Verhängnisvolle Affären Verhängnisvolle Affären - eBook-Ausgabe
Wenn Online-Dates beim Anwalt landen
— Wahre Fälle vom Bestseller-AnwaltVerhängnisvolle Affären — Inhalt
Wenn die Partnersuche vor Gericht endet
Millionen von Singles sind im Internet auf der Suche nach Liebe und Erotik. Tinder, Elitepartner und Co. versprechen ihnen unverbindliches Kennenlernen und Abenteuer ohne Risiko. Doch was auf den ersten Blick viel Spaß verspricht, kann böse Folgen haben: Immer häufiger enden Online-Dates anders als erwartet – und das zweite Treffen findet vor Gericht statt.
Bestsellerautor Alexander Stevens, Anwalt für Sexualstrafrecht, hat zahlreiche wahre Fälle zusammengetragen. Er erzählt von skurrilen Situationen ebenso wie von unheimlichen Verbrechen – und ihrem juristischen Nachspiel. Spannend und unterhaltsam schildert er, in welch bizarre Abgründe Online-Dating führen kann, und macht deutlich, dass nicht alle Partner „Singles mit Niveau“ sind.
Mit kriminalistischem Insiderwissen und großem Erzähltalent hat sich Alexander Stevens bereits mehrfach einen Platz auf der SPIEGEL-Bestsellerliste erschrieben. Von ihm erschienen im Piper Verlag ebenfalls „Aussage gegen Aussage“, „9 1/2 perfekte Morde“ und „Der perfekte Mord?“.
Leseprobe zu „Verhängnisvolle Affären“
Vorwort
Wer erinnert sich nicht ans erste Date: Das Knistern, die Aufregung, manch Unbeholfenheit?
Erste Dates sind spannend – wie sie enden, weiß man nie: Vielleicht gibt es eine Wiederholung, vielleicht auch nicht. Vielleicht erwächst daraus die große Liebe, vielleicht bleibt es auch „nur“ beim One-Night-Stand.
Und vielleicht läuft auch alles ganz entsetzlich schief.
So wie in den folgenden Kapiteln dieses Buchs. Denn Online-Dating ist schnell, hemmungslos und anonym.
„Es gibt nichts, was ich noch nicht gehört habe“, sage ich zu meinen Klienten, wenn sie [...]
Vorwort
Wer erinnert sich nicht ans erste Date: Das Knistern, die Aufregung, manch Unbeholfenheit?
Erste Dates sind spannend – wie sie enden, weiß man nie: Vielleicht gibt es eine Wiederholung, vielleicht auch nicht. Vielleicht erwächst daraus die große Liebe, vielleicht bleibt es auch „nur“ beim One-Night-Stand.
Und vielleicht läuft auch alles ganz entsetzlich schief.
So wie in den folgenden Kapiteln dieses Buchs. Denn Online-Dating ist schnell, hemmungslos und anonym.
„Es gibt nichts, was ich noch nicht gehört habe“, sage ich zu meinen Klienten, wenn sie mich erstmals anwaltlich wegen möglicher Straftaten bei einem missglückten Date konsultieren. Schließlich ist es nicht einfach, einem Wildfremden offen zu berichten, was bei dem Intimsten eines Menschen Schlimmes passiert ist. Es hilft ein wenig, den Mandanten die Hemmung zu nehmen.
Doch eigentlich ist das mit dem „schon alles gehört“ gelogen: Denn jedes Mal aufs Neue bin ich überrascht, wo, wie und mit wem so ein Online-Date sein Ende nehmen kann …
Eine Warnung sei vorangestellt:
Jede Geschichte in diesem Buch beruht auf echten Fällen.
Mitgewirkt, redigiert und für gut befunden:
Philip Müller
Club 24
Es ist ein seltener Anblick, dass gleich eine ganze Familie auf der Anklagebank eines Strafgerichts Platz nehmen muss – aber der Reihe nach.
Gisela hatte ihren Werner noch während der Schulzeit kennengelernt. Beide stammten aus einem kleinen Ort, in dem es außer einer angrenzenden Dorfdisco nicht viel Abwechslung gab. In dieser lernten sie sich dann auch mit fünfzehn Jahren kennen. Nach ein paar eiligst gekippten Glas Bier fasste Werner sich ein Herz und sprach die fesche Gisela an. Kurz darauf tanzten sie auch schon eng umschlungen zu einem schnulzigen Song. Von da an waren sie ein Paar.
Nach dem Realschulabschluss zogen die beiden zusammen in die Stadt, Gisela arbeitete als Floristin in einem großen Kaufhaus und Werner in der Schicht bei einem Automobilkonzern. Ein Jahr später machte Werner seiner Gisela einen Heiratsantrag, welchen sie ohne zu zögern annahm. Wieder ein Jahr später kam Sohn Stephan zur Welt, und die kleine Familie zog an den Stadtrand in eine Doppelhaushälfte.
So gingen die Jahre ins Land, und mit ihnen kam der Alltag. Sex hatten Gisela und Werner schon lange nicht mehr, und wirklich gut verstand man sich auch nicht. Über eine Trennung dachten beide hin und wieder nach, aber keiner sprach das Thema an. Und so blieben sie beieinander – vermutlich Stephan zuliebe, obwohl der schon fast zwanzig Jahre alt war.
In jener Zeit sahen Gisela und Werner einander kaum noch. Er ließ sich der besseren Bezahlung wegen ausschließlich für Nachtschichten einteilen, und in den Urlaub fuhr man immer öfter allein, er meist zusammen mit seinen Stammtischbrüdern und sie mit ihren Freundinnen aus dem Kegelverein.
Gisela machte die ständige Einsamkeit zu schaffen – vor allem nachts, wenn ihr Mann auf Schicht war. Der wöchentliche Kegelabend war anfangs zwar eine willkommene Abwechslung, aber mittlerweile war auch der zur Routine geworden. Und der zweiwöchentliche Italienischkurs an der Volkshochschule war mangels ausreichender Teilnehmerzahl abgesetzt worden. Immer öfter endeten Giselas Feierabende deshalb allein vor dem Fernseher. Und ausgerechnet diese einsamen Fernsehabende sollten Giselas Leben für immer verändern. Regelmäßig flackerte in den Werbepausen des Nachtprogramms nämlich ein Spot auf, der verheißungsvolle Liebesabenteuer versprach, wenn man sich auf der beworbenen Seitensprung-Webseite anmeldete. Zunächst registrierte Gisela den Spot kaum, wie sie auch die nervigen Webcam-Girls kaum wahrnahm, die mal mehr mal weniger lustvoll aus dem Fernsehgerät stöhnten. Doch eines Abends packte sie die Neugier. Vielleicht fühlte sie sich gerade besonders einsam, weil ihr Mann den Hochzeitstag vergessen und seine Nachtschicht ganz selbstverständlich angetreten hatte. Jedenfalls schnappte sie sich den Laptop ihres Sohnes und meldete sich auf der Seitensprung-Webseite aus der Werbung an.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihres unbeholfen erstellten Profils dauerte es nicht lange, bis sie von ersten liebeshungrigen Interessenten kontaktiert wurde. Sie hatte ja nicht geahnt, wie einfach es heutzutage war, Männer kennenzulernen – und das auch noch anonym. Natürlich war Gisela durchaus bewusst, dass es hier nicht um die große Liebe, sondern um Sex ging. Dass sie aber binnen einer Woche nach ihrer Anmeldung auf dem Seitensprungportal weit über hundert Nachrichten bekommen hatte, schmeichelte ihr schon irgendwie.
