Schattenwanderer (Die Chroniken von Siala 1) - eBook-Ausgabe
Die Chroniken von Siala 1
„Fantasiereich, actionbeladen und von einem Meister seines Fachs geschrieben. Vielleicht ein Quentin Tarantino der Phantastik.“ - http://rezensent.info
Schattenwanderer (Die Chroniken von Siala 1) — Inhalt
Nach Jahrhunderten des Friedens ist der namenlose Schrecken erwacht. Eine riesige Armee formiert sich in den Öden Landen. Tausende Giganten, Oger und Kreaturen des Todes finden sich zusammen – erstmals unter dem gemeinsamen schwarzen Banner; erstmals vereint im Sturm auf die Stadt Awendum … Es sei denn, der Schattenwanderer und Meisterdieb Garrett kann sie aufhalten. Von der verbotenen Zone Awendums, der Heimat der lebenden Toten, führt Garretts Weg bis ans Ende der Welt. An der Seite einer Elfenprinzessin und der unerbittlichsten Krieger des Königreichs zieht der Schattenwanderer in einen Kampf, der ebenso aussichtslos wie unausweichlich ist. Es ist ein Kampf, der die Geschichte der Helden neu schreiben wird …
Leseprobe zu „Schattenwanderer (Die Chroniken von Siala 1)“
Kapitel 1
Nacht
Für Männer wie mich ist die Nacht die beste Zeit. Erst wenn rechtschaffene Menschen bereits selig in ihren warmen Betten schlummern und die letzten Bewohner Awendums durch die finstere Juninacht nach Hause eilen, verlasse ich das Haus. Die Nacht. Die Stille. Nur die Schritte der Stadtwache hallen mit dumpfem Echo von den Mauern der Häuser wider und werden durch die dunklen, bis zum Morgen ausgestorbenen Straßen -getragen.
Die Wache bewegt sich schnell, hastig, beinahe hüpfend, und in den dunkelsten Gassen fällt sie in Trab. Die Soldaten [...]
Kapitel 1
Nacht
Für Männer wie mich ist die Nacht die beste Zeit. Erst wenn rechtschaffene Menschen bereits selig in ihren warmen Betten schlummern und die letzten Bewohner Awendums durch die finstere Juninacht nach Hause eilen, verlasse ich das Haus. Die Nacht. Die Stille. Nur die Schritte der Stadtwache hallen mit dumpfem Echo von den Mauern der Häuser wider und werden durch die dunklen, bis zum Morgen ausgestorbenen Straßen -getragen.
Die Wache bewegt sich schnell, hastig, beinahe hüpfend, und in den dunkelsten Gassen fällt sie in Trab. Die Soldaten haben Angst. Ich kann unsere kühnen Gesetzesdiener durchaus ver-stehen. Natürlich sind es nicht die Menschen, die ihnen Angst einjagen. Sollte tatsächlich ein Wahnsinniger die Frechheit besitzen, einen Angriff auf die Stadtwache zu wagen, so bekäme er es mit ihren schweren Hellebarden zu tun. Nein, die Soldaten fürchten sich vor etwas ganz anderem. In unseren unruhigen Zeiten gibt es nämlich weit gefährlichere Wesen, die sich des Nachts auf die Jagd begeben. Und Sagoth stehe ihnen bei, wenn diese Kreaturen hungrig sind.
Der Schatten bietet allen einen Unterschlupf, sowohl den friedlichen Bürgern, die in ihrer Angst vor gefährlichen Mitbürgern Schutz suchen, wie auch den Dieben, die in ihm lauern, das Messer unter dem Umhang verborgen haben und auf solide Bürger warten. Oder er gewährt ebenjenen Kreaturen Schutz, die in ihm leben und in den Nächten die einen wie die anderen jagen.
Glücklicherweise bin ich diesen Dämonen, die in der Stadt aufgetaucht sind, seit sich der Unaussprechliche und seine Helfershelfer nach Jahrhunderten der Ruhe wieder in den Öden Landen regen, bisher kein einziges Mal begegnet. Deshalb lebe ich wohl noch.
