Von Küchenluft und Frauenduft
Ein Weltkoch packt aus
— Biografie anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Asia-Restaurants "Mangostin" in München-ThalkirchenBiografie anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Asia Restaurants Mangostin in München-Thalkirchen
Von Küchenluft und Frauenduft — Inhalt
Joseph Peter ist als Koch 20 Jahre durch die Welt getourt: In der Schweiz, in Frankreich, Belgien, Tunesien, Bahrain und Venezuela stand er an den Herden großer Restaurants, bis er schließlich im Bangkok Hilton landete, wo er selbst zum Küchenstar wurde und sogar für das Königshaus kochte. So hat er viel zu erzählen von anrührenden Begegnungen mit Menschen aus aller Welt, von Kollegen und prominenten Gästen, kleinen Küchenhelfern und großen Gaunern – und immer wieder von schönen Frauen, die nicht nur beim Essen seinen Verführungskünsten erlegen sind. Dazu lässt er uns teilhaben an seinem unerschöpflichen Wissen über die Küchen der Region, ihre Zutaten, Aromen und Eigenheiten in der Zubereitung. Heute verzaubert Joseph Peter Gäste aus aller Welt im Restaurant Mangostin in München-Thalkirchen, das seit 25 Jahren zu den besten Adressen für die Freunde fernöstlicher Küche gehört.
Leseprobe zu „Von Küchenluft und Frauenduft“
Table Dance und Chilischoten – Als Executive Souschef in Bangkok
Eine eigenartige Mischung aus Neugier, Vorfreude und auch etwas Nervosität begleitete diesen Wechsel, der mich erstmals auf Dauer weit über die europäischen Grenzen hinaus führen sollte. Am Flughafen in Bangkok erwartete mich eine Hotellimousine: ein schwerer dunkelblauer Mercedes, dessen Fahrer eine blütenweiße Uniform und eine Schirmmütze trug. So etwas kannte ich bisher nur aus Erzählungen vom legendären „Hotel Oriental“, das in Bangkok als Maß aller Dinge galt. Es dämmerte mir, dass [...]
Table Dance und Chilischoten – Als Executive Souschef in Bangkok
Eine eigenartige Mischung aus Neugier, Vorfreude und auch etwas Nervosität begleitete diesen Wechsel, der mich erstmals auf Dauer weit über die europäischen Grenzen hinaus führen sollte. Am Flughafen in Bangkok erwartete mich eine Hotellimousine: ein schwerer dunkelblauer Mercedes, dessen Fahrer eine blütenweiße Uniform und eine Schirmmütze trug. So etwas kannte ich bisher nur aus Erzählungen vom legendären „Hotel Oriental“, das in Bangkok als Maß aller Dinge galt. Es dämmerte mir, dass unser Haus dem wohl in keiner Weise nachstehen würde, und so war ich mächtig eingeschüchtert, als ich zu ihm ins Auto stieg.
Der Eindruck verstärkte sich noch, sobald ich das Haus in Augenschein nahm. Empfangen wurde ich von Jean Pierre Mainardi, den ich seit meiner Brüsseler Zeit kannte, wo er den Posten des Food & Beverage Managers innegehabt hatte. Dann wurde ich dem Generaldirektor des Hauses, Monsieur Mahillon, vorgestellt, der mir eröffnete, dass ich erst einmal im Hotel wohnen müsse, bis ein Apartment für mich gefunden sei. Beim anschließenden Rundgang unter Mainardis Führung gab es viel zu staunen: Das Haus lag in einer für die dicht bebaute Hauptstadt riesigen Gartenanlage. Es gab einen Seitentrakt, wo Künstler für das Hotel arbeiteten, und sogar eine eigene Druckerei. Während ich diese ersten Eindrücke sammelte, machte mich Mainardi mit ein paar Grundsätzen vertraut. Im Haus herrschte eine strenge Hierarchie. An oberster Stelle und mit höchster Autorität rangierte Frau Khun Ying, der, zusammen mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern, das Hotel gehörte. Eigentlich arbeitete das gesamte Personal hier nicht für „Hilton“, sondern für diese einflussreiche Familie.
