Splitterwelten (Splitterwelten 3) — Inhalt
Mit „Flammenwind“ führen Michael Peinkofer und Christoph Dittert ihre „Splitterwelten“-Trilogie zu einem grandiosen Abschluss: So müssen Kalliope und ihre Gefährten sich nicht nur der gefährlichen Animalen erwehren, sondern auch ein schreckliches Geheimnis ergründen, das die Magierin Harona zu umgeben scheint: Was ist die Quelle ihrer Macht? Warum weiß sie so viel von Dingen, die den Levitatinnen verboten sind? Um das Rätsel zu lösen, reisen Kalliope und Kieron nach Ethera – doch die Antwort, auf die sie stoßen, erschüttert die Weltensplitter ...
Leseprobe zu „Splitterwelten (Splitterwelten 3)“
WallSt.
Über den Zeichen lag Steinstaub, wie überall auf dem Weltensplitter Kaish. Das Wort stand auf einem Schild, gefertigt aus seltsamem Material. Es glänzte, wenn ein Sonnenstrahl darauffiel, und es knarrte leise, wenn es sich im Wind hin- und herbog: krrrk krrrk krrrk.
Aenigma kannte diesen Laut aus seiner Kindheit. Er hatte ihm tage- und nächtelang gelauscht, hier, auf der Affenwelt. Währenddessen hatte der Hass auf seinen Vater zugenommen, auf den Fürsten, angebetet von vielen, erhaben auf seinem Thron ... Und außerdem war er der Erzeuger eines [...]
WallSt.
Über den Zeichen lag Steinstaub, wie überall auf dem Weltensplitter Kaish. Das Wort stand auf einem Schild, gefertigt aus seltsamem Material. Es glänzte, wenn ein Sonnenstrahl darauffiel, und es knarrte leise, wenn es sich im Wind hin- und herbog: krrrk krrrk krrrk.
Aenigma kannte diesen Laut aus seiner Kindheit. Er hatte ihm tage- und nächtelang gelauscht, hier, auf der Affenwelt. Währenddessen hatte der Hass auf seinen Vater zugenommen, auf den Fürsten, angebetet von vielen, erhaben auf seinem Thron ... Und außerdem war er der Erzeuger eines verstoßenen Balgs, das er direkt nach der Geburt verleugnet und weit abseits der Affenburg ausgesetzt hatte. Dort hätte es sterben sollen, ausgedörrt in der Hitze und erstickt an all dem Staub.
Aber dieses Balg hatte nicht aufgegeben. Es hatte an Macht gewonnen, allen Widrigkeiten getrotzt und nun kehrte es zurück. Aenigma pfiff vergnügt vor sich hin, als er den Sitz des Messers überprüfte. Dicht an seine Seite geschnürt, trug er es verborgen unter dem Tragegurt der Tasche, die er mit sich schleppte, als bringe er darin Gaben für den Fürsten.
krrk krrk krrk.
So klang in seinen Ohren der Laut, mit dem der verblichene Affengott seine fahle Knochenklaue ausstreckte, um jemanden zu sich zu holen: die Melodie des Todes. Der Gedanke brachte ihn zum Lächeln. Das Fell in seinem Nacken sträubte sich, als ihn eine kalte Böe kitzelte, die von der Felsenebene zur Herrscherburg wehte.
Gut gelaunt aß er die letzte Handvoll Nüsse aus der Tasche. Bald würde es Nachschub geben, oder sogar noch Besseres. Er achtete sorgsam darauf, sein Inneres zu verschließen; jeder Affenmann konnte sich mit allen von seiner Art verbinden und Gedanken austauschen, wenn er wollte. Und im Augenblick stand Aenigma der Sinn nach nichts weniger als dem. Noch musste er allein und unentdeckt bleiben, um auf dem Weg zur Rache an seinem Vater heimlich Schritt für Schritt zurückzulegen.
