Was bleibt — Inhalt
Hans Küng hat mit seinen zahlreichen Veröffentlichungen nicht nur weltweit Millionen von Lesern gefunden, sondern auch die Sicht auf die großen Menschheitsfragen mitbestimmt. Sein denkerischer Weg erstreckt sich von Kirche und Christentum über die Weltreligionen bis hin zu existenziellen Grenzfragen und den weltethischen Standards. Existiert Gott, und was bedeutet „Christsein“ heute? Wie können die Weltreligionen in Frieden miteinander leben? Welche Werte können wir von ihnen für Politik, Wirtschaft und Erziehung lernen? Die hier versammelten Schlüsseltexte zeigen, worauf es im Leben ankommt – und was bleibt.
Leseprobe zu „Was bleibt“
Was bleibt?
Es ist ein anspruchsvoller und gewagter Titel, den wir, Herausgeber und Verlag, dieser Textsammlung gegeben haben. Wer von uns kann denn schon vorhersagen, welche Texte aus dem umfangreichen Schrifttum von Hans Küng bleiben werden? Werden seine Fragen und seine Antworten zu Christentum, Religionen und Weltethos auf lange Zeit Bestand haben? Ist der hier vorgelegte Umfang bleibender Texte zu groß oder viel zu bescheiden und auf welche Zeiträume soll diese Dauer angelegt sein? Wir wissen es nicht: In dieser -Sache sind keine objektiven, gar [...]
Was bleibt?
Es ist ein anspruchsvoller und gewagter Titel, den wir, Herausgeber und Verlag, dieser Textsammlung gegeben haben. Wer von uns kann denn schon vorhersagen, welche Texte aus dem umfangreichen Schrifttum von Hans Küng bleiben werden? Werden seine Fragen und seine Antworten zu Christentum, Religionen und Weltethos auf lange Zeit Bestand haben? Ist der hier vorgelegte Umfang bleibender Texte zu groß oder viel zu bescheiden und auf welche Zeiträume soll diese Dauer angelegt sein? Wir wissen es nicht: In dieser -Sache sind keine objektiven, gar unfehlbaren Urteile möglich. Wir können nur sagen: Die Fragen nach Lebenssinn und Gerechtigkeit, Glauben und Wissen, einer letzten Instanz und Weltdeutung, nach Religionen und deren ethischer Botschaft werden nicht so schnell aus den Köpfen und Herzen der Menschen verschwinden. Zudem lässt sich kaum bestreiten, dass Hans Küng diese Fragen über fünf Dekaden lang nachhaltig mitgestaltete, kräftig vorantrieb und sich immer wieder zu Wort meldete. Wer sich also ohne besondere Vorkenntnisse in die Forschungsarbeit, die Intentionen und Denkergebnisse dieses Theologen einlesen will, beginne mit den hier vorgelegten Texten, denn sie führen in die Mitte seiner Schaffens und legen Spuren, die weiter zu verfolgen sich lohnt.
Hans Küng blickt auf ein langes und reiches Arbeitsleben zurück. Sein erster Artikel erschien 1955 mit dem für ihn kennzeichnenden Titel, der in seiner Spannung als Motto seines Lebens gelten könnte: „Ist Friede Kapitulation?“. Nach nunmehr 58 Jahren liegt der abschließende Band seiner Memoiren vor: „Erlebte Menschlichkeit“. Oft hat man Hans Küng als konfliktfreudigen Kämpfer charakterisiert; das lässt sich nicht leugnen. Denn von Anfang an konzentrierte er sich auf unvermeidliche, bisweilen gar lebensgefährliche Konflikte, denen ängstlichere Kollegen sorgsam ausgewichen sind. Dazu gehörten Fragen katholischer Kirchenreform, die Dar- und Auslegung christlicher Dogmen, Wege zu einer interreligiösen Ökumene und schließlich die Weltethosidee, die aus guten Gründen bis nach Bogotá und Beijing zum Selbstläufer geworden ist.
Zu all diesen Themen hat Hans Küng sich in Tausenden von Buchseiten geäußert. Er arbeitete die wissenschaftliche Literatur auf, argumentierte detailreich und wurde zugleich zum reisefreudigen Weltbürger, bezog moderne Kommunikationsmittel bis hin zu aufwendigen Fernsehreportagen in seine Arbeit ein. Überzeugungskraft und Zustimmung hätten sich aber nicht eingestellt, wäre seine Arbeit nicht vom ersten Tag an von einer unstillbaren Leidenschaft nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit getragen gewesen. Und höchst glaubwürdig hätten seine Kämpfe nicht gewirkt, hätte er nicht von Anfang an weder sachliche Niederlagen noch persönliche Verwundungen gescheut. Immer wieder hat er sich ihnen ausgesetzt und sie ertragen. Seine Botschaften aber haben dadurch zunehmend an Kraft und an Tiefe gewonnen.
