Terror in Deutschland - eBook-Ausgabe
Die tödliche Strategie der Islamisten
„Wenige Journalisten in Deutschland besitzen einen derartigen Sachverstand beim Thema islamistischer Terror wie Elmar Theveßen. (...) So kritisiert er, dass man sich auf repressive und militärische Maßnahmen konzentriere. Die Auseinandersetzung mit der Ideologie komme hingegen zu kurz oder finde nicht statt.“ - Kleine Zeitung (A)
Terror in Deutschland — Inhalt
Die Terroranschläge in Paris und Brüssel haben viele Menschen zutiefst verunsichert; nun warnen die Geheimdienste vor Selbstmordattacken in Kirchen und auf belebten Plätzen in deutschen Großstädten. Doch viel beunruhigender sind die Informationen, die vor der Bevölkerung geheim gehalten werden. Am Düsseldorfer Flughafen wird ein Mann festgenommen, der auf einem USB-Stick Terrorpläne des IS mit sich führt: 500-800 Schläfer sollen für Angriffe in ganz Europa bereitstehen. Die Islamisten führen ihren Kampf nach einem detaillierten Drehbuch. Ihr Ziel ist der endgültige Sieg über die westlichen Gesellschaften. Deren Politiker wirken überfordert. Elmar Theveßen präsentiert neueste Erkenntnisse über die Bedrohungslage in Deutschland und fordert ein konsequentes und kompromissloses Gesamtkonzept im Kampf gegen Islamismus und Terrorismus.
Leseprobe zu „Terror in Deutschland“
Prolog Die Falle schnappt zu
9/11 war eine große Falle, und wir sind mitten hineingetappt. Die Islamisten konnten nicht wissen, dass es funktionieren würde. Aber ihr Anführer war damals schon davon überzeugt. Ein Jahr nach den Anschlägen von New York und Washington forderte Osama bin Laden in einer Audiobotschaft junge Muslime rund um den Globus dazu auf, „Ritter des Kampfes“ zu sein und „Helden der Schlacht“, um die „Würde und Macht des Islam“ wiederherzustellen. Der Anführer der al-Qaida wollte, dass sie in seine Fußstapfen treten: »Wir Männer reiferen [...]
Prolog Die Falle schnappt zu
9/11 war eine große Falle, und wir sind mitten hineingetappt. Die Islamisten konnten nicht wissen, dass es funktionieren würde. Aber ihr Anführer war damals schon davon überzeugt. Ein Jahr nach den Anschlägen von New York und Washington forderte Osama bin Laden in einer Audiobotschaft junge Muslime rund um den Globus dazu auf, „Ritter des Kampfes“ zu sein und „Helden der Schlacht“, um die „Würde und Macht des Islam“ wiederherzustellen. Der Anführer der al-Qaida wollte, dass sie in seine Fußstapfen treten: „Wir Männer reiferen Alters haben für die Jungen der Ummah[Gemeinschaft] Wegweiser für den Dschihad aufgestellt und den Pfad für sie vorgezeichnet. Ihr Jungen, ihr müsst diesem Weg nur folgen.“ Sein Plan ging auf, sichtbar nicht nur an den Tausenden junger Menschen aus Westeuropa, die in den vermeintlichen „heiligen“ Krieg nach Syrien gezogen sind, oder an den menschenverachtenden Mördern, die im Herzen unseres Kontinents mittlerweile Hunderte von Menschen getötet haben. Sondern auch an einem Europa, dessen Gesellschaften sich, von Angst getrieben, immer weiter polarisieren und dessen viel beschworene Wertegemeinschaft sich gerade in Luft auflöst. Sein Plan ging auf, weil wir genau das getan haben, was er von uns erwartet, ja sogar einkalkuliert hat in seinem perfiden Plan. Wir haben so gehandelt, wie wir immer handeln – kurzsichtig, reflexhaft, berechenbar.
