Quatschen mit Soße - eBook-Ausgabe
Roman
„Erfrischend und lustig.“ - Cellesche Zeitung
Quatschen mit Soße — Inhalt
Mona hat die Nase voll von den Launen ihres Mannes, der tief in einer Midlife-Crisis steckt, und setzt ihn vor die Tür. Doch was macht sie jetzt mit der Leere, die sich in ihrem neuen Singleleben breitmacht? Um auf andere Gedanken zu kommen, gründet sie einen Kochsalon, in dem fortan fünf Frauen zwischen 32 und 71 Jahren immer montags über dampfenden Töpfen und aromatischen Essenzen ihre Lebensgeschichten miteinander teilen. Mit der Zeit werden aus den Salonlöwinnen echte Freundinnen, die sich gegenseitig beraten und unterstützen. Und guten Rat kann Mona gut gebrauchen. Denn eines Tages muss sie sich zwischen zwei Männern entscheiden …
Leseprobe zu „Quatschen mit Soße“
Für all meine wundervollen Salonlöwinnen und alle leidenschaftlichen Köchinnen
Stille Nacht
„Und? Was machst du so an Silvester?“
Mona spuckte einen Mund voll Zahnpasta ins Waschbecken und drehte sich zu ihrem Mann Albert um, der gerade seine Hose herunterfallen ließ. Sie betrachtete ihn in seinen blau-weiß gestreiften Boxershorts. Zu Nikolaus hatte sie ihm eine mit tanzenden Rentieren geschenkt. Schade, dass er die nicht angezogen hatte. Selbstironie war nie eine seiner Stärken gewesen.
„Du meinst wohl, was wir an Silvester machen?“
»Nein, ich wollte [...]
Für all meine wundervollen Salonlöwinnen und alle leidenschaftlichen Köchinnen
Stille Nacht
„Und? Was machst du so an Silvester?“
Mona spuckte einen Mund voll Zahnpasta ins Waschbecken und drehte sich zu ihrem Mann Albert um, der gerade seine Hose herunterfallen ließ. Sie betrachtete ihn in seinen blau-weiß gestreiften Boxershorts. Zu Nikolaus hatte sie ihm eine mit tanzenden Rentieren geschenkt. Schade, dass er die nicht angezogen hatte. Selbstironie war nie eine seiner Stärken gewesen.
„Du meinst wohl, was wir an Silvester machen?“
„Nein, ich wollte wissen, was deine Silvesterpläne sind“, entgegnete Albert, während er sich aufs Bett setzte, um die Socken auszuziehen. Ihr Blick fiel kurz auf die tiefe Kuhle, die er dabei erzeugte.
Mona warf ihm einen verständnislosen Blick zu und fuhr fort, ihre Zähne zu putzen.
„Ich hab schon was vor.“
„Wie bitte?“ Sie musste sich verhört haben. Kein Wunder, waren ja nur ein paar Millimeter von den Weisheitszähnen bis zum Innenohr. Jetzt legte sie die Zahnbürste doch lieber weg, saugte hastig einen großen Schluck Wasser aus ihrer Handfläche, gurgelte einmal kurz, spuckte hörbar aus und wischte sich flüchtig mit einem Handtuch über den Mund. Dann ging sie ebenfalls rüber ins Schlafzimmer.
Noch vor ein paar Monaten hatte er, wenn sie so in roter Spitzenunterwäsche vor ihm gestanden hatte, seine starken Arme um ihre schlanke Taille gelegt, seine Lippen sanft auf ihre ein wenig zu knöchernen Schultern gepresst und federleichte Küsse auf ihrem Hals platziert. Sie hatte ihren Hals ganz lang gestreckt, um ihm möglichst viel Kussfläche zu bieten und den Genuss so lang wie möglich auszudehnen. Irgendwann hätte er sich mit ihr im Arm langsam auf das Bett zurückfallen lassen. Sie hätte sich in seiner Umarmung und auf seinem kräftigen Körper wohlig und geborgen gefühlt. Und dann hätten sie sich wahrscheinlich geliebt. Routiniert, aber irgendwie schön.
Doch jetzt sah er auf den Boden zu dem Haufen, den er dort aus seiner Kleidung aufgetürmt hatte, und sagte: „Paul hat eine Hütte in der Schweiz gemietet und mich gefragt, ob ich mitkomme.“
„Paul?“ Sie ließ den Haufen liegen, wo er war. Ihr Ton klang gereizt. Kein Wunder. Dieser Heiligabend war eher eine beunruhigend stille Nacht gewesen. Ohne Alexander.
Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, die Zeit der riesigen staunenden Kinderleuchteaugen, in denen sich die bunten Lichter und Glaskugeln eines Christbaumes spiegelten und die einem aus einem pummeligen, in einem unordentlichen Geschenkpapierfetzenhaufen thronenden, Kekse mümmelnden Kleinjungenkörper entgegenstrahlten. Ihr Mann unweit davon am Boden kniend, wieder zum Kind geworden, mit äußerster Konzentration ein neues Playmobil-Ungetüm zusammenbauend – irgendwas Großes, was der Kleine noch nicht hatte –, das nun wochenlang den Boden des Kinderzimmers flächendeckend einnehmen würde.
Das erste Weihnachten ohne ihren einzigen Sohn, der inzwischen sechzehn, eins fünfundachtzig und für ein ganzes langes Jahr bei einer Gastfamilie in Neuseeland war, war Mona plötzlich hohl und sinnlos vorgekommen.
Eigentlich nur aus Gewohnheit hatte Mona wie immer all ihre heiß geliebten Weihnachtsrituale durchgezogen: konditoreiwürdige Plätzchen gebacken, einen Teil in hübsch verzierten Zellophanbeutelchen verschenkt und den Rest in Sammeldosen bis Heiligabend aufbewahrt, damit sie sie bis dahin nicht schon über hatten. Einen Baum geschmückt, ein köstliches Mahl zubereitet und auf Weihnachtsgeschirr serviert. Und natürlich hatten Albert und sie sich auch Geschenke überreicht. Doch all das kam ihr vor wie ein Pflichtprogramm, das die beiden absolvierten. Die anschließende Skype-Unterhaltung mit Alexander hatte fast wie eine Befreiung von dem beklemmenden Smalltalk bei Tisch gewirkt, der genauso auch unter Fremden hätte stattfinden können. Schauspieltalent musste bei ihnen in der Familie liegen, denn alle drei hatten so getan, als wäre alles perfekt. Diesseits und jenseits des Ozeans.
Mona stemmte angriffslustig die Hände in die Hüften.
Na typisch Paul. Das war sein komischer Bergfexfreund, der bei der ersten Schneeflocke die Skier anschnallte. Alberts Jugendfreund, der nie geheiratet hatte und schon ihre ganze lange Ehe über bei ihnen auf der Bettkante saß.
„Ich habe zugesagt.“
Da saß er auch schon wieder. Mitten zwischen ihnen.
„ Wie ? “ Mona war nicht mehr gereizt, sondern einfach fassungslos. „Ohne mich zu fragen?“
Sie ließ sich neben Albert auf die Bettkante fallen. Als könnte er ihre Nähe nicht ertragen, sprang er auf und verschwand im Bad.
„Ich finde, wir brauchen beide mal ein bisschen Abstand“, hörte sie ihn sagen. Das war genau das, von dem sie in letzter Zeit viel zu viel hatten, fand Mona. Abstand. Sekündlich wurde der größer. Gefühlstaub sah sie ihm zu, wie er herauskam und den Gürtel seines Bademantels festzurrte. Er sah aus wie einer dieser Geschäftsleute, die in den Mafiafilmen immer mit in der Sauna sitzen. Diese gepflegten, ein bisschen zu stattlichen, durchtrainierten und aalglatten Typen, die zwar nie die Chefs sind, sich aber um alle krummen Geschäfte kümmern – Zahlen, Konten, Immobilien. Ohne sie anzusehen, verließ Albert das Schlafzimmer. Mona sprang auf und stürmte ihm hinterher.
„Das fällt dir ausgerechnet an Heiligabend ein?“
Albert schwieg, was sie in zwei Sekunden auf hundertachtzig brachte – seit zwanzig Jahren war das ein eingefahrenes Spiel von ihnen, wie ein Neunkommanull-Paarlauf im Eistanz. Er schwieg, sie schrie.
Sie stellte sich ihm in den Weg.
„Wir machen doch sowieso kaum noch was zusammen!“
Albert schob sich an ihr vorbei.
„Meinst du, ich habe nicht gemerkt, wie du dich seit Ewigkeiten davor drückst, mit mir alleine zu sein?“
Albert öffnete den amerikanischen Kühlschrank.
