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Schecks kulinarischer Kompass Schecks kulinarischer Kompass - eBook-Ausgabe

Denis Scheck
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Köstliches und Kurioses aus meiner Küche und aller Welt

„Denis Scheck ist ein grandioser Genießer – und er vermag seine Lust in Worte zu fassen.“ - Hannoversche Allgemeine Zeitung

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Schecks kulinarischer Kompass — Inhalt

Mit umgebundener Serviette um die Welt
Ein geistreicher Genießer plaudert aus der Küche: Ob er von seinen Lieblingsrezepten mit Lauch schwärmt oder erklärt, wie man die perfekte Bouillabaisse kocht – Denis Scheck lässt einem mit seinen köstlichen Geschichten das Wasser im Munde zusammenlaufen.

In seinen kulinarischen Anekdoten erzählt er uns von seiner Leidenschaft für Essen und Trinken, mischt Literarisches und Persönliches, verrät Rezepte und Restauranttipps. Mit Sprachkunst und Witz schimpft er über das Bäckereisterben, dem seine Lieblingsbrezel zum Opfer fiel, Quälfleisch und die Scheußlichkeiten industriell hergestellten Fertigfutters oder berichtet von Luxusrestaurants, wo es Damenkarten ohne Preise gibt.

Ein Muss für alle Feinschmecker, Fenchelfans und Foodies. Ein Buch, das Appetit aufs Leben macht – nose to tail!

„Eine Kulturgeschichte der Menschheit, verkleidet als Buch übers Essen. Ich habe gestaunt, gelacht, bin nachdenklich geworden.“ Jenny Erpenbeck

„Nach glanzvollen Abenden an seinem Esstisch weiß ich immer noch nicht, ob Denis Scheck besser kocht oder besser schreibt. Und frage mich, mal kauend und mal lesend: Spielt es eine Rolle?“ Frank Schätzing

€ 26,00 [D], € 26,80 [A]
Erschienen am 01.09.2022
304 Seiten, Halbleinenband
EAN 978-3-492-07144-4
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€ 19,99 [D], € 19,99 [A]
Erschienen am 01.09.2022
304 Seiten
EAN 978-3-492-60206-8
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Leseprobe zu „Schecks kulinarischer Kompass“

Vorwort

Warum koche ich?

Es wäre nicht ganz ehrlich, einfach zu antworten: weil ich Hunger habe.

Kochen ist die einzige handwerkliche Tätigkeit, für die ich ein klein wenig Talent zu besitzen glaube und bei der ich mich nicht anstelle wie jemand, der fünf Daumen an der Hand hat. Zudem genieße ich das Einkaufen. Die Sinnlichkeit eines Gemüsestands. Das Ausknobeln eines Menüs. Wenig entspannt mich mehr, als wenn ich Gemüse schnippele, Spargel schäle, das Heu aus Artischocken kratze oder für eine Parmigiana Auberginen mit Salz entwässere und dabei eine [...]

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Vorwort

Warum koche ich?

Es wäre nicht ganz ehrlich, einfach zu antworten: weil ich Hunger habe.

Kochen ist die einzige handwerkliche Tätigkeit, für die ich ein klein wenig Talent zu besitzen glaube und bei der ich mich nicht anstelle wie jemand, der fünf Daumen an der Hand hat. Zudem genieße ich das Einkaufen. Die Sinnlichkeit eines Gemüsestands. Das Ausknobeln eines Menüs. Wenig entspannt mich mehr, als wenn ich Gemüse schnippele, Spargel schäle, das Heu aus Artischocken kratze oder für eine Parmigiana Auberginen mit Salz entwässere und dabei eine Tomatensoße zubereite. Kochen lässt mich Schönheit erfahren.

Ich bin fast die Hälfte des Jahres auf Reisen und verbringe dabei oft nur sehr kurze Zeit an einem Ort. Der Besuch eines Marktes, eines Spezialitätengeschäfts, eines Imbisses oder eines Restaurants ist für mich ein Zugang zur Welt, lässt mich einen Ort erleben, macht ihn mir buchstäblich erfahrbar. Kochen ermöglicht mir zudem, jenseits aller Sprachgrenzen, mit der Welt in Kontakt zu treten: Wie oft habe ich mit meiner Frage nach einer lokalen Spezialität oder Zubereitungsart Stolz und spontane Begeisterung in meinem Gegenüber ausgelöst: Ach, das kennen Sie? Dafür interessieren Sie sich? Das wissen Sie zu würdigen?