Um dies zu erreichen, bedarf es nicht nur einer starken physischen und psychischen Energie, sondern auch eines stabilen Selbstbewussteins, das bei ihm aus einem unerschütterlichen, weil religiös geerdeten Grund- und Gottvertrauen lebt. Vertrauen ist denn auch ein Grundthema, das sich durch alle seine Aktivitäten und Äußerungen zieht. Wie anders hätte er seiner Kirche die Treue halten, mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. immer wieder Kontakt suchen und an seiner Hoffnung auf eine Kirchenreform unerschütterlich festhalten können. Wie anders kann man Jahrzehnte Energie in das Sisyphosprojekt von Weltfrieden und Weltversöhnung investieren, dabei den Dialog und die Kooperation mit Religionen konsequent im Auge behalten – auch solcher, die sich alles andere als in bester, gegenwartstauglicher Verfassung zeigen?
Wer mehr über die persönlichen Hintergründe dieses schaffensreichen Lebensweges erfahren möchte, lese entweder die drei Memoirenbände des Autors; in vielen Teilen kann ihm die Spannung eines Kriminalromans sicher sein. Oder er greife zu Küngs reifem und sehr persönlichem Spätwerk „Was ich glaube“ (München 2009), in dem er ohne alle Aufdringlichkeit von seiner Spiritualität und seinem eigenen Glauben spricht. Auf solche persönlichen Zentralmotive und Hintergründe kommt die vorliegende Textsammlung nur am Rande zu sprechen. Denn wichtiger war es den Herausgebern, einen Einblick in die zentralen Sachthemen in Glaube und Gesellschaft zu geben, um die sich der Autor – wie schon angedeutet – intensiv bemüht hat. Man könnte Küngs Wirken in vier Phasen gliedern:
– Zunächst beschäftigt ihn die Vision einer strukturell erneuerten und ökumenisch versöhnten Kirche (Rechtfertigungslehre, Konzil, Kirche und Unfehlbarkeit); die Ergebnisse haben sich in umfassenden Monographien und kleineren Schriften niedergeschlagen.
– Im ersten nachkonziliaren Jahrzehnt (1970–80) wendet er sich zentralen christlichen Glaubensfragen zu (wer war Jesus, was meinen Christus- und Gottesglaube, was ist unsere Zukunft?); die Hauptergebnisse sind in vier umfassenden Monographien niedergelegt.
– Nach der endgültigen Kampfansage Roms (1979/80) verlagert sich Küngs Interesse in den 1980er Jahren auf die weltweite Ökumene der Weltreligionen (Projekt: „Die religiöse Situation der Zeit“); breit dokumentierte Monographien zu Christentum, Judentum und Islam sind die Folge.
– In den 1990er Jahren gewinnt das Projekt Weltethos immer mehr an Kontur. Es führt zu einem letzten großen Kreativitäts- und Bekanntheitsschub mit Büchern zur Idee des Weltethos, zu Fragen einer ethisch verantwortbaren Politik und Wirtschaft und den Möglichkeiten einer globalen Verständigung auf ein Minimum an gemeinsamen Werten. Streng genommen sind das weder religiöse noch theologische Projekte; sie sind aber dort angelangt, wo christliche Glaubenspraxis hingehört, nämlich bei der Gestaltung einer gerechten und versöhnten Welt.
– Hinzukommende Themenbereiche, denen sich Hans Küng zuwandte (Abhandlungen und Essays zu Kunst, Lite-ratur, Naturwissenschaften, Paradigmentheorie, zu historischen Persönlichkeiten und Entwicklungen) werden hier ebenso ausgeklammert wie die Tatsache, dass die genannten Themen einander auch überlagerten und unter neuen Problemstellungen zurückkamen, so etwa Fragen der Kirchen-reform, die heute noch drängender sind als vor 55 Jahren.
Gewiss finden diese vier Phasen im vorliegenden Band ihren Niederschlag, wie schon das Inhaltsverzeichnis zeigt. Beabsichtigt ist aber kein geschlossenes System, sondern eine Vielfalt interessanter Textstücke, die zum Weiterlesen einladen. Küngs Bücher können zwar Konzentration erfordern und weit in die Forschungslabore von Theologen, Religionswissenschaftlern, Kulturspezialisten, Politologen, Naturwissenschaftlern oder Wirtschaftskundigen hineinreichen, aber immer wirken sie erhellend und erfrischend. Sie lesen sich mal als mitreißende Polemik, öfters als informationsreiche Erkundungstour, in vielen Fällen wie ein spannender Roman, den man nicht mehr aus der Hand legt. Und weil sich Theologie und Kirche seit 50 Jahren leider im Kreise drehen, sind selbst seine theologischen Werke von damals noch aktuell. Sogar sein Buch „Die Kirche“, vor genau 45 Jahren erschienen, enthält schon alle aktuellen Reformprogramme, die dem Vatikan noch heute die Ruhe rauben.
