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Sommerhimmel über dir und mir Sommerhimmel über dir und mir - eBook-Ausgabe

Jenny Colgan
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Roman

— Heiterer Sommerroman um eine idyllische schottische Insel und eine Grumpy-meets-Sunshine-Romance | Mit Farbschnitt

„Der ›Queen of Romance‹(...) (ist) wieder einmal gelungen, eine spritzige Lovestory mit den genau richtigen Zutaten zu versehen.“ - CarpeGusta - Das Magazin für Genießer

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Sommerhimmel über dir und mir — Inhalt

Sonnig, heiter, unwiderstehlich: Mit „Sommerhimmel über dir und mir“ legt SPIEGEL-Bestsellerautorin Jenny Colgan ihren nächsten wunderbaren Urlaubsroman vor. Voller Romantik, Inselflair und Sommersonne ist „Sommerhimmel über dir und mir“ der Auftakt zu einer neuen, unwiderstehlichen Reihe der „Queen of feel good“.

Nach einem dramatischen Erlebnis braucht Pilotin Morag eine Auszeit. Doch als ihr Großvater, dem eine winzige Fluglinie an der Küste Schottlands gehört, erkrankt, muss Morag einspringen.

Nur wenig später zwingt ein Sturm sie zur Notlandung auf einer abgelegenen Insel. Hier gibt es nur Vögel – und Gregor, einen missmutigen Ornithologen, der nicht begeistert ist von Morags „Besuch“. Als die Stromversorgung ausfällt, Notruf damit ausgeschlossen, raufen sich die beiden zusammen.

Umgeben von Wind, Wellen und Meer sieht Morag einiges mit anderen Augen: ihre Heimat, ihren Beruf, ihre Familie – und Gregor, der unerwartete Traumprinzqualitäten beweist. Findet Morag ihr Glück vielleicht nicht über den Wolken, sondern auf einer kleinen Insel? 

In dem für SPIEGEL-Bestsellerautorin Jenny Colgan so typischen heiteren Ton kommen in „Sommerhimmel über dir und mir“ malerisches Inselsetting, eine Liebesgeschichte mit Hindernissen und eine gefühlvolle Story über das Heimkommen und Zu-sich-selbst-finden zu einer wunderbar leichten Sommer-Lektüre zusammen

Freuen Sie sich auf ganz viel Schottland-Atmosphäre, liebenswerte Figuren und eine wunderschöne Liebesgeschichte! 

Wer dem Alltag entfliehen will, ist bei Jenny Colgan immer richtig. Jedes ihrer Bücher, von der atmosphärischen Reihe um die „Kleine Bäckerei am Strandweg“ über die Wohlfühl-Romane rund um die Insel Mure und »Die kleine Sommerküche am Meer“ bis zu den warmherzigen Büchern der Happy-Ever-After-Reihe, verzaubert seine Leser:innen.

„Wohlfühlfaktor: Sehr hoch, wie immer bei Jenny Colgan, der Meisterin der Romane, in die man immer gleich einziehen will, weil ihre Welten sich so kuschelig anfühlen beim Lesen.“ Berner Zeitung

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 28.03.2024
Übersetzt von: Sonja Hagemann
448 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-31911-9
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€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 28.03.2024
Übersetzt von: Sonja Hagemann
448 Seiten
EAN 978-3-492-60730-8
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Leseprobe zu „Sommerhimmel über dir und mir“

Prolog

Alarmton

 Fluglotse: „Sunbird 247, Verkehr auf zehn Uhr, steigend ohne Höhenangabe, Entfernung etwa zehn Meilen.“

Flugkapitän: „Kollisionswarnsystem checken!“

Co-Pilotin: „Maschine wird nicht angezeigt.“

Flugkapitän: „Wohl ein Kleinflugzeug, das von seiner Route abgekommen ist.“

 

„Gehen Sie den Vorfall noch häufig in Gedanken durch?“ Der Mann aus der Personalabteilung war so freundlich, so sehr darum bemüht, alles richtig zu machen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Es ist alles in Ordnung.“

„Und Sie haben ja auch korrekt gehandelt.“

»Ich [...]

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Prolog

Alarmton

 Fluglotse: „Sunbird 247, Verkehr auf zehn Uhr, steigend ohne Höhenangabe, Entfernung etwa zehn Meilen.“

Flugkapitän: „Kollisionswarnsystem checken!“

Co-Pilotin: „Maschine wird nicht angezeigt.“

Flugkapitän: „Wohl ein Kleinflugzeug, das von seiner Route abgekommen ist.“

 

„Gehen Sie den Vorfall noch häufig in Gedanken durch?“ Der Mann aus der Personalabteilung war so freundlich, so sehr darum bemüht, alles richtig zu machen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Es ist alles in Ordnung.“

„Und Sie haben ja auch korrekt gehandelt.“

„Ich weiß.“

„Das Flugzeug ist sicher gelandet.“

„Ich habe nur meine Arbeit erledigt.“

 

Schon klar, wir haben den Vogel runtergekriegt. Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob das besser oder schlechter war. Die Sache hat sich überhaupt nicht so abgespielt, wie ihr euch das vielleicht vorstellt, und die Passagiere haben es vermutlich nicht einmal mitgekriegt. Niemand hat in der Magengrube gespürt, wie ruckartig die Nase des Flugzeugs nach oben gerissen wurde, niemand hat geschrien. Nein. Nicht bei uns. Es sind keine Servierwagen durch den Mittelgang gerast. Wir haben zwei Leute umgebracht, und die Passagiere haben kaum von ihren Handys aufgeschaut.

Der Tag war ganz unspektakulär losgegangen, es war einfach ein normaler Flug nach Alicante mit einer Maschine voll fröhlicher Urlauber gewesen: Gruppen rund um Junggesellen und -gesellinnen, die schon seit sechs Uhr morgens in Kneipen am Flughafen Bier runtergekippt hatten, Familien mit quengelnden Kleinkindern, die statt des versprochenen Strandes gerade stundenlanges Angeschnalltsein in einem engen Sitz über sich ergehen lassen mussten, Pärchen auf der Hochzeitsreise, die bei der Kabinenmannschaft kichernd Prosecco bestellt hatten. Normal, alles war ganz und gar normal gewesen.

