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We Burn the Sun We Burn the Sun - eBook-Ausgabe

Anika Beer
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Roman

— Ein Zeitreise-Roman für Fans von „Inception“ und „Fluch der Karibik“
Paperback (17,00 €) E-Book (5,99 €)
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We Burn the Sun — Inhalt

2091: Im überfluteten New York wird die Diplomatin Viv Hargreeves mit der Aufklärung einer brutalen Mordserie beauftragt. Ihre größte Hoffnung auf Erfolg: die Physikerin Sorcha Brennan und ihre Maschine, die alternative Zeitlinien öffnet. Doch die kämpft an der Seite berüchtigter Piraten. Erst als ein besonders kühner Coup entsetzlich schiefgeht und Sorchas große Liebe getötet wird, sieht die Piratin sich gezwungen, mit Viv zusammenzuarbeiten. Auf einer wilden Jagd durch die Zeit werden die Feindinnen zu Verbündeten. Aber können sie einander wirklich vertrauen? 

€ 17,00 [D], € 17,50 [A]
Erscheint am 02.05.2025
480 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-70645-2
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€ 5,99 [D], € 5,99 [A]
Erscheint am 02.05.2025
480 Seiten
EAN 978-3-492-60947-0
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Leseprobe zu „We Burn the Sun“

Tag 922

40°N 72°W

3. Mai 2091, 11:47

an Bord der Revery


Der Anfang war immer schwarz.

Tintenschwarz. Nachtschwarz. Nichtsschwarz.

Bis auf diesen einen Punkt aus Licht.

Er war so winzig, dass es unmöglich sein sollte, ihn überhaupt zu sehen. Es war unmöglich. Kein Binokular der Welt konnte Photonen so verstärken, dass sie mit bloßem Auge sichtbar waren, und doch … Je länger Sorcha die Brauenbögen gegen die Sichtrohre der Maschine presste, desto deutlicher erkannte sie es: das Licht, das sich zu einem verschwindend kleinen Punkt zusammenzog, während es sich [...]

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Tag 922

40°N 72°W

3. Mai 2091, 11:47

an Bord der Revery


Der Anfang war immer schwarz.

Tintenschwarz. Nachtschwarz. Nichtsschwarz.

Bis auf diesen einen Punkt aus Licht.

Er war so winzig, dass es unmöglich sein sollte, ihn überhaupt zu sehen. Es war unmöglich. Kein Binokular der Welt konnte Photonen so verstärken, dass sie mit bloßem Auge sichtbar waren, und doch … Je länger Sorcha die Brauenbögen gegen die Sichtrohre der Maschine presste, desto deutlicher erkannte sie es: das Licht, das sich zu einem verschwindend kleinen Punkt zusammenzog, während es sich bereits in Wellen wieder auflöste, hin und her fluktuierte, sich dehnte und waberte. Glimmerspuren sickerten in die Schwärze, streckten sich nach den Gegenstücken des Quantums, mit denen es womöglich verschränkt war; jedes an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit, in einer anderen Realität. Der Anblick war immer aufs Neue hypnotisierend.

Ein Schaudern überzog Sorchas Haut vom Kopf bis in die Zehenspitzen. Ihre Hand am Hebel zitterte. Sie hatte die Maschine in den letzten zweieinhalb Jahren so oft benutzt, dass sie etwas zu genau wusste, wie es sich anfühlte, ihn umzulegen. Als öffnete sich der Spalt in ihrer Wahrnehmung bereits, obwohl sie noch nichts getan hatte, außer die fünfdimensionalen Koordinaten in Raum, Zeit und Licht in das Bedienfeld einzugeben. Ein Sprung in ihrer Wirklichkeit, der sich mit jeder Erschütterung weiter verästelte.

Wie viele solcher Risse konnte ein Bewusstsein wohl aushalten, ehe es endgültig zersplitterte?

Stopp. Bleib bei der Sache. Setz den Fixpunkt. Jetzt.

