Seven Second Summits Seven Second Summits - eBook-Ausgabe
Über Berge um die Welt
Seven Second Summits — Inhalt
Nach Erlebnissen an den 14 Achttausendern und rund 50 Erstbegehungen hatte Hans Kammerlander ein neues Ziel: die Besteigung der zweithöchsten Gipfel auf den sieben Kontinenten. Sein Projekt der „Seven Second Summits“ wurde zu einer Reise um die Welt; vom K2 in Asien, der ihm extrem viel abverlangte, über den Ojos del Salado am Rand der Atacamawüste bis zum Dschungel Neuguineas. Doch dann wurde ausgerechnet der vergleichbar „einfache“ Mount Logan in Nordamerika zum Auslöser heftiger Diskussionen – zu einem Zeitpunkt, als der erfahrene Höhenbergsteiger längst entschlossen war, zum Berg des Anstoßes zurückzukehren…
Leseprobe zu „Seven Second Summits“
Prolog
Das Abenteuer beginnt zwei Meter abseits der ausgetrampelten Pfade
Vor rund sechzig Millionen Jahren zerfiel unsere Erdkruste. Urgewaltige Kräfte verschoben die Landmassen, und es entstanden sieben Kontinente. Diese Kontinente liegen wie riesige Schollen auf dem flüssigen Gestein des Erdmantels und sind bis heute in Bewegung. Überall wo sich das Gestein aufwirft, wo sich Gebirge mit grandiosen Ausmaßen gebildet haben, befindet sich heute die faszinierende Welt der Bergsteiger und Alpinisten.
Es gibt Lebenswege, die führen offenbar immer steil [...]
Prolog
Das Abenteuer beginnt zwei Meter abseits der ausgetrampelten Pfade
Vor rund sechzig Millionen Jahren zerfiel unsere Erdkruste. Urgewaltige Kräfte verschoben die Landmassen, und es entstanden sieben Kontinente. Diese Kontinente liegen wie riesige Schollen auf dem flüssigen Gestein des Erdmantels und sind bis heute in Bewegung. Überall wo sich das Gestein aufwirft, wo sich Gebirge mit grandiosen Ausmaßen gebildet haben, befindet sich heute die faszinierende Welt der Bergsteiger und Alpinisten.
Es gibt Lebenswege, die führen offenbar immer steil bergauf. Hans Kammerlander wurde als sechstes Kind einer Bergbauernfamilie in Ahornach an einem steilen Hang in den Südtiroler Bergen geboren. Das Leben war hart dort oben und entbehrungsreich. Und doch blieb immer ein wenig Zeit, um die wundersame Bergwelt zu entdecken. Schon als Achtjähriger bestieg Hans Kammerlander seinen ersten Gipfel.
Niemand konnte ahnen, dass an diesem Tag eine außergewöhnliche Karriere begann. Hans Kammerlander machte später sein Hobby zum Beruf und wurde Bergführer. An der Seite von Reinhold Messner bestieg er sieben der vierzehn Achttausender. Sechs weitere schaffte er allein oder mit anderen Partnern. Dabei gelangen ihm spektakuläre Höhepunkte wie die ersten Skiabfahrten vom Mount Everest und vom Nanga Parbat.
Als Kammerlander den K2 – den zweithöchsten Gipfel der Erde, den schwierigsten Achttausender, den „Berg der Berge“ – bestieg, reifte dort oben in ihm bereits ein neuer Plan. Er beschloss, auf allen sieben Kontinenten die jeweils zweithöchsten Gipfel zu besteigen.
Doch warum kommt jemand, dem es nie steil und nie hoch genug sein konnte, auf die Idee, sich nunmehr die jeweils zweithöchsten Berge zum Ziel zu setzen?