An zweiter Stelle wäre für mich der japanische Küchenchef gefolgt, aber der war zum Zeitpunkt meiner Ankunft in Urlaub. Aber auch ohne ihn war die Küche beeindruckend genug. Die Brigade umfasste 150 Personen, und es gab sogar eine eigene Sekretärin: Dolly, Chinesin und Tochter des größten Juweliers von Bangkok. „Chef Peter, you care for coffee?“, fragte sie mich nach dem ersten einleitenden Small Talk. Ein guter Teil der Küchenmannschaft hatte ihre Frage gehört, und damit stand mein Titel für die ganzen Jahre meines Aufenthalts fest: „Chef Peter“, was sich im Englischen mit dem Akzent der Thais etwa anhört wie „Tschääf Piita“ – es klingt mir heute noch in den Ohren. Unter mir rangierten Khun Vi Boon, ein groß gewachsener Thai-Chinese mit eunuchenhafter Stimme, und als Souschef Martin Gerber, ein ruhiger, sehr zuverlässiger Schweizer aus Bern, der dem Vorurteil, dass die Menschen dieser Gegend äußerst bedächtig wären, durchaus alle Ehre machte. Dazu gab es eine französische „Mimosenbrigade“, angeführt von Jean François Langevin, dem Chef-Pâtissier, der mir sofort auf die Nase binden musste, dass er Inhaber des französischen Titels „Meilleur Ouvrier“ war, und Monsieur Le Petitcorps, der den mit „Herr Kleinkörper“ zu übersetzenden Namen zu Recht trug. Von beachtlicher Größe war bei ihm nur die typisch französische Nase.
Natürlich versuchte ich bei der Vorstellungsrunde, in der Führungsriege einen freundlich-verbindlichen Eindruck zu machen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass man mir sehr distanziert begegnete. Sogar die Thais, die ich auf meinen Reisen bis dahin immer als fröhlich und sehr offen empfunden hatte, wirkten zurückhaltend. Verstärkt wurde der Eindruck noch, als ich zu Khun Laddaval geschickt wurde, der zweiten Chefbuchhalterin und, wie jeder wusste, Finanzspionin der Besitzerfamilie, um meine Personalien anzugeben. Sie begrüßte mich mit einem mehr als geringschätzigen „Again another Farang. Let’s see for how long you will last . . .“, übersetzt etwa: „Schon wieder so eine Langnase. Schauen wir mal, wie lange du bleibst . . .“
Krieg zwischen Franzosen und Japanern
Auch die erste Aufgabe, die ich bekam, ließ nichts Gutes erahnen: Ich sollte die Speisekarte unseres großen „All Day Dining“-Restaurants überarbeiten. Normalerweise, so wusste ich aus Erfahrung, lässt sich ein Küchenchef so etwas nicht aus der Hand nehmen. Unserer war nicht nur gerade im Urlaub, sondern auch noch Japaner, und das bedeutete nach meiner Erfahrung: besonders stolz und besonders empfindlich, wenn ihm ein Jüngerer das Zepter aus der Hand nimmt. Als ich daher vorsichtig nachfragte, ob diese Aufgabenteilung mit ihm abgesprochen sei, hieß es halbherzig: „Yes, yes, go ahead!“ – für mich war damit von vorneherein klar, dass dort in der Küche ein Krieg zwischen Franzosen und Japanern herrschte und man mich, den neuen, unerfahrenen Deutschen, nur zu gerne zwischen die Fronten stellte.
So lästig ich die Grabenkämpfe in der Spitzenmannschaft fand, so abstoßend war für mich die Hierarchie weiter unten, sie erinnerte mich an das indische Kastensystem. An letzter Stelle rangierten die Küchenhelfer, die zwar bisweilen etwas naiv, aber fröhlich, unkompliziert und immer extrem kameradschaftlich waren. Es leuchtete mir zwar ein, dass sie mit einer gewissen Härte geführt werden mussten. Aber darum ging es nicht, sondern um einen mir gänzlich unverständlichen Standesdünkel: Eine Restaurantkassiererin oder ein anderes im Rang darüberstehendes Crewmitglied weigerte sich strikt, sich mit diesen Leuten an einen Tisch zu setzen – man war ja was Besseres! Ich habe das nie verstanden und mich nach Kräften dagegen zur Wehr gesetzt, denn Thais, das ist eine vielfach belegte Erfahrung von mir, sind wunderbare Menschen. Ich profitierte (und profitiere bis heute) immer wieder von ihnen. Ihr Lächeln hat mir auch in schwierigen Situationen oft Kraft gegeben – und umso bereitwilliger habe ich mein Wissen mit ihnen geteilt. Sie haben ein einmaliges Gespür für das Filigrane beim Zubereiten von Speisen. Die Art, wie sie Obst und Gemüse zur kunstvollen Tisch- und Speisendekoration verwenden, ist weltweit einmalig. Die Kellner dort empfinden sich als Diener, denen die Zufriedenheit des Gastes das höchste Gut ist. Und in Bangkok, davon bin ich überzeugt, herrscht die größte kulinarische Vielfalt auf unserem Planeten.
