Spinnenfeuer (Elemental Assassin 6) — Inhalt
Eigentlich wollte Gin Blanco endlich Urlaub machen! Doch anstatt sich nach dem Sieg über ihre Erzfeindin Mab Monroe im Strandort Blue Marsh nur die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, steht die Spinne plötzlich einem Feind gegenüber, der noch viel gefährlicher ist als die Feuermagierin. Ein mächtiger Vampir bedroht eine alte Freundin von Gins Schwester und deren Lokal. Das kann Gin natürlich weder als Restaurantbesitzerin noch als Auftragsmörderin auf sich sitzen lassen. So greift die Spinne auch im Urlaub zu ihren Waffen. Und dann taucht auch noch ihr alter Liebhaber Detective Donovan Caine auf… und bringt Gin zusätzlich ins Schwitzen.
Leseprobe zu „Spinnenfeuer (Elemental Assassin 6)“
Kapitel 1
„Du brauchst mal Urlaub.“
Ich sah von der Tomate auf, die ich gerade schnitt, und starrte über den Tresen zu Finnegan Lane, meinem Ziehbruder und Partner in unzähligen mörderischen Unternehmungen.
„Urlaub? Ich mache nie Urlaub“, erklärte ich. „Ich habe ein Barbecue-Restaurant zu führen, nur für den Fall, dass du es vergessen hast.“
Ich deutete mit dem Messer durch das Pork Pit. Die meisten Leute fanden das Restaurant mit seinen blauen und pinkfarbenen Sitznischen und den dazu passenden langsam verblassenden Schweineklauenspuren auf dem Boden, die [...]
Kapitel 1
„Du brauchst mal Urlaub.“
Ich sah von der Tomate auf, die ich gerade schnitt, und starrte über den Tresen zu Finnegan Lane, meinem Ziehbruder und Partner in unzähligen mörderischen Unternehmungen.
„Urlaub? Ich mache nie Urlaub“, erklärte ich. „Ich habe ein Barbecue-Restaurant zu führen, nur für den Fall, dass du es vergessen hast.“
Ich deutete mit dem Messer durch das Pork Pit. Die meisten Leute fanden das Restaurant mit seinen blauen und pinkfarbenen Sitznischen und den dazu passenden langsam verblassenden Schweineklauenspuren auf dem Boden, die zu den Herren- und Damentoiletten führten, wahrscheinlich nicht besonders beeindruckend. Der lange Tresen, der sich an der hinteren Wand entlangzog, war älter als ich, dasselbe galt für die meisten Gläser, Teller, Besteckstücke und Küchengeräte. Aber alles war sauber, ordentlich und auf Hochglanz poliert, von den Tischen und Stühlen bis zu der gerahmten, blutbefleckten Ausgabe von „Eigentlich hätte es ein herrlicher Sommertag werden können“ von Wilson Rawls, die in einem Bilderrahmen direkt hinter der angeschlagenen, altmodischen Registrierkasse an der Wand hing. Das Pork Pit mochte kein schickes oder hochpreisiges Lokal sein, aber es war mein Laden, mein Zuhause, und ich war verdammt stolz darauf. War ich schon immer gewesen und würde es auch immer sein.
„Urlaub“, wiederholte Finn, als hätte ich kein Wort gesagt. Er konnte ziemlich hartnäckig sein. „An einem warmen Ort mit goldfarbenem Sand, wo dich niemand kennt, weder als Gin Blanco und noch weniger als die Spinne.“
Er redete nicht laut, doch als er die letzten zwei Worte aussprach, hallten sie wie ein Schuss durch das Restaurant. Die Leute an den Tischen hinter Finn erstarrten sofort, ihre dicken, saftigen Barbecue-Sandwiches auf halbem Weg zum Mund. Die Gespräche versiegten wie ein Rinnsal in der Wüste. Alle Blicke schossen zu mir, erfüllt von der Frage, wie ich wohl auf den Klang dieses Namens reagieren würde.
Meines Namens als Auftragskillerin, den ich die letzten siebzehn Jahre getragen hatte, wenn ich nachts unterwegs gewesen war, um Leute für Geld zu töten – später aus anderen, zum Teil nobleren Gründen.
