Spion ohne Grenzen Spion ohne Grenzen - eBook-Ausgabe
Heinz Felfe - Agent in sieben Geheimdiensten
„Ein spannendes Buch“ - Leipziger Volkszeitung
Spion ohne Grenzen — Inhalt
Wie der Nazi Heinz Felfe zum Spitzenagenten des KGB im BND wurde
Die Skrupellosigkeit des Doppelspions Heinz Felfe erschütterte die BRD in ihren Grundfesten. Bis 1945 war der SS-Obersturmführer im Sicherheitsdienst tätig, unterwanderte danach als V-Mann von MI6 und dem Vorläufer des BND kommunistische Organisationen – um sich 1951 auch noch vom KGB anwerben zu lassen. Der Auftrag: Eindringen in die von der CIA geführte Organisation Gehlen. Ein Motiv: pure Geldgier. Im BND stieg er ironischerweise bis zum Leiter der Gegenspionage Sowjetunion auf und verriet alles und jeden an Moskau. 1961 wurde Felfe enttarnt und verhaftet, siedelte aber schon 1969 nach einem Agentenaustausch in die DDR über, wo er wieder Karriere machte: Er arbeitete für die Stasi, schrieb für den KGB ein Enthüllungsbuch und lehrte bis 1991 Kriminalistik an der Humboldt-Universität.
Leseprobe zu „Spion ohne Grenzen “
Vorwort
In die verschlossene Welt der Geheimdienste dringt immer wieder einmal ein Lichtstrahl, wenn Pannen und Skandale bekannt werden. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und führen zu politischen Krisen. Und sie setzen sich im Gedächtnis einer Gesellschaft als typisch für das Gebaren der Nachrichtendienste fest. Ein Agent, der in einen feindlichen Dienst eindringt und Spionage betreibt, wird abwertend als „Maulwurf“ bezeichnet. Die Ironie der Geschichte ist, dass allein die an die Oberfläche gezerrten Maulwürfe uns faszinieren und Berühmtheit [...]
Vorwort
In die verschlossene Welt der Geheimdienste dringt immer wieder einmal ein Lichtstrahl, wenn Pannen und Skandale bekannt werden. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und führen zu politischen Krisen. Und sie setzen sich im Gedächtnis einer Gesellschaft als typisch für das Gebaren der Nachrichtendienste fest. Ein Agent, der in einen feindlichen Dienst eindringt und Spionage betreibt, wird abwertend als „Maulwurf“ bezeichnet. Die Ironie der Geschichte ist, dass allein die an die Oberfläche gezerrten Maulwürfe uns faszinieren und Berühmtheit erlangen – im Gegensatz zu der Legion namenloser Agenten, deren Wirken unerzählt bleibt.
Zu den berühmten Maulwürfen zählt der Dresdener Heinz Felfe. Als Protagonist des größten Spionagefalls im westdeutschen Auslandsnachrichtendienst, dem Bundesnachrichtendienst (BND), verursachte er mitten im Kalten Krieg einen Skandal, der Politik und Öffentlichkeit erschütterte und das Image des BND nachhaltig beschädigte. Für Reinhard Gehlen, erster BND-Präsident von 1956 bis 1968, gehörte der Verratsfall Felfe zu den „besonders einschneidenden und für den Dienst belastenden Geschehnissen“. Der BND-Mitarbeiter Felfe wurde Ende 1961 verhaftet, nachdem er jahrelang im Auftrag des sowjetischen Geheimdiensts (KGB) seinen eigenen Nachrichtendienst ausspioniert hatte. Der Schaden wog für den BND schwer, da Felfe ausgerechnet für die Gegenspionage verantwortlich war, die die KGB-Aktivitäten aufklären sollte – ein echter „Wolf im Schafspelz“. Zum Skandal wurde sein Fall aber erst, als durch seinen Strafprozess die Öffentlichkeit erfuhr, dass so mancher BND-Mitarbeiter eine nationalsozialistische Vergangenheit hatte.
