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Schlangen und Stein Schlangen und Stein - eBook-Ausgabe
Das Erwachen der Medusa
— Ein modernes Retelling des Medusa-MythosSchlangen und Stein — Inhalt
Was, wenn Medusa nie das Monster war?
Mit „Schlangen und Stein“ hat James A. Sullivan eine eindrucksvolle Neuinterpretation der Medusen-Sage geschaffen, die den antiken Stoff über die Themen Verfolgung, Unterdrückung und Gemeinschaft in die heutige Zeit transportiert: Medusa wurde von Perseus getötet, ist jedoch in Form von neun Schwestern wiederauferstanden. Im Verborgenen haben sie überlebt, doch ihr Ziel ist es, eines Tages wieder eins zu werden. Sema und Elena, eine Medusenschwester und eine Gargoyle, setzen alles daran, dies Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Weg, auf dem sie alles gewinnen, aber auch alles verlieren könnten.
Die griechische Mythologie umfasst unzählige Geschichten und Legenden, warum haben Sie sich für Ihren Roman gerade für die Sage der Medusa entschieden?
In meiner Kindheit war Medusa für mich erst einmal das, was sie für viele immer noch ist: ein faszinierendes Monster. Schon damals konnte ich jedoch nicht mit Perseus fühlen, aber ich zweifelte noch nicht an der Aufteilung zwischen Helden und Monstern. Durch die Rezeption verschiedener Vampir-Stoffe in den 1990ern öffnete sich mein Blick dann für die Frage „Wer sind eigentlich die wahren Monster?“ Auf dem Hintergrund der griechischen Mythologie stellte sich diese Frage für mich vor allem bei Medusa. Ihr widerfährt von allen Seiten Ungerechtigkeit, und ihr Kopf wird nach ihrem Tod sogar als Waffe missbraucht. Dass Perseus (noch immer) viel zu oft als Held verehrt wird, während Medusa und die anderen Kinder der Keto als Bestien dargestellt werden, widerstrebt mir grundsätzlich. Deswegen freue ich mich jedes Mal, wenn ich auf eine Adaption stoße, die die Geschichte anders erzählt.
In moderneren Adaptionen tritt Medusa oft als eine Art tragische Heldin auf. Wie würden Sie diesen Charakter einordnen?
Für mich ist Medusa vor allem eine marginalisierte Figur, um deren Schicksal herum sich Gemeinschaften bilden. Ich sehe das immer dort, wo ich mich mit anderen über Medusa austausche. Die meisten Leute, auf die ich treffe, sehen die Ungerechtigkeit, die in die Perseus-Sage hineingeschrieben ist und äußern das auch. Manche (auch ich) zählen sich selbst sogar zum #TeamMedusa. In meinem Roman nehme ich diesen verbindenden Gedanken wörtlich. Um jede der Medusenschwestern entsteht eine Gemeinschaft, die sie schützt und alles daransetzt, dass sie sich mit ihren Schwestern verbinden kann. Es steht also weniger das Leid und das Tragische von Medusa im Vordergrund als das Verbindende und Hoffnungsvolle.
In Schlangen und Stein ist Medusa in Form von neun Schwestern wiederauferstanden, deren großes Ziel es ist, wieder eins zu werden. Welche Figur ist Ihnen dabei besonders ans Herz gewachsen?
Da der Roman zu großen Teilen aus der Sicht der Medusenschwester Sema erzählt wird, ist sie meinem Herzen am nächsten. Durch sie erleben wir auch, was den anderen Schwestern widerfährt, denn es gibt eine Art Gedankenverbindung zwischen ihnen. Und falls eine der Schwestern stirbt, geht ein Teil ihres Wesens und ihrer Erinnerung auf sie und die anderen über. Sema ist im Roman unser Blick auf das Wesen Medusas. In ihr finden wir die Hoffnung, sich mit ihren Schwestern zu verbinden und wieder die eine Medusa zu werden; aber auch die Angst davor, was sein wird, wenn das gelingen sollte. Wird das eigene Bewusstsein verschwinden? Wird sie ihre Vertrauten noch erkennen oder aber mit neuem Blick nur Fremde vor sich sehen? Werden die Vertrauten sie ihrerseits noch wiederkennen? Der Zwiespalt, der durch diese Fragen heraufbeschworen wird, ist bei Sema (und ihren Vertrauten) am deutlichsten spürbar.
Elena, neben Sema die Protagonistin, ist selbst keine Medusen-Schwester, sondern eine Gargoyle. Ein Fabelwesen, das erst viele Jahrhunderte später erfunden wurde. Wie kamen Sie darauf, Figuren aus unterschiedlichen Sagen miteinander zu kombinieren?
Ich habe eine Schwäche für Gargoyles, und mir erschien es immer naheliegend, dass Medusa nicht nur ihre Feinde versteinern, sondern auf diese Weise vielleicht auch Verbündete erschaffen kann. Also habe ich meine Faszination für Gargoyles mit der für Medusa verbunden. Die Medusenschwestern, die darauf hoffen, eines Tages zu verschmelzen, erschaffen sich Vertraute, indem sie Menschen in Gargoyles verwandeln, aber auch, indem sie ruhelose Geister an Statuen binden und zum Leben erwecken. Das sind zwei Wege, die den Schwestern zur Verfügung stehen, um sich Verbündete aus Stein zu erschaffen, und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gargoyles spielen im Roman eine Rolle. Die einen können sich an ihre Leben als Menschen erinnern, die anderen wissen nicht, an welches Leben ihr Geist früher gebunden war. In einem sind sie jedoch vereint: in ihrer Hingabe zu ihrer Medusa.