Gisela ging zunächst noch sehr vorsichtig vor, Werner und Stephan durften nichts von ihrer heimlichen Leidenschaft erfahren. Peinlich genau achtete sie darauf, dass man sie auf ihren Profilbildern nicht erkannte, und auf mehr als einen unverfänglichen Chat ließ sie sich nicht ein. Alles Weitere fand nur in ihrer Fantasie statt. Obwohl viele Männer eindeutige Offerten machten, blieb Gisela stets zurückhaltend. Sich tatsächlich mit einem der Männer zu treffen, das schloss sie für sich aus.
Für eine Zeit lang hielt Gisela sich eisern an dieses Prinzip, bis sie eines Tages eine Chat-Nachricht ausgerechnet von einer Frau erhielt. „Ich finde dein Profil sehr ansprechend, wollen wir uns mal treffen?“, hatte „Leonie24“ ihr geschrieben. Im Gegensatz zu Giselas vagem Profil – außer ihrer Leidenschaft fürs Kegeln hatte sie kaum etwas angegeben –, schilderte Leonie24 freimütig ihre sexuellen Vorlieben, wozu Sex mit Männern, Frauen und Gruppensex zählten. Auf ihren Bildern gab Leonie24 sich äußerst offenherzig und sah durchaus ansprechend aus.
Gisela wusste nicht recht, ob sie auf die Anfrage antworten sollte, denn auf Frauen stand sie nicht, jedenfalls hatte sie noch nie entsprechende Bedürfnisse verspürt. Andererseits machte sie die Aufmerksamkeit der jungen, hübschen Leonie neugierig. Und gebot es nicht die Höflichkeit wenigstens abzusagen? So hatte sie es mit den Nachrichten der Männer auch immer gehalten. Gisela wartete einige Tage ab, fasste sich dann ein Herz und schrieb Leonie zurück – allerdings mit dem festen Entschluss, ein etwaiges Angebot von Leonie höflich auszuschlagen. Giselas homoerotischen Ängsten zum Trotz erwies sich Leonie jedoch als unaufdringliche und sympathische Chatpartnerin. Dabei unterhielten sie sich von Anfang an nicht groß darüber, was sie auf der Seitensprung-Webseite suchten. Leonie erzählte von ihrem Magisterstudium, ihrem Pferd, und von allerlei Alltagsbegebenheiten. Gisela schüttete Leonie ihr Herz aus, schrieb ihr von ihrem Alltag, der Sorge um ihren Sohn, der noch immer im Hotel Mama wohnte und natürlich von der unglücklichen Beziehung zu ihrem Mann. Die beiden Frauen verstanden sich gut, und bald trafen sie sich auch privat auf einen Kaffee oder auch mal abends zum Essen. Gisela stellte fest, dass sie mit ihrer neuen Freundin über Dinge sprechen konnte, die sie zuvor noch nie mit einem anderen Menschen geteilt hatte. Natürlich sprachen sie irgendwann auch über die Seitensprung-Webseite, über die sie einander kennengelernt hatten, und Leonie machte keinen Hehl daraus, dass sie dort sehr aktiv „unterwegs“ war. Obwohl Gisela es anfangs kaum mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, sich mit einem fremden Mann zu treffen, nahm Leonie ihr mit ihrer aufgeschlossenen Art Stück für Stück die Angst davor, einen Schritt weiter zu gehen.
Seit fünfundzwanzig Jahren hatte Gisela nun kein Date mehr gehabt, so lange lag der Abend in der Dorfdisco nun schon zurück. Sie war völlig unerfahren, und alleine der Gedanke an ein Treffen mit einem anderen Mann verursachte ihr Panik, wenngleich sie auch ein wenig kitzelnde Neugierde verspürte. Leonie schlug ihr deshalb vor, sie mit in den Club 24 zu nehmen. Dort war Leonie schon seit gut zwei Jahren Mitglied, und wie der Name schon anklingen ließ, nahmen an den Clubtreffen stets exakt vierundzwanzig Mitglieder teil: zwölf Frauen und zwölf Männer.
Der Club bot ein sexuelles Erlebnis der besonderen Art: Vor einem schwarzen Vorhang mit Aussparungen auf Höhe des Intimbereichs, stellten sich die zwölf Frauen nebeneinander auf. Auf der anderen Seite des Vorhangs bezogen derweil die zwölf Männer Stellung. Auf ein Zeichen der Clubchefin Sonja hatten die Männer durch die Aussparung des Vorhangs mit den Frauen Sex, wobei sie munter durchwechselten und auch die Frauen ihre Position oder auch die Stellung und die Art des Geschlechtsverkehrs variierten. Verboten war nur, auf die andere Seite des Vorhangs zu wechseln.
Gisela hatte die Lust schon anhand dieser Erzählung schier überwältigt. Allein die Vorstellung, endlich mal wieder ordentlich Sex zu haben, dem fremden Mann dabei aber nicht in die Augen sehen zu müssen – das war ein Gedanke, der sie fortan nicht mehr losließ. Und das Beste daran: Sie müsste das Wagnis noch nicht einmal allein auf sich nehmen. Ihre neue beste Freundin wäre ja auch dabei.
Also begleitete Gisela Leonie zu einem Schnupperabend im besagten Club 24.
Alles war so, wie Leonie es ihr beschrieben hatte. Das unscheinbare Einfamilienhaus, in dem das Treffen stattfand, verfügte über zwei diskrete Eingänge. Der für Männer lag hinten, der für Frauen vorne. Die Einrichtung war gepflegt und geschmackvoll, das Ambiente einladend und sauber. Die Clubleiterin Sonja begrüßte ihren „Schnuppergast“ persönlich, führte sie durch die Räumlichkeiten, und erwies sich als ausgesprochen nett und herzlich. In einem kleinen Empfangsraum warteten bereits einige Frauen in Dessous und bedienten sich von den Häppchen eines reichhaltigen Büfetts. Eine Tür weiter befand sich ein Umkleideraum mit Duschen und Toiletten. Hinter einer mit rotem Samt bespannten Tür öffnete sich dann der eigentliche Raum des frivolen Treibens nebst dem sagenumwobenen schwarzen Vorhang, der schwer von der Decke fiel und am Boden festgezurrt war, damit auch ja nichts verrutschte. Vor den Aussparungen im Vorhang sah Gisela kleine Körbe gefüllt mit Gleitgel und Kondomen. An der Seite standen mehrere Massageliegen, die man vor die Aussparung schieben konnte, um auch im Liegen Geschlechtsverkehr zu haben, wenn man nicht alles nur im Knien oder in gebückter Haltung machen wollte. Safer Sex war ein absolutes Muss, und es waren die Frauen, die dafür Sorge tragen mussten, dass ein durch den Vorhang durchgesteckter Penis ordnungsgemäß „verpackt“ wurde, ehe es zum Koitus kam.