Furcht sickerte durch den Riss in ihre Gedanken; eine Furcht, von der sie nicht wusste, ob sie aus einer möglichen Zukunft kam oder bloß ein Symptom ihrer Nervosität war. Sobald sie den Hebel umlegte, würde sie all die Möglichkeiten sehen, wie die heutige Mission ausgehen konnte. Würde wissen, ob eins ihrer zukünftigen Ichs es für nötig gehalten hatte, sich selbst eine Nachricht durch die Zeit zu schicken. Ob der Raid schiefgegangen war. Wie oft. Und auf welche Weise.

Rational war es die einzig sinnvolle Entscheidung, diese Informationen abzurufen, bevor die Mission begann. Aber …

… was, wenn ihre Realität keine weitere Fragmentierung aushielt? Wenn dieses Mal das eine Mal zu viel war; wenn sie zerbrach, falls sie sich jetzt einen weiteren Riss zufügte?

Das Knarren der Tür hinter ihr schreckte sie auf. Eine hagere Silhouette zeichnete sich gegen das schummrige Licht auf dem Unterdeckflur ab.

„Was gibt’s, Cicatriz?“ Sorchas Stimme steckte weit hinten in ihrer Kehle fest, unangenehm eingedrückt.

„Wir sind da. Bist du so weit?“

Erst jetzt wurde Sorcha bewusst, dass das Vibrieren und Summen des Schiffsmotors zum Stillstand gekommen war. Stattdessen hörte sie die Wellen, die gegen den Rumpf der Revery brandeten und den Boden von einer Schieflage zur anderen schwanken ließen. Ihre Gedanken schwankten mit, hin und her, ja oder nein. Die Hand am Hebel zuckte erneut.

Sorcha schloss die Finger fest um den Griff, spürte den Kunststoff unter der schwitzigen Haut ihrer Handfläche rutschen – und traf die Entscheidung. Sie ließ den Hebel los und stand auf. Streifte die Neurofeedback-Manschetten von den Armen und Knien, zupfte das Tape von der Nackenwirbelsäule und zog das Netzgeflecht mit den Elektroden von ihrem Kopf. „Gerade fertig.“

Sie konnte den Blick des Quartiermeisters nicht sehen, nur spüren. Undeutbar wie immer. Sorcha straffte das ungewohnt elegante Kleid über ihrer Hüfte, glättete mit den Fingern, was an der Hochsteckfrisur in Unordnung geraten war, und schaltete die Maschine aus.

Es war unmöglich, ein einzelnes Photon zu sehen. Trotzdem fühlte es sich an, als würde es noch dunkler im Raum.

„Kann losgehen.“

Sie sah nicht zurück, als sie die Tür hinter sich abschloss und Cicatriz den Schlüssel in die Hand drückte.

Besser, einen klaren Kopf zu haben. Besser, dem Tag ohne multidimensionale Angst entgegenzugehen. Besser, sich sicher zu sein, dass was sie sehen, hören und spüren würde, auch tatsächlich hier und jetzt geschah und nicht irgendwo anders.

Und besser, nicht darüber nachzudenken, ob sie womöglich gerade einen fatalen Fehler beging.


Tag 922

40°N 72°W

3. Mai 2091, 11:55

an Bord der Revery


Die See war unruhig. Ein böiger Wind wechselte immer wieder die Richtung und ließ die gerafften Segel in ihren Halterungen rumoren. Unter Sorchas Füßen vibrierten die Stufen zur Backbordnock auf der Brücke, synchron mit dem Ächzen und Stöhnen verschweißter Stahlplatten im Wellengang, der die Revery von ihrer Position zu schieben versuchte.

Sorcha fühlte sich wie das Schiff, das vergeblich an seinem Anker zerrte. Auch sie hätte sich in diesem Moment gern losgerissen und wäre vorgestürmt, und sie hätte viel dafür gegeben, im Kraftstoffmechanikraum zu sein oder wenigstens am Kontrollpanel für die Seilzüge.

