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Schuld vergisst nicht (Commissario-Benussi-Reihe 3)

Schuld vergisst nicht (Commissario-Benussi-Reihe 3) - eBook-Ausgabe

Roberta De Falco
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Ein Triest-Krimi

„Ein spannender Krimi, der in das literarische Milieu von Triest führt.“ - bn Bibliotheksnachrichten (A)

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Schuld vergisst nicht (Commissario-Benussi-Reihe 3) — Inhalt

Endlich hat Commissario Benussi seinen Kriminalroman zu Ende geschrieben. Und er weiß auch schon, wie er sein Meisterwerk der Verlagswelt präsentieren wird. Bei einer Feier für den Schriftsteller Ivo Radek will er sein Manuskript dessen Agentin schmackhaft machen. Doch dann wird der Preisträger schwer verletzt in der Bibliothek gefunden. Jemand trachtet dem altehrwürdigen Autor nach dem Leben. Benussi ermittelt in der Triester Literaturszene, zu der er selbst so gern gehören würde. Bald wird klar: Den 90jährigen Schriftsteller umgibt ein dunkles Geheimnis, das seine Schatten bis in die Gegenwart wirft ...

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 01.04.2016
Übersetzt von: Sigrun Zühlke
320 Seiten
EAN 978-3-492-97303-8
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Leseprobe zu „Schuld vergisst nicht (Commissario-Benussi-Reihe 3)“



1 Stelio Kunz schrak aus dem Schlaf hoch, wie üblich schlecht gelaunt. Es war fünf Uhr nachmittags, und er war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen, wie ein Schüler, der keine Lust hat, Hausaufgaben zu machen. Und im Grunde verhielt es sich auch genauso: Er hatte dem Chefredakteur versprochen, den Text über Ivo Radek bis sieben Uhr zu liefern.
Aber was gab es denn noch über den istrischen Autor zu sagen, das nicht schon tausendmal gesagt und bis zum Erbrechen wiederholt worden wäre? Die Tatsache, dass die Universität Triest auf die [...]