Dieses Buch ist Hans Küng zu seinem 85. Geburtstag gewidmet. Wir feiern diesen Tag mit großer Dankbarkeit für sein Lebenswerk; denn wir sind davon überzeugt: Seine globalen Wirkungen innerhalb und außerhalb der Kirche sind noch lange nicht ausgeschöpft. Angesichts seines Alters will der Gefeierte jetzt alle seine Ämter und Funktionen niederlegen, die er noch immer mit Tatkraft in voller Präsenz zu versehen weiß. Wer würde das nicht verstehen! Doch wissen wir auch: Seinen geliebten Schreibtisch, an dem er schon die ersten Tübinger Bücher geschrieben hat, wird er bestimmt nicht entsorgen und wir können uns nicht vorstellen, dass seine Energie über Nacht versiegen wird.
Mit dieser Textsammlung möchten wir Hans Küng auch persönlich Dank sagen: dem unermüdlichen und stets neugierigen Forscher und Denker, dem großartigen Inspirator und Lehrer, dem motivierendem Chef und vertrauensvollen Kollegen, kurz: einem wunderbaren Menschen, der unser beider Leben geprägt hat und dem wir beide sehr viel verdanken.
Doch einstweilen wünschen wir dem vorliegenden Buch eine große Verbreitung. Es möge zum Türöffner werden zu Hans Küngs Schrifttum, also zu vielen spannenden Exkursionen über Gott und die Welt, den Frieden und die Versöhnung, auf den die ganze Menschheit hofft und in deren Dienst er immer noch arbeitet.
Tübingen, im Dezember 2012
Hermann Häring, Stephan Schlensog
Gruß an den Leser
Was bleiben soll von meinem Denken, kann ich nur als Hoffnung formulieren: Ich hoffe, dass meine Kerngedanken zu Gott und Jesus Christus, zu existentiellen Fragen des Menschseins, zu Weltreligionen, Weltfrieden und Weltethos bleiben. Bleiben als Antworten auf schwierige Probleme, als Hilfe für Leben und Glauben, als Impulse zum Weiterdenken und Handeln.
So oft wurde ich gefragt: „Ich möchte mich mehr mit Ihrem Denken befassen, aber wo soll ich anfangen? An die großen Bücher wage ich mich nicht, und die kleineren treffen vielleicht nicht das Zentrum?“ Dieses Buch hier nun ermöglicht, zentrale Texte meines Denkens kennenzulernen und so Zugang zu den großen Kernthemen meines theologischen Schaffens zu finden. Das wird sicher spannend sein für den neuen Leser, aber auch interessant für den damit vertrauten. Ich habe selber meine eigenen Texte, auch wenn sie mehrere Jahrzehnte zurückliegen, mit Dankbarkeit und Freude wiedergelesen.
Was von unserem Œuvre bleibt, was vergessen wird, was Bestand hat oder was vielleicht erst viel später wieder Bedeutung erhält, darüber befindet nicht der Autor, darüber urteilt der Leser, der gegenwärtige und der künftige. Und deshalb habe ich auch die Bücher, die ich geschrieben habe, nie gezählt. Ich habe sie gewichtet, nach geistigem Aufwand, nach Reichweite und Tiefgang der Problematik, nach Wirkung und Auswirkung. Aber ich habe mich stets geweigert, die Frage zu beantworten, welches denn mein wichtigstes Buch sei. Das weiß ich nicht und brauche es auch nicht zu wissen. Das kann posthum – wenn alle Urteile über Orthodoxie und Katholizität, alle Konkurrenz, Ressentiments, Rivalität und Neid endgültig der Vergangenheit angehören werden – ganz anders aussehen als zu meinen Lebzeiten. Und erst recht ganz anders nach ein paar Jahren, wenn die Situation von Welt, Kirche und Theologie wieder einmal völlig anders sein wird. Was bleibt: Vielleicht wird man sich dann an schon längst Gedachtes und Vorgeschlagenes, Gewünschtes und Gefordertes erinnern. Wer weiß?
Dass ich dieses Buch neben der Arbeit am dritten Band meiner Erinnerungen veröffentliche, verdanke ich der Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit meines langjährigen Lektors beim Piper Verlag, Ulrich Wank. Die höchst kundige Auswahl der Texte aber verdanke ich meinen treuen theologischen Wegbegleitern und Freunden Professor Dr. Hermann Häring und Dr. Stephan Schlensog. Sie sind seit Jahrzehnten mit meinem Werk bestens vertraut und konnten mit dem Blick des Lesers die geeigneten Texte zusammenstellen. So haben sie dem Autor die Qual der Wahl erspart.
Dieses Buch erscheint pünktlich zur Vollendung meines 85. Lebensjahres und ist das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich mir denken kann.
Tübingen, Neujahr 2013
Hans Küng
1. Gott – Grund, Halt und Ziel
Gott Existiert
Zu Hans Küngs wichtigen Veröffentlichungen zählt das 1978
erschienene Werk „Existiert Gott?“, das in 875 Seiten
die neuzeitliche Gottesfrage aufarbeitet. Der Kern
von Küngs eigener Antwort wird hier wiedergegeben.