Am Herd schärfe ich mein Selbst. Gewinne wieder meine Fasson. Meditiere. Trainiere meine Wahrnehmung. Öffne meine Sinne. Lerne, den Blick auf scheinbar Nebensächliches zu lenken und von der unablässigen Priorisierung in meinem Leben abzusehen. In meiner Küche werde ich mir meiner Vergänglichkeit bewusst und erlebe im Alltag jene magische Verwandlung, die mich seit meiner ersten Begegnung mit Ovids Metamorphosen fasziniert.

Dass wir in der Lage sind, unser Essen friedlich miteinander zu teilen, ja sogar in fröhlicher Runde Vergnügen daran finden, unterscheidet den Menschen von den meisten Tieren. Das Kochen und Verzehren gemeinsamer Mahlzeiten hat uns nach Ansicht vieler Evolutionsbiologen überhaupt erst zu modernen Menschen gemacht. Mein Hund kann das jedenfalls nicht – so sehr er mir, was seinen Geruchs- und Geschmackssinn anbelangt, auch überlegen ist. Für diese Fähigkeit, unser Essen und Trinken miteinander zu genießen und dabei in Austausch zu treten, können wir nicht dankbar genug sein. Sie steht mit Platons Symposion am Beginn der abendländischen Philosophie. Gemeinschaft macht klug – auch und gerade in kulinarischer Hinsicht.

Mit Claude Lévi-Strauss weiß ich zudem: Der Weg vom Rohen zum Gekochten ist das älteste Narrativ der Welt. Kochen ist eine Art, eine Geschichte zu erzählen. Man kann auch den Teller lesen. Jedes Gericht, das man zubereitet, folgt in seiner Struktur einer Heldenreise samt all ihren Stationen: von der Berufung über die Prüfungen, der Begegnung mit der Transzendenz, Versuchung, Versöhnung, Gefahr und Rettung, der Rückkehr nach Hause und dem Versuch, das neu gewonnene Wissen in unseren Alltag zu integrieren. Warum also noch zögern? Lassen Sie uns aufbrechen! Das Abenteuer wartet.


Eigener Herd

Kochen heißt warten. Ich warte gern. Zum Beispiel auf die Reifezeit von Aprikosen oder Birnen. Auf den Beginn der Spargelsaison. Oder auf den ersten Maibock. Auch im Restaurant zähle ich nicht zu den Meckerern, wenn es mal etwas länger dauert, bis das Essen auf den Tisch kommt: Kreatives Kochen mit frischen Zutaten erfordert manchmal eben etwas mehr Zeit als bloße Erwärmungsvorgänge im Konvektomat oder in der Mikrowelle. Anders sieht es hingegen beim Trinken aus: Ein leeres Glas ist ein Verbrechen am Gast und obendrein geschäftsschädigend für jeden Wirt. Leider haben sich diese ebenso menschenfreundlichen wie betriebswirtschaftlich sinnvollen Grundsätze der Gastronomie nicht überall herumgesprochen. So saß ich unlängst im Restaurant eines schmucken Hotels in Mecklenburg über eine geschlagene halbe Stunde auf dem Trockenen, nachdem ich leichtsinnigerweise den als Aperitif angebotenen Champagner ausgeschlagen und um die Weinkarte gebeten hatte. Abgestraft und dürstend fand ich reichlich Zeit, darüber nachzugrübeln, warum die deutsche Sprache mit „satt“ zwar ein Wort für den gestillten Hunger besitzt, nicht aber eines für den gelöschten Durst. Das aus einem Wettbewerb der Duden-Redaktion Ende der 90er-Jahre als Sieger hervorgegangene Kunstwort „sitt“ konnte sich bislang jedenfalls nicht durchsetzen. Bald fiel mir Friedrich Nietzsche ein und dessen tiefsinnige Erkenntnis: „Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen. Dies macht unmoralisch.“ Und gerade, als ich heftig nickend am tiefen Grund meiner Unmoral angelangt war, materialisierte sich wie aus dem Nichts doch noch der junge Sommelier, der meine Beschwerde mit einem souveränen Lächeln und der internationalen Zauberformel zur Pazifizierung nörgelnder Männer auskonterte: „Sie haben recht.“ Und siehe, alles war gut.