Bin Laden ist seit mehr als fünf Jahren tot, aber seine Worte wirken mehr denn je unter jungen Männern und Frauen, die Sehnsucht verspüren, „Ritter“ zu sein und „Helden“ in einem Kampf, den die Islamisten zu einem gerechten Krieg gegen die Ungerechtigkeiten unserer Welt hochstilisieren. Das dumme Argument funktioniert nur, weil wir in der beispiellosen Herausforderung des 11. September 2001 nicht die Notwendigkeit für neue Regeln und Strukturen erkannten. Wir hätten dem globalen Terrorismus den fruchtbaren Boden, auf dem kommende Generationen sprießen, abgraben müssen, indem wir seine Ursachen bekämpfen. Welche „Wegweiser für die Jungen“ stellten wir stattdessen auf? Wir organisierten einen Krieg gegen den Terrorismus, der allein durch Streitkräfte, Nachrichtendienste und Polizei geführt wurde, und haben fast völlig dabei versagt, um die Köpfe und Herzen derer zu kämpfen, die jetzt die neue Generation eines Terrors ungekannten Ausmaßes sind.
Über die vergangenen 15 Jahre gab es zahlreiche Weggabelungen, an denen die Politik sich richtig hätte entscheiden können. Doch wo Mut erforderlich war, setzte sich Feigheit durch, wo Selbstbewusstsein gereicht hätte, brach Arroganz sich die Bahn, und wo Klugheit Erfolge gebracht hätte im Kampf gegen den Terrorismus, hat Naivität die Gefahr nur befeuert. All das Gerede von einer engeren Zusammenarbeit der Geheimdienste und Polizeibehörden Europas ist durch die Anschläge von Paris und Brüssel entlarvt als Ablenkungsmanöver von einer Politik, die eine nie gekannte Bedrohung für Europa geradezu mit erschaffen hat. Das wirft eine Menge Fragen auf. Haben die Islamisten recht, wenn sie sich für überlegen halten? Haben sie einen Plan, den wir nicht verstehen oder nicht ernst genug nehmen? Ist unser Gesellschaftssystem zu schwach, um mit der Herausforderung wirklich fertig zu werden? Nehmen wir – aus welchen Gründen auch immer – die Verbreitung der islamistischen Ideologie und die Entstehung dschihadistischer Terrorgruppen in Kauf? Stecken wir mitten in einem Kampf der Kulturen, der nur der Vorbote ist für eine neue Weltordnung? Und welche Gegenstrategie gibt es, um den Vormarsch des Islamismus zu stoppen und die tödliche Gefahr dauerhaft zu besiegen?
Viel steht auf dem Spiel auch für Deutschland. Die ersten „Soldaten des Kalifats“, so nennen sie sich selbst, haben nun auch in unserem Land zugeschlagen. Zuerst die Messerattacke eines 14-jährigen Mädchens auf Bundespolizisten in Hannover und das Bombenattentat jugendlicher Islamisten bei einer Hochzeitsgesellschaft im Sikh-Tempel von Essen. Dann folgt der blutige Juli: Kurz nachdem ein islamistischer Einzeltäter einen tonnenschweren Lastwagen auf der Promenade von Nizza als Waffe verwendet und 84 Menschen zermalmt hat, greift ein junger Asylbewerber mit einer Axt Passagiere in einem Zug nahe Würzburg an, verletzt fünf Menschen und wird schließlich von der Polizei erschossen. Tage später sprengt sich ein 27-jähriger, abgelehnter Asylbewerber aus Syrien am Rand eines Musikfestivals in Ansbach in die Luft. Beim ersten islamistisch motivierten Selbstmordattentat in Deutschland werden 15 Menschen verletzt. Alle Täter bekennen sich zur mörderischen Ideologie des IS, zwei bezeichnen sich in selbstgemachten Videos als „Soldaten“. Zwischen den Anschlägen versetzt der Amoklauf eines 18-jährigen Deutschen iranischer Abstammung die Einwohner Münchens in Angst und Schrecken. Wie die islamistischen Gewalttäter von Nizza und Ansbach gilt der Münchner Mörder als psychisch gestört und doch auch beeinflusst von extremistischem Gedankengut – in diesem Fall aus dem rechten, ausländerfeindlichen Spektrum. Alles Anzeichen dieses vermeintlichen „Kampfes der Kulturen“? Den islamistischen Terror nimmt der IS für sich in Anspruch. Auch wenn er die Taten nicht gesteuert hat, passen sie doch in seinen perfiden Plan, unsere Gesellschaften durch eine Kombination aus den Attacken einsamer Wölfe und straßenkriegsähnlichen Terrorangriffen zu spalten.