 

Fluglotse: „Haben Sie Sichtkontakt, Sunbird 247?“

Flugkapitän: „Bitte warten.“

Co-Pilotin: „Kein Sichtkontakt.“

Fluglotse: „Bitte warten. Sunbird 247, steigen Sie auf tausend Fuß.“

Flugkapitän: „Bitte wiederholen!“

Fluglotse: „Tausend Fuß, Sunbird 247.“

 

Ich hatte rechts auf dem Co-Piloten-Sitz gesessen und eigentlich mit einem weiteren Routinetag gerechnet, da nichts ungewöhnlich gewesen war. Wir hatten den ganzen Flug über klaren Himmel gehabt, und der Flugkapitän an meiner Seite war Bob Brechin gewesen, ein guter, zuverlässiger Pilot. Als das kleine Flugzeug ins Trudeln geraten und in die Tiefe gestürzt war, hatte man nicht einmal die Schreie gehört …

 

„Und, können Sie nachts halbwegs schlafen?“

 

Fluglotse: „Ich widerruf…“

Co-Pilotin: „SICHTKONTAKT! SICHTKONTAKT!“ (Cockpitgeräusche) „STEIGEN! STEIGEN!“

Röhrender Lärm.

 

Ein Monat Stressbearbeitung nach einem Vorfall der Kategorie zwei erschien mir vernünftig, und es war ja auch alles in Ordnung. Seit jenem Flug hatte ich vier Trainingseinheiten im Simulator absolviert, die alle perfekt gelaufen waren, und war noch einmal ärztlich untersucht worden. Keinerlei Probleme.

Durch so etwas würde ich mich nicht aus der Bahn werfen lassen, auf keinen Fall. Ich würde wieder fliegen, ganz ruhig und professionell, würde einfach meine Arbeit erledigen.

 

„STEIGEN! STEIGEN!“

 

„Also, fühlen Sie sich bereit, ins Cockpit zurückzukehren?“

Ich setzte meine unerschrockenste Miene auf. „Natürlich, ich kann es kaum erwarten, und ich freue mich schon darauf, in den großen Maschinen links zu sitzen.“

Der Mann aus der Personalabteilung lächelte. „Wie ich sehe, kann Sie nichts aufhalten, First Officer MacIntyre.“

Ich reagierte mit einem betont beherzten Lächeln. Tatsächlich drängte sich mir dauernd der Anblick der kleinen Osprey auf, die im bedrohlichen Schatten des A320 durch die Wolken gebrochen war. Wenn ich die Lider schloss, sah ich jedes Mal das Weiße in den Augen des Piloten.

Es hatte sich um ein Agrarflugzeug gehandelt, wie wir später erfahren haben, und um einen lieben jungen Kerl vom Land namens Luis, der vor seiner Freundin hatte angeben wollen.

Wir gewannen und sie verloren an Höhe. Wir hatten das Tempo drosseln müssen, um die Maschine wieder nach oben zu ziehen. Dabei hatten wir bei uns im Cockpit von allem nur wenig mitbekommen, aber ich wollte mir nicht einmal vorstellen, wie die beiden die Situation erlebt haben mussten.

Das kleine Flugzeug hatte zu trudeln begonnen, Panik hatte die Insassen erfasst – Luis und seine Freundin. Sie hatte Serenata geheißen, was für ein schöner Name! Die beiden waren in der Nähe von Alicante abgestürzt, zum Glück über einem Feld.

Ich hatte alles richtig gemacht, war ruhig geblieben und hatte nur einen Blick mit Bob getauscht, mit dem ich reibungslos zusammengearbeitet hatte.

Als sich unsere Flughöhe wieder stabilisiert hatte, hatten wir dagesessen und den Atem angehalten. Wir hatten auf die Bestätigung der schrecklichen Nachricht gewartet, die eigentlich nicht mehr nötig gewesen war, seit die kleine Maschine aus unserem Blickfeld verschwunden war.

Wegen der sicheren, computergesteuerten Flugzeuge unserer heutigen Zeit wird ja oft gescherzt, dass Piloten nur für zwei Minuten im Jahr bezahlt werden. Da war durchaus etwas dran, und das waren unsere zwei Minuten gewesen.


Kapitel 1

Mein Urgroßvater, Captain Ranald Murdo MacIntyre vom Royal Air Force City of Aberdeen Auxiliary Squadron 612, war nicht besonders groß gewesen. Die meisten waren sich darin einig, dass sein Temperament und sein Tatendrang vermutlich auch damit zu tun gehabt hatten.

Ranald war kräftig, hatte einen ordentlichen Dickkopf und trug gern einen herausfordernden Gesichtsausdruck zur Schau, so als sollten die Leute ruhig mal versuchen, sich mit ihm anzulegen, dann aber auch die Konsequenzen tragen. Er gehörte zu den Menschen, für die der Krieg eine tolle Zeit war, ein großes Abenteuer, durch das er endlich mal aus seiner kleinen Stadt an der Nordküste Schottlands rauskommen und seinen Horizont erweitern konnte.

Er verpflichtete sich gleich am Anfang, und das auch noch bei der Royal Air Force, zu einer Zeit, in der die Lebenserwartung der Piloten dort etwa ein halbes Jahr betrug. Von dem Moment an, in dem er zum ersten Mal mit einer Spitfire abgehoben hatte, war er Feuer und Flamme. Er flog furchtlos jedes Ziel an, verteidigte den Firth of Forth und flog über den Erzfeind – nicht die Luftwaffe, sondern vielmehr das Glasgow Auxiliary Squadron 602, die Rivalen von der Westküste – öfter im Tiefflug hinweg als streng genommen nötig.

Bevor seine sechs Monate da oben um waren und er – der ja alles andere als durchschnittlich war – womöglich doch noch dem Gesetz des Durchschnitts zum Opfer fallen würde, holte ihn die RAF vom Himmel und stationierte ihn in Leuchars, wo er die nachrückende Generation ausbildete, und dann die nächste, was er alles mit demselben überschwänglichen Elan in Angriff nahm wie das Fliegen selbst.

Bei Kriegsende ging die Wahrscheinlichkeit, dass er je wieder auf die Äcker der Familie zurückkehren würde, gegen null. Leider war für Ausbilder, die Piloten für Kampfeinsätze in selbstmörderischem Heldenmut schulten, nach Ende des Konfliktes nicht mehr viel Bedarf.

Zu jener Zeit trieb Ranald irgendwo eine kleine Cessna auf, die ihm Gerüchten zufolge sogar die RAF selbst überlassen hatte, um ihn endlich loszuwerden. Damit richtete Ranald umgehend eine Flugroute für die majestätische Gruppe von Inseln vor der Nordküste von Schottland ein, die bis zu diesem Zeitpunkt nur unregelmäßig durch Fähren oder sogar nur durch Segel- und Ruderboote mit der Zivilisation verbunden gewesen waren.