Die Erklärung ist einfach. Fast 300 Bergsteiger haben inzwischen die Seven Summits bestiegen, also die sieben höchsten Berge auf allen sieben Kontinenten. Der US-Amerikaner Dick Bass, ein umtriebiger Unternehmer aus Oklahoma, war im April 1985 der erste Mensch, der das ehrgeizige siebenteilige Projekt auf dem Gipfel des Mount Everest abschloss. Doch er löste damit einen wahren Run auf den Kilimandscharo, den Aconcagua, die Carstensz-Pyramide, den Everest und die anderen Erdteilspitzen aus. Viele andere Bergsteiger wollten ihm nun nacheifern. Die sieben höchsten Erhebungen der Kontinente wurden bald zur Katalogware, die gebucht werden konnte.
Noch nie aber ist es einem Alpinisten gelungen, die sieben zweithöchsten Gipfel aller Erdteile zu besteigen. Dabei liegt darin ganz offenkundig eine viel größere Herausforderung – logistisch wie alpinistisch gesehen. Denn in den meisten Fällen sind die jeweils zweithöchsten Berge umständlicher zu erreichen und schwerer zu besteigen als ihre oft nur unwesentlich höheren Nachbarn.
Das Projekt der „Seven Second Summits“ ist für Hans Kammerlander so zu einem neuen Abenteuer und zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung geworden.
Das ist der Vorspanntext aus meinem Vortrag über die „Seven Second Summits“. Wir haben ihn schon im Frühjahr 2011 verfasst, als ich noch in dem Projekt steckte und auch noch nicht alle sieben Gipfel bestiegen hatte. Doch mit dem bereits vorhandenen Bild- und Filmmaterial sowie diesem Text konnte man allemal damit beginnen, an einem Vortrag zu basteln. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt längst erkannt, dass jede einzelne dieser Expeditionsreisen eine Fülle von guten und erzählenswerten Episoden in sich barg.
Die ganze Geschichte aber hatte bereits zehn Jahre zuvor begonnen.
Während ich 2001 vom Gipfel des K2 herunterstieg, unendlich müde und innerlich aufgewühlt, fühlte ich bereits da sehr deutlich, dass ich nun an einem Scheideweg angekommen war. Ich war bergsteigerisch an meine Grenzen gestoßen, denn ich hatte auf dem Gipfel des K2 praktisch alles erreicht, was zu diesem Zeitpunkt und für mich ganz persönlich zu erreichen war. Ich hätte meine Leistungen allenfalls mit erhöhten Schwierigkeiten, noch mehr Risiko oder mit der Erfindung merkwürdiger Superlative vorantreiben können. Doch dafür fehlte mir die Motivation. Man kann sich auch als sogenannter Extrembergsteiger leicht zum Clown machen. Mit einiger Skepsis beobachtete ich schon damals die Auswüchse des Alpinismus, immer neue Varianten durchspielen zu wollen. Ich wartete schon darauf, dass jemand versuchte, rückwärts auf den Mount Everest zu steigen. Vor allem die Modeberge stellen beliebte Plätze für spektakuläre Aktionen dar, die mir sinnlos erscheinen, aber ein gefundenes Fressen für die Medien sind, die Sensationen verkaufen wollen und nicht nach dem alpinistischen Wert fragen.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwölf der vierzehn Achttausender bestiegen. Am Manaslu hatte sich eine Tragödie ereignet, bei der zwei meiner Freunde – die Südtiroler Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher – ums Leben kamen. Deshalb habe ich dort keinen zweiten Versuch mehr unternommen. Und an der Shisha Pangma, dem kleinsten der Achttausender, war ich vom Mittelgipfel nicht mehr die paar Schritte bis auf den Hauptgipfel hinübergegangen, weil ich schon viel zu sehr mit meiner bevorstehenden Besteigung des Mount Everest beschäftigt war. Deshalb fehlen mir die Gipfel dieser beiden Achttausender. Der Rucksack meiner Erlebnisse war damals mit rund 2500 Klettertouren gefüllt, darunter etwa fünfzig Erstbegehungen und fast sechzig Alleinbegehungen großen Alpenwände im VI. Schwierigkeitsgrad. Die Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses, in den Dolomiten – neben vielen anderen – auch die bekannten Wände der Drei Zinnen, die Südwand der Marmolada, die Civetta-Nordwestwand, die gelben Felsen der Heiligkreuzkofelwand und die Routen am Langkofel. Ich war mit Reinhold Messner auf den Grenzen unseres Landes rund um Südtirol gewandert, über tausend Kilometer weit, mit mehr als 100 000 Höhenmetern und über 300 Gipfeln, die wir unterwegs bestiegen. Zusammen mit dem Sterzinger Bergführer Hanspeter Eisendle war ich binnen 24 Stunden durch die Nordwände des Ortler und der Großen Zinne gestiegen. Die 246 Kilometer, die zwischen den beiden sehr anspruchsvollen Routen liegen, überwanden wir auf dem Rennrad. Gemeinsam mit dem Schweizer Bergführer Diego Wellig kletterte ich 1991 alle vier Grate des Matterhorns sowohl im Auf- als auch im Abstieg.