Keine Chance. Ihre Position war heute eine andere. Selbst wenn sie noch so gern in den Wind gebrüllt oder auf Knöpfe geschlagen hätte.

Vince stand an der Reling, das Fernrohr vor dem Auge und auf die Wasserstadt gerichtet, die sich wie eine überdimensionierte Lotosblüte eine halbe Seemeile voraus aus den bleigrauen Wellen erhob. Oberhalb der Blattspitzen aus schlanken Glas- und Stahltürmen war die Wolkendecke aufgerissen, und breite Lichtfinger wiesen auf die Stadt, als sei sie wirklich die heilige Arche, die göttliche Rettung, nach der sie benannt worden war.

„Cheerio, lang lebe die Elite.“ Vince stieß einen Laut aus, der halb Schnauben, halb Lachen war. „Party hard.“

Sorcha legte die Umhängetasche zu ihren Füßen ab, die Cicatriz für sie vorbereitet hatte. Ihre Mundwinkel zuckten. „Die even harder.“ Der Zynismus fühlte sich rauer an als sonst, belegt von der Anspannung, die sich seit Stunden in ihr aufstaute.

Sie lehnte die Unterarme auf die Reling und sah aus dem Augenwinkel zu Vince. Es war ein enervierend ungewohnter Anblick, Captain Frigatebird ganz in schwarz zu sehen; so gedeckt, unterdrückt geradezu in dem eleganten Dreiteiler über dem Seidenhemd. Es war, als wäre mit den Farben auch die übliche Expression verschwunden. Die große Gestik, die entschlossene Wut, die sonst jedes von Vince’ Worten begleiteten, eingesperrt vom steifen Schnitt der Kleidung. Oder vielmehr: höchst konzentriert nach innen gerichtet. Wie ein Loch voll tödlicher Energie, die summend auf Sorchas Haut kribbelte und in Vince’ pechschwarzen Haaren tanzte, die als einziges noch wild und frei im Wind flatterten.

Enervierend trifft es.

Nicht enervierender allerdings, als selbst in diesem luxuriösen Etuikleid aus Seide zu stecken, das zu Vince’ Hemd passte. Neben der viel zu teuren Handtasche voller Sprengladungen stand der Aktenkoffer mit dem Fernzünder.

Hoffentlich lassen sie uns nicht zu lange warten.

„Und wenn das Zeichen nicht kommt?“ Edna war aus dem Ruderhaus hinter sie getreten. Ihr kurzes friesenblondes Haar leuchtete fahl im sturmgrauen Licht. „Wenn sich Aurora geirrt hat? Wenn sie uns verarscht haben? Was dann, Captain?“

Vince ließ das Fernrohr sinken, drehte sich um und sah zu Edna auf, ein gefährliches Lächeln auf den Lippen. „Dann zeigen wir ihnen, was Mayhem bedeutet.“

Ein Schauer rieselte Sorchas Rückgrat hinunter. Sie war sich nicht sicher, was es mit ihr machte, dass sie beide so verkleidet hier standen – so weit entfernt von ihrem üblichen Selbst und zugleich so nah dran an ihrem großen Ziel: der High Society der USA einen bis in die Grundfesten erschütternden Schlag zu versetzen. Es fühlte sich unwirklich an, aber auch überwältigend lebendig; so elektrisierend, dass ein Stromstoß durch ihren Körper jagte, als Vince ihr das Fernrohr reichte und ihre Hände sich dabei berührten. Für einen Moment verfingen sich ihre Blicke ineinander.

Mayhem: Blut und Chaos.

Die Welt würde brennen, noch bevor der Tag vorbei war. Ob sie nun mit ihr brannten oder nicht.

