The Darkest Queen (Darkest Queen 1) The Darkest Queen (Darkest Queen 1) - eBook-Ausgabe
Kuss der Dämonen
— Düstere Romantasy„Finstere High-Fantasy-Lektüre mit starken Gefühlen, glühender Leidenschaft und dunkler Romantik.“ - CarpeGusta - Das Magazin für Genießer
The Darkest Queen (Darkest Queen 1) — Inhalt
Ein Kuss, der Macht verleiht – doch ist er genug, um die Welt zu retten?
42 Thronanwärterinnen, eine Halbdämonin und der Prinz, den sie umbringen will.
Halbdämonin Skylar muss um jeden Preis an der Brautschau des Prinzen teilnehmen. Und das nicht, weil sie ihn für sich gewinnen will. Im Gegenteil, sie muss ihn töten und seine Schwester heiraten. Nur so kann sie die Macht über das Land erlangen. Denn genau das verlangt Dämon Andras, dem sie drei Jahre lang dienen muss, von ihr. Sollte sie scheitern, droht das große Sünderfressen, und die Welt wird im Chaos versinken. Doch mächtige Feinde kommen Skylar in die Quere genau wie ihre wachsenden Gefühle für Prinz Read, der ihr Herz und ihre Absichten ins Wanken bringt.
Mitreißend und düster-romantisch!
Leseprobe zu „The Darkest Queen (Darkest Queen 1)“
Kapitel 1
Wenn der Dämon nicht gewesen wäre, ich hätte keinen Fuß in das Schloss dieses dämlichen Prinzen gesetzt. Wirklich. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich das Tuscheln. Und dahinter den Fluss, der sich wie eine Schlange durch die Stadt wand und hinter dem königlichen Schloss verschwand.
Ein Ball, um den Prinzen zu verkuppeln. In seinem zwanzigsten Erntejahr. Hatte man je etwas Klischeehafteres gehört? Fast hätte ich mich genauso klischeehaft geschüttelt. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Tausende Augenpaare auf mich gerichtet waren. Denn ich [...]
Kapitel 1
Wenn der Dämon nicht gewesen wäre, ich hätte keinen Fuß in das Schloss dieses dämlichen Prinzen gesetzt. Wirklich. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich das Tuscheln. Und dahinter den Fluss, der sich wie eine Schlange durch die Stadt wand und hinter dem königlichen Schloss verschwand.
Ein Ball, um den Prinzen zu verkuppeln. In seinem zwanzigsten Erntejahr. Hatte man je etwas Klischeehafteres gehört? Fast hätte ich mich genauso klischeehaft geschüttelt. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Tausende Augenpaare auf mich gerichtet waren. Denn ich war auf dem Weg zu ebendiesem Prinzen. Der Auftrag, auf den mich der verdammte Dämon drei Erntejahre lang vorbereitet hatte. Unauffällig hob ich den Taftrock an meinem Kleid an, um meine Finger am Stoff abzuwischen. Wenn einfach alles auf dem Spiel stand, konnte es vorkommen, dass selbst mir der Schweiß ausbrach. Die Kunst bestand darin, es niemanden merken zu lassen. Ich hob den Kopf. Die achtzig Stufen bis zum Schlossportal konnte ich sicher als Vorwand für meine schweißnassen Finger ausgeben. Einen Moment atmete ich tief ein, genoss den kühlen Windhauch auf meinen nackten Schultern. Auf den weißen Marmorstufen spiegelte sich das Mondlicht. Genau wie in der Nacht, die mein Leben verändert hatte. Vor ziemlich genau drei Erntejahren.
Noch zwanzig Stufen, vielleicht weniger. Mit meinen Eckzähnen zwickte ich mir von innen in das Fleisch meiner Wange, die sich nun wie ein aufgeschlitzter Fisch anfühlte. Wieso gestattete ich es meinen Gedanken, derart abzuschweifen? Man könnte meinen, ich hätte sämtliche Trainingseinheiten von Andras, meinem dämonischen Ausbilder und seines Zeichens einer der obersten Dämonenfürsten, verdrängt. Das Raunen der Bevölkerung am Fuß der Treppe verstummte langsam. Auf dieser Höhe konnte ich sie zumindest nicht mehr hören. Dabei war mir durchaus bewusst, dass ich nur noch einen einzigen Gedanken zulassen durfte. Den an unseren Plan. Ansonsten war nicht bloß diese Stadt verloren. Bevor ich das oberste Plateau vor den Flügeltüren zum Schloss erreichte, warf ich einen Blick zurück. Auf die Bevölkerung und die letzten zwei Mädchen in Ballkleidern, die mir nach oben folgten. Wem machte ich etwas vor? Sie alle bedeuteten mir nichts. Nur Harlyn bedeutete einfach alles für mich. Andras und ich waren den Plan mehr als hundertmal durchgegangen, vielleicht annähernd tausendfach. Ich wusste, was ich zu tun hatte, um das Große Sünderfressen der Dämonen zu stoppen. Den Tag, an dem sich alles ändern würde. An dem Sünder wie ich von Dämonen gefressen wurden. Unumstößlich. Zusätzlich hatte Andras versprochen, sollte ich es aufhalten können, würde er meine Zwillingsschwester von den Toten zurückholen. Das war Ansporn genug.
