Talk to you. Flüstern im Sommerwind Talk to you. Flüstern im Sommerwind - eBook-Ausgabe
Roman
— Strangers-to-Lovers-Romance in HeidelbergTalk to you. Flüstern im Sommerwind — Inhalt
Ein Sommer voller Gefühle, die Suche nach Lebenszielen und ein Geheimnis, dass droht alle Träume zu zerstören. Eine berührende Romance in Heidelberg für alle Leser:innen von Anya Omah
„›Einen Pakt. Wir helfen uns gegenseitig dabei, herauszufinden, was wir wirklich mit unserem Leben anfangen wollen. Deal?‹
›Deal.‹ Eve drückte meine Hand und lächelte mich an. Ihr Lächeln ließ mein Herz höher schlagen.“
Zwei junge Menschen aus unterschiedlichen Welten – Henry, der Firmenerbe, der lieber Paläontologe wäre und Eve, die Studentin, die einfach nur tanzen will – treffen in einer WG aufeinander. Henry ist einem Flirt nicht abgeneigt, er sieht ihn als willkommene Ablenkung von den Pflichten, die ihn jetzt schon niederdrücken. In den letzten Jahren hatte Eve nichts mit Männern am Hut und konzentrierte sich auf ihr Abitur und das Studium. Doch jetzt benötigt sie dringend eine Auszeit, die ihr ausgerechnet Henry bietet. Die beiden schließen einen Pakt: Beide unterstützen sich gegenseitig, damit sie am Ende des Sommers wissen, was sie wirklich vom Leben erwarten. Henry weiß bald nicht mehr, wie er das Versprechen halten soll, das er seinem besten Freund Martin gegeben hat, nämlich nichts mit Eve anzufangen. Doch das Geheimnis, das Eve mit sich herumträgt, ist groß genug, um ihre Träume zu zerstören.
Leseprobe zu „Talk to you. Flüstern im Sommerwind“
1
Henry
Drei Jahre. Seit drei Jahren hatte ich keinen deutschen Boden mehr betreten. Umso aufgeregter war ich, als ich am Frankfurter Flughafen aus der Boeing stieg, die mich über den Atlantik gebracht hatte.
Die Mittagssonne brannte unbarmherzig auf die übernächtigten Passagiere. Gut, vielleicht waren andere weniger übernächtigt als ich. Auf dem Weg zum Shuttlebus kramte ich meine Sonnenbrille aus dem Handgepäck, nach der eisgekühlten Flugzeugkabine war die Umstellung auf siebenundzwanzig Grad Lufttemperatur ziemlich heftig. Ich zog mir den [...]
1
Henry
Drei Jahre. Seit drei Jahren hatte ich keinen deutschen Boden mehr betreten. Umso aufgeregter war ich, als ich am Frankfurter Flughafen aus der Boeing stieg, die mich über den Atlantik gebracht hatte.
Die Mittagssonne brannte unbarmherzig auf die übernächtigten Passagiere. Gut, vielleicht waren andere weniger übernächtigt als ich. Auf dem Weg zum Shuttlebus kramte ich meine Sonnenbrille aus dem Handgepäck, nach der eisgekühlten Flugzeugkabine war die Umstellung auf siebenundzwanzig Grad Lufttemperatur ziemlich heftig. Ich zog mir den Kapuzenpullover über den Kopf und hängte ihn mir über den Arm.
Ich ertappte mich dabei, wie ich den deutschen Durchsagen in der Wartehalle nachlauschte. Bis auf gelegentliche Anrufe von meinem Kumpel Martin, der in Heidelberg auf Lehramt studierte, hatte ich seit Langem kein deutsches Wort gehört oder gesprochen.
Dass Martin mich für den Sommer nach meinem erfolgreichen Bachelorabschluss am Benjamin Franklin Institute of Technology in Boston zu sich und seiner Frau nach Heidelberg eingeladen hatte, fand ich super. Nicht nur, weil ich meinen Freund seit unserem Abitur nicht mehr persönlich getroffen hatte, sondern auch, weil ich damit erst einmal meinen Eltern aus dem Weg gehen konnte. Sie lagen mir seit Wochen mit Praktika und Vorschlägen für den Master in den Ohren.