Allerdings waren deren Bewohner der Meinung, dass sie bisher auch gut allein klargekommen waren, vielen Dank auch, und dass sie diesen gottlos lauten, öligen Eindringling gar nicht brauchten, der da den Rhythmus der Jahreszeiten durcheinanderbrachte. Nach und nach fanden sie aber Gefallen daran, gelegentlich einen Blick in eine Zeitung zu werfen, die erst einen Tag alt war, einen Arzt aufzusuchen oder einen Ausflug in eine große Stadt wie Oban oder Inverness mit ihren verführerischen Lichtern zu machen. Die Kirche war von alldem nicht begeistert, aber das war sie ja ohnehin selten.

Jedenfalls florierte Ranalds Unternehmen mit dem winzigen Lufttaxi, das im Prinzip überall landen und jeden mitnehmen konnte. Zum einen, weil der von ihm angebotene Service eben etwas ganz Neues war, zum anderen wegen der praktischen Aspekte und schließlich auch deshalb, weil selbst übelstes Wetter Ranald nicht vom Fliegen abhielt, ihn nicht einmal groß störte. Und wer die Nordküste von Schottland nur ein bisschen kennt, der wird verstehen, was für ein tolles Talent das war.

Eigentlich dachten ja alle, das Ranald MacIntyre mit seinem Flugzeug verheiratet war, daher führte es zu allgemeiner Verblüffung, als er mit fünfzig die hübsche Margaret Wise aus Thurso heiratete, die ihm im Jahr darauf Baby Murdo gebar.

Der junge Murdo saß im Cockpit oft an der Seite seines Vaters und dessen Co-Piloten Jimmy Convery. Ranalds alter Kumpel Jimmy stammte aus einem Elendsviertel in Glasgow und war ein so einfacher, ungeschliffener Kerl, dass man ihn kaum verstand, wenn er den Mund aufmachte. Aber er war der beste und treuste Co-Pilot, den Ranald je gehabt hatte, und Ranald wusste ganz genau, dass es für Jimmy kein Zuhause gab, in das er nach dem Krieg hätte zurückkehren können. Selbst vor dem Krieg hatte es diesen Namen ja kaum verdient. Nach ihrer Entlassung brachte Ranald Jimmy daher mit zurück, und sie mieteten ein zugiges altes Haus im Ort, das nicht einmal der Pfarrer gewollt hatte. Jimmy ging dort nie wieder weg.

Murdo wuchs heran und ging bereits mit sechzehn auf die Flugschule, so wie ich auch. Nur wenig kann einen Piloten aus der Ruhe bringen, der mit Landungen unter schottischen Wetterbedingungen aufgewachsen ist: häufiger Nebel, seitlich einfallender Regen, Schnee, Hagel, und das alles bei ganz kurzen Landebahnen. Auf Inchborn, einer Insel der Gruppe, gab es überhaupt keine Landebahn, sodass Ranald dort bei Ebbe auf dem langen Strand landete.

Mit einundzwanzig lieh sich Murdo genug Geld, um ein neues Flugzeug zu kaufen – Dolly, eine brandneue Twin-Otter-Maschine, die sein ganzer Stolz war. Er versuchte, die Unternehmung professioneller aufzuziehen: mit Flugplänen, regelmäßigen Lieferungen und Rundflügen für die Leute, die inzwischen mehr Geld zur Verfügung hatten. Aber man war sich nie zu fein dafür, als Gefallen für jemanden ein Päckchen mitzunehmen, wenn die Gewichtszulassung es ermöglichte, für kleines Geld Mütter und ihre Babys abzuholen, die auf dem Festland zur Vorsorgeuntersuchung mussten, oder im Notfall das Sanitätsflugzeug zu unterstützen.

Murdo heiratete jung und war erpicht darauf, eine Nachfolgegeneration für MacIntyre Air heranzuziehen. Tatsächlich war sein Sohn, Iain, von klein auf genauso wild aufs Fliegen wie vor ihm sein Vater und Großvater. Einst war Murdo Ranalds Augenstern gewesen, sein ganzer Stolz. Iain erfüllte für Murdo die gleiche Rolle, und es wurde längst begeistert geplant, in Zukunft die Flotte zu erweitern – bis Iain eines Tages zum Markt geschickt wurde, um einen Korb rote Äpfel zu kaufen, und mit grünen zurückkehrte. So kam die schreckliche Wahrheit ans Licht: Er war nicht nur stark farbenblind, sondern hatte generell furchtbar schlechte Augen. Der Optiker hatte so einiges dazu zu sagen, dass sie den Jungen nicht schon viel früher hergebracht hatten.

Für Iain war das ein harter Schlag, ähnlich wie eine Verletzung für einen Profifußballer. Der weinerliche Teenager mit vom National Health Service finanzierter fetter Brille studierte Buchhaltung, paukte ordentlich und ergatterte eine Stelle in der Finanzabteilung einer großen kommerziellen Fluglinie mit Sitz in der Nähe von Aberdeen. Dort durfte er den Tag in der Gesellschaft von Piloten verbringen, sich um die finanziellen Aspekte der Fliegerei kümmern, Bilanzen und Rechnungen bearbeiten, die Kosten von Treibstoff und Ladung und Flugzeugen kalkulieren, aber nie selbst im Cockpit sitzen.

Man konnte schlecht sagen, ob das für den Jungen, der immer vom Fliegen geträumt hatte, nun ein Trost oder eher die reinste Folter war.

Wenigstens würde nach ihm eine neue Generation kommen. Es war zwar nicht so, dass Iain MacIntyre jede Frau, die ihn interessierte, nach ihrer Sehkraft befragte. Aber als er die schöne Katherine Trawley kennenlernte, die nicht nur tolle rote Haare hatte, sondern auch noch über hundertprozentige Sehschärfe verfügte, war die Sache geritzt. Dann kam Jamie zur Welt, und sein Weg schien vorgezeichnet.

Leider heulte und brüllte Jamie jedes Mal, wenn er an einem langen Sommertag in Carso in den Himmel aufstieg. Er konnte einfach nicht verstehen, warum ihn ständig jemand in so einer lauten und gruseligen Blechbüchse festschnallen wollte, wenn es da draußen, an der herrlichen Spitze von Schottland, doch einen Strand mit Sand und Meer und Garnelennetzen gab, mit Krebsen und Vögeln und anderen wilden Tieren, eben der ganzen Schönheit der Natur.

Jamie machte so ein Theater, dass die Familie es schließlich aufgab und sich widerwillig auf die nächste Hoffnungsträgerin konzentrierte, auf Baby Morag.

