Toskanische Verhältnisse Toskanische Verhältnisse - eBook-Ausgabe
Kriminalroman
„Lakonisch-humorvoll. (...) Raffiniert gestrickte Story.“ - Cellesche Zeitung
Toskanische Verhältnisse — Inhalt
In Montesodi Marittimo leben mehr Hühner als Menschen. Ein von Gott und der Welt vergessenes Örtchen, dessen Bewohner seit Jahrhunderten Fremde nicht gerade willkommen heißen. Ideales Terrain für einen jungen Arzt, die genetischen Eigenheiten der Bevölkerung zu untersuchen. Doch kaum ist der Besucher eingetroffen, stirbt unter mysteriösen Umständen seine Vermieterin, eine alte, recht widerspenstige Dame. Da in der Nacht ihres Todes ein Schneesturm das Dorf von der Außenwelt abschnitt, muss der Mörder noch mitten unter den wenigen Bewohnern des Dorfes weilen …
Leseprobe zu „Toskanische Verhältnisse“
Anfang
Schon bevor man das Dorf erreicht, lässt die Straße nach Montesodi Marittimo wohl niemanden kalt.
Hinter einer Abzweigung mit dem Schild „Campagnaia-Montesodi M.mo“, dessen banal weiße Lettern auf blauem Hintergrund nichts von dem ahnen lassen, was einem bevorsteht, beginnt die Strecke fast unverzüglich anzusteigen und schlängelt sich dann dickköpfig zwischen den Eichenwäldchen hindurch; als wollte sie uns zeigen, dass es doch allzu einfach wäre, sich wie eine normale Straße zu verhalten und den bequemsten Weg durch die Täler zu nehmen, die sich [...]
Anfang
Schon bevor man das Dorf erreicht, lässt die Straße nach Montesodi Marittimo wohl niemanden kalt.
Hinter einer Abzweigung mit dem Schild „Campagnaia-Montesodi M.mo“, dessen banal weiße Lettern auf blauem Hintergrund nichts von dem ahnen lassen, was einem bevorsteht, beginnt die Strecke fast unverzüglich anzusteigen und schlängelt sich dann dickköpfig zwischen den Eichenwäldchen hindurch; als wollte sie uns zeigen, dass es doch allzu einfach wäre, sich wie eine normale Straße zu verhalten und den bequemsten Weg durch die Täler zu nehmen, die sich zwischen den Hügeln erstrecken. Eine Fahrbahn, die etwas auf sich hält, hat mehr zu bieten.
Der Straßenverlauf wird nach der Abzweigung zu einer Abfolge von Kurven und Schlaglöchern, wobei der Asphalt objektiv gesehen nicht im besten Zustand sein mag, aber die Ersteren erscheinen doch zahlreicher als die Letzteren; umso mehr, wenn einem im Auto leicht schlecht wird, so wie Piergiorgio Pazzi, und man jede Kurve einzeln zählt. So wie er es in diesem Moment tat, während er um Atem rang und auf jeder der kurzen Geraden versuchte, seinen Mageninhalt wieder dorthin zu befördern, wo er hingehörte. Und dabei schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, seine Forschungstätigkeit in Montesodi Marittimo nicht damit anfangen zu müssen, dass er sich die Seele aus dem Leib spie.
Zum Teil, gewiss, aus Eigenliebe; vor allem aber auch, weil der Besitzer des Wagens, der ihn nach Montesodi fuhr, nicht gerade so aussah, als ob er es wohlwollend aufnehmen würde, wenn sich dieses Unglück in seinem Auto ereignete.
Der Betreffende war ein Mann um die fünfzig, groß, breitschultrig, mit kugelrundem Bauch und dem Augenschein nach ohne Weiteres in der Lage, mit bloßen Händen einen Reifen zu wechseln, und zwar ohne Wagenheber. Dieser Mann also hatte ihn mit einem Geländewagen am Bahnhof abgeholt und sich mit einem Händedruck und einem knappen „freutmichPuntoni“ vorgestellt. Piergiorgio schloss aus alledem, dass a) sein Gegenüber Puntoni hieß und b) körperliche Auseinandersetzungen das Letzte waren, worauf man sich mit diesem Burschen einlassen wollte.