Erstens wusste ich noch nicht, ob ich einen Master machen wollte und zweitens hatte ich keine Lust auf ein Praktikum in irgendeiner amerikanischen Firma, die mit meinem Vater geschäftlich involviert war.
Unser Familienunternehmen war ein großer Autozulieferer, das eng mit amerikanischen und englischen Automobilmarken zusammenarbeitete. Eigentlich die Eingangstür für mich. Ein Platz im Vorstand war für mich reserviert, seit ich auf die Welt gekommen war. Zur Freude meines Vaters hatte ich einen entsprechenden Technik-Studiengang abgeschlossen.
Aber nach Jahren des Lernens und Ackerns stand mir der Sinn danach, wenigstens einen Sommer lang an mich zu denken. Und das würde ich bei Martin wesentlich leichter schaffen als zuhause am Starnberger See, wo meine Mutter gelangweilt in unserer Fünfzig-Zimmer-Villa saß und sich nur mit meinen Karriereplänen beschäftigen konnte.
Nein, danke.
Martin erwartete mich laut seiner letzten Nachricht, die ich im Gehen checkte, am anderen Ende des Flughafens. Auf dem Weg zur Gepäckausgabe nahm ich meine Sonnenbrille ab und steckte sie wie ein Opa in die Brusttasche meines T-Shirts.
Ich schob mir auch den anderen Träger meines Rucksacks über die Schulter und klemmte mir den schweren Koffer unter den Arm. Eigentlich sollte er sich bequem ziehen lassen, doch während des Transports war eine der Rollen abgebrochen. Ich wollte gar nicht wissen, wie tief mein Koffer gefallen war und welcher Blödmann ihn in den Händen gehabt hatte. Ich würde mir einfach einen neuen kaufen und fertig.
Martin und ich hatten vor meiner Abreise kurz geskypt und ich ging davon aus, dass ich bei ihm, seiner Frau und ihrer kleinen Schwester unterkommen würde. Ein Hotel hatte ich mir nicht gebucht, obwohl sich das sicher nachholen ließe.
Endlich sah ich meinen Freund. Martin stand mit den Händen in den Hosentaschen neben einer sich lautstark unterhaltenden Gruppe. Auch in der Schule hatte er meist am Rand gestanden.
Martin hatte sich kaum verändert. Allerdings hatte er sich von seiner Nerdbrille verabschiedet und sich einen kurzen Vollbart wachsen lassen, genauso dunkelblond wie seine kurzen, chaotischen Haare. Sein freudiges Grinsen, als er mich erkannte, ließ mich automatisch zurückgrinsen.
Wir umarmten uns fest und klopften uns gegenseitig auf die Schultern.
„Schön, dich zu sehen, Mann“, begrüßte er mich.
„Dito!“, erwiderte ich und trat einen Schritt zurück. Martin strahlte regelrecht. Von dem schüchternen, vergeistigten Typen, der sich so oft selbst im Weg stand, schien nichts übrig geblieben zu sein.
„Komm, das Parkhaus kostet mich ein Vermögen“, forderte er mich auf und packte den Griff meines Koffers.
„Seit wann interessiert dich das?“, fragte ich stirnrunzelnd, setzte mich aber in Bewegung.
„Erzähl ich dir auf der Fahrt, okay? Ist ’ne längere Geschichte.“
„Aber deine Frau hat nicht zufälligerweise was damit zu tun?“
„Nein. Du wirst sie mögen.“
„Bestimmt. Wenn sie dich freiwillig heiratet, kann sie nicht so verkehrt sein.“
Es tat gut, Deutsch zu sprechen. Vor allem aber war es schön, mit einem alten Freund zu reden. Irgendwie hatte er mir gefehlt.