Warten, bis man schwarz wird: Diese schöne bildliche deutsche Redensart stammt aus der Zeit, als im Mittelalter die Pest in Deutschland wütete. Der Schwarze Tod lieferte reichlich Anschauungsmaterial für sich länger hinziehende Verwesungsvorgänge. Mir wurde vor einigen Jahren eine Lektion im Warten erteilt, die sich still und leise in ein spannendes kulinarisches Abenteuer verwandelte.

Im Jahr 2017 habe ich 14 Wochen darauf gewartet, dass mein Herd repariert wird. In Deutschland wird generell viel gejammert, am liebsten aber über unzuverlässige Handwerker. In dieses Klagelied wird nur einstimmen, wer noch nie Klempner in Großbritannien, Elektriker in Italien oder Dachdecker in Frankreich kennengelernt hat. Ein dreifach Hoch auf das deutsche System der dualen Ausbildung, das für Kompetenz und Zuverlässigkeit im Handwerk hierzulande sorgt! Nur leider nicht immer.

Bei einem Besuch in der Küche von Jean-Claude Bourgueil im Schiffchen in Düsseldorf-Kaiserswerth hatte ich mich in dessen Lacanche-Herd verliebt. Natürlich entsprang diese Liebe dem klassischen Trugschluss, das Werkzeug mache den Meister. Leider ist das reiner Kokolores. Monsieur Bourgueil könnte wahrscheinlich auch auf einem Puppenherd, einem Campingkocher oder selbst der Flamme eines Einwegfeuerzeugs köstlichere Kreationen zaubern als ich. Dennoch hatte der Lacanche mein Herz erobert: Es war einfach Liebe auf den ersten Blick, so wie sich manche Menschen in ein Riva-Boot, eine Perazzi-Flinte oder einen Jaguar E-Type verlieben. Mein Lacanche ist eine bullige Schönheit in Rot und Messing und macht schon gute Laune, wenn man morgens in die Küche kommt und das Prachtstück erblickt. Dennoch kann er absolut nichts, was andere Herde nicht auch können. Nur sieht er dabei eben sehr, sehr gut aus. Und das reicht im Leben ja nicht selten schon. Man kann nicht Maria Callas zur Geliebten haben wollen und dann gebügelte Hemden erwarten.

Drei Jahre leistete mir meine französische Schönheit verlässlichen Dienst. Anfangs konnte ich nicht genug bekommen von allem, was sich auf der Edelstahlgrillplatte zubereiten ließ: hauchdünn geschnittene Kartoffelchips in Minutenschnelle frittiert und mit Piment d’Espelette bestreut, glasig gebratene Carabineros, also tiefrote große Wildgarnelen, saftige Auberginenscheiben oder knackiger, mit einer Prise braunem Zucker bestreuter Fenchel. Irgendwann ließ der Reiz des A-la-Plancha-Kochens aber nach, traditionellere Zubereitungsweisen kehrten zurück, und Küchennormalität hielt Einzug.

Bis eines schönen Märztages mit einem Blitz und einem Rauchwölkchen die ganze Herdherrlichkeit zu Ende und der Ofen fürs Erste buchstäblich aus war: Mein Lacanche hatte einen Kurzschluss! Alle Kochfelder, Backofen samt Vorwärmschrank und Stahlgrillplatte ließen sich nicht mehr benutzen. Ich rief kurz vor Ladenschluss beim Händler an, der mir die Nummer des Kundendienstes nannte – und damit nahm das Drama seinen Lauf. Ein schon ab Fabrik defekt geliefertes Ersatzteil, einige falsch zusammengesteckte Kontakte, ein offenbar missinterpretierter Schaltplan sorgten dafür, dass ich über ein Vierteljahr allein auf eine noch am selben Abend erworbene Zweiplatten-Kochstelle angewiesen blieb. Die technischen Einzelheiten dieser Handwerkeroper sind uninteressant, nicht aber die daraus gewonnene Erkenntnis: Manchmal liegt das größte kulinarische Glück in der Abrüstung.

