Wandern, Glück und lange Ohren Wandern, Glück und lange Ohren Wandern, Glück und lange Ohren - eBook-Ausgabe
Mit Esel Jonny zu Fuß von München bis ans Mittelmeer
— Ein außergewöhnlicher Reisebericht über eine Alpenüberquerung mit Esel„Man spürt die wiedergewonnene Lebensfreude.“ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Wandern, Glück und lange Ohren — Inhalt
Ein Esel zum Pferdestehlen
Zum Schmunzeln: ein berührender Bericht über eine Eselwanderung
In ihrem SPIEGEL-Bestseller erzählt Lotta Lubkoll von ihrer etwas anderen Alpenüberquerung mit einem vierbeinigen Gefährten.
Was wäre schon ein Traum, wenn er nicht ein kleines bisschen unrealistisch wäre? Doch erst der Tod ihres Vaters macht Lotta Lubkoll klar, dass man auch die ungewöhnlichsten Träume verwirklichen sollte, bevor es zu spät ist. Seit sie als Kind „Shrek“ gesehen hat, wünscht sie sich, einmal mit einem Esel die Alpen zu überqueren, die langohrigen Vierbeiner lassen sie nicht mehr los.
Nun kündigt Lotta ihren Job und macht sich auf die Suche nach einem passenden Gefährten für ihr Abenteuer. Sie findet Jonny, einen grauweißen Esel, den sie sofort ins Herz schließt, und gemeinsam wandern die beiden los – von München immer Richtung Süden.
Ebenso unterhaltsam wie anrührend liest sich dieser Reisebericht der etwas anderen Art: Lotta Lubkoll erzählt von inspirierenden Begegnungen, Problemen mit versperrten Wegen und den Sorgen und Ängsten, die sie auch unterwegs verfolgen. Bei allem gibt Jonny den eher gemächlichen Rhythmus vor, und die temperamentvolle Lotta muss lernen, geduldig mit ihrem entschleunigten Esel zu sein. Das Positive daran: Erst bei drei Stundenkilometern entdeckt man die wahren Schätze am Wegesrand.
„Zauberhaft!“ ZDF Volle Kanne
80 Tage, 600 Kilometer: Die Wanderung auf dem Traumpfad von München bis an die Adriaküste in Italien ist an sich schon kein leichtes Unterfangen – mit einem Esel im Schlepptau kommen noch ganz andere Schwierigkeiten hinzu. Umso schöner liest es sich, wie Lotta und ihr Jonny immer mehr zu einem unzertrennlichen Team zusammenwachsen. Ein wundervolles Buch über eine ganz besondere Freundschaft.
Eine herzerwärmende Reiseerzählung mit vielen spannenden Extras
Ergänzend zum unterhaltsamen Text finden sich im Buch zahlreiche Fotos von der Reise und Illustrationen der Autorin, eine Landkarte sowie Tipps für das Wandern mit Eseln – vielleicht begeben Sie sich ja auch bald mit einem Esel auf Wanderschaft!
Leseprobe zu „Wandern, Glück und lange Ohren“
Prolog
„Ist das nicht toll, Jonny, jetzt gibt es nur noch uns beide, und wir haben den ganzen Sommer miteinander!“ Doch Jonny zeigt plötzlich nur noch wenig Begeisterung und bleibt skeptisch mitten auf der Straße stehen. Ich schaue ihn fragend an und versuche, ihn zum Gehen zu ermuntern. Vergebens ziehe ich etwas kräftiger am Führstrick, Jonny ist keinen Zentimeter von der Stelle zu bewegen.
„Jonny, was ist denn los? Jetzt komm! Wir müssen da lang.“
Jonny dreht die Ohren hin und her, doch sobald ich am Strick ziehe, macht er seinen Hals lang und stemmt die [...]
Prolog
„Ist das nicht toll, Jonny, jetzt gibt es nur noch uns beide, und wir haben den ganzen Sommer miteinander!“ Doch Jonny zeigt plötzlich nur noch wenig Begeisterung und bleibt skeptisch mitten auf der Straße stehen. Ich schaue ihn fragend an und versuche, ihn zum Gehen zu ermuntern. Vergebens ziehe ich etwas kräftiger am Führstrick, Jonny ist keinen Zentimeter von der Stelle zu bewegen.
„Jonny, was ist denn los? Jetzt komm! Wir müssen da lang.“
Jonny dreht die Ohren hin und her, doch sobald ich am Strick ziehe, macht er seinen Hals lang und stemmt die Vorderbeine in den Boden. Ich habe keine Chance. Wir werfen uns gegenseitig schiefe Blicke zu, und ich kontrolliere alles, was Jonny am Weiterlaufen hindern könnte. Sein Packsattel sitzt perfekt, und die Gurte haben auch kein Fell eingezwickt. Es liegt kein Gepäckstück unangenehm auf, und in den Hufen ist kein Steinchen zu finden, das ihn stören könnte. Anschließend lasse ich meinen Blick umherschweifen. Vielleicht ist da etwas, wovor Jonny sich fürchtet? Die Autos der A95 rauschen über die Brücke hinweg, unter der wir hindurchmüssen, aber sonst sind da nur Büsche und die blühende Wiese, auf der wir uns von unseren Freunden verabschiedet haben.
„Also, da ist nichts, Jonny. Du hast keinen Grund, stehen zu bleiben.“ Ich versuche noch einmal mein Glück und ziehe am Führstrick. Diesmal macht Jonny ein paar lausige Schrittchen. Ich freue mich und lobe ihn, doch im selben Moment verankern sich seine Beine wieder im Boden. So geht es etwa eine halbe Stunde, und wir kommen gerade einmal fünf Meter voran. Ich versuche sogar, Jonny zu schieben, aber ihn beeindruckt das wenig, und ich komme mir dabei ziemlich blöd vor. So etwas hat er noch nie gemacht. Was ist nur los? Gegen seine Kraft komme ich mit meinen 1,59 Meter und 49 Kilogramm nicht im Geringsten an. Jonny steht wie versteinert mitten auf der Straße.
