Scherbengericht (Proteo Laurenti 10) Scherbengericht (Proteo Laurenti 10) - eBook-Ausgabe
Commissario Laurenti vergeht der Appetit
„Mit seinem ›Scherbengericht‹ serviert Veit Heinichen erneut Raffinesse.“ - Salzburger Nachrichten (A)
Scherbengericht (Proteo Laurenti 10) — Inhalt
Laurenti ist einer der beliebtesten Ermittler der jüngeren Kriminalliteratur
Zwölf Zeugen sagten damals gegen Aristèides Albanese aus. Siebzehn Jahre saß er wegen Totschlags im Gefängnis. Nun ist er draußen und will sich an ihnen allen rächen. Und zwar auf ganz besondere Weise – denn Aristèides ist Koch und plant, jedem von ihnen die Henkersmahlzeit selbst zuzubereiten.
Commissario Proteo Laurenti war zwar nie überzeugt von den Aussagen der zwölf, doch seinerzeit setzte er sich wider besseren Wissens nicht gegen den Staatsanwalt durch, der wie besessen schien von dem Fall. Bis heute bereut Laurenti, ihm nicht die Stirn geboten zu haben.
Doch gerade, als Aristèides wieder auf freiem Fuß ist, gibt es eine weitere Leiche, und wieder gehört er zu den Verdächtigen. Wie schon vor siebzehn Jahren ermittelt Laurenti – und versucht fieberhaft, das fehlende Glied zwischen den Fällen zu finden.
„Mit seinem ›Scherbengericht‹ serviert Veit Heinichen erneut Raffinesse.“ Salzburger Nachrichten
In seinem elften Fall bekommt Proteo Laurenti es nicht nur mit Rachemorden zu tun, sondern auch mit der Geschichte Triests? Warum kommt diese Stadt nicht zur Ruhe?
Es stimmt: Für Proteo Laurenti und seine Kolleginnen öffnet sich bei ihren Ermittlungen die dunkle Triestiner Geschichte – die eng verwoben ist mit der europäischen Geschichte und ihren gewaltigen Umbrüchen. Und natürlich begegnen sie dabei Mythen über die Vergangenheit und falschen Wahrheiten, Verschwörungstheorien, Übergriffen und roher Gewalt.
Schnell wird Laurenti klar, dass sie den Fall nur abschließen können, wenn sie über die geografischen und politischen Grenzen hinweg denken und handeln. Er lernt, dass Geschichtsschreibung auch ein Machtinstrument sein kann, je nach der politischen Großwetterlage.
Was in diesem Roman passiert, steht stellvertretend für Vorgänge in ganz Europa: In Triest stand das einzige Nazi-Vernichtungslager auf italienischem Boden, die Risiera di San Sabba, es kam zu Deportationen, Massakern an der Bevölkerung, es gab Widerstand durch Partisanen und noch heute leben deren Nachfahren hier, Mahnmale jeglicher Couleur erinnern an diese Zeit, doch es gibt auch den Missbrauch der Geschichtsschreibung und in der Vergangenheit zu stochern, kann beizeiten gefährlich werden für jemanden, der nach der Wahrheit sucht. Auch das ist Teil des neuen Romans.
Triest zeigt sich einmal mehr als Brennglas Europas, auch was die aktuellen politischen Entwicklungen betrifft.
Triest ist ein geradezu beispielhaft europäischer Ort, hier gibt es mehr Kontraste, Widersprüche aber auch Brücken als sonst wo. Die Entfernungen vom bedeutendsten Adria-Hafen nach Turin, Mailand, München, Wien, Budapest entsprechen sich in etwa. Nach Rom, Belgrad oder Stuttgart ist es nur unwesentlich weiter. Und dann noch die Verbindungen über den Seeweg.
Geopolitisch gesehen liegt Triest also in einer besonders wichtigen Position zwischen der mediterranen Welt und Zentraleuropa. Verbindend wie trennend. An diesem Schnittpunkt lief und läuft bis heute fast alles zusammen, ob legal oder illegal, ob auf dem Landweg oder über den Hafen – und sogar ideologisch ist hier alles vertreten. Erzählerisch ist das genauso herausfordernd wie reizvoll, weil vieles, was hier passiert, exemplarisch steht für den ganzen Kontinent und seine direkten Verbindungen in den Nahen Osten und nach Afrika.