Doch Heinz Felfes Geheimnis- und Landesverrat hat eine lange Vor- und eine noch längere Nachgeschichte. Wie kein Zweiter bewegte sich Felfe in der Welt des Geheimen und der Geheimnisse. Für nicht weniger als sieben Nachrichten- bzw. Geheimdienste war er auf deutschem Boden tätig. Mit Schnelligkeit passte er sich wie ein Chamäleon den Zeitläuften an und erfüllte die Erwartungen seiner jeweiligen Umgebung. Er war überzeugter Nationalsozialist im Dritten Reich, Antikommunist in der Bundesrepublik Deutschland und „Kundschafter des Friedens“ in der Deutschen Demokratischen Republik – ohne sein Loyalitätsempfinden als Widerspruch zu begreifen.
Im Jahr 1986 veröffentlichte Felfe seine Autobiografie „Im Dienst des Gegners“. Der Fokus darin liegt auf seiner BND-Zugehörigkeit. Verfasst wurde die Lebensgeschichte allerdings im Auftrag des KGB. Sie war also auch die Geschichte einer Bekehrung: geradewegs vom strammen Nazi zum „Kämpfer an der unsichtbaren Front“ für die Sowjetunion.
Dieses Buch versucht sich dem Menschen Heinz Felfe anzunähern, seine Handlungen nachzuzeichnen und zu verstehen, was ihn angetrieben hat und die sonst im Dunkeln liegende Lebenswelt eines Agenten in seinen Möglichkeiten und Grenzen zu beleuchten. Felfes Biografie ist nicht nur eine Parabel für die Unwägbarkeiten eines Lebens im 20. Jahrhundert, bei dem sich die Geheimdienstarbeit wie ein roter Faden als eigentliche Lebenskonstante erweist. Sondern sie ist auch ein – allerdings extremes – Beispiel für das Ausbalancieren von moralischen und rechtlichen Ideen, von Loyalität und Verrat, in sich verändernden gegensätzlichen politischen Systemen und in der Schattenwelt der Geheimdienste. Felfe arbeitete als Agent für die Nazis, die Briten, die Amerikaner, die Sowjets und die West- ebenso wie die Ostdeutschen. Vor allem aber arbeitete er immer für sich selbst.
Bodo V. Hechelhammer
Berlin, im Juni 2019
Dresdener Ouvertüre
(1918 – 1945)
Verwurzelung in Dresden
Johannes Paul Heinz Felfe erblickte am 18. März 1918 in der elterlichen Wohnung das Licht der Welt. Eine Welt, in der seit vier Jahren Krieg herrschte und noch der Wettiner Friedrich August III. als sächsischer König regierte. Anfang November 1918 verbreitete sich die Revolution, die das ganze Deutsche Reich erfasste, auch in Sachsen. Am 10. November wurde in Dresden die Republik ausgerufen und der König zur Abdankung gezwungen. Damit brach nur wenige Monate nach der Geburt des kleinen Heinz, so sein Rufname, eine neue Epoche an, die durch gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Unruhen, Umbrüche und Unsicherheiten bestimmt werden sollte.
Die Familie Felfe stammte ursprünglich aus der sächsischen Oberlausitz. Im 18. Jahrhundert lebten direkte Vorfahren namens Felve in dem zwischen Bautzen und Görlitz gelegenen Dorf Kittlitz. Wie viele Lausitzer waren auch die Felves sorbischer Abstammung, und der junge Heinz wuchs noch mit der sorbischen Sprache auf. Sein Urgroßvater Andreas Felfe arbeitete als Zimmermann in Särka, heute ein Stadtteil von Weißenberg. Dessen Sohn aus erster Ehe, der ebenfalls Andreas hieß, diente zunächst als Unteroffizier des 2. Infanterie-Bataillons in der königlich-sächsischen Armee, wurde nach Ende seiner Militärzeit Gendarm im Bezirk Bautzen und schließlich in Dresden. Er war der erste direkte Verwandte von Heinz Felfe, der einen Polizeiberuf ausübte – eine Traditionslinie, die ihm zeit seines Lebens sehr wichtig sein sollte und auf die er immer wieder hinwies. Sein Großvater Christoph Felfe, ein weiterer Sohn des Zimmermanns, bewirtschaftete Land und arbeitete als Schneidermeister in Särka. Mitte des 19. Jahrhunderts emigrierten zahlreiche sorbische Familien aus der Lausitz aus wirtschaftlichen Gründen in die USA, darunter sein Großvater, der im April 1884 nach Texas auswanderte und dort als Polizist wirkte. Bevor er seine Familie nachholen konnte, verstarb er in Warda, einem von Lausitzer Sorben gegründeten Ort, an Malaria. Eines seiner Kinder war Johann Felfe, der Vater von Heinz.
