Sommerhimmel über der Toskana Sommerhimmel über der Toskana - eBook-Ausgabe
Roman
— Frauenroman über einen Neuanfang in Italien für den Urlaub„Die Protagonisten sind toll beschrieben und sehr sympathisch. Nach dem Lesen sehnt man sich nach Ferien in der Toskana.“ - wodisoft.ch
Sommerhimmel über der Toskana — Inhalt
Sommerlicher Liebesroman über Neuanfänge, die Liebe und Dolce Vita in der Toskana. Für alle Leser:innen von Ursi Breidenbach und Claudia Winter
„Wir liegen nebeneinander im trockenen Gras, um uns herum zirpen Heuschrecken und Zikaden. Durch die lichten Kronen der knorrigen, uralten Olivenbäume sehe ich das tiefe Blau des Himmels.“
Nach ihrem abgebrochenen Studium begleitet Mia Farisetti ihren Mann von Bayern in die Toskana, wo er in Pisa für ein Jahr einen Lehr- und Forschungsauftrag angenommen hat. Unter der italienischen Sonne will Mia den Kopf freikriegen, bis sie weiß, was sie mit ihrer Zukunft anfängt. Doch der Auslandsaufenthalt wird bald zur Belastungsprobe für die Beziehung, als Bruno sich zwischen Vorlesungen, der Habilitationsschrift und Ausgrabungen aufreibt und seine Frau zunehmend vernachlässigt. Mia wiederum findet sich rasch in der fremden Umgebung ein, nimmt dank ihrer guten Italienischkenntnisse einen Job an und knüpft neue Kontakte. Bald hat sie jedoch das Gefühl, dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier existiert. Der Stuckateur Giovanni, in Wirklichkeit angehender Firmenerbe eines großen Bauunternehmens, hat einen größeren Anteil daran, als Mia zugeben will.
Leseprobe zu „Sommerhimmel über der Toskana“
1
Halb erleichtert, halb am Boden zerstört schließe ich die Tür des Studierendensekretariats hinter mir. In der Hand halte ich den Zettel, der mein Scheitern beweist.
Ich bin exmatrikuliert. Zwei Mal bin ich durch eine Abschlussklausur gefallen und habe damit über drei Jahre meines Lebens verschwendet.
Meine Eltern sagten es von Anfang an; Schuster bleib bei deinen Leisten, meinten sie immer. Und ich hasse es, dass sie recht behalten haben. Hektisch blinzle ich die Tränen weg, die in meinen Augen brennen, schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an.
Meine [...]
1
Halb erleichtert, halb am Boden zerstört schließe ich die Tür des Studierendensekretariats hinter mir. In der Hand halte ich den Zettel, der mein Scheitern beweist.
Ich bin exmatrikuliert. Zwei Mal bin ich durch eine Abschlussklausur gefallen und habe damit über drei Jahre meines Lebens verschwendet.
Meine Eltern sagten es von Anfang an; Schuster bleib bei deinen Leisten, meinten sie immer. Und ich hasse es, dass sie recht behalten haben. Hektisch blinzle ich die Tränen weg, die in meinen Augen brennen, schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an.
Meine Füße tragen mich ins nächste Gebäude des weitläufigen Campus, zum Büro meines Mannes. Doktor Bruno Farisetti, mit dem das Unheil seinen Lauf nahm. Nur wegen ihm hatte ich mich überhaupt für ein BWL-Studium eingeschrieben, für das ich dank meiner kaufmännischen Ausbildung zugelassen wurde.
Keine Ahnung, wie er darauf kam, dass ich ein Studium schaffen könnte. Meine Noten waren schon zu Beginn nicht überragend gewesen, ganz gleich, wie viel ich paukte, wie viele Tutorien ich besuchte. Langsam kriecht die Scham in mir empor. Meinen Eltern gegenüberzutreten und meine Niederlage einzugestehen ist eines, Bruno, dem aufstrebenden Archäologen, etwas ganz anderes. Meine Kehle ist ganz eng, als ich an seine Tür klopfe.
