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Weronika, dein Mann ist da!

Weronika, dein Mann ist da! - eBook-Ausgabe

Steffen Möller
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Wenn Deutsche und Polen sich lieben

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Weronika, dein Mann ist da! — Inhalt

Trotz allerlei Klischees, sehr unterschiedlicher Sprachen und einer schwierigen gemeinsamen Geschichte: Polnische Frauen und deutsche Männer scheinen wie füreinander geschaffen; jährlich finden Tausende Paare den Weg zum Standesamt. Was sind die Gründe für diesen Boom? Sind kulturelle Unterschiede etwa sexy? Können sie auch dem Ehealltag überraschende Farbtupfer verleihen?
Steffen Möller präsentiert einen Glücksratgeber für Paare und solche, die es werden wollen. Er kennt kreative Kosenamen („Okkupant“), erörtert typische Konflikte (Mittagessenszeit!) und weiß, weshalb ein polnischer Schwiegervater fünf deutsche Handwerker aufwiegt. Und verrät, wie man einer polnischen Partnerin beweist, dass man ein echter Romantiker ist!
Mit Step-by-Step-Anleitung zur perfekten Hochzeit!

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 05.08.2019
336 Seiten
EAN 978-3-492-99527-6
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Leseprobe zu „Weronika, dein Mann ist da!“

Prolog
Wer ist Weronika? Ist es vielleicht die Frau, deretwegen ich vor mehr als zwanzig Jahren nach Polen ging? Unzählige Male wurde ich ja schon gefragt, ob eine Frau dahintersteckte. Für viele, egal ob Deutsche oder Polen, scheint ein anderes Motiv fast gar nicht vorstellbar zu sein.
Doch meine Antwort lautete immer und ehrlich: Nein, es gab keine Frau; ich fuhr damals wirklich nur aus purer Neugier zu diesem Sprachkurs nach Krakau. Die erste polnische Frau, der ich persönlich begegnet bin, war meine Lehrerin Beata, und wie toll sie war, sieht man [...]

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Prolog
Wer ist Weronika? Ist es vielleicht die Frau, deretwegen ich vor mehr als zwanzig Jahren nach Polen ging? Unzählige Male wurde ich ja schon gefragt, ob eine Frau dahintersteckte. Für viele, egal ob Deutsche oder Polen, scheint ein anderes Motiv fast gar nicht vorstellbar zu sein.
Doch meine Antwort lautete immer und ehrlich: Nein, es gab keine Frau; ich fuhr damals wirklich nur aus purer Neugier zu diesem Sprachkurs nach Krakau. Die erste polnische Frau, der ich persönlich begegnet bin, war meine Lehrerin Beata, und wie toll sie war, sieht man daran, dass ich extra für sie ein kleines Kindergedicht auswendig gelernt habe. Aber erst viele Jahre später sahen wir uns wieder und machten eine Fahrradtour, zusammen mit ihrer heutigen Partnerin.
War Weronika dann vielleicht die zweite Polin, die ich kennenlernte? Nein, auch die hieß nicht Weronika, sondern Magda, kam aus Warschau, studierte Mongolistik, wollte zu einem Stipendium nach Ulan-Bator, irrte sich aber, wie sie sagte, in der Himmelsrichtung, und landete plötzlich in Berlin. Sie hatte am Schwarzen Brett der Humboldt-Uni eine Anzeige aufgehängt, dass sie Polnischunterricht gebe, und ich rief sie an, weil ich gerade aus Krakau zurückgekommen war und diese atemberaubende Sprache weiterlernen wollte. Dank Magdas Privatunterricht schaffte ich es tatsächlich, mir die zwölf polnischen Monatsnamen zu merken, ein Vierteljahr dauerte das. Einmal war ihre Mutter zu Besuch und bot mir ein Stück warmen Kuchen an – da fühlte ich mich schon fast verheiratet. Doch dann kam Magdas gutaussehender Freund Marcin nach Berlin und steckte während unserer Unterrichtsstunde mehrmals seinen verstrubbelten Kopf durch die Tür – da war ich wieder solo. Erst vor Kurzem habe ich Magda wiedergesehen, zusammen mit ihrer jüngsten Tochter.
Bis heute habe ich es weder zum staatlich noch zum kirchlich abgesegneten Schwiegersohn gebracht; es gelang mir lediglich, einige Jahre mit einer Warschauerin zusammenzuleben, die für kurze Zeit meine Deutschstudentin war. Die romantischen Einzelheiten dieser Beziehung habe ich bereits in einem früheren Buch ausgebreitet. Doch auch diese Frau hieß nicht Weronika, und da das Buch kein allzu großes Publikumsinteresse hervorrief, zog ich daraus den Schluss, mein Privatleben in Zukunft nicht mehr so hemmungslos auszuschlachten. Lieber erzähle ich die Liebesgeschichten anderer Leute! So bleiben der Welt auch die Details meiner zweiten langjährigen Beziehung mit einer polnischen Staatsbürgerin erspart, die aus dem Umland Warschaus kam (wo man für „Geschirr spülen“ nicht das hochpolnische „spłukać“ benutzt, sondern das regionale „potoknąć“!).
Ist es ein großer Verlust, wenn ich nicht als Betroffener, sondern meist lieber als Paartherapeut auftrete? Ich denke nicht – von einem Therapeuten will man ja auch nicht unbedingt mit seinem Privatkram belästigt werden. Wo kämen wir hin, wenn der Therapeut seinen Patienten erst mal die eigenen Trennungsgeschichten vorheulen würde? Und so konzentriere ich mich darauf, andere Leute zu Wort kommen zu lassen und höchstens dann und wann einen klugen Kommentar einzuwerfen.
Wer ist nun aber Weronika, die Titelheldin dieses Buches? Die Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Doch es muss eine tolle Frau sein. Vor einiger Zeit spazierte ich durch die Berliner Ackerstraße. An der Ecke Torstraße sah ich einen Zettel, der mit schwarzen Klebestreifen an einer Fußgängerampel angeklebt war.