Johann kam 1863 in Särka zur Welt, arbeitete zunächst als Müller und trat dann in die königlich-sächsische Armee ein. Nach Ende seiner mehrjährigen Militärzeit fing er Anfang der Neunzigerjahre bei der königlich-sächsischen Gendarmerie in Dresden an und wechselte kurz nach der Jahrhundertwende zur Kriminalpolizei. 1914 stieg er zum Polizeiwachtmeister auf. Offenbar leistete er vorbildlich seinen Dienst, wurde er doch mit dem sächsischen Ehrenkreuz für „außerordentliche Leistungen“ ausgezeichnet. Unmittelbar nach seinem Dienstantritt hatte er die aus Bautzen stammende Bertha Elisabeth Karoline Peschek geheiratet, deren Vater Friseurmeister war. Das Paar bekam fünf Kinder, von denen nur die Drittgeborene Elsa Elisabeth überlebte. Im Jahr 1914 verstarb Bertha Elisabeth Felfe mit nur 53 Jahren. Nach einem Trauerjahr heiratete Johann Felfe, inzwischen 52 Jahre alt und mittlerweile zum Kriminaloberwachtmeister befördert, am 22. November 1915 die wie seine erste Frau aus Bautzen stammende, über 15 Jahre jüngere Elisabeth Ulbrich.
Elisabeth Ulbrich wurde am 25. August 1880 in Bautzen geboren. Sie stammte aus einer alteingesessenen Hut- und Mützenmacherfamilie und war im Unterschied zu ihrem evangelischen Ehemann Johann Katholikin. Zum großen Unglück der jungen Familie hatte Elisabeth zwei Fehlgeburten, bevor im März 1918 ihr Sohn Heinz zur Welt kam. Der Rufname des Jungen kam Anfang des 20. Jahrhunderts in Mode, hatte keinerlei Tradition in der Familie, anders als seine ersten Vornamen, die auf seinen Vater und Großvater mütterlicherseits verweisen. Einer dieser Namen, Paul, sollte in späteren Jahren noch eine geheimdienstliche Bedeutung für ihn bekommen.
Heinz Felfe, der evangelisch getauft wurde, war das einzige gemeinsame Kind seiner Eltern und noch dazu ein Sohn. So konzentrierte sich die elterliche Fürsorge und Aufmerksamkeit ganz auf ihn. Seine Halbschwester war zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits erwachsen und heiratete drei Jahre später Robert Walther Opp, der bald der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) beitrat und Regierungsoberinspektor in Dresden wurde. Heinz’ Eltern waren bei seiner Geburt für damalige Verhältnisse bereits relativ alt: Sein Vater war 54 und seine Mutter 38 Jahre. Die elterliche Aufmerksamkeit ließ ihn ein starkes Ego ausbilden, und er war es offenbar gewohnt, seinen Interessen frei nachgehen zu können. Gleichzeitig fühlte er sich als Einzelkind oft einsam und wusste daher bereits in jungen Jahren, dass er früh eine eigene Familie gründen wollte. Felfe sagte dazu: „Ich glaube, es kommt daher, dass mein Vater für mich damals zu alt und zu fern war. […] und da ich keine Geschwister hatte, blieb ich daheim ziemlich einsam.“
Johann Felfe wurde 1926 Kriminalinspektor und leitete am Ende seiner Dienstzeit, worauf Heinz Felfe besonders stolz war, das Sitten-Dezernat in der Schießgasse 7. Zwei Jahre später ging er mit 65 Jahren in Pension. Heinz Felfe war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zehn Jahre alt. Trotz des großen Altersunterschieds fühlte er nach seinen eigenen Worten eine enge emotionale Verbundenheit mit seinem eher großväterlich wirkenden Vater, den er bewunderte. Dessen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen hatten für ihn eine Vorbildfunktion, besonders für seine spätere Tätigkeit als Geheimdienstmitarbeiter. Johann war ein penibler Beamter und überzeugter Staatsdiener, der auf eine saubere Handschrift genauso Wert legte wie auf einen minutiös geplanten Tagesablauf. Disziplin und Ordnung waren ihm wichtig. Als Beamter war er zwar nicht Mitglied einer Partei, hatte aber eine klar deutschnationale Einstellung. Entsprechend erzog er seinen Sohn in nationaler Gesinnung, was eine strikt antikommunistische Haltung mit einschloss. Johann gab sich bürgerlich. Regelmäßig machte er Spaziergänge durch das malerische Dresden, gehörte einem Skat-Klub an, zeigte sich kulturinteressiert, besuchte einmal im Monat Aufführungen in der Semperoper.