Ich legte meine Finger noch fester um das lange Tomatenmesser mit der gezackten Klinge. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich könnte es verwenden, um meinem Bruder die Zunge herauszuschneiden – oder ihn damit zumindest dazu zu bringen, dass er mal nachdachte, bevor er den Mund aufmachte.
Eine ältere Frau, die zwei Plätze neben Finn saß, bemerkte meinen Griff um das Messer. Sie wurde bleich und ihre Hand wanderte zum Kragen ihrer weißen Seidenbluse, als stände sie kurz davor, einen Herzinfarkt zu erleiden.
Seufzend zwang ich mich dazu, den Griff um das Messer zu lockern, und legte es auf den Tresen. Verdammt. Ich hasste es, berüchtigt zu sein.
Hatte ich früher ein Leben als Phantom geführt, war ich nun die bekannteste Person von Ashland. Vor mehreren Wochen hatte ich das Unvorstellbare getan: Ich hatte Mab Monroe getötet, die Feuermagierin, die jahrelang die Unterwelt der Stadt regiert hatte. Mab hatte meine Mutter und ältere Schwester umgebracht, als ich dreizehn Jahre alt gewesen war, und meiner Meinung nach hatte sie den Tod absolut verdient gehabt. Ich kannte auch niemanden, der wegen der Feuermagierin eine echte Träne vergossen hatte.
Aber jetzt wollte die Stadt Blut sehen – mein Blut.
Mabs Tod hatte ein Vakuum im Machtgefüge von Ashlands Geschäftswelt hinterlassen – sowohl der legalen als auch der nicht so legalen – und alle kämpften darum, ihre jeweiligen Reviere abzustecken und sich als neuer Boss der Stadt zu behaupten. Und einige von ihnen waren der Meinung, der beste Weg, das zu erreichen, wäre, mich zu töten.
Ein Idiot nach dem anderen war in den letzten Wochen ins Pork Pit gekommen. Es war immer dasselbe. Sie waren entweder allein oder in kleinen Gruppen unterwegs, alle mit nur einem Gedanken im Kopf: die Spinne erledigen. Die meisten Elementare stürzten sich direkt auf mich, forderten mich zu Duellen heraus und wollten ihre Magie gegen meine Eis- und Steinmacht testen. Alle anderen … nun, sie waren zufrieden damit, mir heimlich aufzulauern, wenn ich das Restaurant entweder aufschloss oder für die Nacht zusperrte.
Wie auch immer ihre jeweilige Methode aussah, es endete immer auf dieselbe Weise – die Herausforderer waren tot und ich musste Sophia Deveraux bitten, die Leichen zu entsorgen. Ich hatte im letzten Monat mehr Leute umgebracht als in einem Jahr als Auftragsmörderin. Ich selbst war die ständigen und eigentlich nicht überraschenden Überraschungsangriffe sowie die Blutflecken auf meinen Händen, meiner Kleidung und meinen Schuhen langsam leid, aber der Strom der lebensmüden Gangster schien nicht versiegen zu wollen.
Die alte Dame neben Finn schnappte nach Luft. Ich senkte den Blick und musste feststellen, dass ich gedankenverloren wieder nach dem Tomatenmesser gegriffen hatte und mein Daumen nun langsam über den glatten, polierten Griff glitt. Die Waffe war nicht so stark oder scharf wie die fünf Steinsilber-Messer, die ich an meinem Körper versteckt hielt, aber die gezackte Klinge konnte großen Schaden anrichten. Das galt für die meisten Gegenstände, wenn man nur genügend Kraft aufwandte – und ein energischer Angriff war nur eine der Disziplinen, in denen ich gut war.
„Was starren Sie denn so?“, blaffte ich die Frau an.
Die alte Dame riss die Augen auf. Mit zitternden Fingern griff sie in ihre Tasche, warf einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tresen, glitt von ihrem Stuhl und rannte so schnell aus dem Lokal, wie ihre hohen Schuhe es ihr erlaubten.
„Und da geht der nächste Stammkunde“, murmelte Finn belustigt und seine grünen Augen funkelten. Er sah es gern, wenn ich die Fassung verlor, ganz besonders wenn er dafür verantwortlich war.
