Vertuscht, verraten, im Stich gelassen - eBook-Ausgabe
Ein Polizeireporter deckt auf
„Packend. (...) Lesenswert.“ - Ostthüringer Zeitung
Vertuscht, verraten, im Stich gelassen — Inhalt
Ob Geiselnahme, Bankraub oder Amoklauf: Es gibt kaum ein Verbrechen, über das Michael Behrendt noch nicht berichtet hat. Oft ist er bereits vor der Polizei am Tatort und konnte schon so manches Mal zur Aufklärung eines Falles beitragen. In seinem Buch erzählt er von besonders erschreckenden Verbrechen, aber er zeigt auch den Polizeialltag auf den Straßen. Dabei enthüllt er unbekannte Hintergründe einiger spektakulärer Fälle und erlaubt einen tiefen Einblick in den nervenaufreibenden Job eines Polizeireporters.
Leseprobe zu „Vertuscht, verraten, im Stich gelassen“
„ Fahr raus, Junge ! “
Manche Sätze merkt man sich sein Leben lang.
„ Fahr raus, Junge “, das war der erste Satz meines ersten echten Chefs bei der BILD-Zeitung in Berlin. Es war das Jahr 1987, und ich war 18 Jahre alt. Einer meiner zahlreichen Lokalchefs in 27 Jahren Berufserfahrung sagte später einmal zu mir: „ Es gibt Journalisten, die machen den Polizeijob zwei Jahre lang, weil es sich gut im Lebenslauf macht. Und es gibt Typen wie dich ! Die leben das. “ Er hatte recht mit dem, was mich betrifft. Mein Vater war Journalist. Er war als junger Reporter [...]
„ Fahr raus, Junge ! “
Manche Sätze merkt man sich sein Leben lang.
„ Fahr raus, Junge “, das war der erste Satz meines ersten echten Chefs bei der BILD-Zeitung in Berlin. Es war das Jahr 1987, und ich war 18 Jahre alt. Einer meiner zahlreichen Lokalchefs in 27 Jahren Berufserfahrung sagte später einmal zu mir: „ Es gibt Journalisten, die machen den Polizeijob zwei Jahre lang, weil es sich gut im Lebenslauf macht. Und es gibt Typen wie dich ! Die leben das. “ Er hatte recht mit dem, was mich betrifft. Mein Vater war Journalist. Er war als junger Reporter dabei, als Rudi Dutschke niedergeschossen wurde; er war Kriegsberichterstatter im Vietnamkrieg; er flog Düsenjäger in Amerika; er war mit Kampfschwimmern unterwegs; und er machte im Sonnenuntergang von der Brücke eines U-Boots Fotos, die Lothar-Günther Buchheim sicherlich Respekt abgenötigt hätten. Das, aber vor allem seine Geschichten als Polizeireporter haben mich geprägt. Ich wollte eigentlich immer Journalist werden, von kurzen Ambitionen, Polizist zu werden, abgesehen. Vom 16. Lebensjahr an machte ich in meinen Ferien Praktika bei Zeitungen: bei Segel-Magazinen, Video-Zeitschriften und dann bei der BILD-Zeitung in Berlin. Die Mauer stand noch, als ich mit knapp 18 Jahren der sich annähernden Katastrophe des verwehrten Abiturs ins Auge blicken musste. Bei einer durchgängigen Sechs in Mathematik halfen auch die sehr guten Leistungen in Englisch und Deutsch wenig. Ich rief also bei ebendiesem Chef an und fragte: „ Nach den Sommerferien müsste ich ’ne Ehrenrunde drehen, dann laufe ich Amok. Steht Ihr Angebot, mich zu nehmen ? “ Und er sagte: „ Komm rüber, Junge. “
Die anfangs erwähnten Worte, die sich so verankerten, sagte er wenig später. Es war eine Nullgeschichte: Ein Irrer warf im Suff nach der dritten durchstrittenen Nacht mit seiner alkoholkranken Lebensgefährtin irgendwo in Kreuzberg seine gesamte Einrichtung aus dem Fenster. Ich hatte den Lagedienst der Polizei – dessen Nummer rief man abends halbstündlich an, wenn die Pressestelle bereits geschlossen hatte – gebeten, mich bei der kleinstmöglichen Geschichte zu informieren. Als das Sofa runterflog, kontaktierte mich mein Informant. Es war dunkel an diesem Spätherbstabend in Berlin, Sekretärinnen, Boten, Redakteure und Layouter waren um 21 Uhr längst weg. Nur der Chef war noch da. Ich sprach ihn an: „ Da dreht einer in Kreuzberg durch und kippt seine Möbel aus dem dritten Stock. “ Der Redaktionsleiter stand an dem großen Fenster im siebten Stockwerk des Springer-Verlages, rechts von ihm der Osten mit den Grenztruppen, links Westberlin. Er schaute auf seine Stadt. Die Ärmel des weißen Hemds waren hochgekrempelt, und eine Zigarette klemmte zwischen seinen Zähnen. „ Fahr raus, Junge. “ Und in diesem Moment war ich der wichtigste Reporter der Welt – so verstand ich mich. 20 Minuten später krachte in der Urbanstraße eine Waschmaschine neben mir zu Boden, und die Trommel knallte gegen mein Knie. Andere hätten aufgehört, ich wollte den Job.