Das Verhältnis zu seiner Mutter hingegen war eher kühl. Überhaupt habe er sich nie zu ihr hingezogen gefühlt, schrieb Heinz Felfe später in seiner Autobiografie. Doch dies ist zweifelhaft, da sie ihren einzigen Sohn regelmäßig von Dresden aus in der BRD, gerade in München, besuchte. Auch in ihren Briefwechseln deutet nichts auf eine Distanz hin. Im Gegenteil sollte die Beziehung zwischen Mutter und Sohn in den Sechzigerjahren, als er im Gefängnis saß und sie für ihn eine emotionale Stütze wurde, eine andere Qualität bekommen. Offenbar bemühte Felfe sich im Nachhinein, die Bedeutung, die seine Mutter für ihn hatte, herunterzuspielen, lief doch über sie während seiner Haft wegen Spionage für Moskau der Kontakt zum KGB. Zudem erhielt sie jahrelang Geld vom sowjetischen Geheimdienst, allerdings ohne dass ihr Sohn sie darüber aufgeklärt hätte, von wem die Zahlungen tatsächlich stammten. Da seine Großeltern väterlicherseits bereits bei seiner Geburt gestorben waren, hatten für den jungen Heinz die Eltern seiner Mutter, Paul und Christiane Ulbrich, die nur wenig älter als sein Vater waren, einen wichtigen Stellenwert. Oft besuchte er sie als Kind und Jugendlicher in Bautzen, wodurch zeitlebens die kleine ostsächsische Stadt an der Spree eine besondere Bedeutung für ihn hatte.
Heinz Felfe war mit Leib und Seele Dresdener und stolz auf seine Herkunft, vor allem auf das architektonische und kulturelle Erbe seiner Heimatstadt. Noch 1991 bekannte er in einem Interview mit einem amerikanischen Journalisten: „Ich habe Dresden geliebt, wie man nur seine Heimat lieben kann. Wenn ich von Berlin nach Dresden fuhr, da habe ich immer im Zug im Gang gestanden und habe mir die herrliche Stadtsilhouette angesehen.“ Felfe wuchs auf in Striesen, einem zentral gelegenen Stadtteil Dresdens, das Anfang der Zwanzigerjahre bereits weit über eine halbe Million Einwohner zählte und die drittgrößte Stadt im Deutschen Reich war. Die Familie Felfe lebte in der Borsbergstraße 24 in der dritten Etage eines viergeschossigen Mehrfamilienmiethauses. Die Hausgemeinschaft der Felfes war mit Ärzten, Studienräten und Polizisten durchgängig bürgerlich. In der beidseitig baumgesäumten Straße herrschte reger Verkehr, überall waren Ladengeschäfte, und direkt vor der Haustür der Felfes verkehrten die Wagen der Dresdener Straßenbahn AG.