Das alles erzähle ich hier weniger um des Beifalls willen, sondern vor allem, um zu erklären, was es bedeuten kann, wenn man keine Antwort mehr auf die Frage findet: Und was nun? Ich sage es ganz ehrlich, das ist ernüchternd. Genau das empfand ich damals am Tag meines Abstiegs vom K2 und auch danach. Zum ersten Mal sah ich die guten Zeiten zur Neige gehen, die mir vieles, wenn nicht alles in meinem Leben ermöglicht hatten. Nicht, dass mein Mut schwand oder mein Antrieb geringer wurde. Aber ich tat mich auf einmal schwerer damit, neue Ziele zu definieren. Ein bisschen war das, als würde ich auf die Pensionierung zusteuern, ohne zu wissen, was ich danach tun wollte. Der Nuptse East, ein gewaltiges Bergmassiv gegenüber dem Mount Everest und zum damaligen Zeitpunkt der höchste noch unbestiegene Berg der Erde, spukte mir im Kopf herum. Ich setzte dort zweimal an, dann kam mir der Russe Valery Babanov zuvor. Am Jasemba, einem unglaublich schönen Berg ebenfalls in der Nähe des Everest, scheiterten wir schon beim ersten Anlauf zu einer Erstbesteigung. Der zweite Versuch endete in einer Katastrophe, als mein Bergführerkollege Luis Brugger tödlich abstürzte. Ich kehrte dennoch 2007 zum Jasemba zurück und bestieg ihn schließlich zusammen mit Karl Unterkircher. Bei dieser Expedition sprachen wir viel über neue Ziele und interessante Aufgaben. Doch dann verunglückte Karl Unterkircher 2008 tödlich am Nanga Parbat. Auf der Suche nach Orientierung war ich wieder allein.
Man hat nicht wirklich viel Zeit zum Nachdenken, wenn man – meist mit dem Gesicht zur Wand und sehr, sehr steil – über die Česen-Route vom K2 absteigt. Aber in den lichten Momenten, die etwas mehr als die volle Konzentration auf den nächsten Schritt zuließen, schoss mir ein paarmal der Gedanke durch den Kopf, dass der K2 wirklich sehr viel schwerer zu bewältigen ist als der Mount Everest. Ich hatte das natürlich schon vorher gewusst, es war ja auch überall nachzulesen. Aber nach der eigenen Erfahrung wiegt die Wahrheit meist noch ein paar Pfunde mehr. Der zweithöchste Gipfel der Erde war also viel anspruchsvoller zu besteigen als der höchste. Und wie wäre das denn bei den Zweithöchsten anderer Kontinente und Länder? Ich konnte mir denken, dass in Afrika der Batian im Mount-Kenia-Massiv sicherlich schwerer ist als der Kibo im Kilimandscharo-Massiv. Und wahrscheinlich auch viel einsamer. Aber wie präsentiert sich der zweithöchste Berg Südamerikas im Vergleich zum Aconcagua? Wie heißt der zweithöchste Berg Südamerikas überhaupt? Und was ist in der Antarktis los und was in Nordamerika? Welcher Berg ist dort die Nummer zwei nach dem Mount McKinley, an dem ich schon unterwegs gewesen war? Ich schmunzelte: Das Abenteuer beginnt bekanntlich zwei Schritte abseits der ausgetrampelten Pfade. Ehe ich mich versah, war ich mit meinen Fragen und mit meiner Neugier auf Neues schon mittendrin im neuen Projekt.
