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Warum Europa eine Republik werden muss

Warum Europa eine Republik werden muss

Ulrike Guérot
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Eine politische Utopie

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Warum Europa eine Republik werden muss — Inhalt

Ulrike Guérot, Gründerin des European Democracy Lab in Berlin, fordert uns auf, Europa neu zu denken. Die Brüsseler Institutionen in Form von Rat, Kommission und Parlament und die Nationalstaaten torpedieren die europäische Idee. Stattdessen sollten Europas Bürger eine gemeinsame politische Vertretung wählen dürfen, die ihnen, unabhängig von ihrer Staatenzugehörigkeit, die gleichen politischen Rechte zugesteht. Damit das Europa von morgen zur Avantgarde auf dem Weg zur Weltbürgerunion wird. Guérots politische Utopie „leistet einen originellen, klugen und radikalen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion“. (Süddeutsche Zeitung)

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 02.11.2017
368 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31192-2
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Leseprobe zu „Warum Europa eine Republik werden muss“

Danksagung      

Es gibt fünfPersonen, ohne die dieses Buch nie zustande gekommen wäre. Sie allein wissen warum. Ihnen gilt mein größter Dank! Es sind: Julien Deroin, Elmar Koenen, Victoria Kupsch, Robert Menasse und Valeska Peschke. Daneben gibt es viele andere,die mich direkt oder indirekt, aus der Distanz oder der Nähe, wissentlich oder unwissentlich, immer wieder inspiriert oder ermutigt haben; die mir Zu- oder Widerspruch gegeben haben; die diese Utopie für absurd oder träumerisch oder wünschenswert gehalten haben; die mich mit Ideen, Anregungen und [...]