Oder wie „Le Monde“ einmal titelte: Triest ist der Prototyp der europäischen Stadt. Ein Laboratorium – auch der politischen Vergangenheit, mit der Proteo Laurenti sich auseinandersetzen muss, wenn er wie im neuen Roman Licht in finstere Geschehnisse bringen will, deren Ursprünge weit zurückliegen.
Natürlich ist Laurenti als Ermittler immer auf der Suche nach der Wahrheit. Im diesem Fall muss er sich dabei jedoch auf die Erinnerung der ältesten Triestiner Bürgerinnern und Bürger verlassen. Heikel, oder?
Er wird dadurch mit vielen großen Fragen konfrontiert: Was ist Wahrheit? Gibt es mehr als eine? Und wie sehr kann man sich auf das Gedächtnis von Zeitzeugen verlassen? Das Gedächtnis kann einem ja auch üble Fallen stellen. Das kennen wir alle. Und es besteht der begründete Verdacht, dass im Laufe der Zeit viele Erinnerungen so lange zurechtgebogen werden, bis sie bequem sind. In deutschen Korruptionsprozessen oder politischen Verwicklungen haben wir mehr als einmal lesen oder aus dem Mund von Menschen in Amt und „Würden“ hören müssen: „Dieser Vorgang ist mir nicht erinnerlich.“
Zwangsläufig braucht Laurenti also eine tiefe Kenntnis der Geschehnisse und Fakten, wenn den aktuellen Fall aufklären will. Für mich als Autor heißt dies Recherche, für den Commissario aber Ermittlung, was zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. Die Recherche fragt nach dem gesellschaftlichen Kontext, die Ermittlungen hingegen nach dem Gesetzesrahmen. Wenn alles gutgeht, treffen sich beide.
Wie immer geht es auch um Land und Leute. Die Familie Laurenti bekommt sogar Zuwachs aus Deutschland. Hand aufs Herz: Wie ist es denn um das deutsch-italienische Verhältnis aktuell bestellt?
Bestens. Auf jeden Fall besser, als es allgemein wahrgenommen wird. Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass plötzlich alle in den Ferien zum Pizza-Essen nach Skandinavien fahren. Aber im Ernst: Auf die Schwächen des anderen wurde schon immer und überall mit viel Häme verwiesen, statt vor der eigenen Haustür zu kehren. Das scheint eine menschliche Eigenschaft zu sein, aber die ganze Welt ist ein Dorf. Die Weltliteratur ist der beste Zeuge. Ich frage mich, ob wir eigentlich nie etwas aus der Geschichte lernen. Das meine ich auch in Bezug auf unseren Umgang mit Vorurteilen.
Im „Entfernte Verwandte“ wird Laurenti attestiert, den Blick des Zugezogenen auch nach Jahren nicht verloren zu haben. Auch Sie leben mittlerweile über zwanzig Jahre in Triest, was lieben Sie an der Stadt?
Macht Liebe nicht blind? Ich kam vor zweiundvierzig Jahren zum ersten Mal nach Triest, wo ich nach dreizehn Umzügen in vier Ländern seit einem Vierteljahrhundert lebe – mitten im Herzen Europas und des Mittelmeers. Und darin zumindest bin ich mir mit Laurenti einig und ähnlich: Hier lässt sich viel über uns und unseren Kontinent lernen, der deutlich größer ist als die EU und dessen Kultur sich an allen Ecken bemerkbar macht. Triest ist der ideale Ort, um Vorurteile abzubauen, Schwarz-weiß-Denken widerlegt sich eigentlich immer von selbst. Wenn das kein Stoff zum Erzählen ist… Zumindest, sofern man sich eine gewisse Distanz erhält. Das Scheitern der Klischees und ihre Absurdität zu beschreiben, kann übrigens höchst vergnüglich sein. Und je mehr die Protagonisten von ihren Vorurteilen überzeugt sind, umso komischer wird es.
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