Eines war von vornherein klar: Die Seven Summits kamen für mich nicht infrage. Ich hegte keinerlei Interesse an Zielen, die man fast alle bei einem Reiseveranstalter und als geführte Bergtour buchen kann. Ich hatte den Rummel um diese Modeberge am Mount McKinley deutlich gespürt. Wir scheiterten damals, 1997, wegen des gewaltigen Steinschlags bei dem Versuch einer Erstbegehung am Moose’s Tooth. Aber wir sahen sehr wohl die Kolonnen, die sich von dem bekannten Medizincamp aus in Richtung Gipfel bewegten. Vom Kilimandscharo oder vom Aconcagua hatte ich nichts Besseres gehört. Ich wollte nicht einfach nur den Weg wiederholen, den schon so viele vor mir begangen hatten. Natürlich sind für die allermeisten Bergsteiger die höchsten Berge aller sieben Kontinente nach wie vor eine große Herausforderung und sicherlich etwas ganz Besonderes in ihrem Leben. Ich will die Leistung an den Seven Summits gewiss nicht schmälern. Doch die Erkenntnis, dass allein schon der K2 im Vergleich zum Everest einem Bergsteiger um so viel mehr abverlangt, war mir genug, um mich nicht mehr für die Höchsten, sondern viel mehr für die Zweithöchsten auf allen Kontinenten zu interessieren.
Bei einem Vortrag Anfang 2009 über unsere Erstbesteigung am Jasemba wurde ich wie so oft nach meinen nächsten Zielen gefragt. Plötzlich platzte es aus mir heraus, ich hob das Mikrofon und sagte munter: „ Ich werde als Nächstes versuchen, auf allen Kontinenten nicht die höchsten, sondern die zweithöchsten Gipfel zu besteigen.“ Viele Menschen im Saal brachen in schallendes Gelächter aus. Die wenigsten glaubten im ersten Moment, dass da einer ernsthaft vorhatte, zweithöchste Gipfel zu erreichen. Doch genau diese Reaktion, diese Ungläubigkeit im Publikum, die Überraschung meiner Zuhörer, nährten meine Überzeugung von der Richtigkeit dieses Plans. Diese Sache war interessant, weil neu, ungewöhnlich und noch nie gemacht. Das war keine Clownerie, sondern ein alpinistisches Ziel mit hohem Anspruch. Prompt rührten sich ein paar Tage später die Medien. Journalisten stellten mir Fragen, die ich selbst noch nicht beantworten konnte, und sie löcherten mich, wann es denn losgehen würde mit meiner Reise um die Welt. Mit einem Schlag war ich mittendrin in den Seven Second Summits.
Ich hatte keine Ahnung, was mich dabei erwarten und was da alles an „Nebengeräuschen“ auf mich zukommen würde. Am Ende machte ich die Erfahrung, dass dieses Projekt mir mehr Publizität einbrachte als meine Skiabfahrt vom Mount Everest 1996.