Über Jahrzehntausende hinweg hat der Mensch immer nur auf einer Feuerstelle gekocht. Die Zwangseinschränkung meiner technischen Möglichkeiten führte zur Entdeckung der Langsamkeit in meiner Küche. Aufwendige Schmortöpfe ließen sich auch auf dem Campingkochfeld realisieren. Ob Boeuf bourguignon, ein vegetarisches Stifado, Lamm- und Rinderbraten, Coq au vin oder ein zünftiges Gulasch: Die meisten Schmorgerichte gewinnen durch längere Garzeiten gewaltig an Geschmack. Zum anderen frischte ich meine Bekanntschaft mit der weiten Welt der Rohkost auf. Wie hatte ich nur vergessen können, was für ein Hochgenuss Radieschen, Mairübchen, gestiftelter Stangensellerie oder Möhren mit pfiffigen Dips sein können? Auch der Kosmos der Carpaccios und Sashimis hat sich mir durch mein Herddesaster ganz neu erschlossen. Warum nicht mal ein Carpaccio von Artischocke und Steinpilz, Gurke oder Roter Bete? Oder ein Sashimi von Wolfsbarsch, Schwertfisch oder Makrele? Ganz zu schweigen von mit originellen Zutaten gepimpten Salaten mit Ananas und Birnen, Avocado, Cedri-Zitronen, Fenchel, Nüssen und Sprossen, Granatäpfeln und, wer’s denn mag, mit Gänseleber oder Hummer.

Am Ende des Wartens auf meinen Herd begriff ich zum ersten Mal den Sinn der mir bis dahin dunkel gebliebenen Verse meines schwäbischen Landmanns Friedrich Hölderlin aus seiner Hymne Friedensfeier. Erst über 150 Jahre nach ihrer Niederschrift wurde 1954 eine vollständige Handschrift des bis dahin lediglich in Fragmenten überlieferten Gedichts bekannt. „Auch wär’ uns, sparte der Gebende nicht/Schon längst vom Segen des Herds/Uns Gipfel und Boden entzündet.“ Worauf warten wir noch?


Du Lauch!

Lange habe ich Gurken für den vierten Aggregatzustand von Wasser gehalten. Fenchel galt mir als langweilig. Das Überstreifen der Einweghandschuhe erschien mir noch das Spannendste bei der Zubereitung von Schwarzwurzeln oder Roten Beten. Heute denke ich genau umgekehrt, Teltower Rübchen, Mönchsbart oder Topinambur sind aus meiner Küche nicht mehr wegzudenken, immer öfter lasse ich die Sau raus, und es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Ich war Opfer einer klassischen Konditionierung. Meine angebliche Geschmacksvorliebe für Fleisch war Ergebnis einer früh einsetzenden Gehirnwäsche namens Erziehung. Als Angehöriger der sogenannten Kriegsenkelgeneration steckten mir dank transgenerationaler Weitergabe die Kriegserlebnisse meiner Eltern und Großeltern tiefer in den Knochen, als ich lange wahrhaben wollte. Und zu diesen traumatischen Erfahrungen zählten eben auch die Hungerwinter im Ersten Weltkrieg, die Armut durch Inflation und Weltwirtschaftskrise in der Weimarer Republik, die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg, Flucht und die erneuten Hungerwinter nach 1945. Meiner Mutter und meiner Großmutter gelang es, ihre eigene Ernährung nach der Fresswelle der 50er-Jahre recht bald wieder umzustellen, den Fleisch- und Fischanteil zu reduzieren und insbesondere auf das im Garten selbst gezogene Gemüse zu setzen. Nicht aber den Männern der Familie. Nun gut, von gelernten Metzgern war das auch nicht unbedingt zu erwarten. Ihre Haltung als Karnivoren bringt recht gut das Gedicht Auf der Höhe der Zeit des großen Robert Gernhardt zum Ausdruck:


Auf der Höhe der Zeit

Ich verzehre so gut wie kein Fleisch mehr.
Außer, natürlich, beim Essen.
Aber zwischen den Mahlzeiten
kann ich alles Fleisch glatt vergessen.

Ich trinke so gut wie kein’ Wein mehr.
Außer, natürlich, wenn’s Spaß macht.
Und mir macht es eigentlich immer Spaß,
wenn der rote Wein in dem Glas lacht.