„Keine Sorge. Sie sind da.“ Auch in Vince’ Stimme hörte sie jetzt ein Beben. „Sieh mal auf 11 Uhr. Oben auf dem Dach.“

Sorcha kniff ein Auge zu und hob das Fernrohr ans andere. Wie immer brauchte sie einen Moment, um ihre Sicht auf die plötzliche Größe und die Details einzustellen. Dann aber erkannte sie die Festgesellschaft in ihren feinen Abendgarderoben, Champagnerflöten und Brandyschwenker in den Händen, wie sie an der Uferpromenade entlang flanierten, lachten und einander beglückwünschten in ihrer Bigotterie und dem verdrehten Glauben, sie würden hier tatsächlich den Teil der Menschheit retten, den zu retten sich lohnte. NOAH#04, die sogenannte „Arche für alle“, feierte Richtfest und zugleich ihren Untergang, aber das wussten die Leute dort drüben jetzt noch nicht.

Sorcha schwenkte den Blick weiter, auf 11 Uhr, wie Vince gesagt hatte. Ein etwas kleineres Hochhaus kauerte dort zwischen den anderen; es wirkte geradezu plump und gedrungen im Vergleich zu den eleganten Fassaden, die es umgaben. Ein Bürogebäude, Teil der zukünftigen Energieverwaltung vielleicht. Auf seinem Dach schwankte, wie auf allen anderen Dächern an diesem Tag, ein Richtkranz aus bunten Bändern im Seewind, aber das war es nicht, was Sorchas Aufmerksamkeit auf sich zog.

Unter dem Kranz stand eine Person.

Sie trug ein dunkelviolettes Cocktailkleid und eine etwas zu große goldene Handtasche. In der Hand hielt sie ein flaches, schwarzes Kästchen, das Sorcha auch auf die Entfernung sofort erkannte. Ein One-Way-Transmitter, den sie vor ein paar Wochen erst selbst moduliert hatte. Das Gegenstück dazu zog Vince gerade aus der Hosentasche. Kein Zweifel, das musste ihr Kontakt sein. Die Person, die ihnen die Tore zum Fest öffnen würde.

Sorcha versuchte, sich das Gesicht genau einzuprägen, den Blick der braunen Augen unter dem aschblonden Soft Undercut, den entschlossenen Zug um den Mund, die Art, wie sie die freie Hand auf den Verschluss der Tasche legte, als müsse sie einen Schatz bewachen. Ihre Miene war kritisch – für sie war hier draußen nur das leere Meer zu sehen. Sie konnte nicht wissen, ob wirklich jemand auf ihr Zeichen wartete oder ob sie sich umsonst angreifbar machte. Und trotzdem stand sie dort und hantierte mit dem Transmitter herum. Wer genau war diese Person, und warum half sie ihnen?

„Eine kleine revoltistische Splittergruppe, die den Rat von innen heraus bekämpfen will“, hatte Captain Aurora über ihre heutigen Verbündeten gesagt. Sorcha wäre es wohler gewesen, wenn sie mehr darüber gewusst hätte. Schwer zu sagen, ob Aurora selbst weitere Details kannte. Sie ließ sich seit jeher äußerst ungern in die Karten schauen.

Trotz des kühlen Windes breitete sich Hitze in Sorchas Nacken aus, überzog ihre Stirn und ihre Wangen. Eine ungewohnte Leere schwamm in ihrem Kopf; die Ungewissheit, eine offenbar wichtige Figur tatsächlich zum allerersten Mal zu sehen. Nicht zu wissen, was sie tun würde oder auch nur tun konnte. Ihre Hand am Fernrohr begann, zu schwitzen.

Es war zu spät, sich umzuentscheiden. Zu spät, die Maschine doch noch zu benutzen. Denn in diesem Moment vibrierte der Transmitter in Vince’ Hand, und Vince drehte ihn mit vielsagendem Grinsen in Sorchas und Ednas Richtung. Sorcha nahm das Fernrohr vom Auge, um die Buchstaben auf dem Pager-Display zu lesen.

PASSAGE FREIGEGEBEN. SIGNAL WEITERLEITEN?