Und, na ja, das war ich.

 

Im zugigen alten Haus in Carso, der nördlichsten Stadt in Sutherland, ganz oben in den schottischen Highlands, gab es eine komplette Regalwand voll mit Medaillen meines Urgroßvaters Ranald. In Carso, wo die Nordsee auf die Schottische See traf, blies der Wind ohne Unterlass. Die Häuser hier waren aus grauem Stein, und es gab einen ganz kleinen Flugplatz.

Wenn andere mir von meinem fliegenden Urgroßvater erzählt haben, haben sie immer einen eher mürrischen, streng auftretenden Mann beschrieben. Allerdings hatte er wohl von Zeit zu Zeit jäh und laut über Witze gelacht und gern furchtbar lange Geschichten zum Besten gegeben, die eigentlich jeder schon einmal gehört hatte.

Margaret war jung an Brustkrebs gestorben, als Murdo erst zwanzig gewesen war – meine Mutter nahm an, dass er vermutlich deshalb so jung hatte heiraten wollen –, und Ranald hatte einfach weitergemacht und den Rest seines Lebens mit seinem besten Freund Jimmy Convery zusammengewohnt. Jimmy hatte wohl nie viel gesagt, aber über Ranalds Anekdoten mit von Woodbine-Zigaretten heiserer Stimme gelacht. Der schnurrbärtige Typ wirkte auf Fotos nicht sehr vertrauenerweckend, aber Murdo – Gramps – hat ihn immer vergöttert. Und da ich Gramps vergötterte, ging ich davon aus, dass Jimmy wohl ganz okay gewesen sein musste.

Ich bin außerhalb von Aberdeen aufgewachsen, habe in Carso aber alle Sommer und viele Wochenenden verbracht. Wie begeistert dort jeder war, als ich Interesse am Fliegen zeigte, hat mich wirklich verblüfft, und in der Familie herrscht der Aberglaube, dass durch mich gewissermaßen Ranald wiedergeboren worden war.

Eigentlich war ich daran gewöhnt gewesen, dass Jamie – ein mit seinen roten Haaren und grauen Augen außergewöhnlich hübsches Kind – immer im Mittelpunkt gestanden hatte.

Ich hingegen hatte wilde schwarze Locken, wie wohl einst Margaret. Mir persönlich hatten sie immer nur Kummer bereitet, da ich in der Zeit von Glätteisen und dünn gezupften Augenbrauen aufgewachsen war. In der Schule wurde ich wegen meiner wilden Haare Mähnen-Morag genannt.

Jamie war klug, sensibel und künstlerisch begabt. Ich war still, schrecklich schüchtern und fühlte mich als das erste Mädchen in drei Generationen mehr oder weniger unzulänglich. Bis ich zum ersten Mal ins Cockpit der Twin Otter kletterte.

Augenblicklich war die ganze Verwandtschaft stolz auf mich, wirkte zugleich aber verdächtig erleichtert. Wohin wir in diesem Sommer auch kamen, überall wurde ich als Morag, die kleine Pilotin, vorgestellt, als Retterin von MacIntyre Air. Die Leute hielten uns auf der Straße an und sprachen mit mir übers Fliegen, während Jamie schmollend danebenstand und seinen Malblock an sich presste, den er immer dabeihatte, um sich bei der erstbesten Gelegenheit zum nächsten Baum oder Bach davonzuschleichen.

Ich weiß noch, wie ich in der Schule meine Wahlfächer ausgesucht habe – so, als hätte ich eben keine große Wahl: Mathe für die Berechnungen bei der Navigation, Physik und natürlich Erdkunde. Das Geld für die Flugschule zusammenzubekommen, war eine Gemeinschaftsanstrengung der ganzen Familie – ja, durch eine Ausbildung dort ist einem später der Arbeitsplatz sicher, aber sie ist wirklich, wirklich teuer. So teuer. Deshalb mussten sich alle einschränken, was mir ganz schön zu schaffen machte. Aber ich durfte das Fliegen lernen, und von diesem Moment an gab es für mich kein Halten mehr.

Das klingt zwar furchtbar, aber sobald ich merkte, dass mir jetzt mehr Aufmerksamkeit zuteilwurde als meinem tollen, beliebten Bruder, hängte ich mich voll und ganz rein.

Ich war so ein verzagtes, unsicheres Kind gewesen. Wenn sie mich zum Kindergarten oder zur Schule brachte, hatte meine Mutter mich beim Abschied immer mühsam von sich losmachen müssen.

In Carso hatte ich nur eine einzige Freundin gehabt, Nalitha Khan, die alles andere als schüchtern gewesen war und in deren Kielwasser ich hatte mitfahren dürfen.

Doch als mich die Familie zur Zukunftsträgerin des Familienunternehmens auserkoren hatte – na ja, da hatte sich alles geändert.

In dem kleinen Ort, in dem mein Großvater lebte, wurde gern geplaudert und getratscht, was mich bislang eher verunsichert hatte, da ich regelmäßig von alten Damen bedrängt worden war: „Morag, Kleine, jetzt mach mal den Mund auf. Du bist aber ein kümmerliches, blasses Ding. Wirklich schade, schließlich ist Jamie doch so ein hübscher Junge, nich?“ Diese Situationen wurden für mich jetzt etwas leichter.

Irgendwie hatte ich gedacht, dass es noch einfacher werden würde, nachdem ich mit der Flugschule angefangen hatte. Tatsächlich sagten allerdings neunzig Prozent der Leute als Erstes zu mir: „Oh, du Glückspilz, dann wirst du ja ständig von all diesen gut aussehenden Piloten umringt sein“, was natürlich, ihr wisst schon, äh, sehr, sehr sexistisch und leider auch gar nicht der Fall war. Ja, die meisten meiner Mitschüler waren Männer, aber sie behandelten mich und die wenigen anderen Frauen quasi als Mann ehrenhalber.

Wie alle anderen waren sie viel mehr hinter den schönen blonden Schauspielschülerinnen von nebenan her. Was eigentlich gut war, denn ich lege Wert auf einen professionellen Umgang. Wirklich. Leider war der Umgang oft sehr, sehr – vielleicht einfach zu – professionell.

Ich war eine gute Schülerin, hab ordentliche Arbeit geleistet und wurde nie von irgendetwas ausgeschlossen. Ich fand es sowohl damals als auch später im Berufsleben echt okay, einer der Jungs zu sein, und genoss auch Diskussionen über Motoren oder Windgeschwindigkeiten bei einem Bier, klar. Und die Unterhaltungen über Autos.

