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Töte, wenn du kannst!

Töte, wenn du kannst! - eBook-Ausgabe

Susanne Mischke
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Kriminalroman

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Töte, wenn du kannst! — Inhalt

Wie weit würden Sie gehen, um Ihr Kind zu retten?

Der schlimmste Alptraum jeder Mutter: Nur einen fatalen Moment lässt Tinka Hansson ihre schlafende Tochter aus den Augen, während sie vor der Markthalle am Göteborger Kungstorget einkauft. Als sie sich wieder umdreht, ist Lucie wie vom Erdboden verschluckt. Der erste Moment des Schreckens wird schnell zur grauenvollen Ewigkeit ... Vier Jahre nagt das ungelöste Verbrechen an Kommissar Greger Forsberg. Erst als ihm die bizarre Selma Valkonen als Kollegin aufgezwungen wird, kommt Bewegung in den alten Fall. Zur selben Zeit erhält Lucies Vater eine anonyme, perfide Nachricht: Seine Tochter lebt, doch für weitere Informationen über ihren Aufenthaltsort soll er zum Mörder werden – und: keine Polizei!

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 26.02.2013
448 Seiten
EAN 978-3-8270-7645-8
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Leseprobe zu „Töte, wenn du kannst!“

Licht strahlt durch die Baumkronen wie die Finger Gottes. Allmählich
verliert sich der Pfad im Dickicht. Strauchwerk greift nach
seinen Füßen und die Last, die er trägt, zerrt an seinen Armen.
War ihm der Wald zunächst still vorgekommen, so hört er jetzt
unzählige Geräusche, es raschelt und knistert, es murmelt und
summt. Ein klagender Schrei lässt ihn zusammenzucken. Seine
Nerven liegen blank.
Unter einem Baum, dessen Rinde silbrig schimmert, legt er das
Bündel ab, bettet es zwischen hohen Farnen. Sogar hier, im tiefsten
Schatten, sind noch Farben zu erkennen, [...]

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Licht strahlt durch die Baumkronen wie die Finger Gottes. Allmählich
verliert sich der Pfad im Dickicht. Strauchwerk greift nach
seinen Füßen und die Last, die er trägt, zerrt an seinen Armen.
War ihm der Wald zunächst still vorgekommen, so hört er jetzt
unzählige Geräusche, es raschelt und knistert, es murmelt und
summt. Ein klagender Schrei lässt ihn zusammenzucken. Seine
Nerven liegen blank.
Unter einem Baum, dessen Rinde silbrig schimmert, legt er das
Bündel ab, bettet es zwischen hohen Farnen. Sogar hier, im tiefsten
Schatten, sind noch Farben zu erkennen, doch er hat keinen Blick
für die düstere Schönheit des Ortes. Zitternd und horchend wie
ein gejagtes Tier richtet er sich auf. Möchte am liebsten weglaufen.
Er umklammert den Spaten, sticht das Metall in den Boden,
durchtrennt Blätter und Wurzeln, die den Grund durchziehen
wie Blutgefäße, gräbt tiefer und tiefer. Dann schleift er das Bündel
heran. Schwarz gähnt die Grube, Erdgeruch steigt auf. Er weiß, er
sollte die Plastiksäcke entfernen, doch schon der Gedanke daran
macht ihn panisch, und er stößt das Paket mit dem Fuß hinab
ins Loch. Dumpf schlägt der Körper auf. Ihn fröstelt. Zuschaufeln,
schnell!
Seine Stiefel stampfen die Erde fest, ein Zweig verwischt die
letzten Spuren, und dann ist es plötzlich totenstill. Als hielte der
Wald den Atem an. Er hört sein Blut durch die Adern rauschen,
sieht sich um. Die Bäume sind näher herangerückt, umzingeln ihn
wie Monster. Hastig stolpernd folgt er seinem eigenen Weg durch
niedergetretene Preiselbeerbüsche. Das Gestrüpp, so hofft er, wird
sich in ein paar Tagen erholt haben. Alles wird sein wie vorher.


