Warum wir laufen - eBook-Ausgabe
„Sein Comeback-Versuch mit Mitte vierzig ist amüsant und motivierend.“ - Was ist los? (OÖ Nachrichten)
Warum wir laufen — Inhalt
Laufen ist der populärste Sport der Welt: Es wird gelaufen, seit Ärzte, Wissenschaftler und die Industrie das Laufen als Allheilmittel für Gesundheit und seelische Ausgeglichenheit preisen. Ronald Reng, als Jugendlicher enthusiastischer Mittelstreckenläufer, macht sich auf die Suche nach seinem eigenen, verlorenen Laufgefühl und der Antwort auf die eine Frage: Warum laufen wir? Er beschäftigt sich dabei mit Fersenentzündungen, Pulsuhren oder Runner´s High ebenso wie mit der eigenen Form. Und trifft dabei auf die verschiedensten Läufer: Gefangene, die unter Anleitung von Olympiasieger Dieter Baumann beim Laufen einmal die Woche innerlich frei sind. Oder eine Frau, die angefeindet wurde, als sie vor fünfzig Jahren als eine der ersten mit dem Laufen begann. Am Ende fügt Ronald Reng alle Geschichten zu einer Antwort zusammen: Darum laufen wir.
Leseprobe zu „Warum wir laufen“
Mit 13 lernte ich laufen, und schon nach den ersten Schritten beschloss ich, nie mehr stehen zu bleiben.
Meine Eltern hatten mich bei den lokalen Waldlaufmeisterschaften angemeldet. Ich zog die Laufschuhe meines Vaters an, Größe 46 und somit mindestens drei Nummern zu groß für mich, was mir das ziemlich 13-jährige Gefühl gab, plötzlich erwachsen zu sein. Die Laufstrecke führte uns einmal den Berg hinauf und dann den Berg hinunter, was sich als ideal für mich herausstellte: In dem Moment, als ich erschöpft war, konnte ich mich einfach den Berg [...]
Mit 13 lernte ich laufen, und schon nach den ersten Schritten beschloss ich, nie mehr stehen zu bleiben.
Meine Eltern hatten mich bei den lokalen Waldlaufmeisterschaften angemeldet. Ich zog die Laufschuhe meines Vaters an, Größe 46 und somit mindestens drei Nummern zu groß für mich, was mir das ziemlich 13-jährige Gefühl gab, plötzlich erwachsen zu sein. Die Laufstrecke führte uns einmal den Berg hinauf und dann den Berg hinunter, was sich als ideal für mich herausstellte: In dem Moment, als ich erschöpft war, konnte ich mich einfach den Berg hinunterrollen lassen. Im Bericht des Höchster Kreisblatts erschien ich mit falschem Vornamen, Roland. Ich strich den Roland mit Kugelschreiber und Lineal durch, fügte samt Asterisk „Ronald“ an und hängte den Bericht an meine Pinnwand, wo bis dahin Urlaubssouvenirs wie die Verpackungen Schweizer Schokolade hingen. Ich vermute, dass es heutigen 13-Jährigen eher nicht mehr in den Sinn kommt, ihre Wände derart zu schmücken. Am nächsten Nachmittag lief ich alleine, ohne dass mich irgendwer dazu aufgefordert hätte, in den Feldern hinter unserem Haus los. Ich kann nicht genau festmachen, ob es an der Begeisterung für die Riesen-Laufschuhe meines Vaters lag, am Ehrgeiz, einmal meinen richtigen Namen in der Zeitung zu lesen, oder am Stolz, dass mich beim semi-bewusstlosen Hinunterrollen vom Berg niemand mehr überholt hatte: Ich war jetzt ein Läufer.
33 Jahre später brauche ich nur irgendwo in der Ferne einen Läufer zu sehen, und ich glaube sofort, einen Seelenverwandten zu erkennen. Geradezu zwanghaft taxiere ich jeden Läufer. Was für ein Tempo hat er drauf? Setzt er mit den Vorderfüßen auf? Hält er die Hände locker? Dieses reflexartige Durchchecken jeden Läufers scheint seit meinen Tagen als Wettkampfläufer in meinem Gehirn programmiert. Manchmal lehne ich mich dagegen auf: Mein Gott, es ist eine ganz gewöhnliche Joggerin, die dort drüben durch den Park trabt, eine 60-jährige Frau, was geht sie dich an, lass sie doch laufen! Aber die peinliche Wahrheit ist, dass ich besessen weiterschaue, auf jeden einzelnen Läufer.