Allerdings stiegen Jai und Abdul und Connor danach in ihre äußerst feschen Autos und fuhren davon, um für ihre abendlichen Verabredungen technisch weniger versierte Damen abzuholen. Und ich ging nach Hause in meine kleine Neubauwohnung, die ich gemietet hatte, weil sie in der Nähe des Flughafens lag und nicht zu teuer war, aus keinem anderen Grund. Es war einfach nur ein Ort, um zwischen meinen Schichten zu schlafen.

Ich hatte Beziehungen mit dem ein oder anderen Ingenieur, was okay war, aber nach dem Eintritt ins Berufsleben war ich ja sowieso immer unterwegs. Für Männer, die an die ständige Abwesenheit ihrer Partnerin gewöhnt waren, war ich wohl ein bisschen zu spießig, andererseits aber zu exotisch für diejenigen, für die so eine Situation neu war.

Bei Männern gab es vor allem zwei Tendenzen: Entweder fühlten sie sich durch meinen Beruf eingeschüchtert und brachten ihn deshalb nie zur Sprache, erwähnten aber oft, dass sie ein Händchen für Autoreparaturen hatten. Oder sie fragten mich ständig nach Abstürzen und anderen schrecklichen Sachen, die bis vor Kurzem weder mir noch irgendjemandem, den ich kannte, je passiert waren – so etwas kommt nämlich wirklich, wirklich selten vor. Oder die Kerle gaben vor, mich zu bedauern, und fragten, ob meine Arbeit nicht furchtbar monoton war, weil sie ihre langweiligen Reiseerfahrungen auf meinen wunderbaren Job projizierten.

Und ich wusste auch nicht recht, wie ich das Gefühl genau in dem Moment beschreiben sollte, wenn eine riesige Maschine den Erdboden verließ, die Sekunde, in der ich plötzlich nicht mehr an die Erde gebunden war, vom Rollen ins Fliegen überging, die Fesseln der Schwerkraft abschüttelte. Dann sauste ich durch die Wolken und durchbrach sie sogar am trübsten, grausten Tag, ließ die armen Pendler da unten zurück, die sich im Regen durch den Verkehr schlängelten, während ich selbst in luftiger Höhe die Königsroute nahm. Vor mir erstreckte sich mit dunkler Wölbung in der Ferne der blaue Himmel, der ganz mir gehörte, mich erwartete, während Wolken wie weiche Kissen wirkten, die ich einfach vorbeiwinkte. Sogar schneebedeckte Berge schienen das Haupt vor mir zu neigen.

Damit will ich sagen, dass ich meine Arbeit wirklich fantastisch finde, oder zumindest war das mal so.

Aber beim Thema Liebe, das muss ich ehrlich sagen, war sie nie sehr hilfreich. Zumindest bei mir nicht. Manche Leute aus meiner Berufsgruppe lösten das Problem, indem sie an allen wichtigen Luftfahrtdrehkreuzen auf der Welt Partner hatten. Zu meiner eigenen Enttäuschung musste ich feststellen, dass ich zwar Millennial durch und durch war, für so etwas aber einfach nicht gemacht, obwohl das theoretisch natürlich cool war.

Aber cool war jemand, der so viele mathematische und technische Fächer belegt hatte wie ich, ohnehin selten. Meine Mum hatte immer schon gesagt, dass ich eben eine schwer beschäftigte Karrierefrau war. Aber sie war nun mal meine Mutter und benutzte tatsächlich Ausdrücke wie „Karrierefrau“. Na ja.

Mein Handy klingelte, nachdem ich das Besprechungszimmer der Personalabteilung verlassen hatte und mich beim Kaffeestand anstellte. Ich brauchte definitiv einen Kaffee oder zumindest etwas tröstlich Warmes, worum ich die Hände schlingen konnte.

„Und, wie ist das Treffen gelaufen?“

„Gramps! Es war alles okay!“

„Natürlich war es das“, sagte er voller Genugtuung. „Das ist mein Mädchen!“

„Ich muss nur noch darauf warten, dass die Untersuchung des Vorfalls abgeschlossen wird, und dann geht’s wieder los, ab in Richtung Wolken.“

„Die Freigabe zum Fliegen hast du?“

„Es stehen noch ein paar Formalitäten an, aber … ich denke, das wird schon gehen.“ Ich versuchte, nicht zu zaudern und voller Entschlossenheit zu sprechen.

„Dementsprechend“, kam von ihm mit genüsslicher Stimme, „hast du jetzt gerade ein paar freie Tage.“

„Gramps!“, sagte ich warnend.

Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, dass ich wieder in den hohen Norden zurückkehren würde. Da konnte ich ihm noch so oft darlegen, dass ich kein schlechter Mensch war, weil ich die eisige Kälte aufgegeben hatte, um durch ganz Europa zu fliegen. So kam ich schließlich auch mal an Orte, wo Bekleidungsgeschäfte nicht das stolz als „Boutique“ bezeichnete Scheidungsprojekt von Mrs Haglye waren, die an ihren vollschlanken Schaufensterpuppen stets die neusten beigefarbenen Twinsets ausstellte und mittwochs immer noch früher zumachte. Und eigentlich sollte ich ja sogar nach einem Leben mit All-you-can-eat-Brunch und sonnigen Reisen nach Übersee streben (wie es die meisten Kollegen taten). Gramps fände es doch sicher auch cool, einen Pool zu haben, oder nicht?

„Was soll ich denn mit einem Pool?“, fragte er entgeistert. „Ich hab doch das Meer direkt vor der Nase, mein Mädchen. Das liegt ja vor meiner Haustür.“

„Du solltest öfter mal die Zivilisation aufsuchen“, sagte ich. „Im Ernst. Vielleicht würde es dir hier sogar gefallen.“

„Das hab ich alles schon gemacht“, wandte er ein. „Und die Zivilisation stinkt ganz furchtbar.“

„Die Leute wollen gern eine Toilette im Flugzeug, Gramps, das ist ganz normal.“

Die Twin Otter hatte keine Toilette. Da keiner der Flüge länger als eine Dreiviertelstunde dauerte, musste man eben anhalten.

„Das ist widerlich.“

Leider konnte ich dem nicht widersprechen, vor allem aufgrund der Gruppen, die wir nach Junggesellenabschieden oft zurückbrachten und die am Sonntagmorgen übernächtigt und unangenehm aufgekratzt waren.