Gisela war es am Schnupperabend freigestellt, ob sie nur zusehen oder auch mitmachen wollte. Die einladende Stimmung im Club 24 trug jedoch dazu bei, dass Gisela die letzten Hemmungen fallen ließ. Nachdem sie Leonie eine Weile bei deren frivolem Treiben zugesehen hatte, entschloss Gisela sich spontan, einem ermunternden Blick ihrer Freundin zu folgen und selbst mitzuwirken. Sie kniete sich vor das erste Loch ganz links im Vorhang und wartete darauf, dass ein Mann seinen Penis hindurchsteckte. Ihre Hände waren ganz zittrig beim Überstreifen des Kondoms, Leonie musste helfen, was dem Mann sichtlich zu gefallen schien. Dann umschloss sie den erigierten Penis fest mit den Lippen und befriedigte den Mann bis zum Orgasmus.
Von diesem Tag an nahm Gisela an fast jedem der Clubtreffen teil. Nach nur vier Monaten wurde sie Stamm-Mitglied oder auch „Mitglied der Stamm-Zwölf“, wie es unter den Clubmitgliedern hieß. Die Beziehung zu Leonie wurde immer enger. Sie verabredeten sich auch außerhalb der wöchentlichen Clubtreffen nahezu täglich und gingen mal ins Café, mal ins Kino oder trafen sich auf ein paar Drinks. Gisela fühlte sich wie von einer schweren Last befreit, ihre Libido wurde befriedigt, und sie war auf einen Schlag wieder richtig glücklich. Auch das Leben zu Hause wurde wieder erträglich. Es störte sie nicht mehr, dass Werner neben ihr her lebte. Im Gegenteil: Sie kostete die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen aus. Alles war nahezu perfekt, und auch um ihr Nesthäkchen Stephan machte sie sich kaum noch Sorgen. Er verbrachte zwar immer noch viel Zeit zu Hause – vor allem mit dem Computer –, und auch mit Frauen schien bei ihm nicht viel zu laufen, aber sie war sich sicher, dass das bald kommen würde – zumindest hoffte sie das. Vielleicht wäre sogar Leonie etwas für ihn? Gisela dachte darüber nach, die beiden einander vorzustellen. Allerdings verwarf sie den Gedanken gleich wieder. Wie sollte sie die beiden miteinander bekannt machen, ohne ihr Doppelleben preiszugeben? Unter keinen Umständen würde sie ihr neu gewonnenes Lebensglück aufs Spiel setzen.
Nur acht Monate nach dem ersten Schnupperabend im Club 24, kam es zu einem Ereignis, das alles verändern sollte. Auch an jenem Donnerstagabend fand wieder das wöchentliche Clubtreffen statt. Wie immer wartete Gisela mit dem Schminken und Umziehen, bis Ehemann Werner die Wohnung abends für die Nachtschicht verlassen hatte. Sohn Stephan verabredete sich seit einiger Zeit immer donnerstags zum „Computer-Zocken“. Gisela konnte sich also in Ruhe vorbereiten.
Im Club angekommen, unterhielt sie sich wie immer angeregt mit Clubchefin Sonja, Leonie und den anderen Frauen, ehe es in den Raum mit dem schweren, schwarzen Vorhang zur Sache ging. Mittlerweile war Gisela ähnlich routiniert im Ausleben ihrer Fantasien wie ihre Freundin Leonie. Giselas Vorliebe war es, eine der Massageliegen vor den Vorhang zu schieben und sich wahllos von den durchgesteckten Penissen penetrieren zu lassen. Auch dieses Mal legte sie sich auf die Liege, deren Fußteil sich ähnlich wie beim Gynäkologen nach links und rechts wegdrücken ließ, wodurch der Intimbereich so nah wie möglich an der Aussparung im Vorhang lag und man die volle Manneskraft seines Gegenübers genießen konnte. Auf das Signal von Clubchefin Sonja steckte der erste Mann sodann seinen Penis durch die Aussparung im Vorhang. Gisela streifte routiniert ein Kondom darüber, legte sich auf die Liege und führte sich den Penis durch den Vorhang hindurch in die Vagina ein. Sie hatte inzwischen trotz der Anonymität gelernt, bestimmte Männer an ihrem Penis und dem Rhythmus ihrer Bewegungen wiederzuerkennen, und das Stammmitglied, mit dem sie nun Sex hatte, war einer ihrer Favoriten geworden – Leonies übrigens auch, wie sie Gisela unlängst erzählt hatte. In freudiger Erwartung schloss Gisela ihre Augen und gab sich lustvoll den festen Stößen hin.
Doch nur wenige Augenblicke später stellte ihr Sexualpartner den Intimverkehr unvermittelt ein. Ein ohrenbetäubendes Schreien schallte durch den Raum, es waren keineswegs Schreie der Lust.
Hatte da gerade jemand ihren Namen gerufen? Erschreckt schlug Gisela die Augen auf. Der Vorhang war mit brachialer Gewalt heruntergerissen worden. Als sie den Randalierer auf der anderen Seite sah, bestand kein Zweifel mehr. Es war ihr Ehemann. Werner musste ihr gefolgt sein, und das war noch nicht alles. Zum ersten Mal war die Geschlechtertrennung im Club 24 aufgehoben. Ein äußerst peinliches Schweigen machte sich breit, unterbrochen nur von den wütenden Schreien ihres Mannes der von vier gut gebauten, nackten Männern im Schwitzkasten festgehalten wurde. Clubchefin Sonja alarmierte umgehend die Polizei. Niemand sah sich in der Lage, die Situation zu beruhigen oder etwas zu sagen. Zwölf nackte Frauen standen zwölf nackten Männern gegenüber, und mittendrin tobte ein wütender Ehemann. Als ob das alles nicht schon befremdlich genug gewesen wäre, erblickte Gisela unter den Männern, mit denen sie in den letzten Monaten so lustvoll Sex gehabt hatte, einen, der ihr alles andere als fremd war: ihren Sohn Stephan, der – mit beiden Händen seinen Intimbereich bedeckend –, den entsetzten Blick seiner Mutter erwiderte.
Gisela wusste nicht, was schlimmer war: dass ihr Ehemann sie in flagranti in einem Swingerclub erwischt hatte, oder dass sie, ohne es zu ahnen, mehrfach mit ihrem eigenen Sohn Sex gehabt hatte.