Mona presste die Kühlschranktür wieder zu und lehnte sich herausfordernd dagegen. Albert sah in Monas tiefschwarz funkelnde Augen. Teilnahmslos. In ihren lebendigen, geheimnisvollen Augen war er sonst so gern versunken. Er zog erneut an der Tür und griff sich eine halb volle Weißweinflasche. Sie glitt mit, als wäre sie ein Kühlschrankmagnet.
„Das ist so typisch für dich.“
Albert stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank.
„Hast du ernsthaft erwartet, dass ich jubiliere, wenn ihr mich alle verlasst ? “
Albert zog den Bauch ein, um Mona ja nicht zu berühren, als er an ihr vorbei zu einem gläsernen Wandregal in ihrer offenen Küche ging, das als Bar diente.
„Erst Alex und jetzt du.“
Albert griff nach einer Whiskyflasche und einem Glas.
„Ist das deine Antwort?“
Albert goss sich ungerührt mindestens einen Doppelten ein und nahm einen großen Schluck davon.
„Komm, nimm auch einen“, sagte er ruhig. Doch das konnte bei ihm die Ruhe vor dem Sturm bedeuten. Oft kam es nicht vor, aber wenn, dann war es eine Art Hurrikan.
„Du machst in ganz Deutschland einen auf Mr. Wichtig als Unternehmensberater-Schrägstrich-Spesenritter und findest es wahrscheinlich ganz toll, dass ich rund um die Uhr in meinem Laden aufgeräumt bin. Ich dachte, wir hätten zumindest in der wenigen Freizeit, die wir haben, endlich mal Zeit für uns.“
Er schenkte sich nach und kippte alles in einem Zug runter.
„Nun übertreib mal nicht so maßlos. Sind doch nur ein paar Tage“, meinte Albert monoton. Es schien so, als wolle er für alle Zeiten so weitermachen.
„Ein paar Tage?“ Nun überschlug sich ihre Stimme. Dass sie nach wie vor nur ihre Unterwäsche trug, ließ sie nicht gerade würdevoller erscheinen. Für einen Augenblick sammelten sich Tränen in ihren Augen. „Ein paar Tage, die du lieber mit diesem Scheiß-Paul verbringst! Das war der schrecklichste Heiligabend meines Lebens! Und wer Silvester getrennt verbringt, ist im neuen Jahr nicht zusammen!“, schrie sie.
„Du bist auf dem besten Weg dahin, wenn du so weitermachst.“ Sein nachgesetztes „Meine Liebe“ klang so gar nicht lieb. Er drehte Mona den Rücken zu, goss sich noch mal Whisky nach und schlenderte betont lässig zum englischen Ledersofa.
„Ich fahre in die Berge. Punkt.“
Sein Plumps in die weichen, abgesessenen Polster untermauerte seine Ansage. Die Sprungfedern ächzten geräuschvoll.
Für Mona war das ganz und gar inakzeptabel. Sie strebte immer nach klaren Verhältnissen – auch wenn sie diese erzwingen musste. Doch manchmal konnte ihre Hartnäckigkeit ganz schön destruktiv sein. Dies war so ein Moment. Nur blöd, dass sie das nicht merkte.
„Herr Albern fährt also in die Berge.“
Eine Reaktion hielt er nicht für nötig, nahm sich stattdessen die Fernsehzeitschrift und blätterte planlos darin herum.
„Ich frag mich, was du da willst. Den Kamin anfeuern? Du kannst ja noch nicht mal Ski fahren. Ach ja, so wie wir deinen Paul kennen, seid ihr da ja nicht alleine.“
„Garantiert nicht“, konterte Albert und legte die Zeitschrift ab. Sein Blick war die reine Provokation. „Und das Schönste ist: Du bist nicht da.“
Mona schnappte nach Luft. Blitzschnell griff sie sich Alberts Handy, das auf dem Couchtisch lag, und drehte sich um. „Und du auch nicht! Ich werde nämlich absagen.“ Sie wusste, dass Pauls Nummer als Kurzwahl auf der 4 gespeichert war, nach ihrer, der von Alexander und Alberts Arbeit. Albert konnte sich kaum vom Sofa erheben, da war sie schon aus dem Zimmer gestürmt und hatte gewählt. In der Ewigkeit, die sie dem Klingelton lauschte, war Albert zu ihr gestürmt und hielt sie am Arm. „Gib mir das Handy. “ Albert klang immer noch ruhig.
„Hallo?“, rief Mona aufgeregt in den Hörer.
