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Unterwald (Forsthauskrimis 3) Unterwald (Forsthauskrimis 3) - eBook-Ausgabe

Christoph Stoll
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Kriminalroman

— Atmosphärischer Cosy Crime um einen ungewöhnlichen Ermittler
Taschenbuch (14,00 €) E-Book (10,99 €)
€ 14,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 02.05.2025 In den Warenkorb Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
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Unterwald (Forsthauskrimis 3) — Inhalt

Im 3. Band seiner Forsthauskrimi-Reihe, „Unterwald“, entführt Christoph Stoll seine Leserinnen und Leser in die Unterwelt der sonst so idyllischen Waldlandschaft an der Lahn. Ein mysteriöser Entführungsfall wird zur nächsten Bewährungsprobe für den Kunstlehrer, Waldbesitzer und unfreiwilligen Ermittler Justus Hauer. 

Mit feinem Humor, raffiniertem Plot, wundervoll atmosphärisch – und der Wald spielt immer eine Hauptrolle in Christoph Stolls Forsthauskrimis! 

In „Unterwald“ herrscht Frühling im Lahnberger Wald – und Frühlingsgefühle kommen auf zwischen Justus Hauer und Kommissarin Kathrin Helliger. Ihr Beziehungsstatus ließe sich mit VV „Vorsichtiger Versuch“ bezeichnen. Doch gleich ihr erstes Date wird durch einen Anruf der Kollegen unterbrochen: Die Kunststudentin Melanie wurde vermisst gemeldet. Im Haus ihrer Eltern finden sich Kampfspuren und Blut. Der Verdacht fällt zunächst auf den Ex-Freund der Vermissten. Doch erst als eine Videoaufnahme von der Entführten auftaucht, nimmt der Fall Fahrt auf – und schlägt die Stunde von Justus Hauer. Denn nur durch seine besondere Beobachtungsgabe und seine Ortskenntnis wird klar: Die Spuren führen zwar in den Wald, dort aber tief unter die Erde – in die alten Bergwerkstollen. 

Jedes Detail zählt! Genaues Hinsehen ist die Stärke von Justus Hauer, dem Helden dieser deutschen Kriminalroman-Reihe, die im idyllischen Lahntal angesiedelt ist.

Dabei ist Christoph Stolls Protagonist ein mehr als unfreiwilliger Ermittler. Er sehnt sich nach Ruhe und ungestörten Rundgängen in dem seit Kindheitstagen vertrauten Wald. Der attraktiven Kommissarin gelingt es jedoch mühelos, ihn für den mysteriösen Fall zu interessieren, bei dem er sie mit seiner Ortskenntnis und feinen Beobachtungsgabe unterstützen kann.

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erscheint am 02.05.2025
272 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-32143-3
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€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erscheint am 02.05.2025
272 Seiten
EAN 978-3-492-60853-4
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Leseprobe zu „Unterwald (Forsthauskrimis 3)“

Kapitel 1

Das scharfe Messer mit dem unerbittlichen Glanz einer spitzzüngigen Klinge, ein kraftvoller, tiefer Schnitt und in Folge langsam aus den Fasern des Fleisches austretendes Blut, das zu einer losen Fläche mit sich ständig veränderndem Rand zusammenfließt. Stille – plötzlich unterbrochen durch das blaue Flackern und das Sirenensignal eines sich mit Höchstgeschwindigkeit nähernden Polizeiautos. Ein kurzes, jähes Bremsgeräusch. Stimmen, harte, schnelle Schritte auf dem jahrhundertealten Kopfsteinpflaster. Die große Holztür wird jäh aufgestoßen, und [...]

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Kapitel 1

Das scharfe Messer mit dem unerbittlichen Glanz einer spitzzüngigen Klinge, ein kraftvoller, tiefer Schnitt und in Folge langsam aus den Fasern des Fleisches austretendes Blut, das zu einer losen Fläche mit sich ständig veränderndem Rand zusammenfließt. Stille – plötzlich unterbrochen durch das blaue Flackern und das Sirenensignal eines sich mit Höchstgeschwindigkeit nähernden Polizeiautos. Ein kurzes, jähes Bremsgeräusch. Stimmen, harte, schnelle Schritte auf dem jahrhundertealten Kopfsteinpflaster. Die große Holztür wird jäh aufgestoßen, und ein Kriminalbeamter stürzt auf Justus Hauer und Kathrin Helliger zu.