Polizeireporter überrumpeln nach tragischen Unfällen geschockte Hinterbliebene, um ihnen die Fotos ihrer in Fetzen gerissenen Verwandten abzuschwatzen. Polizeireporter sind skrupellos und lügen. Polizeireporter leben auf der Straße und hören Polizeifunk. Polizeireporter halten sich nicht an Absprachen mit der Polizei. Polizeireporter werden zynisch und warten auf große Tragödien mit möglichst vielen Toten, am besten mit Kindern, weil sich die Bilder besser verkaufen. All diese Vorurteile gegenüber dem Polizeireporterjob stimmen. Jedes für sich. Ich habe als junger Reporter Dinge getan, die ich meinen Leuten heute verbiete. Ich habe Kollegen anderer Medien wegen solcher Dinge Gewalt angedroht und in zwei Fällen angewandt. Aus Fehlern lernt man, und ich habe heute – seit mehr als 15 Jahren – den Anspruch, dass Polizeireporter dem Bild des anständigen Journalisten entsprechen müssen.
Natürlich leisten Polizeireporter aber auch einen wichtigen Beitrag: Polizeireporter decken politische Verstrickungen und Skandale auf und werden deswegen gefürchtet. Polizeireporter berichten über Rassenunruhen in Los Angeles, werden für den Pulitzer-Preis nominiert und weltberühmte Schriftsteller. Polizeireporter beleuchten Hintergründe, fragen nach, schauen hinter die Kulissen und bringen die Wahrheit ans Licht. Nicht umsonst war Billy Wilder, einer der berühmtesten Drehbuchautoren und Regisseure der Welt, vorher Polizeireporter bei der B.Z. in Berlin. In der Tat sind Polizeireporter die besten Rechercheure überhaupt. Schlaue Polizeireporter sind die besten Waffen einer Zeitung. Weil sie anders denken. Anders agieren. Und weil sie keine Angst haben, wenn es richtige Polizeireporter sind. Dass einer ein wichtiger Anzeigenkunde ist und ein Riesen-Imperium leitet, ist ihnen egal, wenn er am Vorabend eine Prostituierte verprügelt hat.
Hat man als Chefredakteur eine gute Polizeitruppe, wird man die Wahrheit erfahren. War die Schlägerei in Wedding tatsächlich „ nur “ eine Klopperei in einer Kiezkneipe, oder haben da drei rechte Schläger einen Gastarbeiter zusammengelegt. War das vermeintliche Opfer einer rechtsradikalen Attacke wirklich ein Opfer, oder war derjenige betrunken und wollte nach einem Sturz mit zwei Promille auf sich aufmerksam machen. Hat das SEK in der Tat einen Mann totgeschlagen, oder war die Milz dieses HIV-positiven, an Leberzirrhose und Lungenkrebs erkrankten Mannes wegen all der körperlichen Veränderungen schon nach einfachstem physischen Kontakt gerissen.
Es gibt sehr gute Polizeireporterinnen, trotzdem bewegt man sich in diesem Beruf in erster Linie in einer Männerwelt. Wer bei der Polizei arbeitet und das Extreme sucht, geht zum SEK. Mir reichte es irgendwann als normaler Journalist auch nicht mehr. Also wurde ich zeitweise Kriegsreporter. Mehr geht nicht in diesem Beruf. Sechsmal Bosnien, zweimal Haiti, Ruanda, Südafrika vor den ersten allgemeinen Wahlen, Burundi, Mittlerer Osten, Afghanistan, Nordirland. Meine Mutter war immer besorgter als mein Vater und fragte mich nach den Nebenwirkungen. Die kamen bei den Kriegsgeschichten nie. Gleichwohl ich mir stets die Frage stellte, wann denn all das Erlebte mich einholen würde. Das tat es mit der Geburt unseres ersten Sohnes. All die Ängste waren da, Ängste, die sich aus dem Alltag des Polizeireporters entwickelt haben. Was vor allem daran liegt, dass die Erlebnisse im Krieg apokalyptisch waren. Surreal. In Ruanda starben kleine Kinder neben mir, ich habe sie fotografiert. Aber ich kannte nicht ihre Geschichte. Auch nicht die der alten Frau, die ein Sniper in Sarajevo neben mir erschoss, und nicht die des jungen Demonstranten in Johannesburg in Südafrika, dem ein Geschoss einen Meter neben mir den Kopf zerschmetterte. Wohl aber kannte ich die Geschichte der jungen Frau, die in Rudow im Berliner Stadtteil Neukölln von einem Auto überfahren wurde. Polizeireporter erfahren unendlich viel über die Opfer. Herausgerissen aus der Statistik, haben die Toten Oma und Opa, Vater und Mutter, Freund und Exfreund, Geburtstag und die Feier anlässlich der bestandenen Reiterprüfung. Das tut weh, umso mehr, je älter man wird.