Er öffnet mir mit dem Telefon am Ohr. Abgelenkt von seinem Gespräch begreift er meine Stimmung nicht und weist mit der Hand auf einen der Stühle vor seinem ausladenden Eichenschreibtisch. Durch das hohe Fenster scheint die Junisonne herein und lässt Staubteilchen auf ihren Strahlen tanzen. Das vollgestopfte Büro unterscheidet sich kaum von dem Arbeitszimmer in unserer gemeinsamen Wohnung im Münchner Glockenbachviertel. Alles ist voller Bücher, Ordner und Steine, voller Tonscherben in Schaukästen und Papierstapel. Nach dem PVC-Geruch des Uniflurs riecht es hier nach vergilbtem Papier und Holz. Zusammen mit Brunos unaufdringlichem Aftershave beruhigt es mich sofort etwas.
Heute fühle ich mich so fehl am Platz wie damals vor vier Jahren, als ich mit meinen zwei Koffern bei Bruno einzog. Übrigens auch eine Entscheidung, die meine Eltern nicht gutheißen. Eigentlich akzeptieren sie Bruno bis heute nicht. Mein Vater bezeichnet uns als „ehrlich arbeitende Menschen“. Er selbst ist Schreiner, meine Mutter Einzelhandelskauffrau wie ich. Und dann komme ich eines Tages mit einem italienischen Doktoranden an. Als ich einundzwanzig wurde, heirateten wir. Ihm zuliebe habe ich neben der Arbeit einigermaßen Italienisch gelernt, begleitete ihn auch nach meiner Schicht im Baumarkt zu irgendwelchen Univeranstaltungen und tat die ganze Zeit so, als würde ich dazugehören. Tat ich nie. Sosehr ich versuche, mich anzupassen, ihm nachzueifern, Bruno lebt noch immer in einer anderen Welt als ich. Ich verstehe bis heute nicht, was er in mir sieht, warum er mich liebt. Wir sind so unterschiedlich, wie Menschen nur sein können. Und ich weigere mich, ihn als Prinzen zu sehen und mich als Aschenputtel. Ich hatte nie vor, nach oben zu heiraten, durch einen Mann einen höheren Status zu erlangen. Ich wollte es selbst schaffen, nachdem Bruno mir einen Weg gezeigt hatte. Es hat nicht funktioniert.
Meine Hände drücken die Exmatrikulationsbescheinigung so fest zusammen, dass das Papier knistert. Dabei muss ich sie für meine einmal magere Rente ordentlich abheften und darf sie nicht zerknüllen.
Endlich legt er auf, kommt um den Schreibtisch herum und nimmt mir das Papier aus der Hand.
„Es tut mir so leid, Mia. Ich weiß, dass du viel gelernt hast.“
Und schon wieder fühle ich mich wie eine seiner Studentinnen. Das freundliche Zureden kann er sich bei mir echt sparen. Doch ich weiß, dass ich nur wütend auf mich selbst bin. Weil ich dachte, ich könnte so sein wie er. Intelligent, erfolgreich, zu Höherem bestimmt. Ich hatte mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Ich gehöre hinter eine Kasse, nicht in einen Hörsaal. Wut und Traurigkeit ballen sich in meinem Innern zusammen.
Mein Seufzen verwandelt sich in ein leises Schluchzen. Da erkennt Bruno, dass ich seine Aufmerksamkeit dringender brauche als der Wisch vom Sekretariat. Mein Mann ist ein lieber Mensch, aber viel zu oft unbeholfen und begriffsstutzig, sobald es um Gefühle und überhaupt andere Menschen geht. Sein Kopf ist brillant und sein Herz das Einzige an ihm, dem ich etwas beibringen konnte. Vielleicht der einzige Grund, weshalb er mich nicht längst gegen eine Juniorprofessorin oder eine Doktorandin ausgetauscht hat.