Entschlossen warf ich die restlichen Haare, die nicht halb hochgesteckt und mit rubinbespickten Nadeln fixiert waren, über meine Schulter. „Gräfin Calla Da Silva“, informierte ich den weiß behandschuhten Pagen mit seiner Pergamentrolle, der den Türsteher spielte. Es gab lediglich einen Weg: Indem ich den Prinzen tötete und seine Schwester heiratete, würde ich sie alle retten. Auch diesen Jungen vor mir, bei dessen Anblick mir sofort das Wort „Opfer“ durch den Kopf schoss. Der erste Eindruck, der sich bei mir meist bewahrheitete. Meine Schicksalssicht, wie Harlyn es genannt hatte. Gut, ihn konnte ich vermutlich nicht retten. Dagegen hoffentlich so viele wie möglich in dieser Stadt und auf dem ganzen Kontinent, deren Leben durch das Große Sünderfressen auf dem Spiel stand. Allen voran Graf Prahar und Risha – die beiden Sterblichen, die einer lebenden Familie für mich am nächsten kamen. Ich blinzelte, verbot mir, daran zu denken, was geschehen würde, wenn der Plan scheiterte. Auch mit mir. Denn nicht nur der Graf hatte unbeschreibliche Sünden begangen, sondern auch ich. Wie fast alle Menschen – weshalb die Dämonen uns beim Großen Sünderfressen als Erste verschlingen würden.
„Da Silva“, murmelte der Page. Auf dem Pergament bemerkte ich, dass einige der Namen in goldenen, andere in silbernen Lettern geschrieben waren, die meisten jedoch mit einem tiefschwarzen Kohlestift. Diejenigen, die ganz unten standen. Wie mein Name. Der drittletzte. Niemand würde an diesem Abend auf mich setzen. Mein Herz sackte genau wie mein hektischer Atem in meinen Magen und schnellte dann wieder nach oben. Ich musste das Reinheitsritual überstehen, den Prinzen für mich gewinnen und ihn in weniger als zwei Monden töten, koste es, was es wolle. Den Prinzen verführen, den Prinzen töten, seine Schwester heiraten, betete ich wie ein Mantra in meinem Kopf herunter.
Kapitel 2
Zwei Pagen führten mich in einen Nebenraum, in dem schon einige Mädchen in den kostbarsten Ballkleidern auf Stühlen und Chaiselongues saßen. Einige unterhielten sich gedämpft. Was mir direkt auffiel, war erstens, wie sie mich musterten – was sie höchstwahrscheinlich bei jedem Neuankömmling vor mir getan hatten –, und zweitens, dass einige von ihnen Diademe trugen. Auf dem Kopf eines Mädchens mit dunkelblondem Haar und eisblauen Augen funkelte sogar eine ausladende Krone. Selbstverständlich wusste ich, wer sie war. Prinzessin Amaryllis. Sowohl mein Herr und Meister auf Zeit – Dämonenfürst Andras – als auch Graf Prahar Da Silva hatten mir Zeichnungen von den höchsten adeligen Junggesellinnen der fünf Königreiche gezeigt, die bei der ersten Auswahl dabei sein würden. Ich zwang mich, flach zu atmen, unauffällig jedes der Mädchen zu mustern. Beginnend mit Prinzessin Amaryllis, der künftigen Großfürstin der Seenlande. Sollte sie Prinz Read heiraten, würden sie beide nicht nur über Itdris, meine Heimat, herrschen, sondern auch über die Seenlande.