!Weronika!
Wir hatten an einem Freitag/Samstag das Vergnügen, uns an Bord der MS Hoppetosse über den Weg zu laufen. Im Unterdeck hat es mir großen Spaß gemacht, gemeinsam zu blödeln und hier und da ein paar Sätze Polnisch zu lernen …dann hab ich dir aus Anerkennung eine Pokémon-Karte geschenkt. Es war leider nur eine Psycho-Energiekarte, also nichts, womit du Eindruck schinden kannst. Ich habe dich dann bedauerlicherweise während des Tanzens aus den Augen verloren; jedenfalls würde ich mich sehr freuen, dich wiederzusehen. Und keine Sorge, ich bin auch entschleunigt und bei Tageslicht noch ganz in Ordnung. Wenn du möchtest, kannst du dich melden, unter Tel. 0176-xxxxxxxx
Noch einen schönen Tag!
Tobi

Die MS Hoppetosse ist keins der flach gedrückten Berliner Ausflugsboote, die unter jeder Spreebrücke durchpassen, sondern ein chilliges Partyschiff, das permanent vor Anker liegt und drei Decks mit elektronischer Musik beherbergt. Ich war noch nie da, kann mir die Atmosphäre aber dank Tobis Stilkunst in allen Einzelheiten ausmalen. Er scheint wirklich ein entschleunigter Typ zu sein, dazu noch romantisch und sogar spendabel (die Pokémonkarte). Ich an Weronikas Stelle würde mich sofort bei ihm melden! Doch leider sagt mir eine innere Stimme, dass Weronika seine Suchanzeige nie entdeckt hat, weil sie nur kurz in Berlin war. Falls jemand sie aus Polen kennt – sie soll sich bitte umgehend bei mir melden, ich gebe ihr dann Tobis Telefonnummer. Als Gegenleistung müsste sie mir lediglich verraten, welche polnischen Sätze sie Tobi da im Morgengrauen beigebracht hat. Die Psycho-Energiekarte kann sie dagegen gerne behalten, davon habe ich selbst genug.
Hoppetosse Nacht
Das Partyschiff MS Hoppetosse in Berlin, auf dem Tobi von Weronika seine erste Polnischlektion erhielt