Das Erste, was mir auffiel, waren die Widersprüche und Diskussionen über die höchsten Berge aller Kontinente, also die Seven Summits. Da gibt es zwei Besteigungslisten. Die eine basiert auf der Idee von Dick Bass, dem bis heute als Erstem der Erfolg auf den sieben höchsten Erdteilgipfeln zugeschrieben wird. Richard „Dick“ Bass wurde 1929 in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma geboren. Drei Jahre später zogen seine Eltern mit ihm nach Dallas/Texas. Der Absolvent der berühmten Yale-Universität machte sein Geld im Ölgeschäft und verfiel Ende der 1960er-Jahre der faszinierenden Welt der Berge. Zunächst im Winter. Und weil ihn die weiße Pracht so sehr faszinierte, eröffnete er kurzerhand ein ganzes Skigebiet in Utah. Zu Bass’ besten Freunden zählte Frank Wells. Wells wurde 1932 in Coronado/Kalifornien geboren, studierte in Oxford und war von 1984 bis 1994 der sechste Präsident der Walt Disney Company. Dick Bass und Frank Wells teilten nicht nur ihre Freude am Management, sondern vor allem auch ihre Freizeit in den Bergen. Beide waren nicht unbedingt überragende, aber begeisterte Alpinisten. Sie kamen auf immer verrücktere Einfälle und verbreiteten in ihren Familien bisweilen Angst und Schrecken. Bass und Wells ersannen schließlich 1980 die Idee der Seven Summits. Der eine jenseits, der andere knapp vor den fünfzig. Ein kühner Plan, dem beide anfangs weder bergsteigerisch noch konditionell und technisch wirklich gewachsen waren. Aber offenkundig wuchsen Bass und Wells an ihrer Aufgabe. Nach ein paar Fehlversuchen, unter anderem am Elbrus im Kaukasus, knackten sie 1983 eine Nuss nach der anderen. Innerhalb von nur einem Jahr bestiegen sie sechs der sieben anvisierten Gipfel. Gegen den Mount Everest jedoch rannten sie auf der Zielgeraden dann dreimal vergebens an. Frank Wells kündigte seinem Freund Dick Bass daraufhin die Gefolgschaft auf. Nicht ganz freiwillig, Wells’ Frau soll maßgeblichen Einfluss auf diese Entscheidung genommen haben. Und so erreichte Dick Bass am 30. April 1985 den höchsten Punkt des asiatischen Kontinents ohne seinen Freund Frank, jedoch an der Seite des bekannten Höhenbergsteigers David Breashears. Mit inzwischen 55 Jahren war Bass damals der älteste Bergsteiger, der den Everest-Gipfel geschafft hatte. Und mit diesem Erfolg schmückten ihn endlich auch die Seven Summits. Dick Bass, mittlerweile über achtzig und immer noch putzmunter, betreibt nach wie vor sein Skigebiet „Snowbird“ in Utah und tauchte 2010 überraschend in Kathmandu auf, um im Hotel „Yak und Yeti“ das 25. Jubiläum seiner Everest-Besteigung zu feiern. Frank Wells kam 1994 bei einem Hubschrauberabsturz in den Bergen von Nevada ums Leben. Der Disney-Zeichentrickfilm „König der Löwen“ ist ihm gewidmet und auch die berühmte Matterhorn-Attraktion in Disneyland in Anaheim/Kalifornien.
Die Seven-Summits-Liste von Dick Bass und Frank Wells erscheint auf den ersten Blick hin durchaus logisch. Aber eben nur auf den ersten Blick. Sie umfasst folgende höchste Gipfel aller sieben Kontinente:
■ Elbrus (5642 m), Russland, Europa
■ Aconcagua (6962 m), Argentinien, Südamerika
■ Mount McKinley (6194 m), Alaska, Nordamerika
■ Kibo/Kilimandscharo (5895 m), Tansania, Afrika
■ Mount Vinson (4892 m), Antarktis
■ Mount Kosciuszko (2228 m), New South Wales, Australien
■ Mount Everest (8848 m), Nepal/Tibet, Asien
Über diese Liste kann man durchaus kritisch nachdenken. Sogar Fachleute sind unterschiedlicher Meinung, welche Gipfel nun die höchsten der Kontinente sind. Probleme gab und gibt es in bestimmten Regionen der Erde auch nach wie vor mit den Höhenangaben. Und schließlich ist manch einer nicht einmal ganz sicher, wie viele Kontinente es überhaupt gibt. Dabei fußt das meiste inzwischen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich war selbst lange davon überzeugt, dass der Mont Blanc mit seinen 4810 Metern und nicht der Elbrus in Russland der höchste Berg Europas sei. Dem ist aber nur dann so, wenn man das Kaukasus-Gebirge auf der Eurasischen Wasserscheide nicht Europa, sondern Asien zurechnet. Selbst Geologen sind sich da offenbar nicht immer ganz einig, wo Europa beginnt und Asien aufhört. Und immerhin wird in einigen Büchern noch heute die Auffassung vertreten, dass es überhaupt nur fünf Kontinente gibt, wenn man Nord- und Südamerika zu Amerika und Europa und Asien zu Eurasien zusammenfasst. Dick Bass hat 1985 „seine“ sieben höchsten Gipfel bestiegen und damit ein schönes Kapitel des Alpinismus geschrieben. Bass und Wells, wohl in gutem Glauben bei ihrer Gipfelauswahl, sahen Australien als Kontinent. Und vergaßen dabei ganz offensichtlich, dass Ozeanien Teil dieses Kontinents ist. Und dass dort viel höhere Berge stehen als „ihr“ Mount Kosciuszko.
