Vielleicht morgen Vielleicht morgen - eBook-Ausgabe
Roman
„Musso überrascht mit einer hochspannenden Zeitreise, einer Mischung aus Liebesgeschichte, Krimi und Thriller-Elementen, und dazu kommt noch ein kräftiger Schuss Fantasy. Das ist spannend bis zur letzten der 466 Seiten.“ - Siegener Zeitung
Vielleicht morgen — Inhalt
Emma lebt in New York und hat ihre letzte Trennung noch immer nicht verwunden. Matthew kümmert sich in Boston allein um seine Tochter, seit seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Beiden hat das Schicksal übel mitgespielt. Doch dann macht Matthew auf einem Flohmarkt eine Entdeckung, die die Leben der beiden verbindet – und grundlegend verändert ...
Leseprobe zu „Vielleicht morgen“
Universität Harvard
Cambridge
19.Dezember 2011
Der Hörsaal war überfüllt, doch es herrschte Ruhe. Die Zeiger des Bronze-Zifferblatts der alten Wanduhr zeigten auf 14:55. Die von Matthew Shapiro gehaltene Philosophie-Vorlesung neigte sich dem Ende zu.
Erika Stewart, zweiundzwanzig Jahre alt, saß in der ersten Reihe und fixierte ihren Professor. Seit einer Stunde versuchte sie erfolglos, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hing geradezu an seinen Lippen und nickte bei jedem Satz. Trotz der Gleichgültigkeit, auf die ihre Bemühungen stießen, übte der [...]
Universität Harvard
Cambridge
19.Dezember 2011
Der Hörsaal war überfüllt, doch es herrschte Ruhe. Die Zeiger des Bronze-Zifferblatts der alten Wanduhr zeigten auf 14:55. Die von Matthew Shapiro gehaltene Philosophie-Vorlesung neigte sich dem Ende zu.
Erika Stewart, zweiundzwanzig Jahre alt, saß in der ersten Reihe und fixierte ihren Professor. Seit einer Stunde versuchte sie erfolglos, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hing geradezu an seinen Lippen und nickte bei jedem Satz. Trotz der Gleichgültigkeit, auf die ihre Bemühungen stießen, übte der Professor eine täglich größer werdende Faszination auf sie aus.
Seine jugendlichen Züge, sein kurzes Haar und sein Dreitagebart verliehen ihm einen beträchtlichen Charme, der unter den Studentinnen für Aufruhr sorgte. Mit seiner verwaschenen Jeans, seinen abgenutzten Lederstiefeln und seinem Rollkragenpullover ähnelte Matthew eher einem Doktoranden als seinen, zumeist streng und nüchtern wirkenden, Kollegen. Mehr noch als sein markantes Gesicht betörte jedoch seine Redegewandtheit.
Matthew Shapiro war einer der beliebtesten Professoren auf dem Campus. Seit fünf Jahren lehrte er in Cambridge, und seine Vorlesungen begeisterten die Neulinge. So hatte Mundpropaganda dafür gesorgt, dass sich in diesem Quartal über achthundert Studenten für seine Kurse eingeschrieben hatten. Seine Vorlesung fand derzeit im größten Hörsaal von Sever Hall statt.
LEER IST DIE REDE JENES PHILOSOPHEN, DURCH DIE KEIN EINZIGES LEIDEN EINES MENSCHEN GEHEILT WIRD.
Auf diesem Satz von Epikur, der aus einer Auswahl von Schriften mit dem Titel Von der Überwindung der Angst stammte und den er an die Tafel geschrieben hatte, basierte Matthews Lehre.
Seine Philosophie-Vorlesungen sollten verständlich sein und nicht überfrachtet von abstrusen Fachbegriffen. Seine Überlegungen und Schlussfolgerungen waren immer realitätsbezogen. Shapiro ging bei seinen Ausführungen stets vom Alltag der Studenten aus, von konkreten Problemen, mit denen sie konfrontiert waren: Der Angst, in einer Prüfung zu versagen, dem Bruch einer Liebesbeziehung, der Tyrannei der Blicke anderer, dem Sinn des Studiums ... Auf dieser Grundlage zitierte der Professor Plato, Seneca, Nietzsche oder Schopenhauer. Dank seiner lebhaften Darstellung schienen diese eminenten Persönlichkeiten eine Zeit lang die Lehrbücher zu verlassen, um vertraute und verständliche Freunde zu werden, die nützliche und tröstliche Ratschläge zu erteilen vermochten.
Mit Intelligenz und Humor verstand es Matthew, auch Populärkultur in seine Vorlesungen zu integrieren. Filme, Songs, Comics: Über alles konnte man philosophieren. Sogar Fernsehserien fanden ihren Platz in seinem Unterricht. Dr. House wurde als Beispiel für experimentelles Argumentieren herangezogen, die Schiffbrüchigen aus Lost boten Gelegenheit, Überlegungen zum Gesellschaftsvertrag anzustellen, während die machohaften Werbeleute aus Mad Men dazu dienten, die Entwicklung der Beziehungen zwischen Mann und Frau zu studieren.
Obwohl diese pragmatische Philosophie dazu beigetragen hatte, ihn auf dem Campus zu einem „Star“ zu machen, hatte sie auch viel Neid und Verärgerung unter seinen Kollegen hervorgerufen, die Matthews Vorlesungen für oberflächlich hielten. Zum Glück hatten die guten Ergebnisse von seinen Studenten bei Prüfungen und in Auswahlverfahren bisher zu seinen Gunsten gesprochen.
Eine Gruppe von Studenten hatte seine Vorlesungen sogar gefilmt und auf YouTube online gestellt. Diese Initiative hatte die Neugier eines Journalisten vom Boston Globe geweckt, dessen Artikel auch von der New York Times übernommen wurde. Danach hatte man Shapiro aufgefordert, eine Art „Antibuch“ der Philosophie zu schreiben. Obgleich sich der Titel gut verkaufte, war dem jungen Professor die beginnende Popularität nicht zu Kopf gestiegen, er war weiterhin für seine Studenten da und sorgte sich um ihren Erfolg. Die schöne Geschichte hatte jedoch eine tragische Wendung genommen. Im letzten Winter hatte Matthew Shapiro seine Frau bei einem Autounfall verloren. Ein plötzlicher, unerwarteter Tod, der ihn hilflos zurückgelassen hatte. Er hielt weiter seine Vorlesungen, aber der faszinierende und begeisterte Lehrer hatte den Enthusiasmus verloren, der ihn zuvor ausgezeichnet hatte.
Erika kniff die Augen zusammen, um ihren Professor genauer zu mustern. Seit dem Drama war in Matthew etwas zerbrochen. Seine Züge waren härter geworden, sein Blick hatte das Feuer verloren; Trauer und Kummer verliehen ihm jedoch eine düstere und melancholische Ausstrahlung, die ihn für die junge Frau noch unwiderstehlicher machte.
Die Studentin senkte den Blick und ließ sich von der sonoren Stimme tragen, die den Hörsaal erfüllte. Eine Stimme, die etwas von ihrem Charisma verloren hatte, aber immer noch angenehm war. Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster, heizten den großen Raum auf und blendeten die Studenten in den mittleren Reihen. Erika fühlte sich wohl, umfangen von diesem beruhigenden Tonfall. Doch dieser wunderbare Augenblick hielt nicht an. Sie zuckte zusammen, als die Glocke das Ende der Vorlesung ankündigte. Ohne Eile packte sie ihre Sachen ein und wartete, bis der Hörsaal sich geleert hatte, um sich Shapiro schüchtern zu nähern.