Eine Gänsehaut kroch über ihre Arme, die nichts mit dem Wind zu tun hatte. Doch als sie das Fernrohr wieder aufnahm und noch einmal zur Stadt und dem Hochhaus sah, war die Person im violetten Kleid verschwunden.

„Siehst du, Ed?“, sagte Vince. „Es geht los. Auf deinen Posten. Wenn wir zurückkommen, haben wir eine neue Stadt. Und einen Haufen stinkreicher Geiseln.“

Edna starrte noch einen langen, anklagenden Moment auf Vince herunter. „Ich glaube immer noch, dass es eine Falle ist.“ Schroff wandte sie sich ab, und ihre hünenhafte Gestalt verschwand im Ruderhaus.

Vince zwinkerte Sorcha zu und strich sich die langen schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, als der drehende Wind sie in eine neue Richtung trieb. „Also. Bereit?“

Sorcha zuckte die Schultern und verkniff es sich, die Gänsehaut von ihren Armen zu reiben. „Ist schwer, bereit zu sein, wenn man nicht weiß, ob man gleich in die Luft fliegt.“

Vince hob eine Braue; musterte sie eine Spur zu lange – und Sorcha wusste, in genau diesem Moment hatte sie sich verraten. Vince wusste nun, dass sie die Maschine nicht benutzt hatte. Sie schloss ihre Hand fester um die Reling und zwang sich, dem Blick standzuhalten.

Doch Vince zuckte bloß ebenfalls die Schultern, sanft, wie wegwerfend, und nahm ihr das Fernrohr wieder ab, um es erneut auf die Stadt zu richten. „Wahre Worte. Aber findest du es nicht auch ein bisschen romantisch, gemeinsam zu explodieren?“

Sorcha sah in Vince’ konzentriertes Profil und auf die harte Kieferlinie, die den lockeren Tonfall und das Lächeln Lügen strafte. Dankbarkeit brach sich in ihr wie eine Welle.

Vertrauen. So ein absolutes Vertrauen.

Sie rückte einen Schritt näher. „Glaub es oder nicht, auf eine verdrehte Art schon.“

„Anker lichten“, erklang in diesem Moment Ednas Stimme aus den Audioplugs. „Leichten Schub für den Kurzstreckendrift einleiten.“

„Aye“, kam augenblicklich Cicatriz’ leicht verzerrte Antwort vom Unterdeck, „Aye!“, ertönte auch die Bestätigung der Zwillinge im Maschinenraum, und tief im Schiffsbauch der Revery sprang nahezu lautlos der Motor wieder an und ließ Stahl, Holz und Seil erzittern.

Vince lachte leise. „Jetzt ist es sowieso zu spät, weißt du.“

Zu spät. Für alles. Ja, das ist es.

Sorcha schloss für einen Moment die Augen, lauschte auf das Beben und Vibrieren, das sich mit dem Trommeln ihres Herzens vermischte. Zoll um Zoll schob die Revery sich vor, auf die unsichtbare Barriere zu, die die Wasserstadt umgab. Je näher sie kamen, desto imposanter ragte NOAH#04 vor ihnen auf. Selbst das Leuchten der Sonnenfinger verblasste im Schatten der blattförmig gewölbten Hochhäuser und des hochaufragenden Stempelturms im Zentrum. Sorcha hatte sich an Bord der Revery selten so klein gefühlt wie zu Füßen dieses schillernden Kunstwerks von einer Stadt.

Ein statisches Flirren durchzuckte die Luft, als der Bug auf die unsichtbare Barriere traf, die NOAH#04 vor unbefugten Näherungsversuchen schützte – laut Auroras Informationen das einzige, aber dafür umso effektivere Abwehrsystem, das sie in der noch unbewohnten Stadt zu fürchten hatten.