Die Schritte der Soldaten verebbten in der Nachbarstraße. Auf Befehl von Baron Frago Lonton, dem die Stadtwache von Awendum unterstand, waren alle Patrouillen verdreifacht worden. Denn das, was den Unaussprechlichen in den Öden Landen noch bannte, verlor an Kraft, und schon bald würde er aus der ewigen Eiswüste in unsere Welt einfallen. Der Krieg rückte näher, wie sehr der Orden der Magier und die unzähligen Priester ihm auch entgegenzuwirken suchten. So war es nur eine Frage der Zeit, ein halbes Jahr noch, vielleicht ein ganzes, bis geschehen würde, -womit man uns in unserer Kindheit eingeschüchtert hatte. Der Unaussprechliche würde zu den Waffen rufen, hinter den Nadeln des Frosts auftauchen, der Albtraum beginnen … Selbst in der Hauptstadt traf man inzwischen seine immer frecher auftretenden Anhänger. Und ich war mir keineswegs sicher, dass die -Wilden Herzen, diese tapferen Soldaten aus der Festung Ein-samer Riese, eine Heerschar von Ogern und Riesen aufzuhalten vermochten.
Alles war still, und zwar so still, dass man hören konnte, wie die Falter mit ihren spröden Flügeln durch die nächtliche Kälte flatterten. Allmählich müsste ich meinen Gang fortsetzen, schließlich war die Wache längst weitergezogen. Aber heute neigte ich zu größerer Vorsicht als sonst … ein unerklärliches Gefühl zwang mich, an der Mauer eines im Schatten liegenden Gebäudes zu verharren.
Der Schatten ist mir wohlgesonnen, liebt mich, hilft mir. Ich verstecke mich in ihm, lebe darin, nur er ist stets bereit, mich aufzunehmen, vor Pfeilen zu retten, vor den Klingen, die in einer Mondnacht gierig aufblitzen, oder den blutdürstigen goldenen Augen der Dämonen. Bruder For, jener gute Priester Sagoths, hat einmal behauptet, der Schatten sei der Bruder des Dunkels. Und vom Dunkel sei es nicht weit bis zum Unaussprechlichen. Unfug ! Als wären das nicht völlig verschiedene Dinge ! Da könnte man ja gleich einen Oger und einen Riesen miteinander vergleichen ! Schatten bedeutet Leben, Freiheit, Geld, Macht und Ehre. Garrett der Schatten wird wissen, wovon er spricht. Schatten entsteht nur, wenn es wenigstens einen Funken Licht gibt, insofern ist der Vergleich mit dem Dunkel dumm, wenn nicht noch mehr als dumm. Das habe ich meinem alten Lehrer natürlich nicht gesagt. Das Ei hat der Henne nichts beizubringen.
In der engen Gasse der Handwerker mit ihren Steinhäusern, die bereits die Stillen Zeiten gesehen hatten, ließ sich kein ein-ziger Laut vernehmen, nur ein Blechschild über einer Bäckerei klapperte im Wind. Der träge dahinwogende, graugelbe Juni-nebel, für den unsere Hauptstadt berühmt war (angeblich der Trick eines halbgebildeten Magiers aus der Vergangenheit, gegen den selbst die Gesamtheit der Erzmagier nichts auszurichten vermochte), begrub das Pflaster unter sich, das unter dem Gewicht zahlloser Karren abgesunken war.
Alles blieb still.
So still wie in der Gruft eines reichen Mannes, wenn ihr ein Haufen kleiner Diebe einen Besuch abgestattet hatte. Das Schild klapperte, der Wind blies, die Wolken zogen langsam über den Nachthimmel. Aber ich rührte mich immer noch nicht vom Fleck, blieb mit dem Schatten des Gebäudes verschmolzen stehen. Intuition und Lebenserfahrung ließen mich in die Stille -hineinlauschen. Nicht einmal eine völlig ausgestorbene Straße kann derart leise sein, niemals. Nachts muss es Geräusche geben. Ratten, die im Müll rascheln, ein Betrunkener, der schnarcht und den Taschendiebe bereits ausgenommen hatten, bevor er in irgend-eine Nische sackte. Das Schnarchen aus den Fenstern der steingrauen Häuser, ein dreckiger Köter, der durch die Dunkelheit schleicht. Der schwere Atem eines frischgebackenen Räubers, der in Erwartung seines Opfers das Messer mit schweißfeuchter Hand umklammert. Der Lärm in den Läden und Werkstätten, in denen nachts gearbeitet wird. Doch nichts von alldem war in der dunklen, unter einem Nebelbett liegenden Gasse zu hören. Nichts, nur Stille und Finsternis.