Über Heinz Felfes erste sechs Lebensjahre ist so gut wie nichts überliefert. Ab dem Frühsommer 1924 besuchte er für vier Jahre die 24. Volksschule in der Haydnstraße 49, die nur 350 Meter von der elterlichen Wohnung entfernt lag. Es war eine moderne Bildungseinrichtung mit einer Aula, Turnsälen und Schulbibliothek, die wenige Jahre zuvor, von 1916 bis 1921, auch Herbert Wehner, später Politiker der KPD, in der Bundesrepublik dann der SPD, besucht hatte. Wehner, ebenfalls in Striesen geboren und in den Sechzigerjahren Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, sollte sich später für die Freilassung des verurteilten Spions Heinz Felfe einsetzen, wodurch dieser 1969 überhaupt erst in die DDR ausgetauscht werden konnte.
Der bildungsorientierte Johann Felfe wollte, dass sein Sohn Abitur machte. Doch der Besuch einer höheren Bildungsanstalt war teuer, und die schulischen Leistungen von Heinz entsprachen nicht den Erwartungen. Nach seiner Verhaftung behauptete er, seit frühester Kindheit ein schlechtes Gedächtnis zu haben. Dafür würde sprechen, dass er später im Berufsleben sämtliche Informationen akribisch notierte, etwa in Taschenkalendern. Das galt selbst für die Aufträge des KGB, wenngleich verschlüsselt. Gegenüber seinem Lektor Christian von Ditfurth prahlte er dagegen Mitte der Achtzigerjahre mit seinem Erinnerungsvermögen. Auch unter Kollegen beim Bundesnachrichtendienst war bekannt, dass Felfe über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfüge. So konnte er sich problemlos die Autokennzeichen der Mitarbeiter merken. Ob der Schüler Heinz Felfe tatsächlich über ein schlechtes Merkvermögen verfügte oder schlicht faul war, muss offenbleiben. Sicher dagegen ist, dass er oft kränklich war. Er hatte Masern und Scharlach, aber auch Erkrankungen der Atemwege wie Diphtherie, und er litt zeitweise unter Keuchhusten. So konnte er oft am Schulsport nicht teilnehmen. Ein mit der Familie befreundeter Pädagogikprofessor empfahl für den zehnjährigen Heinz schließlich eine neue Bildungseinrichtung, bei der es auf Zensuren nicht zwingend ankam: die reformpädagogische Dürerschule. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung wurde Heinz im Sommer 1928 dort Schüler, wofür seine Eltern monatlich 30 Pfennig Schulgeld zu zahlen hatten.
Die Dürerschule war sechs Jahre zuvor als staatliche höhere Versuchsschule mit reformpädagogischer, humanistischer Ausrichtung gegründet worden. Seit 1923 befand sie sich in der Silbermannstraße 5. Sie war gleichzeitig die 51. Volksschule, nahe dem Dürerplatz, rund 20 Minuten zu Fuß von der Wohnung der Familie Felfe entfernt. Schülern sollte unabhängig von sozialer Herkunft und politischer Anschauung hier eine Gymnasialbildung ermöglicht werden. Wesentliche Inhalte des Schulprofils waren die fächerübergreifenden Wechsel von Gesamt- und Projektunterricht, ein begleitendes Kurssystem sowie eine auf Völkerverständigung ausgerichtete Erziehung. Außerdem gehörten der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen, Schülermitbestimmung sowie das Arbeiten im eigenen Schulgarten und in der Natur zu dem modernen Erziehungsmodell. 1929 gab es bereits 14 Klassen mit 370 Schülern an der Schule. Heinz Felfe kam als Fünftklässler in die Sexta Ost. Sein Klassenlehrer wurde Studienrat Georg E. Bahner, der Deutsch, Geschichte und Englisch unterrichtete. Zu ihm sollte er noch bis in die Sechzigerjahre Kontakt haben. In seiner Klasse waren insgesamt 27 Kinder, 13 Mädchen und 14 Jungen, deren Eltern Professoren, Kunsthistoriker und Ärzte, aber ebenso Kellner oder Verpacker waren. Der Anteil an Arbeiterkindern war an dieser Schule mit rund 33 Prozent im Vergleich zu anderen höheren Schulen groß. Eine Freundschaft verband ihn mit seiner Klassenkameradin Eva Margarethe Mertens, die eine bekannte Opernsängerin in Berlin wurde. Zu ihr hielt er bis in die Fünfzigerjahre sowie nach seiner Haftentlassung in die DDR den Kontakt und besuchte sie einige Male.