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Danksagung      

Es gibt fünfPersonen, ohne die dieses Buch nie zustande gekommen wäre. Sie allein wissen warum. Ihnen gilt mein größter Dank! Es sind: Julien Deroin, Elmar Koenen, Victoria Kupsch, Robert Menasse und Valeska Peschke. Daneben gibt es viele andere,die mich direkt oder indirekt, aus der Distanz oder der Nähe, wissentlich oder unwissentlich, immer wieder inspiriert oder ermutigt haben; die mir Zu- oder Widerspruch gegeben haben; die diese Utopie für absurd oder träumerisch oder wünschenswert gehalten haben; die mich mit Ideen, Anregungen und Kommentaren bedacht und mit mir gestritten haben; oder die mich sonst bei dem Prozess dieses Buches oder allgemein begleitet haben. Das Ergebnis habe ich indes ganz alleine zu verantworten – niemand davon steht in „intellektueller Geiselhaft“, die hier vorgelegten Ideen und Meinungen zu teilen. Dies sind: Gerd Ahrens, Jan Philipp Albrecht, Federico Arcelli, Christoph Balzar, Annegret Bendiek, Michaela Bicha, Andreas Botsch, Dr. Günther Bräunig, Léa Briand, Daphne Büllesbach und das ganze Team von European Alternatives, Miriam Bulbarelli, Bernard Barthalay, Tom de Belfore und das Team der Moment Mal-Inter­net­seiten, Armin von Bogdandy, Hauke Brunkhorst, Piotr Buras, Franziska Brantner, François-Roger Cazala, Stefan Collignon, Joao da Costa, Dario Dell’ Anna, Fabian Dell, Alexandru Diaconu und das ganze Team von Citizens United for Europe: One Europe – One Government – One Democracy, Jacques Delors, Sebastian Dullien, Guillaume Duval, das gesamte Team des European Council on Foreign Relations, das gesamte Team der European School of Governance, Christoph Engemann, Silvia Francescon, Anna Frenyo, Holm Friebe, die vielen Autoren der Fried­rich-Ebert-Stiftung und des IPG-Journals, Edouard Gaudot, Sven Giegold, Gordon Gniewosz, Hans-Georg Golz, Cherian Grundmann, Detlev Guertler, Jürgen Habermas, Hans, Helga & Klaus Hammelstein, Rainer Hank, Rebecca Harms, Chris Heintgerris, „Herr & Speer“, Ulrike Herrmann, Gunther Hofmann, Thomas Hölzl, Miriam Hollstein, Richard Hornik, Cathé­rine Hug, Bernd Hüttemann, Mascha Jacobs, Ole Jantschek, alle meine Jivamukti-Yoga­­lehrer aus Berlin & abroad, Tim Kappelt, Michaela Kauer, Karujali & Adriana, Ska Keller, Katja Kipping, Louis Klein, Thomas Klingen­stein, Brigitte Kramp, Tomasz Krawcyk, François Lafond, Karl Lamers, Tod Lindberg, Ulrike Leis, Linnea Riensberg, Marina, Ulrike Lunacek, Peter Matĵašic und das ganze Team von Open Society Ini­tiative for Europe, Felix Mengel, Markus Miessen, Mark Moebius, Almut Möller, Christian Moos, Jan-Werner Müller, Christian Müller-Hogrefe, Sascha Müller-Krenner, Jürgen Neyer, Karsten Nowrot, Claus Offe, Marc Ottiker, Michalis Pantelouris, H.W. Pausch, Quentin Peel, Robert Pfaller, Petra Pinzler, Eva Pfisterer, Dieter Plehwe, Zoltán Pogátsa, Manuel Rojas Oyarzo, Sven Saekert, Manuel Sarrazin, Sabine Sasse, Derek Scally, Nicolaus Schafhausen, Johanna Schelle, Claire Schillinger, Harald Schumann und die Nachdenkseiten, Alexandra von Schumann-Heldt, Mayte Schomburg, Barbara Schreiber, Gesine Schwan, Louisa Maria Schweizer, Linn Selle, Hanune Shalati, die Autoren von Social Europe, Michal Sutowski, Annika von Taube, Hermann-Josef Tenhagen, Milo Tesselaar, Simon Theurl, Jean-Claude Tribolet, Ahmet Ulusal, Tom Waszmann, Alexander Wragge, Shahin Vallée, Ruth Vornefeld, Benjamin Zeeb.   Und schließlich gibt es dieVielen. Gemeint sind damit all jene, denen ich bei den unzähligen Diskussionen über Europa – live oder in TV- und Rundfunk­sendungen – in den letzten Jahren begegnet bin. Es waren letztlich diese Diskussionen mit den Vielen, die mir deutlich gemacht haben, dass die Menschen in Deutschland und darüber hinaus ein ganz anderes Europa wünschen als das, was wir zurzeit haben, und dass es einen Grund gibt, dieses Buch zu schreiben.

 