Und so war die Begrüßung das Einzige, was sie während der Fahrt an Worten ausgetauscht hatten, bevor sie das unbewaldete Wegstück bei l’Anguillaia erreichten. Puntoni war damit beschäftigt, auf einem lokalen Radiosender das Spiel der Fiorentina zu verfolgen, Piergiorgio verfolgte die gleichlaufenden Windungen der Straße und seiner eigenen Eingeweide. Ermutigt von einer Geraden, die etwas länger ausfiel als die bisherigen, sah sich Piergiorgio, während der Reporter voller Begeisterung einen Einwurf referierte, der den Violetten in Strafraumnähe zugesprochen worden war, auf dem baumlosen Straßenstück ein wenig um und versuchte zu begreifen, wohin es ihn da eigentlich verschlagen hatte. Und die Szenerie, die er erblickte, ließ ihn erstarren.
Mitten auf der waldlosen Ebene stand trotz der Januarkälte ein Kerl mit bloßem Oberkörper, etwa einen Meter fünfzig groß und völlig kahl. Er hatte einen Bart, der ihm bis zum Bauch reichte, und Waden, die zwei San-Daniele-Schinken glichen. Schon deshalb überkam einen spontan die Idee, sich umzusehen, vielleicht steckte da irgendwo auch ein Gandalf. Dazu muss man sagen, dass der Mann ganz unverkennbar Qualen litt: Wahrscheinlich nicht so sehr wegen der Kälte, sondern wegen des Baumstamms von dreißig Zentimetern Durchmesser und gut zwei Metern Länge, den dieser Troll durch die Gegend schleppte, gestützt auf Brust und Unterarme, die Hände auf Höhe der Leisten verschränkt; in dieser Haltung stolperte er mühsam vorwärts, die rechte Gesichtshälfte an den Stamm gepresst, mit zitternden Armen. Die Spitze der mächtigen Last schwankte bei jedem Schritt.
Im Gegensatz zu Piergiorgio, der dem Schauspiel gebannt beiwohnte, blieb Puntoni völlig ungerührt, seine Aufmerksamkeit galt weiterhin der Fiorentina und den offenkundigen Schwierigkeiten der „Lilien“, den Spielstand auszugleichen, was der erregte Reporter in lebhaften Tönen wiedergab. Während der Geländewagen die Szene hinter sich ließ, konnte sich Piergiorgio nach einigen Sekunden die Frage nicht verkneifen:
„Entschuldigen Sie, wer war das denn?“
Gestört in seiner Konzentration auf die Bemühungen der Violetten, warf Puntoni Piergiorgio einen kurzen Blick zu.
„Wer, das?“
„Der Kerl mit dem Baumstamm.“
„Das ist Bonacci.“
Schweigen. Wenn man von dem Umstand absah, dass der Sportreporter inzwischen heulte wie ein Kojote.
„Aha. Und was macht er mit dem Baumstamm?“
„Na, üben.“
Schweigen. Diesmal wirklich, denn die Fiorentina hatte gerade das zweite Gegentor kassiert und der Kommentator vermutlich Selbstmord begangen. Nach ein paar Sekunden wagte sich Piergiorgio vor:
„Und wofür trainiert einer, der Baumstämme durch die Gegend schleppt?“
Puntoni drehte sich abermals zu ihm um, sichtlich genervt.
„Na, für die Festa della Panca.“
Und damit drehte er die Lautstärke des Radios hoch, aus dem der wiedererstandene Kommentator beklagte, dass vor dem Tor eine Abseitsstellung übersehen worden sei, indes Puntoni den Blick auf die Straße richtete, wo das mit den Kurven schon wieder losging.
Piergiorgio stellte keine weiteren Fragen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.
Im Dorf angekommen, wurde Piergiorgio zur Casa Zerbi gebracht, in der er für seinen gesamten Aufenthalt unterkommen sollte.
Die Casa Zerbi war eines von wenigen Gebäuden im Dorf, die über mehr als zwei Stockwerke verfügten; fast alle Häuser, die Piergiorgio unterwegs zu Gesicht bekommen hatte, in Hanglage am Herzkasperweg, begnügten sich mit einer Kombination aus Erdgeschoss und erstem Stock hinter einem Fünfzigerjahreverputz, eine Hülle, die ursprünglich einmal elfenbeinfarben gewesen sein musste, gegenwärtig jedoch eher an verschimmelten Milchkaffee denken ließ. Die einzigen zwei Bauten, die sich von den anderen abhoben, waren das Restaurant, vor dem auf einer hölzernen Tafel der geschnitzte Schriftzug La Pignata prangte, sowie das Haus von Signorina Conticini, deren Garten eine bemerkenswerte Sammlung von Zwergen zu bieten hatte. Über sie alle wachte nicht etwa Schneeweißchen, sondern eine überlebensgroße Madonna, zu allem Überfluss mit einem blinkenden Leuchtherzen ausgestattet.