„Was tun Sie denn hier, Erika?“, fragte Matthew erstaunt, als er sie bemerkte. „Sie haben diesen Schein doch bereits letztes Jahr gemacht. Sie müssen die Vorlesung nicht mehr belegen.“
„Ich bin wegen des Satzes von Helen Rowland hier, den Sie so oft zitieren.“
Matthew runzelte verständnislos die Stirn.
„Die Dummheiten, die ein Mensch in seinem Leben am meisten bereut, sind jene, die er nicht begangen hat, als er die Möglichkeit dazu hatte.“
Dann nahm sie allen Mut zusammen und erklärte: „Um in diesem Sinne nichts bereuen zu müssen, möchte ich eine Dummheit begehen. Also, ich habe nächsten Samstag Geburtstag und würde gerne ... ich würde Sie gerne zum Essen einladen.“
Matthew sah sie überrascht an und versuchte sofort, seine Studentin zur Vernunft zu bringen:
„Erika, Sie sind doch eine intelligente junge Frau. Also wissen Sie sehr wohl, dass es tausend Gründe gibt, warum ich Ihre Einladung ablehnen werde.“
„Aber Sie hätten Lust dazu, nicht wahr?“
„Lassen wir das, bitte“, unterbrach er sie.
Erika spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Sie stammelte noch einige Worte der Entschuldigung, bevor sie den Hörsaal verließ.
Matthew zog seufzend seinen Mantel an, band sich seinen Schal um und ging hinaus auf den Campus.
—
Mit seinen ausgedehnten Rasenflächen, den imposanten braunen Backsteingebäuden und den lateinischen Sinnsprüchen auf den Giebeln strahlte Harvard den Stil und die Zeitlosigkeit eines britischen College aus.
Sobald Matthew draußen war, drehte er sich eine Zigarette, zündete sie an und verließ dann rasch die Sever Hall. Die Ledertasche umgehängt, überquerte er den Yard, den großen, von Rasen bedeckten Innenhof, der von einem Gewirr an Wegen durchzogen war, die über mehrere Kilometer weit zu den Vorlesungssälen, Bibliotheken und Unterkünften führten.
Der Park lag in einem schönen herbstlichen Licht. Die Temperaturen waren für die Jahreszeit ausgesprochen mild, und der Sonnenschein schenkte den Bewohnern Neuenglands einen angenehmen, späten Altweibersommer.
„Mister Shapiro! Achtung!“
Matthew drehte den Kopf in Richtung der Stimme. Ein American Football sauste auf ihn zu. Er konnte ihn gerade noch auffangen und spielte ihn sofort zurück zum Quarterback, von dem er gekommen war.
Die Studenten besetzten, ihre geöffneten Laptops auf den Knien, alle Bänke im Hof. Auf dem Rasen ertönte immer wieder Gelächter, und es waren hitzige Debatten im Gang. Hier vermischten sich die Nationalitäten harmonischer als andernorts, und die kulturelle Vielfalt wurde als Bereicherung empfunden. Bordeauxrot und Grau, die Kultfarben der berühmten Universität, wurden voller Stolz auf Blousons, Sweatshirts und Sporttaschen zur Schau gestellt: In Harvard ließ das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft alle Unterschiede verblassen.
Matthew zog an seiner Zigarette, während er an der monumentalen Massachusetts Hall, im georgianischen Stil erbaut, vorbeiging, in der sich sowohl die Büroräume der Direktion als auch die Unterkünfte der Studenten des ersten Studienjahrs befanden. Oben auf den Stufen stand Miss Moore, die Assistentin des Rektors, die ihm einen wütenden Blick zuwarf, gefolgt von einer Abmahnung („Mister Shapiro, wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass es verboten ist, auf dem Campusgelände zu rauchen ...“) und einer wortreichen Moralpredigt über die schädlichen Wirkungen des Tabaks.
Mit starrem Blick und undurchdringlicher Miene ignorierte Matthew sie ganz einfach. Einen kurzen Moment war er versucht, ihr zu antworten, dass sterben zu müssen nun wirklich seine geringste Sorge sei, aber er besann sich eines Besseren und verließ das Universitätsgelände durch das riesige Tor, das auf den Harvard Square führte.
Der Square, auf dem es zuging wie in einem Bienenstock, war ein großer Platz, gesäumt von Geschäften, Buchhandlungen, kleinen Restaurants und Terrassencafés, in denen Studenten und Professoren die Welt neu erfanden oder ihre Vorlesungen weiterführten. Matthew suchte in seiner Tasche und zog sein U-Bahn-Ticket heraus. Er hatte soeben den Fußgängerüberweg zur Station der Red Line betreten, die in einer knappen Viertelstunde das Zentrum von Boston erreichte, als ein alter, blubbernder Chevrolet Camaro an der Ecke Massachusetts Avenue und Peabody Street auftauchte. Der junge Professor zuckte zusammen und wich zurück, um nicht von dem knallroten Coupé angefahren zu werden, das mit quietschenden Reifen vor ihm anhielt.
Das Fenster an der Fahrerseite wurde geöffnet, und zum Vorschein kam die rote Haarpracht von April Ferguson, die seit dem Tod seiner Frau mit in seinem Haus wohnte.
„Hallo, schöner Mann, soll ich dich mitnehmen?“
Das Dröhnen des V8-Motors fiel in dieser Ökoenklave aus dem Rahmen, wo man ganz auf das Fahrrad und Hybridfahrzeuge eingeschworen war.
„Ich nehme lieber die öffentlichen Verkehrsmittel“, lehnte Matthew ab. „Bei dir hat man das Gefühl, in einem Fahrsimulator zu sitzen!“
„Na komm schon, sei kein Angsthase. Ich fahre sehr gut, und das weißt du genau!“
„Vergiss es. Meine Tochter hat bereits ihre Mutter verloren. Ich möchte es ihr ersparen, mit viereinhalb Jahren Vollwaise zu werden.“
„Schon gut! Nun übertreib mal nicht! Komm, Hasenfuß, beeil dich! Ich halte den ganzen Verkehr auf!“
Von dem Hupen gedrängt, ergab sich Matthew seufzend in sein Schicksal und stieg in den Chevrolet.
Kaum hatte er den Sicherheitsgurt angelegt, als der Camaro, unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln, auch schon eine gefährliche Kehrtwende machte, um gen Norden zu brausen.
„Boston liegt aber in der anderen Richtung!“, protestierte Matthew und klammerte sich am Haltegriff fest.
„Ich mache nur einen kleinen Umweg über Belmont. Gerade mal zehn Minuten. Und keine Sorge wegen Emily. Ich habe ihren Babysitter gebeten, eine Stunde länger zu bleiben.“
„Ohne mit mir darüber zu sprechen? Also ehrlich, ich ...“
Die junge Frau drückte das Gaspedal durch und beschleunigte so plötzlich, dass es Matthew die Sprache verschlug. Nachdem sie einen Lastwagen überholt hatte, wandte sie sich ihm zu und reichte ihm eine große Mappe.
„Stell dir vor, ich habe vielleicht einen Kunden für den Farbholzschnitt von Utamaro“, sagte April.
April Ferguson leitete eine Galerie im South End, die auf erotische Kunst spezialisiert war. Sie hatte ein echtes Talent, unbekannte Künstler aufzuspüren und deren Arbeiten zu verkaufen, wobei sie hübsche Gewinne einstrich.