Ich runzelte die Stirn und fuchtelte mit dem Messer vor ihm in der Luft herum. Aber Finn ignorierte meinen eisigen Blick und die Androhung von Gewalt einfach. Stattdessen hob er die Kaffeetasse und hielt sie der Zwergin neben mir hin, die lange Selleriestangen schnitt, um sie in den Makkaroni-Salat zu mischen, den sie gerade anrührte.
„Sophia?“, fragte er. „Bitte, bitte?“
Sophia Deveraux hob den Kopf, um Finn anzustarren. Sie war die Köchin des Pork Pit – hauptsächlich. Nebenberuflich ließ sie die Leichen verschwinden, die hin und wieder meinen Weg pflasterten. Ich hatte die Zwergin als Dienstleisterin und Servicekraft geerbt, als ich das Auftragskiller-Geschäft von Finns Vater, Fletcher Lane, übernommen hatte. Der alte Mann hatte unter dem Decknamen „Der Zinnsoldat“ gemordet und mir beigebracht, wie man Leuten dabei half, das Atmen einzustellen.
Sophia grunzte und schnappte sich die Kanne mit Malzkaffee, die sie immer für Finn bereithielt. Für gewöhnlich schaute er täglich im Restaurant vorbei. Nun füllte sie seine Tasse auf und der warme Malzduft stieg mir in die Nase und verdrängte für einen Moment die Gerüche von Kreuzkümmel, rotem Pfeffer und anderen Gewürzen, die die Luft erfüllten. Der Duft erinnerte mich immer an Fletcher, der denselben Malzkaffee getrunken hatte. Ich atmete tief ein und hoffte, dass mich das entspannen würde. Doch das geschah nicht – nicht heute Abend. Genau genommen schon seit Wochen nicht.
Mein Blick fiel wieder auf Sophia. Auch wenn es im Pork Pit im Allgemeinen nicht viel zu sehen gab, die Leute konnten einfach nicht anders, als Sophia anzustarren, wenn sie auf sie aufmerksam wurden. Nicht weil sie eine Zwergin war, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie sich wie ein richtiger Grufti kleidete. Sophia trug schwere schwarze Stiefel und dazu passende Jeans, zusammen mit einem weißen T-Shirt, auf dem eine Sense abgedruckt war. Haare und Augen waren ebenfalls schwarz, sodass ihre Haut umso bleicher wirkte, trotz des leuchtend fuchsiafarbenen Lippenstifts, den sie trug. Der Lippenstift passte farblich zu dem stachelbesetzten Steinsilber-Halsband, das um ihren Hals lag.
Das Gute daran, neben Sophia zu stehen, war die Tatsache, dass mich alle ziemlich schnell vergaßen, weil sie so damit beschäftigt waren, die Zwergin anzuglotzen. Ein paar Sekunden später konzentrierten sich die Gäste dann sowieso wieder auf ihre Sandwiches, zusammen mit den gebackenen Bohnen, frittierten Zwiebelringen und anderen herzhaften Beilagen.
„Also, zurück zu meiner Urlaubsidee.“ Finn grinste und zeigte dabei perfekte weiße Zähne. „Denk einfach mal darüber nach. Du, Owen, Bria und ich, alle glücklich in einem schicken Hotel an einem schönen Strand. Bria in einem Bikini. Du und Owen zieht euer Ding durch, Bria in einem Bikini. Habe ich schon Bria in einem Bikini erwähnt?“
Ich verdrehte die Augen. „Himmel! Ein bisschen Respekt, bitte. Du redest von meiner kleinen Schwester.“
Finns Grinsen wurde nur noch breiter. „Ich weiß.“
Während ich meinen finalen Kampf gegen Mab geführt hatte, war Finn endlich mit meiner jüngeren Schwester Bria zusammengekommen. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ernst diese Beziehung war, aber die Sache zwischen ihnen lief schon seit Wochen und keiner von beiden machte Anstalten, sich zurückzuziehen. Ich freute mich für sie – wirklich –, aber ich hätte gut ohne Finns ausführliche Berichte über ihr Sexleben auskommen können. Verdammt, ich sprach über solche Dinge nicht mal mit Bria selbst und sie war meine Schwester. Aber das war Teil des verkommenen Charmes von Finnegan Lane. Er liebte es mindestens genauso sehr, über Frauen zu reden, wie er es liebte, mit ihnen zu schlafen.