1985 war das Jahr, in dem Reinhold Messner und ich die Gipfel der Annapurna und des Dhaulagiri erreichten. Ein Jahr später folgten der Makalu und der Lhotse. Reinhold hatte damit als erster Bergsteiger der Welt alle vierzehn Achttausender bestiegen. Das war ein einzigartiger, grandioser Erfolg, ein Rekord für die Ewigkeit. Mehr kann ein Alpinist kaum erreichen. Und dennoch, ich kann mich erinnern, dass wir zu dieser Zeit auch manchmal über die Seven Summits und die Liste von Dick Bass sprachen. Reinhold Messner, dieser unruhige Geist, war anderer Meinung als Dick Bass. Er vertrat die Ansicht, dass nicht der Mount Kosciuszko in Australien mit seinen 2228 Metern, sondern vielmehr die Carstensz-Pyramide (4884 m) im Sudirman-Gebirge Indonesiens der höchste Gipfel des Kontinents von Australien und Ozeanien sei. Womit er ganz sicher recht hatte. Mit seiner Meinung hielt sich Reinhold auch nicht zurück. Und weil damals so ziemlich alles, was er sagte, sofort zu einer publizierten Nachricht wurde, entwickelte sich daraus schließlich ein Kuriosum. Patrick Allan Morrow, ein 1952 in British Columbia geborener Kanadier, bekam Wind von Messners neuer Seven-Summits-Liste, die ja der von Dick Bass an einem entscheidenden Punkt widersprach. Am 5. August 1985, knapp vier Monate vor Reinhold Messner, bestieg Morrow den Puncak Jaya und damit den höchsten Punkt im Massiv der Carstensz-Pyramide in der Provinz Papua auf Indonesien. Nun gab es auf einmal zwei Seven-Summits-Listen. Die von Dick Bass und die von Reinhold Messner. Letztere hat sich mittlerweile durchgesetzt, und mehr als 300 Bergsteiger aus aller Herren Länder haben ihre Häkchen hinter die sieben Gipfel gemacht. Nun werden auch sie ein bisschen wie Katalogware angepriesen.
Im Rückblick gesehen hätte ich eigentlich schon damals, als ich begann, mein Unternehmen der sieben zweithöchsten Gipfel der Kontinente zu planen, ahnen können, dass dies alles womöglich nicht ganz reibungslos verlaufen würde. Dass vermutlich auch bei meinem Plan Unstimmigkeiten zu erwarten wären, wenn es sie sogar schon an den höchsten Gipfeln gegeben hatte. Aber ich war da eher arglos. Mich interessierten diese Berge und mehr noch die neuen Herausforderungen, neue Länder und Kulturen. Ich dachte nicht an Streit und Missgunst, nicht an Zweifel und Zweifler. Ich wollte einfach nur etwas Schönes und Interessantes erleben.