„Du bist traurig“, stellt er das Offensichtliche fest. Ich verkneife mir einen sarkastischen Kommentar und kämpfe gegen die Tränen an. Weil er so hilflos neben dem Schreibtisch steht, gehe ich auf ihn zu und nehme ihn in den Arm. Ich brauche jetzt Zuwendung. Seine langen, für einen Bücherwurm erstaunlich starken Arme umschließen meinen schmalen Körper warm und sicher. Seine Nähe tut gut und tröstet mich ein kleines bisschen. Gegen die Scham, das Gefühl, nicht gut genug zu sein, hilft sie leider kaum. Bruno ist für einen Italiener recht hochgewachsen, jedenfalls größer als ich mit meinen ein Meter siebzig. In seine funkelnden dunklen Augen und seine dichten, schwarzen Haare habe ich mich mit meinen damals unbedarften achtzehn Jahren genauso verliebt wie in sein einnehmendes Lächeln. Gerade ist aber keinem von uns nach Lächeln zumute. Schweren Herzens gestehe ich mir ein, dass ich mit fünfundzwanzig in einer Sackgasse gelandet bin. Kein Uniabschluss, kein Job. Nicht einmal Kinder, was ich mir seit ein paar Jahren wünsche, wegen des Studiums und Brunos Weg in die Professur aber nach hinten geschoben habe.
Trotz der sommerlichen Temperaturen Ende Juni trägt Bruno ein hellbraunes Jackett über seinem marineblauen Hemd. Mein fröhliches, gelbes Sommerkleid, das so toll zu meinen kastanienbraunen Haaren passt, wirkt zu leichtherzig, zu jugendlich neben Brunos seriösem Outfit. Heute sehe ich wieder einmal überdeutlich, dass er neun Jahre älter ist als ich.
Vorsichtig streichelt er meinen angespannten Rücken. Ich lockere meinen Griff um ihn ein wenig. Er soll nicht denken, dass ich ihn als Rettungsanker benutze. Aber gerade fühle ich mich ermüdet. Ermüdet vom Kampf, Bruno und mir selbst etwas beweisen zu wollen. Wir sind nicht ebenbürtig. Und wir werden es niemals sein. Wo werde ich stehen, wenn er erst Professor ist? Ich bin mir sicher, dass er das schafft.
„Ich glaube, dir würde eine Pause guttun, etwas Abstand zu allem. Was meinst du, Mia?“, spricht er in meine finsteren Gedanken hinein, als hätte er sie gelesen.
„Das würde mir wirklich guttun“, gebe ich zu. „Aber ich muss mir so schnell wie möglich Arbeit suchen. Ich habe lange genug auf deine Kosten gelebt und studiert.“
Für die zum Glück niedrigen Semestergebühren habe ich einen Kredit aufgenommen, den ich auch bald abbezahlen muss. Ich wollte weder Bruno noch meine Eltern damit belasten. So viele Haushaltspflichten kann ich gar nicht übernehmen, um kein schlechtes Gewissen zu haben. Bruno versteht das nicht, er denkt, was das angeht, sehr traditionell. Aber ich bin kein italienisches Hausmütterchen und habe auch nicht vor, eines zu werden. Ob ich nun zu blöd zum Studieren bin oder nicht.
„Begleite mich nach Pisa“, schlägt er vor. „Gerade habe ich die Zusage bekommen, für meine Habilitation an der Scuola Normale Superiore zu lehren. Wir bekommen eine kleine Wohnung in der Nähe des Campus. Niemand fände es seltsam, wenn ich meine Frau mitnehme. Was sagt du?“
Er klingt so froh, so begeistert. Sein italienischer Akzent ist etwas stärker als sonst. Ich will nicht Nein sagen. Ich will ihn unterstützen. Es ist gerade das Letzte, was mir geblieben ist. Wenigstens einer von uns soll etwas erreichen.
Also nicke ich. „Ich komme gerne mit. Dann verschiebe ich die Jobsuche eben.“
Geradezu stürmisch küsst er mich auf den Mund. Innerlich lächle ich. Sonst ist er eher der reservierte Typ. Gar nicht so italienisch. Der Rest seiner Familie ist laut und offenherzig und im Pulk wirklich anstrengend. Auch wenn ich seine Eltern, seine Nonna und seine drei Schwestern mit ihren Familien alle mag. Sicher freut er sich darauf, sie etwas öfter zu besuchen, denn seine Eltern leben in einem Dorf irgendwo hinter Rom.