In meiner Verzweiflung halte ich ein vorbeifahrendes Auto an. Eine Frau steigt aus und klatscht in die Hände: „Oh, was für ein süßes Tierchen. Brauchst du Hilfe?“ Die Dame trägt ein schickes Kostüm mit farblich perfekt abgestimmten hochhackigen Schuhen und sieht nicht gerade aus, als würde sie einen Esel schieben können. Neben ihr wirke ich mit meinen weiten, bunten Klamotten und den langen, wilden rotblonden Haaren ziemlich unkonventionell. Aber, was soll’s, ich lasse es auf einen Versuch ankommen.
„Vielen Dank, dass Sie angehalten haben. Jonny bewegt sich einfach nicht vom Fleck, und ich kann mir nicht erklären, warum. Wenn Sie vorne einmal ziehen würden, dann schiebe ich hinten ein bisschen. Vielleicht ist er ja doch zu überzeugen.“ Ich drücke der schicken Dame Jonnys Strick in die Hand, und wir geben alles. Jonny bewegt sich. Endlich! Die Dame schaut noch immer etwas verwirrt zwischen Jonny und mir hin und her, um zu verstehen, was hier eigentlich vor sich geht, bevor sie wieder in ihr Auto steigt: „Vielen Dank fürs Helfen!“ Doch kaum ist sie um die Ecke gebogen, steht Jonny wieder wie angewurzelt da. Das darf doch echt nicht wahr sein! „Jonny, was ist denn nur los?“
Da stehen wir also. Und jetzt? Ich Depp habe ganze drei Monate Wandern eingeplant und extra meinen Job für diese Reise gekündigt. Am liebsten wollte ich zu Fuß bis ans Meer laufen, doch wenn es so weitergeht, schaffen wir es nicht mal bis zum Südende vom Starnberger See. Wie kommt man denn auch bitte auf eine so schwachsinnige Idee, sich einen Esel zu kaufen und mit ihm wandern gehen zu wollen? Sind Esel nicht die störrischsten Tiere überhaupt? Was will denn ausgerechnet ich, die ich doch absolut keine Geduld habe und der mir nichts schnell genug gehen kann, gemeinsam unterwegs mit einem Esel, der nur eine Geschwindigkeit von zwei bis drei Stundenkilometern an den Tag legt? Ich, die ich doch Laufen eigentlich überhaupt nicht leiden kann und jede Möglichkeit nutze, um mit dem Auto oder dem Longboard meine Strecken zurückzulegen. Ich, die ich doch überhaupt keine Ahnung vom Wandern, geschweige denn von den Alpen habe, denn bis auf ein paarmal zum Snowboarden bin ich da nur durchgefahren, um nach Italien oder Kroatien zu kommen. Ich, die ich doch jeden Schritt plane und mir schwertue, einfach mal die Dinge geschehen zu lassen. Was mache ich hier eigentlich?
Ein Jahr zuvor habe ich meiner Mama begeistert von dieser etwas verrückten Idee erzählt: „Also, ich hab vor, meinen Job zu kündigen, mir einen Esel zu kaufen und dann mit ihm wandern zu gehen.“
Daraufhin schaute sie mich skeptisch von der Seite an und war sich nicht sicher, ob sie das nun ernst nehmen sollte. Ihr Freund Amir, ein sehr strukturierter und geradliniger Mann, runzelte die Stirn: „Aber was bringt dir das denn?“ Ein Studium, eine Ausbildung, ein Praktikum, all das hätte er gut nachvollziehen können. Etwas, was mich im Leben „voranbringt“. Aber einen festen Job zu kündigen, um mit einem Esel wandern zu gehen, das passte nicht zu seiner vorausschauenden und zukunftsorientierten Lebensansicht. Meine Mama lächelte zum Glück: „Ach, ich versteh’s zwar nicht, aber ich kann dich ja sowieso nicht davon abhalten.“
Auch meine Freunde glaubten, ich sei verrückt geworden, und konnten gar nicht fassen, dass ich es wirklich ernst meinte: „Du willst dir jetzt echt einen Esel kaufen?“ Doch gleichzeitig waren sie begeistert, als ich meinen Traum in die Tat umsetzte und ein paar Monate später tatsächlich stolze Besitzerin eines grauen Langohrs war. Die Frage, was mir das denn eigentlich bringen sollte, wurde mir mehrfach gestellt. Tja, ich konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten. Ich war einfach neugierig und spürte den tiefen Drang in mir, diesem Bauchgefühl zu folgen. In der heutigen Zeit muss alles immer höher, schneller und weiter sein. Ich wollte das Gegenteil lernen – Langsamkeit und Minimalismus. Ich wollte lernen, mit so wenig wie möglich auszukommen, ohne Hektik und Stress das Hier und Jetzt zu genießen und mit dem glücklich und dankbar zu sein, was ich habe.
Teil 1
„Was bringt dir das denn?“
Traumfänger
Eigentlich begann alles damit, dass ich als Kind den Film „Shrek“ geschaut habe. Sofort habe ich mich in den Esel dieser Geschichte verliebt. Er ist tollpatschig, liebenswürdig, lustig, aufgedreht und einfach zu komisch. Außerdem hat er mir leidgetan, weil er von den anderen nicht ernst genommen wird. Es ärgerte mich, dass Esel häufig nur als „stur und dumm“ bezeichnet werden und als beleidigender Ausdruck herhalten müssen: „Du sturer Esel!“ Ich war schon damals der festen Überzeugung, dass der Esel noch mehr draufhat und bestimmt nur missverstanden wird. Der Film weckte in mir den Wunsch, eines Tages einen solchen Esel als Kumpel zu haben.