Matthew öffnete den Verschluss der Mappe und schlug die Seidenhülle zurück, die einen japanischen Farbholzschnitt schützte. Es war eine Shunga, ein erotischer Holzschnitt, aus dem späten achtzehnten Jahrhundert, auf der eine Kurtisane mit einem Kunden zu sehen war, die sich einem ebenso sinnlichen wie akrobatischen Liebesakt hingaben. Die Unverblümtheit der Szene wurde durch die anmutige Linienführung und den Motivreichtum der Kleidung gemildert. Das Gesicht der Geisha war von faszinierender Feinheit und Eleganz. Kein Wunder, dass solche Werke später sowohl Klimt als auch Picasso beeinflusst hatten.
„Bist du sicher, dass du dich davon trennen willst?“
„Ich habe ein Angebot bekommen, das man einfach nicht ablehnen kann“, antwortete April und imitierte dabei Marlon Brandos Stimme aus dem Film Der Pate.
„Von wem?“
„Von einem bedeutenden asiatischen Sammler, der zu Besuch bei seiner Tochter in Boston weilt. Er ist offenbar zum Kauf bereit, bleibt aber nur einen Tag in der Stadt. Eine solche Gelegenheit wird sich so bald nicht wieder bieten ...“
Der Chevrolet hatte das Universitätsviertel verlassen. Sie fuhren nun einige Kilometer auf einer Schnellstraße am Fresh Pond – dem größten See von Cambridge – entlang, bevor sie Belmont erreichten, eine kleine Stadt westlich von Boston. April gab eine Adresse in ihr Navi ein und ließ sich zu einem schicken Wohnviertel leiten, in dem eine von Bäumen umgebene Schule direkt neben einem Park und mehreren Sportplätzen stand. Sie sahen sogar einen Eisverkäufer, der direkt aus den 1950er-Jahren zu stammen schien. Obgleich es ausdrücklich verboten war, überholte der Camaro einen Schulbus und parkte in einer ruhigen, von Villen gesäumten Allee.
„Kommst du mit?“, fragte April und griff nach der Kunstmappe.
Matthew schüttelte den Kopf.
„Ich warte lieber im Auto.“
„Ich beeile mich, so gut es geht“, versprach sie, blickte in den Rückspiegel und zupfte sich eine gelockte Haarsträhne à la Veronica Lake über das rechte Auge.
Dann nahm sie einen Lippenstift aus ihrer Tasche und zog sich rasch die Lippen nach, bevor sie ihr Outfit als Femme fatale perfektionierte, indem sie in einen hautengen roten Lederblouson schlüpfte.
„Übertreibst du nicht ein bisschen?“, fragte Matthew ein wenig provozierend.
„Ich bin nicht schlecht, ich bin nur so gezeichnet“, erwiderte sie kokettierend im Tonfall von Jessica Rabbit.
Schließlich öffnete sie die Wagentür und schwang ihre endlos langen Beine, die in Leggings steckten, aus dem Wagen.
Matthew blickte ihr nach und sah sie an der Haustür der größten Villa in der Straße klingeln. Auf der Skala der Sinnlichkeit war April nicht weit von der höchsten Stufe entfernt – perfekte Maße, Wespentaille, Traumbusen –, aber diese Inkarnation männlicher Phantasien liebte ausschließlich Frauen und tat ihre Homosexualität auch offen kund.
Das war übrigens einer der Gründe, warum Matthew sie als Mitbewohnerin akzeptiert hatte, wusste er doch, dass es zwischen ihnen nie die geringste Zweideutigkeit geben würde. Zudem war April witzig, intelligent und schlagfertig. Sicher, sie hatte einen problematischen Charakter, ihre Ausdrucksweise war blumig, und sie war zu homerischen Wutausbrüchen fähig, aber sie verstand es wie sonst niemand, seine Tochter wieder zum Lachen zu bringen, und das war für Matthew unbezahlbar.
Er warf einen Blick auf die andere Straßenseite. Eine Mutter und ihre beiden kleinen Kinder dekorierten den Garten. Ihm wurde klar, dass in knapp einer Woche Weihnachten war, und diese Feststellung versetzte ihn in einen Zustand des Kummers und der Panik. Er sah mit Entsetzen den ersten Jahrestag von Kates Tod auf sich zukommen ... diesen verhängnisvollen 24.Dezember 2010, der sein Leben mit Trauer und Schwermut erfüllt hatte.
In den ersten drei Monaten nach dem Unfall hatte der Schmerz ihm keine Atempause gelassen und jede Sekunde vergiftet – eine offene Wunde, der Biss eines Vampirs, der jegliches Leben aus ihm gesaugt hatte. Um diesem Martyrium ein Ende zu bereiten, war er mehrfach versucht gewesen, zu einer radikalen Lösung zu greifen: aus dem Fenster zu springen, sich aufzuhängen, einen Medikamentencocktail zu trinken, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen ... Aber jedes Mal hatte ihn der Gedanke an den Kummer, den er Emily damit zufügen würde, zurückgehalten. Er hatte einfach nicht das Recht, seiner Tochter den Vater zu rauben und ihr Leben zu zerstören.
Die Auflehnung der ersten Wochen war einer langen Phase der Trauer gewichen. Das Leben war erstarrt in Überdruss, eingefroren in einer anhaltenden Verzweiflung. Matthew befand sich nicht mehr im Kriegszustand, er war einfach am Boden zerstört, von der Trauer erdrückt, dem Leben gegenüber verschlossen. Der Verlust war und blieb inakzeptabel. Es gab keine Zukunft mehr.
Auf Aprils Rat hin hatte er sich jedoch überwunden und bei einer Selbsthilfegruppe angemeldet. Er hatte an einer Sitzung teilgenommen und versucht, seinen Schmerz in Worte zu fassen, ihn mit anderen zu teilen, war dann aber nie wieder hingegangen. Um falschem Mitgefühl, abgedroschenen Phrasen oder dümmlichen Lebensweisheiten zu entgehen, hatte er sich isoliert, sich monatelang willenlos treiben lassen und war ohne jeden Plan wie ein Gespenst durch sein Leben geirrt.
Seit einigen Wochen jedoch kam es ihm so vor, als würde der Schmerz langsam nachlassen, auch wenn er nicht hätte sagen können, dass er sich wieder „lebendig“ fühlte. Das Aufwachen war und blieb schwierig, aber sobald er in Harvard eintraf, konzentrierte er sich, hielt seine Vorlesungen und nahm mit seinen Kollegen an den Konferenzen teil, wenn auch mit weniger Elan als früher.
Es war nicht so, dass er schon wieder auf die Beine gekommen wäre, vielmehr akzeptierte er nach und nach seinen Zustand und half sich selbst mit bestimmten Leitsätzen aus seinem Lehrstoff. Zwischen dem stoischen Fatalismus und der buddhistischen Wandelbarkeit nahm er das Leben nun als das an, was es war: Etwas äußerst Prekäres und Labiles, ein Prozess in ständiger Entwicklung. Nichts war unveränderlich, schon gar nicht das Glück. Es war zerbrechlich wie Glas und durfte nicht als gesichert betrachtet werden, da es doch nur einen Augenblick dauern konnte.