Er ging an der uralten, riesigen Statue des Bullen mit dem abgebrochenen Schwanz vorbei und erreichte das Eingangstor in der wuchtigen Mauer. Über ihm reckte sich die Affenburg bis in schwindelerregende Höhen – der halb eingestürzte Turm mit den hohl glotzenden Fensterlöchern. Angeblich hatte es bis vor wenigen Generationen noch ähnliche Ruinen gegeben, die der damalige Fürst zerstören und die Trümmer vom Rand des Weltensplitters werfen ließ. Manch einer war auf der Suche nach Bruchstücken auf den Steilhängen über dem Nichts für immer verschwunden.
Das Schild mit dem eigenartigen Wort WallSt, dessen Bedeutung niemand jemals hatte entschlüsseln können, knarzte unmittelbar über ihm im Wind. Das Gerücht besagte, dass sich seit vielen Generationen jeder Affenherrscher aufs Neue entschloss, täglich darüber zu meditieren, weil daraus Weisheit erwuchs.
Lächerlich!
Aenigma würde seinem Vater die wahre Weisheit bringen.
Die Weisheit einer geschärften Klinge.
„Ehre die Affenburg!“, forderte der Torwächter, ein bulliger Affenmann, der den Besucher fast ums Doppelte überragte.
Aenigma war ein schmächtiges Kind gewesen und hatte es nie zu besonderer Größe gebracht. Jedenfalls nicht körperlich. „Ich komme als Reisender auf unseren Weltensplitter. Zu lange war ich fern von der Heimat. Ich habe vergessen, was es heißt, die ...“
„Verbeug dich und schenke dem Wächter etwas.“ Das Affengesicht verzog sich zu einem gebleckten Grinsen und präsentierte faulig verfärbte Eckhauer. „Also mir, falls du das nicht begriffen hast.“ Ein bellendes Lachen folgte.
Oh, Aenigma verstand sehr gut, und da er sich entgegen seiner Behauptung ganz genau an alle Traditionen erinnerte, trug er auch ein passendes Geschenk bei sich. Eines, das den Wächter verblüffen und ihn milde stimmen sollte. Er kramte in seiner Tasche, als müsste er suchen, was seine tastenden Finger sofort gefunden hatten. Er hob es ans Licht. „Ich hoffe, dies kann dich erfreuen?“, fragte er unschuldig.
Der andere gab ein Brummen von sich. „Ist das etwa ...“
„Ein Galom-Kuchen“, fiel ihm Aenigma ins Wort. „Ich habe ihn auf dem Weg erstanden, für mich selbst als Zehrung für die Rückreise, aber ich gebe ihn dir gern, wenn du ...“
Der Wächter entriss ihm die süße Köstlichkeit, die sich nur wenige auf Kaish leisten konnten. Wahrscheinlich hatte er nie zuvor in seinem Leben einen Galom gekostet. „Du kannst passieren“, erlaubte er großmütig.
Aenigma gönnte ihm keinen Blick, als er durch das Tor trat und die Kühle des inneren Turms genoss. Welch eine Erleichterung, nicht mehr der sengenden Hitze der Steinebene ausgesetzt zu sein und dem Staub, der jedes Fell früher oder später grau färbte und alle Augen, die lange genug offen blieben, bis zur Blindheit schliff. Dort draußen gab es nur den Schatten der riesigen versteinerten Säulen, in den sich viele drängten, um Linderung zu finden, bis endlich die Nacht anbrach.
Als Kind war es ihm nicht oft vergönnt gewesen, die Affenburg aufzusuchen. Der damals noch junge, aber längst schon fette Fürst hatte seine Geliebte und deren Balg weit aus der Kälte der Burg entfernen lassen. Nachdem Aenigmas Mutter eines Tages aufgebrochen war, um als Bittstellerin vorzusprechen, war sie nie zu ihrem Sohn zurückgekehrt.
Unter der Decke des Ganges, der zum Thronsaal führte, lagen die Kavernen, in denen die zottigen Affenmänner hausten, die als Verwalter Dienst taten. Aus einer fiel ein Strick, an dem sich ein schmächtiger Junge mit tiefschwarzem Fell hinabhangelte. Aus seinem Brustpelz war ein X herausgebrannt worden, das Zeichen der Leibeigenschaft: Wer dieses Brandmal trug, gehörte dem Fürsten von Geburt an. Die Haut wölbte sich dort zu einem fahlen Wulst.