Über zehn Jahre später schwirrte mir dieser heimliche Wunsch noch immer durch den Kopf. Ich war nach dem Abitur nach München gezogen und steckte mitten in einer Schauspielausbildung. Während meiner Arbeit im Kletter- und Boulderzentrum Freimann scherzte ich über diesen Traum mit Serah, meiner Freundin und Arbeitskollegin. Ich war mittlerweile 22 Jahre alt und hatte die romantische Zukunftsvorstellung von einem eigenen Aussiedlerhof mit meinem zukünftigen Mann, vielen Tieren, Kindern und genug Platz für einen Esel.
Wie ich auf die Idee kam, mit meinem Esel wandern gehen zu wollen, frage ich mich bis heute. Ich denke, dass es mit dem Wunsch zu tun hatte, meine Komfortzone zu verlassen. Ich steckte mir selbst schon immer gerne Ziele, von denen ich nicht sicher war, ob ich sie wirklich erreichen würde.
Als ich Serah hinter dem Tresen mit meiner etwas verrückten Idee vollquatschte, reagierte sie richtig begeistert und meinte: „Ja, das musst du machen. Warum nicht jetzt?“ Da ich mitten in meiner Ausbildung steckte und zu dem Zeitpunkt weder im Besitz von Geld noch Zeit, noch einem Haus mit Garten und Platz für einen Esel war, hatte sich die Sache schnell geklärt. Eigentlich war ich sogar ganz froh, noch eine „Ausrede“ zu haben. Aber irgendwann würde ich meine Idee umsetzen! Irgendwann … Es mussten erst noch ein paar Jahre vergehen, in denen ich mal mehr und mal weniger mit diesem Gedanken spielte, bis ich endlich anfing, meinen Traum in die Tat umzusetzen.
Es begann Ende August 2015 mit einer völlig unerwarteten und schrecklichen Nachricht. Mein Papa lag mit heftigen Magenbeschwerden im Krankenhaus. Nach einigen Untersuchungen stand die Diagnose fest: Magenkrebs – unheilbar. Der Arzt ging von einer Lebenserwartung von drei Monaten bis drei Jahren aus. In jedem Fall würde Papa bald sterben.
Ein Moment der Stille.
Ich hielt den Atem an. In mir stellte sich eine Art Tunnelblick ein, an dessen Ende ich mir immer wieder bewusst zu machen versuchte, dass mein Papa sterben würde. „STERBEN. Mein Papa stirbt. Was heißt das überhaupt genau? Er ist dann TOT – mein Papa. Einfach weg“, sagte ich mir immer wieder selbst, um es zu realisieren. Meine Mama – meine Eltern lebten schon lange getrennt –, mein kleiner Bruder Kalle und ich saßen zu Hause auf der Couch und sprachen stundenlang kein einziges Wort. In der Nacht wachte ich mit panisch kribbelnden und zitternden Armen und Beinen auf und musste mich am Tag darauf mehrmals übergeben. Mein Körper befand sich in einer Art Schockzustand.
Als ich meinen Papa im Krankenhaus besuchen wollte, musste ich immer wieder in dem Gang vor seinem Zimmer umkehren, weil ich meine Emotionen nicht unter Kontrolle bekam. Ich stand im Gang und heulte Rotz und Wasser. Wie würde ich ihn nur ansehen? Wie sollte ich reagieren und mit ihm sprechen? Wie musste es ihm wohl gehen? Diese Gedanken stachen wie ein Messer in mein Herz. Er musste am Boden zerstört sein. Und was sollte ich nur ohne meinen Papa machen?
Doch als ich sein Zimmer betrat, saß er lächelnd auf dem Bett und schrieb Stichpunkte für sein Testament auf einen Zettel: „Hey, Lottchen! Schön, dass du da bist. Möchtest du mein Motorrad haben? Dann schreibe ich das gleich mit auf.“ Ich schaute ihn überrascht an, und sofort kullerten mir wieder die Tränen aus den Augen. Das muss eine Art Verdrängungsprozess sein, dachte ich. Doch in der Tat nahm er sein Schicksal mit großer Fassung hin und versuchte, es uns und sich selbst so leicht wie möglich zu machen, indem er plante, was in seiner Macht stand. Mein Papa war in dieser Zeit so stark, dass ich ihn dafür nur bewundern kann. Er machte eine Chemo, um den Krebs schrumpfen und die Lebenserwartung steigen zu lassen. Er hat so viel gekämpft, und meine Familie und ich, wir waren immer an seiner Seite. Ich nahm ihn in den Arm, wenn er weinen musste, und ertrug seine verzweifelten Wutanfälle, wenn er mit seiner Kraft völlig am Ende war. Meistens war er aber einfach gefasst und ließ sich seine Angst nicht anmerken. Wir telefonierten fast jeden Tag, und ich versprach ihm, sofort zu ihm zu fahren und für ihn da zu sein, wenn er mich brauchte. Egal wann. Schließlich sind meine Eltern auch immer für mich da gewesen. Ich sah es als meine Aufgabe, etwas davon eines Tages zurückzugeben.
Über mehrere Monate schaffte er es, sich noch um fast alles allein zu kümmern, doch an einem Montagmittag im Februar, während meines Unterrichts in der Schauspielschule, führten wir ein Telefonat, nach dem ich wusste, dass es nun Zeit war, ganz bei ihm zu sein. Er sagte, dass er nicht garantieren könne, dass er am Wochenende, wenn ich zu ihm fahren wollte, noch da sein würde. Ich ließ mich sofort auf unbestimmte Zeit vom Unterricht befreien, fuhr nach Hause und war nun Tag für Tag an seiner Seite.