Vorwort       Es ist schön, ein Vorwort zu einer Taschenbuchausgabe schreiben zu dürfen, denn es bedeutet ja immer, dass ein Buch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Und das freut mich natürlich, denn das heißt: noch mehr Chancen darauf, dass die Europäische Republik am 9. Mai 2045 wirklich das Licht der Welt erblickt! Und wenn es Usus wäre, in einem Vorwort einen Smiley zu drucken, dann müsste man hier einen setzen. Als dieses Buch letztes Jahr auf den Markt kam, als eine poli­tische Utopie, wie und wohin die EU weiterentwickelt werden müsste, da wurde ich vom po­litischen Raum zunächst verlacht. „Sie Träumerin“ und „Utopistin“ schallte es mir entgegen. Europa brauche pragmatische Lösungen. Immer soll alles nur pragmatisch sein, wobei selten klar ist, was „pragmatisch“ eigentlich bedeutet – außer „schnell“ und „irgendwas“. Mit einer gewissen Hartnäckigkeit habe ich immer wieder argumentiert, dass die EU auf Dauer keines ihrer Probleme pragmatisch wird lösen können, wenn ihr politischer Maschinenraum nicht funktioniert: „Ohne Verfassung ist alles nichts“, sagte der amerikanische Ver­fassungsvater Madison und mit meiner Forderung nach einer europäischen Verfassung schließe ich mich dem an. Und dann habe ich mich immer mit jenem geflügelten Wort von Mahatma Ghandi getröstet: „First, they will laugh at you, then they will ignore you, then they will fight you. But then you will win.“ Und die Taschenbuchausgabe ist ei­gentlich der beste Beweis dafür, dass die Idee von Europa als Republik heute immerhin jenseits von „laugh“ und jenseits von „ignore“ ist. Der Erfolg dieses Buches, das ich eigentlich als mein persön­liches Wutbuch über den Zustand der EU und den Verrat an der europäischen Idee geschrieben hatte, zeigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger, Studierende, Europa-Engagierte und alle, die ich fast Tag für Tag auf Diskussionsveranstaltungen treffe, sich ein ganz anderes Europa wünschen als die EU, die wir haben. Auch wenn der politische Raum die in diesem Buch verteidigten Ideen mied wie der Teufel das Weihwasser, fand ich mich im letzten Jahr auf Theaterbühnen und in Kunsträumen, bei Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen und Jugendgruppen wieder, wo europäische Bürgerinnen und Bürger sehr viel an­fangen konnten mit meiner Idee einer Europäischen Republik, in der nicht der EU-Rat entscheidet, sondern die Bürgerinnen und Bürger das selbst tun. Im Schauspiel­haus Wien wurde die Republik sogar auf die Bühne gebracht, die Konzeptkünstlerin Valeska Peschke hat den Vulkan „Amikejo – Europa umstülpen“, das Cover der Originalausgabe, als 10 x 5 Meter große, aufblasbare Kunstinstallation aus Hart­gummi nachgebaut. Der europäische Vulkan als Sinnbild der Euro­päischen Republik reist dieser Tage quer durch Europa, von Wien nach Edinburgh, Stuttgart oder Barcelona. Nachdem ich also in zahlreichen Uni-Veran­stal­tun­gen, Events, Panels und quer durch die Republik mit Studierenden über die Europäische Republik diskutiert hatte, wurde auch der hochoffizielle politische Raum wieder wach – und fängt langsam auch an, über die Idee einer Europäischen Republik nachzudenken. Ein paar kleinere Parteien haben den Begriff in ihre Parteiprogramme aufgenommen. Damit ist die Idee jenseits von Utopie im realpolitischen Raum angekommen. Wenn nun der Wunsch nach einem anderen Europa so groß ist und tatsäch­lich auch von vielen in der ganz realen Welt unterstützt wird, dann sollten wir uns jetzt wirklich auf den Weg machen, dieses andere Europa zu bauen: eben eine Europäische Republik, deren zentrale Idee bierdeckeltauglich ist: ein Markt – eine Währung – eine Demokratie, in der die europäischen Bürgerinnen und Bürger jenseits von Nationen gleich sind vor dem Recht und sich mithin in eine Staatsbürgergemeinschaft begeben. Schon 1963 schrieb der konservative Historiker Theodor Schieder: „Nation ist Staatsbürgergemeinschaft, nicht in erster Linie Sprach- oder Nationalcharakter.