Der Wind strich nun heftiger über die Dächer der alten Gebäude, jagte die schweren grauen Wolken wie eine Herde riesiger Schafe über den Himmel. Ausgelassen zerzauste er mir das Haar, aber ich wagte es nicht einmal, mir die Kapuze überzustreifen.
Bei Sagoth ! Was braute sich hier zusammen ?
Als habe der ruhmreiche Gott aller Diebe mein Gebet erhört, schien er mir geschärfte Hellhörigkeit zu schenken, denn nun vernahm ich Schritte. Die hastigen Schritte eines Menschen, die nicht einmal der graugelbe Nebel schluckte. In der Nische im Haus gegenüber nahm ich im Dunkel eine flüchtige Bewegung wahr.
Wer versteckte sich da ? Ich spähte in die tintenschwarze Nacht. Nein, nichts. Ich hatte mich getäuscht, witterte Gefahr, wo sie gar nicht existierte. Dennoch hielt mich eine energische Hand unverändert zurück und verlangte: Warte ! H’san’kor soll mich fressen ! Was geht hier vor ?
Die Schritte klangen immer lauter. Der Mann näherte sich aus der Straße, in die vor fünf Minuten die Stadtwache eingebogen war. Ich rührte mich nicht und versuchte, mit dem Schatten zu verschmelzen.
Schnellen Schrittes, fast schon rennend, bewegte sich der Mann in meine Richtung. War er ein Dummkopf oder ein Held, sich -allein in die Dunkelheit hinauszuwagen ? Ersteres vermutlich, denn Helden leben in unserer Welt nicht lange. Allerdings gilt das auch für Idioten – sofern es sich nicht um die Narren unseres ruhmreichen Königs handelt. Welche dringenden Angelegenheiten hatten diesen Mann bewogen, in eine Straße einzubiegen, in der nicht einmal Öllampen brannten – denn welcher Lampen-anzünder würde sich schon hierher trauen ? Wir leben nicht mehr in den Stillen Zeiten, als jedes Kind in tiefster Nacht noch gefahrlos von einem Ende Awendums zum anderen spazieren konnte, ohne dass ihm etwas geschah.
Der Unbekannte kam immer näher. Ein großer Mann in guter, ja, prachtvoller Kleidung. Eine Hand ruhte auf dem Griff eines soliden Schwerts. Vielleicht ein Höfling …
Die Wolken zogen erneut über den Himmel, schoben sich vor die Sterne, verwandelten die Dunkelheit in undurchdringliche Finsternis. Selbst als der Mann auf meiner Höhe war, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Er bemerkte den reglos im Schatten lauernden Schatten natürlich nicht. Ich bräuchte bloß die Hand auszustrecken und könnte ihm den prallen Beutel vom Gürtel fingern. Aber ich bin kein kleiner Taschendieb mehr, der sich zu dergleichen herabließe. Die Zeit der Jugend war lang vorbei, -inzwischen hatte mich das Leben gelehrt, mich bisweilen nicht zu rühren, ja, nicht einmal tief Luft zu holen.
In der Nische gegenüber geriet das Dunkel ein weiteres Mal in Bewegung, ballte sich zu einer schwarzen Blume des Todes. Ich erstarrte in eiskaltem Entsetzen. Dunkel riss sich aus dem Dunkel, nahm die Form eines geflügelten Wesens an, eines Dämons mit gehörntem Schädel, in dem blutrote schmale Augen funkelten. Wie eine Lawine im Zwergengebirge rollte er über den hastenden Mann hinweg und begrub ihn unter seinem kolossalen Gewicht. Der Mann jammerte gleich einer verletzten Katze auf und versuchte, sein Schwert zu ziehen. Doch vergeblich. Das -Wesen hatte sich fest in ihn verkrallt. Dann stieg der Dämon in den nächtlichen Wolkenhimmel auf, das frische Fleisch und vielleicht auch die Seele des Mannes mit sich davontragend. Die kohlschwarze Silhouette zeichnete sich kurz am Himmel ab, -bevor sie endgültig verschwand.