Es stellte sich heraus, dass die beiden Mädchen, die nach mir eintrafen, Bürgerliche waren. Mutig. Bürgerliche wurden traditionell, wenn sie bei der Brautschau ausschieden, getötet. Lediglich wirklich verzweifelte nicht adelige Frauen nahmen daher daran teil. Ich musterte das Mädchen, das viel zu jung aussah, vielleicht erst fünfzehn Erntejahre, und dazu mager wie ein trockener Zweig daherkam. Ihr rotbraunes Haar hing glatt herunter. Durch das beige Kleid mit den Puffärmeln wirkte sie recht blass. Die andere Bürgerliche trug Schwarz. Aus diesen beiden Farben durften Nichtadelige bei Bällen wählen. Das war aber auch alles. Die zweite Bürgerliche scannte die Adeligen, wie es gewöhnlich Wachmänner taten, die potenzielle Bedrohungen einschätzten. Durch ihre rechte rabenschwarze Augenbraue zog sich eine Narbe, was sie nicht nur schön, sondern auch interessant machte. Ebenso das nachlässig hochgesteckte schwarze Haar. Gerade bei ihr hätte ich angenommen, dass sie sich besonders viel Zeit für ihr Äußeres genommen hätte.
Mein jadegrünes Kleid war tatsächlich so geschnitten, dass es meiner Figur schmeichelte und dazu genügend versteckte Taschen für Waffen bot. Obwohl mir natürlich meine Gabe als wirksamste Waffe blieb. Fluch und Segen zugleich. Und weil sie ausschließlich bei Frauen wirkte, musste Prinz Read sterben – etwas, was ich gern verhindert hätte, wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen, doch ihn würde ich nie aussaugen und im Anschluss kontrollieren können. Dazu kam, dass ich es mir nicht leisten konnte, zu offenbaren, dass ich eine Halb-Reeva war. Aus eindeutigen Gründen. Da musste man sich hier bloß umsehen. Wie schon im Eingangsbereich des Schlosses und auch auf dem Korridor, der sich daran anschloss: Überall standen Ritterrüstungen herum, die Schrumpfköpfe von Dämonen in einer Hand hielten oder als Ketten trugen. Dazu überall Bilder an der Wand, die die Königin, den verstorbenen König oder deren Vorfahren zeigten, wie sie Dämonen ein Schwert sonst wohin rammten oder meinesgleichen enthaupteten. Ich kniff die Augen zusammen, als mein Blick auf ein besonders scheußliches, riesiges Gemälde fiel, das die Königin zeigte, die ein Schwert mitten durch das Auge eines Sukkubus stieß. Der weibliche Dämon mit dem Teufelsschwanz hatte seinen Kopf nach hinten geworfen und schrie. Autsch! Genau das taten Menschen mit Dämonen wie mir. Am Ende war es gut, dass mich diese Bilder an meinen Auftrag erinnerten und daran, dass die Anwesenden hier niemals meine Freunde werden konnten. Ich war zumindest zur Hälfte eine Reeva und damit eine nahe Verwandte von einem Sukkubus. Also zwang ich mich, das Bild länger zu betrachten. Dieses Schicksal würde auch meines sein, wenn sie herausfanden, dass ich eine Halbdämonin war.
Das Getuschel wurde lauter. Amaryllis, umgeben von zwei blonden Mädchen, von denen eine einen viel zu grellen roten Lippenstift trug, lästerte über die Bürgerlichen. Die jüngere im beigen Puffärmelkleid wusste offenbar gar nicht, wo sie hinsehen sollte, senkte den Kopf. Sicherlich verstand sie, dass es um sie ging. In meinen Fingerspitzen kribbelte es. Füllten sich ihre Augen gerade mit Tränen? Die ältere im schwarzen Kleid ballte die Hände zu Fäusten, sagte jedoch nichts.
Das Bedürfnis überkam mich, der jungen Bürgerlichen einen Arm um die Schultern zu legen – was natürlich ein vollkommen unsinniger Gedanke war.
„… so gut wie tot“, ätzte Prinzessin Amaryllis. Herzogin Margerite, die perlrosa Lippenstift aufgetragen hatte, stand links neben ihr und kicherte.
Ich atmete tief ein. „Heute Abend sind wir alle gleich vor dem Prinzen“, sagte ich laut, ehe ich mich zurückhalten konnte. „Noch ist keines unserer Schicksale entschieden.“
„Du solltest ganz ruhig sein, Da Silva“, fuhr mich Amaryllis ohne jegliche Höflichkeitsform an. Mein Einwurf schien sie nicht erzürnt zu haben. Stattdessen sprach sie mit mir wie mit einer Dienerin. „Du wirst nicht mal das Reinheitsritual bestehen. Wie man hört, hast du bereits heimlich ein Kind entbunden.“
Mist, wie konnte sie das wissen? Tatsächlich hatte ein ähnliches, wenn auch weitaus schlimmeres Schicksal die echte Calla Da Silva ereilt, deren Platz ich eingenommen hatte. Und das Reinheitsritual vor dem Ball konnte mir wahrlich gefährlich werden, bloß aus anderen Gründen. Wenn Andras recht hatte, würde die Königin damit nicht nur Jungfrauen von Nichtjungfrauen unterscheiden können, sondern auch Dämonen von Nichtdämonen. Ersteres war kein Problem für mich, Zweiteres schon.