Ganz oben am Hang dagegen hatten die wenigen Gebäude, die den Hauptplatz säumten, drei Stockwerke oder mehr. Sie stammten allesamt aus der Zeit vor 1900 und waren von entschieden gediegenerer Bauweise. Sowohl an Größe wie an optischem Reiz alles überragend stand das Haus des Bürgermeisters, Casa Benvenuti: ein großzügiges, solides Bauwerk mit einem eisenbeschlagenen Tor, das etwaigen Eindringlingen schon vor der breiten Außentreppe Einhalt gebot. Außer Konkurrenz lief natürlich die Kirche, benannt nach ihrem Schutzpatron Sant’Antonio Abate, dem heiligen Antonius der Einsiedler. Ein hässliches Gebäude ungewisser stilistischer Provenienz, das einzig durch seine Höhe auffiel und dessen religiöse Funktion allein am Kirchturm abzulesen war, welcher die Kirche selbst an Hässlichkeit fast noch übertraf. Das edelste Haus von allen, der Palazzo Palla, Heimstatt der Marchesi Filopanti Palla, die sich vom gemeinen Volk auch räumlich distanzierten, stand freilich außerhalb des Dorfes. Der Palazzo lag noch etwas höher am Hang als der Kirchplatz, aber durch einen guten Kilometer unasphaltierte Straße davon getrennt.
Gegenüber der Kirche stand die Casa Zerbi: ein Gebäude mit einer Treppe aus Holz und Eisen und Vollholz-Fensterläden, drei Stockwerke zuzüglich einer Mansarde, die normalerweise als Gästezimmer diente.
Und just in dieser Mansarde machte sich Piergiorgio ans Auspacken, nachdem er den Raum in Besitz und selbst wieder etwas Farbe angenommen hatte. Er räumte seine Kleidung und alles Weitere aus dem Koffer, was er brauchen würde, um zwei Wochen fern von zu Hause zu überstehen: seine Laufklamotten, Bücher, Laptop, iPod und so weiter; in großer Eile, versteht sich, denn in weniger als einer Stunde stand schon das Begrüßungsessen auf dem Programm, und der Ärmste musste sich noch duschen, rasieren und umziehen.
Piergiorgio war noch mit dem Auspacken beschäftigt, als sein Handy klingelte. Na klar.
Professor Ferroni. Komisch, ich hätte gewettet, es ist die Mamma.
„Pazzi, sind Sie das? Wie geht’s? Sind Sie schon angekommen?“
„Ja, ich bin’s, Professor. Ja, ich bin schon da. Alles in Ordnung.“
„Und das Dorf? So scheußlich wie auf dem Foto?“
„Na ja, ein bisschen schon. Sagen wir’s so: Las Vegas ist das hier nicht gerade.“
„Und wie sind die Einheimischen? Hat man Sie gut aufgenommen?“
„Ja, schon. Einer hat mich abgeholt. Also, Leute habe ich bisher zwei gesehen. Soweit ›Leute‹ das richtige Wort ist. Der eine sah aus wie ein Bär in Menschenkleidung, den anderen kann ich Ihnen gar nicht richtig beschreiben. In Form schienen sie jedenfalls beide zu sein.“
„Na, darum geht’s uns doch“, sagte Ferroni und sprach dann plötzlich im Ton eines Auktionators weiter. „›Montesodi Marittimo, das stärkste Dorf Europas.‹ Ist die Philologin auch schon da?“
„Ich glaube schon. Angeblich ist sie auch hier untergebracht, aber ich habe sie noch nicht gesehen.“
„Ach, keine Sorge, die werden Sie schon erkennen, wenn Sie sie sehen. Lila Haare, ovale Brille und im Gesicht ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift ›Ich bin von der Scuola Normale‹. Beim Kick-off-Meeting hat sie von der ersten bis zur letzten Minute genervt. Schließen Sie also Freundschaft mit den Einheimischen, falls Ihnen nach Gesellschaft ist – die Tante macht mir prima facie einen ziemlich ungenießbaren Eindruck.“
„Ein amüsanter Krimi, der das Leben in kleinen eingeschworenen Dorfgemeinschaften ironisch, aber trotzdem liebevoll vorführt. (...) Am Ende ist man fast ein bisschen traurig, dass man dieses Dorf voller Exzentriker wieder verlassen muss.“
„Malvaldi ist die perfekte Gesellschaftskomödie gelungen.“
„Perfektes Szenario à la Agatha Christie, aber auch ironische Perspektiven veredelt.“
„Lakonisch-humorvoll. (...) Raffiniert gestrickte Story.“
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