„Sofort. Du gibst mir jetzt dieses Handy!“
„ Paul ? “
In ihrem sexy Wäscheset sah sie aus wie eine amerikanische Dessouswrestlerin, als sie sich seinem Griff entwand und ins Bad davonrannte, atemlos ins Telefon zischend : „ Hier ist Mona. Ja, die ! Hör endlich auf, in unserer Beziehung herumzupfuschen, du Arsch ! “
Albert würde nie handgreiflich werden, das wusste Mona genau. Richtig hilflos blickte er drein, als er so ein paar Millimeter vor Mona stand, die sich in ihre böse Zwillingsschwester verwandelt hatte, und er wie eine hängende Schallplatte immer denselben Satz wiederholte: „Gib mir sofort mein Handy wieder.“
„Albert kommt nicht mit auf deine beschissene Hütte, und am besten löschst du seine Nummer! Sofort! Kapiert? Mir reicht’s jetzt nämlich mit deinem blöden Studentengetue!“
Albert schnappte nach dem Handy. Mona wand sich wie ein Aal. Wenn Albert nicht mit ihr ringen wollte, hatte er keine andere Wahl, als sie festzuhalten, bis sie sich beruhigt hatte. Doch hier traten zwei ungleiche Gegner an: tapsiger Bär kontra wendiger Lachs.
„Such dir ein eigenes Leben, du Loser, und lass uns ein für allemal in Frieden!“, schrie sie noch, streckte den Arm aus, öffnete die Hand und überließ das Handy dem freien Fall. Direkt in die Kloschüssel.
Albert war so verdutzt, dass er nur hinterherstieren konnte. Auf der Stelle ließ er von ihr ab. Mona betätigte die Spülung, und er beobachtete das Wasserballett seines Telefons. Fragend sah er sie an, sah ihren entschlossenen Blick, ihre plötzlich männlich-harten Züge, die so gar nicht zu ihrem weiblich-weichen Körper passen wollten. Wortlos krempelte er seinen Bademantelärmel hoch, fischte das Gerät aus seinem nassen Grab und verließ das Badezimmer. Mona klappte den Klodeckel runter und ließ sich erschöpft darauf fallen. So weit war es noch nie gekommen – die Rücksicht auf Alexander ließ sie sonst immer die Contenance bewahren. Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Auf in die zweite Runde.
Sie nahm ihren Bademantel von einem Haken an der Wand und schlüpfte hinein. Henry Maske auf dem Weg in den Ring.
Die Hände in die Seiten gestemmt, baute sie sich zwischen Albert und dem Fernseher auf. In ihrem Rücken sang irgendein Opernstar Stille Nacht mit italienischem Akzent.
Albert sah zu ihr hoch und ließ seinen Blick eine Weile auf ihr ruhen.
Dann stellte er sachlich fest: „Wir brauchen definitiv Abstand. Silvester bin ich auf der Hütte. Punkt.“
„Weißt du was?“
„… nur das traute hochheilige Paar …“, sang der beleibte Italie ner.
„Du kannst dich jetzt gleich auf den Weg machen.“ Ihre halbe Drehung war einer Tänzerin würdig. „Punkt.“ Ihr ausgestreckter Finger landete auf dem „Aus“-Knopf des Plasmafernsehers, und bevor Albert reagieren konnte, war sie schon im Schlafzimmer verschwunden.
Keine zehn Minuten später schleppte sie einen Koffer ins Wohnzimmer und warf ihn Albert vor die Füße. Unter anderen Umständen hätten sie in ihren Partnerlook-Bademänteln ein hübsches Pärchen abgegeben.
„Tschüss!“ Wieder schaltete sie den Fernseher aus. „Viel Spaß mit deinem Loserfreund!“
Jetzt hatte sie Albert tatsächlich zum Brüllen gebracht : „Worauf du dich verlassen kannst!“ Wutentbrannt sprang er auf. Und stieß mit dem großen Zeh gegen den Koffer.
„Verdammt!“ Fluchend humpelte er ins Schlafzimmer, wo Mona ihn schimpfend herumhantieren hörte, während sie sich einen Weißwein eingoss, um sich damit aufs Sofa zu setzen und mit wachsender Verzweiflung den Koffer anzustarren. Auf einmal waren die vergangenen Stunden ein einziger dichter Nebel. Als wäre sie bewegungsunfähig in einer Lawine gefangen und müsste auf Hilfe von außen warten. Wenn Albert erst mal richtig in Fahrt war, war der Strohhalm zerbrochen, an den sie sich gerne geklammert hätte. Ihm nachzugehen oder versuchen einzulenken hatte jetzt keinerlei Wirkung mehr. Wie war sie nur in diesen Schlamassel geraten ?