“ Sich diese Definition für Euro­pa zunutze zu machen, ist das zentrale Plädoyer dieses Buches. Und um diese Utopie einmal ganz „pragmatisch“ auszubuchstabieren, hieße das, dass nach dem einen Euro und der einen IBAN-Nummer als Nächstes die eine europäische Steuernummer, die eine Sozialversicherungsnummer und schließlich die eine ID-Nummer für alle europäischen Bürgerinnen und Bürger folgen müsste. Das alles wären ganz „pragmatische Schritte“, die man als europäische Ziele über einen Zeitraum von fünf, zehn oder auch fünfzehn Jahren realisieren könnte. Denn ganz genau so wurde damals der Euro auch gemacht: aus der ersten Idee einer europäischen Währung im Jahr 1970 wurde im ersten Schritt ein Vertrag (der Maastrichter Vertrag von 1992) und schließlich über verschiedene Schritte – die Errichtung des European Monetary Institutes 1994, die Festlegung der Wechselkurse 1999 und schließlich die Euro-Einführung 2002 – eine gemeinsame Währung. Eine Währung aber ist schon ein Gesellschaftsvertrag, und darum muss der Euro als „verwaiste Währung“ jetzt dringend eingebettet werden in eine europäische Demokratie. In dieser Hinsicht ist der oft verunglimpfte Begriff der Utopie eigentlich nichts anderes als ein Fluchtpunkt, ein gesellschaftliches Ziel, und mithin der Impuls, sich auf den Weg zu machen – selbst wenn man nicht sofort in der Europäischen Republik ankommt. Wenn wir uns indessen nicht auf den Weg machen, auf den Weg zu einem anderen, demokratischen und sozialen Europa, dann stehen die Chancen eher nicht so gut, dass diese EU noch lange von Dauer sein wird. Die Bücher zur „Europadämmerung“ sind längst geschrieben. In diesem Vorwort möchte ich auf den wunderschönen, wenn auch traurigen, gleichnamigen Essay meines Kollegen und Freundes Ivan Krastev verweisen, der wie viele der Überzeugung ist, dass die EU, so wie sie derzeit verfasst ist, keine großen Überlebenschancen mehr hat, sondern von einem po­li­tischen Zersetzungsprozess befallen ist, dessen Vorboten wir tagtäglich in der Presse verhandeln: Brexit und die Folgen, Europäer, die in Großbritannien schon heute, im Jahr 2017, wieder (sic!) aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert werden, ein bri­tisches Pfund, das inzwischen 18% an Wert verloren hat, und immer mehr Briten, die sich aufgrund ihrer Entscheidung wie auf einer Insel gefangen fühlen; Deutsche, die in der Türkei verhaftet werden; Universitäten, die in Ungarn von Schließung bedroht sind; eine Justizreform in Polen, die die Rechtsstaatlichkeit aushebelt; EU-Länder, die sich nicht an EuGH-Ur­tei­le halten usw.: Wir erleben de facto keine Renationalisierung, sondern längst eine poli­tische Spaltung der europäischen Gesellschaften, weil der »poli­tische Betrug« der EU-Institutionen, der inzwischen mit Blick auf ihre Legitimität nicht mehr zu leugnen ist, durchschaut wurde. Das bringt auf der einen, der sogenannten populistischen Seite, die fundamentale Ablehnung der EU hervor, die wir derzeit erleben; auf der andern das zunehmende zivilgesellschaftliche Bemühen, Europa endlich richtig zu machen, sprich: den Markt und die Währung um die eine europäische Demokratie zu komplementieren. Denn die Liste der Dinge, die auf eine fundamentale Erosion dessen verweisen, was die EU einmal war, nämlich allem voran eine Rechtsunion, ist leider lang, und sie wird noch länger, wenn das Ruder nicht herumgeworfen wird. Nur die deutsche Öffentlichkeit ist von diesen europäischen Zersetzungserscheinun­gen bisher noch weitgehend verschont worden, weswegen hier die politische Dring­lichkeit zur institutionellen Generalüberholung der EU noch verkannt wird. Anders formuliert: Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse schreibt, dass derzeit nur noch „das Erleiden der Krise gemanagt wird“. Das aber ist kein Ausweg aus der europäischen Krise! Eigentlich sind die selbst ernannten