Mitten in Düsseldorf, in und an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee, sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft, reißen Dutzende Menschen mit sich in den Tod. Auf der belebten Straße, einer der Hauptverkehrsadern der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, rennen die Passanten in Panik davon, in die Fußgängerzone der Altstadt. Dort eröffnen acht Terroristen mit Kalaschnikows das Feuer, wahllos schießen sie auf Männer, Frauen und Kinder. Streifenpolizisten stellen sich ihnen entgegen, aber ihre Schutzwesten werden von den Kugeln der Attentäter durchschlagen. Die Beamten müssten aus dem Hinterhalt feuern, um eine Chance zu haben, doch dafür hat sie niemand ausgebildet. Als dann – endlich – Spezialkräfte der Polizei anrücken, zünden die Terroristen ihre Sprengstoffgürtel und töten so zahlreiche weitere Menschen. Genau so sah das Szenario aus, das sich der sogenannte Islamische Staat ausgedacht hatte. Wenn sich der Rädelsführer der Terrorzelle, ein Syrer namens Saleh Al-Ghadban, im Februar 2016 nicht der Polizei in Paris gestellt hätte, wenn er nicht seine Kameraden verraten hätte, wenn diese nicht von deutschen Spezialkräften verhaftet worden wären, dann wäre es im vergangenen Sommer vielleicht genau so geschehen – die erste vom IS beauftragte und gesteuerte Attacke in Deutschland. Ob die Terrorgefahr für Düsseldorf wirklich so ernst war, mag man bezweifeln. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Anhänger des IS ihren Krieg über Einzeltaten hinaus in die Straßen deutscher Städte tragen. Höchste Zeit, der Bedrohung neu und anders entgegenzutreten. Dazu bedarf es eines nationalen Konzepts, eingebettet in einen internationalen Masterplan. Unverzichtbare Grundlage dafür sind eine klare Definition nationaler Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine verlässliche Beteiligung an ihrer Durchsetzung. Dieses Buch ist ein Leitfaden für einen wirksameren Kampf gegen den Islamismus. Es beginnt mit einer ungeschminkten Lagebeschreibung der Bedrohung für Europa und Deutschland. Dabei werden auch die Details offengelegt, die nach den Worten des Bundesinnenministers die Bevölkerung verunsichern würden. Sie hat aber ein Recht darauf, die wirklichen Risiken und Gefahren zu kennen, damit sie lernen kann, mit ihnen umzugehen. Denn die Islamisten kalkulieren unsere Reaktionen mit ein in ihre langfristige und tödliche Strategie.