„Schau doch mal bei uns hier oben vorbei“, sagte er. „Komm zu Besuch. Die Osterglocken blühen.“

„Die gibt’s hier auch.“

„Und es fragen alle nach dir.“

„Genau da liegt doch das Problem. ›Oooh, die kleine Morag, die früher nie den Mund aufgemacht hat!‹ ›Oooh, die kleine Morag mit den furchtbaren Haaren!‹ ›Oooh, Morag, weißt du noch, wie du dir mal am Mercat Cross in die Hose gemacht hast?‹“

„Das war allerdings witzig!“

„Das war überhaupt nicht witzig! Jamie hatte eine Ringelnatter als Haustier und hat sie mir hinten in den Kragen geschoben!“ Ich erschauderte.

„Aye, na ja, er kann doch nichts dazu, dass du keine Tiere magst.“

„Es ist nicht so, dass ich Tiere nicht mag. Ich bevorzuge nur nützlichere Sachen. So wie Flugzeuge. Und Restaurants und die Zivilisation und Straßen, die irgendwo hinführen und nicht jählings in irgendeinem Feld enden.“

„Tja, Morag, du führst jetzt eben ein tolles, schillerndes Leben.“

„Komm mir bitte nicht damit!“

„Aber deine Wurzeln hast du dabei ganz vergessen.“

„Hab ich nicht!“, protestierte ich, nicht zum ersten und sicher auch nicht zum letzten Mal. „Ich hab hier draußen einfach nur … eine größere Welt gefunden.“

„Die allerdings stinkt.“

„Gramps!“

Er senkte die Stimme: „Morag, bist du denn ganz sicher … dass du über den Beinahezusammenstoß hinweg bist?“

Im sterilen Gebäude der Fluggesellschaft schaute ich auf. Der Mann aus der Personalabteilung, mit dem ich die Sitzung gehabt hatte, hatte sich auch gerade in die Kaffeeschlange eingereiht. Hm, merkwürdig. Ich konnte mir diese Typen eigentlich nicht außerhalb der kleinen Meetingräume vorstellen, die in beruhigenden Farben gestrichen waren.

Das war ein bisschen so wie in der Kindheit mit Lehrern außerhalb der Schule. Dass er hier zu Mittag aß, sich zwischen einem Hühnchensandwich und einem Salat entschied, fand ich unerwartet normal. Ich sah, dass er den Salat nahm.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass er mich gar nicht bemerken würde, aber er schaute auf und erkannte mich eindeutig. Ich fragte mich, ob ich mir das mit dem Muffin, den ich eigentlich hatte bestellen wollen, besser noch einmal überlegte. Durch einen Muffin statt eines ordentlichen, vernünftigen Salates kam ich womöglich gierig und zuckersüchtig und labil rüber. Vielleicht sollte ich auch lieber entkoffeinierten Kaffee bestellen. Oder würde mich das neurotisch wirken lassen?

Die Stimme von Gramps dröhnte noch immer übers Handy. „Als mir das passiert ist, war ich nämlich total hinüber.“

„Aber bei dir war das ja auch ein Tarnkappenbomber“, wandte ich ein, da ich die alte Story in- und auswendig kannte. „Du warst der kleine Vogel. Wir waren hier der große.“ Ich versuchte, leise zu reden, aber der Mann aus der Personalabteilung war in der Schlange vorgerückt und damit in Hörweite.

„In fünfzehntausend Fuß Höhe ist niemand groß“, stellte Gramps fest. „Da oben vor Gottes Angesicht sind wir alle winzig.“

„Es geht mir wirklich wieder wunderbar“, sagte ich mit einer Stimme, die plötzlich nicht einmal mehr mich selbst überzeugte. „Und ich hab ja auch ein reiches und erfülltes Privatleben mit vielen Freunden, die ebenfalls finden, dass es mir wieder super geht und … Äh, was kostet denn der frisch gepresste Saft?“

„Vier fünfundneunzig.“

„Vier fünfundneunzig für einen Saft?“ Mein Großvater konnte es immer noch nicht fassen, als wir uns voneinander verabschiedeten.

Ich wollte mein Handy wegpacken und stellte plötzlich fest, dass die Person hinter mir die Schlange verlassen hatte und ich mit dem Mann aus der Personalabteilung allein dastand.

„Äh, gehen Sie ruhig vor“, sagte ich verlegen und stopfte das Handy umständlich in meine Tasche.

„MÖHREN- UND INGWERSAFT!“, rief die junge Verkäuferin.

„Nein, bitte“, sagte der Mann und wedelte mit der Hand herum.

Ich lächelte und war völlig durcheinander. Einen A380 mit 500 Tonnen Startgewicht zu fliegen, war für mich kein Problem, aber der Personalabteilungstyp brachte mich aus dem Konzept.

„Äh, ich hole mir nur gerade, äh, einen Saft. Einen ganz normalen Saft“, erklärte ich, als würde ich als Zeugin vor Gericht jeden meiner Schritte beschreiben. Insgeheim schwor ich mir, den Kaffeestand in der Personalabteilung künftig zu meiden.

Der Mann lächelte, als wüsste er nicht recht, was er mit dieser Information anfangen sollte. Er hatte rotblondes Haar und trug ein blaues Hemd mit Krawatte. Damit sah er aus wie ein cooler Lehrer. Vermutlich warteten zu Hause eine nette Frau und 2,4 Kinder auf ihn, deren Fußballmannschaft er auch trainierte. Ja, er hatte sicher ein perfekt organisiertes Leben. Ich musste daran denken, wie einfühlsam er mit mir gesprochen hatte, was ich ziemlich attraktiv gefunden hatte. Jetzt reiß dich mal zusammen, Morag!, schimpfte ich mit mir selbst. Es war ja alles schon kompliziert genug.

„Hallöchen!“, sagte die Frau hinter der Kasse zu ihm, als er an der Reihe war. „Heute mal kein Schinkenbrötchen?“

Überrascht schaute ich den Personalabteilungstypen an, der rot anlief.

„Äh, nein, danke.“

„Und was ist mit Ihrem Twix?“

„Ich … äh, nein, ich will kein Twix.“

„Aber Sie nehmen sonst doch immer eins!“

„Ich … Bitte nur den Salat.“

Er hielt seine Karte vor das Lesegerät, während ich mit meinem Saft unerwartet aufgeheitert davonzog.

 

Das Protokoll schrieb für mich und auch für den Flugkapitän, mit dem ich im Cockpit gesessen hatte, eine Reihe von zu absolvierenden Schritten vor. Daher war ich zwei Tage später wieder auf dem Weg zum selben nichtssagenden kleinen Raum mit Topfpflanze und wappnete mich für das nächste Gespräch. Das Prozedere war mir klar: Man würde mir im Prinzip noch einmal die gleichen Fragen stellen, um die Richtigkeit meiner Antworten zu überprüfen, während auch die Maschine und die Aufzeichnungen des Flugschreibers gecheckt wurden.