„Und du? Kein amerikanisches Supermodel, das dich begleitet?“ Er lächelte mich wissend an. Er hatte damals meist meine abgelegten ›Freundinnen‹ getröstet. Die eine oder andere hatte sich entsprechend revanchiert. Dass er eine echte Beziehung zu einem Mädchen eingegangen war, hatte ich nie erlebt. Bis jetzt.
Und ja, es gab hübsche Amerikanerinnen, aber mit keiner war es mir ernst genug, dass ich sie in mein Heimatland mitgenommen hätte. Und anders als auf dem Internat hatte ich auf meinem technisch ausgerichteten College einen eklatanten Pimmelüberschuss zu beklagen gehabt. Ein Glück, dass es in Boston noch mehr Universitäten gab. Auch wenn ich des ewigen Datens tatsächlich müde war. Aber diese Alter-Mann-Gedanken würde ich vor Martin nicht ausbreiten.
„Du kennst mich doch“, entgegnete ich ausweichend. Was bei Martin noch nie funktioniert hatte. Der Blick aus seinen blauen Augen huschte zu mir und nagelte mich fest.
„Lass den Röntgenblick, Superman“, zog ich ihn auf. Seine Leidenschaft für Comichelden war legendär. „Auf einer Technikerschule gibt es nicht so viele Weiber, aber ein paar waren dabei. Oder ich hab welche von außerhalb getroffen.“
„Und hattest du auch eine Freundin?“
„Keine richtige, falls du das meinst. Mit manchen gab es mehr als ein Date.“ Und mehr als eine Nacht. Sein amüsiertes Grinsen erstarb.
„Vielleicht ist Jackys Idee doch nicht so brillant, wie ich dachte. Wehe, du ziehst dein übliches Muster mit ihrer Freundin ab!“
„Und wenn sie sich darüber freuen würde?“
„Pass auf, wir haben nur eine Zweieinhalbzimmerwohnung, Jacky, Michelle und ich. Jacky wollte nicht, dass du ins Hotel musst. Ich hab es aufgegeben, ihr klarzumachen, dass jemandem wie dir zwölf Wochen Hotel nicht wehtun. Auf jeden Fall hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass du bei uns um die Ecke in das freie WG-Zimmer ihrer Freundin ziehen kannst. Ihr Mitbewohner ist so lange bei seinem Freund. Aber du musst das nicht machen!“
Ich blinzelte. „Du quartierst mich bei einer Freundin ein und erwartest von mir, dass ich so tue, als wäre sie Nonne?“
„So ungefähr. Sie heißt Eve und ist sehr nett. Und auch ziemlich heiß, aber du bist ja nicht so festgelegt.“
Dafür boxte ich ihn leicht gegen den Oberarm.
„Selbst wenn sie aussieht wie Adriana Lima, kann ich mich schon benehmen.“
„Du willst wirklich nicht ins Hotel?“
„Ich wäre gern bei euch in der Nähe und ein WG-Zimmer klingt gut. Jetzt entspann dich, ich grabe sie nicht an, okay?“
Skeptisch zog Martin die Augenbrauen hoch. Konnte ich ihm nicht verdenken. Er kannte mich zu gut.
„Wenn Eve sich an dich ranschmeißt, sag ich nichts, versprochen. Das wird aber nicht passieren. Obwohl du immer noch ein Weibermagnet bist.“ Mit einem süffisanten Lächeln betrachtete er meine lässig gestylten, dunklen Haare, mein glatt rasiertes Gesicht und meine Designerjeans. Ich legte es nicht darauf an, reich auszusehen, aber wer genau hinschaute, wusste es. Da half es auch nicht, auf teure Markensonnenbrillen oder Koffersets zu verzichten.
„Lass vor allem diesen Glutaugenblick stecken“, ermahnte er mich. „Auf deine schwarzen Augen war ich schon immer neidisch.“
Ich lachte leise. „Wo doch die meisten Mädels blaue Augen lieben. So wie deine.“
Doch darauf ging Martin nicht ein. Er mochte es wohl immer noch nicht, Komplimente für sein Aussehen zu bekommen.