Aenigma schoss ein Gedanke durch den Sinn: Lieber der verstoßene Balg sein als einer dieser jämmerlichen Sklaven. Trotzdem weckte der Anblick ein paar ärgerliche Erinnerungen an sich selbst in ihm – als hilfloses Kind. Er wischte sie beiseite.
„Du bist nicht angemeldet“, sagte der Junge.
„Was geht es dich an?“, herrschte Aenigma ihn an, ehe ihm klar wurde, dass er sich zurückhalten musste. An diesem Ort war er nicht der Mächtige im Geheimdienst der Kaiserin, sondern ein Niemand. Er setzte zu einer geheuchelten Entschuldigung an, doch sein schmächtiges Gegenüber sprach zuerst.
„Ich bin Eorwag. Ich zähle die ... Audienzen“ – das Wort brachte er kaum heraus, es klang mehr wie Audihentzeien und vor allem wie etwas, das er auswendig gelernt hatte, ohne den Sinn zu verstehen – „unseres Herrschers. Heute gibt es zwei, aber erst am Abend.“
„Diese beiden kannst du streichen“, sagte Aenigma. „Und der Fürst wird sich freuen, mich zu sehen. Wenn du mir hingegen den Weg versperrst, wird er dir zürnen.“
Der Affenjunge Eorwag stutzte. „Sicher?“
Aenigma streckte die Hand aus und fuhr das Sklavenzeichen auf der Brust des Kleinen nach. „Gefällt es dir?“
Der Junge zuckte und verzog das Gesicht. Offenbar schmerzte die Berührung. „Nein.“
„Dann solltest du mich gehen lassen.“
Der Sklave erwies sich als schlauer, als er aussah: „Es warten viele Leibwächter.“
„Der Fürst wird sie wegschicken.“
Eorwag betrachtete sein Seil. „Du hast keine Audienz.“ Audihentze. „Verlass die Burg.“ Gleichzeitig gab er den Weg frei und kletterte nach oben, zurück in seine Kaverne.
Ein schlaues Kerlchen, das soeben den Grundstein für eine steile Laufbahn legte. Aenigma war gespannt, ob weiterhin so viel Verstand auf ihn wartete.
Natürlich tauchten die Wächter des Thronsaals rasch auf. Drei standen im Durchgang zur Halle, in der der Fürst seine Besucher empfing. Sie trugen Dolche und sahen nicht gerade freundlich aus. Die Affengesichter blieben durch rote Masken verborgen, die das stilisierte mundlos stumme Antlitz des Affengottes zeigten. „Was willst du?“, fragte einer dumpf. Die Worte mussten sich ihren Weg hinter dem Holz der Maske hervor bahnen.
„Den Fürsten sprechen.“
„Du brauchst eine ...“
„… Audienz? Wohl kaum.“
„Jeder braucht ...“
Wieder ließ ihn Aenigma nicht aussprechen. Er zog etwas aus der Tasche – einen flachen Stein mit dem Bild des Raubtiergesichts einer Leonidin, deren Mähne blau gefärbt war.
„Das Zeichen Karnaks!“, stieß einer der anderen Wächter hervor.
„Ich komme geradewegs von der Welt der Kaiserin und mir bleibt nicht viel Zeit.“
„Falls du lügst ...“
„Überlass dem Fürsten die Entscheidung“, schlug Aenigma vor. „Kaiserin Allegra wäre kaum erfreut, wenn ich ihr von der Dummheit der Affenmänner von Kaish berichte.“
Die Leibwächter standen wie erstarrt. Offenbar wussten sie nicht, was sie nun tun sollten. Falls ihr Besucher log und sie den Fürsten störten, würde dieser sie strafen. Sprach er jedoch die Wahrheit, mussten sie ihren Herrn schnellstmöglich davon in Kenntnis setzen.