Erster Teil
Der 17. A ugust 2007 begann harmlos. Sie frühstückten zusammen.
Lucie thronte auf ihrem Hochstuhl und kaute auf
einem Stück Brot mit Frischkäse herum. Sie war ein zartes,
hübsches Kind. Ihr herzförmiges Gesicht mit dem niedlichen
Schmollmund wurde von großen blauen Augen beherrscht,
weshalb Leander irgendwann bemerkt hatte, dass seine Tochter
einem dieser Äffchen glich, die es nur auf Madagaskar
gab. Seitdem nannten sie Lucie manchmal ihren kleinen
Mausmaki.
Leander trank den letzten Rest des Milchkaffees aus. Seit
Tinka die Zeitung abbestellt hatte, wirkte er morgens immer
etwas verloren, als wüsste er nicht, wohin mit seinen Blicken.
Jetzt stand er auf und sagte: „Was plant ihr beiden Frauen
denn heute Schönes?“
Tinka machte es nur noch schlimmer und sagte mit derselben
künstlichen Munterkeit, sie habe vor, mit Lucie in
die Stadt zu fahren und sich das Kinderprogramm im Botanischen
Garten anzusehen. „Für die meisten Sachen wird sie
noch zu klein sein, aber vielleicht finden wir was, nicht wahr,
mein Mäuschen?“
Diese falschen Töne gab es zwischen ihnen erst seit dieser
Sache. Als wären sie ihre eigenen Karikaturen und müssten einem
unsichtbaren Publikum ein glückliches Familienleben
vorspielen.
Leander stand auf, zog das Sakko über und klemmte sich
die Aktentasche unter den Arm. Lucie fing an, aus Leibeskräften
zu brüllen und fegte ihren Plastikteller vom Tisch.
Neuerdings machte sie jeden Morgen Theater, wenn Leander
das Haus verließ. Der verharrte unschlüssig zwischen dem
plärrenden Kind, das ihm die Arme entgegenstreckte wie ein
Ertrinkender, und der Küchentür.
„Geh nur, ich mach das schon“, erlöste ihn Tinka.
Erleichtert zerzauste Leander seiner Tochter die hellblonden
Locken, dann drückte er Tinka einen Kuss auf die Wange.
Die Haustür fiel zu. Tinka klaubte Brotstückchen vom Boden
auf. Noch immer schrie Lucie wie am Spieß.
Sie war ein Papakind. Tinka hatte mal irgendwo gelesen,
dass das in dem Alter normal sei.
Lucies Wutgeheul war bis auf die Straße zu hören. Leander
blieb stehen, wartete. Herrgott, warum unternimmt Tinka
nichts? Sie kann das Kind doch nicht einfach schreien lassen!
Er war kurz davor, umzukehren, als das Gebrüll abrupt abbrach.
Leander hielt den Atem an. Was war passiert? Sie wird
doch nicht … Aber da hörte er durch das gekippte Fenster
Tinkas Stimme, brummig verstellt in der Rolle des kleinen
Stoffaffen, und gleich darauf ein glucksendes Lachen von
Lucie. Erleichtert und beschämt zugleich ging Leander los.
Dieses Lachen war das Letzte, was er von seiner Tochter
hörte.
Nein, nicht ganz. Gegen Mittag klingelte sein Telefon. Er
kam gerade mit Eyja de Lyn, einer recht bekannten Fantasy-
Autorin, aus dem Aufnahmestudio und begleitete sie zurück
in sein Büro, wo sie Jacke und Handtasche zurückgelassen
hatte. Tinka war dran. Sie sei in der Stadt und frage sich, was
sie fürs Wochenende besorgen solle: Lamm, Huhn, Fisch
oder etwas anderes?
Tinka konnte einem aus dem Schlaf gerissen den Zitronensäurezyklus
im Detail erläutern, aber die Essensplanung für
zwei Tage überforderte sie. Allerdings hegte Leander den Verdacht,
dass sie mit ihren mangelnden hausfraulichen
Qualitäten
kokettierte und diese sogar noch kultivierte. Am Wochenende
delegierte sie das Kochen grundsätzlich an Leander.
In seiner vorehelichen Balzphase hatte er seine Kochkünste
eingesetzt, um Tinka rumzukriegen. Das rächte sich jetzt.
Innerlich seufzend schielte er unwillkürlich nach dem Foto
