Filmen. Herrlich. Manche Menschen bezahlen anscheinend tatsächlich für ein Leben im eigenen Gefängnis.
Bei der Begrüßung und dem ersten Small Talk mit Flors Vaters versuchen wir nicht gänzlich überwältigt auszusehen. Das Haus ist beeindruckend, genauso wie der riesige Berner Sennenhund „ Khalef “. Bei den Kuschelversuchen des anhänglichen 50 kg schweren Kolosses verliert man ab und zu die Balance. Wir schließen ihn direkt ins Herz. Dann steigt Lorena die Stufen zu uns herab. Lorena ist ein bisschen zu dünn, ein bisschen zu sonnengebräunt und ein bisschen zu blond gefärbt. Ihre Schuhe, ihre Hose und ihr T-Shirt blenden uns im strahlendsten Weiß mit unauffälligen Tommy-Hilfiger-Emblemen. Doch der erste Eindruck trügt. Marcello und Lorena leben zwar in einer völlig anderen Welt, sind aber sehr zuvorkommend, hilfsbereit und humorvoll. Wir bekommen eine Einweisung in die argentinische Grillkunst und zaubern zusammen Köstliches auf die Teller.
Nach drei gemeinsamen Tagen mit Flor und Pedro wechseln wir unseren Host und wohnen nun bei Manuel. Gottes Segen verlässt uns nicht. Bereits im Auto eröffnet uns Manuel zwei gute Nachrichten. Erstens : Er wohnt in einer Großfamilie, und zweitens : Seine Eltern sind heute aus dem Brasilienurlaub wiedergekommen, und es gibt ein großes Familienessen. Es wird natürlich gegrillt. Ganze Platten feinsten argentinischen Rindfleisches machen die Runde.
Am nächsten Tag lädt uns Manuels Vater zu einer Bootstour auf dem Rio Paraná ein. Im Motorboot der Familie cruisen wir über den Rio Paraná, der nur fünf Blocks vom Haus der Familie entfernt fließt. Erst in der beginnenden Dämmerung kehren wir zurück. Rosario im Abendlicht, vom Motorboot aus betrachtet, lässt uns sentimental unserem letzten Abend entgegenschippern, den wir gemeinsam mit Manuel und einigen seiner Freunde ausklingen lassen.