Was war für Sie die größte Schwierigkeit beim Schreiben von Schlangen und Stein?
Die größte Herausforderung bei diesem Roman war die Form. Im Sinne der Progressiven Phantastik hinterfrage ich bei jedem Projekt, auf welche Weise ich einen Stoff erzähle, damit ich eine Form finde, die die Geschichte am besten zur Geltung bringt. Mir schwebte vor, die Geschichte aus zwei Perspektiven zu erzählen – sowohl aus der einer Medusenschwester (Sema) als auch aus der einer Gargoyle (Elena). Es dauerte eine ganze Weile, bis ich die richtigen Stimmen gefunden hatte. Ich hatte mich früh für eine Ich-Erzählung entschieden, aber als mir beide Perspektiven trotz allem zu ähnlich klangen, entschied ich mich dazu, Semas Kapitel im Präsens zu erzählen, um ihren besonderen Blick auf die Wirklichkeit darzustellen. Denn sie kann Erinnerungen so wahrnehmen, als würden sie gerade geschehen. Durch diesen Kontrast zwischen Gargoyle und Medusenschwester unterscheiden sich die Erzählstimmen deutlich, und Semas Perspektive bekommt einen besonderen Zauber.
In Zwischenkapiteln erzähle ich dann Sagen, die ich erfunden habe, um meine Anknüpfungen an die griechische Mythologie zu motivieren. Das alles zusammenzubringen und dabei leicht aussehen zu lassen, das war die größte Herausforderung bei diesem Buch.
Schlangen und Stein spielt an verschiedenen Orten in Europa – vom Süden von Irland, über die Eifel nach Köln, bis hin nach London und nach Südfrankreich. Es ist also viel Bewegung im Roman. Wieso haben Sie sich dazu entschieden?
Medusa wird meistens so dargestellt, dass sie irgendwo haust und von dem sogenannten Helden heimgesucht wird. Im Grunde wartet sie nur darauf, dass Perseus kommt und ihr den Kopf abschlägt. Ich wollte Medusa durch Sema als handelnde, sich bewegende Figur zeigen, die verfolgt wird und auf der Suche nach Zuflucht und Gemeinschaft ist. Und dabei bewegen sie und ihre Vertrauten sich durch Europa, weil sie in Europa untergetaucht sind. Bei den Schauplätzen selbst gibt es meistens einen persönlichen Bezug. Ich lebe in der Nähe von Köln, und die Domstadt ist für mich der perfekte Ort für eine Gemeinschaft der Gargoyles. Der Odenwald als Zuflucht verweist unter anderem auf die Herkunft des deutschen Teils meiner Familie. Ihn verbindet aber auch noch etwas mit einem Schauplatz in Südfrankreich, aber ich würde zu viel von der Geschichte preisgeben, wenn ich sagte, worin diese Verbindung besteht.
Wieso ist die Sage der Medusa immer noch so aktuell für unsere heutige Zeit?
Die Frage, wer das Monster ist, ist immer aktuell, solange Menschen diskriminiert werden. Als Schwarzer Mensch in Deutschland ist mir klar, dass viele mir und meinesgleichen monströse Eigenschaften zuschreiben. Unsere Wut dürfen wir zum Beispiel nie zeigen, weil wir sonst (scheinbar) diese Zuschreibungen bestätigen. Wir brauchen nur zu existieren, um Gefahr zu laufen, rassistisch angegriffen zu werden. Und das gilt natürlich auch für andere Diskriminierungsformen. Auf diesem Hintergrund lässt sich die Gemeinschaft der Medusa als eine der Marginalisierten lesen. Wir alle wissen, dass Rassismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und vieles mehr verachtenswert sind, dennoch werden die alten Erzählungen von Helden und Monstern oft wie gewohnt und ohne zu reflektieren weitertradiert, und eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, ist, sich an eine andere Tradition zu knüpfen und diese Stoffe neu und anders zu erzählen.
Was möchten Sie Ihren Leser:innen mitgeben?
Mir geht es gar nicht so sehr darum, was ich als Autor den Leser*innen mitgebe, sondern vielmehr darum, was die Leser*innen aus meinen Texten herausholen können. Wir alle lesen Texte auf unterschiedliche Weise, und da ich das als Autor weiß, mache ich mit denselben Worten unterschiedliche Angebote an unterschiedliche Leser*innen. Meine Hoffnung ist, dass ich dadurch Spielraum für vielfältige Lesarten biete. Dabei geht es nicht um Eskapismus, sondern darum, einen anderen Blick auf unsere Welt zu erhalten. Und wenn es mir gelingt, jemanden zu einem anderen Blick auf unsere Welt zu bewegen, dann bin ich mit meiner Arbeit zufrieden.
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