Silo 5 (Wool 5) — Inhalt
„Mitreißend, intensiv, süchtig machend. Ein Roman, den Sie nie vergessen werden.“ S.J. Watson
Dies ist Teil 5 von SILO: Hugh Howeys verstörende Zukunftsvision ist rasanter Thriller und Gesellschaftsroman in einem. Silo handelt von Lüge und Verrat, Menschlichkeit und der großen Tragik unhinterfragter Regeln.
Leseprobe zu „Silo 5 (Wool 5)“
Die Kinder spielten, als Holston in den Tod hinaufstieg. Erhörte sie kreischen, wie nur glückliche Kinder es tun. Wild tobten sie dort oben umher, während er ganz langsam die Wendeltreppe hinaufging, jeder Schritt bedacht und schwer, seine alten Stiefel dröhnten auf den Stahlstufen.Die Stufen zeigten, wie auch die Stiefel seines Vaters, deutliche Spuren der Abnutzung. Es klebten Farbbläschen daran, vor allem in den Ecken und an der Unterseite, wo die Stufen vor den Tritten geschützt waren.
Der Verkehr weiter unten auf der Treppe wirbelte kleine [...]
Die Kinder spielten, als Holston in den Tod hinaufstieg. Erhörte sie kreischen, wie nur glückliche Kinder es tun. Wild tobten sie dort oben umher, während er ganz langsam die Wendeltreppe hinaufging, jeder Schritt bedacht und schwer, seine alten Stiefel dröhnten auf den Stahlstufen.Die Stufen zeigten, wie auch die Stiefel seines Vaters, deutliche Spuren der Abnutzung. Es klebten Farbbläschen daran, vor allem in den Ecken und an der Unterseite, wo die Stufen vor den Tritten geschützt waren.
Der Verkehr weiter unten auf der Treppe wirbelte kleine Staubwölkchen auf. Holston spürte die Vibrationen am Geländer, das bis auf das glänzende Metall abgewetzt war. Das hatte ihn immer fasziniert – dass nackte Handflächen und schlurfende Füße massiven Stahl im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich abschleifen konnten. Molekül für Molekül, dachte er. Jedes Leben schliff eine Schicht ab, während der Silo eben dieses Leben schleifte. Die Stufen waren von generationenlangem Verkehr durchgetreten, die Kante hing herab wie eine schmollende Unterlippe.In der Mitte waren fast keine Spuren der kleinen Noppen geblieben, die den Stufen einmal Trittsicherheit verliehen hatten.
Man konnte sie nur noch an den Seiten erahnen, wo kleine konische Erhebungen mit gezackten Kanten und Farbspritzern aus dem flachen Stahl ragten. Holston setzte einen Stiefel auf eine alte Stufe, er trat auf und wiederholte die Bewegung dann mit dem anderen Bein. In Gedanken war er weiter bei diesen unzähligen Jahren: Moleküle und Leben waren Schicht um Schicht zu feinem Staub zermahlen worden. Und er dachte nicht zum ersten Mal, dass weder das Leben noch die Treppe für diese Art von Existenz bestimmt waren. Die enge und lange Spirale, die sich durch den unterirdischen Silo wand wie ein Strohhalm in einem Glas, war nicht für eine derart massenhafte Benutzung gebaut worden. Wie der Großteil ihres zylindrischen Heims schien die Treppe für andere Aufgaben gedacht, für Zwecke, die lange vergessen waren. Was nun als Verkehrsachse für Tausende Leute diente, die sich in täglichen, sich wiederholenden Spiralen hinauf- und hinunterbewegten, schien in Holstons Augen eher für Notfälle und für lediglich ein paar Dutzend Menschen geeignet zu sein. Holston ließ ein weiteres Stockwerk hinter sich, in das man kuchenstückförmige Schlafsäle eingeteilt hatte. Während er auf seinem allerletzten Gang die letzten Ebenen hinaufstieg, drang der Klang kindlicher Ausgelassenheit immer lauter zu ihm herab. Das Gelächter der jungen Seelen, die noch kein Bewusstsein für ihren Lebensraum entwickelt hatten, die noch nicht den Druck der Erde von allen Seiten spürten und in ihrer Vorstellung nicht begraben, sondern einfach nur lebendig waren– ein unbeschwertes Geträller, das so gar nicht zu Holston sVorhaben passte, zu seiner Entscheidung, nach draußen zugehen.