Nein oder Ja zu Gott möglich
Die Auseinandersetzung mit Feuerbach, Marx, Freud und Nietzsche hat es gezeigt: Eines kann dem Atheismus nie bestritten werden – ein Nein zu Gott ist möglich. Der Atheismus läßt sich nicht rational eliminieren: Er ist unwiderlegbar! … Die Auseinandersetzung mit Feuerbach, Marx, Freud und Nietzsche hat freilich auch ein anderes gezeigt: Der Atheismus seinerseits kann auch die andere Alternative nicht positiv ausschließen – auch ein Ja zu Gott ist möglich. Der Atheismus läßt sich nicht rational etablieren: Er ist unbeweisbar!
Warum? Es ist die Wirklichkeit in aller Fraglichkeit, die genügend Anlaß gibt, um nicht nur ein vertrauendes Ja zu dieser Wirklichkeit, ihrer Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit zu wagen, sondern darüber hinaus auch ein Ja zu dem, ohne den die Wirklichkeit in allem Begründen letztlich unbegründet, in allem Halten letztlich haltlos, in allem Sich-Entwickeln letztlich ziellos erscheint: ein vertrauendes Ja also zu einem Urgrund, Urhalt und Urziel der fraglichen Wirklichkeit.
Also: Es gibt tatsächlich kein schlüssiges Argument für die Notwendigkeit des Atheismus. Es kann auch nicht positiv- widerlegt werden, wer sagt: Es ist ein Gott! Gegen ein solches von der Wirklichkeit selber her sich aufdrängendes Vertrauen kommt der Atheismus seinerseits nicht an. Auch die Bejahung Gottes beruht zutiefst auf einer Entscheidung, die wiederum mit der Grundentscheidung zur Wirklichkeit überhaupt in Zusammenhang steht. Auch sie ist rational unwiderlegbar.
Gott – eine Sache des Vertrauens
Die Alternativen sind deutlich geworden: Ein Nein oder Ja zu Gott ist möglich. Stehen wir also nicht … vor einem Patt, einem Unentschieden? Hier genau liegt der entscheidende Knoten zur Lösung der Frage nach der Existenz Gottes …: Wenn Gott ist, ist er die Antwort auf die radikale Fraglichkeit der Wirklichkeit. Daß Gott ist, kann angenommen werden, nicht stringent aufgrund eines Beweises oder Aufweises der reinen Vernunft (Natürliche Theologie), nicht unbedingt aufgrund eines moralischen Postulates der praktischen Vernunft (Kant), nicht ausschließlich aufgrund des biblischen Zeugnisses (Dialektische Theologie). Daß Gott ist, kann nur in einem – in der Wirklichkeit selbst begründeten – Vertrauen angenommen werden.
Schon dieses vertrauende Sich-Einlassen auf einen letzten Grund, Halt und Sinn der Wirklichkeit – und nicht erst das Sich-Einlassen auf den christlichen Gott – wird im allgemeinen Sprachgebrauch zu Recht als „Glauben“ an Gott bezeichnet: als „Gottesglaube“. Entsprechend dem „Grundvertrauen“ könnte man auch generell von „Gottvertrauen“ reden, wenn dieses Wort nicht allzu theologisch oder emotional besetzt wäre. Um dieses wichtige Wort nicht völlig dem Verschleiß preiszugeben, sprechen wir manchmal in bewußter Analogie zum „Grundvertrauen“ von „Gott-Vertrauen“. Dabei geht es selbstverständlich um echten Glauben, freilich in einem weiten Sinn: Insofern solcher Glaube nicht notwendig von der christlichen Verkündigung provoziert sein muß, sondern auch Nichtchristen (Juden, Moslems, Hindus ...) möglich ist. Die Menschen, die sich zu einem solchen Glauben bekennen, werden zu Recht – ob Christen oder Nichtchristen – als „Gottgläubige“ bezeichnet. Demgegenüber erscheint der Atheismus, insofern er Verweigerung des Vertrauens zu Gott ist, wiederum im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus zu Recht als „Unglaube“.
So hat sich gezeigt: Nicht nur bezüglich der Wirklichkeit als solcher, nein, auch bezüglich eines Urgrunds, Urhalts und Urziels der Wirklichkeit ist für den Menschen eine – freie, wenn auch nicht willkürliche – Entscheidung unumgänglich: Da sich die Wirklichkeit und ihr Urgrund, Urhalt und Urziel nicht mit zwingender Evidenz aufdrängen, bleibt Raum für die Freiheit des Menschen. Der Mensch soll sich entscheiden, ohne intellektuellen Zwang, allerdings auch ohne rationalen Beweis. Atheismus wie Gottesglaube sind also ein Wagnis – und ein Risiko. Gerade die Kritik an den Gottesbeweisen macht es klar: Glaube an Gott hat Entscheidungscharakter, und umgekehrt: Entscheidung für Gott hat Glaubenscharakter.
Um eine Entscheidung also, um eine Lebensentscheidung, geht es in der Gottesfrage, die freilich in eine noch ganz andere Tiefe reicht als die angesichts des Nihilismus notwendige Entscheidung für oder gegen die Wirklichkeit als solche: Sobald diese letzte Tiefe für den Einzelnen aufbricht und sich die Frage stellt, wird die Entscheidung unumgänglich. Wie beim Grundvertrauen, so gilt auch in der Gottesfrage: Wer nicht wählt, wählt: Er hat gewählt, nicht zu wählen. Stimmenthaltung in einer Vertrauensabstimmung zur Gottesfrage bedeutet Vertrauensverweigerung, faktisch ein Mißtrauensvotum. Wer hier nicht – zumindest faktisch – Ja sagt, sagt Nein.