Justus weiß, das Essen ist jetzt vorbei. Er legt das Besteck beiseite und schiebt den Teller mit dem Hirschsteak mit einer ruhigen Bewegung von sich weg. Das erste Treffen mit Kathrin Helliger seit langer Zeit, in einem angenehmen Restaurant, hätte er sich gut ohne weiteren polizeilichen Beistand vorstellen können, aber klar, sie hat ihm gesagt, wenn es Freitagabend sein soll, müsse sie als Kommissarin erreichbar sein – Gedanken und Hoffnungen auf einen gemeinsamen Abend entgleiten Justus. Dafür ist das Szenario umso realer und bedrängender. Ein Assistent von Kommissarin Helliger hält ihr ein iPad vor das dezent geschminkte Gesicht und sondert Text und Informationen ab wie ein Schnellfeuergewehr. Ein kurzer Blick von ihr zu Justus und ein „Sorry“, von dem Justus nicht weiß, ob es ernst zu nehmen ist, und schon begleitet sie, ihre Lederjacke in der Hand, mit eiligen Schritten den Kollegen zum Auto. Blaues rotierendes Licht, Sirene – und aus ist das Spektakel. Und aus ist das Essen.

Justus sitzt jetzt alleine mit sich am Tisch. Lediglich der zweite Teller erzählt zumindest den Anfang eines gemeinsamen Abendessens.

Er lehnt sich im Stuhl zurück. Wie sehr hat er sich auf die gemeinsame Begegnung gefreut! Sie hatte ihre Schussverletzung inzwischen zum Glück gut hinter sich gebracht. Als das Gröbste überstanden war, wurden die Telefonate unregelmäßiger, die Berufsnormalität hatte für eine neutrale, alltägliche Distanz zwischen seinem Frankfurt und ihrem Bad Ems gesorgt. Aber heute ist er extra von Frankfurt aus nach Bad Ems gefahren, nachdem er George II mit einem für Labradore einfachen Trick, einem schönen großen Extraknochen, zum Mitkommen überredet hatte. Einen richtigen Anlass gibt es zwar nicht, doch er und Kathrin Helliger finden es vielleicht nicht nötig, aber doch irgendwo gut, sich zu treffen. Und nun: ein Gewaltverbrechen in der Nähe, bei dem es um eine junge Frau geht, die verschwunden ist und eventuell entführt wurde. So viel hat er zumindest mitbekommen. Hilft ihm aber auch nicht wirklich weiter. Was tun? Der markante Kopf von George II gibt beim Streicheln etwas Halt, bringt leider darüber hinaus keine neue, greifbare Erkenntnis.