„Los!“, herrschte Aenigma sie an. „Einer von euch soll euren Herrscher holen, oder ich schicke die kaiserliche Leibgarde los, um in der Affenburg nach dem Rechten zu sehen! Entrichtet ihr ... zum Beispiel ... auch regelmäßig die vorgeschriebenen Abgaben?“
Das genügte. Einer der Wächter eilte los. Ehe er den Saal betrat, nahm er die Maske ab. Niemand kam mit verborgenem Antlitz vor den Fürsten. Er verschwand aus Aenigmas Sicht. Die beiden anderen standen unschlüssig da; der größere ließ die Arme baumeln und tippelte mit den Handflächen auf dem Boden. Es wäre Aenigma ein Leichtes gewesen, ihnen die Kehlen durchzuschneiden und alles abzukürzen. Aber die Klinge blieb seit Jahren durstig, da konnte sie auch noch einige weitere Atemzüge lang warten.
„Du hast die Kaiserin gesehen?“, fragte der kleinere Wächter. „Stimmt es, dass goldene Fäden in ihrem Fell wachsen?“
Dummer Affe, dachte Aenigma. „Allegras Herrlichkeit lässt sich nicht in Worte fassen. Sie ist über alles erhaben.“ Das war eine glatte Lüge. Sie war ein Animale, so wie Tausende andere auch; hin und wieder litt sie unter Verdauungsbeschwerden, sie kannte Hunger und Müdigkeit und sie suchte nach schönen Dingen. Wenn es weiterhin nach Plan lief, würde sie bald nur noch Aenigmas Marionette sein. Falls er sie überhaupt am Leben ließ.
Der Fürst tauchte im Durchgang auf, eine feiste, bei jedem Schritt hin- und herschwankende Gestalt. Sein Fell glänzte ölig. „Wo ist der Besucher?“, herrschte er seine Wächter an, obwohl jener kaum zu übersehen war.
„Ich bin hier“, meldete sich Aenigma und ergänzte nach kurzem Nachdenken: „Mein Fürst.“
Grünlicher Sabber rann über die Lederhaut im Gesicht des Affenherrschers. Er stieß ihn mit einem Luftstoß aus den breiten Nasenlöchern hervor; ein Tropfen löste sich und platschte auf das rotgoldene Tuch um seine Schultern. Dann erst hob er den Blick, und augenblicklich stand ein Erkennen darin. „Aenigma!“
„Ihr wisst also, wer ich bin.“
„Selbstverständlich. Keiner von uns hat je zuvor auf der Welt der Kaiserin eine so bedeutende Rolle gespielt wie du. Neben mir bist du der Mächtigste unserer Art, obwohl diese hier“ – er winkte mit einer abschätzigen Handbewegung zu seinen Leibwächtern hinüber – „sich nicht in der Lage sehen, deine Macht zu erkennen. Sie sind Narren. Vielleicht sollte ich sie austauschen.“
„Gut“, sagte Aenigma. Wenn auch du blind dafür bist, wer ich wirklich bin. „Das vereinfacht die Dinge. Darf ich nun mit Euch sprechen? Allein?“
„Komm mit.“ Der Affenherrscher wandte sich an seine Leibwächter. „Und ihr verschwindet! Sehe ich einen von euch, ehe ich rufe, findet er sich jenseits der großen Steinsäulen wieder, und das womöglich mit einer Hand weniger!“
„Danke“, sagte Aenigma und dachte, dass sein Vater tatsächlich ein Fürst war; der Fürst aller Narren nämlich, wenn es je einen gegeben hatte.
Der Affenherrscher watschelte ihm voraus zu seinem Thron. Sollte er nur darauf Platz nehmen, ein letztes Mal. Das war ein guter Ort zum Sterben.