Nach diesem Vorfall sahen sich Werner, Gisela und Stephan erst vor Gericht wieder. Werner hatte keinen Fuß mehr in das gemeinsame Haus gesetzt, Stephan hatte noch am selben Abend stumm seine Sachen gepackt, und Gisela war vorerst zu Leonie gezogen. Das Leben der Familie lag in Scherben: Werner war angeklagt wegen Hausfriedensbruch im Club 24 und wegen Sachbeschädigung an dem schwarzen Vorhang und der Haustür, die er eingetreten hatte. Gisela und Stephan standen wegen Inzest vor Gericht.
Die zu erwartenden Strafen waren dabei das geringste Problem, denn im Laufe der Gerichtsverhandlung kamen immer neue Grausamkeiten ans Licht. Werner hatte offenbar einen guten Teil seiner „Nachtschichten“ längst bei seiner neuen Freundin verbracht, und Stephan war erst auf den Club 24 gestoßen, als er die entsprechenden Links im Browserverlauf auf seinem Computer gesehen hatte. Gisela hatte also durch die Nutzung seines Laptops erst dazu beigetragen, dass sie unwissentlich mit ihrem eigenen Sohn Sex gehabt hatte.
So war es dann zuletzt nur ein schwacher Trost, dass das Gericht das Verfahren einstellte. Dem Richter war klar, dass weder Stephan noch Gisela gewusst hatten, dass sie dieselbe Vorliebe, denselben Club, denselben Vorhang und noch einiges mehr miteinander teilten. Auch für den eifersüchtigen Werner hatte er angesichts des verstörenden Anblicks, die eigene Frau beim Sex mit zwölf Männern zu erwischen, einigermaßen Verständnis.
In die Augen konnte sich die Familie seither trotzdem nicht mehr blicken.
Wer übrigens jener der zwölf Männer war, mit dem es Gisela und Leonie so ausgesprochen gut gefallen hatte, wurde nicht weiter aufgeklärt. Vielleicht auch besser so …
Ihr letztes Date
Natalie hatte sich äußerst schick gemacht und traf ganze fünfzehn Minuten vor der Zeit am Kino ein – eigentlich völlig untypisch für sie als notorische Zuspätkommerin. Aber diesmal hatte sie nicht nur einen kleinen Leckerbissen, sondern einen richtig großen Fisch am Haken. In den zwei Jahren als Single hatte sie schon einige Dates über diverse Apps und Dating-Seiten gehabt, und bisher war nie der Richtige dabei gewesen. Die meisten wollten immer nur Sex, abgesehen von den Spinnern, die schon beim ersten Treffen Zukunftspläne schmiedeten. Selbst wenn es bei dem ein oder anderen doch zu passen schien und es zu mehr als nur dem ersten Date kam, entpuppten sich die Kandidaten über kurz oder lang als echte Freaks. Der eine lebte mit fünfunddreißig Jahren noch bei seiner Mutter – angeblich nur, um sich die Miete zu sparen. Aber sicher doch! Der andere war verheiratet, seine Frau aber einverstanden mit einer Dreiecksbeziehung. Wer’s glaubte! Der nächste tischte ihr auf, er leide seit einer Kriegsverletzung unter Erektionsstörungen, als sie das erste Mal intim werden wollte. Ah ja!
Ganz anders der Mann, mit dem sie sich heute über die Dating-Plattform LoveRadar verabredet hatte. Er sah nicht nur verdammt gut aus, sondern hatte es dazu offenbar auf mehr abgesehen als nur Sex, was ihn von so vielen anderen unterschied, die sich auf den einschlägigen Dating-Plattformen herumtrieben. Er war wohl tatsächlich an etwas Ernstem interessiert, und wenn es nach ihr ging, konnte aus dem heutigen Kinobesuch gerne mehr werden. Immerhin hatte er Natalie gefragt, ob sie ihn nach dem Kino nach Hause fahren könnte. Sicherheitshalber hatte sie ein paar Kondome in ihre Handtasche gesteckt und sich für ein rotes Kleid entschieden. Wenn Männer eines wussten, dann ja wohl, dass etwas ging, wenn eine Frau Rot trug.
Auf seinem Profilbild sah er fabelhaft aus. Sie mochte seinen Jeans-in-Jeans-Look: Jeanshemd, Jeanshose und darunter ein enges T-Shirt. Er war nicht die hellste Kerze am Christbaum, das war ihr schon binnen der ersten Minuten des eher unbeholfenen Chats klar geworden – seine Antworten strotzten nur so vor Rechtschreibfehlern –, aber sie fand das irgendwie süß. Und dass er Kfz-Mechaniker war, konnte nur zu ihrem Vorteil sein. Wenn sie allein daran dachte, wie oft sie in der Vergangenheit schon den Pannennotdienst rufen musste … Dann waren da noch die vielen Tattoos auf seinen muskulösen Oberarmen, die sie ein bisschen an böse Knast-Jungs erinnerten und sie ziemlich anturnten.
Der Kinofilm war ganz okay. Aber sie hatte sich insgeheim schon etwas mehr erhofft als zaghaftes Händchenhalten nach der ersten Hälfte des Films. Aber hey, der Abend war ja noch jung, und schließlich würde sie ihn nach dem Film nach Hause fahren. Es konnte also noch viel passieren. Vielleicht war er trotz der vielen Tattoos, der Muskeln und dem markanten Gesicht einfach sehr schüchtern. Der Gedanke, dass dieser auf den ersten Blick so harte Junge ihren weiblichen Reizen hilflos ausgeliefert sein könnte, gefiel ihr erst recht. Dann musste eben sie ein bisschen offensiver werden, hatte sie noch gedacht, als er nach dem Film zu ihr ins Auto stieg.
Nach etwa zehnminütiger Fahrt fiel ihm plötzlich ein, dass er noch kurz bei einem Kumpel, der in einer nahe gelegenen Tankstelle arbeitete, etwas abholen musste. Ob sie noch kurz an der besagten Tanke haltmachen könnte? Es werde auch nicht lange dauern.
Natürlich war das für Natalie kein Problem. Ob sie fünf Minuten früher oder später bei ihm ankämen, war ihr egal. Außerdem meldete sich wieder ihre weibliche Intuition, und sie war sich sicher, dass es nur eine faule Ausrede war. Naheliegender war doch, dass er in der Tanke Kondome und ein bisschen Alkohol zum Lockerwerden kaufen wollte.
Sie könne den Motor ruhig laufen lassen, sagte er mit einem Augenzwinkern, als er aus dem Wagen stieg, er sei gleich wieder zurück. Dass er allerdings so schnell wieder zurück sein würde, damit hatte Natalie nicht gerechnet. Als sie das nächste Mal aufblickte, kam er mit blutender Nase aus der Tankstelle gerannt und hechtete zu ihr in den Wagen. „Schnell, fahr los!“, brüllte er sie an.