„Wann fahren wir?“, erkundige ich mich. Tatsächlich geht es mir besser. Meinen Mist hier kann ich erst einmal hinter mir lassen und habe ein Jahr Zeit, mich neu zu sortieren. Da kommt das Lächeln auch in meinem Gesicht an.
„In zwei Wochen. Wir werden ein Jahr lang fort sein. Lange genug, um unsere Wohnung unterzuvermieten.“
Niemand, der noch bei Sinnen ist, kündigt in München eine Wohnung mit tragbarem Mietpreis. Schon gar nicht im angesagten Glockenbachviertel. Wieder nicke ich. Auf einmal sieht die nahe Zukunft wieder etwas rosiger aus.
„Danke, dass du mich mitnimmst. Und dass du nicht sauer bist, weil ich schon wieder durch die Prüfung gefallen bin.“
Er runzelt die Stirn. „Du hast getan, was du konntest. Manchmal soll es eben nicht sein. Du bist trotzdem die beste Frau, die ich mir wünschen konnte. Du bist nicht weniger wert, bloß weil du eine Prüfung nicht bestanden hast.“
Wieder küsst er mich. Ich schlinge meine Arme fester um ihn. Bruno denkt nicht schlecht von mir. Das tue nur ich selbst.
Jetzt kommen mir erneut die Tränen. Ich liebe ihn. Aber ich bin völlig abhängig von ihm. Und ich hasse es, jemandem so ausgeliefert zu sein. Selbst wenn dieser Jemand mich liebt und mir einst das Versprechen gegeben hat, immer für mich da zu sein. Ich stehe in Brunos Schatten, seit wir uns kennen. Früher störte es mich nicht. Doch mittlerweile bin ich es leid, das hübsche, unselbstständige Anhängsel eines Mannes zu sein. Ich sehe es so deutlich vor mir wie nie zuvor. Wenn ich es in diesem Jahr in der Toskana nicht schaffe, aus Brunos Schatten herauszutreten, ist unsere Ehe genauso zum Scheitern verurteilt wie mein Studium.
2
Einen Tag vor der Abreise stehe ich im Hausflur meiner Eltern im Zentrum von Neuperlach. Sie wohnten schon vor meiner Geburt in dem in die Jahre gekommenen, achtzehnstöckigen Hochhaus. Ich hatte keine schlechte Kindheit, aber ich komme nicht mehr oft her. Zu sehr zerren die Diskussionen mit meinen Eltern an meinen Nerven. Doch heute muss ich sie besuchen und sie vor vollendete Tatsachen stellen. Unser Italienaufenthalt steht fest, die Koffer und Reisetaschen sind gepackt, die Ersatzschlüssel an unsere Zwischenmieter übergeben. Ich habe mich von meiner ehemaligen Kollegin und Freundin aus dem Baumarkt, Bettina, verabschiedet und meiner liebsten Kommilitonin Emma gebeichtet, dass sie nicht nur ohne mich zur Zeugnisverleihung gehen, sondern auch das nächste Jahr auf meine Gesellschaft verzichten muss. Allerdings haben beide versprochen, mich in Italien zu besuchen, worauf ich mich freue. Also steht mir nur noch eine Hürde bevor, die sich hinter der weißen Tür befindet.
Ruckelnd schließe ich auf. Sofort empfängt mich der Geruch nach frisch gekochten Kartoffeln, Fleisch und Rahmsoße. Gegen meinen Willen stellt sich ein heimeliges Gefühl ein, begleitet von Hunger. Ich liebe das Essen meiner Mutter, mehr als mein eigenes, obwohl ich behaupten kann, eine gute Köchin zu sein.
Mein Vater fängt mich im Flur ab und umarmt mich fest.
„Mia! Das hat aber gedauert, bis du wieder hergefunden hast! Wir wissen ja gar nicht mehr, wie du aussiehst.“
Gegen meinen Willen muss ich lachen. Papa übertreibt wie immer. Da erscheint auch meine Mutter hinter ihm, um mich zu begrüßen. So uneinig wir uns häufig sind, meine Eltern lieben mich und ich sie.