Sicher hätte das jeder aus unserer Familie gemacht, doch ich war die Einzige, bei der es schnell und unkompliziert möglich war. Mein großer Bruder hatte seine Familie mit zwei Kindern, meine Mama arbeitete Vollzeit im Schichtsystem im Krankenhaus, und mein kleiner Bruder war zu jung, um all das vollständig zu realisieren. Auch ich funktionierte nur, als wäre ich ferngesteuert.
Papa und ich besprachen gemeinsam seine Beisetzung, und er schrieb mir seine Liedwünsche auf. Ich bezog immer wieder das Bett, wenn er sich erbrochen hatte, und drückte beim Arzt literweise Wasserablagerungen aus seinem Bauch, die sich durch den Krebs und die Metastasen gebildet hatten. Ich begleitete ihn zur Palliativstation, wo das Morphium passend eingestellt wurde, und stützte ihn auf dem Weg zur Toilette, wenn er es alleine nicht mehr schaffte. Zuerst bekamen ihn „keine zehn Pferde“ in einen Rollstuhl, doch schon nach kurzer Zeit war er dankbar für das „geniale Ding“, wie er sagte. In der Nacht stützte ich seinen Kopf, wenn er sich übergeben musste, und hielt ihm einen kleinen Schwamm an seinen Mund – eigentlich um diesen auszuwaschen, aber er saugte daran, um ein wenig seinen Durst zu stillen, denn das normale Trinken wurde zu anstrengend. Ich beruhigte ihn, wenn er Angst bekam, und nahm im Schlaf seine Hand, stets darauf vorbereitet, dass diese kalt und starr werden könnte. Einmal saßen wir gemeinsam im Zimmer und weinten, doch an allen anderen Tagen ging ich dafür raus. Ich weinte mich in der Toilette oder an der frischen Luft aus, bis ich wieder genug Kraft hatte, um für Papa stark zu sein.
Das alles mag sehr negativ und anstrengend klingen, doch es gab auch wunderschöne und wertvolle Augenblicke, die all die schrecklichen Momente in ihren Schatten stellten. Die Familie wuchs in dieser Zeit enger zusammen denn je, und wir verbrachten viele intensive Stunden miteinander. Ich war unendlich dankbar für jeden Tag, jede Stunde und jede Minute, die wir noch mit meinem Papa verbringen durften. Es war nicht mehr selbstverständlich, sondern wie ein großes Geschenk, dass er noch da war. Jeden Tag, an dem ich aufwachte, machte ich mich darauf gefasst, dass heute der Tag sein könnte, an dem ich mich verabschieden musste und ihn zum letzten Mal sah, und jedes Mal, wenn das nicht der Fall war, war ich dankbar dafür, dass mein Papa auf dem Bett saß und mich angrinste. Besonders die Momente, in denen wir zusammen lachten, wurden unbezahlbar. Wenn die Schwestern auf der Palliativstation ihn fragten, ob er denn keine Angst habe, lächelte er sie nur gefasst an: „Nein, Angst hab ich nicht. Neugierig bin ich.“
Ich unterschrieb eine Patientenvollmacht, und somit übergab Papa die Verantwortung für das weitere medizinische Vorgehen in meine Hände. Am Ende war er kaum noch ansprechbar. Er schlief mit halb geöffneten Augen und laut röchelndem Atem. Ab und zu schreckte er auf, riss die Augen weit auf und rief nach mir. Ich setzte mich an sein Bett, beruhigte ihn, und schon war er wieder weg.
Zu dieser Zeit übernachtete ich auf einem Klappbett neben ihm in seinem Zimmer auf der Palliativstation, und ich begann mir zu wünschen, dass Papa endlich bald sterben könne. Ein sehr seltsamer Wunsch, den man jemandem, den man liebt wirklich nur wünscht, wenn man sieht, dass er so sehr leidet, dass der Tod inzwischen eine Erlösung für ihn wäre. Er wollte so gerne zu Hause sterben, doch der Arzt beteuerte, dass ein Transport in seinem Zustand leider nicht mehr möglich sei.
Am Morgen des 9. März 2016 saß Papa plötzlich fit, wie Tage zuvor nicht, in seinem Bett und strahlte mich mit einem klaren Blick an: „So, Lottchen, heute gehen wir heim.“ Er zwinkerte mir verschmitzt zu, und ich zwinkerte zurück: „Okay, heute gehen wir heim, Papa.“ Sofort machten die Pfleger, meine Mama, Kalle und ich alles möglich, damit Papa in wenigen Stunden mit mir nach Hause durfte. Es mussten Medikamentenlisten erklärt, ein Pflegebett bestellt und aufgebaut, ein Rollstuhl besorgt, ein Infusionsständer geliehen und ein Krankentransport organisiert werden. Papa bedankte sich freudestrahlend, indem er mich vom Rollstuhl aus umarmte und mir ein dickes Bussi auf die Backe drückte.
In dieser Nacht starb Papa zu Hause, im Beisein all seiner Liebsten, während wir neben ihm auf Matratzen schliefen. Seine Beisetzung im Friedwald auf dem Schwanberg war ein wunderschöner und zugleich sehr trauriger Tag. Sein Baum wurde zu einem besonderen Ruheort für mich, und mir wurde wieder klar, wie wichtig mir die Verbindung zur Natur war und wie wenig ich sie aktuell in meinem Leben wusste. Als wir die Urne in die Erde ließen, schob sich die Sonne zwischen den dichten Wolken hervor und schien auf das Erdloch neben Papas wunderschöner Buche – genau wie Papa es sich gewünscht hatte.