Sorcha griff nach Vince’ Hand. Wind- und gischtkalte Finger verschränkten sich fest mit ihren. Quälend langsam glitt die Revery durch die Barriere hindurch; fast glaubte Sorcha, die Statik auf ihrer eigenen Haut kribbeln zu spüren. Noch ein Stück, nur ein kleines. Sie schloss erneut die Augen, als elektrische Entladungen sich in den Stahlseilen der Takelage weit über ihnen verfingen und über den Blitzableiter tanzten. Noch ein Stück. Noch eines.

Sorcha öffnete die Augen.

Das Flirren verglomm.

Das Kribbeln verblasste.

Stille. Für einen endlosen Moment wagte Sorcha nicht, zu atmen. Doch auch Sekunden später lag nur der Schatten der Stadt schwer auf ihrem Deck.

„Wir sind drin“, flüsterte Vince heiser und hob erneut das Fernrohr ans Auge. „Anker setzen! Gleiter klarmachen!“

„Aye, Captain!“

Auch das Zittern des Motors verstummte. Stattdessen zuckte nun ein Lachen in Vince’ Brust, das sich durch den Kontakt ihrer Finger auf Sorcha übertrug. „Sie haben nichts gemerkt. Sie feiern einfach weiter.“

Auch Sorcha lachte auf, ein rauer Ausbruch all der Erleichterung, von der sie kaum wusste, wohin mit ihr. „Die armen Schweine.“

Sie tauschten einen Blick, der sich wie ein Stempel in Sorchas Erinnerungen an diesen Moment brannte.

„Nein. Sie verdienen alles, was jetzt kommt.“ Damit drückte Vince ihr das Fernrohr in die Hand und war mit ein paar Schritten bei der alten Schiffsglocke neben der Tür zum Ruderhaus. „Zeit für Phase Zwei.“

Mit entschlossener Wucht traf der Klöppel auf den Glockenkorpus. Der satte Klang wurde fast augenblicklich vom Wind geschluckt. Es war schwer zu sagen, wie weit er überhaupt trug, und doch … weit genug, dass kurz darauf ein vielstimmiges Echo auf dem scheinbar so leeren Meer hinter ihrem Heck ertönte, ein wenig versetzt wie ein Geisterchor aus dem Nebel, der sich immer weiter über das bleigraue Wasser verzweigte.

246 Piratenschiffe, ebenso im Tarnmodus wie sie, hatten die Botschaft gehört. Und Sorcha wusste, auf jedem dieser Schiffe bereitete nun jemand einen Transmitter vor, um das kopierte Signal von der Revery zu empfangen und weiterzuleiten – so lange, bis jedes einzelne Schiff gefahrlos die Grenze zu den Gewässern von NOAH#04 passieren konnte, wenn die Zeit gekommen war.

Nichts würde den Fall der Wasserstadt an die Freie Republik New Florida jetzt noch aufhalten.

Der Raid hatte begonnen.

 

Endlich rannten sie wieder. Eilten die knarrenden Treppen hinunter und über das schwankende Deck.

Bei den Gleiterports warteten Cicatriz und die Zwillinge. Vince warf Loraj den Transmitter zu, kaum dass sie in Reichweite waren, und löste mit einer energischen Bewegung die Verriegelung der Gleiterluke. „Unser Kontakt hat den Tracker eingeschaltet. Das wird eine Wünschelruten-Navigation, aber vermutlich geht’s Richtung Südsüdwest.“

„Aye, Captain.“ Loraj kletterte voran, durch die Luke auf den Steuersitz ihres Gleiters, um den Transmitter in die Steuerkonsole zu klemmen. Während sich Vince hinter ihr auf den Sitz schwang und Zèklè über den schmalen Steg außen am Rumpf balancierte, um den zweiten Gleiter startklar zu machen, nutzte Sorcha die Gelegenheit für ein letztes Wort an Cicatriz. Der Quartiermeister hatte sich in den Schatten nahe dem Treppenaufgang zurückgezogen und beobachtete ihren Aufbruch mit verschränkten Armen; wartete schweigend ab, ob er noch gebraucht würde.