Was zur Hölle war in den letzten dreißig Sekunden geschehen? Völlig verwirrt tat sie wie befohlen. „Dein Kumpel war wohl nicht sonderlich gut auf dich zu sprechen“, meinte sie noch, was der Mann in Jeans bestätigte: „Der spinnt.“ Und das war alles, was er zu dem Vorfall sagte, bevor er sich das angebotene Taschentuch unter die Nase drückte. Irgendwie fand Natalie das Ganze sogar ein bisschen aufregend und malte sich aus, den jungen Mann im Anschluss gut zu „verarzten“.
Aber daraus wurde nichts. Als sie in einem abgelegenen Industriegebiet vor der Kfz-Werkstatt anhielt, bot er ihr nicht mal den heiß ersehnten Kaffee an. Noch ehe sie etwas sagen konnte, hatte der Jeansmann sich auch schon dafür bedankt, dass sie ihn nach Hause gebracht hatte, und konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto herauskommen. Der ganze Abend nebst rasanter Heimfahrt für Nichts? Eine bis dahin nicht gekannte Mischung aus Enttäuschung und Verwirrung machte sich in ihr breit, war sie es doch gewohnt, dass die Männer sie anflehten, nach dem Date noch gemeinsam einen Kaffee zu trinken.
Gut, vielleicht war er nach der blutigen Auseinandersetzung mit seinem Kumpel von der Tanke nicht mehr so in Stimmung und hatte einfach keine Lust auf das, was Natalie ihm mit dem roten Kleid so deutlich signalisiert hatte. Vielleicht steckte unter der rauen Schale ein weicher Kern, und sie müsste ihm ein bisschen auf die Sprünge helfen. Für einen Moment überlegte sie sogar, ihm als kleines Trostpflaster ein Selfie von dem zu schicken, was sie unter ihrem roten Kleid trug.
Doch so weit sollte es an diesem Abend nicht mehr kommen. Kaum dass sie in die heimische Einfahrt eingebogen war, wurde sie von hellem Scheinwerferlicht geblendet, und mehrere uniformierte Polizeibeamte zerrten sie unter vorgehaltener Waffe aus dem Auto. Dann klickten die Handschellen. „Sie sind vorläufig festgenommen“, hörte Natalie einen der Beamten sagen, der eine Maschinenpistole auf sie richtete. Nicht etwa ihr Date, sondern eine recht unsensible junge Polizistin sollte an diesem Abend erfahren, was sie unter ihrem roten Kleid trug, als sie Natalie einer peinlich genauen Leibesvisitation unterzog. Anschließend wurde sie unsanft abgeführt und aufs Polizeipräsidium gebracht.
Als sie im Verhörzimmer den beiden Beamten gegenübersaß, die sie ganz im Stile „Guter Bulle – Böser Bulle“ befragten, drängte sich ihr die Frage nach dem Warum auf. Offenbar hielten die Kommissare sie für eine Kriminelle. Jedenfalls unterstellten sie ihr mehrfach, ganz genau zu wissen, warum sie heute Abend hier sei. Sie werde die nächsten Jahre ohnehin in einer Zelle verbringen, es gehe nur noch darum, wie lange. Sie solle besser reden!
Erst als sie den Beamten immer wieder den Ablauf des vergangenen Kinobesuchs mit dem tätowierten Kfz-Mechaniker geschildert und ihnen den gesamten Chatverlauf auf LoveRadar vorgelegt hatte, ging den Beamten ein Licht auf. Denn anders als die Polizisten zunächst angenommen hatten, war sie keineswegs die Komplizin des gesuchten Tankstellenräubers in Jeans.
Den wahren Täter konnte die Polizei dank der Dating-App, die Natalie auf ihrem Handy installiert hatte, in einer nahe gelegenen Spielhalle orten und dingfest machen. Es war nicht das erste Mal, dass er mithilfe der Dating-App Fluchtfahrzeug nebst Fahrerin organisiert hatte und mit den ahnungslosen jungen Frauen auf Raubzug gegangen war. Der einschlägig vorbestrafte Jeansmann gab sofort alles zu – wenigstens diesen Anstand besaß er.
Was Natalie allerdings an diesem Abend unter ihrem Kleid trug, sollte der Räuber trotz seines reumütigen Geständnisses nicht mehr von ihr erfahren. Und auch von LoveRadar hatte sie die Nase gestrichen voll.
Love Supreme
Zuerst hatte sie es für ein Hirngespinst gehalten, dass sie von wildfremden Leuten angestarrt wurde, denn es gab keinen nachvollziehbaren Grund dafür: Weder kleidete sie sich ausgefallen oder verhielt sich seltsam, noch war sie für irgendetwas bekannt oder gar berühmt. Ihr Leben verlief in geordneten Bahnen, und als Wirtschaftsmathematikerin, die im Innendienst einer großen Versicherungsgesellschaft arbeitete, stieß sie bei ihren Mitmenschen auf wenig Interesse. Just in der Firmenkantine war es kürzlich zu dem ersten Vorfall gekommen. Ein besonders schmieriger, abgehalfterter Typ aus dem Außendienst hatte sie vom Nebentisch aus ziemlich unverschämt angestarrt und sich mit seinen nicht minder schmierigen Kollegen offenbar köstlich über sie amüsiert. Spätestens als er mit einem verdammt dummen Grinsen an ihr vorbeischarwenzelt war und ihr unter dem Gejohle seiner Kollegen mit einem unverschämten Lachen „Hey, sexy Susi“ zugerufen hatte, war ihr klar geworden, dass sie sich auch die Blicke in der U-Bahn, im Bus, im Supermarkt und neulich bei McDonalds nicht eingebildet hatte.
Sie fing an, ernsthafter darüber nachzudenken, warum sich die Menschen in ihrer Gegenwart seit einiger Zeit so merkwürdig verhielten. Vielleicht steckten ihre Freundinnen dahinter und hatten ihr einen Streich gespielt, von dem sie nichts wusste? Zugetraut hätte sie es ihnen. In ihrer Clique waren sie alle ein bisschen verrückt. Andererseits: Wie sollten ihre Freundinnen schon dafür sorgen, dass wildfremde Leute sie auf der Straße anstarrten. Als ihr dann kurz nach diesem Zwischenfall ein junger Teenager unter Anwendung einer obszönen Geste „Sexy Susi ich liebe dich!“ zurief und die Gruppe halbstarker Schüler um ihn herum in lautes Gelächter ausbrach, bestand für sie kein Zweifel mehr: Irgendetwas stimmte nicht.
Sie hieß nicht mal Susi, sondern Simone. Wieso aber hatten sowohl der schmierig-sexistische Außendienstler als auch der frech-forsche Schüler sie sexy Susi genannt? Ein eiligst einberufenes Krisentreffen mit ihren Freundinnen bestätigte ihr, was sie schon geahnt hatte: Ihre Freundinnen hatten nichts damit zu tun. Hatte sie eine Doppelgängerin?