„Du wirst gleich sehen, dass das lediglich ein fieses Gerücht ist“, erklärte ich mit erhobenem Kinn, obwohl das Gegenteil der Fall war. Immerhin konnte ich mit einem bestandenen Test die Ehre der echten, verstorbenen Calla Da Silva wiederherstellen, was ein kleiner Trost für den Grafen sein würde. Ach, Graf Prahar … auf einmal vermisste ich ihn schrecklich. Und noch mehr seine Hausangestellte Risha.
Ein Klopfen unterbrach meine Gedanken. Wieder ein behandschuhter Page in einem schwarzen Jackett mit goldenen Knöpfen. Er verneigte sich vor uns, wobei mir auffiel, wie jung er war. Vielleicht erst vierzehn oder fünfzehn Erntejahre und damit noch jünger als die schmale Bürgerliche. „Die Königin ist nun bereit, das Reinheitsritual durchzuführen.“
Natürlich würde das die Königin höchstpersönlich übernehmen. Nur mit Mühe konnte ich mir ein Augenrollen verkneifen. Wie es wohl ablaufen würde? Selbst Andras konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie genau die Königin vorhatte, uns zu testen. Zweifellos die größte Hürde für mich an diesem Abend, doch ich zwang mich, nicht mehr auf die Innenseite meiner Wange zu beißen.
Junge Frauen mit rauschenden Kleidern in allen Farben quollen durch die Tür. Den Abschluss bildeten erneut die beiden Bürgerlichen.
Das Mädchen im schwarzen Kleid hielt mir mit einem anerkennenden Nicken die Tür auf. Zuerst verstand ich nicht, woher das kam, bis ich begriff, dass sie es guthieß, wie ich Amaryllis die Stirn geboten hatte.
„Danke!“ Ich versuchte mich an einem Lächeln, was nicht gerade meine Spezialität war und vermutlich grässlich misslang.
Ich war schon halb aus der Tür. Spielte an meinen dunklen Haarsträhnen, als ich mich noch mal zu ihr umdrehte. „Wieso tust du dir das an? Du weißt, was für dich auf dem Spiel steht?“ Was für eine Frage! Sie konnte wohl kaum so unwissend sein, dass ihr die Konsequenzen ihrer Teilnahme nicht bewusst waren. Oder nicht? Vielleicht hatte ich in den letzten drei Erntejahren zu viel unter Dämonen statt unter Menschen gelebt. Vielleicht hatten sich die Regeln dieser Welt verändert.
Ihr Körper wirkte auf einmal steif. Fast glaubte ich, sie würde mir überhaupt nicht antworten, doch dann senkte sie den Blick. „Manchmal muss man Opfer für ein höheres Ziel bringen.“
Ich blinzelte. Wenn jemand wusste, wie sich das anfühlte, dann ich. „Aber … heiligt in deinem Fall der Zweck wirklich die Mittel?“
„Du meinst meinen Einsatz?“ Ihre Augen glühten förmlich, sobald sie ihr Kinn hob. „Für mich schon.“
Ich nickte. Damit war alles gesagt, und wir drohten bereits den Anschluss zu verlieren.
Wir hasteten den anderen hinterher bis zu einem runden Raum voller Marmorsäulen und Eimern, gefüllt mit Wasser. Eimer, gefüllt mit Wasser? Sollten wir etwa putzen? Oder uns waschen? Sah so das Reinheitsritual der königlichen Familie aus? Weder Andras noch Graf Prahar hatten das genau sagen können. Es gab zahlreiche Möglichkeiten, um zu prüfen, ob ein Mädchen noch unbefleckt war. Einige moralisch verwerflicher als andere. Noch eine Unbekannte in unserem Spiel – eine besonders gefährliche, wenn man bedachte, dass genau dieses Ritual meinen Tod bedeuten könnte. Wieder glitt mein Blick über die gerahmten Bilder an der Wand. Sie alle zeigten den verstorbenen König oder die Königin – bei dem wenigen Licht in diesem Raum konnte man bloß kaum sagen, wen von beiden die Gestalt darstellen sollte. Noch dazu trugen beide dieselbe Langhaarfrisur auf den Bildern, und die Königin besaß markante, harte Gesichtszüge, ganz ähnlich wie ihr Mann. Jedenfalls war einer von beiden auf einem Bild ganz in meiner Nähe zu sehen, wie er oder sie einer gehörnten Frau den Kopf abschlug. Sehr … einladend, was Gäste wie mich betraf.