Wenn sie die Arme ein klein wenig tiefer halten würde, ein klein bisschen enger am Körper, könnte sie ökonomischer laufen.
Sie dagegen hat einen kraftvollen Abdruck! Sicher eine Wettkampfläuferin, wie sauber sie die Unterschenkel nach hinten wirft, wie gerade sie die Füße aufsetzt, top, ich wette, eine 5000-Meter-Läuferin, kein Marathon, dazu läuft sie zu energisch, gewohnt, Tempo zu machen.
Aber, oh je, der Mann mit den roten New-Balance-Schuhen und diesem schmerzverzerrten Gesicht, wenn ich ihm einen Spiegel vorhalten könnte, er würde selbst verstehen, dass, wer das Gesicht beim Laufen so verzerrt, im gesamten Körper verkrampft.
Irgendwann, vor einigen Wochen, stellte ich mir dann die Frage: Und du, wie läufst du?
Gar nicht mehr.
In meiner Fantasie bin ich noch immer der junge Mittelstreckenläufer: In meinem Selbstverständnis bin ich immer ein Läufer geblieben. Einige Tage verdrängte ich die Erkenntnis, dass dieses Selbstbild nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Aber wir leben in Bozen direkt an den Talferauen, der Laufstrecke der ganzen Stadt. Wirklich alle paar Minuten zieht ein Läufer vor unserem Küchenfenster vorbei – und plötzlich schien mir jeder vorbeihuschende Läufer zuzurufen: „Und du?“
Ich wandte mich vom Küchenfenster ab. Die Frage jedoch blieb: Warum hatte ich das Laufen bloß aufgegeben?
Natürlich kenne ich die Antworten: Familie, Arbeit, es sind dieselben Antworten, die Zehntausende geben, denen mit den Jahren eine Leidenschaft langsam, fast unbemerkt entglitten ist.
Zum Stillstand gekommen vor dem Küchenfenster, dachte ich weiter nach. Vor mir lagen die Auen mit ihren perfekten Laufwegen, flach, auf festem Erdboden, zwischen Wiesen und dem singenden Fluss, unter majestätischen Bäumen, die Reisende aus der ganzen Welt nach Bozen gebracht haben, Himalaja-Zedern, Affenrutschbäume, in dem milden Klima der Stadt wächst und gedeiht die Natur. Allein beim Blick auf die pittoreske Szenerie stellte sich das alte, vertraute Gefühl des Laufens wieder ein: die Einbildung, im Laufschritt fliegen zu können. Der gesamte Körper ist von Lebendigkeit und Leichtigkeit erfüllt, ich setze, aus schierem Übermut, mit dem Vorder- statt dem Hinterfuß auf, das verstärkt den Eindruck zu federn, bei jedem Schritt abzuheben, für einen langen Moment in der Luft zu sein.
Als jugendlicher Mittelstreckler absolvierte ich jeden zweiten Tag ein Intervalltraining auf der Tartanbahn in Frankfurt. An den Zwischentagen lief ich bei uns im Taunus durch den Wald, 10 bis 15 Kilometer, ein Tempo von 4:20 Minuten pro Kilometer, keine Anstrengung, einfach laufen lassen. Den Berg vor dem Rettershof, hinter dem streng riechenden Reitplatz, sprintete ich jedes Mal hoch, 30, 40 Sekunden im Sprint bergauf, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, die Schritte kürzer gesetzt. Oben angekommen lief ich, ohne zu verschnaufen, anstandslos im normalen Dauerlauftempo weiter. Nur mein Herz pochte etwas heftiger, lebhafter. Bei diesen Sprints den Berg am Reitplatz hinauf wusste ich besser denn je, was die Leute meinen, wenn sie sagen: vor Energie bersten. Vor Freude platzen.