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1 Stelio Kunz schrak aus dem Schlaf hoch, wie üblich schlecht gelaunt. Es war fünf Uhr nachmittags, und er war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen, wie ein Schüler, der keine Lust hat, Hausaufgaben zu machen. Und im Grunde verhielt es sich auch genauso: Er hatte dem Chefredakteur versprochen, den Text über Ivo Radek bis sieben Uhr zu liefern.
Aber was gab es denn noch über den istrischen Autor zu sagen, das nicht schon tausendmal gesagt und bis zum Erbrechen wiederholt worden wäre? Die Tatsache, dass die Universität Triest auf die extravagante Idee verfallen war, Radek im zarten Alter von achtundachtzig Jahren einen verspäteten Doktortitel honoris causa zukommen zu lassen, vergällte ihm den Tag so richtig. Welchen Sinn sollte das haben, ihm diesen Titel jetzt noch zu verleihen, wo er doch bereits mit einem Fuß im Grab stand?
Der Grund lag natürlich auf der Hand. Falls in diesem Jahr tatsächlich der Nobelpreis an den alten Schriftsteller aus Parenzo ging, was immerhin wahrscheinlich schien, dann wollte die Stadt, die ihn nach seiner traumatischen Erfahrung der Vertreibung aufgenommen hatte, nicht riskieren, als undankbar dazustehen.
Aber was sollte er, Stelio Kunz – notgedrungen Literaturkritiker, aber in Wirklichkeit ein verkannter Schriftsteller, der sehr viel mehr Talent aufwies als die zahlreichen Tintenkleckser, die die Bestsellerlisten verstopften –, was zum Teufel sollte er noch Originelles schreiben über einen Autor, der vor einem halben Jahrhundert einen vollkommen unverständlichen Erfolg mit seinem Erstlingswerk gehabt und danach nur mittelmäßige Bücher geschrieben hatte, die ebenso unverständlicherweise von vielen Lesern weit höher geschätzt und inniger geliebt wurden, als sie es verdient hatten?
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Wahrheit geschrieben. Radek schuldete seinen unverdienten Ruhm ausschließlich seiner Vergangenheit. Wenn der junge Ivo nicht gezwungen worden wäre, seine Heimat und seine Familie zu verlassen, als Istrien 1947 unter Titos Herrschaft fiel, hätte er niemals dieses herzzerreißende Buch geschrieben, das alle für sein Meisterwerk hielten. Ein Buch, das, unter anderem, dermaßen banal und voller Floskeln war, dass er, Stelio Kunz, es unter denselben Bedingungen hundertmal besser hätte schreiben können, und zwar ohne diese ganzen ermüdenden Grübeleien.
Aber man weiß ja, wie so etwas in Italien läuft. Die wahren Talente, zu denen sich Kunz ganz unbescheiden zählte, mussten sich in erniedrigender Weise damit abfinden, von literarischen Nullen überholt zu werden, die – mithilfe perverser und unnachgiebiger Pressekampagnen, welche den ahnungslosen Lesern suggerierten, dass an dem Kauf ihrer mittelmäßigen Machwerke kein Weg vorbeiführte – dem bereits in Mitleidenschaft gezogenen Markt der „wahren Literatur“ irreparablen Schaden zufügten. Zu der auch das letzte Buch von Kunz zählte, das er gerade fertiggestellt hatte und auf das er ganz besonders stolz war. Bei seinem „Koloss auf tönernen Füßen“ handelte es sich in der Tat um ein komplexes und tiefgründiges Werk, das es verdient hätte, einen so bedeutenden Verlag wie Fondamenta zu finden. Es gab im Land kein anderes Haus, das in Ansehen und Kompetenz damit vergleichbar war.