Das Erstaunlichste daran: Dieser Luxus muss noch nicht einmal teuer sein. Zwar sind viele der Künstler, die mit ihren Garküchen auf der Straße arbeiteten und ihren Gästen das phantastische Essen mit dem Ambiente von Blechhockern und Plastikschüsselchen offerieren mussten, inzwischen abgeworben worden und arbeiten in den kaum weniger gut bestückten Food Courts der großen Shopping Malls, aber immer noch kann man – speziell auf dem Lande – erstklassige Spezialitäten am Straßenrand für ein paar Cent genießen.
Gai Hor Bai Toey
Pandanus-Hühnchen für vier Personen
Das braucht man
600 g Hühnerschenkel oder Brustfilet
20 Stück Pandanusblätter (im Asia-Fachhandel erhältlich)
3 EL dunkle, süße Thai-Sojasoße
2 EL helle Thai-Sojasoße
2 EL Austernsoße
1 TL Zucker
4 TL Sesamöl
einige Korianderblätter
3 Knoblauchzehen
3 EL Zuckersirup
2 EL weißen Thai-Essig
1TL gerösteten Sesam
Pflanzenöl zum Frittieren
So wird’s gemacht
- Die Knoblauchzehen und den Koriander fein hacken, zusammen mit einem EL dunkler, süßer Sojasoße, der hellen Thai-Sojasoße, der Austernsoße, dem Zucker und zwei TL Sesamöl zu einer Marinade verrühren. Das Hühnerfleisch in etwa gulaschgroße Stücke schneiden und ca. zwei Stunden darin marinieren.
- Die Endstücke der Pandanusblätter schräg abschneiden, die Hähnchenteile mit den Blättern umwickeln und diese so ineinander verschlingen, dass sie fest am Fleisch anliegen. Das so vorbereitete Fleisch in Pflanzenöl bei ca. 160 ° für fünf Minuten frittieren. Die ausgebackenen Teile auf Küchenkrepp auslegen, um das überschüssige Fett abzugeben.
- Aus dem Thai-Essig, dem Zuckersirup, der restlichen süßen Thai-Sojasoße, dem gerösteten Sesam und dem restlichen Sesamöl einen Dip anrühren.
Profitipps
Eine schmackhafte Beilage zu diesem Gericht ist eingelegter Ingwer, wie er auch zu Sushi serviert wird. Das Hühnchen lässt sich hübsch mit Lollo-Verde-Salatblättern anrichten, ganze kleine rote Thai-Kinu-Chilischoten setzen einen exotischen Farbakzent.
Das Einzige, woran ich mich zunächst einmal gewöhnen musste, war dieser schrecklich intensive Geruch nach Rauch, Abgasen,modrigem Klong-Wasser und den blauen Schwaden, die Mopeds und Tuk Tuks mit ihren Zweitaktmotoren hinter sich herziehen. Am zweiten Abend fragte mich Martin, der bedächtige Schweizer, ob wir noch ein Bierchen miteinander trinken wollten. Natürlich wollte ich, denn Martin war mir mit seinen Erfahrungen im legendären Nachtleben von Bangkok ein paar Wochen voraus und kannte schon die Souschefs diverser Hotels, die sich alle im „Superstar“, einer Disco in der berühmten Patpong Road, trafen.
Dort sah es damals noch völlig anders aus als heute. Die unendlichen fliegenden Stände, wo falsche Rolex-Uhren, T-Shirts, Modeschmuck, Gürtel, Gepäck und viele andere Imitate teurer Markenprodukte verkauft werden, gab es zu der Zeit so gut wie überhaupt nicht. Dafür stand auf einer Länge von 150 Metern eine Bar neben der anderen, und es arbeiteten dort etwa 4000 Mädchen. Zogen Touristen vorbei, so versuchten sie mit lautem Gekreische, auf sich aufmerksam zu machen, und hielten ihnen Tafeln entgegen, auf denen die äußerst günstigen Preise für Bier, Whisky und andere Spirituosen aufgelistet waren.