Obwohl er ein unauffälliger Jeans-und-T-Shirt-Typ war, der sich nichts aus Styling machte, konnte man nicht über seine durchtrainierte Figur oder sein ebenmäßiges Gesicht hinwegsehen. Immerhin wirkte er deutlich selbstbewusster als zu Schulzeiten und versuchte nicht mehr, sich in überlangen Shirts und Schlabberhosen zu verstecken.
Ein ungutes Gefühl beschlich mich bereits, als wir nicht die nagelneue Mercedes S-Klasse im Parkhaus ansteuerten, sondern den beinahe schrottreifen Mazda daneben.
„Ist das deiner?“, fragte ich, obwohl Martin schon den Schlüssel ins Türschloss gesteckt hatte.
„Steig einfach ein und stell eine Weile keine Fragen mehr“, wies er mich zurecht und ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen. Die verdammte Tür schloss erst nach mehreren Versuchen.
Im Auto erfuhr ich dann die schonungslose Wahrheit.
Etwa zwanzig Minuten später wusste ich nicht, ob ich sauer sein sollte, weil Martin die letzten Jahre keinen Ton darüber gesagt hatte, dass sein Vater hoch verschuldet lieber mit einer Französin durchgebrannt war, als dafür gerade zu stehen, und seine Familie zu einem Leben an der Armutsgrenze verurteilt hatte.
Dass Martin nur dank BAföG studieren konnte und in einer winzigen Hochhauswohnung lebte, schockte mich dann nicht mehr. Wenigstens gehörte die rasselnde und klappernde Karre nicht ihm, sondern dem Mitbewohner, dessen Zimmer ich beziehen sollte.
Während wir die Autobahn nach Heidelberg runterzockelten, fragte ich mich, ob ein Hotel nicht doch die bessere Alternative wäre.
2
Eve
Um Punkt halb eins warf ich den Kugelschreiber in mein Mäppchen, raffte meine Sachen zusammen und gab meine Klausur vorne beim Dozenten ab.
Mit Romanistik wurde ich nicht warm und ich sollte wirklich über einen Fachwechsel nachdenken. Doch die Klausur war nicht das Einzige, was mir Kopfzerbrechen bereitete. Auch für die dreißigseitige Hausarbeit, die ich über die Semesterferien zu schreiben hatte, fehlte mir die zündende Idee. Und so wie es aussah, durfte ich auch für eine Wiederholungsklausur lernen, weil ich mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade durchgefallen war. Ganz zu schweigen von dem Latein-Schein, den ich noch nachholen musste. Der Italienischkurs, den ich wegen der Kenntnisse einer weiteren romanischen Sprache an der Heidelberger Volkshochschule besuchte, machte wenigstens Sommerpause.
Trotzdem super Ferien.
Nach diesem Desaster hatte ich keine Lust, gleich heimzufahren und setzte mich mit meiner Tasche in den wunderschönen Garten neben der Jesuitenkirche in die Sonne. Das herrliche Sommerwetter verhöhnte mich geradezu. Regenwolken und trübes Nebelgrau hätten besser zu meiner Stimmung gepasst.
Genervt strich ich mir die Haare zurück. Das war so typisch für mich. Kaum fiel ich auf die Nase, stellte ich alles infrage: Meine Fähigkeiten genauso wie den ganzen Studiengang. Aber wie sollte aus mir eine gute Lehrerin werden, wenn ich nicht mal eine solche Semesterklausur bestand und mir lauter Grundkenntnisse fehlten, die viele Gymnasiasten ganz selbstverständlich mitbrachten?
Heute war wieder einer dieser Tage, an denen ich glaubte, an der Uni nichts verloren zu haben. Mein zweites Semester neigte sich dem Ende zu, aber ich war hier noch nicht angekommen.