Doch leider stehen die „Tiefe“ (oder „Höhe“) einer Wahrheit und die Sicherheit ihrer Annahme durch den Menschen in umgekehrtem Verhältnis. Je banaler die Wahrheit („Binsenwahrheit“, „Platitüde“), desto größer die Sicherheit. Je bedeutsamer die Wahrheit (etwa im Vergleich zur arithmetischen die ästhetische, moralische, religiöse Wahrheit), um so geringer die Sicherheit. Denn: Je „tiefer“ die Wahrheit für mich ist, um so mehr muß ich mich für sie erst aufschließen, innerlich bereiten, mich mit Intellekt, Wille, Gefühl auf sie einstellen, um zu jener echten „Gewißheit“ zu kommen, die etwas anderes ist als abgesicherte „Sicherheit“. Eine für mich äußerlich unsichere, von Zweifeln bedrohte tiefe Wahrheit (Gott existiert), die ein starkes Engagement meinerseits voraussetzt, kann viel mehr Erkenntniswert besitzen als eine sichere oder gar „absolut“ sichere banale Wahrheit (2x2=4).
Der Gottesglaube als letztlich begründetes Grundvertrauen
Folgt aber aus der Möglichkeit des Ja oder Nein nicht die Gleichgültigkeit des Ja oder Nein? Keineswegs! Das Nein zu Gott bedeutet ein letztlich unbegründetes Grundvertrauen zur Wirklichkeit: Der Atheismus vermag keine Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Wer Gott verneint, weiß nicht, warum er letztlich der Wirklichkeit vertraut.
Das heißt: Der Atheismus lebt, wenn schon nicht aus einem nihilistischen Grundmißtrauen, so jedenfalls aus -einemletztlich unbegründeten Grundvertrauen. Im Nein zu Gott entscheidet sich der Mensch gegen einen ersten Grund, tiefsten Halt, ein letztes Ziel der Wirklichkeit. Im Atheismus erweist sich das Ja zur Wirklichkeit als letztlich unbegründet: ein frei treibendes, nirgendwo verankertes, gehaltenes, gerichtetes und deshalb paradoxes Grundvertrauen. Im Nihilismus ist ein Ja zur Wirklichkeit wegen des radikalen Grundmißtrauens überhaupt nicht möglich. Der Atheismus vermag keine Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Deshalb läßt er, wenn gewiß auch nicht jede, so doch eine radikale Rationalität vermissen, was er freilich oft verschleiert durch ein rationalistisches, aber im Grund irrationales Vertrauen zur menschlichen Vernunft.
Nein, es ist nicht gleichgültig, ob man Ja oder Nein zu Gott sagt: Der Preis, den der Atheismus für sein Nein zahlt, ist offenkundig! Er setzt sich der Gefährdung durch eine letzte Grundlosigkeit, Haltlosigkeit, Ziellosigkeit aus: der möglichen Zwiespältigkeit, Sinnlosigkeit, Wertlosigkeit, Nichtigkeit der Wirklichkeit überhaupt. Der Atheist setzt sich, wenn er sich dessen bewußt wird, auch ganz persönlich der Gefährdung durch eine radikale Verlassenheit, Bedrohtheit und Verfallenheit aus mit allen Folgen des Zweifels, der Angst, ja der Verzweiflung. Dies alles natürlich nur, wenn Atheismus Ernstfall und nicht intellektuelle Attitüde, snobistische Koket-terie, öd gedankenlose Oberflächlichkeit ist.
Für den Atheisten bleiben jene letzten und doch zugleich nächsten und durch kein Frageverbot zu verdrängenden „ewigen“ Fragen des menschlichen Lebens unbeantwortet, die sich nicht nur an den Grenzen des Menschenlebens, sondern mitten im persönlichen und gesellschaftlichen Leben stellen. Um nochmals an die Fragen Kants anzuknüpfen:
Was können wir wissen? Warum gibt es überhaupt etwas? Warum ist nie nichts? Woher kommt der Mensch und wohin geht er? Warum ist die Welt, wie sie ist? Was ist der letzte Grund und Sinn aller Wirklichkeit?
Was sollen wir tun? Warum tun wir, was wir tun? Warum und wem sind wir letztlich verantwortlich? Was verdient schlechthinnige Verachtung, was Liebe? Was ist der Sinn von Treue und Freundschaft, aber auch der von Leid und Schuld? Was ist für den Menschen entscheidend?
Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze? Gibt es etwas, was uns in aller Nichtigkeit trägt, was uns nie verzweifeln läßt? Ein Beständiges in allem Wandel, ein Unbedingtes in allem Bedingten? Ein Absolutes bei der überall erfahrenen Relativität? Was bleibt uns: der Tod, der am Ende alles sinnlos macht? Was soll uns Mut zum Leben und was Mut zum Sterben geben?