Alle Mädchen hatten sich nahe der Tür in einem Knäuel an Reifröcken versammelt, offenbar unschlüssig, was sie tun sollten.
Während ich noch ein Bild nach dem anderen betrachtete, die an den blaugrünen Marmorwänden hingen, öffnete sich eine Tür am anderen Ende des runden Saals.
Ein Page hielt die massive Tür für niemand Geringeres als die Königin höchstpersönlich auf. Gekleidet in ein bodenlanges Kleid mit Trompetenärmeln und mit ihren weißblonden Haaren erinnerte sie mich an eine Elfe. Sie hatte einen Teil ihrer Haare geflochten, was den Eindruck noch verstärkte. Und das Kleid von der Farbe getrockneten Bluts vermittelte, wie viel Gefahr von ihr zweifellos ausging.
„Willkommen!“ Ein schmales Lächeln von einer schmalen Königin, die ihren Sohn verheiraten wollte oder, besser gesagt, musste. An eine von uns. Irgendwie verlieh mir der Gedanke Auftrieb. Mit einer Hand fächelte ich mir Luft zu, bedeutete einem Pagen, das Fenster zu meiner Linken zu öffnen, obwohl ich mich in diesem Moment nicht kälter hätte fühlen können. Schritt eins meines Plans.
„Liebe Prinzessinnen, Edelfrauen, Damen und Bürgerliche.“ Das letzte Wort betonte Königin Marigold so, als hätte sie Mühe, es auszusprechen. Es klang aus ihrem Mund eher, wie wenn man einen Frosch auswürgte. Und damit kannte ich mich aus.
„Ich freue mich, Euch zu sehen. Bevor Ihr gleich meinem Sohn, dem Kronprinzen von Itdris, vorgestellt werden könnt, müsst Ihr Eure Reinheit unter Beweis stellen. Dafür wird jede von Euch mit nackten Füßen in einen Eimer voll Weihwasser steigen.“ Sie wies auf den Kreis aus Metalleimern, die in der Mitte des Saals noch vor den Marmorsäulen aufgestellt waren. „Zweiundvierzig Eimer für zweiundvierzig Anwärterinnen um die Hand meines Sohnes.“
Für meinen Geschmack machte sie wirklich etwas viel Aufhebens um ihren Sohn. Allerdings bereitete mir die Sache mit dem Weihwasser größere Sorgen. Sobald ich mit dem Zeug in Berührung kam und vor Schmerzen schrie, wäre ich aufgeflogen.
„Das Weihwasser ist so präpariert, dass es ein weißes Leuchten erzeugt, wenn sich eine Person mit reiner Seele hineinbegibt“, erklärte die Königin weiterhin.
Damit stand sogar absolut fest, dass ich geliefert war. Und von einem Eimerritual hatte ich nie zuvor gehört. Mein Blick glitt zum geöffneten Fenster. Wie viele Ellenlängen lagen wir über dem Fluss? Zweihundert? Ziemlich weit oben jedenfalls.
„Eure letzte Hürde, bevor Ihr am Ball teilnehmen könnt.“ Ein zynisches Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht der Königin. Als könnte sie es kaum erwarten, zu sehen, wie viele von uns an ihrem Test scheiterten.
„Verzeihung, Eure Königliche Hoheit?“, meldete sich ein Mädchen in einem sonnenholzgelben Kleid zu Wort. „Darf ich sprechen?“
Großmütig winkte Königin Marigold in ihre Richtung, um die Erlaubnis zu erteilen, auch wenn die Frage eher stümperhaft vorgebracht klang. Ihr Name lautete … ich kramte in meinen Erinnerungen: Ivy, Gräfin von West-Nurnendal. Eine große, stolze junge Frau, die laut Graf Prahar Da Silva gern an sportlichen Wettkämpfen teilnahm. Eine Außenseiterin, die von ihrer Familie im frühen Kindesalter von Nurnendal nach Itdris geschickt oder, besser gesagt, verbannt worden war.
„Was passiert mit denjenigen von uns, die nicht bestehen?“ Sie schluckte. Und mir war sofort bewusst, weshalb sie es fragte. Das Deckenlicht brach sich in ihren roten Haaren, betonte ihre spitzen Schlüsselbeine.