Aenigma folgte ihm die drei, vier Stufen vor dem steinernen Stuhl nach oben. Die Rückenlehne bestand aus einer verwitterten Platte. Der Fürst setzte sich und nun konnte er zum ersten Mal seine Aufregung nicht mehr verbergen. „Was führt dich zu mir? Ein Auftrag der Kaiserin?“
„Sie weiß gar nicht, dass ich hier bin.“
„Ach?“
„Sie ist mit anderen Dingen beschäftigt.“ Denn die Gesamtheit aller Weltensplitter änderte sich allmählich und das Gefüge kam ins Wanken, was ein Narrenfürst natürlich nicht bemerkte. „Ich komme wegen der Vergangenheit nach Hause. Erforscht Ihr sie nicht auch manchmal?“
„Wenn du darauf anspielst, dass ich wie jeder Affenherrscher die Zeichen des Schildes nutze, um zu meditieren, so hast du si…“
„Früher war vieles anders.“
Der Fürst hätte wohl über alle, die es wagten, ihm ins Wort zu fallen, eine Vielzahl von Strafen verhängt, doch Aenigma ließ er gewähren. „Die Bilder“, sagte er, während er sich auf dem Thron zurücklehnte, „an den versteinerten Wänden des Fürstensaals zeigen, dass es früher einmal nicht nur Felsen und Einöde auf Kaish gab. Die Dinge haben sich geändert, und zwar schon lange vor unserer Geburt.“
„Darauf will ich gar nicht hinaus.“
„Sondern?“
„Ihr glaubt zu wissen, wer ich bin.“
„Sollte ich etwa den zweitmächtigsten Affenmann nicht kennen?“
„Hör auf mit der Schmeichelei!“ Die Zeit der ehrfurchtsvollen Anrede war vorüber.
Auch das nahm der Herrscher hin. „Was trägst du wirklich im Sinn?“
„Ich möchte dir sagen, wer ich bin.“
„Ich höre, Aenigma.“
„Du hast mich verbannt, kaum dass das erste Licht in meine hilflosen Augen fiel. Dein eigen Fleisch und Blut durfte nur ein zappelndes Ding in Hitze und Staub sein, Vater.“
Die Hände des Fürsten krampften sich um die versteinerten Armlehnen. „Du ...“
Aenigma, der bislang unmittelbar vor dem Thron gestanden hatte, sprang nun zur Seite, und das keinen Augenblick zu früh. Es klackte und mit pfeifendem Zischen rasten zwei, drei, sogar vier Pfeile aus den Lehnen. Glitzernde Tropfen fielen von ihren Spitzen – Gift war das, zweifellos. Sie kreuzten sich da, wo sie noch vor einem Lidschlag ein Leben genommen hätten.
„Du bist nicht so träge, wie ich dachte“, bemerkte Aenigma, während er auf die Armlehne sprang. Das Messer flog wie von selbst in seine Hand, und die Klinge nahm den Platz ein, der wie geschaffen für sie schien: direkt am Hals des Vaters. „Dein Balg ist heimgekehrt! Freust du dich darüber?“ Ein wenig bewegte er die Waffe. Sie kappte einige Härchen des dunklen Fells und ritzte die Haut kaum merklich. Ein einzelner Blutstropfen glänzte auf dem Metall. „Ich wetze dieses Stück Eisen, das ich einem Dieb abgenommen habe, der mir damit die Kehle durchschneiden wollte. Ich tue dies schon seit meiner Kindheit. Und nur für dich.“ Er beugte sich vor und hauchte die beiden Worte ins Ohr des Herrschers: „Mein Fürst.“
Er sah die Angst in den Augen seines Vaters. Dies tat gut.
„Mein Sohn, ich ...“
„Nenn mich nicht so!“
„Aenigma, du hast Großes erreicht! Ein so bedeutender Mann im Geheimdienst der herrlichen Kaiserin Allegra! Wer hätte das für möglich gehalten? Du bist klein, aber in Wirklichkeit überschreitet deine Macht die meine bei Weitem! Du ...“ Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, nur mehr gurgelnde, blubbernde Laute entwischten ihm. Die Klinge steckte bereits bis zum Griff in seinem Hals.
Aenigma ließ los, sah zu, wie sein Vater nach der Waffe tastete und sie herauszog, mit dem einzigen Erfolg, dass er noch weitaus stärker blutete.
Erstaunlich, wie sich die Nasenlöcher des Fürsten weiteten und wieder schlossen ... weiteten und schlossen ... weiteten und dann stillstanden. Erst danach fiel die Klinge aus der schlaffen Hand und fiel klimpernd auf den Steinboden.
Der Vatermörder blickte das Messer an. So lange hatte er es bei sich getragen. Fast würde er es vermissen.