Finn öffnete den Mund, um weiter auf mich einzureden, aber ich hatte genug – genug vom Starren, genug vom Flüstern, genug davon, dass sich alle fragten, ob ich sie wohl dafür töten würde, dass sie mein Restaurant betreten hatten. Ich wollte im Moment einfach in Ruhe gelassen werden und das schloss Finn mit ein.
„Ich brauche keinen Urlaub“, knurrte ich, als ich mich abwandte, um mich mit schnellen Schritten von ihm und den neugierigen Gästen zu entfernen. „Das ist mein letztes Wort.“
Ich schnappte mir die Mülltüten, schob mich durch die Schwingtüren und durchquerte den hinteren Teil des Restaurants. Ich hielt nicht an, bis ich eine weitere Tür geöffnet hatte und in der Gasse stand, die zwischen dem Pork Pit und dem Nachbargebäude verlief.
Es war Abend und bereits dunkel, sodass die Wände um mich herum wie kohlschwarze Schatten wirkten, die sich bis zum Himmel erhoben. Zarte Wolken zogen vor dem nicht ganz vollen Mond vorbei und erinnerten mich an Wellen, die auf einen sandigen Strand rollten.
Mein Blick wanderte zu dem Spalt in der Wand gegenüber der Tür. Die Mauer öffnete sich dort zu einer winzigen Nische, gerade groß genug, dass ein Kind sich darin verbergen konnte. Mein altes Versteck, als ich auf den Straßen von Ashland gelebt hatte, bevor Fletcher mich aufgenommen hatte. Für einen Moment wünschte ich mir, ich wäre immer noch klein genug, um in diesen Spalt zu passen und mich dort vor all meinen Sorgen zu verstecken – wenigstens für eine Weile.
Ich hatte gedacht, Mabs Tod würde all meine Probleme lösen. Stattdessen hatte ich mir damit einfach nur eine Menge neuer Probleme aufgehalst. Sicher, das Pork Pit lief besser als je zuvor, aber nur, weil die Leute kamen, um mich anzugaffen. Alle fragten sich, ob ich wirklich die berühmte Auftragskillerin war, die man als „die Spinne“ kannte, und ob ich wirklich Mab Monroe ermordet hatte, wie man es munkeln hörte.
Und dann gab es da draußen noch diejenigen, die wussten, dass ich die Feuermagierin erledigt hatte – Leute wie Jonah McAllister. Er war vor Mabs Tod ihr Anwalt und ihre rechte Hand gewesen und besaß eine Menge gute Gründe, mich zu hassen; vor allem seitdem ich letztes Jahr seinen Sohn Jake getötet hatte. McAllister war so weit gegangen, einen Preis auf meinen Kopf auszusetzen, der dafür sorgte, dass eine Menge Kopfgeldjäger hinter mir her waren. Aber niemand hatte das Geld verdienen können – bis jetzt.
Viele meinten, die Ermordung von Mab würde mich zu einer Art Volksheldin machen angesichts der Tatsache, wie viele Leute die Magierin auf ihrem Weg an die Spitze der Unterwelt von Ashland unterdrückt, verletzt, gefoltert und ermordet hatte. Ein paar waren sogar mutig genug gewesen, mir nach ihrem Tod zu gratulieren oder aufmunternde Worte auszusprechen. Doch für andere – besonders für diejenigen, die sich eher auf der dunklen Seite bewegten – stellte ich nichts anderes als einen dicken Scheck auf Beinen oder die Chance dar, sich einen Namen zu machen. Auf jeden Fall stand ich dieser Tage im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit – und ich hasste es.
Ich atmete tief durch, um die Ruhe und den Frieden hier draußen zu genießen, eine schöne Abwechslung von der nervösen Anspannung, die im Restaurant herrschte. Es war Anfang April und die Nächte waren immer noch kühl, aber die ungewöhnlich warmen Tage machten Lust auf den Sommer. Ich schmiss die Mülltüten in den Container, doch statt direkt wieder reinzugehen, verweilte ich noch einen Augenblick in der Gasse neben dem Restaurant.