In dieser Zeit, in der ich meinen Papa begleitete, habe ich mich nicht nur viel mit dem Tod und dem Sterben, sondern auch mit dem Leben an sich und seinem Sinn beschäftigt. Mir wurde bewusst, wie wichtig jeder Moment und das Hier und Jetzt ist, denn niemand weiß, was morgen passiert. Alles, was ich wirklich habe, ist der jetzige Augenblick. Und dann ist er schon wieder vorbei, egal, was ich daraus gemacht habe. Als mein Papa diese schwere Diagnose bekam und auf einmal nicht mehr viel Zeit blieb, erinnerte ich mich daran zurück, von welchem großen Traum er sein Leben lang geschwärmt hatte. Schon als Kind saß ich auf seinem Schoß, und er kündigte mir mit leuchtenden Augen an: „Wenn ich in Rente bin, möchte ich mit einem Traktor und einem alten Zirkuswagen einmal ums Mittelmeer fahren. Das wird spitze!“ Mir zerriss es fast das Herz, als ich feststellen musste, dass dies nun für immer ein Traum bleiben wird.
Doch es war zu viel los, als dass ich mich damit weiter beschäftigen konnte. Zuerst kam die Zeit, in der ich mit dem Verlust und der Trauer klarkommen musste. Sobald ich einschlafen wollte, kamen mir die Tränen, und sie waren erst zu stoppen, nachdem ich mich im Wohnzimmer mit meinem Tagebuch hingesetzt und alle Gedanken aus meinem Kopf geschrieben hatte. Daraufhin konnte ich endlich schlafen, aber ich hatte mit den Folgen einer wohl psychischen Belastungsreaktion zu kämpfen. Sie bewirkte, dass ich in der Nacht aus Angst nicht mehr allein vom Schlafzimmer ins Bad laufen konnte. Überall sah ich immer wieder einen toten Mann und schreckliche Bilder, und oft weckte ich meinen Freund Thomas auf, damit er mich in den Flur begleitete. Die Angst schlich sich langsam in mein Leben, bis ich sie nicht mehr unter Kontrolle zu haben schien. Wo ich vorher vor der Dunkelheit Respekt hatte, hatte ich nun panische Angst, die mich versteinern ließ und mir das Leben schwer machte. Ich wusste ja, dass die Bilder, die ich sah, nur Fantasien in meinem Kopf waren. Trotzdem konnte ich kaum noch allein in unserer Wohnung sein. Doch je mehr ich mich mit dem Tod und der Trauer beschäftigte und meine Gedanken und Gefühle zuließ, desto geringer wurde die Angst. Sobald ich mir jedoch nicht bewusst Zeit dafür nahm, suchte sich mein Körper das Ventil selbst, das sich dann offenbar durch diese Angstzustände äußerte. Ich ging damals nicht zum Arzt, weil ich die Angst zuerst nicht als Krankheit wahrnahm und sie dann selbst wieder in den Griff bekommen wollte. Sie kam ja schließlich auch aus mir.
Es passierte so vieles in meinem Leben, wovon ich meinem Papa gerne berichtet hätte. Aber besonders traurig machte es mich, dass mein Papa mir nichts mehr von seinem Leben und seinen Träumen erzählen konnte und dass sein einziger großer Traum, von dem er immer gesprochen hatte, nun niemals in Erfüllung gehen wird.
Mir wurde klar, dass ich ja auch einen solchen Traum im Hinterkopf hatte und mich immer wieder selbst mit „Wenn ich mal, dann …“ vertröstete. Wenn, wenn, wenn … es gibt ja immer ein neues Wenn. Aber wer weiß, ob es mich dann überhaupt noch gibt!
Als der Abschluss der Schauspielschule in Sicht war, beschloss ich, meinen Traum von einem eigenen Esel und einer Wanderung nicht mehr länger warten zu lassen. „Jetzt oder nie“, dachte ich mir. Und mein Abenteuer begann.
Liebe auf den ersten Blick
Im April 2017 bestellte ich mir die ersten Bücher über Esel, Eselhaltung, Eselerziehung und Eseltrekking. Ich hatte ja im Grunde keine Ahnung von diesen wunderbaren Tieren. Wenn ich mir aber einen Esel kaufen und mit ihm wandern gehen wollte, dann hatte ich noch viel zu lernen. Schließlich sollte das Wohlergehen meines Begleiters an erster Stelle stehen. Besonders die Bücher von Judith Schmidt, einer bekannten Autorin und Eselexpertin, boten einen perfekten Überblick über alles Grundlegende und essenziell Wichtige.
Noch war außerdem unklar, ob ich überhaupt eine Möglichkeit finden würde, einen Esel zu halten. Schließlich hatten wir nur eine kleine Wohnung. Also schaltete ich kurzerhand eine Anzeige auf eBay Kleinanzeigen: „Unterstellplatz für zukünftigen Esel gesucht.“
Daraufhin bekam ich bald einige Antworten. Allerdings zunächst nicht von potenziellen Stallanbietern, sondern von anderen Eselhaltern aus ganz Deutschland, die mir Tipps zum erfolgreichen Eselkauf gaben, mich auf wichtige Dinge für die artgerechte Haltung hinwiesen und mich sogar zu sich einluden, um anderen Eseln erst einmal näher zu kommen. Zusätzlich suchten viele Menschen nach einer Pflegebeteiligung für ihren Esel. Leider wohnten diese nicht in der Umgebung, sondern waren in ganz Deutschland verteilt. Ich knüpfte schnell verschiedene Kontakte, und wir tauschten uns online aus, wenn ich Fragen hatte.