Fast zwei Jahrzehnte, zwischen 1983 bei meiner ersten Achttausender-Besteigung an der Seite von Reinhold Messner und meinem Erfolg am K2 im Jahr 2001, befand ich mich in einer Art Wettlauf des Höhenbergsteigens. Gipfel und Wände bestimmten mein Leben. Mit jedem neuen Erfolg finanzierte ich die nächste Expedition. Ich liebte die Einsamkeit in den höchsten Bergregionen der Erde und nutzte andererseits die Publicity, um den Drang nach neuer Einsamkeit ökonomisch zu realisieren. Ein Bergprofi macht nicht mit Begehungen in versteckten Schluchten auf sich aufmerksam. Der ganze Ablauf meines Lebens und die komplette Termingestaltung waren darauf abgestimmt, zur möglichst besten Zeit am richtigen Ort zu sein. Im Frühjahr war ich wochen-, manchmal monatelang im Himalaja oder dem Karakorum unterwegs, im Sommer arbeitete ich als Bergführer und leitete meine Alpinschule Südtirol. Im Oktober und November ging ich auf Vortragstournee. Im Winter kletterte ich im Eis, war mit Gästen auf Skitouren und begab mich im März wieder auf Tournee. Ich war in dieser Zeit auf Asien fixiert und nur selten anderswo unterwegs. Ich kannte Patagonien in Südamerika und den McKinley in Nordamerika, natürlich die Alpen, aber nicht viel mehr. Und so wie mich als Kind brennend interessierte, ob es wohl noch Berge hinter dem Peitlerkofel gebe, den ich von unserem Bauernhof aus sehen konnte, so begann ich mich nach dem K2 auf einmal mit dem Gedanken zu beschäftigen, was mir der Erdball auf anderen Kontinenten noch alles bieten könnte.
Ich mag Computer und kompliziertes technisches Gerät nicht besonders. Vielleicht sollte ich mich mehr damit beschäftigen, denn ich bin immer wieder erstaunt über die Ergebnisse, wenn einer meiner Freunde auf der Tastatur herumhämmert. Das Internet mag ja bisweilen ein Fluch sein, in meinem Fall erwies es sich in der Vorbereitung auf dieses große Projekt als echte Erleichterung. Ich ließ mir stoßweise immer neue Fotos ausdrucken, sammelte Informationen und war bald vollkommen fasziniert von dem, was ich auf mich zukommen sah. Ich kannte natürlich den Elbrus im Kaukasus, auch wenn ich seinen Gipfel nicht bestiegen hatte. Doch wie spricht man bitte „Dychtau“ aus? Und wo genau liegt der „Ojos del Salado“? Ich fand Höhenangaben und Wege zu Bergen, die mir bei näherer Betrachtung immer besser gefielen. Ich dachte über mögliche Partner nach, die mich zu den Gipfeln begleiten könnten. Und ich freute mich darüber, dass ich zu fast allen diesen Zielen aufbrechen konnte, wann immer es mir gefiel. Ich war nicht mehr zwingend auf das Frühjahr und die Saison im Himalaja und Karakorum festgelegt. Zu manch einem der Seven Second Summits würde ich direkt nach einer Vortragstournee oder sogar noch kurz davor gehen können, weil ich natürlich für einen Fünftausender nicht mehr wochenlang trainieren musste und auch die Höhenanpassung viel leichter wäre. In mir breitete sich große Gelassenheit aus, als ich sah, dass alle meine Ideen zwar mit einem beträchtlichen Kostenaufwand, logistisch jedoch gut zu realisieren waren. Gleichzeitig entwickelte sich eine positive Spannung, denn das Faszinierende an diesem Projekt waren weniger die technischen Schwierigkeiten bei den einzelnen Besteigungen als vielmehr die oft komplizierten Anmarschwege. Aber genau dem fieberte ich inzwischen entgegen, denn ich wusste, da würde ich Menschen begegnen und die Länder kennenlernen. Die Berge schreckten mich nicht. Wenn ich erst einmal unter einer Wand stehe, ein Massiv betrachte oder Einblick in eine Flanke gewinne, kann ich einen Berg fast lesen wie ein Buch. Die jahrzehntelange Erfahrung lässt mich recht leicht und schnell die Schwachstellen erkennen, die eine Besteigung ermöglichen. Kein fixer Plan steuert mich dann, aber ich verfolge meine Idee mit Konsequenz.