Ich habe so gut wie kein’ Sex mehr.
Außer, natürlich, mit Frauen.
Auf der Basis Steak plus ’ne Flasche Bordeaux
können die schwer auf mich bauen.

Ich kenne fast keine Scham mehr.
Außer, natürlich, beim Schreiben.
Bevor ich den Leser mit mir konfrontier,
lass ich das Schreiben glatt bleiben.


In der Psychologie versteht man unter Selbstwirksamkeit die Annahme, durch Glauben an die eigene Kompetenz Dinge ändern zu können – zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder abzunehmen. Selbstwirksamkeit kann aber auch dazu beitragen, über die eigenen frühkindlichen Prägungen Rechenschaft abzulegen und seinen ach so felsenfest stehenden „persönlichen Geschmack“ noch einmal kritisch zu reflektieren. Wie viel von dem, was uns schmeckt oder eben nicht schmeckt, haben wir in Wahrheit buchstäblich mit der Muttermilch eingesogen?

Natürlich gelingt es niemandem, seinen Geschmack durch Reflexion und Selbstanalyse von einem Tag auf den anderen zu verändern. Aber Jürgen Dollase, heute Deutschlands bekanntester Gastrokritiker, ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel eine Mischung aus sozialem Druck, persönlichem Leid und Selbstwirksamkeit in einem Menschen bewirken kann. Bis zu seinem 35. Lebensjahr ernährte sich der im Ruhrgebiet aufgewachsene Dollase, der zunächst eine Karriere als Krautrocker in der Band Wallenstein und als Maler machte, hauptsächlich von Wiener Schnitzeln, Frikadellen oder Kalbfleisch. Schon der Gedanke, in Frankreich ein feines Restaurant zu betreten, löste Schweißausbrüche in ihm aus: Geflügel, Fisch, insbesondere Meeresfrüchte und Schnecken, aber auch Innereien – all das und noch viel mehr hatte er in seine persönliche Ekelzone verbannt. Und dann kam der Tag, an dem ein befreundeter Maler im Elsass ihn bei einem Atelierfest auf eine knoblauchgeschwängerte Garnelensuppe einlud. Es war für Dollase eine lebensverändernde Erfahrung: „Und hinterher dachte ich mir: Mein Gott, was gibt es denn da alles? Das habe ich ja bislang gar nicht wahrgenommen!“, erzählte er mir einmal im Gespräch. „Das ging blitzschnell. Ich überlegte mir: Da existiert eine ganze Reihe von Dingen, die sind ja wunderbar, und dabei hast du bisher noch nie etwas davon essen wollen. Und jetzt hast du eines davon probiert, und es schmeckt selbst in einer schlechten Fassung noch köstlich!“

Es hat natürlich eine gewisse Zeit gedauert, meine alberne Fleischfixierung zu überwinden. Aber heute freue ich mich über ein Essen im Seven Swans in Frankfurt am Main, Deutschlands erstem veganen Sternerestaurant, oder Stephan Hentschels vegetarischem Restaurant Good Friends in Berlin weit mehr als über einen Besuch in jedem Steakhaus. Und wenn mich unbedingt jemand ohne Rücksicht aufs Budget zum Essen einladen möchte, wünsche ich mir einen Tisch in Alain Passards Pariser Restaurant L’Arpège in der Rue de Varenne, der sich schon 2001 von der fleischlastigen Küche seiner Anfänge lossagte, eigene Gärten anlegte und zum Bauern wurde. Bis heute unvergessen ein säuerliches Rote-Bete-Tartar mit Meerrettich, das ich dort einmal essen durfte, nur getoppt von der Erinnerung an Passards getrüffeltes Zwiebelgratin mit Haselnuss: angenehm schmelzig, perfekt in der Aromenbalance zwischen süßlich und säuerlich!