Mendoza und die Weingebiete
„ Am Sonntag essen wir Asado, trinken Wein, bis wir richtig voll sind, und gehen dann um 18 Uhr ins Bett ! “, so beschreibt Manuel, unser Host in Mendoza, den Tagesablauf.
Was nach jugendlicher Unüberlegtheit klingt, sind die Worte eines Mitarbeiters der bekanntesten und teuersten Privatschule Mendozas. Und so sitzen wir auf der Dachterrasse, lassen jede Menge Malbec unsere Kehlen hinunterlaufen und verwirklichen diese Aussage. Dabei handelt es sich keineswegs um einen besonderen Tag. Es ist lediglich Sonntag – und wie jeden Sonntag sitzen Manuel und sein Lebensgefährte Ignacio in der Sonne und betrinken sich. Dieses Mal begleiten wir sie auf ihrer Reise hinein in den Rausch der Woche. Das Ganze hat System : „ Wenn du abends um 18 Uhr betrunken bist und schläfst, dann hast du richtig viel Zeit, um dich bis Montag früh auszuruhen “, erklären die beiden ihre ganz eigene Taktik, um das Wochenende ausklingen zu lassen.
Mendoza, umringt von unzähligen Weingütern, die Weine in überzeugender Qualität produzieren, ist für diese Art der Freizeitgestaltung wohl der beste Ort in ganz Argentinien. Hier herrschen perfekte Bedingungen : Die Höhenlage von 700 bis 1500 Metern sorgt für große Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, und die mächtigen Gipfel der Anden schützen die Trauben vor zu viel Niederschlag. Natürlich bleibt unsere Sonntagsverkostung dieses regionalen Produktes nicht die einzige. Volle drei Tage widmen wir uns gänzlich dem edlen Tropfen. Zunächst machen wir uns auf den Weg ins Valle de Uco, ein nahe gelegenes Tal, in dem nach Herzenslust und ohne Auflagen mit Wein experimentiert werden darf.
Aus diesem Grund tummeln sich hier Winzer aus Spanien, Frankreich, Holland, den USA, um immer neue Weine zu kreieren. In Tunuyán, einem Städtchen im Tal, bekommen wir in der ortsansässigen Touristeninformation eine Karte und jede Menge Material. Allerdings scheinen wir die allerersten Reisenden zu sein, die hier einkehren, denn der freundliche Mitarbeiter wirkt überaus aufgeregt, beschriftet unsere Karte, markiert Wege, malt Kreise, schraffiert Flächen, setzt Verweise. Am Ende ist von der eigentlichen Karte nicht mehr viel zu erkennen, stattdessen kreuzen sich jede Menge Striche und Linien, die der Kugelschreiber auf dem Papier hinterlassen hat. Verwirrt von all dem, entledigen wir uns dieses Zettels und entscheiden uns für einen Besuch der Bodega Salentein – Weinverkostung inklusive.
Dabei lernen wir, wie eine professionelle „ Degustación “ abläuft : Zuerst wird das Glas geschwenkt, um die alkoholischen Dämpfe zu verflüchtigen, um dann die Nase tief ins Glas zu halten und zu schnuppern. Dann kommt die Farbe : je heller der Wein, desto älter. Beim Verkosten des Weines erklärt uns der Winzer, was wir schmecken sollten : Marmelade, Kaffee, Nuss. Er hätte auch Gras, Leder und Teer sagen können, so vielfältig schmeckt Wein.
Dieses neu erlernte Wissen wenden wir am Folgetag gekonnt an. In Maipú, einem Vorort Mendozas, der sich selbst als „ Wiege des Rebstocks “ bezeichnet, leihen wir uns ein Tandem und erkunden die ländliche Umgebung. Na ja, eigentlich fahren wir von Bodega zu Bodega, verzichten auf die Führungen und kommen gleich zum Wein. Bei herrlichem Sonnenschein und einem Blick auf die Anden, der einfach unbeschreiblich ist, trinken wir ein Glas nach dem anderen, bis wir, fünf Bodegas bereits hinter uns, völlig betrunken auch das letzte Weingut verlassen.
Und dort neben unserem Tandem sitzt ein Polizist auf seinem Motorrad, ganz offensichtlich auf uns wartend. Doch er sagt kein Wort, spricht nicht, als wir unser Gefährt sicherheitshalber ein paar Meter weiter wegschieben, nicht, als wir beschließen, etwas zu essen, um Zeit zu gewinnen, und auch nicht, als wir endlich aufsteigen und losfahren. Aber er begleitet uns : Etwa eine Stunde lang fährt er im Schneckentempo hinter uns her. Unbeirrt bleibt er hinter uns, bis wir das Zentrum Maipús erreichen. Und dann ist er genauso plötzlich weg, wie er gekommen ist.
Den Abend verbringen wir mit Manuel und Ignacio, essen selbstgemachte Empanadas, mit Hackfleisch, Zwiebeln und Ei gefüllte Teigtaschen, und trinken selbstverständlich noch mehr Wein aus Maipú.
Doch Wein ist nicht die einzige Attraktion der Gegend. Ein paar Autostunden von Mendoza entfernt erhebt sich der Superlativ Amerikas : der Aconcagua. Seine 6962 Meter machen ihn zum höchsten Berg des Planeten – zumindest außerhalb Asiens. Mit dem Bus fahren wir von Mendoza bis hinein in die andine Welt. Was wir beim Einsteigen in Mendoza nicht bedenken : Hier auf 3000 Meter Höhe ist es verdammt kalt. Um uns herum ist nichts außer Berge, Schnee und Eis.
Völlig durchgefroren erreichen wir den Parque Provincial Aconcagua und machen uns auf zum Aussichtspunkt. Es ist der einzige offene Rundweg im Juni, mitten im Winter. Auf dem Weg fährt ein Ranger an uns vorbei, bremst und klärt uns in lässigem Ton darüber auf, dass fünf bis sechs Wildhunde in der Nähe seien. Nichts zur Beunruhigung, aber „ cuidado “ – „ Vorsicht “. Spätestens jetzt wissen wir, dass wir in der Wildnis angekommen sind.
Und tatsächlich begegnen uns kurz vor dem Aussichtspunkt einige dieser Vierbeiner. In gegenseitigem Respekt kreuzen sich unsere Wege, ohne dass wir sie aus den Augen lassen. Und dann sind sie auch schon weg. Vom Aussichtspunkt, einem kleinen Hügel, öffnet sich ein freier Blick auf den massiven Berg. Seine zerklüftete Südwand, die Gletscher an den Hängen und die Schneestürme, die über seinem Gipfel tosen und wie riesige Wolken aussehen, lassen uns ungläubig staunen. Der Aconcagua – der „ steinerne Wächter “ – war für die Inka ein heiliger Berg, ein zeremonieller Ort, und auch wir halten einen Moment lang inne und genießen die Aussicht, bevor wir uns bibbernd und zitternd auf den Rückweg machen.

Morten Hübbe

Über Morten Hübbe

Biografie

Nach dem Master in Literatur und Medien zog es Morten Hübbe (geboren 1984) gemeinsam mit seiner Freundin Rochssare Neromand-Soma 2011 für zwei Jahre nach Südamerika. Seitdem haben sich die beiden Reiseenthusiasten und -blogger ganz dem Unterwegssein verschrieben. Derzeit erkunden sie, wieder per...

Rochssare Neromand-Soma

Über Rochssare Neromand-Soma

Biografie

Nach dem Master in Literatur und Medien zog es Rochssare Neromand-Soma (geboren 1986) gemeinsam mit Ihrem Freund Morten Hübbe 2011 für zwei Jahre nach Südamerika. Seitdem haben sich die beiden Reiseenthusiasten und -blogger ganz dem Unterwegssein verschrieben. Derzeit erkunden sie, wieder per...

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„Das hier ist nicht die Sammlung von Blogartikeln zweier Uni-Absolventen, sondern eine starke, professionelle Reisereportage.“

blastingnews.com

„In dem Buch werden die Impressionen aus den bereisten Ländern so erzählt, dass sich das Lesen dieses Buches tatsächlich lohnt.“

suedamerika-reiseportal.de

„Das Buch hat mich gefesselt und während des Lesens wirklich nach Südamerika verfrachtet, wo ich dann an den passenden Stellen auch in Erinnerungen schwelgen konnte. Klare Leseempfehlung!“

literaturoutdoors.wordpress.com

„Der Reisebericht ist ein gut 400 Seiten starker Bilderbogen, der den Leser mitfahren lässt. Im Text, auch ein ausführlicher beeindruckender Fototeil befindet sich in der Mitte des Buches, ist die Freude des outdoors Erleben und die Reiselust der Autoren gleichsam ›ansteckend‹ zu spären und beinahe möchte man selbst aufbrechen...“

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