Um mich von meinem Gedankenkarussell abzulenken, holte ich mein Handy aus der Tasche. Geradeso widerstand ich dem Drang, meine Französischnotizen in den nächsten Mülleimer zu stopfen, als mein Blick auf den Ordner fiel.
Die Viel Glück-Nachricht von meiner Mutter klickte ich an, ohne sie zu lesen. Ihre guten Wünsche hatten nicht geholfen.
Mein Magen zog sich zusammen, als ich daran dachte, wie sie und mein Vater auf meinen Misserfolg reagieren würden. Am besten verschwieg ich ihnen meine Zweifel. Vielleicht hatte ich ja knapp bestanden. Warum schlafende Hunde wecken?
Die zweite Nachricht stammte von Jacky. Der Uhrzeit nach hatte sie sie in der großen Pause geschrieben.
Hey Eve, noch mal viel Glück bei deiner Prüfung! :-) Falls ich zu spät schreibe, verspreche ich dir, dass du spätestens heute Abend nicht mehr daran denken wirst.
Diese Nachricht brachte mich zumindest zum Schmunzeln. Natürlich würde ich heute Abend nicht mehr an diese bescheidene Klausur denken, denn ich hatte einen Auftritt mit meiner Hip-Hop-Tanzgruppe, bei dem wir unsere neue Choreografie für die deutsche Meisterschaft vor größerem Publikum vorführen würden. Ich lächelte zum ersten Mal seit heute Morgen. Denn das Tanzen war definitiv das Beste in meinem Leben. Egal, wie sehr meine Eltern mich damit nervten, ich würde es niemals aufgeben.
Immer noch lächelnd las ich Jackys Nachricht weiter, doch schnell breitete sich ein panikartiges Gefühl in mir aus.
Martins Freund aus den USA kommt heute. Kann er in Ahmeds Zimmer schlafen? Bei uns ist nicht wirklich Platz für längeren Besuch. Schreib mir schnell zurück! LG, Jacky
Oh, oh. Meine Finger schwebten über der Tastatur, um entschieden abzulehnen. Ich hatte keine Zeit. Ich musste lernen und meine Hausarbeit schreiben. Wenn ich die auch noch versaute, wären meine Eltern wahnsinnig enttäuscht. Sie finanzierten mich, sodass ich nicht nebenher arbeiten gehen musste und mich auf das Studium konzentrieren konnte. Doch mit derart schlechten Leistungen würden sie mich zurück nach Hause beordern. Und das wollte ich auf keinen Fall. Ich wollte nicht wieder in mein Kinderzimmer zurück, aus dem ich gerade erst entflohen war. No way.
Aber Jacky war meine beste Freundin. Und Martin war für mich auch wie ein Freund. Sie hatten meine Eltern bequatscht, damit ich mit Ahmed zusammenziehen durfte, nachdem sie festgestellt hatten, wie nett und zuverlässig er war. Und außerdem schwul. Meine leicht xenophobe Mutter hatte mich bereits im Kopftuch mit einer Schar dunkelhaariger Kinder herumlaufen sehen. Dabei war Ahmed der einzige Mann, bei dem ich mich wohlfühlte.
Aber wenn ein Heterotyp von Martins Kaliber bei mir einziehen sollte, ängstigte mich das. Ich wollte nicht mit einem Fremden allein sein.
Jacky schien meine Gedanken gelesen und obendrein Mittagspause zu haben, denn gerade trudelte die nächste Nachricht von ihr ein und ließ mein Handy aufleuchten.
Du musst nicht gleich zusagen. Wir kommen alle heute Abend zu deinem Auftritt, danach könnt ihr euch kennenlernen. Wenn du nicht willst, finden wir eine andere Lösung.
Jacky war ausnahmsweise bemüht, es allen recht zu machen und vor allem Martin nicht erklären zu müssen, dass sein Freund wochenlang auf dem Sofa schlafen sollte. Ich verzog das Gesicht. Irgendwie wäre es gemein von mir, Jacky und Martin acht Wochen oder länger davon abzuhalten, miteinander intim zu werden, weil ihr Hausgast im gleichen Zimmer schlief.