Mit dem gemächlichen Laufschritt nach dem Berg-Sprint verfiel ich wieder ins Träumen. Manchmal erreichte ich nach 45 Minuten unser Haus und konnte nicht rekapitulieren, ob ich wirklich gelaufen war, so sehr war ich in Träumen abwesend gewesen. Meine Träume waren damals nicht sehr fantasiereich: Es ging darin nur darum, schneller zu laufen, als ich es konnte.
Schnell zu laufen war Teil der Faszination, dieses Gefühl, beim 1500-Meter-Lauf im Pulk mitzurollen, aber jederzeit das Tempo erhöhen zu können, aus der Kurve herauszuschießen, die Schritte länger zu ziehen, immer seltener den Boden berühren: schwerelos werden. Oft genug, und jedes Mal aufs Neue völlig verblüfft, merkte ich dann, aus der vorletzten Kurve herauskommend, dass die Beine mich nur noch zum Boden hinzogen.
Damals, mit 17, hätte ich wohl gesagt, die Schönheit des Laufens sei der Rausch der Geschwindigkeit. Heute weiß ich es besser: Laufen gab mir ein Gefühl von Wachheit wie sonst nichts im Leben. Körper und Geist funktionierten parallel auf Hochtouren. Ich lief, schwebte dabei in diesem fantastischen Zustand körperlicher Anstrengungslosigkeit, den man nur bei voller Fitness erlebt, und gleichzeitig strömten die Gedanken, blitzte der Geist.
Ich schrieb einen gesamten Roman beim Laufen. 2005 arbeitete ich an einer fiktiven Erzählung aus der Welt der Londoner Investmentbanker, als mir eines Abends beim Laufen im Park plötzlich das gesamte nächste Kapitel zuflog, solch eine Schärfe der Gedanken hatte ich noch nicht erlebt. Zu Hause, die Schweißperlen auf dem Vorderarm, kritzelte ich das gesamte Kapitel in einen Notizblock, der Schweiß tropfte und verschmierte ein paar Worte. Ich ging jeden Tag wieder laufen, um weiterschreiben zu können. Die letzten Kilometer rannte ich meistens, aus Angst, mir könnten die Romanideen wieder entgleiten. Ich halte jenes Buch, Fremdgänger, für mein bestes. Oder habe ich nur das Hochgefühl meiner damaligen Läufe, als die Gedanken blitzten, auf den Roman übertragen? Es hat sich von all meinen Büchern fast am schlechtesten verkauft.
Das muss das letzte Mal gewesen sein, als ich regelmäßig lief. 2005.
Vor meinem Küchenfenster laufen Kinder eine Runde durch die Auen. Sie trainieren mit ihrer Lehrerin für die Südtiroler Schulmeisterschaften. An der Brücke biegen sie ab und verwandeln sich für mich zu bunten Punkten hinter der Trauerweide mit ihren abwärtshängenden Ästen. Obwohl die grellen Kunststoffleibchen der Kinder nicht weiter von der natürlichen Pracht der Auen entfernt sein könnten, nehme ich die Schüler automatisch als Einheit mit der Landschaft wahr. Weil ich mich beim Laufen immer im Einklang mit der Natur glaubte. Laufen ist Wachheit, Abschalten, Gedankenströme, Träumen, Leichtigkeit, Geschwindigkeit, die Schönheit der Einsamkeit, die Euphorie des Gruppengefühls, die Frische danach. Laufen ist auch Leiden, Schmerz, Sucht, Verführung zum Extremen und vor allem der Irrsinn, dass man all diesen unangenehmen Erfahrungen etwas Erhabenes abgewinnt. Laufen ist für mich eines der schönsten Gefühle, die ich erlebte. Als ich, am Küchenfenster, bei dieser Erkenntnis angekommen bin, verändert sich die Frage zwangsläufig. Aus „Wie konnte ich dieses Gefühl aufgeben?“ wird: Warum läufst du nicht wieder los?