Eine einzelne junge Stimme übertönte die anderen, als er sich der obersten Ebene näherte. Holston erinnerte sich an seine Kindheit im Silo, an seine Schulzeit, die Spiele. Damals war der stickige Betonsilo mit seinen vielen Stockwerken, mit den Werkstätten, Hydrokulturgärten und dem Gewirr der Lüftungsrohre ein unermessliches Universum gewesen, eine weite Welt, die man nie zur Gänze erkunden konnte, ein Labyrinth, in dem er und seine Freunde sich für immer verirren konnten.Doch diese Zeiten waren seit mehr als dreißig Jahren vorbei. Holston hatte das Gefühl, seine Kindheit läge zwei, drei Leben zurück und gehöre zu jemand anderem. Nicht zu ihm. Er war sein Leben lang Polizist gewesen, das wog schwer und blendete die Vergangenheit aus. Außerdem hatte kürzlich ein dritter Lebensabschnitt begonnen – ein geheimes Leben nach seiner Kindheit und nach seiner Zeit als Polizist. Es war die letzte Schicht seiner selbst, die zu Staub zerfallen war. Drei Jahre lang hatte er still auf etwas gewartet, das niemals eintreten würde.Ganz oben glitt Holstons Hand am Geländer ins Leere. Die geschwungene Stange aus abgewetztem Stahl endete mit der Wendeltreppe, die sich in den größten Raum des ganzen Silos öffnete – die Kantine und den angrenzenden Aufenthaltsraum.Holston war nun auf einer Ebene mit den spielenden Kindern. Helle Gestalten flitzten kreuz und quer zwischen den herumstehenden Stühlen umher und spielten Fangen. Ein paar wenige Erwachsene versuchten, dem Chaos Herr zu werden. Holston sah, wie Donna Kreide und Stifte von den fleckigen Bodenfliesen aufhob.
Clarke, ihr Mann, saß an einemTisch, der mit Saftbechern und Schalen voller Maismehlkekse gedeckt war. Holston blickte auf die Wand der Kantine und die verschwommene Panoramaprojektion – dem umfassendsten zusammenhängenden Blick auf die unwirtliche Welt dort draußen. Es war Morgen, trübes Dämmerlicht überzog die leblosen Hügel, die sich seit Holstons Kindheit kaum verändert hatten.Da waren sie, so wie sie immer da gewesen waren, während er sich von einem unbeschwert in der Kantine spielenden Jungen zu der ausgebrannten Hülle entwickelt hatte, die heute noch von ihm übrig war. Hinter den sich erhaben wellenden Hügelkämmen wurden die schwachen Strahlen der Morgensonne von der Spitze der vor sich hin rottenden Skyline reflektiert. Altes Glas und Stahl standen dort in der Ferne, wo vermutlich einmal Menschen auf der Erdoberfläche gelebt hatten. Ein Kind löste sich wie ein Komet aus der Gruppe und stieß gegen Holstons Knie. Unvermittelt dachte er an die Lotterie, die sie in Allisons Todesjahr gewonnen hatten. Er hatte noch immer das Los, nahm es überall mit hin.
Eines dieser Kinder hätte ihres sein können – ein Mädchen oder ein Junge, es wäre nun zwei Jahre alt und würde mit den anderen Kleinen herumtoben. Wie alle Eltern hatten sie von doppeltem Zwillingsglück geträumt. Sie hatten es versucht, natürlich hatten sie das. Nachdem Allisons Hormonimplantat entfernt worden war, hatten sie eine wundervolle Nacht nach der anderen versucht, den Gewinn einzulösen. Einige Eltern hatten ihnen Glück gewünscht, andere hoffnungsfrohe Kandidaten hatten still gebetet, dass ihr Jahr erfolglos vorüberginge. Allison und er hatten gewusst, dass ihnen nur ein Jahr zur Verfügung stand, also hatten sie jedes nur erdenkliche Hilfsmittel benutzt und waren am Ende gar dem Aberglauben verfallen. Knoblauch über dem Bett steigerte angeblich die Fruchtbarkeit, zwei Münzen unter der Matratze brachten Zwillinge, ein rosa Band in Allisons Haar, blaue Farbe auf Holstons Augenlidern – alles lächerlich und aussichtslos.