Eine Online-Recherche brachte Licht ins Dunkel: Auf diversen Amateur-Pornoseiten stieß Simone auf Videos, in denen sie selbst beim Sex zu sehen war – nur dass sie auf diesen Seiten offenbar unter dem Pseudonym „Sexy Susi“ bekannt war. Die Aufnahmen waren teils arg verwackelt, aber dennoch sehr explizit. So explizit, dass sie fast schon medizinischen Charakter hatten. Das Schlimmste aber war: Die Kamera zeigte immer wieder und ganz eindeutig Simones Gesicht. „Sexy Susi Video 1“ lautete der Titel des schmuddeligen Machwerks, das weit über 200 000 Views zählte. Eine weitere Aufnahme war schon bei 120 000 Views. Sexy Susi hatte anscheinend eine stark wachsende Fangemeinde, unter ihnen auch der schmierige Außendienstler, der jedes einzelne Video ausgiebig kommentiert hatte.
Die Pornofilmchen im Internet mussten erst kürzlich aufgenommen worden sein. In den Videos war Simone blond, und sie hatte sich die Haare erst vor einem halben Jahr nach der Trennung von ihrem Freund gefärbt. Das schränkte den Kreis der Verdächtigen von vorneherein ein, und obwohl sie in der letzten Zeit kein Kind von Traurigkeit gewesen war, kam sie nach einigem Überlegen zu dem Schluss, dass nur Thomas für diese Schweinerei verantwortlich gewesen sein konnte. Vor etwa zwei Monaten hatte sie ihn über die Dating-App AfterWorkers kennengelernt. Sie hatte sich einige Male mit ihm getroffen und von Zeit zu Zeit mit ihm geschlafen. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich: Das Schwein hatte sie heimlich beim Sex gefilmt. Abgesehen von ein paar One-Night-Stands und Sex mit dem Ex, hatte sie seit der Trennung mit keinem anderen Mann mehr als einmal geschlafen – im Internet kursierten aber bereits vier Sexy-Susi-Videos. Sie musste also keine Mathematikerin sein, um sich auszurechnen, wer dahintersteckte.
Ohnehin war Thomas ein bisschen schräg gewesen. Zunächst hatte er schüchtern, fast schon verklemmt gewirkt, dann aber schon zu ihrem zweiten Date diverse Sextoys mitgebracht. Thomas’ Vorstoß mit den Sextoys fand sie damals gar nicht so schlecht, die meisten Männer, die Simone kannte, waren in dieser Hinsicht eher fantasielos. Insbesondere die Hightech-Liebeskugeln, die sie per App auf ihrem Smartphone in verschiedenen Stärken vibrieren lassen konnte, hatten es ihr damals angetan. Jetzt war Simone klar, dass Thomas offenbar noch ein bisschen mehr Hightech-Ausrüstung dabeigehabt haben musste. Dafür würde er büßen!
Simone ging zur Polizei. Und die fackelte nicht lange, denn was Thomas Simone angetan hatte, war in mehrfacher Hinsicht strafbar. Beides, das Aufnehmen des pornografischen Materials und die Verbreitung im Internet, ohne Simones Einverständnis einzuholen, sind keine Kavaliersdelikte. Digitale Daten hinterlassen Spuren, und die ermittelnde Staatsanwältin war sich sicher, dass man auf Thomas’ Computer schnell fündig werden würde. Sie beantragte einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, der zwei Tage später in den frühen Morgenstunden durch ein mobiles Einsatzkommando der Polizei vollstreckt wurde.
Der Polizei gegenüber gab sich Thomas allerdings ziemlich überrascht. Auf die Frage der Polizisten, mit welchem Gerät er die heimlichen Sexfilme von Simone aufgenommen hatte, gab er sich gänzlich unwissend, selbst dann noch als die Polizisten ihm drohten, seine Bude zu „zerlegen“, wenn er nicht kooperierte.
Aber auch die Auswertung sämtlicher beschlagnahmter technischer Geräte ergab keine Hinweise darauf, dass Thomas irgendwelche Pornofilmchen von Sexy Susi produziert, besessen oder hochgeladen hatte. Und schlimmer noch: Ein fünftes Video von Simone tauchte im Internet auf. Es zeigte sie im nagelneuen Bademantel von Victoria’s Secret, den sie sich eine Woche nach Anzeigeerstattung gekauft hatte, eine Woche nach der Durchsuchungsaktion in Thomas’ Wohnung.
Wenngleich das Video sie nicht beim Sex zeigte, setzte die Veröffentlichung dieses Videos Simone mehr zu als die anderen: Es zeigte sie in einem intimen Moment, in dem sie sich gänzlich unbeobachtet geglaubt hatte. Ausgerechnet im Takt des Songs „Love Supreme“ von Robbie Williams hatte sie sich ausgezogen. Es kränkte sie weniger, dass die Aufnahme sie nackt zeigte – sie mochte ihren Körper, und es gefiel ihr, nackt zu sein –, vielmehr traf es sie, dass jemand hinterhältig in ihre Privatsphäre eingedrungen war.
Gemeinsam mit ihren Freundinnen analysierte sie das Video, um dem unbekannten Täter endlich auf die Schliche zu kommen. Sah man sich die Perspektive der Aufnahme genauer an, musste sie jemand durch das Fenster hindurch gefilmt haben, während sie sich bettfertig machte. Aber wie war das möglich? Simone wohnte im zweiten Stock. Der Täter hätte entweder die Hauswand hochklettern müssen – oder er konnte fliegen.
Wieder erstattete Simone Anzeige, diesmal gegen Unbekannt. Doch der zuständige Kommissar reagierte deutlich verhaltener auf ihre Anzeige als zuvor. Zwar glaubte er Simone und wollte ihr auch gerne helfen, er wusste nur nicht wie. Die diensthabende Staatsanwältin war nach der erfolglosen Hausdurchsuchung bei Thomas ziemlich wütend gewesen. Ohne handfeste Beweise, das hatte sie dem Kommissar klargemacht, brauchte er gar nicht erst versuchen, ihr einen Verdächtigen zu präsentieren. Das Schlimmste für Simone war, dass die Staatsanwältin zudem Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit geäußert hatte. Vielleicht hatte Simone bei der Anzahl ihrer Liebhaber geflunkert, und ein anderer ihrer Lover hatte die Aufnahme erstellt – vielleicht hatte sie die Aufnahmen gar selbst veröffentlicht? Schließlich war nur sie selbst auf den Videos zu sehen, und Sexy Susis wachsende Berühmtheit vielleicht sogar ein gutes Motiv? Simone war fassungslos.