„Du verteidigst diesen Schlüssel mit deinem Leben, ja?“

Cicatriz’ hageres Gesicht zeigte kaum eine Regung. Nur die brandvernarbte Haut um seine Kieferpartie, die ihm seinen Namen gab, kräuselte sich ein wenig – etwas, das Sorcha in den Jahren ihrer Bekanntschaft als Schmunzeln zu erkennen gelernt hatte.

„Ich weiß von keinem Schlüssel. Und ich nehme nur Befehle vom Captain entgegen.“

Trotz aller Anspannung schlich sich auch auf Sorchas Lippen ein Lächeln, und sie atmete auf. „Danke.“

„Sorcha!“, rief Loraj vom Gleiter aus. „Alàs!“

„Bin schon da.“ Sorcha nickte Cicatriz noch einmal zu, dann kletterte sie ebenfalls durch die Luke. Zèklè gebärdete ihr energisch „Beeilung!“, entgegen, und Sorcha schwang sich rasch hinter ihn auf den zweiten Gleiter. Es zischte, als der Vakuumverschluss sich löste und das Gefährt freigab. Für eine Schrecksekunde sackte der Gleiter ein Stück ab, ehe Zèklè den Steuerknüppel anzog. Und sie flogen.

 

Der Tracker führte sie über windgepeitschtes Wasser und weiße Wellenkronen, in einem Bogen ein Stück um die Stadt herum zu einem unscheinbaren Anleger – nicht allzu weit von der Bucht, in der die eigentliche Party stattfand, und in Sichtweite jenes Hochhauses auf 11 Uhr. Die noch unbewohnten Gebäudekomplexe ringsum starrten aus leblosen Fensterhöhlen auf den langen Pier und die Uferplattform mit der niedrigen Kaimauer, die ebenfalls verlassen war.

Bis auf die einsame Person im dunkelvioletten Kleid.

Sie stand dort, eine Hand auch diesmal auf den Verschluss ihrer Tasche gelegt, in der anderen ein teilweise ausgeklapptes Smartfold, auf dem sie mit raschen Daumenbewegungen herumwischte. Der Seewind zerzauste den dicken aschgoldenen Haarschopf, aber das schien sie nicht zu stören. Sie sah erst auf, als die Zwillinge den Tarnmodus der Gleiter abschalteten, gemächlich den Pier entlangglitten, als wären sie ganz normale Speedboote, und schließlich dicht bei der Kaimauer hielten, obwohl sie ohne Probleme auch über dem Land hätten schweben können.

„Ihr seid spät dran.“ Der Gang der Fremden war lässig und elegant, trotz der beeindruckend hohen Absätze, und ihre Stimme ein wenig rau. „Resiliência Oliveira. Willkommen auf NOAH#04. Mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?“

„Ioteba Teitikai. Freischaffender Designer für autarke Floating Homes.“ Vince sprang mit der üblichen Geschmeidigkeit an Land, und für einen Moment blieb Sorcha an dem Gedanken hängen, wie seltsam es sich anfühlte, wenn eine Wahrheit als Lüge ausgesprochen wurde.

Resiliência Oliveira musterte Vince derweil mit pragmatischer Objektivität. „Ah. Aus welcher indigenen Kultur stammt dieser Name?“

„Kiribati.“

Sie runzelte die Stirn und checkte kurz ihr Smartfold. „Versunkener Inselstaat, hm? Wird den meisten nichts sagen, das kannte schon niemand, als es noch existiert hat. Und für die, die es kennen, ist es vielleicht etwas over the top auf die Tränendrüse gedrückt. Was gängigeres, US-Amerikanisches wäre besser gewesen.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Halb so wild. Die Haare solltest du aber noch zusammenbinden.“

In Vince’ Miene rührte sich nichts, und hätte Resiliência Oliveira gewusst, dass das die gefährlichste aller Expressionen war, hätte sie ihre Worte vielleicht entschärft. So aber spürte nur Sorcha die eiskalte Wut in den Bewegungen, mit denen Vince den Kamm entgegennahm, den Resiliência Oliveira aus ihrer goldenen Handtasche zog.