auf dem Aktenschrank. Tinka kniete im Sand und lächelte
verhalten in die Kamera. Das Haar war hochgesteckt und
betonte ihren grazilen Hals. Ihr Körper in einem schwarzen
Badeanzug, schlank, fast schon mager, wurde halb verdeckt
von Lucie in Badeshorts. Sie blickte neugierig ins Objektiv.
Im Vordergrund war eine Sandburg zu sehen. Familienurlaub
auf Korfu, drei Monate her. Leander sandte einen gequälten
Blick in das zaghafte Blau von Tinkas Augen. „Wenn
du an der Markthalle vorbeikommst, nimm Fisch! Und für
Sonntag Lamm und etwas Gemüse. Ich muss aufhören, ich
hab …“
„Was für Gemüse?“
Seine Besucherin lächelte ihm und dem Foto verständnisvoll
zu, nahm ihre Tasche, hängte sich die Jacke über den
Arm und strebte zur Tür. Leander machte ihr ein Zeichen, zu
warten.
„Tinka, bitte, ich kann nicht länger sprechen, ich habe
in zwei Minuten eine Livesendung“, schwindelte er. „Kauf
irgendwas. Ciao, ihr zwei Süßen.“ Er hörte sie einen Gruß
murmeln und im Hintergrund ein Quengeln, das sich sehr
nach Lucie anhörte, wenn sie anfing, sich zu langweilen. Das
war der letzte Laut, den er von Lucie hörte. Er schaltete das
Handy aus und begleitete seinen Gast bis zur Pforte, wie es
die Höflichkeit verlangte.
Tinka schleppte sich über die Avenyn. Wie schon befürchtet,
war im Botanischen Garten nichts dabei gewesen, was Lucie
amüsiert hätte. Im Gegenteil. Ein Clown hatte ihnen beiden
Furcht eingejagt, und erst mithilfe einer roten Schildkappe
ließ sich Lucie ablenken und beruhigen. Die Kappe, Werbegeschenk
eines Mobilfunkanbieters, hielt sie nun in den
Händen und kaute darauf herum.
Die Stadt glich einem Ameisenhaufen, wie immer im
Sommer, wenn ein Ereignis das nächste ablöste. Aber das
Kulturfest, der Göteborgskalaset, Mitte August, schien stets
der Höhepunkt zu sein. Früher waren Leander und Tinka an
diesen Tagen regelmäßig losgezogen, hatten den Konzerten
gelauscht, dem Straßentheater zugesehen oder sich einfach
irgendwo ins Freie gesetzt und den Strom der Besucher an
sich vorbeiziehen lassen. Spätabends waren sie dann in einer
Bar gestrandet und erst in den Morgenstunden ziemlich angetrunken
nach Hause gekommen. Damals hatten sie noch
im Linnéviertel gewohnt. Als Tinka schwanger wurde, waren
sie nach Mölndal gezogen, hauptsächlich, weil Leander der
Meinung war, dass ein Kind einen Garten brauche. „Es heißt
ja auch Kindergarten und nicht Kinderhinterhof“, hatte er
rechthaberisch argumentiert. In dem Vorort gab es doppelt
so viel Platz für ein Drittel weniger Miete, nette Nachbarn,
viele Kinder. Aber an Tagen wie dem heutigen sehnte sich
Tinka zurück nach der unmittelbaren Nähe zum kulturellen
Leben. Allerdings würde sie im Moment wohl kaum die nötige
Energie aufbringen, um das Angebot zu nutzen.
Lucie war kein einfaches Kind. Da sie nachts schlecht
schlief, quengelte sie tagsüber. Sie war häufig krank und dazu
kam noch das ewige Drama mit dem Essen. Jede Mahlzeit
artete in ein Geduldsspiel aus. Jetzt, mit zwanzig Monaten,
war sie achtzig Zentimeter groß und wog gerade einmal zehn
Kilo.
„Sie wird doch nicht schon magersüchtig sein“, hatte
Tinka
den Kinderarzt halb im Scherz, halb besorgt gefragt,
doch der hatte sie beruhigt, das würde sich einspielen. „Sie
braucht eben ihre Zeit.“
Zeit, dachte Tinka, und: Nur noch zwei Wochen! Zum
ersten September hatten sie überraschend kurzfristig für Lucie
einen Platz im Kindergarten zugesagt bekommen. Nach