Als dann eine Woche später ein sechstes Video von Sexy Susi im Netz auftauchte, sollte der Spuk endlich ein Ende haben. Für Simone war es das bisher schlimmste Video: Es zeigte, wie sie sich selbst befriedigte. Deutlich war zu sehen, wie Simone sich etwas in die Vagina einführte, und zwar aus der Perspektive des eingeführten Gegenstandes! Die Kamera musste also an dem Gegenstand selbst angebracht sein, mit dem sie sich in dem Video genüsslich befriedigte. Mit einem Mal war ihr alles klar: Es mussten die Liebeskugeln sein, die Thomas ihr großzügig überlassen hatte! Eine Internet-Recherche zu dem Produkt bestätigte ihren Verdacht. Bei den Liebeskugeln handelte es sich um ein Sexspielzeug, das sich vor allem an Paare in Fernbeziehungen richtete. Mit der entsprechenden App ließen sich die technisch ausgeklügelten Kugeln nämlich nicht nur aus der Ferne zum Vibrieren bringen, es standen auch diverse weitere Funktionen zur Verfügung, darunter eine in die Kugeln integrierte Kamera.
Eine vom ermittelnden Kommissar und der zuständigen Staatsanwältin umgehend beauftragte kriminaltechnische Untersuchung brachte dann endlich Licht ins Dunkel: Aufgrund eines werkseitigen Versehens waren die Hightech-Liebeskugeln so programmiert, dass sie die mit der Kamera aufgezeichneten Daten automatisch per WLAN auf den öffentlichen Server des Erotikartikelherstellers übertrugen. Von dort aus waren die Daten für jedermann abrufbar. Wer allerdings die unfreiwillig entstandenen Videos von Simone auf die einschlägigen Erotikseiten hochgeladen hatte, noch dazu mit dem Pseudonym „Sexy Susi“, ließ sich nicht ermitteln.
Immerhin zeigte sich der japanische Hersteller der Liebeskugeln einigermaßen einsichtig. „Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ überwies er Simone eine Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro.
Und die pragmatisch veranlagte Simone machte das Beste daraus: Da sie nun ohnehin schon einen zweifelhaften Bekanntheitsgrad als Sexy Susi erlangt und mittlerweile Fans auf der ganzen Welt hatte, hängte sie ihren Schreibtischjob an den Nagel und beschloss, weitere Videos von sich zu veröffentlichen, diesmal in Eigenregie und natürlich gegen Entgelt.
Nur an ihren größten Erfolg konnte sie nie wieder anknüpfen: Der Clip mit Simones Showeinlage zu „Love Supreme“ ist mit weit über zwei Millionen Views bis heute der mit Abstand meist geklickte …
Das sexte Gebot
Es sei sein Fetisch, da könne er nichts machen, sagte der Angeklagte am Ende reumütig zum Richter. Alles habe mit „Nonne Martha“ angefangen. Nonne Martha, so stellte sich im Laufe der weiteren Gerichtsverhandlung heraus, war eigentlich keine Nonne, sondern eine Domina, die der Angeklagte auf einer Webseite im Internet gefunden hatte. Dort bot sie – ausgerüstet mit Peitsche, Glockenstrick und gewandet in ein Nonnenkostüm – ihre Dienste an. Daneben hatte Martha ein Holzkreuz im Angebot, an das sie sündige Kunden fesselte oder sie wahlweise mit echten Stahlnägeln daran festnagelte. Auch einen Beichtstuhl der ganz besonderen Art nannte sie ihr Eigen. Anstelle eines Polsters war auf der Sitzfläche ein Nagelbrett angebracht. Für besonders renitente Sünder gab es ein kleines Loch im Holz, durch das der Sünder seinen Penis stecken musste, wonach er von Nonne Martha in einen eigens konstruierten Schraubstock gequetscht wurde, der sich nach Belieben enger schrauben ließ. Je sündiger der Kunde, desto fester schraubte Nonne Martha die Eisenzwinge zusammen.
Dieser Beichtstuhl habe es ihm angetan, erklärte der Angeklagte, aber auf Dauer sei ihm die ganze Sache doch zu schmerzhaft geworden, und andere Leistungen bot Nonne Martha aus Prinzip nicht an. Dominas seien keine Prostituierten, habe sie ihn in gewohnt herrischem Ton angeblafft, als er sie höflich darum gebeten hatte, seinen Penis in dem hölzernen Loch zu verschonen und ihn doch lieber einer sanfteren Behandlung bis zum Samenerguss zu unterziehen. Was das betraf, kam der Angeklagte bei Nonne Martha nicht auf seine Kosten, denn mit Sperma wollte sie nichts zu tun haben. Zwar war es den Kunden erlaubt, während der „heiligen Prozeduren“ zu onanieren, ejakulieren mussten sie aber in einen bereitstehenden goldenen Kelch, den der Kunde im Anschluss austrinken und säubern musste. Immerhin gab Nonne Martha noch einen kleinen Schluck Messwein mit in das güldene Gefäß.
Um es kurz zu machen: Der Angeklagte und sein „kleiner Messdiener“ wollten irgendwann auch mal in den Genuss einer schmerzfreien Behandlung kommen, den Beichtstuhl aber auch nicht missen. Und so war er auf die Idee gekommen, sich auf der Dating-App Gender anzumelden. Dass sein dort angegebener Beruf eine derart positive Reaktion zur Folge haben würde, hätte er sich aber nicht erträumt. Zu ihm als Pfarrer hatten die datingwilligen Frauen wohl besonders schnell Vertrauen gefasst. Fast alle waren schon nach wenigen Chat-Nachrichten bereit gewesen, sich mit ihm in einem Gasthaus nahe der Kirche zu treffen. Dort hatte er den Frauen, die zwischen achtzehn und sechzig Jahre alt waren, auch offen gestanden, dass er aufgrund des strikten Zölibats sehr einsam sei, aber selbst als Mann Gottes gewisse Bedürfnisse habe. Und so war dann eins zum anderen gekommen – auch das mit dem Sex in der Kirche.
Natürlich gab es in der besagten Kirche einen Beichtstuhl. Und der war deutlich bequemer als der von Nonne Martha, wenngleich er mit einer identischen Aussparung auf Schritthöhe aufwartete, die der genderfreudige Pfarrer mit einer Handsäge heimlich ausgesägt hatte. Um sich beim Einführen seines Geschlechtsteils nicht an Holzsplittern zu verletzen, hatte er das Loch sogar mit Schleifpapier einigermaßen glatt geschliffen. Und auch wenn jetzt schon klar sein dürfte, was er in der Kirche am liebsten getrieben hatte, ersparte es ihm der Richter nicht, eine detaillierte Schilderung der Vorgänge abzugeben, die ihn schlussendlich auf die Anklagebank gebracht hatten:
Gewiss habe es etwas Überzeugungsarbeit gekostet, den Frauen seinen Fetisch schmackhaft zu machen, schilderte der Angeklagte mit Blick auf den Boden. Trotzdem seien ihm seine Gender-Dates letztlich freimütig zum Beichtstuhl gefolgt, um darin Geschlechtsverkehr zu haben. Er könne sich jedenfalls an keine erinnern, die am Ende nicht doch bereit gewesen wäre, auf der Seite der Sünderin Platz zu nehmen – und es mussten insgesamt sehr viele gewesen sein. Immerhin hatten den polizeilichen Ermittlungen zufolge rund 400 Frauen allein auf der Dating-App Gender Kontakt zu dem liebeshungrigen Pfarrer gehabt.