Durch Kleinigkeiten gewann er wieder Freude am Leben: einen Spaziergang in der Sonne mit Emily, ein Football-Match mit seinen Studenten, einen besonders gelungenen Scherz von April. Tröstliche Anzeichen, die ihm behilflich waren, die Trauer auf Distanz zu halten und einen Damm zu errichten, hinter dem er seinen Kummer verbergen konnte.
Doch diese Erholung stand auf tönernen Füßen. Der Schmerz lag auf der Lauer, jederzeit bereit, Matthew zu überwältigen. Eine Kleinigkeit genügte, um sich zu entfesseln und grausame Erinnerungen in Matthew zu wecken: Eine Frau, der er zufällig auf der Straße begegnete und die Kates Parfum oder den gleichen Regenmantel trug; ein Lied, das er im Radio hörte und das ihn an glückliche Zeiten erinnerte; ein Foto, das er in einem Buch fand ...
Die letzten Tage waren beschwerlich gewesen, hatten einen Rückfall angekündigt. Der nahende Todestag von Kate, die Dekorationen und der Trubel bei den Vorbereitungen für Weihnachten und Silvester, all das erinnerte ihn an seine Frau.
Seit einer Woche schreckte er jede Nacht mit heftigem Herzklopfen aus dem Schlaf hoch, war in Schweiß gebadet und wurde immer wieder von derselben Erinnerung heimgesucht: den albtraumhaften Bildern von den letzten Lebensmomenten seiner Frau. Matthew war bereits vor Ort, als Kate ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo ihre Kollegen – sie war Ärztin – sie nicht hatten retten können. Er hatte zugesehen, wie ihm der Tod brutal die Frau entriss, die er liebte. Ihnen waren nur fünf Jahre des perfekten Glücks beschieden gewesen. Fünf Jahre innigsten Einvernehmens, kaum die Zeit, den Weg für eine Geschichte zu bereiten, die sie nicht leben durften. Eine Begegnung, wie man sie nur ein Mal im Leben hat, das glaubte er, sicher zu wissen. Und dieser Gedanke war ihm unerträglich.
Matthew bemerkte, dass er dabei war, den Ehering zu drehen, den er noch immer am Ringfinger trug. Er hatte zu schwitzen begonnen, und sein Herz klopfte heftig. Er ließ das Fenster des Camaro herunter, suchte in seiner Jeanstasche nach seinem angstlösenden Medikament und schob eine der Tabletten unter seine Zunge. Diese Pillen verschafften ihm einen künstlichen Trost, der seiner Unruhe innerhalb von Minuten ein Ende bereitete. Er schloss die Augen, massierte sich die Schläfen und atmete tief durch. Um sich gänzlich zu beruhigen, musste er rauchen. Er stieg aus, verriegelte die Tür und entfernte sich einige Schritte auf dem Bürgersteig, bevor er sich eine Zigarette anzündete und einen tiefen Zug nahm.
Sein Herzschlag normalisierte sich, und er fühlte sich sofort besser. Mit geschlossenen Augen, das Gesicht der herbstlichen Brise zugewandt, genoss er die Zigarette. Das Sonnenlicht fiel zwischen den Zweigen hindurch. Die Luft war fast schon verdächtig mild. Einige Augenblicke verharrte er reglos, bevor er die Augen wieder öffnete. Am Ende der Straße vor einer der Villen hatte sich eine Menschenansammlung gebildet. Neugierig näherte er sich dem charakteristischen neuenglischen, mit Holz verkleideten Haus. Auf dem Rasen davor wurde eine Art Trödelmarkt abgehalten – typisch für dieses Land, wo die Menschen mindestens fünfzehn Mal im Leben umzogen.
Matthew mischte sich unter die zahlreichen Neugierigen, die auf über hundert Quadratmetern in den angebotenen Sachen stöberten. Den Verkauf leitete ein Mann seines Alters mit Glatze und kleiner eckiger Brille, verdrießlichem Gesichtsausdruck und unstetem Blick. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und hatte die nüchterne Strenge eines Quäkers. Neben ihm nagte ein Shar-Pei an einem Hundeknochen aus Latex.
Jetzt nach Schulschluss und bei dem milden Wetter hatten sich viele Menschen eingefunden, die nach Schnäppchen Ausschau hielten. Die Stände quollen über von bunt zusammengewürfelten Gegenständen: Holzruder, Baseballschläger und -handschuhe, eine Golftasche, eine alte Gibson-Gitarre. An einen Zaun gelehnt standen ein BMX-Rad, das unvermeidliche Weihnachtsgeschenk der frühen 1980er-Jahre, ein Stück weiter Inlineskates und ein Skateboard. Einige Minuten lang spazierte Matthew zwischen den Ständen umher, wobei er Spielsachen entdeckte, die ihn an seine eigene Kindheit erinnerten: ein Jo-Jo aus hellem Holz, ein Zauberwürfel, Spiele wie Memory, Mastermind, Frisbee, E.T., der Außerirdische, als Riesen-Plüschtier, eine Figur aus Der Krieg der Sterne ... Die Preise waren niedrig; der Verkäufer wollte offensichtlich möglichst schnell möglichst viel loswerden.
Matthew war drauf und dran, das Gelände des Flohmarkts zu verlassen, als er einen Computer entdeckte. Es war ein Laptop, ein MacBook Pro mit Fünfzehn-Zoll-Bildschirm. Nicht das neueste Modell, aber eines aus der letzten oder vorletzten Serie. Matthew ging zu dem Gerät und prüfte es von allen Seiten. Das Aluminiumgehäuse war durch einen Vinylaufkleber außen auf dem Deckel personalisiert. Der Sticker zeigte eine Figur à la Tim Burton: Eine stilisierte Eva, sehr sexy, die zwischen ihren Händen das Apfel-Logo der bekannten Computerfirma zu halten schien. Unterhalb der Illustration war die Signatur „Emma L.“ zu lesen, ohne dass man wirklich wusste, ob es sich um die Künstlerin handelte, die diese Figur gezeichnet hatte, oder um die frühere Eigentümerin des Laptops.
Warum nicht?, dachte er, während er das Etikett betrachtete. Sein altes Powerbook hatte Ende des Sommers den Geist aufgegeben. Zwar hatte er einen PC zu Hause, aber er benötigte wieder einen Laptop. Seit drei Monaten verschob er diese Ausgabe ständig auf später.
Das Gerät wurde für vierhundert Dollar angeboten. Ein Betrag, der ihm angemessen erschien. Das traf sich gut, denn er schwamm derzeit nicht gerade im Geld. Sein Professorengehalt in Harvard war zwar nicht schlecht, aber nach Kates Tod hatte er um jeden Preis ihr gemeinsames Haus in Beacon Hill halten wollen, obwohl er dafür eigentlich nicht mehr die nötigen Mittel besaß. Also hatte er sich entschlossen, eine Mieterin ins Haus zu nehmen, doch auch mit dem, was April ihm zahlte, verschlangen die Raten drei Viertel seines Einkommens und ließen ihm wenig Spielraum. Er hatte sogar sein Motorrad verkaufen müssen, ein Liebhaberstück, eine Triumph von 1957, die sein ganzer Stolz gewesen war.
Er ging zu dem Verkäufer und deutete auf den Mac.
„Der Computer funktioniert doch, oder?“
„Nein, der ist nur Deko ... natürlich funktioniert er, sonst würde ich ihn nicht zu diesem Preis anbieten! Es ist der ehemalige Laptop meiner Schwester, ich habe die Festplatte selbst formatiert und das Betriebssystem neu installiert. Der ist wie neu.“
„Einverstanden, ich nehme ihn“, erklärte Matthew nach kurzem Zögern.