Ich ließ die Fingerspitzen über die rauen Ziegel des Gebäudes gleiten und rief meine Magie. Als Steinelementar war ich in der Lage, das Material in jeder Form zu kontrollieren, in der es eben auftrat. Ich hätte Ziegel aus der Wand vor mir herausreißen können, Kopfsteinpflaster zerbröseln lassen oder gleich das Fundament eines Hauses zerstören. Ich konnte sogar meine eigene Haut so hart werden lassen wie Marmor, sodass mich nichts verletzen konnte. Auf diesen speziellen Trick hatte ich in den letzten Wochen oft zurückgegriffen.
Meine Elementarmacht ließ mich auch auf die Steine um mich herum lauschen und all die Vibrationen, die sie aussandten. Die Handlungen, Gedanken und Gefühle von Leuten sanken im Laufe eines Lebens in die Umgebung ein, besonders in den Stein. Ich hörte gern den Ziegeln zu, aus denen das Pork Pit erbaut war, weil der Klang fast immer derselbe war – der brummende Klang absoluter Zufriedenheit, so wie sie die Leute empfanden, die im Restaurant gegessen hatten. Gutes Essen gehörte zu den wenigen Dingen, die selbst den unzufriedensten Menschen glücklich machen konnten, und im Pork Pit waren über die Jahre schon viele Leckereien serviert worden. Ich atmete erneut tief durch, dann ließ ich mich von dem sanften Geräusch erfüllen und es den Stress des Tages vertreiben, all den Aufruhr und die Sorgen der letzten Wochen.
Sobald ich ruhiger war, ließ ich meine Hand sinken und wandte mich der Tür zum Pork Pit zu. Doch plötzlich spürte ich die Anwesenheit eines anderen Magiers.
Neben Menschen, Zwergen, Riesen und Vampiren lebten in Ashland auch viele Elementare. Magie konnte verschiedene Formen annehmen und sich auf die ungewöhnlichsten Arten manifestieren, was bedeutete, dass die Elementare in der Stadt und im Land die verschiedensten Fähigkeiten besaßen. Manche konnten Bälle aus Blitzen in den Händen halten, andere waren fähig, Wasser zu beeinflussen. Doch um als echter Elementar ernst genommen zu werden, musste man eines der vier Elemente kontrollieren: Luft, Feuer, Eis oder Stein. Ich gehörte zur seltensten Gruppe der Elementare, weil ich nicht nur einen, sondern zwei dieser Bereiche beherrschte, Eis und Stein.
Ich verengte die Augen zu Schlitzen und konzentrierte mich auf die Magie der anderen Person, die sich für mich anfühlte, als würden rotglühende Funken auf meiner Haut tanzen. Dem plötzlichen Jucken in meinen Handflächen nach zu urteilen, war irgendwo in der Nähe ein Feuerelementar. Die Male auf meiner linken und rechten Handinnenseite waren identisch, ein kleiner Kreis umgeben von acht dünnen Strahlen. Eine Spinnenrune. Das Symbol für Geduld. Etwas, wovon ich dieser Tage nicht mehr allzu viel besaß.
Seufzend drehte ich mich um. Und tatsächlich, hinter mir in der Gasse standen zwei Typen. Der eine war ein Riese, gut zwei Meter zehn groß, der andere ein Mensch. Und offenbar ein Elementar, denn ein flackernder Feuerball schwebte über seiner geöffneten Hand.
Tatü, tata, Gin Blanco ist wieder da.
„Lasst mich raten“, sagte ich langgezogen und betont gelangweilt. „Ihr seid hier, um die berüchtigte Spinne zu erledigen.“
Der Riese wollte etwas erwidern, aber ich hob die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden.
„Ich habe wirklich kein Interesse daran, mir dein Gestammel darüber anzuhören, für was für harte Typen ihr beide euch haltet und dass ich, wenn ihr erst mit mir fertig seid, um Gnade wimmern werde“, sagte ich. „Ich will nur eines loswerden. Tut euch selbst einen Gefallen und geht einfach wieder. Geht jetzt und ich werde euch nicht töten.“
„Hast du das gehört, Billy?“, kicherte der Feuerelementar. „Die Spinne will uns schonen. Was für ein Glück.“
Billy, so hieß offenbar der Riese, ließ die Knöchel seiner Hände knacken. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Für mich sieht sie gar nicht so zäh aus, Bobby.“
Ich verdrehte die Augen. Die meisten Leute mochten ja nicht mit absoluter Sicherheit sagen können, ob ich wirklich die Spinne war, aber man sollte meinen, es wären inzwischen genug Menschen in und um das Pork Pit herum verschwunden, um langsam zu kapieren, dass es eine gute Entscheidung war, sich von mir und meinem Restaurant fernzuhalten.