Doch so erfolgreich die ganze Sache für den Pfarrer anfangs auch gelaufen sein mochte – Gotteshäuser sind für alle da, und hin und wieder verirren sich auch treue, meist etwas ältere Schäfchen dorthinein. Es war wohl doch ein wenig zu kühn gewesen, dass er seine „Beichte“ eines schönen Tages auf einen Wochentag legte, noch dazu auf den, an dem Ulrike Traugott, eine engagierte Kirchgängerin, sich seit jeher um die Vorbereitungen für den wöchentlichen Gottesdienst kümmerte. Es war nur ihrer stets keuschen Lebensführung und ihrer sexuellen Unerfahrenheit geschuldet, dass ihr Herz den Zwischenfall unbeschadet überstand. Ausgerechnet während sie die abgebrannten Kerzen am Opferstock auswechselte, vernahm sie an besagtem Nachmittag alarmierende Geräusche aus dem Beichtstuhl, die sie für ernste Atembeschwerden ihres hochverehrten Pfarrers hielt. Als gute Christin eilte sie natürlich sofort herbei, um das Leben von Hochwürden zu retten. Dementsprechend groß war der Schreck, als sie dort nicht das erblickte, was sie erwartet hatte.
Abgesehen davon, dass der Mann, der da im Beichtstuhl stand, nicht in Not zu sein schien, hatte er dort auch schlichtweg nichts verloren. Beichttag war eigentlich donnerstags, und der Mann, der sich bei Gender als Pfarrer ausgab, war natürlich kein Mann Gottes, schon gar nicht der Pfarrer der St. Marien Kirche – das war nämlich Monsignore Mayer. Auch dass der Hochstapler ein Priestergewand trug, das nicht einmal ansatzweise der Dienstkleidung eines katholischen Pfarrers entsprach, bemerkte die in liturgischen Dingen sehr bewanderte Ulrike. Ihr war sofort klar: Hier stimmte etwas nicht. Der Mann im Beichtstuhl musste ein „Zigeuner“ sein, der sich dort versteckt hatte, um nach Einbruch der Dämmerung die versilberten Kerzenständer des Hochaltars zu stehlen – so zumindest die Vermutung der rüstigen Dame. Schnurstracks lief sie zu einer der wohl letzten Telefonzellen Deutschlands direkt neben der Kirche und alarmierte die Polizei. Dass der Penis des Gender-Pfarrers im Moment der Entdeckung noch in dem Loch in der Holzwand des Beichtstuhls und dahinter in einer Person steckte, hatte Ulrike gar nicht bemerkt – wie gesagt, sie war nur Gott in treuer Liebe ergeben.
Die Polizei war erstaunlich schnell am Tatort und in Liebesdingen deutlich aufgeklärter als Ulrike: Aufgrund der Funde in den routinemäßig kontrollierten Taschen des falschen Pfarrers, in denen sich neben Gleitgel und Kondomen auch noch eine Schachtel Viagra befunden hatte, unterzogen die Beamten auch den Beichtstuhl einer gründlichen Untersuchung. Das ausgesägte Loch und die Spermaflecken auf der einen Seite der Holzwand ließen wenig Raum für Spekulationen. Hier war kein Dieb am Werk, sondern ein routinierter Kirchenschänder. Und solche Schweinereien sind natürlich strafbar. Gemäß dem eher selten angewandten § 167 Strafgesetzbuch wird sogenannter „beschimpfender Unfug“ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet – begeht man diesen „Unfug“ dann auch noch bis zu vierhundert Mal, kommt einiges an Strafe zusammen. Den bayerischen Dorfpolizisten war die Strafnorm zwar nicht bekannt, aber dass es sich hier um eine Sauerei handelte, war ihnen klar. Das eingeschnitzte Loch in der Holzwand des Beichtstuhls und die sexuellen Handlungen waren nach kirchlichen Maßstäben ein schweres Sakrileg, das deutsche Strafrecht bestraft Beschädigungen in Kirchenhäusern deshalb besonders schwer – schließlich hat ein Gotteshaus für Gläubige einen hohen ideellen Wert.
Was genau es mit dem „beschimpfenden Unfug“ auf sich hat, darüber mag man streiten: Die Vorgehensweise des falschen Pfarrers war nach Ansicht des katholischen Amtsrichters jedenfalls eindeutig unter diesem Begriff einzuordnen.
Dass sich der vorläufig festgenommene Gender-Pfarrer dann auch noch ausgerechnet als Ethik-Lehrer einer benachbarten Gemeinde entpuppte, sollte allerdings sein Schaden nicht sein: Denn der Titel „Pfarrer“ unterliegt – anders als der des Arztes oder Anwalts – keiner gesetzlich geschützten Berufsbezeichnung, und auf der Gender-App schien der Pfarrersberuf für besonders reges Interesse bei der Damenwelt zu sorgen, die 400 Matches sprachen für sich. Ohnehin scheinen Frauenherzen deutlich höherzuschlagen, wenn ein Mann auf seinem Online-Dating-Profil einen extravaganten Beruf angibt. Stimmt der Beruf, ist den Nutzerinnen auch das Aussehen eines Mannes oft nicht mehr so wichtig – so geht es aus einer Auftragsstudie einer anderen bekannten Dating-App hervor. Ist der Online-Mann Kinderarzt, braucht er also nicht mal mehr ein Profilbild. Auch Scheidungsanwälte stehen in der Gunst von Frauen offenbar weit oben, angeblich weil sie ganz besonders treu sind. Doch „Pfarrer“ scheinen alles zu toppen.
Ein Jahr und sechs Monate Gefängnis auf Bewährung lautete schließlich das Urteil des Richters, das er unter dem großen Holzkreuz des Gerichtssaales verkündete und an das er folgende Auflage knüpfte: Für einen Zeitraum von drei Jahren durfte sich der Verurteilte der St. Marien Kirche nebst Beichtstuhl nicht mehr nähern.
Der falsche Pfarrer nahm das Urteil schweigend und voller Demut hin. Ob er sich weiterhin als Pfarrer oder Pastor ausgibt, ist nicht bekannt. Allerdings erschütterte ziemlich genau drei Jahre nach der Geschichte um den Gender-Pfarrer ein weiterer Skandal die altehrwürdige St. Marien Kirche: Ausgerechnet der sorgsam restaurierte und von Monsignore Mayer geweihte Beichtstuhl wurde eines Nachts entwendet. Im Lokalteil der Zeitung hieß es, die Polizei schließe ein Verbrechen nicht aus.
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