Deshalb ist es dringend notwendig, das Drehbuch des Terrors zu studieren (siehe Kapitel 2), in dem allen Beteiligten feste Rollen zugewiesen sind. Es liegt nicht an einem geheimen Ort, sondern ist frei verfügbar in den Pamphleten und Botschaften des Islamismus, die über das Internet und Soziale Medien verbreitet werden. Der sogenannte Islamische Staat (IS) geht strikt nach diesem Plan vor, und nur wer ihn durchschaut und die Rollenerwartungen durchbricht, kann die Strategie des IS zerstören. Die Islamisten folgen einer apokalyptischen Vision von der letzten, großen Schlacht zwischen den Muslimen und ihren Feinden, gefolgt von der Eroberung Roms. Damit war in der ursprünglichen Weissagung des Propheten zwar das alte Rom seiner Zeit, also Konstantinopel, gemeint. Heute aber ist das Ziel des Islamismus die Unterwerfung Europas. Die Anschläge sogenannter einsamer Wölfe in den vergangenen Jahren, die zweifachen Angriffe auf die französische Hauptstadt Paris, die Attacken gegen die EU-Stadt Brüssel, gegen den Flughafen Istanbul und die mörderische Todesfahrt mit dem Lastwagen auf der Promenade von Nizza waren nur die Vorboten für die nächste Eskalationsstufe, die nun auch Deutschland trifft. Seit Monaten registrieren die Sicherheitsbehörden einen massiven Anstieg von Hinweisen auf bevorstehende Attacken. Gleichzeitig legen es die Islamisten auf eine weitere Destabilisierung Europas an. Muslimische Gangs sollen No-go-Areas schaffen und den Konflikt mit der Polizei suchen, um die Stimmung in der Gesellschaft massiv aufzuheizen. Staatliche Repression und der Aufstieg rechtsradikaler Kräfte tragen zu einer weiteren Polarisierung bei, sodass im muslimischen Teil der Bevölkerung fruchtbarer Boden für eine weitere Radikalisierung entsteht. Schon jetzt sind fast 900 junge Männer und Frauen aus Deutschland, insgesamt mehr als 5000 aus der EU, dem Ruf des Islamischen Staates gefolgt. Das zweite Kapitel zeigt auch, warum sie magisch angezogen werden von der menschenverachtenden Ideologie des IS und wie gefährlich sie für unseren Staat jetzt schon sind.
Das dritte Kapitel erklärt, wie der IS entstehen konnte und inwieweit die USA und ihre Verbündeten die Gefahr selbst mit erschaffen haben, die sie nun kaum noch in den Griff bekommen können. Geschehen konnte dies auch durch die Suche der Supermacht nach neuen Strategien für den Umgang mit existenziellen Bedrohungen. Fünfzehn Jahre lang hatten wir Zeit, dies alles zu verhindern. Aber eine mögliche Gegenstrategie, das zeigt das vierte Kapitel, scheiterte an überforderten Sicherheitsbehörden, hilflosen Politikern und einer gespaltenen Gesellschaft aus naiven Gutmenschen und fremdenfeindlichen Büchsenspannern. Obwohl der Plan der Islamisten längst offenbar war, verschwendeten wir wertvolle Zeit. Die Ermittler waren ohnmächtig, weil die Bedrohung aus falsch verstandener Rücksicht heruntergeredet und verharmlost wurde. Gleichzeitig hatte der Islamismus zahlreiche Unterstützer, von reichen Gönnern in der arabischen Welt über staatliche Waffenlieferanten und Dschihadistenförderer bis zu einer international agierenden, islamfeindlichen Bewegung.
Droht nun – auch angesichts der massiven Flüchtlingsströme – ein Kampf der Kulturen? Dies ist ein Argument, das von all jenen verwendet wird, die ihre eigene, teils radikale Position mit einer scheinbaren Ausweglosigkeit rechtfertigen. Sie erklären angeblich hohe Geburtenraten zu demografischen Bomben, beschwören die Unlösbarkeit von Religionskriegen und die Unvereinbarkeit der Interessen planloser Großmächte. Mit diesen Überzeugungen, so zeigt es das fünfte Kapitel, müssen wir uns auseinandersetzen, um den Islamismus zu besiegen. Weil wir von ihrer Richtigkeit überzeugt waren, haben wir den Kampf gegen den Terrorismus darauf gegründet und damit das Gegenteil von unseren eigenen Zielen bewirkt. Es sind diese Annahmen, aus denen sich unsere Ängste und Sorgen speisen, die aber in Wirklichkeit in wesentlichen Teilen falsch sind. Nur wenn wir sie hinterfragen und ihrer schleichenden Wirkung in der Bevölkerung entgegenarbeiten, können wir verhindern, dass aus ihnen das wird, was die Islamisten am meisten herbeisehnen: eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Eine Gefahr