Er kramte in seinem Geldbeutel. Er hatte nur dreihundertzehn Dollar dabei. Verlegen versuchte er zu handeln, aber der Mann lehnte sehr entschlossen ab. Verärgert zuckte Matthew die Schultern. Er wollte gerade gehen, als er Aprils fröhliche Stimme hinter sich hörte.
„Lass mich ihn dir schenken!“, sagte sie und bedeutete dem Verkäufer, zu warten.
„Das kommt gar nicht infrage!“
„Zur Feier des Verkaufs meines japanischen Farbholzschnitts!“
„Hast du den erhofften Preis dafür bekommen?“
„Ja, aber nicht ohne Mühe. Der Typ dachte, für diesen Preis hätte er zusätzlich noch Anrecht auf einige Kamasutra-Übungen!“
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“
„Woody Allen?“
„Nein, Blaise Pascal.“
Der Verkäufer reichte ihm den Laptop, den er in den Originalkarton gepackt hatte. Matthew dankte ihm mit einem Kopfnicken, während April bezahlte. Dann beeilten sie sich, wieder zum Auto zu kommen.
Matthew bestand darauf, zu fahren. Als sie Boston erreichten, konnte er, während sie im Stau standen, noch nicht ahnen, dass der Kauf, den er soeben getätigt hatte, sein Leben für immer verändern würde.
Kapitel 2
Miss Lovenstein
Ich werde nie von Hunden gebissen, nur von Menschen.
Marilyn Monroe
Bar des Restaurants Imperator
Rockefeller Center, New York
18:45 Uhr
Die Bar des Restaurants Imperator oben im Rockefeller Center beherrschte die Stadt und bot einen Panoramablick über Manhattan. Ihre Einrichtung war das Ergebnis einer geschickten Mischung aus Tradition und neuem Design. Bei der Renovierung des Lokals hatte man darauf geachtet, die Holzvertäfelungen, Art-déco-Tische und Lederclubsessel beizubehalten. Dieses Interieur verlieh dem Ort die behagliche Atmosphäre eines alten englischen Clubs, verbunden mit modernen Elementen wie etwa der langen, gut beleuchteten Theke aus Mattglas, die quer durch den Raum verlief.
Die zierliche Gestalt schlängelte sich leichtfüßig zwischen den Tischen hindurch, servierte Weine, lud zur Verkostung ein und erklärte mit pädagogischem Talent Herkunft und Geschichte der verschiedenen edlen Tropfen. Die junge Sommelière Emma Lovenstein verstand es trefflich, andere mit ihrer Begeisterung anzustecken. Ihre graziösen Handbewegungen, die Präzision ihrer Gesten, ihr offenes Lächeln – alles an ihrer äußeren Erscheinung spiegelte ihre Leidenschaft und den Wunsch wider, diese mit anderen zu teilen.
Eine Gruppe von Kellnern brachte das vorletzte Gericht.
„Crostini mit Schweinefuß-Rillettes überbacken mit Parmesan“, verkündete Emma, während sich beifälliges Gemurmel erhob, sobald die Gäste ihren Teller vor sich stehen hatten.
Sie goss jedem ein Glas Rotwein ein, hielt das Etikett der Flasche dabei verdeckt, beantwortete Fragen der Gäste und gab ihnen Hinweise, um ihnen beim Erkennen des Weins zu helfen.
„Es ist ein Morgon, Côte du Py, Cru du Beaujolais“, verriet sie schließlich. „Ein Wein mit langem Abgang, aromatisch, rassig, nervös mit einer samtigen Note und mit Erdbeer-Sauerkirscharomen. Er bildet einen wunderbaren Gegensatz zum rustikalen Charakter der Schweinefüße.“
Es war ihre Idee gewesen, wöchentlich diese Weinproben zu veranstalten, die dank entsprechender Mundpropaganda immer beliebter wurden. Das Konzept war einfach: Emma bot vier Weine zur Verkostung an, begleitet von vier Gerichten, die der Chefkoch des Feinschmeckerrestaurants, Jonathan Lempereur, dazu erdachte. Jede Degustation dauerte eine Stunde, war um ein spezielles Thema arrangiert, eine Rebsorte oder ein Herkunftsgebiet, und bot Gelegenheit zu einer spielerischen Einführung in die Weinkunde.
Emma trat hinter die Theke und gab den Kellnern ein Zeichen, das letzte Gericht zu servieren. Sie nutzte diese kurze Pause, um unauffällig einen Blick auf ihr Handy zu werfen, das blinkte. Als sie die SMS gelesen hatte, empfand sie einen Moment lang Panik.
Ich bin diese Woche auf der Durchreise in New York.
Essen wir heute Abend zusammen?
Du fehlst mir.
François
„Emma?“
Die Stimme ihres Assistenten riss sie aus der Betrachtung ihres Displays. Sie fasste sich sofort wieder und verkündete den Gästen im Speisesaal:
„Zum Abschluss dieser Verkostung bieten wir Ihnen eine Ananas in Magnolienblättern an Marshmallow-Eis, karamellisiert im Holzfeuer.“
Sie öffnete zwei neue Weinflaschen und schenkte den Gästen ein. Nach dem kleinen Ratespiel sagte sie schließlich:
„Ein italienischer Wein aus dem Piemont, ein Moscato d’Asti. Eine schmeichelnde Rebsorte, aromatisch und luftig, leicht prickelnd und süß. In der Nase überzeugt er mit Rose, die feinen Perlen unterstreichen elegant die Frische der Ananas.“
Der Abend endete mit den Fragen der Gäste. Einige davon betrafen Emmas berufliche Laufbahn. Sie beantwortete sie gerne, ohne sich etwas von ihrer Unruhe anmerken zu lassen.
Sie stammte aus einer einfachen Familie in West Virginia. Als sie vierzehn Jahre alt war, hatte ihr Vater, ein Fernfahrer, seine Familie im Sommer zu einem Besuch der Weinberge Kaliforniens mitgenommen. Für den Teenager war das eine wahre Entdeckung, die in ihr das Interesse und die Leidenschaft für Wein geweckt und sich als spätere Berufung entpuppt hatte.
Sie hatte die Hotelfachschule in Charleston besucht, die eine solide Ausbildung in Önologie anbot. Mit dem Diplom in der Tasche hatte sie ohne Bedauern ihr Provinznest verlassen. Auf nach New York! Anfangs arbeitete sie als Kellnerin in einem beliebten Restaurant in West Village. Bis zu sechzehn Stunden am Tag servierte sie, beriet bei der Weinauswahl und kümmerte sich um die Bar. Eines Tages hatte sie einen merkwürdigen Gast entdeckt. Es war jemand, dessen Gesicht sie sofort erkannt hatte: ihr Idol, Jonathan Lempereur, den die Restaurantkritiker als den „Mozart der Gastronomie“ bezeichneten. Der Sternekoch leitete ein hervorragendes Restaurant in Manhattan: das berühmte Imperator, das so mancher für die „beste Tafel der Welt“ hielt. Das Imperator war wirklich absolute Spitzenklasse und empfing Jahr für Jahr Tausende von Gästen aus aller Welt. Oft musste man über ein Jahr im Voraus reservieren. An diesem Tag aß Lempereur hier zusammen mit seiner Frau. Inkognito. Er besaß damals bereits Restaurants in verschiedenen Ländern und war unglaublich jung, um an der Spitze eines solchen Unternehmens zu stehen!