Liveshows für Hartgesottene
Was sich dann im Inneren abspielte, nannte sich zwar einheitlich „Go Go“, konnte aber ganz unterschiedlich aussehen. Die harmloseste Variante war Table Dance: In einfachen Bikinis und High Heels tanzten die Mädchen auf dem Bartresen und hielten sich dabei an Stangen fest, um die Verrenkungen aufzuführen, die den lüsternen Gästen die interessantesten Einblicke verschafften. Wer mehr auf Hardcore stand, suchte sich eine der Live-Fucking-Shows, in denen die Gäste genau das zu sehen bekamen, was der Name versprach. Und für die ganz Hartgesottenen gab es Pussy-Shows, in denen Damen lächelnd und unter dem Gejohle der Gäste die abenteuerlichsten Dinge vorführten, die man mit den weiblichen Geschlechtsteilen veranstalten kann. Dass es daneben noch Blowjob-Bars und andere Etablissements gab, in denen die angeheizten
Touristen dann auf jede erdenkliche Art Befriedigung suchen konnten, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Im „Superstar“ hatten sich bereits ein paar Kollegen eingefunden, ich wurde den beiden Souschefs vom „Oriental“ vorgestellt: Peter Kaserer, einem Kärntner, der heute immer noch in Bangkok lebt und inzwischen Küchenchef des „Amari Watergate Hotels“ ist, und Martin, der inzwischen eine Großgastronomie in Hongkong betreibt. Es ist immer ein seltsames Ritual, wenn sich Köche begegnen, ein vorsichtiges Abtasten, wer wem das Wasser reichen kann. „Wo kommst du her?“, „Wo hast du schon gearbeitet?“, „Bei welchen Küchenchefs warst du?“ – das sind die Fragen, die dann darüber entscheiden, wer die Nase höher halten darf. Ich mag dieses Spielchen generell nicht und hatte als Neuankömmling hier ohnehin die schlechteren Karten. Also ging ich so wenig wie möglich darauf ein und versuchte, die Situation mit bayerischer Fröhlichkeit zu entschärfen. Und dann gelang es mir an diesem Abend sogar noch, einen schwerwiegenden Achtungserfolg zu erringen: Ich lernte in dem Lokal eine große, hübsche Japs kennen (keine Japanerin, sondern eine „Jewish American Princess“), gewann ihr Herz und verließ unter den neidvollen Blicken der Kollegen mit ihr das Lokal. Die Geschichte von dem Neuling, der gleich am ersten Abend eine Schönheit aus Amerika abschleppte, machte, so hörte ich später, unter den Köchen und dem übrigen Hotelpersonal wie ein Lauffeuer die Runde.
Für mich hatte die Affäre leider ein ebenso schnelles wie trauriges Ende. Alles lief zunächst prima, wir nahmen ein Tuk Tuk zum Hotel, und dort zeigte sich wieder einmal, dass die Amerikaner vermutlich
die Erfinder des „Quickies“ sind: Es gab kein langes Rumgerede, sondern eine äußerst unterhaltsame Stunde mit der jungen Dame. Als wir schließlich voneinander abließen und ich die (damals noch!) übliche „Zigarette danach“ rauchte, kam eine Frage von ihr, die in unserer knappen Konversation zuvor ganz untergegangen war: „By the way – where do you come from?“, wollte sie wissen. „From West Germany“, antwortete ich arglos. Da verfinsterte sich ihr Gesicht: „ Are you a Naaaazi?“ Natürlich verneinte ich die Frage vehement. „And your father – was he a Nazi?“ Nein, auch der hatte mit den braunen Machthabern nichts am Hut gehabt. Als braver Soldat war er nach Russland geschickt worden und dort in Gefangenschaft geraten. – Das erklärte ich der Hübschen, aber sie hörte gar nicht mehr zu. „Why do I fuck a Nazi. I can’t believe it!“, fauchte sie, rannte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Nachdenklich blieb ich zurück und nippte an meinem Whisky. Ich habe weder meiner Familie noch mir selbst in politischer Hinsicht etwas vorzuwerfen, aber bei manchen Menschen sitzt der Hass so tief, dass man darüber noch nicht einmal sprechen kann.