Krampfhaft versuchte ich, wieder ruhig zu atmen. Die Kreatur hatte nicht gemerkt, dass ich ihr die ganze Zeit schon gegenübergestanden hatte, aber wenn ich mich gerührt hätte, wenn ich mich nur einmal gerührt hätte, wenn ich nur etwas geräuschvoller geatmet hätte, wäre sie gewiss über mich hergefallen. Ich hatte also Glück gehabt. Ungeheures Glück. Wieder einmal. Doch das Glück eines Diebes ist eine flatterhafte Dame, die sich jederzeit abwenden kann. Solange sie mir freilich die Treue hält, bleibe ich bei meinem Handwerk.
Jetzt fiepte in der dunklen Nische im Haus gegenüber eine Ratte, dann noch eine, eine Fledermaus jagte die späten Juni-falter.
Die Gefahr war vorüber, endlich konnte ich meinen Weg fortsetzen. Ich löste mich von der Mauer, hielt mich aber weiterhin in möglichst dunklen Bereichen der Straße. Nichts deutete auf das, was sich eben ereignet hatte. Allein die Straße war zum stummen Zeugen der nächtlichen Jagd dieses Dämons geworden.
Zum Glück war es eine mondlose Nacht, und die Schäfchenwolken schirmten die Stadt gegen die Sterne ab, sodass es nun mehr als genug Schatten gab. Lautlos und mit schnellen Schritten huschte ich von Haus zu Haus, von Schatten zu Schatten. Die Straße der Bäcker lag bereits hinter mir, nun bog ich in die Gasse rechter Hand ein. Hier war der Nebel noch dichter, er fasste mit weichen Tatzen nach mir, erstickte meine Schritte, entzog mich den Blicken von Mensch und Nicht-Mensch.
Plötzlich flüsterte jemand im Schatten. Ich blieb stehen und spähte in die graugelbe Finsternis. Diebe. Junge Diebe. Warteten sie auf einen nächtlichen Passanten oder wollten sie ihre schlafenden Mitbürger um ihr Hab und Gut erleichtern ? Diese Grünschnäbel. Was die für einen Lärm machten ! Meisterdiebe verständigen sich mit Gesten, geben selbst in einer Nacht wie dieser, in der der klebrige Nebel jedes Geräusch schluckt, keinen Laut von sich. Als ich an ihnen vorbeischlich, bemerkten mich diese Möchtegerndiebe nicht einmal, denn ein ungeschultes Auge erkennt den Schatten im Schatten nicht ohne Weiteres. Am liebsten wäre ich aus dem Nebel herausgesprungen und hätte sie wie ein Kind mit einem „ Buh ! “ erschreckt. Aber womöglich hätten sie mich dann abgestochen. Abgesehen davon: Warum sollte ich diese Milchbärte überhaupt erschrecken ?
Die dunkle Gasse endete, die hohen Mauern der Häuser, die in dieser Welt schon mancherlei Freude und Kummer gesehen hatten, wichen zurück. Der Wind hatte die Wolken inzwischen wieder auseinandergetrieben, sodass sich der Himmel in ein Tischtuch verwandelt hatte, auf dem ein reicher Mann seine Münzen ausgeschüttet haben musste. Hunderte, Tausende von Sternen beleuchteten mir die kalte Sommernacht.
Hier brannten zudem einzelne Laternen, schließlich hatte ich einen der großen Plätze erreicht, an denen die Lampenanzünder ungeachtet ihrer Furcht ihre Arbeit verrichten mussten. Die Flammen unter der Glashaube warfen einen flackernden Lichtfleck, bizarre Schatten tanzten stumm an den Hauswänden. Das war schlecht. Ich hoffte, der Wind würde seine grauen Schäfchen noch einmal über den Himmel treiben. So lange hielt ich mich -jedoch besser im Schatten, presste ich mich gegen das Gemäuer.