So als hätte sie sich eine Frage wie diese sehnlichst herbeigewünscht, zeigte die Königin ein breites Lächeln. Ihre Zähne mussten spitz zugefeilt worden sein, um Feinde zu verunsichern, nahm ich an. Niemand konnte von Natur aus mit solchen Nadelzähnen gesegnet oder eher verflucht sein. „Selbstverständlich haben die Adeligen unter Euch nicht mehr zu befürchten, als einfach nach Hause geschickt zu werden. Scheitert jedoch eine Bürgerliche auf welcher Stufe auch immer im Wettbewerb um die Hand des Kronprinzen – droht ihr der Gifttod.“
Die meisten der Mädchen atmeten hörbar ein oder aus. Nur die schwarz gekleidete Bürgerliche neben mir blieb vollkommen starr.
Die Königin erhob die Stimme über das Gemurmel hinweg. „Gibt es darüber hinaus noch Fragen? Nein, keine? Dann sollten wir beginnen. Bitte stellt Euch auf.“
Selbst diese Adelige aus Nurnendal wurde von der Königin respektlos abgekanzelt. Eigentlich ein Affront. Andererseits war genau das ihr Stil. Vor allem jüngeren Frauen gegenüber. Eilig stellte ich mich nach links, direkt vor das offene Fenster, platzierte mich dort hinter dem Eimer, etwa zehn Ellenlängen von der Freiheit entfernt. Direkt neben der Baroness von Altwingen, wobei ich es vermied, Blickkontakt zu ihr aufzunehmen. Nicht dass die Königin am Ende glaubte, Angst in meinen Augen zu erkennen. Wenn man eines im Angesicht einer Raubkatze wie der Königin nicht zeigen durfte, dann war es Angst – oder sonst eine Unvollkommenheit. Und sie, die wahrscheinlich gefährlichste Frau der Welt, die dunkelste Königin, die es je gegeben hatte, stand zwischen mir und meinem Ziel, Harlyn zurückzubekommen. Und natürlich den Plan des Dämons zu erfüllen, um die Welt vor seinen dämonischen Brüdern zu retten.
Inzwischen hatte sich auch das letzte Mädchen hinter einem Eimer platziert. Ironisch irgendwie, wie wir so dastanden, als wären wir das Putzkommando und nicht die Anwärterinnen auf den Platz an der Seite des Kronprinzen – wodurch eine von uns bald Königin sein würde.
„Gut.“ Die Königin breitete ihre Hände mitsamt den Trompetenärmeln aus, wobei es eindeutig war, dass eine Armee an jungen Frauen nicht gerade ihr Lieblingspublikum darstellte. Kurz dachte ich an das Gerücht, dass sie angeblich Dienstmägde töten ließ, um in deren Blut zu baden, was ihre Haut verjüngte. Ihr Blick traf meinen, glitt an mir herunter und dann wieder zu meinem Gesicht. Ein Lächeln voller Zynismus zeigte sich auf ihren Lippen. Einen Moment spürte ich die Kälte, die aus dem Fenster hinter mir zu uns hereindrang, auf jedem kleinen Fleck meiner freien Haut. Aber nein, es konnte nicht sein, dass sie wusste, dass ich nicht die echte Calla war. Schlicht unmöglich.
„Bitte steigt nun mit bloßen Füßen in den Eimer. Die Kristalle piksen Euch vermutlich, doch das wird Euer geringstes Problem in den kommenden Stunden und Tagen sein.“ Das Zähnefletschen, das die Königin bei diesen Worten zeigte, wirkte alles andere als einladend. Seltsamerweise erweckte ihre Art, mit uns zu reden, den Eindruck, als würde sie die Situation hassen und gleichzeitig genießen.
Tatsächlich kicherten ein paar Mädchen, sobald sie ihre Kleider rafften und in die Eimer stiegen. Instinktiv wusste ich, dass ich genau das nicht tun sollte. Neben mir beobachtete mich die Baroness genau, stieg dann in ihren Eimer, woraufhin das Wasser kurz flackerte, erlosch und dann in gleißend weißem Licht erstrahlte. Reihum flackerte das Wasser in den Eimern wie Leuchttürme auf. Reinweiß. Es wurde Zeit. Ich biss die Zähne zusammen, reckte das Kinn. Lediglich ich und noch eine weitere Adelige, die vier Plätze rechts von mir stand, waren noch nicht ins Wasser getreten. Die Adelige im roten Kleid zitterte so sehr, dass ich ihre Zähne bis zu mir klappern hörte. Ich konnte es nicht länger hinauszögern. Gleich würde sich mein Schicksal zeigen.