Europa-Pragmatiker in der politischen Pflicht, zu begründen, was sie denn eigentlich außer Alternativlosigkeit und „weiter so“ der zunehmenden Desinte­gration Europas entgegensetzen wollen. Denn niemand möchte wohl ernsthaft behaupten, dass all diese Zersetzungserscheinungen eines schönen Morgens einfach verschwunden sein werden. So ist das Buch, abgesehen von kleineren Veränderungen der politischen Si­tuation, in seiner vorliegenden Fassung immer noch brandaktuell, sowohl in der Analyse der eigentlichen institutionellen Mängel der EU als auch mit Blick auf das Angebot, Europa grundlegend von der Souveränität der Bürgerin­nen und Bürger her neu zu denken. Nichts anderes meint der Begriff der „Republik“. Im Gegenteil, die politische Entwicklung in Europa, in der EU, ist im vergangen Jahr eher noch problematischer geworden, sodass das grundsätzliche Nachdenken darüber, wie wir hier auf dem europäischen Kontinent eine Demokratie jenseits von Natio­nalstaaten neu begründen können, umso dringlicher geworden ist. Eine Neubegründung Europas wird inzwischen von vielen gefordert, z.B. vom deutschen Philosophen Julian Nida-Rümelin, um nur einen zu nennen. Alle Vorschläge in diesem Kontext gehen weit darüber hinaus, was die EU-Kommission derzeit als „Fünf Szenarien für die Zukunft Europas“ für einen offiziellen Dis­kurs über die EU anbietet, denen es indes an klaren und konkreten Ambitionen mangelt und die vor allem die Kernfrage der EU nicht beantworten: Wer entscheidet in Europa? Die Antwort kann letzt­lich nur sein: nicht der EU-Rat, sondern die europäischen Bürgerinnen und Bürger als Souverän in einem neu gedachten, parlamentarischen System der europäischen Gewaltenteilung. Die Zeit ist reif – in Europa muss sich etwas bewegen. Dieses Buch wird im Herbst 2017 zur Buchmesse in Frankfurt erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt wird es eine neue Bundesregierung geben, und schon jetzt ist der europäische Blick darauf gerichtet, was diese Bundesregierung europapolitisch tun wird. Denn das Signal für ein anderes Europa wird von Berlin ausgehen müssen, dem größten und wichtigsten Land in der EU. Im Westen steht Emmanuel Macron mit weitgehenden europäischen Plänen be­reit: „Europa 2030“, Parlamentarisierung der Eurozone, Neubegründung der Legitimität Europas, Euro-Finanz­mi­nister und Eurozonen-Budget oder sogar eine europäische Arbeitslosenversicherung, für die es auch schon Pläne in Brüsseler Schubladen gibt. Die Franzosen haben klare Pläne vorgelegt, wie die Demokratisierung Europas vorangetrieben werden könnte. Auf Deutschland und Frankreich wird es wie immer in der europäischen Geschichte ankommen. Maßgeblich Frankreich und Deutschland haben 1957 in einem ersten europäischen Moment in den Römischen Verträgen den ge­meinsamen Markt begründet. Frankeich und Deutschland waren es auch, die 1992 in einem weiteren europäischen Moment die gemeinsame europäische Wäh­rung begründet haben. Was fehlt, ist der deutsch-fran­zö­sische Moment, in dem die europäische Demokratie begründet und auf den Weg gebracht wird. Dieser Moment ist jetzt. Ob Frankreich und Deutschland sich spalten, ob Frankreich in die Latinität, einen „Mittelmeerraum“, abgleitet, und Deutschland sich gen Osten orientiert, sich mit Russland und China arrangiert, ob zukünftig ein mediterran geprägtes „Latin Empire“ gegen eine mitteleuropäische Landmasse steht, ob Europa in Süden und Norden und in Westen und Osten zerfällt: Diese großen geostra­tegischen Fragen, die das Nachdenken über Europa immer schon konturiert haben – und ganz besonders in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg –, die­se Fragen sind heute wieder hochaktuell. Sie müssen für das 21.Jahrhundert auf neuer politischer Grundlage und unter anderen politischen Voraussetzun­gen, in denen – Stichwort: Donald Trump – der alte „Westen“ sehenden Auges zerfällt, neu entschieden werden. Kurz, der Zusammenhalt