Einen eigenen Garten haben auch Andree Köthe und Yves Ollech vom Essigbrätlein in Nürnberg. In meinen Augen sind sie Deutschlands sensibelste Gemüseköche. Teller wie „Fenchel mit Gurken und Zitrone“, ein Türmchen von in Sahne und Wasser leicht pochierten Fenchelscheiben und Gurkenplatten, Zitronencreme, Gurkensaft und getrockneten Zitronen, begeistern mich immer wieder. Genauso wie „Gurken mit Dillblüten und Salzzitronen“, die herausragenden „Karotten mit Mohn und Orangencreme“ oder die nicht nur schiere Augenlust, sondern auch Gaumenkitzel versprechenden „Mit Minze, Kartoffeln und Pistazien gefüllte Kaiserschoten mit Mayonnaise“. Nicht zuletzt hat mich der Brite Nigel Slater auf den Geschmack gebracht. Sein in zwei Bänden erschienenes Gemüsekochbuch Greenfeast ist eine nie versagende Inspirationsquelle. Allein für den Tipp, halbe Rosenkohlsprossen mit heller Misopaste zu würzen und dann in heißem Erdnussöl goldbraun zu braten, oder im Frühling eine „Bohnengelage“ genannte Suppe aus dicken Bohnen, weißen Bohnen, Zucchini, Lauch, Erbsen und Frühlingszwiebeln zu kochen, lohnt sich die Anschaffung.

„Du Lauch!“ war eine Zeitlang eine beliebte Beleidigung in Proll-Deutschland. Wer die Finessen dieses Gemüses im Risotto oder im Mirepoix, als Quiche, im Gratin, als Suppe oder als sensationeller Teamplayer zusammen mit schwarzem Trüffel erfahren hat, wird anders denken. Steuerte ich früher beim Einkaufen oft als Erstes den Metzger an, führt mich heute mein erster Weg zum Gemüsehändler. Allein schon diese kleine Verhaltensänderung bewirkt oft, das Gemüse aus seiner Nebenrolle als „Beilage“ zu befreien und zum Star auf dem Teller zu machen. Selten gehe ich dort übrigens heute ohne eine Schlangengurke weg. Denn hielt ich es früher mit dem großen Dr. Samuel Johnson, der für Gurken den berühmten Rezepttipp gab, man möge sie in Scheiben schneiden, mit Pfeffer und Essig würzen und dann wegwerfen, so habe ich heute meinem Gurkenverstand ein Upgrade verordnet. Hat die Welt Köstlicheres hervorgebracht als ein englisches Gurkensandwich?

Denis Scheck

Über Denis Scheck

Biografie

Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt heute in Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren gründete er eine eigene literarische Agentur. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Strubel und Judith...

Denis Scheck im Interview

Herr Scheck, Sie sind Deutschlands bekanntester Literaturkritiker. Dass Sie auch begeisterter Koch und Gourmet sind, ist weniger bekannt. Wurde Ihnen das von Ihrer Mutter in die Wiege gelegt?
„Koch“, „Gourmet“ – Sie ahnen nicht, wie sehr mich diese Worte triggern. Meine Mutter hätte mich ganz sicher nicht als Gourmet bezeichnet, sondern schlicht als verfressen. Sie war keine große Köchin, ging aber für ihr Leben gern essen. Das habe ich von ihr geerbt. Ich weiß noch genau, wie mir als Sechs-jährigem das Wasser im Munde zusammenlief, als sie mir Anfang der 70er-Jahre erzählte, wie toll ihr am Abend vorher im Restaurant das Walnusseis mit frischen Feigen in einer Zimtsauce geschmeckt habe. Von diesem Tag an freute ich mich aufs Erwachsenwerden. Aber die Liebe zum Kochen hat mir sicher eher meine Großmutter in die die Wiege gelegt als meine Mutter. Die beiden haben sich ihr Leben lang nie getrennt, deshalb bin ich quasi mit zwei Müttern aufgewachsen. Und fürs Kochen bei mir zu Hause war definitiv meine Großmutter zuständig, denn die war der Profi. Deshalb hätte sie auch nur gelacht, wenn ich mir angemaßt hätte, mich einen „Koch“ zu nennen. Sie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg als Köchin für Theodor Heuss gearbeitet und wurde sehr, sehr alt – sie starb nach der Jahrtausendwende in meinen Armen. Von ihr konnte ich mir zum Glück noch ein paar Tricks in der Küche abschauen. Zum Beispiel, wie man einen ordentlichen Tafelspitz macht.