Emma hatte allen Mut zusammengenommen und es gewagt, ihr „Idol“ anzusprechen. Jonathan hatte ihr interessiert zugehört, und sehr schnell hatte sich das Essen in ein Vorstellungsgespräch verwandelt. Der Erfolg war Lempereur nicht zu Kopf gestiegen. Er war anspruchsvoll, aber bescheiden, stets auf der Suche nach neuen Talenten. Beim Bezahlen der Rechnung hatte er ihr seine Karte gereicht und gesagt:
„Sie fangen morgen an.“
Am nächsten Tag hatte sie einen Vertrag als Zweite Chef-Sommelière im Imperator unterschrieben. Drei Jahre lang hatte sie sich mit Jonathan wunderbar verstanden. Lempereur war von überschäumender Kreativität, und die Suche nach Harmonie zwischen den Speisen und dem Wein fand in seiner Küche viel Raum. Beruflich hatte sich ihr Traum erfüllt. Letztes Jahr hatte der französische Starkoch nach der Trennung von seiner Frau die Schürze an den Nagel gehängt. Das Restaurant war übernommen worden, doch obwohl Jonathan Lempereur nicht mehr am Herd stand, war sein Geist hier noch immer präsent, und die Gerichte, die er erfunden hatte, standen weiterhin auf der Speisekarte.
„Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und hoffe, dass Sie einen angenehmen Abend verbracht haben“, sagte sie, um die Veranstaltung zu beenden.
Emma verabschiedete sich von den Gästen, hielt eine kurze Nachbesprechung mit ihrem Assistenten ab und packte ihre Sachen zusammen, um sich auf den Heimweg zu machen.
—
Emma nahm den Aufzug und befand sich bald darauf am Fuß des Rockefeller Center. Es war schon lange dunkel. In der Kälte bildete ihr Atem kleine weiße Wolken. Der eisige Wind, der über den Vorplatz fegte, hatte die zahlreichen Schaulustigen nicht entmutigen können, die sich an der Absperrung der Kunsteisbahn drängten, um den riesigen Weihnachtsbaum zu fotografieren. Die Äste des rund dreißig Meter hohen Baums bogen sich unter den elektrischen Lichterketten und dem üppigen Schmuck. Ein eindrucksvolles Schauspiel, das Emma jedoch trübsinnig stimmte. Es mochte ein Klischee sein, aber die Last der Einsamkeit wog während der Festtage am Jahresende noch schwerer. Sie trat an den Bordstein, zog die Mütze tiefer ins Gesicht und den Schal fester um den Hals, während sie prüfend auf die Lichtanzeigen an den Taxidächern blickte und ohne große Hoffnung nach einem freien Wagen Ausschau hielt. Es war leider gerade Stoßzeit, und alle yellow cabs, die an ihr vorbeifuhren, waren bereits mit Fahrgästen besetzt. Resigniert bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmenge und lief eiligen Schrittes zur Ecke Lexington Avenue/53th Street. Sie verschwand in der U-Bahn-Station und nahm die Linie E Richtung downtown. Wie vorherzusehen, war der Wagon überfüllt, und sie musste, eingezwängt zwischen anderen Fahrgästen, stehen.
Trotz der unruhigen Fahrt zog sie ihr Handy heraus und las erneut die SMS.
Ich bin diese Woche auf der Durchreise in New York.
Essen wir heute Abend zusammen?
Du fehlst mir.
François
Leck mich doch, du Mistkerl. Ich stehe nicht zu deiner Verfügung!, schimpfte sie in Gedanken, ohne das Display aus den Augen zu lassen.
François war der Erbe eines großen Weinbergs im Bordelais. Sie hatte ihn vor zwei Jahren auf einer Entdeckungsreise zu französischen Rebsorten kennengelernt. Er hatte ihr nicht verheimlicht, dass er verheiratet und Vater von zwei Kindern war, dennoch war sie auf seine Annäherungsversuche eingegangen. Emma hatte ihre Frankreichreise verlängert, und sie hatten eine traumhafte Woche verbracht, in der sie die Weinstraßen der Region erkundet hatten: die berühmte „Route du Médoc“ auf den Spuren der Grands Crus Classés und der Châteaux, die „Route des Coteaux“ mit ihren romanischen Kirchen und archäologischen Stätten, den Landhäusern und den Abteien des Entre-deux-Mers, das mittelalterliche Dorf Saint-Émilion ... In der Folgezeit hatten sie sich in New York wiedergesehen, wenn François dort beruflich zu tun hatte. Sie hatten sogar eine weitere Urlaubswoche auf Hawaii verbracht. Zwei Jahre einer sporadischen, leidenschaftlichen und zerstörerischen Beziehung. Zwei Jahre des enttäuschten Wartens. Jedes Mal, wenn sie sich wiedersahen, versprach François, er stünde kurz davor, seine Frau zu verlassen. Sie glaubte das natürlich nicht wirklich, aber sie war ihm regelrecht verfallen, also ...
Und dann, eines Tages, als sie über ein Wochenende verreisen wollten, hatte François ihr eine SMS geschickt, um ihr mitzuteilen, dass er seine Frau noch liebe und die Beziehung zu ihr beenden wolle. Bereits mehrmals in ihrem Leben hatte sich Emma gefährlichen Grenzen genähert – Bulimie, Magersucht, Autoaggression –, und die Ankündigung dieses Bruchs öffnete erneut Abgründe in ihr.
Ein unendliches Gefühl von Leere hatte sie vernichtet. Das Dasein hatte ihr plötzlich nichts mehr zu bieten, und das Leben war ihr nur noch als ein großer Schmerz erschienen. Die einzige Lösung, allem zu entfliehen, hatte sie darin gesehen, sich in ihre Badewanne zu legen und die Pulsadern aufzuschneiden. Zwei tiefe Schnitte in jedes Handgelenk. Es war kein Hilferuf gewesen, kein Theater. Diese heftige Lebenskrise war durch die enttäuschte Liebe ausgelöst worden, aber das Übel saß tiefer. Emma wollte ihrem Leben ein Ende bereiten, und es wäre ihr auch gelungen, wenn sich ihr idiotischer Bruder nicht ausgerechnet diesen Moment dafür ausgesucht hätte, bei ihr hereinzuschneien und ihr vorzuwerfen, sie habe in diesem Monat das Altersheim für ihren Vater nicht bezahlt.
Als sie an diese Episode zurückdachte, spürte Emma, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Die U-Bahn erreichte die Station der 42th Street, wo sich ein Busterminal befand. Dort leerte sich der Wagen, und sie fand endlich einen Sitzplatz. Sie hatte sich gerade gesetzt, als ihr Handy vibrierte. François ließ nicht locker.
Ich flehe dich an, Darling, antworte mir.
Gib uns eine neue Chance. Gib mir ein Zeichen.
Ich bitte dich. Du fehlst mir so sehr.
Dein François
Emma schloss die Augen und atmete tief durch. Ihr ehemaliger Liebhaber war ein egoistischer und wankelmütiger Manipulator. Er verstand es, seine Verführungskünste einzusetzen, um sich als großherziger Held darzustellen und sie in seinen Bann zu ziehen. Es gelang ihm, ihre Selbstkontrolle vollständig auszuschalten. Er wusste genau, wie er ihre Schwächen und ihr mangelndes Selbstvertrauen grausam ausnutzen konnte. Er stürzte sich auf ihre Schwachstellen, riss alte Wunden auf. Vor allem beherrschte er die Kunst, die Dinge zu verdrehen und zu seinem Vorteil zu präsentieren, um Emmas Glaubwürdigkeit zu erschüttern.