Ohne ein Wort kam Albert – jetzt in voller Wintermontur ( Daunen kleideten ihn wirklich nicht, er sah aus wie ein Michelin-Männchen ) – herein, nahm den Koffer und sein Handy, das er zum Trocknen auf die Heizung gelegt hatte, und rauschte wieder aus dem Zimmer. Wie festgeschraubt blieb Mona auf dem Sofa sitzen, ihr Weinglas immer noch in der Hand. Die Stimme, die ihm „Frohes neues Jahr“ hinterherrief, bevor die Wohnungstür ins Schloss fiel, schien nicht ihr zu gehören. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, und schon konnte sie diese gespenstische Stille nicht mehr ertragen. Ein Adrenalinschub verdrängte die Schockstarre in ihrem System. Sie musste was tun. Instinktiv griff sie zum Telefon. Beim hektischen Durchsuchen ihrer Kontaktliste wurde ihr flau im Magen. Scheiße, ihre Mutter war ja in Thailand. Die überwinterte da wie jedes Jahr. Schon früher waren sie beide in den Weihnachtsferien meist in den Urlaub gefahren, anstatt so richtig traditionell zu feiern, darum hatte Mona später an Heiligabend eigentlich nie mit ihr gerechnet. Der plätzchenbackende Omatyp war ihre Mutter nun mal nicht. Die Kosten für einen Flug nach Thailand hätte Mona auf sich genommen, aber im Yogakloster war Handyverbot.
Selbst als Schlüsselkind hatte sie sich nicht so schrecklich klein und allein gefühlt.
Weiter in der Liste. Scheiße, überall nur die Mailbox. Klar. Alle hatten was Besseres zu tun, als ihr Gejammer anzuhören: emotionsgeladene Familienzusammenkünfte, mehrgängige Abendessen, kurzweilige Spieleabende, wehmütige Diavorträge, innige Liebesurlaube in Luxushotels und abgelegenen Refugien. Einer Hütte zum Beispiel. Aaaaah, sie hasste Albert dafür, dass er ihr Weihnachtsidyll zerstört hatte. Sie hätte ja sogar ein Silvester zusammen mit Paul in Kauf genommen … Aber so war er eben: einer, der nicht lange fackelte. Eigentlich hatte sie genau das immer an ihm gemocht. Ihren Heiratsantrag hatte sie auch überraschend schnell bekommen. Da hatte sie seine stoische Sicherheit toll gefunden, die unverrückbare Gewissheit, dass sie beide zusammengehörten – komme, was wolle. Doch jetzt hätte sie sich gewünscht, dass er nicht so entschlossen wäre und schleunigst wieder zur Vernunft käme. Denn das war doch verdammt noch mal sein Part in ihrer Beziehung – der Vernünftige. Ihrer war, sich ständig was Neues einfallen zu lassen.
Zwei Nachrichten hinterließ sie, eine schließlich doch bei ihrer Mutter und eine bei ihrer ehemaligen Arbeitskollegin Annette, mit der sie bei der Foodagentur gerne ihre Pausen verbracht hatte. Und dann nervte sie ihre weinerliche Stimme selbst schon derart, dass sie nur noch fluchte, wenn mal wieder keiner ranging. Schnell war sie bei Z angelangt. Fast nur Geschäftskontakte oder Paare, die Albert und sie gemeinsam kannten. Ja, in der Schule, da hatte es Susi gegeben, Monas richtig dicke Busenfreundin über Jahre, aber als sie beide verheiratet waren, war ihnen ihre enge Freundschaft irgendwie abhandengekommen. Nichts Ungewöhnliches bei Menschen in langen Beziehungen, deren Austauschbedarf von Intimitäten jeglicher Art ja durch den Partner und die Familie meist hinreichend gedeckt wurde. Mona war da keine Ausnahme. Mit Alexander, Albert, ihrem vielschichtigen Beruf und ab und an den Schwiegereltern war sie bisher gut ausgelastet gewesen.
Ein wütender Schluchzer erschütterte Monas schlanken Körper, und dann kullerten endlich große Tränen über ihre Wangen. Sie holte sich eine Schachtel Kleenex aus dem Bad. So viel Flüssigkeit, wie aus ihr rauslief, goss sie an Wein nach. Der Grinch im Fernsehen war keine Hilfe.