Der Mann mit dem rotblonden Haar lächelte, als ich hereinkam. Er saß hinter dem Schreibtisch, und ich musste auf dem Stuhl davor Platz nehmen.

„Hallo, First Officer MacIntyre.“

„Hallo, äh …“ Er hatte sich mir vorgestellt, der Name war mir aber entfallen. Es war irgendwas Seltsames gewesen.

„Hayden … Hayden Telford.“

Ach ja, richtig. Das klang ein bisschen wie ein Frauenname, aber auch hübsch.

„Sorry“, sagte ich und merkte, dass meine Wangen ein wenig brannten. „Normalerweise hab ich ein gutes Gedächtnis für Details. Das gehört bei meinem Beruf schließlich dazu!“

Mir fiel auf, dass er keinen Ehering trug, aber vielleicht nahm er den ja für die Arbeit ab. Morag, mahnte ich mich innerlich streng. Jetzt sei nicht so dämlich!

„Ist schon in Ordnung“, sagte er mit seiner schönen Stimme. Darin schwang der leichte Anflug eines Akzents mit, den ich nicht einordnen konnte. Ich schüttelte mich innerlich. Dieses Gespräch war so wichtig. Was auch immer es in seinem Computer anzuklicken gab – er musste es unbedingt heute anklicken!

„Sind Sie schon lange Psychologe?“, platzte es trotzdem aus mir heraus.

Mit freundlichem Lächeln schaute er auf. „Ah, nein, ich bin bloß Personalreferent“, erklärte er.

„Ach, Sie sind also kein Arzt oder so?“

Er schaute mich an. „Nein, ich bin kein Arzt.“ Beruhigend lächelte er.

„Nicht, dass mich das stören würde“, sagte ich hastig. Ich machte die Sache immer schlimmer.

„Nein, warum sollte es auch?“

„Genau“, sagte ich.

Als er mich interessiert musterte, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nur schwer deuten. O mein Gott, vielleicht hielt er mich für komplett verrückt! Ich sollte mir wohl lieber auf die Zunge beißen.

„Okay“, sagte er. Dann schob er seinen Stuhl ein bisschen mehr in meine Richtung. „Also, First Officer …“

„Sagen Sie ruhig Morag“, unterbrach ich ihn und versuchte, dabei selbstbewusst zu klingen.

„Gut. Äh, Morag, es ist völlig in Ordnung, aufgeregt zu sein. Das kann ich gut verstehen. Ich habe oft mit Kapitänen und Co-Piloten in Ihrer Situation zu tun. Falls Sie vielleicht mit einem Therapeuten sprechen wollen, dann kann ich Ihnen weiterhelfen, das ist alles.“

„Nein, mir geht’s gut“, sagte ich schnell.

„Ich erledige hier nur meine Arbeit, damit wir dort oben alle sicher sind. Okay?“

Seine Stimme hatte wirklich etwas Beruhigendes an sich. Ich kam einfach nicht dagegen an – ich mochte ihn.

Nach kurzem Zögern sprach er weiter: „Aber mir gefällt der Gedanke, dass Sie mich für einen Arzt gehalten haben. Vielleicht sollte ich das auf mein Schild draußen an der Tür schreiben. Das ist doch wesentlich interessanter als ein Schlipsträger aus der Personalabteilung.“

„Ihre Arbeit ist aber sicher auch sehr interessant“, sagte ich.

„Na ja, ich fliege hier nicht gerade Flugzeuge.“ Er wandte sich wieder seinem Computer zu und rief etwas auf. „Nun gut. Es tut mir leid, dass wir darauf so herumreiten müssen, aber – könnten Sie mir den Vorfall noch einmal schildern?“

Ich hatte eigentlich gehofft, es würde mir helfen, das Ganze ein zweites Mal durchzugehen, aber dem war leider nicht so. Schließlich waren dort zwei Menschen in den Tod gestürzt, direkt vor meinen Augen.

„Haben Sie gezögert, dem Kapitän zu sagen, was vor sich geht?“

„Nein.“

 

„STEIGEN! STEIGEN!“

 

„Hatten Sie eventuell Bedenken, dass er Ihrer Aufforderung nicht nachkommen würde? Würden Sie beim nächsten Mal irgendwas anders machen?“

„Nein.“

Wie der Punkt auf dem Radar mit einem Mal verschwunden war.

Reiß dich zusammen, Morag. Nein, er ist zwar kein Arzt, hat aber vermutlich sogar mehr Macht. Ein Klick mit der Maus, und das war’s …

„Wir haben die Vorschriften befolgt“, sagte ich mit roboterhaft ausdrucksloser Stimme. Ich sprach bewusst langsamer. Aus bitterer Erfahrung wusste ich, dass das die Leute beruhigte – und mit „Leute“ meine ich vor allem männliche Passagiere, die eine Frau im Cockpit zum Kaputtlachen fanden.

„Die Folgen für das kleinere Flugzeug waren natürlich bedauerlich. Ich wünschte wirklich, die hätten vor ihrem Flug den Tower informiert. Ich wünschte, es wäre alles anders gekommen.“ Ich wünschte, ich könnte nachts schlafen.

Hayden nickte. „In Ordnung. Danke, Morag.“ Er löste die Hand von der Maus und lächelte ermutigend. Sein Lächeln war wirklich hübsch, es zeigte ein wenig schiefe Schneidezähne, die ihm einen gewissen Schuljungen-Charme verliehen.

„Okay“, sagte er. „Ich bin mir sicher, dass Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.“

„Mache ich mir auch nicht“, log ich.

„Und, wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? Wollen Sie irgendwann auf den linken Sitz wechseln?“

Das war der übliche Werdegang: Vom Co-Piloten zum Flugkapitän auf Kurzstrecken, dann Co-Pilot auf Langstrecken. Zumindest setzten sich das die meisten als Ziel. Einige Piloten konnten die Vorstellung allerdings nicht ertragen – so wie Gramps zum Beispiel. Er liebte Start und Landung (das Aufregendste am Fliegen) und wollte nachts außerdem im eigenen Bett schlafen. Immer mal wieder stellte er klar, dass er nie Interesse daran gehabt hatte, Jahre seines Lebens im Luftraum von Sibirien oder der Sahara zu verbringen.