Wahrhaftig, all dies sind Fragen, die aufs Ganze gehen: Fragen nicht nur für Sterbende, sondern für Lebende. Nicht nur für Schwächlinge und Uniformierte, sondern gerade für Informierte und Engagierte. Nicht Ausflüchte vor dem Handeln, sondern Anreiz zum Handeln. All dies sind Fragen, die im Atheismus zutiefst unbeantwortet bleiben. Dagegen die These: Das Ja zu Gott bedeutet ein letztlich begründetes Grundvertrauen zur Wirklichkeit: Der Gottesglaube als das radikale Grundvertrauen vermag die Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Wer Gott bejaht, weiß, warum er der Wirklichkeit vertrauen kann.
Der Gottesglaube lebt aus einem letztlich begründeten Grundvertrauen: Im Ja zu Gott entscheide ich mich vertrauensvoll für einen ersten Grund, tiefsten Halt, ein letztes Ziel der Wirklichkeit. Im Gottesglauben erweist sich mein Ja zur Wirklichkeit als letztlich begründet und konsequent: ein in der letzten Tiefe, im Grund der Gründe verankertes und auf das Ziel der Ziele gerichtetes Grundvertrauen. Mein Gott-Vertrauen als qualifiziertes, radikales Grundvertrauen vermag also die Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Insofern zeigt es, anders als der Atheismus, eine radikale Rationalität, die freilich nicht einfach mit Rationalismus verwechselt werden darf.
Nein, es gibt kein Patt zwischen Gottesglauben und Atheismus! Der Preis, den der Gottesglaube für sein Ja erhält, ist offenkundig. Weil ich mich statt für das Grundlose für einen Urgrund, statt für das Haltlose für einen Urhalt, statt für das Ziellose für ein Urziel vertrauensvoll entscheide, vermag ich nun mit gutem Grund bei aller Zwiespältigkeit eine Einheit, bei aller Wertlosigkeit einen Wert, bei aller Sinnlosigkeit einen Sinn der Wirklichkeit von Welt und Mensch zu erkennen. Und bei aller Ungewißheit und Ungesichertheit, Verlassenheit und Ungeborgenheit, Bedrohtheit, Verfallenheit, Endlichkeit auch meines eigenen Daseins ist mir vom letzten Ursprung, Ursinn und Urwert her eine radikale Gewißheit, Geborgenheit und Beständigkeit geschenkt – geschenkt-. Freilich nicht einfach abstrakt, isoliert von den Mitmenschen, sondern immer in einem konkreten Bezug zum menschlichen Du: Wie anders soll insbesondere der junge Mensch erfahren, was es heißt, von Gott angenommen zu sein, wenn er von keinem einzigen Menschen angenommen ist?
So erhalten jene letzten und nächsten Fragen des Menschen eine zumindest grundsätzliche Antwort, mit der der Mensch leben kann: eine Antwort aus der allerletzten-allerersten Wirklichkeit Gottes. Und um das ganze Gewicht der Antwort zu ermessen, lese man jetzt nochmals den vorausgegangenen Abschnitt „Was sich änderte, wenn“!
Gottesglaube rational verantwortet
Es ist nach all dem offensichtlich: Von einem Patt, einem Unentschieden zwischen Gottesglauben und Atheismus kann keine Rede sein. Der Mensch erscheint denn auch nicht einfach indifferent gegenüber der Entscheidung zwischen Atheismus und Gottesglauben. Er ist schon vorbelastet: An sich möchte er die Welt und sich selbst verstehen, möchte auf die Fraglichkeit der Wirklichkeit eine Antwort, möchte die Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit erkennen, möchte um einen ersten Grund, einen tiefsten Halt und ein letztes Ziel der Wirklichkeit wissen, möchte den Ursprung, Ursinn, Urwert kennen. Das Urfaktum Religion gründet hier.
Doch auch hier bleibt der Mensch – in Grenzen – frei. Er kann Nein sagen. Er kann mit Skepsis alles aufkeimende Vertrauen zu einem letzten Grund, Halt und Ziel ignorieren oder gar ersticken: Er kann, vielleicht durchaus ehrlich und wahrhaftig, ein Nichtwissen-Können bezeugen: Agnostizismus mit Tendenz zum Atheismus; oder er kann eine durchgängige Nichtigkeit, eine Grund- und Ziellosigkeit, Sinn- und Wertlosigkeit der ohnehin fraglichen Wirklichkeit behaupten: Atheismus mit Tendenz zum Nihilismus. Wie schon beim Grundvertrauen, so gilt auch hier: Ohne Bereitschaft keine Einsicht, ohne Öffnung kein Empfangen! Und selbst wenn ich Ja zu Gott sage, bleibt das Nein ständige Versuchung.