I. Teil
Clash der Klischees

1 Auf Schmusekurs
Vorurteil über Bord!
Weronikas und Tobis Geschichte hat mich umgehauen. Sie zeigt, wie unbeschwert und romantisch deutsch-polnische Flirts heute ablaufen können. Das ist ja meilenweit entfernt vom uralten Bauer-sucht-Frau-Klischee, das vielerorts noch durch die Köpfe spukt!
Doch Klischees sind zäh, und nach wie vor gilt, dass die Deutschen über kein anderes Land so fiese Witzchen erzählen wie über Polen. Auch die Polen ersparen den Deutschen kaum eine deftige Pointe. Und trotzdem gibt es Hunderttausende deutsch-polnischer Ehen und Partnerschaften. Polnische Frauen waren lange Zeit die beliebtesten ausländischen Ehepartnerinnen deutscher Männer und wurden erst vor wenigen Jahren von Türkinnen auf Platz zwei verdrängt.
Was zieht gewisse Menschen hüben und drüben so stark zueinander hin, dass sie alle Vorurteile über Bord werfen und sich nicht einmal von der politischen Konjunktur abschrecken lassen, die derzeit schlecht ist? Und wie viele dieser Ehen und Partnerschaften scheitern? Ach ja – und warum sind es weit mehr Verbindungen polnischer Frauen mit deutschen Männern als deutscher Frauen mit polnischen Männern?
Das sind komplizierte Fragen, und deshalb möchte ich doch wenigstens kurz erklären, mit welcher Methode ich mich, trotz Ermangelung eines Doktortitels und ohne eigenen Think Tank, an sie herantasten will.
Zum einen kann ich, wie gesagt, auf die Erfahrungen aus zwei langjährigen Beziehungen mit polnischen Frauen zurückgreifen.
Zum anderen hatte ich zeitgleich noch drei andere Ehefrauen, nämlich während meiner fünfjährigen TV-Karriere als Kartoffelbauer Stefan Müller. In der polnischen Fernsehserie „M jak Miłość“ (L wie Liebe), die bis zum heutigen Tag läuft, war ich zwar alles andere als ein Frauenversteher, eher ein schwer gehemmter Pechvogel, doch irgendwie gelang es meinem Alter Ego, sich trotz hartem deutschem Akzent in die Herzen von gleich drei TV-Dorfbewohnerinnen (hintereinander) zu daddeln. Ja, es kam so weit, dass der arme Stefan Müller die höchsten Beliebtheitswerte von allen Schauspielern der Serie erzielte und reale Schwiegermütter mir bunte Bonbonkartons, beklebte Streichholzschachteln und Fotos ihrer ledigen Töchter schickten. Von diesen strahlenden Erfolgen werde ich, im Unterschied zu meinem uninteressanten Privatleben, gerne und ausführlich berichten. Waren die Erfolge ausschließlich auf mein überragendes Schauspieltalent zurückzuführen? Nein, sie hatten wohl auch ein bisschen mit den Tricks der Drehbuchautoren zu tun. Diese trieben ein im positiven Sinn abgekartetes Spiel mit den Klischees, die sich in Polen um Deutsche ranken. Hier verbirgt sich eine kluge Strategie, der ich selbst erst ganz allmählich auf die Spur gekommen bin.