„Die schnappen wir uns!“, schrie Bobby einen Augenblick später und der Riese jauchzte zustimmend.
Anscheinend hatten diese beiden es nicht kapiert.
Sie stürzten gleichzeitig nach vorn und Bobby warf sein elementares Feuer auf mich. Er war durchaus ein starker Elementar, aber verglichen mit dem glühenden Inferno, dem ich ausgesetzt gewesen war, als ich Mab umgebracht hatte, wirkte seine Magie so gefährlich wie eine Kerzenflamme. Ich duckte mich unter dem Feuerball hinweg, weil ich kein Interesse hatte, mir diese Woche schon wieder die Haare versengen zu lassen. Dann rollte ich mich nach links ab, landete auf dem Knie und schnappte mir den metallenen Deckel einer der Mülltonnen, die in der Gasse standen. Ich hielt ihn mir gerade rechtzeitig über den Kopf, sodass Billys Faust lediglich das Metall traf. Die Kraft des Schlages warf mich nach hinten. Billy hob erneut den Arm, aber ich stieß meinen Stiefel in seine Richtung und traf ihn genau auf der Kniescheibe. Er stöhnte und stolperte vorwärts, um sich mit einer Hand auf dem Boden abzustützen, was dafür sorgte, dass er sich mit mir auf Augenhöhe befand.
Ich sah ihn an, lächelte und rammte ihm den Metalldeckel so fest ins Gesicht, wie ich nur konnte. Es kostete mich mehrere harte, kräftige Schläge, doch dann floss Blut aus Billys gebrochener Nase und den tiefen Platzwunden, die sein Gesicht zierten. Ich holte noch einmal mit dem Deckel aus und rammte ihm die scharfe Kante gegen das Kinn, sodass der Riese auf den Rücken fiel. Sein Kopf knallte auf den Boden und er stieß ein leises Stöhnen aus. Er war besiegt. Was für ein Amateur!
Bobby wirkte verblüfft, ja vollkommen fassungslos, weil ich seinen Freund so mühelos erledigt hatte. Als ich aufstand und auf ihn zuging, setzte er eine ängstliche Miene auf. Ich benutzte den Metalldeckel als Schild und hielt ihn schützend vor mich. Bobby wich zurück, aber er vergaß dabei, hinter sich zu schauen. Er kam keine zwei Schritte weit, bevor er mit dem Rücken gegen einen der Müllcontainer stieß. Verzweifelt schlug er ein paar Mal die Hände zusammen, in dem Versuch, seine Panik zu überwinden und einen weiteren Feuerball zu erschaffen.
Diese Zeit gönnte ich ihm nicht.
Zwei Sekunden später rammte ich ihm den Metalldeckel ins Gesicht. Ich musste ihn nur einmal schlagen, dann fiel er auch schon zu Boden.
Als ich mich davon überzeugt hatte, dass keiner der beiden in nächster Zeit wieder aufstehen würde, legte ich den Deckel zurück auf den Mülleimer. Die blutverschmierten Beulen darin glichen denen der anderen Deckel. Diese Woche hatte mich mehr als nur ein Volltrottel in dieser Gasse überfallen.
Ich beäugte die zwei Männer, die stöhnend auf dem Boden lagen und zu verstehen versuchten, wie alles so schnell hatte schieflaufen können, und schüttelte den Kopf. „Idioten“, murmelte ich, dann ging ich zurück ins Restaurant.
Über einem der Waschbecken im hinteren Bereich hing ein Spiegel mit einer gesplitterten Ecke. Dort hielt ich an und wusch mir das Blut und den Schmutz des Kampfes von den Händen, weil ich nicht wollte, dass meine Restaurantgäste noch mehr Angst vor mir bekamen. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst, als ich den Riesen mit dem Mülltonnendeckel verprügelt hatte, also zog ich das Haargummi heraus und band meine schokoladenbraunen Locken erneut zusammen, diesmal höher und fester.