Aber wie das Grundvertrauen, so ist auch das Gott-Vertrauen keineswegs irrational. Wenn ich mich der Wirklichkeit nicht verschließe, sondern mich ihr öffne, wenn ich mich dem allerletzten-allerersten Grund, Halt und Ziel der Wirklichkeit nicht entziehe, sondern es wage, mich dran- und hinzugeben: So erkenne ich zwar nicht bevor, aber auch nicht nur erst nachher, sondern indem ich dies tue, daß ich das Richtige, ja im Grunde das „Allervernünftigste“ tue. Denn, was sich im voraus nicht beweisen läßt, das erfahre ich im Vollzug, im Akt des anerkennenden Erkennens selbst: Die Wirklichkeit vermag sich in ihrer eigentlichen Tiefe zu manifestieren; ihr erster Grund, tiefster Halt, letztes Ziel, ihr Ursprung, Ursinn, Urwert schließen sich mir auf, sobald ich mich selber aufschließe. Zugleich erfahre ich in aller Fraglichkeit eine radikale Vernünftigkeit meiner eigenen Vernunft: Das grundsätzliche Vertrauen zur Vernunft ist von daher nicht irrational. Es ist rational begründet. Die letzte und erste Wirklichkeit, Gott, erscheint so geradezu als der Garant der Rationalität der menschlichen Ratio!
Wenn der Mensch im Gottesglauben das „Allervernünftigste“ tut, um was für eine Art von Rationalität handelt es sich hier? Diese Rationalität ist derjenigen des Grundvertrauens ähnlich:
• Keine äußere Rationalität, die eine abgesicherte Sicherheit verschaffen könnte: Die Existenz Gottes wird nicht zuerst vernünftig bewiesen oder aufgewiesen und dann geglaubt, was so die Rationalität des Gottesglaubens garantierte. Nicht zuerst rationale Erkenntnis Gottes, dann vertrauende Anerkenntnis. Die verborgene Wirklichkeit Gottes zwingt sich der Vernunft nicht auf,
• Eine innere Rationalität vielmehr, die eine grundlegende Gewißheit gewähren kann: Im Vollzug, durch die „Praxis“ des wagenden Vertrauens zu Gottes Wirklichkeit, erfährt der Mensch bei aller Anfechtung durch Zweifel die Vernünftigkeit seines Vertrauens: gegründet in einer letzten Identität, Sinn- und Werthaftigkeit der Wirklichkeit, in ihrem Urgrund, Ursinn, Urwert.
Ist so nun der Zusammenhang zwischen Grundvertrauen und Gottesglauben nicht offenkundig geworden? Material gesehen bezieht sich das Grundvertrauen auf die Wirklichkeit als solche (und auf mein eigenes Dasein), das Gott-Vertrauen aber auf Urgrund, Urhalt und Urziel der Wirklichkeit. Trotzdem zeigen Grundvertrauen und Gott-Vertrauen, formal gesehen, eine analoge Struktur, die im materialen Zusammenhang (bei allem Unterschied) von Grundvertrauen und Gott-Vertrauen ihre Wurzel hat. Denn: Wie das Grundvertrauen, so ist auch der Gottesglaube
• eine Sache nicht nur der menschlichen Vernunft, sondern des ganzen konkreten lebendigen Menschen: mit Geist und Leib, Vernunft und Trieben, in seiner ganz bestimmten geschichtlichen Situation, in der Abhängigkeit von Traditionen, Autoritäten, Denkgewohnheiten, Wertschemata, mit seinen Interessen und in seiner gesellschaftlichen Verflochtenheit. Von dieser „Sache“ kann der Mensch nicht reden und sich selber aus der „Sache“ heraushalten;
• also überrational: Wie für die Wirklichkeit der Wirklichkeit, so gibt es auch für die Wirklichkeit Gottes keinen -logisch zwingenden Beweis. Der Gottesbeweis ist so wenig wie die Liebe logisch zwingend. Das Gottesverhältnis ist ein Vertrauensverhältnis;
• aber nicht irrational: Es gibt eine von der menschlichen Erfahrung ausgehende und an die freie menschliche Entscheidung appellierende Reflexion über die Wirklichkeit Gottes. Der Gottesglaube läßt sich gegenüber einer rationalen Kritik rechtfertigen. Er hat einen Anhalt an der erfahrenen fraglichen Wirklichkeit selbst, die erste und letzte Fragen nach der Bedingung ihrer Möglichkeit aufgibt;
• somit eine nicht blinde und wirklichkeitsleere, sondern eine begründete, wirklichkeitsbezogene und im konkreten Leben rational verantwortete Entscheidung: Ihre Relevanz wird an der Wirklichkeit der Welt und des Menschen für die existentiellen Bedürfnisse wie die gesellschaftlichen Verhältnisse ersichtlich;
• im konkreten Bezug zum Mitmenschen vollzogen: Ohne die Erfahrung eines Angenommenseins durch Menschen scheint die Erfahrung eines Angenommenseins durch Gott schwierig zu sein;
• nicht ein für allemal gefaßt, sondern stets neu zu realisieren: Nie ist der Gottesglaube gegenüber dem Atheismus durch rationale Argumente unangreifbar und krisenfest abgesichert. Der Gottesglaube ist stets bedroht und muß gegenüber den andrängenden Zweifeln stets in neuer Entscheidung realisiert, durchgehalten, gelebt, errungen werden: Der Mensch bleibt auch gegenüber Gott selbst in den unaufhebbaren Gegensatz zwischen Vertrauen und Mißtrauen, Glauben und Unglauben gestellt. Aber gerade durch alle Zweifel hindurch bewährt sich das Ja zu Gott in Treue zur einmal getroffenen Entscheidung: es wird ein geprüfter und bewährter Gottesglaube.