Justus beschließt, ins Forsthaus nach Lahnberg zu fahren. Seine Mutter wird sich bestimmt freuen, wenn er am Wochenende wieder bei ihr ist. Auch wenn es nur eine gute halbe Stunde Fahrt ist, so hat er sich in Vorbereitung darauf einen Espresso verdient. Also schnell noch einen bei der auffällig uninteressiert schauenden Servicekraft geordert. Ja, er ist doch nicht ein gesuchter Verbrecher, den die Polizei vergessen hat zu verhaften. Espresso und Rechnung kommen gleichzeitig. Noch schnell das obligate, lästige, bunt verpackte Bonbon zur Seite geschoben und bezahlt. Justus steht langsam auf und rückt seinen Stuhl wieder an den Tisch – so, wie es seine Mutter immer gefordert hat. Dabei fällt sein Blick auf den zweiten Stuhl, wo sein flüchtiges Gegenüber bis vor ein paar kostbaren Minuten gesessen hat. Über der Lehne hängt im unschuldigsten Wildlederbraun ihre Handtasche. Und jetzt? Justus greift nach ihr. Was tun? Er möchte einen Blick hineinwerfen, um festzustellen, ob etwas Wichtiges darinnen aufbewahrt wird, was sie dringend benötigt und was er ihr vielleicht bringen sollte. Er möchte aber nicht alles auf der Tischdecke im vollen Licht vor den Blicken des Servicepersonals ausbreiten. Er ist ja nicht vom Zoll. Nachher ist da noch eine Waffe drin! Also setzt sich Justus möglichst unauffällig zurück auf seinen Stuhl, nachdem er diesen vom Tisch weggerückt hat. Auf den Knien und mit gebeugtem Oberkörper, öffnet er behutsam die Tasche. Gar nicht so einfach, so als Mann. Ein erster vorsichtiger Blick nach dem Auseinanderbiegen der Metallbügel in das Innere der Tasche. Justus fühlt sich denkbar unwohl; das ist doch jetzt vollkommen indiskret, ja nahezu ein dinglicher Übergriff auf eine andere Person. Er will deshalb auch nicht in der Tasche wühlen, allerdings findet Justus keine andere Methode, um voranzukommen, als mit gleichmäßigen Fingerbewegungen sich langsam zum Grund vorzuarbeiten. Dabei machen seine Finger als Erstes haptische Bekanntschaft mit einem Lippenstift, eine kleine, igelige Bürste folgt, und dann kommt noch ihr schwarzes Portemonnaie zum Vorschein. Hat er noch nie bei ihr gesehen. Ein kurzes Aufklappen. Ah, der Perso. „Kathrin Anna Helliger“. Das „Anna“ ist ihm neu. Geburtsdatum: 6.6.1986, das wäre dann Anfang des nächsten Monats. Vielleicht nicht schlecht zu wissen. Am Grund der Handtasche mehrere Haargummis, die sich in der Dunkelheit merkwürdig anfühlen, so etwa wie Würmer in der Angelbüchse. Aber an der Seite, in einer Extratasche – es gibt also doch ein Ordnungssystem in Damenhandtaschen – ein Schlüsselbund und ihr Handy. Die Schlüssel machen eher den Eindruck, bei Sicherheitsschlössern von Haustüren den erfolgreichsten Dienst abzuleisten, und das Handy, nun, dessen rote Lederabdeckung ist über jeden Zweifel erhaben. Es ist Kathrin Helligers Handy. Er hätte es jetzt lieber an ihrem Ohr gesehen als vereinsamt am Innenfutter der Tasche kuschelnd. Und nun?

Vorsichtig schließt er die unbewaffnete Tasche und lässt den Espresso wirken. Eins ist klar: Wenn sie auch nicht ihn vermissen wird, so definitiv das Portemonnaie, falls sie noch etwas vorhaben sollte, womit nach dem Einsatz, das ist seine vorsichtige Einschätzung, wohl eher nicht zu rechnen ist. Und dann noch ihr Handy, das die vertraute Nähe zu ihrem Ohr vermissen wird, und die Wohnungsschlüssel, die zwischen ihm und dem Innersten ihres privaten Reichs stehen – könnten! Justus, der nach den Möglichkeiten einer Tat Ausschau hält, anstatt die Gedanken immer und immer von Neuem kreisen zu lassen, beschließt, dorthin zu gehen, wo er denkt, ihr am meisten helfen zu können: zu ihrer Wohnung. Immerhin hat er sie einmal nachts dorthin gefahren. Das Problem wäre also gelöst. Das Forsthaus muss warten. Noch schnell im Restaurant Bescheid gegeben, falls sie anrufen oder vorbeikommen sollte. Die Polizeidienststelle zu informieren und dem diensthabenden Kollegen zu Protokoll zu geben, dass die Kommissarin alles wie eine Zechprellerin in einem Restaurant zurückgelassen hat, das wäre blöd.

Er geht die paar Schritte zu seinem Auto. Er hätte nicht gedacht, dass er schon nach so kurzer Zeit wieder am Steuer sitzt. George II auch nicht. Justus kurvt durch Bad Ems, um dann die Steigung hinauf zu ihrer Wohnung zu fahren. Sein Blick fällt auf die Handtasche auf dem Beifahrersitz. Ist das nun ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Vor dem Haus findet sein Mini einen mit geraden weißen Linien exakt vorgezeichneten Parkplatz unter dem frischen Grün dreier Birken, die den Frühling mit seinem Sonnen-und-Regen-Mix maximal für ihr Wachstum zu nutzen gewusst haben und nun auch schon alle ihre Pollen aus den samtigen Kätzchen zur Freude der Allergiker auf die Windreise entlassen haben. Warum dieser Symbolbaum für den Frühling häufig in einer Dreierkombination angepflanzt wird, hat sich Justus schon mehrfach vergeblich gefragt. Da hilft weder das Gedicht von Hermann Löns „Es stehn drei Birken auf der Heide“ noch der Lieblingsfilm seiner Mutter Drei Birken, bei dem ein Förster das Fräulein fürs Leben findet, weiter. Und manchmal tut es auch nur eine Birke. Die, heimlich vor der Tür der Liebsten am ersten Mai gestellt, wird mancherorts einem Heiratsantrag gleichgesetzt – wenn man denn weiß, wer den Baum da platziert hat.