Doch nur kurze Zeit später war auch eine Nachricht in meinem Postfach von einem Hofbesitzer am Ostufer des Starnberger Sees, der mir einen Platz für meinen „zukünftigen Esel“ anbot. Ich fuhr vorbei, schaute mir den Hof an und unterhielt mich mit dem Eselhalter Markus, dem die beiden Esel Urmel und Ronja gehörten. Ich war begeistert: Der Hof war ein absoluter Traum. Er hätte auch das Zuhause der Kinder aus Bullerbü sein können. Alles sieht auf eine liebenswürdige Art und Weise zusammengeschustert aus, was ein einmaliges Flair erzeugt. Drum herum breiten sich Felder und Weideflächen aus. Mein Gefühl stimmte sofort, und ich sagte Markus zu. Anschließend drehte sich in meiner Freizeit alles um den perfekten Esel.
Es war gar nicht so einfach, diesen zu finden. Es gab so vieles zu beachten: Rasse, Geschlecht, Größe, Alter, Statur, Hufbeschaffenheit, Impfungen, Equidenpass, Chip, Herkunft, Vorerkrankung, Haltung, Kosten und dann auch noch der Charakter, die bisherige Erziehung und Erfahrung des Tieres. All diese Dinge waren sehr wichtig, wenn ich einen gesunden und fitten Esel zum Wandern haben wollte. Ich lernte eine Familie kennen, die mir anbot, mir ihren Esel zu leihen mit späterer Kaufoption. Die Idee fand ich zuerst interessant und besuchte die Familie kurzerhand bei Berlin. Ihr Esel hieß Oscar, und es war ein wunderhübsches und kräftiges Kerlchen. Leider war er noch recht scheu, jung und unerfahren und somit nicht das, was ich suchte. Die Besitzerin hatte dafür vollstes Verständnis und wies mich auf einen Esel hin, den sie am Morgen im Internet entdeckt hatte. Er stand ganz in der Nähe auf meinem Rückweg nach München auf einer Weide direkt an der Autobahn.
Ich hatte ja nichts zu verlieren, also fuhr ich dort vorbei. Der Stallbursche lockte die Esel mit trockenem Brot zum Zaun der großen Weide. Und da war er: grau, verstrubbelt, neugierig und verfressen. Er sah aus wie das lebende Ebenbild von Shreks grauem Kumpel und reichte mir bis zur Brust – mein Esel. Er schien auch an mir interessiert zu sein, streckte mir seinen Kopf entgegen und spitzte neugierig seine langen Ohren, was wahrscheinlich an dem letzten Stückchen Brot lag, das ich noch in der linken Hand hielt. Wir legten ihm ein Halfter um und liefen ein Stückchen die Weide entlang. Er trottete so brav und aufmerksam neben mir her, ohne mich nur einmal wegzuziehen, zu überholen oder nach Gras zu schnuppern. Er blieb stehen, sobald ich stehen blieb, machte die Ohren lang und schaute mich erwartungsvoll an. Er ließ sich kuscheln und kraulen, und ich checkte seine Hufe. Er genoss die Aufmerksamkeit und hielt ganz still. Ich glaube, dass es zwischen uns gleich von Beginn an eine Verbindung gab, es fühlte sich an wie Liebe auf den ersten Blick. Mein Bauchgefühl stimmte sofort, obwohl der Besitzer mir kaum Auskunft über den Esel geben konnte. Doch das war mir egal, denn ich hatte mich einfach verliebt. Gleich am nächsten Tag vereinbarten wir einen Abholtermin. In seinem Equidenpass stand der Name „Jonny“. „Ach, Jonny heißt du? Ja, das ist ja ein toller Name! Hey, Jonny, magst du mit zu mir kommen?“
Jonny freute sich, in mir jemanden gefunden zu haben, der sich mit ihm beschäftigte, und ich freute mich, dass Jonny sich freute. Jonny ist ein typischer Hausesel mit dem Stockmaß von 1,11 Meter. Er ist also klein und grau mit einem weißen Bauch, einem Mehlmaul, langen Ohren, einer schwarzen Kreuzzeichnung über dem Rücken und einem frechen Grinsen im Gesicht. Mehlmaul nennt man die Esel mit einer weißen „Nase“, die so aussieht, als hätte er gerade heimlich Mehl genascht und wäre dabei ertappt worden. Außerdem hat er auch um die Augen eine weiße Umrandung und einen weißen Halsansatz. Er sieht genau so aus, wie jedes Kind einen Esel malen würde. Zudem ist er ein absolut gutmütiger und geduldiger kleiner Kerl, der mein Temperament und meine Hektik im Alltag durch sein bloßes Dasein ausgleicht.
Vorbereitung ins Ungewisse
Die Monate vergingen wie im Flug, und ich konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass ich jetzt meinen eigenen Esel hatte und Jonny ein Leben lang zu mir gehören würde. Es tat so gut, raus auf den Hof zu fahren und mit Jonny über die Feldwege und durch den Wald zu wandern – manchmal auch gemeinsam mit den anderen Eseln. Tag für Tag lernten Jonny und ich uns besser kennen, und er half mir, neben dem stressigen Alltag draußen in der Natur zur Ruhe zu kommen.
Vor allem im Frühjahr, als die Tage länger und die Luft wärmer wurden, entpuppte sich Jonnys Zuhause als absolutes Paradies. Der Hof liegt auf einem Hügel, von dem die Esel einen unbezahlbaren Blick auf den See genießen dürfen. Zudem leben hier etwa vierzig Pferde, Schafe, Hunde, Hühner, Katzen und wunderbare Menschen.