Es sind fünf Tage vergangen, seit ich mir die Frage stellte. In der Zwischenzeit spielte ich mit unserer fünfjährigen Tochter in der Frühlingssonne an der Talfer Fangen, und jedes Mal, wenn ich losrennen sollte, um sie einzuholen, spürte ich, wie ich über einen inneren Widerstand hinweg musste, körperlich wie geistig: Meine Achillessehnen und Knie wollten nicht los, nicht raus aus dieser vertrauten Steifheit. Und mein Kopf wollte nicht wieder diesen Ruck, dieses Rumpeln ertragen, wenn sich der Körper in Bewegung setzt.
Will ich wirklich wieder laufen?
Ich ging mit unserem zehnjährigen Sohn Fußball spielen. Ich überwand das Rucken, das Rumpeln, ist der Körper in Bewegung, ging es mit dem Laufen eigentlich recht gut. Nach 20 Minuten spielte ich fast nur noch aus dem Stand. Mein Atem pfiff.
Will ich wirklich wieder …?
Ich habe nicht den Ehrgeiz, einen Marathon zu bestreiten oder ein ähnliches konkretes Laufziel zu erreichen. Ich jage auch nicht der ewigen Jugend hinterher und bilde mir ein, das Laufen könnte sie mir zurückbringen. Ich will einfach schauen, ob ich dieses schöne Gefühl vom Laufen wiederfinden kann, mit 46. Ich will möglichst genau herausfinden, warum Millionen das Laufen lieben, ganz gleich ob sie nun zweimal die Woche ein wenig traben oder ob sie Ultramarathons bestreiten. In den vergangenen Jahren staunte ich oft: Wer auf einmal alles lief! Der dicke Joschka Fischer, Vorstandsbosse, Schriftsteller, unsere Nachbarin, von der ich nicht gewusst hatte, dass sie anderes Schuhwerk als Stöckelschuhe besaß. Nur ich, der selbstdefinierte Läufer, lief nicht mehr.
Als ich in meiner Jugend um die Wette rannte, war Laufen ein Sport, den halt einige betrieben, so wie andere Tischtennis oder Schach. Heute ist Laufen ein Lebenselixier. Bei der Lektüre so mancher Laufbücher entsteht der Eindruck, es gebe kein Problem der Welt, das sich nicht mit Laufen lösen ließe. Laufen kille den Stress, Laufen schenke Ausgeglichenheit, Laufen mache schlanker, schöner, schlauer. Und manches davon stimmt wohl auch noch.
Ich bin selbst gespannt, ob ich am Ende wieder sechs Mal die Woche laufen werde oder gar nicht mehr, ob ich es bei Drei-Kilometer-Entspannungsläufen belasse oder wieder bei Wettkämpfen antreten werde. Wie weit werde ich wieder der Läufer, für den ich mich halte?
Meine Eltern waren Läufer, meine Schwester war Läuferin, jeden Nachmittag ging bei uns in Fischbach im Taunus einer nach dem anderen laufen. Immer verabschiedeten wir uns voneinander mit demselben Satz. Es waren nur vier beiläufige Worte, doch in keinem Moment waren wir uns näher. Der Satz versicherte uns, dass wir dieses Gefühl teilten.
Wir sagten, und ich möchte nichts weiter, als es wieder mit der alten Selbstverständlichkeit zu sagen: „Ich laufe dann los.“
„Ein Buch, das Laufeinsteigern größeren Mehrwert bietet als das Gros der von Ex-Topathleten oder sogenannten Laufgurus verfassten Fachliteratur - dazu auf sehr unterhaltsame Weise.“
„Die wohltuendste Lauflektüre seit Jahren.“
„Den besonderen Reiz von ›Warum wir laufen‹ macht Rengs persönliche Perspektive aus: Der Autor ist rund zwei Jahrzehnte lang selbst gelaufen; und dann zwölf Jahre gar nicht mehr. Sein Comebackversuch mit Mitte vierzig bildet den roten Faden des Buches.“
„Reng geht das Thema auf interessante Weise an, und allzu bekenntnishaft und missionarisch ist ›Warum wir laufen‹ eben gerade nicht.“
„Ronald Reng schreibt die packendsten Sportbücher. (...) Ein Muss - nicht nur für Läufer.“
„Sein Comeback-Versuch mit Mitte vierzig ist amüsant und motivierend.“
„Eine interessante Entdeckungsreise in die Welt der Lauferei.“
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