Um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, ihm zu antworten, schaltete sie ihr Handy aus. Sie hatte zu viel Mühe aufgewandt, sich seinem Einfluss zu entziehen. Und sie wollte ihm auf keinen Fall wieder auf den Leim gehen, nur weil sie sich so kurz vor Weihnachten einsam fühlte.
Denn ihr schlimmster Feind war nicht François. Ihr schlimmster Feind war sie selbst. Sie konnte einfach nicht ohne Leidenschaft leben. Hinter ihrer umgänglichen und lustigen Art lauerten ihre Impulsivität und ihre emotionale Labilität, die, wenn sie die Oberhand gewannen, sie abwechselnd in tiefe Depression und unkontrollierbare Euphorie stürzten.
Sie war auf der Hut vor ihrer schrecklichen Angst, verlassen zu werden, die sie jederzeit ins Straucheln bringen und in die Selbstzerstörung treiben konnte. Ihr Gefühlsleben war voller schmerzlicher Beziehungen. In der Liebe hatte sie Menschen zu viel gegeben, die es nicht verdient hatten. Dreckskerlen wie François. Aber sie hatte etwas in sich, das sie nicht verstand und nicht unter Kontrolle bekam. Eine dunkle Kraft, eine Sucht, die sie Männern in die Arme trieb, die gebunden waren. Sie suchte wahllos nach einer Art von Symbiose, wohl wissend, dass ihr diese Beziehungen im Grunde weder die Sicherheit noch die Stabilität geben würden, die sie sich so sehr wünschte. Und doch machte sie weiter, wenn auch voller Abscheu, wurde zur Komplizin ihrer Untreue, zerstörte Ehen, obgleich dies im Gegensatz zu ihren Wertvorstellungen und ihrem Streben stand.
Die Psychotherapeutin, zu der sie seit ein paar Monaten ging, hatte ihr zum Glück geholfen, Abstand zu gewinnen und vor ihren Emotionen auf der Hut zu sein. Inzwischen wusste sie, dass sie daran arbeiten musste, sich zu schützen und sich von verhängnisvollen Beziehungen fernzuhalten.
Sie erreichte die Endstation: das World Trade Center. Dieses Viertel im Süden der Stadt war bei den Attentaten vollständig zerstört worden. Heute war es noch immer eine Baustelle, aber bald würden wieder mehrere Türme aus Glas und Stahl die Skyline New Yorks beherrschen. Ein Symbol für die Fähigkeit Manhattans, aus den Prüfungen gestärkt hervorzugehen, dachte Emma, während sie die Treppen zur Greenwich Street hinaufstieg.
Ein Beispiel, über das es sich nachzudenken lohnt ...
Schnellen Schrittes ging sie bis zur Kreuzung Harrison Street und betrat den Vorplatz eines Wohnkomplexes, der aus hohen Brownstone-Gebäuden bestand, die Anfang der 1970er-Jahre errichtet worden waren, als TriBeCa noch ein Gewerbegebiet voller Lagerhäuser war. Sie gab den Zutrittscode ein und stieß mit beiden Händen eine schwere Gusseisentür auf.
Lange Zeit hatte der Komplex 50 North Plaza in seinen drei Türmen mit vierzig Etagen Hunderte von Apartments zu moderaten Mietpreisen beherbergt. Heute waren die Preise im Viertel explodiert, und der Komplex würde bald renoviert werden. Inzwischen sah die Eingangshalle ziemlich trist und heruntergekommen aus: Bröckelnder Putz, trübe Beleuchtung, und die Sauberkeit ließ zu wünschen übrig. Emma holte die Post aus ihrem Briefkasten und nahm einen der Aufzüge, um in die vorletzte Etage hinaufzufahren, wo sich ihr Apartment befand.
„Clovis!“
Sie hatte kaum den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ihr Hund schon an ihr hochsprang und sie stürmisch begrüßte.
„Lass mich wenigstens die Tür schließen!“, rief sie, während sie das Fell des Shar-Pei streichelte, das sich in festen Falten wellte.
Sie stellte ihre Tasche ab und spielte ein paar Minuten mit dem Hund. Sie mochte seine kräftige Statur, seine kompakte Schnauze, seine offenherzig blickenden Augen, seine freundlich schmollende Miene.
„Wenigstens du wirst mir immer treu bleiben!“
Als wolle sie ihm dafür danken, stellte sie ihm eine große Schüssel mit Trockenfutter hin.
Die Wohnung war klein – knapp vierzig Quadratmeter –, aber sie hatte Charme: helles, rohes Holzparkett, Wände mit Sichtmauerwerk, großes Glasfenster. Die offene Küche war um eine Theke aus schwarzem Sandstein und drei Hocker aus gebürstetem Metall angeordnet. Das „Wohnzimmer“ wurde von vollgestellten Bücherregalen gesäumt. Amerikanische und europäische Romane, Essays über Filme, Bücher über Wein und Gastronomie. Das Haus hatte viele Mängel: alte Leitungen, immer wiederkehrende Wasserschäden, eine von Mäusen heimgesuchte Waschküche, Aufzüge, die ständig defekt waren, eine kaputte Klimaanlage, Mauern, die so dünn waren, dass sie bei Sturm zitterten und über das Intimleben der Nachbarschaft keine Unklarheiten ließen. Die Aussicht war jedoch bezaubernd, reichte über den Fluss und bot einen atemberaubenden Blick auf Lower Manhattan. Hintereinander sah man eine Abfolge erleuchteter Gebäude, die Hudson-Quais und Schiffe, die über den Fluss glitten.
Emma zog Mantel und Schal aus, hängte ihr Kostüm an einem Kleiderständer auf, schlüpfte in eine alte Jeans und ein zu großes T-Shirt der Yankees, bevor sie ins Bad ging, um sich abzuschminken.
Der Spiegel zeigte ihr das Bild einer jungen Frau von dreiunddreißig Jahren mit leicht gewelltem, braunem Haar, hellgrünen Augen und einer schmalen Nase, auf der einige Sommersprossen zu sehen waren. An ihren sehr, sehr guten Tagen konnte man eine Ähnlichkeit mit Kate Beckinsale oder Evangeline Lilly feststellen, aber heute war kein guter Tag. Als letzte Anstrengung, um sich nicht von Traurigkeit überwältigen zu lassen, zog sie ihrem Spiegelbild eine spöttische Grimasse. Sie nahm die Kontaktlinsen heraus, die ihre Augen reizten, setzte ihre Brille gegen die Kurzsichtigkeit auf und ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.
Brrr, hier kann man sich echt einen abfrieren, dachte sie fröstelnd, hüllte sich in eine Wolldecke und drehte die Heizung höher. Bis das Wasser kochte, setzte sie sich auf einen der Barhocker und öffnete ihren Laptop, der auf der Theke stand.
Sie kam um vor Hunger. Sie ging auf die Website eines japanischen Restaurants mit Heimservice und bestellte sich eine Miso-Suppe sowie eine gemischte Platte mit Sushi, Maki und Sashimi.