„Komm, das Essen ist fertig“, sagt Mama und zeigt auf das Ende des Flurs, wo sich das Esszimmer befindet. Ihre blonden, kurz geschnittenen Haare und rosa Gelnägel passen mit ihrer gewissen Flippigkeit wenig zu Papas dunklem Schnauzer und seiner Glatze. Viel renoviert haben meine Eltern nicht, seit ich vor über fünf Jahren auszog. Nur mein altes Kinderzimmer hat Mama in ein Näh- und Bügelzimmer verwandelt, das sie sich schon lange gewünscht hatte. Im Rest der engen Dreizimmerwohnung hängen noch dieselben weiß gestrichenen Raufasertapeten, stehen die gleichen dunklen Eichenmöbel, nur durchbrochen von helleren Sperrholzstücken, die aus reinem Geldmangel angeschafft worden waren.
Wir setzen uns an den runden Tisch vor dem Fenster am kleinen Balkon. Wie jedes Jahr hat Mama ihn mit Begonien und Geranien bepflanzt.
„Schön, dass du zum Essen kommst“, sagt Papa, während er sich Salzkartoffeln nimmt.
Ich beschließe, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Es wird nicht leichter, indem ich es vor mir herschiebe.
„Bruno und ich fahren morgen nach Pisa. Er hat dort eine Gastprofessur für ein Jahr angenommen. Ich möchte das Jahr mit ihm dort verbringen.“
Meine Mutter lässt das Besteck sinken und schaut mich konsterniert an. Doch es ist Papa, der hastig schluckt und entgegnet: „Du willst ein ganzes Jahr im Ausland verbringen? Was ist mit deinem Abschluss?“
Zeit für die nächste unangenehme Neuigkeit.
„Aus dem Bachelor wird nichts. Ich bin durch die letzte Prüfung geflogen.“
„Und das sagst du uns erst jetzt?“, ruft Mama. Ihre rosa geschminkten Lippen verziehen sich missbilligend.
„Es ändert nichts daran, ob ich es euch heute sage oder irgendwann. Ich bin exmatrikuliert und habe noch keinen neuen Job.“
„Und da fällt deinem tollen Bruno nichts Besseres ein, als dir noch ein Jahr zu stehlen, indem er dich mit nach Italien nimmt? Was wird mit deiner Rente, Mia? Was ist mit deinem Arbeitsleben?“
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Das Geschnetzelte in meinem Mund fühlt sich pappig an. Hastig schlucke ich es hinunter und spüle mit einem Schluck Sprudel nach.
„Auf ein Jahr mehr oder weniger kommt es doch nicht an. Ich werde sicher nicht hierbleiben und arbeiten, während mein Mann tausend Kilometer entfernt von mir lebt.“
„Ich verstehe immer noch nicht, wie du an den geraten konntest“, brummt Papa. Kurz ist nur das Klappern des Bestecks an den Porzellantellern zu hören.
„Suchst du dir wenigstens in Italien einen Job?“
Ich nicke. „Natürlich. Da kann ich auch mein Italienisch verbessern. Ihr habt selbst gesagt, dass Fremdsprachen nützlich sind.“
„In meiner Schreinerei komme ich mit Deutsch gut zurecht.“
Papa meint Deutsch, aber er spricht Bairisch. Ein Norddeutscher würde nicht einmal die Hälfte von dem verstehen, was er von sich gibt.
„Drei Jahre in den Sand gesetzt, für was, Mia?“, fängt Mama wieder an.