Der Affenfürst lag zusammengesunken auf seinem Thron. Blut lief über den bepelzten Arm, perlte von dem öligen Fell ab, erreichte die Lehne und färbte die uralten Steinporen rot.
„Und so endet es.“ Aenigmas Worte klangen hohl. Er fühlte keine Befriedigung, obwohl er sich diesen Augenblick Hunderte und Aberhunderte Mal ausgemalt hatte. Er beugte sich vor und tauchte einen Finger in das dunkle Blut. Warm, aber nicht anders, als er es schon so oft ...
„He-Herr?“, sagte eine zitternde Stimme hinter ihm.
Aenigma drehte sich um. „Zu wem sprichst du?“, fragte er die bullige Gestalt des Affenmanns, der vor den Stufen des Throns stand. „Zu ihm ...“, er deutete auf die Leiche, „… oder zu mir?“
„Zu Euch, Herr.“ Der Neuankömmling verneigte sich vor Aenigma, den er um mehr als das Doppelte überragte, und zwar so tief auf den Boden, bis die langen Arme auf dem Boden schleiften. „Natürlich zu Euch.“
„Du bist klug“, gab Aenigma zurück. „Wie ist dein Name?“
„Rangoan.“ Und nach kurzem Zögern: „Ich war einer der Leibwächter des Fürsten.“
„Was sagst du ... dazu?“ Wieder deutete Aenigma auf den Toten.
Rangoan antwortete augenblicklich: „Noch nie wurde ein Thron errungen oder verteidigt, ohne dass Blut geflossen wäre. Ihr seid der Stärkere. Ihr verdient es zu herrschen, Meister.“
„Eine gute Rede. Dein rasches Auftauchen erstaunt mich.“
„Gerade wollte ich meinen Dienst vor dem Tor antreten und wunderte mich, dass niemand dort zur Wache stand, da hörte ich, wie die Thronwaffen auslösten.“
„Bist du nur einer von vielen? Oder deren Anführer?“
„Einer von vielen.“
„Von wie vielen?“
„Acht.“
Aenigma starrte ihm in die Augen. „Du hast darin versagt, deinen Herrn zu schützen.“
Eine erneute Verbeugung. „Das weiß ich.“
Gut, dachte Aenigma. Keinerlei Ausflüchte oder Rechtfertigungen. „Wirst du erneut versagen, wenn du mir dienst?“
Ein überraschter Blick: „Nein, Herr.“
„Du bist ab sofort mein oberster Leibwächter. Bring mir all diejenigen, die dem Schutz des ehemaligen Fürsten dienten.“
„Ja, Meister.“
Rangoan stellte keine Fragen, und das bewies Aenigma, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Warte!“
Der Affenmann drehte sich um. „Herr?“
„Du musst sie doch nicht zu mir bringen. Ich erweise dir Gnade, damit du meinen Ruhm und meine Gerechtigkeit weitertragen kannst. Die anderen jedoch, die Versager – sie müssen sterben.“
Es gab keine Sekunde des Zögerns, ehe die Antwort kam. „Ich erledige das.“
Und mit einem Mal war Aenigma doch besserer Laune als zuvor. „Wenn du Hilfe benötigst, so hol dir den Jungen Eorwag an deine Seite. Er wird mein oberster Verwalter sein. Er hat meine Gunst erworben – ebenso wie du. Sollte es zu Unruhen im Palast kommen, sorg notfalls für sein Überleben.“
„Ja, Gebieter.“ Rangoan eilte aus dem Thronsaal.
Nun, da die alten Dinge endgültig der Vergangenheit angehörten, konnte sich Aenigma um das kümmern, was vor ihm lag.
In Kürze, wenn die neue Ordnung in der Affenburg anbrach, würde er sich gedanklich mit allen Affenmännern im Hofstaat verbinden und den Befehl ausgeben, dass kein Außenstehender von der Ermordung des Fürsten erfahren durfte. Eine Weile noch musste Aenigma im Dunkeln herrschen und seine Armee im Untergrund zusammenstellen, ehe er Kaiserin Allegra und jeden, der sich ihm sonst in den Weg stellen mochte, hinwegfegte.
Dies waren aufregende Zeiten.
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