Stelio Kunz stand auf, streckte sich und ging auf die kleine Terrasse, die gegenüber des Passeggio Sant’Andrea lag. Die warme Juniluft hatte Kinder, Mütter, Rentner und Heranwachsende scharenweise herausgelockt, die nun die weitläufige Fußgängerzone bevölkerten und den Sommeranfang genossen. Wie gern wäre er nach unten gegangen und hätte sich ein Eis geholt, wie diese Jungen, die auf den Bänken rund um den Brunnen saßen, aber er durfte sich das wirklich nicht erlauben. Er war schon zu spät dran, er musste schreiben. Der Chefredakteur hielt den Platz für seinen Artikel frei. Seufzend kehrte er an den Schreibtisch zurück und ließ den Computer wieder hochfahren.
„Der Herr erlöse uns von treu ergebenen Gattinnen“, schrieb er. Vielleicht könnte er so anfangen! Eines der Dinge, die ihn am meisten an Radek irritierten, war tatsächlich dessen Fähigkeit, hinter dem breiten Rücken seiner Ehefrau Petra in Deckung zu gehen. Sie war es, die seit Jahrzehnten für ihn den Kontakt zur Welt unterhielt, auf Anfragen von Journalisten antwortete, Interviews und Einladungen ablehnte. Er, der große Literat, versteckte sich in seiner Wohnung im obersten Stockwerk eines Palazzos in der Via Lazzaretto Vecchio und ließ sich seit Jahren nicht in der Öffentlichkeit blicken. Aus gesundheitlichen Gründen, sagte die Ehefrau. Aus Feigheit und Berechnung, dachte Kunz, und mit ihm viele andere Journalisten, denen es nicht gelungen war, zu einem Interview zugelassen zu werden.
Allerdings trieb Stelios Abneigung ihn nicht so weit, dass er sich nicht hätte eingestehen können, dass der Irritation eine Form von Neid, wenn nicht gar nackte Eifersucht zugrunde lag. Stelio Kunz, um bei der Wahrheit zu bleiben, war nicht nur der Erfolg versagt geblieben, der ihm seiner Meinung nach zugestanden hätte, sondern er war auch noch in seiner Jugend bis über beide Ohren in Petra Gargelli verliebt gewesen. Zwanzig Jahre jünger als ihr berühmter Gatte war Petra eine jener Frauen, die bei jeder Begegnung sofort Empathie ausstrahlte, eine Gabe, die Kunz zweifellos immer gefehlt hatte. Es war diese Ausstrahlung von Vertrautheit und Nähe, die vor vierzig Jahren den jungen Brillenträger Stelio angezogen und zu der Illusion verführt hatte, hinter der Freundschaft mit ihm verberge sich noch ein anderes Gefühl. Als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass dem jedoch nicht so war und Petra nicht im Geringsten daran dachte, sich mit ihm zu verloben, war die Enttäuschung bitter gewesen, wenn auch nicht gänzlich unerwartet.
Die Universität Triest wird übermorgen um 11 Uhr in der Aula A der Fakultät für Literatur und Philosophie zusammenkommen, um Ivo Radek die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Der berühmte istrische Schriftsteller, 1925 in Parenzo geboren, hat seine Anwesenheit zugesichert, auch wenn er, wie wir
alle wissen, das Licht der Öffentlichkeit scheut. Radek trägt den Namen seiner Mutter, russischen Ursprungs, den er angenommen hat, um den Namen des Vaters, Furian, nicht führen zu müssen. Er war zu stark mit den tragischen Ereignissen des Exodus verknüpft.
Anlässlich der Verleihung werden seine beiden Verleger, der adelige Titus Celsius aus dem ange­sehenen Verlagshaus Fondamenta, das auch die Rechte am Enthüllungsbuch „Der Kindheitsfreund“ von 1955 hält, und Terenzio Tasca, der neue Verlagsleiter von Russo & Nobile, anwesend sein. Der Verlag hat alle anderen Bücher Radeks publiziert und möchte auch die Rechte seines jüngsten, streng geheimen Werkes erwerben, von dem bis heute nur der Titel „Unser Erdenleben“ bekannt ist.
Die Schlacht zwischen Russo & Nobile und Fondamenta um das neue Buch ist in vollem Gange. Die mächtige Literaturagentin Rhoda Wallace, die Radeks Rechte weltweit vermarktet, lässt sich nicht in die Karten schauen. Bis zum heutigen Zeitpunkt weiß niemand, wovon dieses, sein letztes Werk handelt; ob es, wie wir vorhersagen, eine Art spiri­tuelles Testament des istrischen Autors sein wird oder ob er im Gegenteil einen Roman, ein Werk der Fiktion vorlegen wird. Die Idee, einen Wettstreit