„Ich habe mich wirklich angestrengt. Aber es hat nicht gereicht. Es tut mir leid.“
„Du hättest gleich im Baumarkt bleiben sollen. Stattdessen hast du dir diese Flausen vom Studieren in den Kopf setzen lassen.“
Fing das schon wieder an! „Bitte nicht! Darüber haben wir genug diskutiert. So schön war es nicht im Baumarkt, dass ich diesem Job nachtrauern würde.“
„Er hat dir etwas zu essen auf den Tisch gebracht“, grummelt Papa. „Was wollt ihr jungen Leute heutzutage eigentlich? Arbeit bringt Geld, dadurch hat man ein Dach über dem Kopf, was zu beißen und Kleidung. Mehr ist das nicht. Niemand aus unserer Familie hat jemals studiert oder Abitur gemacht. Das ist was für Leute, die sich zu fein zum Schaffen sind. Solche Leute sind wir nicht.“
Solche Leute wie mein Mann. „Ich will einfach etwas machen, was ich gerne tue. Es war ätzend im Baumarkt, aber das Studium hat eben auch nicht geklappt. Jetzt gehe ich nach Italien und sehe, was sich ergibt. Und wenn es nur Unterstützung für Bruno ist.“
„So habe ich dich nicht erzogen“, stöhnt Mama. „Dass du dich abhängig machst von einem Mann. Sobald er Professor ist, findet er eine bessere Frau als dich, warte nur ab. Eine, die ihm das Wasser reichen kann. Du machst dir doch bloß etwas vor, wenn du glaubst, es mit einem derart gebildeten Mann aufnehmen zu können. Die bleiben immer unter sich. Dein Bruno wird das auch noch kapieren. Und dann stehst du mit nichts da.“
„Nicht so optimistisch, Mama. Vielleicht liebt Bruno mich trotzdem?“ Jedenfalls hoffe ich, dass er es weiterhin tut.
Papa schnaubt. „Pff, Liebe! Die macht dich nicht satt und bezahlt nicht deine Stromrechnung.“
„Meine Güte, ich werde mich um meine Zukunft kümmern, okay? Unabhängig von Bruno. Der unterstützt mich nämlich dabei!“
Schweigend essen wir auf. Danach verabschiede ich mich schnell. Das ist ja mal super gelaufen.
3
Bei Regen waren wir frühmorgens mit Brunos altem Opel Kadett losgefahren, bei strahlendem Sonnenschein und gefühlten zehn Grad Celsius mehr kamen wir am späten Nachmittag in Pisa an.
In der kleinen Wohnung unweit des Stadtkerns und des Campus herrscht entgegen meinen Erwartungen ein angenehmes Klima. In den engen Gassen spenden sich die Häuser gegenseitig Schatten und trotzen der brennenden Sonne.
Ich war völlig erledigt, obwohl ich nur ein paar Stunden selbst gefahren war und sonst lesend auf dem Beifahrersitz gesessen hatte.
„Wie gefällt es dir?“, fragt Bruno nach einem kleinen Rundgang durch die Dreizimmerwohnung.
„Gut“, erwidere ich ehrlich. Es gibt ein kleines Bad mit Wanne und einem prähistorischen Boiler, eine hübsche kleine Küche und zwei Schlafzimmer. Außer im Marmorbad ist der ganze Fußboden mit roten Terrakotta-Fliesen ausgelegt. Außen sind dunkelgrüne Fensterläden an der Fassade aus hellem Stein angebracht. Ein mediterraner Traum. Die Aufputzleitungen wirken zwar etwas provisorisch und sind keine Augenweide, gehören in Italien aber dazu.
Noch bevor ich alle Kleider in den Einbauschrank des Schlafzimmers eingeräumt habe, nimmt Bruno im anderen Wohnraum seine Arbeitshöhle in Betrieb. Dort gibt es einen Holztisch, auf dem er seinen Laptop und die wichtigsten Unterlagen ausbreitet, außerdem ein Regal für Bücher und ein Sofa, das er vermutlich nie benutzen wird. Einen Desktop-PC wird er noch von der Uni bekommen.
Seufzend lasse ich ihn mit seinen Büchern allein und räume auch seine Kleidung in den Schrank. Ich weiß, dass er andernfalls die erste Woche aus dem Koffer lebt.
„Was möchtest du essen?“, rufe ich aus dem Schlafzimmer hinaus, mehr als Test, ob er noch anwesend ist. Ich höre Blätterrascheln und einen Stuhl, der verrückt wird.
„Nudeln vielleicht. Nichts Großes“, antwortet er.
„Alles klar.“
Ein paar Vorräte haben wir von zu Hause mitgebracht, damit sie nicht verderben. Ich kümmere mich darum, dann inspiziere ich den Gasherd. Ich werde schon damit zurechtkommen.