Stille Tage
Mona drehte den Schlüssel im Schloss um. Sie trat in die kühle Stille ihres Kochbuch-Ladencafés ein, und in diesem Moment hatte sie zum ersten Mal wieder das Gefühl, dass sich ihre Schultern entspannten.
Dies war ihre Kirche. Ein Ort des Friedens und der sich geradezu religiös stetig wiederholenden Rituale. Lichter anschalten, Heizung hochdrehen, Kassencomputer hochfahren, Kaffeemaschine aufheizen, Kühltheke aktivieren und mitgebrachte selbst gebackene Kuchen darin ansprechend platzieren, Spülmaschine ausräumen, Anrufbeantworter abhören, Post sichten, bestellte Bücher auspacken und an ihren Plätzen in den Regalen einsortieren, Verlagskataloge mit den Neuerscheinungen durcharbeiten und Bestellungen aufgeben. Wie ferngesteuert verrichtete Mona heute all jene Aufgaben, die ihr bislang so viel Erfüllung gegeben hatten. Und sie war mehr als dankbar, dass sie nicht in diesem Zustand wie noch vor Kurzem fröhlich den lieben langen Tag Gute-Laune-PR für die Luxusfood-Agentur machen, Juhuartikel verfassen und Jippiehaktionen erfinden musste. Wahrscheinlich hätte sie sich krankschreiben lassen, damit niemand aufgrund ihrer rot geäderten Augen indiskrete Fragen stellte.
Ja, auch heute, am Tag drei nach Alberts Verschwinden, bereute sie nicht, vor einem halben Jahr den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. Was nicht hieß, dass sie sich das nicht anders vorgestellt hatte. Irgendwie war ihr Leben plötzlich wie eines dieser Schiebepuzzle, wo gar nichts mehr passte, sobald man ein einziges Steinchen an die falsche Stelle schob. Ihr Bild war vollkommen gewesen: Bis zum Nachmittag führt sie ihr gemütliches Ladencafé, das wie eine private Bibliothek aussieht, alleine, bis Alexander aus der Schule oder von seinen anderen Aktivitäten zu ihr kommt. Sie trinken zusammen Kaffee, essen Kuchen, dann macht er seine Hausaufgaben. Wenn starker Kundenandrang ist, unterstützt er sie und lernt sich dabei in das Geschäft ein. Auf dem Nachhauseweg hilft er ihr beim Einkaufen. Sie bereitet das Abendessen zu, das sie gemeinsam mit Albert einnehmen. Das hatte Mona sich nie nehmen lassen, selbst wenn es noch so hoch hergegangen war. Beim Kochen konnte sie sich entspannen, ihrer ganzen Kreativität freien Lauf lassen und nebenbei die Menschen glücklich machen, die ihr am liebsten waren. Mona fror oft – eigentlich rund um die Uhr und so war das Kochen nicht nur ihre große Leidenschaft, sondern auch ein bisschen Überlebenstrieb. Küchen waren die einzigen Räume, in denen es immer warm war. Deshalb mussten es auch Kochbücher sein, die sie unter die Leute bringen wollte. Ihre private Sammlung war schon beachtlich, doch in ihrem Laden könnte sie einfach alles bestellen, was sie immer schon interessiert hatte.
Dagegen präsentierte sich der Istzustand wie ein Picasso- Gemälde aus seiner sehr abstrakten Phase. Aber wer hatte welches Steinchen wohin geschoben? Kaum hatte Mona ihren Laden eröffnet, hatte Alexander Fluchtgedanken geäußert. Hätte er nicht nach Frankreich (wenigstens kulinarisch interessant) oder meinetwegen sogar Finnland (durchaus neuseelandtauglich: Viel Wasser rundherum, dafür wenig Menschen, die wenig reden) gehen können? Kaum war er abgereist, da schien es Mona, als würden sich auch zwischen Albert und ihr Kontinente auftun. Wenn sie’s recht bedachte, hatte ihr Mann neuerdings auch was von einem Finnen: Er redete wenig (und wenn, dann unverständlichen Arbeitskauderwelsch) und trank viel. In seinem Schlossgraben, den er um seine beredt schweigende Festung errichtet hatte, floss giftig brodelndes Wasser, seine Zugbrücke war meist hochgezogen. Auf jeden Fall war sie seit Heiligabend hermetisch abgeriegelt, denn seitdem hatte Mona kein Lebenszeichen mehr von ihm vernommen.
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