„Nun?“ Die Königin sah erst mich und dann die Adelige mit den braunen Locken im roten Kleid an. „Tretet in Eure Eimer.“ Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte vor Ungeduld die Augen verdreht. Obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte, wurden ihre Züge noch härter, sodass sie mich an einen wütenden Krieger auf dem Schlachtfeld erinnerte. Ganz wie auf dem Bild von ihr, das ich vorhin passiert hatte.
Um ihr nicht die kleinste Angriffsfläche zu bieten, blinzelte ich nicht einmal, während ich den Rock meines Kleids anhob und meinen nackten Fuß über den Eimer hielt. Das Mädchen im roten Kleid blieb starr, strich sich lediglich über ihren seitlichen Zopf, aus dem dunkle Locken hervorquollen, die sie mit Rosenblütenspangen bestückt hatte.
Und dann passierte es. Ein schwarzer Blitz schoss durch das Fenster herein, direkt an meiner linken Schulter vorbei.
„Eine Fledermaus!“ Prinzessin Amaryllis kreischte. Mädchen sprangen aus ihren Eimern, die Baroness neben mir stieß ihren sogar um beim Versuch zu fliehen.
Die Fledermaus, die eigentlich ein ziemlich großer Flughund war, kümmerte das Chaos jedoch nicht. Palastdiener flitzten umher, öffneten noch mehr Fenster. Seelenruhig drehte der Flughund eine weitere Runde oben an der Kuppel, ehe er dem Zug der Nachtluft folgte, herabstieß und durch eins der Fenster verschwand. Jagger – mein bester und einziger Freund auf der Welt – hatte ganze Arbeit geleistet. Der klügste Flughund – und der flauschigste. Nur mit Mühe konnte ich mein Grinsen verbergen und stieg in den Eimer. Wie bei der Baroness von Altwingen flackerte das Wasser kurz und erlosch, ehe es weiß erstrahlte – was der Moment war, in dem ich ausatmete. Es hatte funktioniert. Obwohl die Illusion nicht ganz perfekt war, aber das konnte man von den wenigsten behaupten. Unser Ablenkungsmanöver war geglückt.
Die Königin klatschte in die Hände. „Ruhe bitte. Ihr werdet Euch wohl nicht wegen einer Fledermaus in kopflose Hühnchen verwandeln.“
Ich sah mich um. Doch, das hatten einige getan. Vier Eimer waren umgekippt.
Der Blick der Königin fand mich, die als Einzige im Wasser stand, das mich von unten weiß anstrahlte. Die Kristalle kitzelten an meinen Fußsohlen, was ich ohne eine Regung hinnahm.
Das Mädchen im roten Kleid hatte mehrere Schritte rückwärts gemacht und presste sich gegen die Wand. Genau neben dem schrecklichen Jagdbild, das die Königin zeigte.
„Wisteria von Everlaine?“ Die Königin sprach das Mädchen direkt an. „Bitte tretet in den Eimer, damit wir endlich fortfahren können.“ Wieder fiel mir auf, wie respektlos sie mit uns sprach.
Wisteria blieb schlichtweg nichts anderes übrig. Mit kurzen, tapsigen Schritten näherte sie sich dem Eimer, während ich meinen bereits verließ. Den Kopf gesenkt, streifte sie ihre Schuhe ab, die so flach wie die von Balletttänzerinnen waren. Sie berührte die Wasseroberfläche – erst mit einem Fuß, den sie sogleich zurückzog, wieder absetzte, um dann den zweiten zu heben. Nicht nur sie hielt den Atem an. Mehrere Mädchen versteiften sich, wobei die Spannung im Raum beinahe greifbar war. Und dann berührte sie mit ihrem nackten Fuß das Wasser. Wisteria von Everlaine schniefte – vielleicht vor Schreck oder Panik, weil sie wusste, was kommen würde, oder aus beiden Gründen, ehe sie den zweiten Fuß nachzog. Dieses Mal sprang das Licht sofort ohne ein Flackern an. Aus dem Eimer von Wisteria schoss ein Lichtstrahl nach oben, so rot wie ihr Kleid.
Einige der Mädchen atmeten scharf ein.
„Ihre arme Mutter“, flüsterte diese schreckliche Margerite ebenso zynisch wie die Königin vorhin. Am liebsten hätte ich ihr verboten, so zu reden. Sah sie nicht, wie sehr Wisteria sowieso schon litt? Ihr Gesicht hatte fast komplett die Farbe verloren.