dieser Nachricht hatte Tinka sich wie ein Soldat in den allerletzten
Kriegstagen gefühlt. Leander dagegen hätte es lieber
gesehen, mit dem Kindergarten noch bis zu Lucies zweitem
Geburtstag im Dezember zu warten. „So war es doch auch abgesprochen,
oder nicht?“, beharrte er. Aber das stimmte nicht
ganz. Ursprünglich hatten sie sogar nur ein Jahr Pause
eingeplant.
Doch als Lucies erster Geburtstag nahte, hatte sich keiner
von ihnen vorstellen können, dieses kleine, zarte Wesen
fremden Menschen anzuvertrauen. Also hatte Tinka eingewilligt,
noch ein weiteres Jahr zu Hause zu bleiben. Aber nun,
nach dieser Sache, fühlte sie sich an Absprachen nicht mehr
gebunden. „Bleib du doch bis zu ihrem zweiten Geburtstag
zu Hause“, hatte sie vorgeschlagen und hinzugefügt: „Wie die
jüngsten Erfahrungen gezeigt haben, erscheint es mir nicht
ratsam, meine Karriere noch länger zu vernachlässigen.“
Vor diesem Geschütz hatte Leander erwartungsgemäß
kapituliert und Tinka reumütig gedacht: Ich lasse Lucie für
Leanders Verfehlung büßen. Aber schließlich hatte sie sich gesagt,
dass ein Kindergarten das Normalste auf der Welt wäre,
keine Buße oder Strafe.
Tinka drängelte sich zuerst in die Markthalle, in der sich
mehr Schaulustige als Käufer aufhielten. Sie stellte sich für
norwegischen Kabeljau an und dann noch einmal für eine
Lammkeule. Die Preise in der Stora Saluhallen waren gesalzen,
aber dafür erhielt man gute Qualität. Sie kaufte für
Lucie, die langsam unruhig wurde, eine Zimtschnecke und
trat wieder hinaus auf den Kungstorget.
Jetzt noch Gemüse und Obst. Zwischen dem großen
Marktstand und der Halle war einiges los. Einheimische erledigten
ihre Wochenendeinkäufe, herumschlendernde Touristen
lauerten vor den Cafés, die die Markthalle säumten, auf
einen Tisch im Freien und verstopften den Durchgang. Lucie
begann erneut zu quengeln. Die Zimtschnecke hatte sie offenbar
aufgegessen oder, was wahrscheinlicher war, fallen
gelassen. Hoffentlich würde sie den Rest des Einkaufs noch
durchhalten.
Tinka stellte den Buggy an die Seite des Marktstands neben
ein paar grüne Plastikkisten mit Salatköpfen und reihte
sich in die Schlange ein. Vor ihr war eine ältere Dame an der
Reihe, die von nahezu jeder Sorte Obst und Gemüse winzige
Mengen kaufte. Während Tinka die Auslage betrachtete und
überlegte, was sie auswählen sollte, horchte sie auf Lucie,
jeden Augenblick darauf gefasst, jenen typischen Jammerton
zu vernehmen, der ihr Weinen für gewöhnlich einleitete und
sich dann mit jedem Atemzug zu einem durchdringenden
Brüllen steigern würde. Aber Lucie blieb ruhig, und Tinka
versuchte, sich auf den Einkauf zu konzentrieren. Was nicht
ganz einfach war, denn von beiden Seiten riefen die Kunden
dem Standpersonal ihre Fragen und Wünsche zu, und hinter
ihr schob sich laut schnatternd eine Gruppe französischer
Touristen vorbei. Tomaten, Äpfel, Lauch, Karotten. Bohnen
zum Lamm. Rucolasalat. Noch was? In letzter Zeit fiel es Tinka
immer schwerer, ihren Alltag zu bewältigen. Sie verlegte
Dinge und vergaß, warum sie in ein Zimmer gegangen war.
Neulich hatte sie im Parkhaus eine halbe Stunde nach ihrem
Wagen gesucht, weil sie sich einfach nicht mehr erinnern
konnte, wo sie ihn geparkt hatte, und vorige Woche hatte sie
im Nordstan ihre Einkäufe dalassen müssen. Sie hatte an der
Kasse gestanden und plötzlich die PIN ihrer Bankkarte nicht
mehr gewusst. Die vier Zahlen, seit Jahren dieselben, waren
einfach weg gewesen. Als hätte man sie ihr aus dem Gehirn