der Verlage um ein Buch auszurufen, das ansonsten auch unbemerkt hätte bleiben können, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, ist allerdings gewagt und mitnichten ein Erfolgsgarant auf einem mit kurzlebigen Wegwerfprodukten überschwemmten Markt. Müssen wir das Spiel mitspielen und ein uns fernliegendes Interesse heucheln für einen Autor, der zweifellos seine Zeit hatte? Gibt es nicht schon genug aufwendig angekündigte Meisterwerke, die sich, einmal erschienen, als wahrhaft überflüssig erwiesen haben?
Stelio Kunz hielt inne. Wie so oft hatte er sich hinreißen lassen. Er wollte nicht missgünstig und gallig klingen. Schweren Herzens löschte er die letzten Zeilen und schrieb weiter.
Es ist ja kein Geheimnis, dass es Gianluigi Russo – Urenkel des Gründers des ruhmreichen Mailänder Verlagshauses und bis vor zwei Monaten noch all­-
seits gefürchteter Verlagsleiter von Russo & Nobile –, noch gelungen ist, Radek das Versprechen abzuringen, ihm die Publikation seines neuen Werkes anzuvertrauen, bevor er so brutal vor die Tür gesetzt wurde. Doch dann hat das Erscheinen des jungen, frischgebackenen Verlegers Terenzio Tasca auf dem Parkett die Karten einmal mehr neu gemischt.
Es scheint, als schätze der greise Autor Veränderungen nicht, folglich läge die Vorstellung, dass er in Celsius’ Arme zurückkehrt, nicht allzu fern. Umso mehr als Fondamenta nach wie vor alle Rechte am „Kindheitsfreund“ hält, auch heute noch Radeks meistverkaufter Titel, ungeachtet der Tatsache, dass seit seinem Erscheinen fast sechzig Jahre vergangen sind. Mit einer halsabschneiderischen Klausel in dem Vertrag, der im fernen 1954 vom Autor mit Rufus Celsius, dem bereits verstorbenen Vater des heutigen Verlegers, geschlossen wurde, hat sich das Haus die Rechte an der Verbreitung des Werkes
auf alle Zeiten gesichert. Eine Klausel, die Rhoda Wallace bereits auf allen möglichen Wegen versucht hat für nichtig erklären zu lassen, indem sie behaup­tete, sie sei dem Autor seinerzeit in betrügerischer Absicht abgepresst worden. Allerdings ohne Erfolg.
Wir erinnern uns, dass „Der Kindheitsfreund“ in etwa zur gleichen Zeit wie „Der Leopard“ und „Doktor Schiwago“ erschienen ist, den ersten echten Bestsellern des italienischen Verlagshauses, mit einer Auflage, die damals fast an eine Million verkaufte Exemplare heranreichte und Publikum wie Kritik spaltete, wie es bei so überraschenden und nicht ganz nachvollziehbaren Erfolgen üblich ist. Nach vielen Jahren wiedergelesen, lässt das Buch seine ganze stilistische Brüchigkeit erkennen und bestätigt den Eindruck eines im Grunde ein­fältigen, hemdsärmeligen Textes, dem es noch dazu nicht an Floskelhaftigkeit mangelt. Die Idee, die Parabel einer Freundschaft in Form eines langen, niemals abgeschickten Briefes zu erzählen, erweist sich in der Tat als ein erzählerischer Ansatz, der auf eine viel zu schlichte emotionale Wirkung abzielt. Es wäre wesentlich interessanter gewesen, und literarisch origineller, die Geschichte von beiden Parteien erzählen zu lassen, der des erzählerischen Ichs und der des verräterischen Freundes. Damit hätte sich eine bei Weitem kraftvollere Dynamik entwickeln lassen, und es wären auch jene Aspekte beleuchtet worden, die Radek im Dunkeln gelassen hat. So bleibt der kroatische Freund Toni unbestimmt und teilt damit das Schicksal so vieler schablonenhafter Figuren, die einen großen Teil der literarischen Produktion Italiens der letzten fünfzig Jahre bevölkern.