abzuwenden reicht jedoch nicht aus. Es bedarf eines klaren Sieges über den Islamismus und einer dauerhaften Strategie, die neuen Bedrohungen vorbeugt. Darum geht es im sechsten und siebten Kapitel. Wie in der Flüchtlingskrise auch, ist ein noch so klares „Wir schaffen das“ nicht mehr als ein Lippenbekenntnis, wenn es nicht durch einen eigenen Masterplan flankiert und dieser dann mit aller Entschlossenheit umgesetzt wird. General von Clausewitz sprach einst vom absoluten Krieg, der mit allen Mitteln und bis zum Ende gekämpft werden müsse, schränkte aber selbst ein, dass es solch einen Krieg nicht geben kann, weil zu viele andere Faktoren in die Kriegführung mit einfließen. Er erfand dafür den Begriff des „wirklichen Krieges“, der seine Begrenzung darin finden muss, dass wir nicht das zerstören, was wir zu verteidigen vorgeben. Wir brauchen den gesamten Werkzeugkasten einer Smart Power, die Diplomatie und Entgegenkommen genauso hart und geschickt einsetzt wie die Anwendung tödlicher Gewalt. An dem einen Ende erfordert das einen militärischen Sieg über den IS und andere Terrorgruppen und schließt den Einsatz von Bodentruppen mit ein. Am anderen Ende steht eine Integrationspolitik, die alle Register zieht. Sie muss jungen Menschen – egal welchen ethnischen oder religiösen Hintergrunds – Chancen eröffnen, ihr Engagement in und für diese Gesellschaft einfordern und die Missachtung geltenden Rechts hart sanktionieren. Dies kann nur gelingen, wenn Konflikte um die richtige Politik und die Regeln des Zusammenlebens offen ausgetragen werden – ohne Tabus, aber in gegenseitiger Achtung der Menschenwürde.
Dieses Buch basiert auf umfangreichen Recherchen und intensiven Gesprächen mit führenden Politikern, hochrangigen Militärs, einflussreichen Wirtschaftsmanagern und Entscheidungsträgern von Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten. In Deutschland konnte ich mit Spitzenpolitikern von Regierung und Opposition sowie den Leitern und Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene reden. International nenne ich stellvertretend für mehrere Dutzend Gesprächspartner US-Senator John McCain, den IS-Beauftragten der amerikanischen Regierung General John Allen, den ehemaligen NSA- und CIA-Direktor Michael Hayden, den ehemaligen NSA-Chef Keith Alexander, den US-Heimatschutzminister Jeh Johnson, den britischen Geheimdienstkoordinator Charles Farr, die Außenminister Großbritanniens (Philip Hammond), Saudi-Arabiens (Adel al-Dschubeir), Irans (Mohammed Sarif), die Präsidentin Kroatiens (Kolinda Grabar-Kitarović), ehemalige Geheimdienstchefs von Saudi-Arabien und Pakistan sowie weitere Kontakte in Frankreich, Belgien, Marokko, Jordanien und Israel.
Unter den Informanten sind auch solche, die sich in der islamistischen Szene besonders gut auskennen, weil sie selbst dazugehörten. Einige waren gleichzeitig für westliche Geheimdienste tätig. Bei zahlreichen Sachverhalten müssen die Namen der Informanten jedoch ungenannt bleiben, weil sie um den Schutz ihrer Identität gebeten haben. Natürlich stammt auch vieles in diesem Buch aus offenen Quellen, die jedermann zugänglich sind, zum Beispiel aus deutschen und internationalen Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und wissenschaftlichen Publikationen. Einen Großteil der Informationen habe ich mithilfe der oben genannten Quellen verifizieren können. An manchen Stellen bleibt ein Restrisiko: Informationen, die zwar zu den übrigen Rechercheergebnissen passen, aber nicht unabhängig bestätigt werden konnten. Das betrifft insbesondere Informationen aus nachrichtendienstlichen Kreisen, die wiederum auf Quellen zurückgreifen, die entweder nicht namentlich genannt wurden oder deren Zuverlässigkeit sich nicht unabhängig bestätigen ließ. Natürlich sind manche Angaben, auf die ich mich stütze, auch interessengesteuert. Gerade bei behördlichen Quellen kann es vorkommen, dass das eigene Wirken in einem möglichst günstigen Licht erscheinen soll, während das der anderen kritisiert wird. Angesichts zahlreicher Terroranschläge und der anhaltenden Bedrohung ist es nur zu verständlich, dass niemand sich gern dem Vorwurf der Mitverantwortung oder Mitschuld am Versagen im internationalen Kampf gegen den Terrorismus aussetzt.