Mit 13 Jahren haben Sie in einem Sternelokal einen Tisch für sich allein reserviert. Wie kommt man auf so eine Idee? Und wie war diese Erfahrung?
Das war eine Mutprobe. Quasi meine persönliche Unabhängigkeitserklärung. Mir gingen die Umständemeiner Kindheit damals schwer auf den Senkel. Ich mochte weder meine Mitschüler noch die neuen Lebensbedingungen, die mein Stiefvater durch einen Umzug aufs Land für mich geschaffen hatte. Also versuchte ich an die Welt meiner urban geprägten Großmutter anzuknüpfen. Ich saß mit 13 damals vor Unsicherheit zitternd allein an meinem Tisch, stand das aber brav durch. Und kam auf den Geschmack.

Ohne lange zu überlegen: Was ist Ihr Lieblingsgericht?
Frittierte Zucchiniblüten. Gefüllt mit Ricotta, Minze,Zitronenschale, Piment d‘Espelette und gerösteten Pinienkernen. So isst man im Paradies.

Womit kann man Sie jagen?
Deep dish Pizza. Ein hässliches Wort für eine hässliche Sache. Auch mit dem Geruch des Wassers, in dem man eine schwäbische Rote Wurst erhitzt.

Und was ist Ihnen am Herd zuletzt besonders gut gelungen?
Ein Käsesoufflé. Natürlich total retro. Außerdem nur was für Furchtlose. Ob man das in einem Menü für Gäste riskiert, muss jeder für sich selbst entscheiden. Zusammen mit einem Kopfsalat mit Schnittlauchdressing aber einfach klasse.

Veranstaltung
Lesung und Gespräch
Sonntag, 07. Dezember 2025 in Pforzheim
Zeit:
16:00 Uhr
Ort:
Schmuckmuseum,
75173 Pforzheim
Im Kalender speichern
Pressestimmen
Der Sonntag in Freiburg

„Das wohl unterhaltsamste kulinarische Lesebuch des Jahres 2022.“

Hannoversche Allgemeine Zeitung

„Denis Scheck ist ein grandioser Genießer – und er vermag seine Lust in Worte zu fassen.“

Der Feinschmecker

„Geistreicher Genuss“

TITEL Kulturmagazin

„Ein appetitanregender Lesegenuss für alle Gourmets und Gourmands, für alle lernbegierigen Hobbyköche und eingefleischten Kulinariker.“

erlesen

„Ein geistreicher Genießer plaudert aus der Küche.“

Die Rheinpfalz

„Wem dieses Buch keine Lust aufs Kochen, Essen, Trinken, Lesen oder Leben macht, ist wahrscheinlich ein hoffnungsloser Fall!“

Bergsträßer Anzeiger

„Es sind Häppchen wie diese, die das Buch so kurzweilig machen wie ein raffiniertes Sechs-Gänge-Menü. Der süffisante Ton, die elegant gebauten Sätze und die literarischen Anspielungen machen Lust auf mehr.“

Donna Buchclub

„Ein köstliches Buch für Menschen, die lieber essen (und darüber sprechen), als selbst zu kochen.“

Passauer Neue Presse

„Ein witziges Buch für alle Feinschmecker mit vielen wahrlich köstlichen Geschichten.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Wie wäre es, fragt man sich nach der Lektüre dieses Buches, wenn man von Denis Scheck zum Abendessen eingeladen würde? Es wäre ganz ohne Zweifel eine ausgesprochen vergnügliche Veranstaltung mit einem bestens aufgelegten, pausenlos parlierenden Gastgeber, der uns eine Anekdote nach der anderen aus seiner prall gefüllten kulinarischen Erfahrungsschatztruhe auftischte – scharfe Beobachtungen, kluge Erkenntnisse, apodiktische Urteile, gnadenlose Verrammungen, alles dabei, was Herz und Magen begehren.“

frischvomstapel.com

„Scheck serviert Köstliches und Kurioses und lässt uns teilhaben an seiner ganz individuellen Perspektive auf das, was Leib und Seele zusammenhält.“

Film Sound & Media

„Ein Muss für alle Feinschmecker, Waldmeistereisfans und Foodies.“

Nürnberger Nachrichten

„›Schecks kulinarischer Kompass‹ ist ein Küchenplausch für Feinschmecker, leicht verdaulich und schecktypisch meinungsstark.“

trend Premium

„Geschmackvoller Lesegenuss“

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