des europäischen Kontinents steht erneut auf dem Spiel! All die oben erwähnten Schritte auf dem Weg in eine europä­ische Demokra­tie sind mithin nicht nur dringlich, sondern überfällig und im Übrigen schon längst Gegenstand zahlreicher offizieller Dokumente, die auf dem Tisch liegen, z.B. „Der Bericht der fünf Präsidenten der EU“ über eine Genuine Economic and Monetary Union von 2012. Es sind letztlich alles Schritte hin zu einer euro­päischen Demokratie, Schritte auf dem Weg in eine Europä­ische Republik. Sie bedürfen indes des deutschen Handschlags. Man kann nur hoffen, dass er jetzt schnell kommen wird, bevor es ungemütlich wird in Europa. Im europä­ischen Osten trifft man inzwischen viele verunsicherte Europäer, die Angst davor haben, dass das europäische Erbe von 1989, die Einheit des Kontinents nach dem „Eisernen Vorhang“ verraten und aufgegeben wird. Und auch hier sind die Augen maßgeblich auf Deutschland gerichtet. Nach dem Handschlag mit Frankreich muss auch das Wei­marer Dreieck, die Beziehung zu Polen wieder auf andere Füße gestellt werden. Um dieses Dreieck herum als Rückgrat kann ein starkes, ein geeintes Europa im 21. Jahrhundert begründet werden. Und dieses Rückgrat wird mehr denn je gebraucht. Dazu müsste Deutschland jenseits von quasi hegemonialen Rollen im EU-Sys­tem und der Euro-Governance zurückfinden zu dem, was einmal seine europapolitischen Paradigmen waren: Teil des deutsch-französischen Tandems, Anwalt der klei­nen Länder und Verteidiger der europäischen Institutionen, allen voran des Europäischen Parlaments. Davon hat sich die deutsche Europapolitik in den vergangenen Jahren indes meilenweit entfernt. Im Frühjahr 2019 wird der Brexit zweifelsohne eine Erschütterung des europäischen Kontinents bedeuten. Europa wird zum ersten Mal sprichwörtlich amputiert. Welche Auswirkungen das für die Europawahlen 2019 haben wird, wissen wir noch nicht. Die britischen Abgeordneten sollen über transnationale Listen auf Europa verteilt werden. Das ist traurig, könnte aber auch das Ein­fallstor für eine Neubegründung der europäischen Demokratie werden auf der Grundlage eines neudefinierten European citizen­ship, einer Unionsbürger­schaft, die denjenigen Briten angeboten wird, die das wünschen. Das Europä­ische Parlament bereitet diese Entwicklung gerade mit Siebenmeilenstiefeln vor. Immer mehr zeichnet sich in vielen Fragen ab, dass das, was das Europä­ische Parlament für seine Bürgerinnen und Bürger will und entscheidet, nicht mehr kongruent mit dem ist, was die europäischen Nationalstaaten im EU-Rat entscheiden. In einer Demokratie aber entscheidet immer noch das Parlament, und darum muss dieser europäischen Entwicklung Nachdruck verliehen wer­den: der EU-Rat muss weg, er steht einer europäischen Demokratie entgegen! Genau dafür habe ich dieses Buch geschrieben: um in bewegten europä­ischen Zeiten das Nachdenken darüber anzuregen, wie das europäische Projekt im 21. Jahrhundert weiterentwickelt und vollendet werden soll. Um einen be­wussten Kontrapunkt zur gegenwärtigen „Renationalisierung“ in Europa zu setzen. Um ein Diskussionsangebot zu unterbreiten, wie Europa von Grund auf neu gedacht werden kann. Und nicht zuletzt, um wieder Lust zu machen auf Europa, das immer noch das schönste realpolitische Projekt der jüngeren Welt­geschichte ist: die Begründung einer politischen Einheit jenseits von Na­tio­nal­staaten und damit ein gemeinsames europäisches Abenteuer, ein Schritt auf dem Weg in eine immer lebendigere, kooperative Weltbürgergesellschaft!  

Berlin im September 2017
Ulrike Guérot

Über Ulrike Guérot

Biografie

Ulrike Guérot, geb. 1964, Politikwissenschaftlerin, Gründerin und Direktorin des European Democracy Labs an der European School of Governance, eusg, in Berlin und seit Frühjahr 2016 Professorin und Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität...

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