Ich befand mich am Grok-Platz. Grok selbst stand in seiner Mitte und musterte mich wortlos mit Augen, denen nichts entging. Grok war ein Kriegsherr, der in grauer Vorzeit unser Königreich vor einem Einfall der Orks gerettet hatte. Jetzt stand er als Bronzedenkmal mitten auf dem Platz, auf dem es früher selbst nachts von Menschen nur so gewimmelt hatte.
Gleich hinter dem Denkmal lag das Ziel meines nächtlichen Ausflugs.
Ein gewaltiger klotziger Steinbau, umgeben von einer hohen, zinnenbewehrten Mauer aus Steinquadern, die im Zwergen-gebirge gehauen worden waren, in jenen Zeiten, als diese Rasse -unserem Königreich noch freundlich gesonnen war. In diese Mauer waren vier Fenster eingelassen, in denen sich der Himmel und die Sterne spiegelten. Ein völlig geschmackloses Monstrum, obendrein eine ungeheure Geldverschwendung – was man gegenüber Kronherzog Pathy jedoch besser nicht erwähnte. Leisten konnte er sich seine architektonischen Vorlieben jedenfalls nur, weil er als Cousin des Königs für die Staatskasse verantwortlich war. Darüber hinaus frönte er noch der Liebe zu minderjährigen Jungen. Doch auch über diese kleine Schwäche ging man besser hinweg, da man andernfalls eines schönen Tages womöglich ein Messer im Rücken hatte.
Der König duldete die Neigungen seines lieben Anverwandten. Noch. Denn Seine Hoheit war, wie es hieß, Menschen, die mit Staatsgeldern um sich warfen, nicht allzu gewogen.
Die zwanzig Meter lange Fassade des Hauses begrenzte auf beiden Seiten jeweils ein hoher Rundturm mit Flachdach. Im linken Turm gab es ein sieben Yard breites Holztor mit schweren, eisenbeschlagen Flügeln, durch das bequem vier Reiter nebeneinander passten. Dieses Tor brauchte mich nicht zu kümmern. Das war nur für geladene Gäste.
Ich rannte schnell über den beleuchteten Platz, um im Schatten der Kolonnade eines Gebäudes zu erstarren, das links vom Denkmal lag. Die hohen, mit kunstvoller Schnitzerei versehenen Säulen der Bibliothek spendeten undurchdringliches Dunkel. Die Städtische – oder, wem das besser gefiel, die Königliche – -Bibliothek. Pilgerstätte der Magier und Geschichtsschreiber. Ab und zu suchten sogar Mitglieder des Hofes sie auf, um ihr Wissen zu mehren. Meist begaben sich Adlige, die studieren wollten, -jedoch gleich nach Ranneng, in die Stadt des Wissens.
Der Grok-Platz lag völlig verlassen, wie alle Straßen in Awendum.
Der Unaussprechliche erwachte erst allmählich. Die Nacht war voller Gefahren. Nur Diebe erledigten jetzt ihre Arbeit. Natürlich längst nicht alle Diebe, sondern einzig die geschicktesten und kühnsten. Oder die gierigsten und dümmsten. Nur diejenigen von ihnen, die das Dunkel dieser Juninacht nicht schreckte. Und die Stadtwache war unterwegs, hastete durch die Straßen, sah sich verängstigt um und zog jedes Mal den Kopf ein, sobald im Schatten etwas raschelte. Schauerlich. Es war wirklich schauerlich. Die unsichtbaren Finger der Angst hielten Awendum gepackt. Und obwohl sich die Menschen immer wieder versicherten, der Orden ließe nichts unversucht, um die Dämonen zu -töten, konnte ihnen nichts die Angst vor der heraufziehenden Nacht nehmen.
Gut, ich drückte mich besser nicht länger auf dem Platz herum, sondern machte mich endlich ans Werk. Ich betrachtete das Ziel meiner nächtlichen Mission. Der Palast des Kronherzogs schien ausgestorben. Weder am Tor noch auf der Mauer gab es Wachtposten. Wahrscheinlich hockten sie drinnen und klapperten mit den Zähnen. Ich konnte sie verstehen, schließlich würde auch ich jetzt in meinem Unterschlupf sitzen, müsste ich nicht diesen Kontrakt erfüllen.