Jetzt den Schlüsselbund aus der Tasche gefischt, damit er vor der Tür nicht unnötig lang herumkramen muss, was ihn bestimmt nicht vertrauenswürdig erscheinen lassen würde. Noch schnell George II aus dem Kofferraum befreit, und Justus sieht sich der Widerstand ausstrahlenden Eingangstür aus Stahl und Sicherheitsglas gegenüber. Ab hier beginnt Neuland. Sein Herz schlägt schneller. Der erste Schlüssel funktioniert trotz des fieberhaften Kratzens der Schlüsselspitze am Schließzylinder nicht. Aber der zweite Schlüssel passt perfekt und lässt sich mühelos im Schloss drehen. Geschafft! Anhand des Klingelschilds vermutet er ihre Wohnung im zweiten Stock. Das Treppenhaus mit automatischem Licht, hochglänzenden Marmorstufen und Eisenhandlauf ist schnell gemeistert, allerdings hören sich die Schritte merkwürdig laut und Aufmerksamkeit heischend an. Jetzt steht er vor ihrer Tür. Der Name passt. Normalerweise müsste er jetzt klingeln, aber das entfällt nun ja. Justus zögert. Würde er es wollen, dass ihm jemand – selbst mit den besten Absichten – unbemerkt abends einen Besuch in seiner Frankfurter Wohnung oder im alten Lahnberger Forsthaus abstattet? Schon bei der bloßen Vorstellung empfindet er ein Gefühl der Bedrängung und des Ausgeliefertseins. Ganz schlecht! Dennoch: Justusʼ Wunsch zu helfen gewinnt die Oberhand, gestützt durch die Chance, persönlichen Druck durch schnelles Handeln abbauen zu können. Das ist jetzt seine gelebte Hilfe für sie! Dass sie damit nicht einverstanden sein könnte, wird durch seine Motivation entkräftet, zumindest für den Augenblick. Eine kurze, energische Bewegung mit dem passenden zweiten Schlüssel, und die Tür lässt sich ohne jegliche Mühe aufstoßen. Der Lichtschalter befindet sich exakt dort, wo ihn alle Elektriker dieser Welt sinnvollerweise anbringen. Er sieht sich um: die zweite Indiskretion. Zumindest ist sie unbeabsichtigt, entschuldigt er sich vor sich selbst. Der Eingangsbereich, von dem aus Küche, ein Zimmer sowie der offene Flur zum Wohnzimmer abgehen. Überall helles Parkett. Auf der schlanken Buchenholzkommode im Flur unübersehbar eine gut gelaunte Fotoserie von ihr aus einem Fotoautomaten, daneben eine Eintrittskarte für die Salzburger Festspiele. Er bewegt sich vorsichtig einige Schritte weiter und wirft einen kurzen Blick in das vom Flur abgehende Zimmer. Kein Bild nirgends – Kunstlehrerblick, gesteht er sich selbst ein. Massiv verunsichert ist er jedoch durch die Ordnung. Wohin sein Blick auch fällt: Alles ist an seinem Platz. Wie mag das erst in den Schränken aussehen? Lieber nicht schauen. Für jemanden, der die Magie der Unordnung – nicht zu verwechseln mit dem nachlässigen Chaos – schätzt, also jener individuellen Form von Ordnung, ein bedrängendes Erlebnis. Vielleicht ist das eine Reaktion auf die Unordnung an Schauplätzen von Kriminalfällen, wo ja auch gerne mal was umgeworfen oder Teppiche mit Blut bekleckert werden, versucht Justus eine Erklärung zu formen. Die Atmosphäre der Wohnung ist ansprechend, wobei sich Justus nicht ganz sicher ist, was sie ansprechen soll. Insgesamt stilvoll, funktional und so ordentlich.

Sollte er jetzt besser die Schuhe ausziehen, und überhaupt, George II … Hoffentlich schüttelt er sich nicht, damit kein helles Hundehaar den blanken Boden berührt und dadurch vielleicht noch einen in einem versteckten Winkel schlummernden Saugroboter aus dem Ladeschlaf weckt.