Sein erster Winter auf der Dürerschule 1928/29 blieb Heinz Felfe besonders in Erinnerung, weil so viel Schnee fiel und es so bitterkalt war, dass die Elbe zufror. Noch Jahre später blieb ihm das Bild lebhaft vor Augen, wie er zusammen mit seinem Freund Herbert Preiss auf der Elbe schlitterte und sie sich danach in der nahen Wohnung der Familie Preiss in der Pfotenhauerstraße aufwärmten. Diese Zeit war für Felfe vor allem von solch unbeschwerten Kindheits- und Jugenderinnerungen geprägt. Doch ganz so unbekümmert war die Schule für ihn nicht. Heinz war kein guter Schüler und hat, wie er selbst berichtete, mitunter auch „blaue Briefe“ nach Hause erhalten. Während er im Kunstunterricht beim Malen und Zeichnen nur wenig Talent zeigte, legte er eine gewisse musische Ader an den Tag. Er erhielt Klavier- und Cellounterricht, und sein Können reichte immerhin, um im Schulorchester als Cellist oder Kontrabassist mitzuspielen. Vier Jahrzehnte später bedauerte Felfe, dass er seit seiner Schulzeit nicht mehr musiziert hatte. Was ihm dagegen immer Freude an der Schule bereitete, war der projektbezogene Unterricht in der freien Natur und vor allem die gemeinsamen Wanderungen und Ausflüge, die ihn häufig in das nahe Erzgebirge führten.
Die Dürerschule stand in engem Kontakt zu bündischen Jugendorganisationen wie dem Wandervogel. Heinz begeisterte sich für diese Bewegung und freute sich auf die regelmäßig im Monat stattfindenden Wandertage an der Schule. Aufenthalte in einer Villa im Kurort Gohrisch bei Königstein, dem seit 1924 der Schule gehörenden Schullandheim in der Sächsischen Schweiz, waren eine besondere Abwechslung. Jede Klasse fuhr einmal im Jahr für zwei Wochen dorthin. Ebenso standen Reise- und Austauschprogramme auf dem Lehrplan. So nahm Heinz als Elfjähriger 1929 an einem zehntägigen Klassenaustausch mit einer Oberschule in Plauen teil. Ein Jahr später fuhr der Zwölfjährige im Juli für drei Wochen auf Klassenfahrt in den kleinen Badeort Neuendorf (poln. Wisełka) bei Wollin an die Ostsee. Die Klasse erwanderte den Jordansee (poln. Gardno), unternahm eine Fahrt nach Swinemünde (poln. Świnoujście) und schwamm in der Ostsee. Eine andere Klassenfahrt führte 1931 mit Studienrat Bahner ins 200 Kilometer entfernte Riesengebirge. Dort wanderte die Klasse vom Jugendkammerhaus „Rübezahl“ auf die Schneekoppe, zur Elbquelle oder entlang verschiedener Talabschnitte der Elbe. Und bereits zu Schulzeiten fuhr Felfe häufig in das nahe Tschechien, das er auch nach seiner Übersiedlung in die DDR als Erholungsgebiet und als Kulturraum schätzte.