Es standen bei diesem gesamten Plan also nicht unbedingt die bergsteigerischen Herausforderungen an allererster Stelle. Meine Ziele an den Achttausendern in den Jahren zuvor waren im Vergleich viel riskanter und aufreibender gewesen. Es war mir bewusst, dass viele dieser sechs Gipfel – den K2 als zweifelsfrei schwersten Brocken hatte ich ja bereits bestiegen – mich technisch und konditionell nicht in die Nähe meiner Leistungsgrenze bringen würden. Und dennoch wollte ich jedem einzelnen Berg natürlich mit dem notwendigen Ernst begegnen. Viel mehr erhoffte ich mir, das Umland der Berge zu erleben. Das vor allem war Motivation und Antrieb für mich, diese Zweithöchsten zu besteigen. Ich war bis dahin noch nie in der Wüste und auch noch nie im Urwald gewesen, ich kannte Afrika nicht und auch nicht Ozeanien, ich freute mich auf die enorme Eisweite der Antarktis. Dieses Projekt bot so unendlich viel Raum für Erlebnisse und so ziemlich alles, was sich ein Alpinist als interessierter Reisender überhaupt nur wünschen kann: von der dünnen Luft am K2 bis zum Spaziergang durch die staubtrockene Atacamawüste und das Kriechen im Urwald von Papua. Der Schlafsack, der auch bei minus fünfzig Grad noch warm hält, würde genauso wichtig werden wie ein paar grundsolide Gummistiefel. Bis dahin hatte ich mich immer nur auf ein Ziel konzentriert, eine Wand, einen Achttausender, eine Route. Nun umfasste die Idee sieben Etappen, und jede einzelne erst würde mich dem Ganzen näher bringen. Es schien mir wichtig, diese Projekte dennoch klar zu trennen, damit ich mental frei war, jedes einzelne Ziel intensiv zu erleben. Ich wollte nicht einfach nur alles nacheinander abhaken. Dass sich die Teile dann zusammenfügten, würde sich gegen Ende hin wie von allein ergeben. Mit diesen Gedanken habe ich mich auf den weitesten Weg meines Lebens gemacht – sehenden Auges und mit dem Blick für das Neue und die Grenzenlosigkeit.
Als ich schließlich aufbrach, präsentierte sich mir die Welt in faszinierender Schönheit und in grandiosen Farbspielen. Es zeigten sich mir eindrucksvolle Bilder, ganz gleich wo ich hinkam. Es war das Staunen meiner Kindheit auf unserem kleinen Südtiroler Bergbauernhof in Ahornach im Tauferer Ahrntal, wo ich als jüngstes von sechs Kindern aufwuchs, mit dem ich jetzt die Größe unserer Erde in allen ihren Dimensionen entdeckte. Damals waren es zuerst die Berge meiner näheren Umgebung gewesen, dann die Dolomiten und die Alpen, bis ich schließlich begann, den Himalaja zu entdecken. Jetzt ging ich auf eine ganz neue, abwechslungsreiche und unterhaltsame Reise. Doch vieles, was ich nun sah, stimmte mich auch sehr nachdenklich. Der Himalaja gehört trotz seiner schroffen und wuchtigen, manchmal so abweisenden Wirkung zu den sensibelsten und zerbrechlichsten Regionen der Erde. Kaum anderswo ist die Gefahr der Erosion so groß wie in diesem jüngsten Gebirge der Welt, und das Abholzen seiner Wälder nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Am Dach der Welt schmelzen die Gletscher noch schneller ab als an den Polen, und die Verschmutzung der Luft ist in den höchsten Regionen der Achttausender genauso groß wie im chinesischen Chongqing, der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt. Das gesamte Ökosystem des Himalaja gerät in Gefahr. Die insgesamt drei Jahrzehnte, in denen ich immer wieder in Nepal, Pakistan und Tibet unterwegs gewesen bin, haben meinen Blick geschärft. Es ist wohl nicht zulässig, einen Kontinent, ein Land und eine Gegend jeweils nur auf die Bergwelt zu reduzieren. Aber jetzt, auf meinen Reisen in aller Welt, erkannte ich rasch, dass Mutter Erde auch anderswo, nicht nur in den Gebirgen, tiefe Wunden zeigt, die ihr die Zivilisation zugefügt hat.
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