Vor dem Küchenfenster hängen Wäscheleinen. Dort wird demnächst auch unsere Wäsche trocknen. Vielleicht kann ich ein paar Kräutertöpfchen auf die Fensterbank stellen; am besten Basilikum, Rosmarin, Oregano und Thymian.
Als der Duft von Olivenöl, Knoblauch und Tomaten den Raum erfüllt, breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Hier werde ich mich sehr wohlfühlen, das spüre ich.
Später sitzen wir bei Spaghetti mit Tomatensoße am Esstisch, genießen den Blick über die Dächer der Altstadt von Pisa und das Gefühl, angekommen zu sein. Bruno wirkt viel aufgeräumter als gestern vor der Abreise, wo er die ganze Zeit über fürchtete, wichtige Unterlagen in Deutschland zu vergessen.
„Danke, dass du gekocht hast, Mia“, sagt er nach einer Weile des einträchtigen Schweigens. „Es schmeckt wie immer sehr gut.“ Und das ist ein großes Kompliment, schließlich ist er mit einer kochfreudigen Nonna und einer ebenso küchenaffinen Mutter aufgewachsen.
„Ich koche gerne, das weißt du doch.“ Ich esse die letzte Gabel Nudeln, bevor ich frage: „Gefällt es dir? Wirst du hier gut arbeiten können?“
Er nickt. „Die Wohnung ist toll. Viel besser, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich kann sogar zu Fuß zur Universität gehen. Gefällt es dir auch?“
„Sehr. Der Herd und ich mögen uns schon mal. Übermorgen habe ich ein Vorstellungsgespräch in dem Töpferladen, von dem ich dir erzählt habe.“ Ich habe mich schon in Deutschland darum gekümmert, damit ich ihm und meinen Eltern etwas vorzuweisen habe, selbst wenn es nichts wird mit dieser Stelle. Ich wundere mich noch immer darüber, dass ich als Ausländerin so bereitwillig zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
„Sehr gut. Morgen schauen wir uns die Stadt an, ja? Du sollst dich hier genauso gut auskennen wie ich, wenn du allein unterwegs bist.“
Immer besorgt um mein Wohlergehen. Manchmal benimmt Bruno sich mehr wie mein Vater als wie mein Ehemann. Aber das werfe ich ihm nicht vor. Er lernte mich als jungen Hüpfer kennen und fühlt sich dadurch verantwortlich für mich. Zwar bin ich längst nicht mehr die unerfahrene Achtzehnjährige, aber eingefahrene Verhaltensmuster lassen sich schwer ablegen.
„Ich komme schon zurecht, Bruno“, sage ich. „Aber ich würde mir gerne mit dir die Stadt ansehen. Den Schiefen Turm und das alles. Du bist bestimmt der beste Fremdenführer, den ich finden kann.“
„Das ist lieb von dir. Die meisten finden meine Vorträge eher ermüdend.“
Ich oft genug auch, aber sein reiches Wissen weiterzugeben, gehört zu ihm, und daher akzeptiere ich es.
„Wusstest du, dass der Name Toskana sich von den Etruskern ableitet? Früher war die Gegend ein Teil Etruriens, die Römer nannten sie latinisiert Tuscia, und die Etrusker wurden Tusci genannt.“
„Das wusste ich nicht. Aber natürlich weißt du es.“
„Ich hoffe, in diesem Kernland der Etrusker Neues zu finden, vielleicht sogar eine Ausgrabung mitzumachen. Es gibt immer noch so viele Rätsel um dieses Volk. Ich will unbedingt dazu beitragen, ein paar davon zu lösen.“
„Jetzt hast du noch mehr Chancen dazu als in München. Ich wünsche dir, dass du damit Erfolg haben wirst.“
Da lächelt er und hebt sein Weinglas. Ich tue es ihm gleich.
„Auf ein lehrreiches, gutes Jahr.“
Wir stoßen an.
Wie lehrreich dieses Jahr für uns beide wirklich wird, wissen wir an diesem lauen Frühsommerabend zum Glück noch nicht.
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