Sie erhielt eine Bestätigungsmail, überprüfte ihre Bestellung und den Lieferzeitpunkt und nutzte die Gelegenheit, ihre anderen Mails zu lesen, wobei sie befürchtete, Post von ihrem ehemaligen Liebhaber vorzufinden.
Zum Glück war nichts von François dabei.
Aber eine andere, rätselhafte Mail war da, geschrieben von einem gewissen Matthew Shapiro.
Ein Mann, von dem sie noch nie zuvor gehört hatte.
Und der ihr Leben auf den Kopf stellen sollte ...
Ihr Roman „Vielleicht morgen“, beginnt mit einem E-Mailaustausch zwischen einem Mann und einer Frau, quer durch die Zeit. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Sie kam mir vor einigen Jahren nach der Lektüre eines Zeitungsartikels. Darin ging es um die Schaffung einer Website, über die Internetsurfer E-Mails verschicken können, die der Empfänger erst zu einem vom Absender festgelegten Datum erhält. Das könnte am folgenden Tag, Monat oder gar ein halbes Jahrhundert später sein.
Ich fand diese Idee sehr fruchtbar, und, ausgehend von dieser Hypothese, begann ich dann die Geschichte einer Frau zu entwickeln, die gerade von ihrem Geliebten verlassen wurde und ihm eine lange Nachricht sendet, die er erst zehn oder zwanzig Jahre später erhalten soll.
Nachdem sie eine Weile brachlag, hat sich die Story stark weiterentwickelt, die Ursprungsidee aber ist dieselbe geblieben, das heißt die der romanhaften Möglichkeiten, die neuen Technologien in unser Leben zu integrieren. In meinen Romanen habe ich oft mit diesen beiden Elementen Zeit und Raum gearbeitet, und das Wissen, dass heute dank des Internet unsere Gedanken, Fotos, letztendlich auch unser Gedächtnis jederzeit Spielzeug einer Verzerrung von Zeit und Raum werden kann, bietet mir als Romanautor unendlich viele Möglichkeiten.
Ihr Roman ist in der realistischen Gegenwart verankert, wagt aber gleichzeitig Abstecher ins Übernatürliche.
Eher ins „Fantastische“ gemäß der Definition von Tzvetan Todor: „Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignisses gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlich hat.“
Das ist zweifellos auf die Lektüre meiner Kindheit und Jugend zurückzuführen – die Geschichten von Stephen King bis zu den Romanen von Richard Matheson und Ken Grimwood und schließlich Episoden aus The Twilight Zone - Geschichten, die nicht zu erklären sind, in denen es von Parallelwelten nur so wimmelt!
Doch man findet auch andere Referenzen aus der Filmkunst, beispielsweise die gewöhnlichen „hitchcockschen“ Helden, die Opfer einer viel zu komplizierten Maschinerie werden oder Zweifel an der wahren Natur ihres Partners hegen. Ein Thema von Hitchcock (Verdacht, Im Schatten des Zweifels), aber auch gewisse Filme von Barbet Schroeder, die meine Jugend geprägt haben, wie Die Affäre der Sunny von B. oder Weiblich, ledig, jung sucht ...
„Vielleicht morgen“ ist auch ein Roman über die große Liebe und ihre Exzesse.
Eine Frage taucht tatsächlich in dem Roman auf: Wozu kann uns die Große Liebe treiben? Bis zu welchen Exzessen kann sie uns führen? Es ist auch eine Geschichte über den Schein innerhalb eines Paars und die Zweifel, was den Partner betrifft, mit dem wir unser Leben teilen.
Meine Protagonistin Emma, eine junge New Yorker Sommelière, hat sich in Matthew verliebt, einen Philosophieprofessor an der Havard University, der mit seiner Frau eine nach außen hin ideale Ehe führt, eine beneidenswerte gesellschaftliche Position innehat, ein hübsches Haus in Boston bewohnt und eine reizende kleine Tochter hat ...
Während sie über diese Menschen, die sie idealisiert, Nachforschungen anstellt, stößt Emma auf Geheimnisse, die sie niemals hätte aufdecken dürfen, und die ihr Leben gefährden.
Von da an verwandelt sich der Roman in einen komplexen psychologischen Thriller. Als Autor manipulieren Sie sowohl Ihre Protagonisten als auch die Leser, indem Sie Sichtweisen und Anschein verändern. Lüge und Schein nehmen eine wesentliche Rolle ein ...
Tatsächlich wollte ich die Handlung wie eine Treibjagd im intimsten Bereich aufbauen mit Personen, deren wahre Natur sich im Laufe der Geschichte entwickeln und enthüllen wird. Personen, ständig hin- und hergerissen zwischen ihrer dunklen und ihrer helleren Seite.
Auch wenn man hier gewisse Themen wiederfindet, die mir wichtig sind, ist das Neue an diesem Roman, dass man der Psychologie der Protagonisten, ihren Motivationen, Befürchtungen und Ängsten noch näher kommt. Dies ist vielleicht der Roman, der mir beim Schreiben am meisten Freude bereitet hat, weil sich meine Helden darin selbst in größte Gefahr begeben.
Trotz der Spannung mischt sich häufig Humor unter den Nervenkitzel ...
Ja, dank einer ganzen Reihe von Nebenfiguren, die ich mir ausgedacht habe. Sie bereichern die Geschichte durch ihre Verschiedenartigkeit und bringen Humor und Fantasie hinein. Man begegnet zum Beispiel einem charismatischen und mysteriösen Geschäftsmann, halb Steve Jobs, halb Mark Zuckerberg, einer anrührenden und kessen Galeristin und einem blutjungen französischen Hacker, der sich mit seiner Familie überworfen hat und mit meiner Heldin ein komisches Paar von Amateurermittlern bildet.
Ich schreibe gerne Romane, die nicht allein einem Genre zuzuordnen sind, und in einen Kriminalroman muss auch Humor vorhanden sein, der die Pausen und die Momente der Ruhe in dem beängstigenden Crescendo der Spannung füllt.
Und es gibt noch eine weitere „Person“, die eine wichtige Rolle spielt. Es handelt sich um Boston und Umgebung, wo Dreiviertel der Handlung angesiedelt ist.
Ja, das ist kein Zufall. Boston ist zugleich die Wiege Amerikas, der großen Universitäten und Forschungszentren von Cambridge wie Harvard – wo Facebook entstand – und MIT, eine Art Labor der Zukunft für alles, was Wissenschaften und Technologien betrifft.
Die Tatsache, dass diese Metropole die symbolische Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft bildet, spiegelt sich im Thema meines Romans wider und liefert ihm einen fast natürlichen Rahmen.
„Eine atemlos-spannende Liebesgeschichte, die den Leser vollkommen fesselt und fassungslos macht.“
„Fesselt ungemein.“
„Musso nimmt den Leser mit auf eine Reise zwischen Vergangenheit und Zukunft, irreal und verwirrend, romantisch und spannend – mit überraschenden Wendungen.“
„Musso überrascht mit einer hochspannenden Zeitreise, einer Mischung aus Liebesgeschichte, Krimi und Thriller-Elementen, und dazu kommt noch ein kräftiger Schuss Fantasy. Das ist spannend bis zur letzten der 466 Seiten.“
„Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen mag.“
„Eine hochspannende Liebesgeschichte, erzählt vom meisterhaften Gulliaume Musso, einem der erfolgreichsten Autoren Frankreichs.“
„Guillaume Musso betätigt in ›Vielleicht morgen‹ gekonnt die Herz-Schmerz-Register.“
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