„Und du? Was ist dein Name? Deine Story? Schönes Make-up übrigens.“ Der Blick der braunen Augen richtete sich nun auf Sorcha. „Ich denke, daran müssen wir nichts mehr machen.“

„Dr. Lise Meitner.“ Sorcha verschränkte die Arme vor der Brust. „Neurophysikerin aus Massachusetts.“ Es überraschte sie nicht, dass sich kein Erkennen in Resiliência Oliveiras Mimik zeigte. Als wäre der Name einer berühmten Kernphysikerin aus dem letzten Jahrhundert ein weitaus weniger offensichtliches Pseudonym als Vince’ ältester Eigenname.

„Schön. Das ist unkompliziert. Lassen wir so. Im Übrigen schlage ich vor, dass wir die Rufnamen benutzen. Das ist weniger umständlich, und dafür bin ich einfach immer.“ Resiliência nahm den Kamm wieder entgegen und musterte Vince noch einmal kritisch. „Gut. Lassen wir jetzt auch so. Ist ja sowieso nur, falls jemand fragt.“

Vince wandte sich an die Zwillinge, die noch immer auf den Gleitern am Ufer warteten, und nahm den unverzichtbaren Aktenkoffer von Loraj entgegen. „Wir signalisieren dem Schiff, wenn ihr uns abholen sollt.“

„Bleibt in der Nähe und haltet die Zusatz-Sprengladungen bereit“, sagten im gleichen Moment die Gesten, die die Worte begleiteten. Noch immer war da diese eiskalte Wut in jeder Bewegung. „Mayhem kommt vielleicht schneller als gedacht.“

Zèklè und Loraj tauschten einen vielsagenden Blick und formten mit den Fingern das Zeichen für Zustimmung. Dann legten sie die Steuerknüppel nach vorn, die Gleiter schossen davon und verschwammen schon bald mit den Wellen und dem sturmdüsteren Himmel.

Resiliência sah auf die Zeitanzeige ihres BioID-Armbands. „Perfekt. Dann lasst mich noch schnell eure IDs validieren. Wir müssen die nächste Besichtigungsgruppe am Washington Square erwischen, es ist schon die vorletzte. Wie gesagt, ihr seid spät dran.“

Sie zog einen Scanner aus ihrer Handtasche, tippte ein paarmal auf das Display und ließ ihn über Vince’ und Sorchas ID-Armbänder gleiten.

„Die Führungen sind im Stundentakt. Sobald wir im Wartungssektor sind, haben wir also sechzig Minuten, um runter ins Rechenzentrum zu kommen, die Daten zu extrahieren und uns der letzten Gruppe wieder anzuschließen“, erklärte sie und erinnerte Sorcha daran, was Captain Aurora im Planungsmeeting gesagt hatte: „Euer Kontakt nimmt euch in Empfang und bringt euch runter in die Wurzel. Sie denken, dass es darum geht, technische Parameter und Analysedaten zu stehlen. Die Entlohnung ist schon geregelt.“

Resiliência schien das nicht infrage zu stellen. So weit, so gut.

„Ohne die Guide Bots kommt heute niemand in die Transportsysteme. Wenn wir die verpassen, sind wir am Arsch, es wäre also besser für uns alle, wenn ihr das rechtzeitig hinkriegt.“ Resiliência ließ den Scanner wieder in ihrer Tasche verschwinden und wandte sich zum Gehen. „Na schön. Alles klar soweit? Dann los.“

Anika Beer

Über Anika Beer

Biografie

Anika Beer, Jahrgang 1983, ist Autorin, Lektorin und Neurobiologin. Die Arbeit an der Universität inspirierte sie, naturwissenschaftliche Themen wie Immunologie, Neuroinformatik oder Tissue Engineering zur Grundlage für ihre Romansettings zu machen. Als Lektorin und Autorin engagiert sie sich für...

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