Einzig, nicht alles zu versuchen, irgendeinen dummen Trick, irgendeine Strategie auszulassen wäre noch verrückter gewesen. Doch es hatte nicht sein sollen. Noch bevor die Jahresfrist abgelaufen war, war das Los einem anderen Paar zugefallen. Es hatte nicht daran gelegen, dass sie sich keine Mühe gegeben hätten, sondern es hatte ihnen die Zeit gefehlt. Genauer gesagt: Es fehlte plötzlich die Frau. Holston wandte sich von den Kinderspielen und dem trüben Ausblick ab und ging zu seinem Büro, das zwischen der Kantine und der Luftschleuse des Silos lag. Während er diese Strecke zurücklegte, wanderten seine Gedanken zu dem Kampf, der dort einmal stattgefunden hatte, einem Kampf der Geister, den er in den letzten drei Jahren Tag für Tag erneut hatte durchleben müssen. Und er wusste: Würde er sich umdrehen und dem weiten Ausblick an der Panoramawand folgen, würde er durch die zunehmend trüben und fleckigen Kameralinsen und die Luftverschmutzung hindurchspähen und entlang der dunklen Spalte den Hügel hinaufblicken, entlang dieser Falte, die sich über die schlammige Düne zur Stadt hinzog, dann würde er ihre reglose Gestalt erblicken können. Dort auf dem Hügel würde er seine Frau sehen. Sie lag da wie ein schlafender Fels, die Arme unter dem Kopf verschränkt, während die vergiftete Luft an ihr zehrte. Vielleicht.
Es war nicht gut zu sehen, war auch damals nicht eindeutig auszumachen gewesen, bevor sich die Linse von Neuem zutrüben begann. Außerdem war diesem Blick kaum zu trauen, es gab eher guten Grund, ihn anzuzweifeln. Und deshalb sah Holston ganz einfach nicht hin. Er durchquerte den Raum, indem der Geist seiner Frau gekämpft hatte und in dem die schlechten Erinnerungen für immer gespeichert waren – das Bild ihres plötzlichen Wahnsinns –, und betrat sein Büro.„Da ist heute aber einer früh dran!“, sagte Deputy Marneslächelnd. Holstons Stellvertreter schloss gerade eine Schublade des metallenen Aktenschrankes, dessen uralte Scharniere leblos quietschten. Er nahm einen dampfenden Becher, dann sah er Holstons ernste Miene. „Alles in Ordnung, Chef?“ Holston nickte. Er deutete auf das Schlüsselbrett hinter dem Schreibtisch. „Zur Arrestzelle“, sagte er.D as lächelnde Gesicht seines Stellvertreters verzog sich zu einem irritierten Stirnrunzeln. Er stellte den Becher ab, drehte sich um und nahm den Schlüssel.
Während Marnes ihm den Rücken zudrehte, rieb Holston ein letztes Mal den scharfkantigen, kalten Stahl in der Hand und legte seinen Stern dann flach auf die Schreibtischplatte. Marnes drehte sich wiederum und reichte Holston den Schlüssel.„Soll ich den Wischmopp holen?“ Marnes deutete mit dem Daumen hinter sich zur Kantine. Sie betraten die Zelle sonst nur, um zu putzen, mit der einzigen Ausnahme, dass gerade jemand verhaftet worden war.„Nein.“ Holston nickte zur Zelle hinüber und bedeutete seinem Stellvertreter, ihm zu folgen. Der Schreibtischstuhl knarzte, als Marnes aufstand. Holston ging zur Tür, der Schlüssel glitt leicht ins Schloss. Das Innere der massiven Tür gab ein tiefes Stöhnen von sich. Die Türangeln knirschten leise, dann ein entschlossener Schritt, ein Stoß, und die Tortur hatte ein Ende. Holston reichte den Schlüssel zwischen den Gitterstäben hindurch. Marnes sah ihn unsicher an, aber seine Hand hobsich und nahm ihn entgegen.
„Was ist los, Chef?“ „Hol die Bürgermeisterin“, sagte Holston. Er seufzte, ließ den schweren Atem aus, den er drei Jahre lang angehalte nhatte.„Hol Mayor Jahns. Sag ihr, dass ich rauswill.“
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