Seufzend schrieb ich meiner Freundin zurück.
Freu mich, wenn ihr alle kommt. Danach könnten wir ja in den Schlossgarten hochgehen. Ich entscheide mich heute Abend, keine Angst. LG
Das verschaffte mir ein wenig Bedenkzeit. Und das gefiel mir, denn tatsächlich verdrängte der mögliche Untermieter die verhauene Prüfung zuverlässig aus meinem Kopf.
Ich stieg in den nächsten Bus und fuhr nach Hause auf den Emmertsgrund. Ahmeds und meine Wohngemeinschaft befand sich in einem der Hochhäuser am Jellinekplatz, wo wir eine Dreizimmerwohnung im fünften Stock mieteten. Wir hatten sowohl Aussicht auf den dichten grünen Wald als auch auf die weitläufige Rheinebene. Trotz der lauten Nachbarn ein absoluter Pluspunkt.
Weil die Wohnungsbaugesellschaft lieber Paare und Familien in ihren Apartments haben wollte, hatten Ahmed und ich uns kurzerhand als Pärchen ausgegeben. Jacky zog uns gerne damit auf, aber das störte mich nicht. Ahmed war im letzten Jahr zu meinem besten Freund geworden.
Im Bus checkte ich noch einmal mein Handy. Meine Mutter erkundigte sich in einer weiteren Nachricht, wie ich mich bei meiner Klausur geschlagen hatte. Sie nannte mich im Gegensatz zu allen anderen immer bei meinem Taufnamen, Eveline, doch für mich hörte sich das an, als würde sie nach einer alten Dame rufen. Eveline durften mich die Leute nennen, wenn ich über sechzig war.
Zuhause ertappte ich mich dabei, wie ich den durch die Prüfungsvorbereitung schwer vernachlässigten Haushalt auf Vordermann brachte. Ahmed hatte heute früh für mich eingekauft, denn der Kühlschrank war gefüllt und ein Zettel klebte an der Tür, wie viel Geld mein Mitbewohner aus der Haushaltskasse genommen hatte. Noch bevor ich mit dem Ausräumen der Spülmaschine anfing, schrieb ich ihm eine kurze Nachricht und bedankte mich bei ihm.
Zwei Stunden später war die Küche sauber, der Müll stand bereit zum Runtertragen im Hausflur und die zweite Maschine mit meiner Kleidung lief, während die erste Ladung auf der Loggia in der Sonne trocknete.
Bei den sommerlichen Temperaturen würde ich sie in wenigen Stunden in den Schrank räumen können.
Als nächstes machte ich mich daran, mein Zimmer aufzuräumen und bei Ahmed durchzulüften. Bei ihm war sogar das Bett gemacht. Streber.
Nach kurzem Zögern zog ich sein Bett ab und ließ die wenigen getragenen Klamotten im Wäschekorb verschwinden. Ob hier nun ein Übernachtungsgast wohnte oder nicht, Ahmed würde sich freuen, dass ich diese unliebsame Aufgabe erledigt hatte.
Ich brachte es nicht fertig, mich für fünf Minuten auf meinen Hintern zu setzen. Kribbelig, vor allem wegen des Auftritts, holte ich den Staubsauger aus der Abstellkammer und nahm mir Zimmer für Zimmer vor.
Schwitzend saugte ich die ganze Wohnung. Erst als ich akribisch die Badewanne schrubbte, gestand ich mir ein, dass ich weniger wegen des Tanzauftritts aufgeregt war, sondern weil ich es kaum erwarten konnte, zu erfahren, wen Jacky und Martin mir heute Abend vorstellen würden.
Wie sollte ich ihm Obdach verweigern, wenn dieser Freund aus Amerika total nett war? Und vielleicht war er ja gut in Latein. Oder Französisch.
Bei diesem zweideutigen Gedanken kroch noch mehr Hitze meinen Hals hinauf.
Mist.
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