Im Jahr 2012 sprachen wir (mit „wir“ sind hier und im Folgenden ich und meine Kollegen vom ZDF gemeint) für eine ZDF-Dokumentation im Libanon mit dem islamistischen Hassprediger Omar Bakri, der von dort aus dschihadistische Gruppen in Syrien mit Geld, Waffen und neuen Kämpfern versorgt. Bakri hatte jahrzehntelang in London gelebt, die islamistische Bewegung Al-Muhadschirun gegründet und ungehindert Propaganda für die gewaltsame Errichtung eines Weltkalifats betrieben, bevor er 2005 nach einer Auslandsreise nicht mehr nach Großbritannien zurückkehren durfte. In diesem Interview machte Bakri eine düstere Prophezeiung: „Amerika und Europa werden nie wieder Sicherheit und Stabilität erleben. Mein Rat an euch lautet: Wendet keinen Zwang und keine Gewalt im Namen des Gesetzes gegen die muslimische Gemeinde in Europa an. Bei euch im Westen leben achtzig Millionen Muslime, und wenn unser Islamischer Staat hier erst mal errichtet ist, dann geben wir ihnen Rückendeckung.“ Nun ist ein sogenanntes Kalifat errichtet, das ständig neue Anhänger gewinnt. Nun schließen sich junge Menschen quer durch Europa diesem „Heiligen Krieg“ an. Und mit den Anschlägen von Paris und Brüssel haben sie den Kampf auf breiter Front auch hier begonnen. Es ist höchste Zeit, dies zu beenden – mit aller Entschlossenheit und Macht, gleichzeitig aber auch mit Klugheit, um die Pläne der Islamisten zu durchkreuzen, statt ihnen ständig neue Nahrung zu geben. Es gibt keinen Zweifel, dass auch die Zukunft Jahre der Ungewissheit, der Konflikte und der anhaltenden Bedrohung bringen wird. Wir werden lernen müssen, damit zu leben.
1 Die neue Front in Europa
„Zuerst werden in diesen Ländern bestimmte Leute entführt, dann enthauptet. Das wird gefilmt und veröffentlicht. Dann kommt die zweite Phase, in der sie die Anschläge mit VX-Gas verüben.“ Er redet leise, sein Englisch ist nicht sonderlich gut, doch die Klarheit seiner Worte würde die anderen Gäste im Café Landtmann in Panik versetzen. Zum Glück ist es frisch draußen an diesem Oktobertag in Wien, sodass wir beinahe allein sind im Außenbereich des altehrwürdigen Kaffeehauses. Omar nennt sich der Mann, der uns dringend treffen wollte, weil er wichtige Informationen über den Islamischen Staat besäße. Viele behaupten das, aber er erwähnte am Telefon den Namen eines IS-Funktionärs, mit dem eine ZDF-Journalistin ja in Kontakt gewesen sei. Woher wusste er davon?
Also bin ich gemeinsam mit der Kollegin in die Stadt geflogen, die in Zeiten des Kalten Krieges ein beliebter Tummelplatz für Spione war. In jüngster Zeit gilt Wien als Drehkreuz für Islamisten, die zwischen Europa und den Kriegsgebieten in Syrien und Irak pendeln. Der Logistikchef der November-Anschläge von Paris, Salah Abdeslam, war offenbar mehrfach hier gewesen. Kein Wunder, dass die österreichische Hauptstadt auch Geheimdienste wieder magnetisch anzieht. „Wenn die Enthauptungen im Internet veröffentlicht werden, ist dies das Signal für die anderen loszuschlagen“, erzählt uns Omar. Das Szenario klingt plausibel und unglaublich zugleich. Enthauptungsvideos sind 2014 zum Markenzeichen für den Blutrausch des IS geworden. Aber chemische Waffen hatten die Terroristen bis zum Zeitpunkt unseres Treffens noch nicht eingesetzt. Erst Mitte 2015 wird es erstmals Hinweise auf einen Angriff mit Senfgas gegen kurdische Peschmerga-Kämpfer geben. Deshalb scheint es im Nachhinein doch möglich, dass den Islamisten bei ihrem Eroberungsfeldzug Überreste des syrischen Chemiewaffenprogramms in die Hände gefallen sind, darunter auch Stoffe wie Sarin oder VX. Letzteres ist das schlimmste künstliche Nervengift, das es gibt. Zehn Milligramm auf der Haut oder das Einatmen von dreißig Milligramm verursachen eine totale Muskellähmung, Menschen ersticken innerhalb weniger Minuten. Das Gift ist geschmack- und geruchlos, ein ideales Werkzeug für Terrorangriffe in Bahnhofshallen und auf belebten Plätzen.