Ich hatte durchaus schon daran gedacht, nur waren das leider berechnende, nicht sehr ehrenhafte Gedanken gewesen. Offen darüber reden konnte ich mit niemandem. Nach einem Wechsel zu Langstreckenflügen würde ich womöglich ewig auf dem Co-Pilotensessel hängen bleiben. Aber damit könnte ich mir Zeit erkaufen, zumindest so viel, wie ich brauchte. Auf Langstreckenflügen könnte ich vielleicht sogar als Zweite Offizierin an Bord gehen, dann würde ich abgesehen von gelegentlichen Simulatorterminen wohl gar nicht zu fliegen brauchen. Ich würde sicher sein, und die glühenden, prächtigen Sonnenuntergänge über der Sahara waren ja wirklich ein toller Anblick. Wenn ich die Karriereleiter hinaufstieg, im Job vorankam, würde mir niemand vorwerfen können, dass ich Angst hatte. Es wäre ja nur, bis es mir wieder besser ging. Denn es würde doch besser werden, oder? Ja, okay, das war ein wirklich schlechter Plan, momentan aber der beste, den ich hatte.

Ich versuchte, völlig unbeschwert zu klingen: „Ehrlich gesagt, fände ich es ganz schön, zur Langstrecke zu wechseln. Ein paar Schichten in einer der großen Maschinen zu übernehmen.“

„Ach, siedeln Sie etwa nach Dubai über?“

Es wurde oft darüber gescherzt, wie viele Piloten dorthin zogen, wo sie mitten im Zentrum der Welt in einer steuerfreien Oase mit viel Sonne leben würden. Natürlich würde das für mich auch eine andere Fluggesellschaft bedeuten, aber eine, in der ich die Karriereleiter weiter hochklettern könnte.

Ich zuckte mit den Achseln. „Vielleicht.“

„Sie sind also auf dem Weg nach oben“, sagte er bewundernd, und ich konnte selbst kaum fassen, dass ich damit durchkam.

Was für mich selbst so offensichtlich war – Angst und Schmerz –, konnte ich anscheinend selbst vor jemandem, der sich beruflich mit solchen Fragen beschäftigte, problemlos verbergen. Ich kämpfte gegen das schlechte Gewissen an, aber mit wenig Erfolg.

„Ja, so sieht der Plan aus“, verkündete ich kühn. „Ich will das alles hinter mir lassen.“

„Oder unter Ihnen“, sagte er, verzog aber sofort das Gesicht. „Sorry, das war ja ein richtiger Papa-Witz.“

„Na, Sie sehen auch aus wie ein Vater“, sagte ich.

Er runzelte die Stirn. „Echt jetzt? Bin ich aber gar nicht …“

Plötzlich wurde uns beiden bewusst, dass die Unterhaltung gerade sehr persönlich geworden war.

Rasch warf er einen Blick auf die Uhr. „Na ja, nochmals vielen Dank für …“

Ich hatte nicht erwartet, dass er auch aufspringen würde, als ich mich erhob. Als er mir dann die Hand schüttelte, kam es mir so vor, als würde er sie eine Sekunde zu lange festhalten. Nein, ich stand wohl einfach nur unter Hochspannung. Bestimmt.

„Tja, das ist dann wohl das letzte Mal, dass ich Sie sehe“, sagte er.

„Hoffentlich!“, antwortete ich dämlich.

„Hm, ja, hoffentlich, denke ich mal.“ Endlich ließ er meine Hand los.

Ich spürte schon wieder meine Wangen brennen.

„Ich wünsche Ihnen wirklich alles Gute, Morag“, sagte er, und ich dachte: Du liebes bisschen!

„Okay, ciao“, war alles, was ich herausbekam.

„Guten Flug!“, sagte er und verzog wieder das Gesicht, als hätte er etwas Dummes gesagt.

Er hatte ja keine Ahnung, wie dumm das in meiner Situation tatsächlich war.

Jenny Colgan

Über Jenny Colgan

Biografie

Jenny Colgan studierte an der Universität von Edinburgh und arbeitete sechs Jahre lang im Gesundheitswesen, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Mit dem Marineingenieur Andrew hat sie drei Kinder, und die Familie lebt nördlich von Edinburgh. Ihre Romane sind internationale Erfolge und stehen...

INTERVIEW mit im Interview

„Sommerhimmel über dir und mir“ ist ... ein Buch über eine Pilotin? Oder wie würden Sie die Geschichte Ihres neuen Buches zusammenfassen? 

Nein, es geht nicht wirklich um eine Pilotin (obwohl eine Pilotin darin vorkommt). Es geht darum, herauszufinden, wo man hingehört, und um Abenteuer, Familie und Liebe, und es enthält deutlich mehr Hühner, als ich ursprünglich vorhatte.  

Woher kam die Inspiration für diesen Roman? 

Ich war mit meinen Kindern im schottischen Nationalmuseum für Luftfahrt (dem National Aviation Museum of Scotland), einem brillanten Museum mit einer Concorde. Zwei von ihnen waren begeistert, eines fand es langweilig und hat die ganze Zeit gemault, so sind Kinder nun mal. Und dort sah ich eine Ausstellung über die kleinen Flugzeuge, die zwischen den winzigen schottischen Inseln verkehren und im Grunde die Post, der Krankenwagen und der örtliche Bus in einem sind, und dabei wurde auch eine der Pilotinnen vorgestellt, und ich dachte: „Wow, das interessiert mich.“ 

Wo in Schottland spielt „Sommerhimmel über dir und mir“ - und wie sieht es dort aus? 

Die einzigen meiner Bücher, die an einem realen Ort spielen, sind die um die kleine Buchhandlung in Edinburgh. Die Inselwelt von „Sommerhimmel über dir und mir“ ist also fiktiv - aber man kann die Insel, die ich im Roman Inchborn nenne, tatsächlich besuchen. Sie heißt Inchcolm und hat wirklich ein verfallenes Kloster, viele Vögel und eine Person, die dort sechs Monate am Stück alleine lebt.

https://www.maidoftheforth.co.uk/inchcolm-island 

 

Pressestimmen
CarpeGusta - Das Magazin für Genießer

„Der ›Queen of Romance‹(...) (ist) wieder einmal gelungen, eine spritzige Lovestory mit den genau richtigen Zutaten zu versehen.“

Stadtradio Göttingen

„In dem für Jenny Colgan so typischen heiteren Ton kommen in ihrem neuesten Roman ›Sommerhimmel über dir und mir‹ malerisches Inselsetting, eine Liebesgeschichte mit Hindernissen, einer nicht immer leichten Familie und eine gefühlvolle Story (…) zu einer wunderbar leichten Sommerlektüre zusammen.“

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