Stelio hielt wieder inne und fragte sich, ob er die letzte Spitze nicht auch wieder streichen sollte, entschied sich aber, sie stehen zu lassen. Es gab schon genug Heuchler unter den Kritikern, alle mit ihrem eigenen hübschen Manuskriptchen auf dem Rechner, die sich bei den Verlegern mit beschämend parteilichen Rezensionen lieb Kind machen wollten. Er hingegen, der seine Fehde mit der Verlagswelt längst verloren hatte, wusste Bescheid. Er konnte sich den Luxus erlauben, aufrichtig zu sein. Er hatte nicht Camilleris Glück gehabt, der an der Schwelle zu siebzig „entdeckt“ worden war, er musste heute nicht, wie alle anderen, Krimis schreiben. Ja, in Wahrheit reagierte er allergisch auf die sogenannten Thriller. Wenn sie bei ihm eintrudelten in der Hoffnung auf eine Rezension, warf er sie unbesehen in den Altpapierkarton. Er hatte die literarischen Moden so unendlich satt.
Das Telefon klingelte, während er das Ende doch noch mal überarbeitete. Auch wenn er wusste, dass er im Recht war, musste er ja nicht unbedingt nachtreten.
„Du bist doch mit Radeks Frau befreundet, oder?“
Der Chefredakteur hatte die schlechte Angewohnheit, sich am Telefon nie mit Namen zu melden.
„Früher mal, ist eine Ewigkeit her.“
„Sehr gut. Also versuch doch mal, an ein Interview mit ihr zu kommen. Wenn der alte Bär sich weigert, den Mund aufzumachen, versuchen wir halt so rauszubekommen, wovon dieses neue, geheimnisumwitterte Buch handelt, um das sich die Verleger kloppen.“
Auch der Chefredakteur war in die Falle getappt. Stelio Kunz seufzte, er würde das Spiel mitmachen müssen, wie immer.
„Die Frau wird sich ganz sicher nicht gesprächig zeigen. Die schützt ihn doch schon immer.“
„Deshalb brauchen wir dich. Es darf halt nicht wie ein Interview klingen, sondern, was weiß ich, wie ein Gespräch über die Literatur von heute. Du rufst sie an, um mit ihr, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde, über das Gesamtwerk ihres Mannes zu reden, und mit deinen diabolischen Fähigkeiten, die dich so einzigartig machen, bringst du sie dazu, dir irgendetwas anzuvertrauen …“
„Wie ich sie kenne, wird sie nicht darauf hereinfallen.“
„Und du probierst es trotzdem. Frag sie vielleicht nach ihrer Meinung zu einem Buch, das du schreiben willst. Immerhin bist du ja auch ein anerkannter Schriftsteller. Die Ehefrauen von Autoren lassen sich doch nur zu gern als Expertinnen zurate ziehen, eine weitverbreitete Schwäche. Schmeichle ihr irgendwie, erfinde irgendwas, aber wir müssen unter allen Umständen die Ersten sein, die rausbekommen, wovon es handelt. Radek übertreibt es wirklich mit seiner Geheimniskrämerei. Das geht mir auf die Nerven. Sieh zu, dass du das hinkriegst.“
Es würde nicht leicht werden, er war noch nie gut darin gewesen, sich zu verstellen. Aber wenigstens würde ihm das einen Vorwand liefern, um Petra wiederzusehen.
„Einverstanden.“
Kunz drehte sich zum Fenster um und betrachtete mit etwas mehr Wohlwollen die Abendröte, die Triest einhüllte. Diese Idee des Chefredakteurs war wirklich nicht schlecht. Er würde die Gelegenheit nutzen, um Petra sein neues Manuskript mitzubringen. Er war sich sicher, dass es ihr gefallen würde. Als sie noch miteinander befreundet waren, hatte er ihre Fähigkeit, seine Arbeit zu beurteilen und ihn dabei zu ermutigen und anzuspornen, immer sehr geschätzt. Vielleicht gelang es ihm ja, sie zu einem kurzen Satz über den Roman zu verleiten, ein Schlaglicht, das er dann dem Ehemann zuschreiben konnte. Und das könnte ausschlaggebend sein, um die Aufmerksamkeit von Titus Celsius zu wecken.