Schon am nächsten Tag erschien der Personalchef des Hotels und erklärte mir, dass ein Apartment für mich gefunden sei, ich könne es gleich besichtigen. Es lag zwei Minuten vom Hotel entfernt in einer etwas älteren Wohnanlage direkt an einem Klong, einem Stadtkanal des Pratunam-Viertels mit viel Bootsverkehr. „Wie romantisch“, dachte ich, „fast wie in Venedig.“ Das stimmte aber nur zum Teil. Denn statt Gondeln waren hier die Longtail-Boote mit 200-PS-Motor unterwegs. Ihr Auspuff ist nur minimal schallgedämpft und ihre Abgasfahne im wahrsten Sinne atemberaubend. Das Klong-Wasser ist eine üble Stinkbrühe, und wir beteten jeden Tag (manchmal vergeblich) darum, dass der Kanal nicht über die Ufer treten würde. Umso erstaunlicher, dass sich auf und in diesen Klongs immer noch viel Leben abspielt. Während meiner Zeit in Bangkok gab es
vier Opfer, die nach dem Genuss der berühmten kalt gegessenen Nudeln Kanom Jeen ihr Leben aushauchten. Der Grund: Die Nudelmacher hatten zur Teigherstellung Klong-Wasser verwendet. Aber das soll kein schlechtes Licht auf die Thais werfen. Die Thai-Küche setzt auf frische Produkte, und von allen Länderküchen dieser Welt steht sie für mich nach wie vor an oberster Stelle. Dass es schwarze Schafe gibt, gehört wie überall dazu.
Otaki kehrt zurück
Zwei Wochen nach meiner Ankunft kam ein Augenblick, auf den ich sehr gespannt gewartet hatte: Otaki, unser Küchenchef, kehrte aus seinem Urlaub zurück. Ich hatte in der Zwischenzeit schon viele Geschichten darüber gehört, wie streng er mit den Thai-Mitarbeitern umgehe und wie vehement er Opposition gegen seinen vorgesetzten Food & Beverage Manager betreibe – all das steigerte meine Neugier, diesen ungewöhnlichen Mann endlich kennenzulernen. Er war für einen Japaner ungewöhnlich groß gewachsen. Man sah ihm auf den ersten Blick an, dass er sich als Angehöriger einer Herrscherrasse fühlte, die allen anderen Asiaten überlegen war. Ich hatte gezwungenermaßen in den Tagen meiner Alleinherrschaft in der Küche ein paar Veränderungen vorgenommen und verstand, dass ihm das nicht gefallen konnte. So herrschte von vornherein eine gewisse Distanz zwischen uns. Ganz offensichtlich betrachtete er mich als ungewollten Kollegen, dabei hatte ich einen gewissen Vorteil, weil Deutsche bei den Japanern höher im Kurs stehen als alle anderen Europäer.
Ein weiterer Pluspunkt hing mit einem generellen Nationalitätenproblem in der Küche zusammen: Es kommt häufig vor, dass Franzosen, die sich beim Kochen für den Nabel der Welt halten, ein paar fleißige Japaner in ihrer Brigade haben, die regelrecht geknechtet werden. Man gibt ihnen gerade noch eine Unterkunft, ansonsten müssen sie für ihr begehrtes Zeugnis harte Frondienste leisten. – So war es auch Otaki ergangen, der in Frankreich schlimme Zeiten als „Commis-Arschloch“ erleben musste. Nun, auf dem Thron in der Küche des „Bangkok Hilton“, sah er seine Zeit gekommen, es den Franzosen heimzuzahlen. Kein Wunder, dass einige Chefs de Partie und Souschefs vor ihm zitterten. Mir kam in dieser Zeit wieder einmal eine Lebensweisheit zugute, die ich als junger Bub im Boxclub gelernt hatte: Wenn du im Ring einen Gegner hast, der stärker ist als du, dann ist Angst der schlechteste Ratgeber. Lässt du sie zu, dann hast du schon verloren. Daran musste ich denken, als ich nun gegen Otaki in den Ring stieg, und ich freute mich darauf. Ich setzte allerdings nicht auf Konfrontation, sondern auf Diplomatie. Ich war der Koordinator zwischen den verschiedenen Restaurants in unserem Haus, und er sollte sehen, dass ich dabei mit Nachdruck seine Beschlüsse umsetzte.