Das Klirren und Klappern von Besteck und Tellern drang durch die Schwingtüren zu mir, begleitet von den wunderbaren Düften von Burgern und Pommes. Da wir bald schlossen, waren die Kellnerinnen bereits nach Hause gegangen, also war ich die Einzige, die sich in diesem Teil des Restaurants aufhielt. Statt nach vorn zu gehen und mich wieder an die Arbeit zu machen, stützte ich mich mit den Händen auf dem Waschbecken ab und lehnte mich vor, um mich im Spiegel zu betrachten.
Kalte graue Augen, dunkles Haar, bleiche Haut. Ich sah aus wie immer, abgesehen von dem Blutspritzer auf meiner Wange und den dunklen Ringen unter den Augen. Das Blut konnte ich mir mühelos mit einem Papierhandtuch aus dem Gesicht wischen, aber es gab nichts, was ich gegen die Erschöpfung tun konnte, die sich meiner in den letzten Wochen bemächtigt hatte. All die Blicke, all das Flüstern, die ständigen Kämpfe. Das alles hatte mich erschöpft, sodass ich mich mittlerweile beinahe wie ein Roboter fühlte und nur noch mechanisch bewegte. Verdammt noch mal, heute Abend hatte ich nicht mal meine Steinsilber-Messer gezogen und diese Mistkerle in der Gasse aufgeschlitzt, wie ich es hätte tun sollen. Den meisten Leuten reichte es, sich einmal mit der Spinne anzulegen – aber diese Volltrottel waren wahrscheinlich dämlich genug, es irgendwann noch mal zu probieren – auch weil ich sie am Leben gelassen hatte.
Ich seufzte frustriert. Überdruss war ein gefährliches Gefühl, besonders für eine Profikillerin. Wenn ich nicht bald etwas dagegen unternahm, würde mir irgendwann ein dummer Fehler unterlaufen. Und dann wäre ich tot und mein Kopf würde Jonah McAllister auf einem silbernen Tablett serviert werden – ihm oder irgendeinem anderen Mafiaboss, der es auf mich abgesehen hatte.
Sosehr ich auch hasste es zugeben zu müssen, aber Finn hatte recht. Ich brauchte Urlaub – von meinem Leben als Spinne.
Ich schob die Schwingtüren auf und ging zurück ins Restaurant. Wieder einmal erstarrten alle bei meinem Anblick, als rechneten sie damit, dass ich eine Pistole unter meiner blauen Arbeitsschürze hervorzog und anfing wild herumzuballern. Ich ignorierte die neugierigen, ängstlichen und misstrauischen Blicke, ging zurück zum Tresen, schnappte mir ein Messer und machte mich wieder daran, Tomaten für die letzten Sandwiches des Tages zu schneiden.
„Du hast ja ganz schön lange gebraucht“, bemerkte Finn. „Ich dachte schon, du hättest dich dahinten verlaufen.“
„Nicht ganz. Ich hatte mal wieder zwei unerwartete Besucher, die ich unterhalten musste.“
Er hob fragend eine Augenbraue. „Verletzt oder tot?“
„Nur verletzt. Was soll ich sagen? Ich war heute Abend in barmherziger Stimmung.“
Mein sarkastischer Kommentar sorgte dafür, dass Finns Augenbraue noch ein wenig höher wanderte. Barmherzigkeit war etwas, was sich Auftragskiller – selbst jene, die eine Pause einlegten wie ich – nicht allzu oft leisten konnten. Besonders nicht in diesen Tagen, in denen es jeder Möchtegerngangster von Ashland auf mich abgesehen hatte.
Es kostete mich fast eine Minute und zwei Tomaten, um mich zu meinen nächsten Worten durchzuringen. Finn mochte ausnahmsweise einmal recht haben, aber ich hasste es, das vor ihm zuzugeben. Er neigte zu Schadenfreude.
„Hey, dieser Urlaub, von dem du gesprochen hast …“
„Ja?“, fragte Finn und selbst in diesem einen Wort schwang schon ein gehöriges Maß an Selbstzufriedenheit mit.
Ich seufzte, weil ich wusste, wann ich geschlagen war. „Wann brechen wir auf?“
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