„Rhoda Wallace kommt nach Triest!“
Carla Benussi machte gerade Toasts, als ihr Mann Ettore ganz aufgeregt mit dem iPad in der Hand hereinkam. „Sie kommt zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Ivo Radek. Was meinst du? Ob ich sie um einen Termin bitten könnte?“
Der verblüffte Ausdruck, der sich auf dem müden Gesicht seiner Frau abzeichnete, sprach Bände.
„Vielleicht, wenn ich mit ihr sprechen könnte, wenn ich ihr persönlich erklären könnte …“, fuhr Benussi hoffnungsvoll fort. „Immerhin bin ich ein echter Kommissar, vielleicht macht sie das neugierig.“
„Wenn sie dir bis jetzt nicht geantwortet hat, bezweifle ich, dass sie ihre Meinung ändert, wenn sie dich sieht.“
„Aber du hast doch auch gesagt, dass mein Krimi funktioniert und dir gefallen hat. Oder hast du das nur so gesagt?“
„Er hat mir gut gefallen, ja, aber wenn ich in den Buchladen gehe und die Berge von Thrillern sehe, die da im Regal stehen, dann frage ich mich, welche Chancen deiner hat, überhaupt bemerkt zu werden. Das ist alles.“
„Also bist du schon sicher, dass sowieso keiner ihn veröffentlichen würde, und selbst wenn, dass niemand ihn kaufen würde. Na, vielen Dank für die Ermutigung.“
„Ich versuche nur, dich vor einer Enttäuschung zu bewahren. Du hast so hart daran gearbeitet, du hast es nicht verdient, dass man sich nur nebenbei mit dir beschäftigt.“
„Ich weiß, was du mir sagen willst, Carla. Ich kann zwischen den Zeilen lesen. Du denkst, ich hätte meine Zeit nur verschwendet, und hast nicht den Mut, es mir zu sagen.“
„Nein, da gibt’s nichts zwischen den Zeilen zu lesen, Ettore“, seufzte sie gereizt. „Mach, was du willst.“
Mehr als die Worte war es der ungeduldige Ton, der ihn wütend machte. „Red nicht so von oben herab mit mir wie eine Lehrerin, das halte ich nicht aus!“
Benussi stürmte aus der Küche und stieß dabei einen Stuhl um. Carla versuchte, ihn zurückzurufen. Sie wollte den Tag nicht so beginnen.
„Ettore! Komm schon, stell dich nicht so an. Komm zurück, ich bitte dich! Komm und frühstücke mit mir.“
In diesem Augenblick betrat ein Mädchen die Küche, in einem überlangen schwarzen T-Shirt, zerzaust und mit nackten Füßen, und trat wortlos an den Kühlschrank.
„Guten Morgen, Livia. Gut geschlafen?“
Ein achselzuckendes Grunzen war die einzige Antwort.
Carla hatte jetzt wirklich genug von den Launen ihrer Familie. Nach der schrecklichen Entführung durch einen Verrückten, die sie vor sechs Monaten hatte durchmachen müssen, war ihre sprichwörtliche Geduld brüchig geworden. Ohne noch etwas zu sagen, warf sie die Kanne mit dem frisch gekochten Kaffee ins Spülbecken und verließ die Küche.
„Ey, was ist denn hier heute Morgen los?“, protestierte Livia. „Erst rennt mich Papa fast um, und jetzt haust du einfach so ab!“
Carla steckte noch einmal kurz den Kopf zur Tür herein: »Willst du wirklich wissen, was mit mir los ist, Livia? Ich hab’s satt, ich hab das alles hier gründlich satt! Ihr behandelt mich wie einen Kleiderständer, lasst eure ganzen schlechten Launen an mir aus. Aber es steht nirgend­­wo geschrieben, dass ich bleiben und das alles ertragen muss.«
Die Tochter starrte sie verblüfft an, als erkenne sie sie nicht wieder.
„Aber ich hab doch gar nichts von dir gewollt!“
„Genau. Ab und zu mal ein ›Guten Morgen, Mama, wie geht’s?‹ wär nicht schlecht.“
Als Carla ins Schlafzimmer kam und Ettore auf dem Bett sitzen sah, in der Bewegung erstarrt, einen Socken in der Hand, überkam sie eine Anwandlung von Zärtlichkeit. Mit einem Schlag löste sich der Ärger in Luft auf. Seit dem Vorfall, der ihn vor acht Monaten beinahe das Leben gekostet hätte, fielen ihm bestimmte Bewegungen schwer, wie zum Beispiel sich vorzubeugen, um sich die Socken anzuziehen. Normalerweise tat er das im Stehen, stützte sich an der Wand ab und hob jeweils ein Bein, wie ein unbeholfener Storch, aber heute Morgen hatte er nachgegeben. Carla trat zu ihm und half ihm, ohne etwas zu sagen. Ettore betrachtete sie schweigend, sein Ausbruch von eben reute ihn bereits.
„Vermutlich hast du recht. Vielleicht würde ich mich lächerlich machen.“
„Ich habe eine bessere Idee. Du könntest Cristina bitten, zu vermitteln. Ich weiß, dass sie sie gut kennt.“
„Radeks Tochter? Triffst du dich noch mit ihr?“
„Ab und zu.“
„Ist die immer noch mit dem Irren zusammen?“
„Leider ja.“
„Und die Tochter, Ada, die von zu Hause weggelaufen ist?“
„Ist zu den Großeltern gezogen. Sie will nicht mehr mit diesem Mann unter einem Dach leben.“
„Das wundert mich nicht. Bei allem, was er ihr angetan hat …“
„Ich verstehe einfach nicht, warum Cristina immer noch mit ihm zusammen ist und sogar ihre Beziehung zu Ada dafür aufs Spiel setzt. Wofür? Na, wer weiß!“
„Und der Vater?“
„Wieder verschwunden.“
„Wirklich eine nicht ganz geheure Familie …“
„Und du beschwerst dich über unsere!“
Ettore strich seiner Frau über die Wange. Dafür liebte er sie. Auch wenn sie nach der Entführung kantiger und ungeduldiger geworden war, ließ Carla es nie zu, dass etwas Belastendes zwischen ihnen stand. Dass beide beinahe gestorben wären, hatte sie noch stärker miteinander verbunden und aufmerksamer füreinander gemacht.
„Geh doch morgen zu der Feier für Radek in die Universität. Ich bitte Cristina, dass sie dir einen Platz in der Nähe von Wallace besorgt, der Rest liegt dann bei dir. Du brauchst nur noch so zu tun, als sei das alles Zufall. Das wäre schon anders, oder?“
„Und du glaubst, Cristina würde das für mich machen?“
„Ich wüsste nicht, warum nicht.“
Das Handy klingelte auf Ettores Nachttisch. Carla gab es ihm.
„Guten Morgen, Morin! Ist etwas passiert? Gut, ich komme.“
Der Kommissar stand auf und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
„Ich muss los.“

Roberta De Falco

Über Roberta De Falco

Biografie

Roberta De Falco ist das Pseudonym einer erfolgreichen Drehbuchautorin, die mit den Großen des italienischen Kinos zusammengearbeitet hat. Sie lebt in Triest, Rom und Orvieto.

Pressestimmen
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„Ein spannender Krimi, der in das literarische Milieu von Triest führt.“

General-Anzeiger

„De Falcos Figuren haben Charakter, ihr Schauplatz ist ein echter Teil der Handlung statt bloße Kulisse. Wenn alle Städtekrimis so wären: Das wäre schön.“

Kleine Zeitung (A)

„Roberta De Falco erzählt spannend von den Wunden der Vergangenheit.“

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