Der erste Schlagabtausch zwischen uns ließ nicht lange auf sich warten: Nach zwei Wochen erklärte mir Otaki: „We have problems in the bakery.“ Die Marschrichtung war klar. Deutschland war und ist das Heimatland vieler guter Brotsorten, und Otaki ging zu Recht davon aus, dass ich mich mit dieser Materie auskannte. So wollte er mich zum „Mehlaffen“ degradieren, der mitten in der Nacht aufsteht, um die verschiedenen Restaurants schon zum Frühstück mit frischen Backwaren zu versorgen. Meine Interessen gingen aber in eine ganz andere Richtung, und mir blieb nichts anderes übrig, als unmissverständlich klarzustellen, was meine Position war, und dass ich das ganz sicher nicht tun würde. Es ist ein seltener Anblick, einen Gelben blass werden zusehen, aber Otaki schluckte meine Weigerung, die Fronten waren geklärt. Zugute kam mir, dass ich eine Grundregel im Umgang mit Asiaten eingehalten hatte: Die Diskussion fand unter vier Augen statt. So gab es keine Zeugen für sein Nachgeben, und er verlor niemandem gegenüber sein Gesicht. Aber mein Wechsel nach Bangkok hatte ja nicht stattgefunden, um gegen Otaki anzutreten, sondern zunächst einmal, um von ihm zu lernen, und das tat ich auf vielfältige Weise. Ein paar seiner Gerichte sind mir bis heute in lebhaftester Erinnerung. So konnte er, der auch lange Zeit in Italien gearbeitet hatte, zum Beispiel ein Sugo zubereiten, das seinesgleichen sucht. Der besondere Trick dabei war, dass er ganz zum Schluss, als der Sugo eigentlich schon fertig war, stark geröstete, fast schon verkohlte Knoblauchzehen hineinwarf. Sie wurden später nicht mitserviert, gaben der Nudelsoße aber ein wunderbares Aroma.
Eine andere Erkenntnis, die ich ihm verdanke, ist, dass man Crottin de Chavignol, einen köstlichen französischen Ziegenkäse, gratinieren kann. Wir servierten ihn auf einer Toastade mit gemischten Blattsalaten, die mit Walnussöl und etwas Sherry-Essig angemacht waren – ein Zwischengericht, das man so schnell nicht vergisst! Und auch seine Rilette war in meinen Augen eine kleine Rache an den Franzosen, denn dieser Brotaufstrich, eine absolut französische Erfindung, gelang ihm so gut, wie man ihn in seinem Ursprungsland nur selten bekommt. Ein paar Wochen später wechselte Otaki zusammen mit unserem französischen Zuckerbäcker Jean François in das „Regent Hotel“. Philipp Mermot, der neue Direktor des „Bangkok Hilton“, fragte mich, ob ich seine Nachfolge antreten wolle. Ich musste keine Sekunde lang darüber nachdenken und sagte mit Freuden zu.
Tomatensugo à la Otaki – Rezept für vier Personen
Das braucht man
800 g Eiertomaten (auch Flaschentomaten oder Roma-Tomaten genannt)
10 ml Extra Vergine Olivenöl
20 frische Basilikumblätter, mittelgroß
10 Knoblauchzehen
eine Prise Zucker
Salz und weißen Pfeffer aus der Mühle nach Geschmack
So wird’s gemacht
- Die Knoblauchzehen schälen, andrücken und mit etwas Olivenöl langsam dunkelbraun bis schwarz rösten.
- Aus den Tomaten den Stielansatz keilförmig herausschneiden und die Haut oben kreuzförmig anritzen.
- In einem Topf reichlich Wasser zum Kochen bringen, die Tomaten in das sprudelnde Wasser geben, nach einer Minute herausnehmen und kurz in eine Schüssel mit Eiswasser legen. Dann die Haut abziehen.
- Die geschälten Tomaten mit einem scharfen Messer halbieren, mit einem Teelöffel die Kerne entfernen und das Tomatenfleisch in Würfel schneiden.
- Olivenöl in eine Kasserolle geben, leicht erhitzen, die gewürfelten Tomaten und die restlichen Knoblauchzehen (gehackt) hinzufügen und alles einige Minuten köcheln lassen.
- Die Basilikumsblätter waschen, gut abtropfen lassen, in Streifen schneiden und unter die Tomatensoße heben, alles mit einer Prise Zucker, Salz und frisch gemahlenem Pfeffer würzen. Je nach Reifegrad der Tomaten eventuell etwas Wasser hinzufügen.
- Den Sugo etwa acht Stunden sanft köcheln lassen, dabei immer wieder etwas Wasser zugeben. Abschmecken vor dem Anrichten und die ausgebratenen Knoblauchzehen entfernen.
Profitipp
Für die Qualität des Sugo ist wichtig, dass geschmacksintensive, aromatische Tomaten mit einer fruchtig-süßen Note verwendet werden. Die Soße sollte unmittelbar nach der Herstellung verwendet werden. Sie eignet sich nicht nur für Pasta-Gerichte, sondern auch zur Zubereitung von Fisch und Meeresfrüchten.
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