Justus zieht seine Wachstuchjacke, die bessere von beiden, die er besitzt, aus und legt sie über den zweiten Sessel im Wohnzimmer. So kann er kenntlich machen, dass er nur kurz hier sein will, sozusagen auf Abruf. Er sitzt im anderen Sessel und schaut aus dem Fenster, das den Blick auf einen Nussbaum freigibt. Hier fühlt sich sein Blick zum ersten Mal wohl. Es wird draußen allmählich dämmerig. Justus sieht sich gezwungen, wenigstens ein Licht auf dem designten Beistelltisch anzumachen. Sonst sähe das ja so heimlich aus, wie er hier sitzt.

Nach gut zwei Stunden meldest sich Kathrin Helligers Handy mit dem Sound von Smetanas Moldau. Einerseits schön, andererseits: Soll er nun rangehen? Wenn das jemand von der Familie ist, was soll der denken, wenn auf einmal eine Männerstimme aus ihrem Telefon quillt? Er merkt, dass er nicht viel Zeit zum Entscheiden hat, ob er das mag oder nicht. Okay, er packt das Telefon. „Hier bei Helliger.“ Wenn der oder die wüsste, wie sehr das stimmen würde, denkt er noch, bevor sich eine Stimme meldet: „Justus, Sie?“

„Ja, ich bin’s.“

„Schön, dass Sie mein Handy haben. Wo sind Sie denn jetzt?“

Justus überkommt ein beklommenes Gefühl. Er kann ihr ja wohl schlecht sagen, dass er es sich mit George II bei ihr gemütlich macht – na ja, so gemütlich es man sich hier machen kann. Er merkt, dass jetzt schon ein wenig Erklärung folgen muss, auch wenn er Erklärungen nicht mag. Das hat häufig etwas von Rechtfertigung oder Entschuldigung.

„Da ich nicht weiß, wie Sie ohne Schlüssel in Ihre Wohnung kommen können, bin ich hier bei Ihnen, um Ihnen zu öffnen.“

Schweigen bei Kathrin Helliger. Justus, der nachweisliche Bringer von Hilfe, fühlt sich unwohl. Vielleicht hat sie ja auch einen Schlüssel bei der Reinemachefrau, einer Nachbarin oder einem Freund, nein, lieber einer Freundin, deponiert, und sein Alleingang ist vollkommen unnütz, ja nahezu frech.

Dann hört er sie durchs Telefon sagen: „Das ist wirklich nett von Ihnen. Ich bin in zehn Minuten da.“

Justus’ Unwohlsein ergreift nun von seinem ganzen Körper Besitz. Soll er vielleicht doch besser vor der Tür warten? Er entschließt sich zu bleiben, aber nett möchte er nicht genannt werden. Auf gar keinen Fall!



Kapitel 2

Ein Klingeln nimmt der Atmosphäre, wie sie bis zu diesem Augenblick geherrscht hat, die Ruhe, aber auch die Spannung, denn jetzt ist klar, dass die Kommissarin unwiderruflich vom Dienst zurückkommt. Justus geht mit beschleunigtem Schritt durch den Flur zur Wohnungstür, wo sich schon ihr Gesicht im flackernden Videodisplay der Türsprechanlage abzeichnet. Bevor Justus endlich die Taste zum Öffnen gefunden hat, sieht er noch, wie sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischt. Hat diese einfach nur gestört, oder hat sie das für ihn getan? Die Frage bleibt unbeantwortet, denn der elektrische Öffner verursacht ein unangenehmes, metallisch brummendes Geräusch. Justus öffnet die Wohnungstür. Seine Ohren folgen ihren Schritten im Treppenhaus. Dynamisches Treppensteigen hört sich anders an. Merkwürdig, diese Schritte machen ihn froh, zumindest so lange, bis sie den letzten Absatz vor der Wohnungstür erreicht haben. Pünktlich mit dem Aus des Intervallschalters für das Treppenhauslicht steht sie vor der geöffneten Tür. Mit einem Mal findet Justus die Situation nur noch schrecklich. Er fühlt sich wie ein hochstapelnder Wohnungsbesitzer, der einer Bekannten die Tür zu einer Wohnung aufhält, von der sie nicht weiß, dass es gar nicht seine Wohnung ist. Justus tritt einen Schritt zurück und kollidiert damit beinahe mit einem sich freudig nähernden Labrador, der seinen Schlaf huldvoll für eine kurze, feuchtnasige Begrüßungszeremonie unterbricht. Nach dem Blick abwärts auf George II weiß Justus, dass er nun an der Reihe ist, und beschließt, sich jetzt nicht unbedingt vorzudrängen.