Im Frühjahr kamen weitere fünf Esel und Corona zu unserer Eselgemeinschaft dazu. Sie waren eine echte Bereicherung. Corona lebt in der Nähe, und als ich sie kennenlernte, war ich der festen Überzeugung, dass sie kaum älter als ich sei, so jung wirkt die kleine, blonde, herzige und fürsorgliche Frau mit trockenem Humor und einem großen Herzen. Wir unternahmen alle gemeinsam viele Eselwanderungen und wurden mit der Zeit richtig gute Freunde. Im Frühjahr haben wir sogar einen Kurs bei Judith Schmidt, der Autorin und Eseltrainerin, belegt, durch die ich Jonnys Grenzen, Ängste, Neugier, seinen Willen, etwas zu lernen, und seine Liebe und sein Vertrauen zu mir ein ganzes Stück besser begreifen lernte.
Markus, den man schon von Weitem an seiner schlaksigen und langbeinigen Figur und seinem frechen Lächeln erkennt und der sich durch seinen trockenen Humor auszeichnet, entwarf einen Packsattel für Jonny und die anderen Esel, um selbst Eselwanderungen anzubieten. Jonny und ich durften den Sattel auf unserer Reise ausprobieren und gleichzeitig auf Mängel und Verbesserungsvorschläge testen. Zuallererst wollte ich Jonny aber Schritt für Schritt daran gewöhnen, Gepäck zu tragen. Am Anfang bekam er eine Decke aufgelegt, dann wurde es eine Decke mit Taschen, in die ich meine Jacke und eine Flasche Wasser steckte. Nach und nach füllte ich die Taschen mit etwas mehr Gewicht, bis der Packsattel fertig war und ich ihn Jonny zuerst leer und dann mit gefüllten Packtaschen aufsetzte. Jonny nahm all das sehr gelassen hin, und es schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Eifrig lief er neben mir her, wenn auch in einem recht langsamen Tempo, an das ich mich erst noch gewöhnen musste. Ich erkundigte mich natürlich danach, wie viel Gewicht Esel ohne Probleme tragen können. Es sind 20 Prozent des eigenen Körpergewichts. Also beschloss ich, auf der Wanderung ebenfalls 20 Prozent meines Körpergewichts zu tragen. Das schien mir eine faire Lösung zu sein. Schließlich wollte ich Jonny als meinen gleichwertigen Wanderbegleiter dabeihaben – und nicht als Träger meines Geraffels.
Es gab aber noch eine ganze Menge mehr zu beachten und vorzubereiten. Ich brauchte zum Beispiel einen Wanderreitzaun für Jonny, an den er sich zuvor allerdings noch gewöhnen musste, denn als ich ihn das erste Mal aufbaute, schlüpfte Jonny einfach frech darunter hindurch. Es mussten Hufschuhe zum Schutz angefertigt werden, und neben dem Packsattel brauchte ich ein passendes Sattelpad, Packtaschen, eine Regendecke, einen Heusack, eine Gesundheitsbescheinigung vom Veterinäramt und Notfallsalbe und Desinfektionsmittel. Außerdem musste ich das ganze Zeug zum Wandern und Zelten für mich selbst besorgen, denn ich hatte so etwas ja zuvor noch nie gemacht.
Als Jonny nach etwa acht Monaten fit genug war, kündigte ich meinen Job, um endlich loszuziehen. Ich hatte genug Geld gespart, um meine Fixkosten zu Hause für drei Monate zu decken, und hatte somit die Freiheit, bis Anfang Oktober 2018 unterwegs zu sein. Wie lange wir aber tatsächlich wandern gehen würden, war noch völlig unklar. Bisher hatten wir nur Tagestouren unternommen, und ich musste erst beobachten, wie Jonny den ständigen Ortswechsel und die Umstellung auf das Nomadenleben vertragen würde. Mal abgesehen davon, dass auch ich zum ersten Mal wandern war. Mein Onkel Manni unterstützte mich, indem er versprach, uns mit dem Pferdeanhänger abzuholen, wann immer wir es bräuchten, und egal, wo wir uns dann aufhielten. Sicherheitshalber nahm er sich aber gleich Ende September ein paar Tage Urlaub, falls wir tatsächlich so lange unterwegs sein würden, um uns dann, von wo auch immer, abzuholen. Dieses überaus großzügige Angebot vom wohl besten Onkel der Welt bewirkte, dass ich mich schon eine ganze Ecke sicherer fühlte.
Über die Wanderroute an sich habe ich mich vorher nicht besonders gründlich informiert. Ich wusste auch gar nicht, wo ich überhaupt anfangen sollte. Vorsichtshalber habe ich aber immerhin „Mit dem Esel über die Alpen“ gegoogelt und so Hans kennengelernt, der mit seinem Esel Boromir vor ein paar Jahren zweimal die Alpen überquert hatte. Wir telefonierten, und er empfahl mir, mich an die alte römische Handelsstraße „Via Claudia Augusta“ zu halten. Diese wird auch als einfachste Alpenüberquerung bezeichnet. Etappen- oder Wegpläne machte ich mir aber im Voraus nicht. Ich wollte ja schließlich lernen, nur im Hier und Jetzt zu sein und mich von keinem Plan stressen lassen, denn im Alltag vergaß ich immer wieder, was ich eigentlich schon durch Papas Krankheit gelernt hatte: den Moment zu genießen. Zudem hatte ich weiterhin mit diesen irrationalen Ängsten zu kämpfen, die mir besonders die Abende und Nächte erschwerten. Manchmal waren sie ganz stark präsent und dann wieder für kurze Zeit fast verschwunden. Ich wusste, dass es nur „Spinnereien“ in meinem Kopf waren, aber sie belasteten und behinderten mich in meiner Freiheit, und ich wollte dagegen vorgehen. Natürlich hatte ich auch über einen Psychologen oder Therapeuten nachgedacht. Mein Bauchgefühl sagte mir aber, dass ich das allein wieder in den Griff bekommen könnte – und wie sollte das wohl besser gehen, als mich meiner Angst zu stellen? Wenn ich auf meiner Reise alleine im Wald übernachte, habe ich danach in unserer Wohnung sicher keine Angst mehr. Also nahm ich all meinen Mut und meine Willenskraft zusammen und steuerte Schritt für Schritt auf das Abenteuer zu.