Der Auftrag war aus heiterem Himmel an mich herangetragen worden. Jemand zeigte Interesse an einer bestimmten Sache aus dem Palast des Kronherzogs. Er zahlte gut, sogar hervorragend. Mit diesem Geld könnte ich zwei Monate lang die Hände in den Schoß legen. Angeblich bräuchte ich bloß in das Haus hineinzuspazieren und das Ding an mich zu nehmen, da der Herzog mit seinem Gefolge zur Jagd in den Wäldern vor der Stadt aufge-brochen war. Die Hirschjagd soll in diesen finsteren Zeiten ja die Stimmung heben.
Auf den ersten Blick also das reinste Kinderspiel. Rein ins Schloss, wieder raus, fertig.
Ich tastete meine Ausrüstung und Kleidung sorgfältig ab, um ein letztes Mal zu kontrollieren, ob nichts fehlte. Der graue Umhang mit Kapuze, die grauen Handschuhe, die schwarzen Hosen und Stiefel. Ein langes zweischneidiges Messer, das ich wie üblich mit zwei Lederriemen am Schenkel festgeschnallt hatte, damit es mich nicht in meinen Bewegungen einschränkte, wenn ich rannte. Ein Kurzschwert, wenn man so will, knapp eine Elle lang. Ich hatte ein hübsches Sümmchen in Gold für die Klinge hingegeben. Sie war mit einem Silberstreifen gesäumt, sodass ich mit ihr sogar einen Kampf gegen einen Zombie oder gegen jeden anderen Wiedergänger wagen konnte. Selbst wenn ich nicht als Sieger aus ihm hervorginge – mit heiler Haut würde ich ihn auf alle Fälle überstehen. Gut, möglicherweise mit einem abgehackten Arm. Mit dem schweren Griff konnte ich zudem übereifrigen Wachtposten eins über den Schädel ziehen. Denn nicht der ist ein Meisterdieb, der einer Wache die Kehle durchschneidet, sondern der, der lautlos daherkommt, eine Sache an sich nimmt, genauso leise wieder verschwindet und möglichst wenig Spuren und demzufolge auch möglichst wenig Leichen hinterlässt.
Über meiner Schulter hing eine kleine leichte Armbrust, die mit kurzen dicken Bolzen mit vierzahniger Stahlspitze geladen wurde. Aber nicht nur mit ihnen. In einem magischen Laden fand man auch noch andere Bolzen. Die sich entzündeten oder mit sonstigen Tricks überraschten. Dafür brauchte man nur Geld. Viel Geld. Wer etwas von seiner Sache verstand, schoss dann mit dieser kleinen Armbrust einem Menschen aus siebzig Schritt Entfernung ein Auge aus.
In dem kalbsledernen Beutel, der an meinem Gürtel hing, steckten ein paar Fläschchen mit magischen Flüssigkeiten. Für den Notfall. Ein Händler, den ich gut kannte, ein Zwerg, hatte mir dafür alles Geld abgeknöpft, das ich bei meinem letzten Raubzug während einer Feierlichkeit im Hause eines stadtbekannten Lebemanns gemacht hatte. Aber diese Sachen waren ihr Geld wert.
Genug, länger durfte ich wirklich nicht zögern. Vorwärts !
Selbst wenn Wachen auf der Palastmauer gewesen wären, hätten sie doch nur graue Steine und den Nebel gesehen, der an manchen Stellen vom Wind zerfetzt wurde und mit den Schatten auf dem Platz Fangen spielte. An den Bibliotheksmauern entlang rannte ich zum Schloss des Herzogs hinüber. Ich umrundete die Vorderfront und bog in eine Seitengasse ein. Die Mauer zog sich auch hier dahin, Sagoth sei Dank aber ohne diese scheußlichen Fenster. Dafür gab es eine schmale, für Passanten kaum wahrzunehmende graue Eisentür in ihr, durch die die Diener ins Allerheiligste des Herzogs gelangten.
Auf die Mauer fiel Licht, Schatten gab es hier keinen. Wie auf Sagoths Handteller stand ich davor. Zum Glück war die Straße leer, die Patrouille würde erst in ein paar Minuten kommen. -Damit blieb mir ausreichend Zeit.