Ein „Justus, ganz lieben Dank!“ wird gefolgt von einer angedeuteten Umarmung.

„Was für eine schöne Überraschung!“

Nun ja, so überraschend findet Justus das nicht, aber er hat auch länger Zeit gehabt, sich auf die Situation nicht wirklich einlassen zu können.

Kathrin Helliger entledigt sich mit zwei schnellen Bewegungen ihrer Jacke und packt den Dienstausweis in eine unauffällige Designerdose, um danach die Dienstwaffe in dem grauen Minitresor hinter der Tür zu verstauen. Vorschrift ist Vorschrift!

Danach wendet sie sich Justus zu: „Noch mal, tut mir leid, aber das ist wirklich ein merkwürdiger Fall.“ Eine weitere Erklärung folgt nicht, denn sie gesteht Justus: „Ich habe einen irren Hunger. Ich hol uns mal schnell was aus dem Kühlschrank.“ Sie eilt in die Küche. Justus folgt ihr zögerlich, nur George II hat schon Warteposition vor dem Kühlschrank bezogen. Schlaues Tier.

Endlich sitzen sie frei schwingend an dem kleinen Esstisch aus Chrom und Ebenholz in der Küche und stoßen mit ihren Weingläsern an. Ein Comté-Käse, ein paar Trauben und eine Kante vom Brot. Das muss reichen. Justus gibt ihr erst einmal in Ruhe ein paar Bissen Vorsprung. Sie tupft mit der Serviette ihre Lippen. Bei ihm wäre es eher eine Wischbewegung gewesen, aber es passt zu ihr.

Ein „Das tut gut!“ lässt ihre Gesichtszüge entspannen. „Justus, ich will Ihnen kurz erklären, warum es wirklich unvermeidlich war, dass ich wegmusste.“

Justus stützt das Kinn auf die gefalteten Hände, die von den aufgestützten Armen in Position gehalten werden. Da sie von Erlebtem erzählen wird, kann er sie ganz offen anschauen.

„Also, bei uns ist eine Vermisstenanzeige eingegangen. Eine junge Studentin aus Koblenz hat berichtet, dass ihre Freundin Melanie Horb, ebenfalls Kunststudentin, gestern Abend nicht zum vereinbarten Zeitpunkt gekommen war. Sie hatten sich um zwanzig Uhr in Koblenz in einem Bistro verabredet. Das Treffen hatten sie tags zuvor, also am Mittwoch, verabredet, als Melanie Horb ihre Freundin Claire Brocas so gegen sechzehn Uhr anrief. Da Melanie, nachdem sie nicht zum Treffen gekommen war, auch die ganze Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht erreichbar war und sie auch heute tagsüber nichts von sich hat hören lassen, war Claire Brocas beunruhigt und ging zur Polizei. Die Kollegen fanden dies jetzt nicht so wirklich besorgniserregend, sind aber dennoch nach Bad Ems zum Haus gefahren, das Melanie während der Auslandsreise ihrer Eltern hütet. Diese Infos hatten sie von der Freundin. Als die Kollegen an der, im Übrigen richtig noblen, Villa eintrafen, fanden sie eine Seitentür aufgebrochen und in den Räumen der Studentin ein ziemliches Chaos. Als die Kollegen dann noch auf Blutspuren gestoßen sind, kam ich ins Spiel, denn jetzt müssen wir von einem Gewaltverbrechen ausgehen.“

„Das heißt, die Studentin war da ganz allein?“

„Ihre Eltern scheinen irgendwo in Australien unterwegs zu sein. Das hat zumindest Frau Brocas gesagt. Aber das bekommen wir noch raus.“

„Hat sie noch etwas zu der verschwundenen Freundin gesagt?“

„Nun, sie hat erzählt, dass sich Melanie Horb von ihrem Freund getrennt hatte und der sie daraufhin mit Anrufen und Mails im Stundentakt überzogen hat, sie wohl regelrecht gestalkt hat. Den hat mein Assistent mittlerweile ausfindig gemacht und ist im Augenblick mit einer Kollegin auf dem Weg zu ihm, um sich den mal genauer anzuschauen.“

„Und wie geht’s weiter?“

„Ich werde mich gleich morgen früh mit Melanie Horb befassen und versuchen, mehr über sie herauszufinden. Und es werden dann wohl auch die ersten Ergebnisse der Spurensicherung vorliegen.“

„Und wenn’s ein Einbruch war? Sind die Eltern denn reich?“, geht es in Justusʼ Kopf herum.