Ich hatte keine Ahnung, ob mir das Nomadenleben mit Jonny taugen würde, doch ich wollte es unbedingt herausfinden. Nach dem Abitur hatte ich eine achtmonatige Backpacking-Reise durch Südostasien, Australien und Neuseeland unternommen und dort bereits die Erfahrung gemacht, für eine längere Zeit allein unterwegs zu sein und aus der eigenen Komfortzone herauszukommen. Die Hürden für diese Reise lagen also eher beim Wandern, bei Langsamkeit statt Hektik, bei meiner Angst im Dunkeln und bei meiner Flexibilität Jonny gegenüber. Ich könnte nie im Voraus sagen, wie schnell er läuft, ob er heute gut oder schlecht geschlafen hat und wann er keine Lust mehr hat weiterzuziehen. Ein Plan war also nicht möglich. Ebenfalls eine ganz neue Erfahrung für mich.
Mit der Unterstützung von Thomas, meiner Familie und meinen Freunden rückte die Reise näher. Am 9. Juli 2018 sollte es losgehen. Die Wochen vor unserem Aufbruch waren turbulent, chaotisch, anstrengend und voller Vorfreude und Aufregung. Wir würden direkt vom Stall im Münchner Süden aus loswandern, und mir kam der Gedanke, dass damit wenigstens die Entfernung nicht gleich allzu groß sein würde, falls wir etwas vergessen haben sollten. Weil Jonny ein Esel mit sehr gechilltem Gang ist, ging ich von etwa zehn Kilometern pro Tag aus. In dem Tempo könnten wir es aber tatsächlich in zwei bis drei Monaten bis ans Meer schaffen, was mein heimlicher Traum war. Ich wollte das nur noch niemandem erzählen, um mir, falls wir keinen Spaß dabei haben würden, im Nachhinein keine doofen Kommentare anhören zu müssen. Außerdem sollte ja der Weg das Ziel sein, und ich wollte mich selbst nicht unter Druck setzen.
Kurz vor der Abreise fragte Corona mich: „Sag mal, Lotta, hast du denn gar keine Angst?“
Ich überlegte kurz. „Nee … also doch, aber die Neugier überwiegt.“
Für ihre Antwort bin ich ihr noch heute sehr dankbar: „Indem du den Plan fasst und dann tatsächlich losläufst, hast du es schon geschafft.“
Lotta Lubkoll träumte schon als Kind davon, einmal mit einem Esel auf Reisen zu gehen. Als ihr Vater viel zu jung stirbt, wird ihr klar, dass das Leben nicht wartet. So wandert die 25-Jährige nach ausgiebigem Training mit ihrem Weggefährten Jonny Richtung Süden. 80 Tage, 600 Kilometer durch die Alpen und viele Abenteuer später erreichen die zwei die Adriaküste. Unterwegs werden sie ein eingeschworenes Team. Jonny gibt den Rhythmus vor, und die temperamentvolle Lotta lernt von ihm Gelassenheit und die Vorteile der Entschleunigung: Erst bei drei km/h sieht man nämlich die wahren Schätze am Wegesrand! Bettina Feldweg, Malik Programmleitung
REISEN BEDEUTET FÜR MICH …
… innerlich ein Stück zu wachsen, mutig zu sein und die Welt aus einem neuen Blickwinkel zu sehen.
MEIN SCHÖNSTER MOMENT AUF REISEN WAR …
… als ich mich mit meiner besten Freundin für ein paar Tage auf einer Insel eines australischen Nationalparks aussetzen ließ. Wir hatten mit einer Campingwiese gerechnet, doch wir beide waren die einzigen Menschen dort. Ein Strand, Felsen, der Wald, Palmen und das Meer mit Korallen. Wir hatten keinen Handyakku mehr, und es gab Austern über dem Feuer am Strand. Ein wahres Robinson-Crusoe-Abenteuer!
DARAUF FREUE ICH MICH NOCH …
… einmal als Omi auf einen Baum zu klettern, auf dem ich als Kind schon saß, und mit den Erinnerungen an all meine unbezahlbaren Reisen und Abenteuer im Leben frech herunterzugrinsen.
UNTERWEGS HABE ICH GELERNT …
… dass ich viel weniger Kontrolle habe, als ich glaube, und dass ich mit Vertrauen, Offenheit und einer gesunden Portion Naivität („Wieso eigentlich nicht?“) viel weiter kommen kann als mit einem perfekt ausgearbeiteten Reiseplan.
„Wahnsinnig schöne und sehr inspirierende Geschichte.“
„Man spürt die wiedergewonnene Lebensfreude.“
„Lottas Buch ist ein hervorragender Motivationskick, Träume nicht auf die lange Bank zu schieben.“
„Dies ist eine sinnlich gestaltete und rührende Geschichte einer Erfüllung eines Traumes und einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst.“
„Ein nachahmenswertes Beispiel zur Entschleunigung“
„Ein spannender und amüsanter Reisebericht“
„Zauberhaft!“
„Liebevoll und lebendig erzählt Lotta Lubkoll von ihrer Reise und beweist damit, dass wir viel öfter unseren Träumen folgen sollten.“
„Was sie unterwegs erlebt hat, erzählt sie eindrucksvoll in ihrem Buch.“
Super geschrieben, tolle Bilder und viele liebevolle Details. Für alle tierlieben Leute einfach schön. Beim lesen ein Kurzurlaub für die Seele
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