radiert.
„Noch etwas?“ Die Verkäuferin blickte sie ungeduldig an.
Hatte sie die Frage etwa schon einmal gestellt?
Tinka verneinte und folgte der Verkäuferin zur Kasse. Der
Korb mit dem Fisch und der Lammkeule hing schwer an
ihrem Arm. Sie bezahlte, verstaute das Gemüse im Korb und
das Wechselgeld in der Geldbörse. Als sie sich umwandte,
fiel ihr Blick auf einen Mann, der in einem der Cafés vor der
Markthalle saß und in seiner Tasse rührte.
Axel?!
Es war ein Flirt gewesen. Anders als er hatte Tinka nie
vorgehabt, Leander zu betrügen. Aber es hatte gutgetan, ein
wenig umworben zu werden. Seit Tinka nicht mehr in der
Firma war, schrieben sie sich E-Mails. Nicht oft und nicht regelmäßig,
nur gerade so viele, um den Faden nicht ganz abreißen
zu lassen. Er berichtete, was in der Firma los war, und
sie kommentierte es auf launige, lustige Art. Sie selbst hatte
wenig zu erzählen, denn ob Lucie Zähne bekam, Durchfall
hatte oder Husten, würde ihn wohl kaum interessieren.
Hatte er sie gesehen? Sie konnte es nicht sagen, denn er trug
eine dunkle Sonnenbrille. Oder erkannte er sie womöglich
gar nicht? Tinka hatte seit Lucies Geburt abgenommen, und
in den Augenwinkeln zeigten sich erste Fältchen. Besser, er
sieht mich nicht, dachte sie, aber etwas in ihr wünschte sich
doch, er würde ihr zulächeln. Einen Kaffee mit ihr trinken.
Vielleicht würde sie jetzt sogar … Unsinn! Hatte er ihren
Blick gespürt? Nun stand er auf und nahm dabei die Sonnenbrille
ab. Verlegen senkte Tinka den Blick auf ihre Schuhe.
Er war es gar nicht. Nicht Axel vom Marketing. Der Mann
war jünger, kleiner und hatte ganz andere Augen. Ich alberne
Gans!
Sie musste sich durch einen Pulk Touristen zwängen bis
zu der Stelle, an der sie Lucies Buggy abgestellt hatte. Aber da
stand kein Buggy mehr. Die Salatkisten waren noch da, aber
der Buggy nicht. Ganz ruhig, befahl sie sich, denk nach! Sie
hatte ihn doch dort abgestellt und die Bremse herabgedrückt.
Oder? Doch, ganz sicher! Er musste dort sein. Aber er war es
nicht.
Tinka wurde von einem eisigen Schrecken gepackt, gleichzeitig
brach ihr der Schweiß aus. War sie vielleicht ans falsche
Ende des Standes gegangen oder sogar an den falschen Stand?
Sie hastete hin und her und stieß dabei rücksichtslos Leute
zur Seite, die ihr im Weg waren. Auf der linken Seite machte
der Stand einen Knick, dort sah es ganz anders aus, dort
war sie nie gewesen. Auch der rechte Nachbarstand kam ihr
fremd vor und der linke verkaufte Blumen.
Die Panik ließ sich nun nicht mehr aufhalten.
„Lucie?“ Was ein Schrei werden sollte, kam nur als seltsam
gequetschtes Wimmern aus ihrem Mund.
Wie konnte das sein? Lucie konnte doch nicht allein aus
dem Wagen klettern und ihn wegschieben, wie sie es schon
getan hatte, als sie nicht angeschnallt gewesen war. Denn sie
war angeschnallt gewesen, ganz bestimmt! Hatte jemand
den Wagen verwechselt? Tinka schaute sich um. Es waren
etliche Mütter mit Kinderwagen unterwegs. Da! Über den
Kungsportsplatsen
lief eine Frau, die einen schwarzen Buggy
schob. Das Kind darin hatte etwas Rotes auf dem Kopf. Die
Vodafone-Kappe! Tinka rannte los.

Susanne Mischke

Über Susanne Mischke

Biografie

Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der „Sisters in Crime“ und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch „Wer nicht hören will, muß fühlen“ erhielt sie die „Agathe“, den...

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