Ich zog einen Satz Nachschlüssel unter meinem Gürtel hervor, den die Zwerge eigens für mich angefertigt hatten. Normale Menschen glauben ja gern, es wäre leicht und billig, ein Meisterdieb zu sein. Das stimmt aber nicht. Wenn man etwas stehlen will, ist das Wichtigste zunächst eine gute Ausrüstung, dann sichere Erkundigungen.
Ach ja, und noch eine winzige Kleinigkeit, die ich beinahe vergessen hätte: Talent. Ohne Talent konnte niemand etwas stehlen, selbst wenn ihm eine noch so gute Ausrüstung zur Verfügung stand.
Ich hantierte mit einem Dietrich und versuchte, die Feder im Schloss zu spüren. Es klickte leise. Die erste Hürde war genommen.
Da hörte ich Pferdegetrappel, worauf ich noch schneller ar-beitete. Mir blieb höchstens eine halbe Minute, bevor die Reiter um die Ecke biegen mochten. Erneut klickte es. Die zweite Hürde. Verzweifelt versuchte ich, die letzte Feder ausfindig zu machen. Diese verdammten Zwergenschlösser ! Von ihrem Handwerk -verstanden sie wirklich etwas, diese Winzlinge ! Nur noch fünf -Sekunden ! Ich riss den Dietrich aus dem Schloss und huschte in den Schatten auf der gegenüberliegenden Seite zurück.
Gerade noch rechtzeitig, denn jetzt tauchten die Reiter auf. Zwei, drei, fünf, sieben – dreizehn ! Eine Glückszahl ! Sie ritten auf hochgewachsenen Pferden, Doralissanern. Dunkle Silhouetten vor dem grauen Hintergrund der Nacht. Das Hufgeklapper hallte dumpf von den schlafenden Häusern wider. Ich blieb reglos im Schatten, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Zehn Soldaten in grau-blauen Uniformen. Ihnen folgte auf -einem edlen gescheckten Hengst eine Frau. So sehr ich mich auch anstrengte, ihr Gesicht vermochte ich nicht zu erkennen, da es von einem dichten Schleier verdeckt wurde. Zwei Soldaten ritten unmittelbar hinter der Frau, behelmt und mit geschlossenem -Visier, sodass auch ihre Gesichter meinem Blick entzogen waren.
Aus den Nüstern der Pferde wölkte Dampf. Als sie an mir vorbeikamen, wieherte eines der Tiere, doch der Soldat zog nur die Zügel an, und die Prozession bewegte sich weiter die Straße hi-nunter. Was hatten die Gardisten des Königs und die unbekannte Frau wohl nachts auf der Straße zu suchen ? Aber da steckte ich meine Nase lieber nicht rein. Ich würde länger leben, wenn ich es nicht wusste, andernfalls würde man Garrett den Schatten womöglich noch mit aufgeschlitzter Kehle im Kalten Meer finden. Dem dreizehnten Reiter folgte kurze Zeit später eine weitere Einheit von zehn Mann, fraglos die Rückendeckung. Sie trugen eine gewöhnliche Uniform, nicht die grauen und blauen Farben der Königsgarde. Am Ärmel eines der Reiter erspähte ich jedoch eine purpurrote Stickerei. Die Wilden Herzen ! Was taten die nur so weit entfernt vom Einsamen Riesen ?
Ich wartete, bis auch der letzte Reiter um die Ecke gebogen war, und pirschte mich dann abermals zur Tür.
„Fantasiereich, actionbeladen und von einem Meister seines Fachs geschrieben. Vielleicht ein Quentin Tarantino der Phantastik.“
„Ein gelungenes Debüt, das ich vorbehaltlos jedem empfehlen kann, der gerne Fantasy liest, aber die eingetretenen Pfade auch gerne mal verlassen möchte.“
„Mit Witz und Tempo erzählt.“
„›Schattenwanderer‹ ist inhaltlich gesehen eine nette Geschichte, die vor allem aufgrund der humorvollen Hauptperson auf die Leser anziehend wirkt. Das Geschehen an sich – die Bedrohung durch das Böse – mag nicht neu sein, doch der Autor fügt dem auf gekonnte Art und Weise seine persönliche Komponente hinzu und macht die Geschichte somit zu etwas Besonderem.“
„Die Abenteuer Garrets gehören zum Besten, was das Genre seit Langem gesehen hat.“
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