Genau da, und in Kirchen, so sagt Omar, sollen die Bomben explodieren. Er selbst sei als Koordinator der zeitgleichen Angriffe in Deutschland, Spanien und Norwegen vorgesehen. „Warum ausgerechnet diese Länder?“, will ich wissen. Seine Antwort: „Norwegen, Deutschland und Spanien sind aus unterschiedlichen Gründen im Visier. In Norwegen war die Premierministerin bei Demonstrationen gegen den IS dabei. Auch die deutsche Regierung hat sich gegen den IS gewendet. Und Spanien ist ein ehemaliges muslimisches Land, deshalb wurde es als Ziel ausgewählt. Es werden vor allem Kirchen sein, weil da sehr viele Menschen sind. Sie wollen dafür VX nehmen, weil es sich schnell ausbreitet.“ Tatsächlich hatte Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg im August 2014 gemeinsam mit 50 000 Menschen in Oslo an einer Kundgebung gegen den Islamischen Staat teilgenommen. Bei der Demonstration nannte eine junge Muslima den IS eine „widerliche Ideologie“. Sie sei, so erzählt Omar uns, eines der geplanten Entführungsopfer, die dann vor laufender Kamera geköpft werden sollen. Damit und mit den VX-Anschlägen will unser Gesprächspartner nichts zu tun haben, das gehe einfach zu weit. Deshalb habe er uns kontaktiert.
Wir sind nicht sicher, was wir von ihm halten sollen. Er nennt uns nicht nur konkrete Anschlagsorte, will sogar die Namen der beteiligten Terroristen verraten und uns Beweisfotos geben, sondern schildert auch seine Erlebnisse in einer Halbwelt zwischen einem berüchtigten Geheimdienst und dschihadistischen Terrorgruppen in Syrien und Irak. Daher kennt er offenbar auch den IS-Kontakt meiner Kollegin persönlich, obwohl dessen Name nie veröffentlicht wurde. Viel Geld will er nicht, nur ein Flugticket weg aus Europa, um unterzutauchen. Und wir dürften alle Informationen gern an die Sicherheitsbehörden weitergeben, mit denen er selbst nicht sprechen will, weil er eine Gefängnisstrafe befürchtet. Am Ende des dreistündigen Gesprächs versprechen wir, über sein Angebot nachzudenken, und verlassen Wien, die Stadt der Spione und Islamisten. Die nachfolgenden Recherchen werden uns schnell wieder mit ihm zusammenführen, aber davon später …
„Theveßen hinterlässt mit seiner Analyse ein flaues Gefühl beim Leser angesichts der inzwischen vielköpfigen Hydra, die unsere Welt bedroht. Aber er zeigt eben auch Wege, besser als die Gefahr zu bekämpfen: Mit Verstand und Herz, aber wenn nötig auch mit konsequenter Gewalt.“
„Wenige Journalisten in Deutschland besitzen einen derartigen Sachverstand beim Thema islamistischer Terror wie Elmar Theveßen. (...) So kritisiert er, dass man sich auf repressive und militärische Maßnahmen konzentriere. Die Auseinandersetzung mit der Ideologie komme hingegen zu kurz oder finde nicht statt.“
„Eine neue, sorgfältige Dokumentation eines langjährigen Beobachters der Islamisten-Szene zeigt das Ausmaß der Gefahr. Ein wichtiges Buch.“
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