Ein Kriegsreporter erfährt die Momente des Elends unerklärlich intensiv, aber niemals so detailgetreu wie ein Polizeireporter. Eines meiner Fotos, das es auf die Titelseite eines Nachrichtenmagazins schaffte, hängt in meinem Arbeitszimmer und könnte die bittere Klammer dieser beiden Berufszweige in meinem Leben sein. 1993 fotografierte ich einen kleinen Jungen im Waisenhaus von Sarajevo, während die Granaten rechts und links neben dem Gebäude einschlugen. Sami war sein Name, und ich hoffe, dass er noch lebt. Knapp zwei Jahre war er damals alt, und die Heimleitung sagte, dass ich ihn doch mitnehmen solle. Aber ich war zu jung, ständig unterwegs, nie zu Hause. Samis große dunkle Kulleraugen schauen mich an, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und verfolgen mich manchmal in den Schlaf. Heute noch. Und oft drängt es mich, zurückzukehren nach Sarajevo und herauszufinden, was aus ihm wurde. Meine Frau nimmt mich dann zur Seite und sagt: „ Tu es nicht, tu es um deiner Seele willen nicht. “ Und sie hat recht. Sollte der Kleine den Krieg nicht überlebt haben, ist er eines dieser identifizierten Opfer, die einen heimsuchen. Bis der eigene Vorhang fällt. Ich hätte trotz allem gern den Mut, Samis Schicksal nachzuspüren, habe ihn aber nicht. Noch nicht. Vielleicht irgendwann.
Seit 27 Jahren ist Michael Behrendt als Polizeireporter unterwegs. Worum es bei dieser Art von Journalismus, der oft negativ belastet ist, wirklich geht, erzählt er in diesem Interview.
Worum geht es in Ihrem Buch?
Also in meinem Buch geht es um den Beruf des Polizeireporters. Dieser ist negativ belastet, weil uns grundsätzlich unterstellt wird, dass wir nur versuchen, schnellstmöglich am Unfallort zu sein und irgendwelche abgetrennten Beine zu fotografieren.
Der Beruf als Polizeireporter beinhaltet aber viel mehr: Es geht um investigative Geschichten, es geht um gefährliche Geschichten und darum die Hintergründe zu beleuchten und aufzudecken.
Mit dem Buch möchte ich klarmachen, dass es nicht nur eine Horde von Paparazzos ist, die nachts den Funk abhören, sondern dass es zum Teil sehr seriöser und wichtiger Journalismus ist.
Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?
Für alle Polizisten, für alle Polizeireporter und Journalisten, die mit Kriminalitätsberichterstattung zu tun haben. Und ehrlich gesagt auch für meine Söhne, die mich immer danach fragen, was Papi den ganzen Tag so macht. Ich kann mir wirklich nicht mehr alle Geschichten merken, deswegen habe ich sie immer aufgeschrieben, damit sie das mal schwarz auf weiß haben.
Was bedeutet Ihnen das Buch persönlich?
Ich habe seit fast 27 Jahren nur mit unangenehmen Sachen wie Mord und Totschlag zu tun. Dadurch hat man auch eine ganze Menge Altlast im Kopf. Man kann das versuchen mit Freunden am Kneipentisch zu klären, aber das ist schon etwas anderes, ob man sich hinsetzt und sich all die Vorfälle von der Seele schreibt.
Es war wie ein innerer kleiner Waschgang. Mir war es wichtig, viele Sachen, die ich erlebt habe und die zum Teil auch traumatisierend sind, loszuwerden.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Schnellstmöglich mit meiner Familie nach Neuseeland auswandern, am Meer leben, Krimis schreiben und diesem ganzen hektischen Alltag zu entgehen.
Was möchten Sie ihren Lesern mit auf den Weg geben?
Man sollte nicht alles glauben, was man über Journalisten erzählt und schon gar nicht alles glauben, was man über Polizeireporter erzählt. Auch wir haben Moralverständnis und manchmal auch eine Seele und das habe ich versucht in meinem Buch klarzumachen. Dass es Solche und Solche gibt und ich bin einer von den Solchen.
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