„Die Villa ist hier in Bad Ems bekannt, hat anscheinend auch schon häufiger den Besitzer gewechselt. Aber klar, großer, parkähnlicher Garten, ein top gepflegtes Haus aus dem späten 19. Jahrhundert mit zwei imposanten Marmorsäulen an der Front, zu der eine standesgemäß üppige Treppe führt. Dazu ein kleines Haus für die Bediensteten, das aber zur Garage umgebaut wurde. Der Porsche und der Bentley müssen ja auch irgendwohin. Ach ja, und was Ihnen, Justus, bestimmt gefallen würde, da hängen überall Bilder.“

Justus hebt den Kopf. Das ist einmal ein Thema, das ihn wirklich interessiert. Kunstlehrer halt.

„Was für Bilder?“

„Na ja, da bin ich keine Fachfrau, wie Sie wissen. Mir ist nur aufgefallen, dass da Landschaftsbilder mit dicken goldenen Rahmen, viele Porträts, aber auch moderne Bilder hängen, auf denen wenig zu erkennen ist.“

Justus weiß, dass er bei aller fachlichen Beobachtungsexpertise seines Gegenübers hier nicht auf weiterführende Details hoffen darf, und fragt deshalb nicht nach. Außerdem muss sie auch einmal abschalten können, wobei die mehr oder weniger versteckten Blicke aufs gerade wiedererlangte Handy nicht eben dafürsprechen. Aber klar, mehrere Stunden ohne diese Informationsquelle hinterlassen ihre Spuren und wollen aufgeholt werden.

Es geht auf Mitternacht zu. Die Dunkelheit dringt auch in die Wohnung vor. Zusätzliche Lichter anzumachen, dafür ist es zu spät. Die Kommissarin gähnt vorsichtig hinter der vorgehaltenen Hand. Genauso hätte sie sagen können: „Sorry, auch wenn morgen Samstag ist, ich muss früh raus.“

Für Justus ist klar, dass der Countdown für den Abschied läuft. „Okay, ich mach mich dann mal auf.“ Sagt’s und greift nach seiner Jacke. Kathrin Helliger steht direkt danach auf. Für Justus ein sicheres Zeichen, dass der Abend sein Ende erreicht hat. Keine zusätzliche Zeit, selbst wenn er das gewollt hätte, was aber nicht ansteht.

Noch schnell George II zum Aufstehen überredet, was bei einem Labrador nach vierundzwanzig Uhr an Tierquälerei grenzt, und nun wartet Justus an der Wohnungstür. Sie folgt ihm und steht nun, da er kurz davor ist, sie zu öffnen, neben ihm. Justus wendet sich von der noch geschlossenen Tür, die aber gleich geöffnet, den Schlund zum Treppenhaus freigeben wird, in einer sparsamen Drehung zu ihr. Er sieht sie an. Auch wenn er sich den Abend wirklich anders vorgestellt hatte, so gibt es nichts zu kritisieren oder sich anders auszumalen.

„Justus?“

„Ja?“

„Danke!“

Anstatt einer Antwort streicht Justus ihr über das Haar des Hinterkopfs und legt mit dem Daumen dabei etwas Haut an der Schläfe frei. Hier findet ein kurzer, aber beinahe schon zart zu nennender Kuss seine Wirkungsstätte. Kathrin Helliger steht regungslos da. Mit geschlossenen Augen. Die Tür öffnet sich lautlos, und das Treppenhaus hat für Justus seinen Schrecken verloren.

Christoph Stoll

Über Christoph Stoll

Biografie

Christoph Stoll stammt aus einem mehrere Jahrhunderte alten nassauischen Förstergeschlecht. Er wuchs in einem Forsthaus im Taunus auf. Statt Tiere zu jagen, entschied er sich für ein Musik- und Germanistikstudium. Zunächst arbeitete er als Autor und Musikredakteur für mehrere Radiosender bevor er in...

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