„Wisteria von Everlaine.“ Die Stimme der Königin hallte gnadenlos durch den Turmsaal, sodass alle Mädchen verstummten, die eben noch miteinander geflüstert hatten. „Da Ihr nicht mehr unbefleckt seid, werdet Ihr von der Teilnahme am heutigen Abend ausgeschlossen und müsst sogleich den Palast verlassen.“
Obwohl ich Wisteria nicht kannte und normalerweise nichts für Adelige übrighatte – abgesehen von Graf Prahar –, fühlte ich ihren Schmerz zu gut. Wie ungerecht war das bitte? Was machte es, wenn man schon Erfahrungen mit Männern hatte? Ich atmete tief ein. Selbstverständlich mussten sich einzig Frauen diesem Ritual unterziehen. Laut Andras waren bei der letzten Auswahl für den inzwischen verstorbenen König auch Jünglinge mit dabei gewesen, weil der König nicht ausschließlich Frauen zugeneigt gewesen war. Dem Ritual, das damals aus einem Blütenbad bestanden hatte, hatten sich jedoch nur Frauen unterziehen müssen.
Verbissen versuchte Wisteria, nicht in Tränen auszubrechen, das war deutlich zu erkennen. Mit gesenktem Kopf stieg sie aus dem Eimer. Gleich würde sie die Außentreppe nehmen und sich dem Gespött der wartenden Menge draußen stellen müssen. Was für eine Schmach! Das Publikum unten würde starren, hatte aus genau diesem Grund ausgeharrt. Um die Ersten von uns scheitern zu sehen. Hautnah. Alle würden über ihre Familie hinter vorgehaltener Hand flüstern, bis sich ein noch skandalöseres Thema in adeligen Kreisen auftat.
Knarrend öffneten sich die Türen auf beiden Seiten des Raumes.
Während alle anderen schweigend auf den Ausgang hinter der Königin zuströmten, blieb Wisteria, wo sie war. Die Baroness von Altwingen und ich hatten uns ebenfalls nicht gerührt.
„Ich eskortiere Euch nach unten“, sagte die Baroness unvermittelt und fügte mit lauter Stimme in Richtung Königin hinzu: „Das ist doch gestattet? Sie braucht eine Begleitung. Und ich bin in wenigen Momenten zurück. Die Pagen können mir den Weg zeigen.“
An den Augen der Königin konnte man nicht ablesen, was sie davon hielt. An den durchgedrückten Schultern der Baroness jedoch konnte ich ihre Entschlossenheit erkennen. Gespielte Entschlossenheit. Denn das alles gehörte zu unserem Plan, und jetzt, da wir die große Unbekannte der Reinheitsprüfung hinter uns hatten, konnten wir uns leichten Herzens trennen. Andras, der mit seiner dämonischen Illusionsmagie die Gestalt der Baroness von Altwingen angenommen hatte und gleich mit der echten den Platz zurücktauschen würde. Ein Handel, den die Baroness zu gern eingegangen war, da ihr Wasser genau wie das von Wisteria rot erstrahlt wäre. Sie hatte keinen Dreijahresvertrag wie ich mit Andras unterschrieben. Lediglich ein kleines Abkommen, damit er mich zur Prüfung begleiten konnte. Kurz sah ich den beiden hinterher. Der armen Wisteria und Andras in Gestalt der Baroness von Altwingen. Ich hatte die Hürde genommen, dank Andras’ Illusionsmagie und dank Jagger, der alle so lange abgelenkt hatte, dass Andras sein Wasser hatte umkippen und die Illusion auf mein Wasser hatte lenken können. Leider konnte selbst er nicht mehrere Illusionen auf einmal für längere Zeit aufrechterhalten. Nicht gleichzeitig und schon gar nicht zwei gleiche wie zwei bestandene Reinheitsrituale. Einen Moment dachte ich daran, wie einfach es gewesen wäre, wenn er es doch fertiggebracht hätte. Dann hätte Andras nämlich selbst als Calla das Herz des Prinzen gewinnen können, aber da das nicht dauerhaft funktionierte und er unbedingt meine Kräfte brauchte, um die Prinzessin zu kontrollieren, hatte er natürlich mich dafür ausfindig machen müssen.
Für mehr Gedanken an die Vergangenheit blieb mir keine Zeit. Auch so schon würde ich mich beeilen müssen, um die anderen Mädchen einzuholen. Also schlüpfte ich in meine Schuhe und hastete ihnen hinterher. Die Treppe empor, die etwas schräg in den Stein gehauen war, wie um einen anstrengenden Bergaufstieg zu simulieren.
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