Gottesglaube als Geschenk
Gottesglaube ist vertrauende Entscheidung des Menschen, ist meine Tat. Dies hat mit Rationalismus oder Pelagianismus nichts zu tun. Denn wie schon angedeutet: Nicht schon vorher – aufgrund eines Beweises oder Aufweises –, sondern erst indem ich mich vertrauend auf sie einlasse, eröffnet mir die Wirklichkeit selber ihren ersten Grund, tiefsten Halt, ihr letztes Ziel. Deshalb gilt der Satz: Ohne Bereitschaft zur vertrauenden Anerkenntnis Gottes (die praktische Konsequenzen hat!), gibt es keine rational sinnvolle Erkenntnis Gottes! Wie beim Grundvertrauen, so wird von mir auch beim Gott-Vertrauen ein Vorschuß, ein Wagnis, ein Risiko erwartet.
Aber wie das Grundvertrauen, so läßt sich auch das Gott-Vertrauen nicht einfach beschließen, wollen, erzwingen oder machen. Letzte Gewißheit, Geborgenheit, Beständigkeit kann ich mir nicht einfach selber schaffen oder verschaffen. Gott … ist kein unmittelbarer Gegenstand der Erfahrung; er gehört nicht zum Seienden, zu den in der Erfahrung vorfindbaren Objekten: Keine Intuition oder Spekulation, keine direkte Erfahrung oder unmittelbare Erkenntnis vermag ihn zu „schauen“. Gerade so erscheint der Gottesglaube als Geschenk:
Es ist die rätselhafte Wirklichkeit selbst, die mich – oft wider den Augenschein – einlädt und herausfordert, mich grundsätzlich auf einen Urgrund, einen Urhalt, ein Urziel in ihr einzulassen, und mir so mein Gott-Vertrauen ermöglicht.
Es ist die rätselhafte Wirklichkeit selbst, bei der sozusagen die „Initiative“ liegt: die mir den verborgenen Ursprung, Ursinn und Urwert auch meines eigenen Daseins manifestiert.
Es ist die rätselhafte Wirklichkeit selbst, die mir die „Vertrauensbasis“ liefert für jenes „Vertrauensvotum“, das für Gottes Wirklichkeit in dieser Weltwirklichkeit abgegeben werden soll.
Es ist die rätselhafte Wirklichkeit selbst, die mir ermöglicht, daß bei allem Zweifel, aller Angst und Verzweiflung die Geduld im Blick auf die Gegenwart, die Dankbarkeit im Blick auf die Vergangenheit, die Hoffnung im Blick auf die Zukunft letztlich begründet ist. Somit gilt:
Der Gottesglaube ist ein Geschenk! Die Wirklichkeit ist mir vorgegeben. Schließe ich mich nicht ab, sondern öffne ich mich der sich öffnenden Wirklichkeit ganz, so kann ich ihren ersten Grund, ihren tiefsten Halt, ihr letztes Ziel glaubend annehmen: Gott, der sich als Ursprung und Urwert offenbart!
Offenbart? Ist es theologisch gestattet, im Zusammenhang der allgemeinen – und gerade nicht spezifisch christlichen – Gotteserkenntnis von „Offenbarung“ zu reden? Daß Gott im christlichen Verständnis von allen Menschen, auch den Nichtjuden und Nichtchristen, erkannt werden kann, haben wir dargelegt: Dies wird vom ganzen Alten und Neuen Testament, von der gesamten katholischen, orthodoxen und reformatorischen Tradition (mit Ausnahme der Dialektischen Theologie) als selbstverständlich vorausgesetzt und auch von der Religionsgeschichte bestätigt. Und gerade der Apostel Paulus, der sonst über die Heiden als Gruppe pauschal negativ urteilen kann, setzt im Römerbrief nicht nur eine faktische Gotteserkenntnis der Heiden aufgrund der Welterkenntnis voraus, sondern spricht geradezu von „Offenbarung“: „Weil das, was man von Gott erkennen kann, unter ihnen offenbar ist; denn Gott hat es ihnen geoffenbart. Sein unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, ist ja seit Erschaffung der Welt, wenn man es in den Werken betrachtet, deutlich zu ersehen, damit sie keine Entschuldigung haben, deshalb, weil sie Gott zwar kannten, ihm aber doch nicht als Gott Ehre und Dank erwiesen.“ Dies wird im Johannesprolog und besonders – mit Entschuldigung der Heiden und ihres Nichtwissens – in der Apostelgeschichte bestätigt. Gott existiert; es ist legitim, hier von Offenbarung und auch von Gnade zu reden.
„Existiert Gott?“ (1978), S. 624–640
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