In seiner Kindheit und frühen Jugend suchte Heinz Felfe in verschiedenen Organisationen Orientierung und Halt. Bis 1928 engagierte er sich in der evangelischen, wechselte aber 1930 in die bündische Jugend. Damit unterschied er sich nicht von anderen Jungen seiner Zeit, die während ihrer Pubertät und noch dazu in einer unsicheren politischen Welt im organisierten Gruppenerlebnis Abenteuer und Selbstverwirklichung suchten. Anfangs zeigte er sich noch offen für unterschiedliche Ausrichtungen. Offenbar fand er jeweils für eine Zeit neben der evangelischen Jugend Anschluss auch in dem antisemitischen Jungdeutschen Orden (Jungdo) sowie bei der „dj 1.11“, der Deutschen Jungenschaft vom 1. November 1929, die sich in der Tradition des Wandervogels verstand. Über seine schulischen Kontakte erhielt er schließlich auch Zugang zu den Pfadfindern und trat diesen bei, weil das, wie er erklärte, „zum guten Ton“ für einen Jungen gehörte. Er schloss sich der „Ringgemeinschaft freier Pfadfinder“ an, die ihren Schwerpunkt in Sachsen hatte und innerhalb des Pfadfinderwesens ein eher elitäres Denken vertrat und eine strenge Mitgliederauslese praktizierte. Zur Pfadfindergruppe kam er über Heinz Schulze, mit dem er befreundet war und dessen Onkel Leiter der freien Pfadfinder war. Befreundet war Heinz Felfe in der bündischen Jugend auch mit Gerhard Penzel, der 1947 in Erfurt denunziert und wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, aus der er 1956 vorzeitig in die BRD entlassen werden sollte. Felfe ordnete diese Pfadfindergruppe später politisch als links ein, was historisch nicht klar zu belegen ist. Ohnehin löste sich seine Pfadfindergruppe bald wieder auf, weshalb er nach einer neuen organisatorischen Heimat für sich suchte.
Hatte die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 noch bei 1,8 Prozent gelegen, so errang sie am 31. Juli 1932 bereits 29,2 Prozent und wurde stärkste politische Kraft. Die Anzahl sächsischer Parteigenossen stieg von 8500 in den Jahren 1929/30 auf über 22 600 im Januar 1931. Es war die Zeit, in der in Dresden die Massenarbeitslosigkeit ihren Höchststand erreichte, der wirtschaftliche Druck immer größer wurde und von der Polizeipension Johann Felfes immer weniger Geld übrig blieb. Damals begann auch Heinz Felfes Weg in den Nationalsozialismus.
„Die erste, sehr lesenswerte Biografie über Felfe.“
„Was er schreibt, hat Substanz (…) Das Leben von Heinz Felfe böte Stoff für mehrere Thriller.“
„Ein faszinierender Einblick in die sonst versperrte Schattenwelt der Geheimdienste – spannender als jeder Agententhriller.“
„... keine Schönfärberei, sondern eine ziemlich schonungslose Auflistung von menschlichen und am Rande auch organisatorischen Abgründen innerhalb des Dienstes.“
„Detaillierte und spannende Biografie.“
„Hechelhammers Biografie ist ein spannendes Buch über ein ungewöhnliches Leben zwischen den politischen Welten und über Motive, als Spion zu arbeiten.“
„Hechelhammers Biografie des Spions ohne Grenzen ist nicht nur eine fachlich exzellente Zeitreise, sondern auch ein spannend geschriebener belletristischer Spionagethriller. Ein Spagat, der selten gelingt, aber das Werk doppelt lobenswert macht!“
„Die ›braune Vorgeschichte‹ des BND ist zwar keine neue Erkenntnis, aber es ist das Verdienst seines jetzigen Chefhistorikers Hechelhammer, dass er die Fakten schonungslos auf den Tisch legt.“
„Das in flotter, leichter Sprache verfasste Buch liest sich spannender als das Drehbuch der meisten heutigen ARD-Tatorte.“
„Sehr lehrreich und lesenswert.“
„Ein spannendes Buch“
„Ein faszinierender Einblick in die sonst versperrte Schattenwelt der Geheimdienste – spannender als jeder Agententhriller.“
„Hechelhammer arbeitet in der Biographie auf der Grundlage von intensivem Quellenstudium einen früheren Skandal auf, wobei tiefe Einblicke in den Lebensweg eines Opportunisten deutlich werden.“
„›Spion ohne Grenzen‹ bietet reichlich Stoff für so manchen packenden Spionagethriller.“
„Insgesamt schärft die Publikation den Blick für die ideologischen Hintergründe der bipolaren Konflikte.“
„Solch ein Buch ist selten, alleine schon seiner Perspektive und Hartnäckigkeit wegen ist es bemerkenswert.“
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