Das harte Los der Ehemänner
2006 brachte ich in Polen ein Buch heraus, das sich um die Kulturschocks eines Deutschen in Polen drehte. Anderthalb Jahre später erschien die deutsche Ausgabe unter dem Titel „Viva Polonia“ und verkaufte sich wesentlich besser als die polnische. Woran lag das? Ich wusste es nicht, nahm aber gerne die zahlreichen Einladungen an, die aus Deutschland eintrudelten. Nach vierzehn Jahren polnischer Emigration kehrte ich teilzeitmäßig ins Vaterland zurück und mietete mir sogar eine kleine Wohnung in Berlin, um all die Auftritte zwischen Kiel und Memmingen zu bewältigen. Und irgendwann entdeckte ich die Ursachen für den Verkaufserfolg: Deutschland wimmelte von deutsch-polnischen Paaren, die nach Ratschlägen bezüglich gegenseitiger Kulturschocks suchten! Sie hatten sich während eines Erasmus-Stipendiums, auf einem digitalen Partnerportal oder auch einfach bei C & A in Sindelfingen kennengelernt und saßen nun vor mir, Hand in Hand oder auch mit verschränkten Armen. Häufig kamen sie nach den Veranstaltungen zu mir, um sich ihr Buchexemplar signieren zu lassen. Manchmal passierte es allerdings auch, dass nur eine Polin erschien, während ihr deutscher Gefährte sich fünf, sechs Meter abseits hielt. Warum mied er mich? Regelrecht peinlich wurde die Sache, wenn seine Frau zu ihm hinüberrief: „Uwek, kannst du mal kommen und ein Foto von uns machen?“ So mancher Uwe grummelte dann „kein Speicherplatz mehr“ und verließ das Theater. Eines Tages begriff ich endlich, was da los war. Ein gewisser Axel, seit Jahren mit einer Polin verheiratet, schrieb mir:
„Das erste Mal habe ich Sie im polnischen Fernsehen so um 2002 gesehen. Mit weitreichenden Folgen, wie zum Beispiel der gefühlten Herabsetzung meiner Person in den Augen meiner Schwiegermutter um 75 Prozent (weil Sie so gut Polnisch sprachen und ich nicht ganz so gut). Ich war so down, dass ich mich mit der Frage zu beschäftigen begann: Braucht man fürs kanadische Nord-West-Territorium ein Einreisevisum?“
Ach so, jetzt wurde mir einiges klarer. Deswegen an dieser Stelle eine herzliche Entschuldigung an alle Ehemänner, denen ich als Vorbild vorgehalten wurde! Es handelt sich durchweg um sympathische, gutaussehende Landsleute, die vor ihrer Eheschließung mit einer Polin schlichtweg nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Seither müssen sie Polnisch lernen und ihre Gattin zweimal pro Jahr nach Polen begleiten, an Weihnachten und Ostern. Dort sitzen sie dann, mit einer schweren Kette an den Küchentisch gefesselt, und verstehen kein Wort, wenn die Schwiegermutter alle dreißig Minuten fragt: „No co, kochanie, jesteś jeszcze głodny?“ Sie nicken nur höflich – und bekommen prompt die sechste Kelle Bigos auf den Teller geklatscht. Drei Tage lang geht das so, jeder Tag bedeutet ein zusätzliches Kilo auf der Waage. Und wehe, sie versuchen irgendwelche Tricks: „Äh, sorry, ich muss mal kurz eine rauchen.“ Sofort sagt die Schwiegermutter in scharfem Ton zu ihrer Tochter: „Was ist denn mit deinem Mann los? Seit wann raucht der denn? Mag er uns nicht? Hat er was gegen Polen?“ Die Tochter übersetzt es ihrem Mann – und der sinkt seufzend wieder hinter den Tisch zurück. Schon der Opa war ja damals in Polen, und da möchte der Enkel wirklich nicht noch einmal Ärger machen!
Doch nicht nur langjährige Ehemänner schrieben mir, sondern auch solche, die es erst noch werden wollen. Ein anonymes Beispiel:
„Hallo, zunächst zu meiner Person: Ich komme aus Saarbrücken, bin 42 Jahre alt, und mit Polen verbindet mich rein gar nichts. Ich bin in Göttingen zufällig in Ihre Show gestolpert, weil ich im Hotel neben dem Theater übernachtet habe. Ich war beeindruckt von den Fotos Ihrer drei TV-Ehefrauen. Wo lerne ich solche Frauen kennen? Eine würde mir schon genügen.“
Komischerweise brachten mich solche Anfragen aber noch nicht auf die Idee, ein Buch über die Liebe zwischen Deutschen und Polen zu machen. Stattdessen schrieb ich zunächst einige andere Bücher, zuletzt über meine Warschauer Wahlheimat. Erst als ich eine überraschende Mail meiner alten Freundin Kasia erhielt, dämmerte mir langsam, dass da irgendwo in der Welt eine riesige Marktlücke klaffte. Kasia teilte mir mit, dass sie inzwischen einen Deutschen geheiratet habe, von Warschau nach München gezogen sei und dort ein Internet-Partnerportal betreibe. Als ich sie nach interessanten Fällen fragte, schlug sie mir kurzerhand vor, ein Treffen mit einigen polnischen Freundinnen zu organisieren, die mit deutschen Männern liiert sind. Ich stimmte begeistert zu, und einige Zeit später fand dieses Treffen in einer Münchner Kneipe statt, die natürlich auch einer Polin gehörte. Es erschienen mehr als vierzig Frauen. Ich war der einzige Mann im Saal, abgesehen vom deutschen Ehemann der Wirtin, der mir gelegentlich aus der Küche zuwinkte. Die Diskussion war umwerfend offen, kein Thema wurde ausgespart, das Protokoll umfasst acht Seiten, und ich werde im weiteren Verlauf des Buches immer wieder daraus zitieren.
Vier Wochen später kam es, wiederum dank Kasia, zum umgekehrten Treffen. Diesmal erschienen zwar nur acht deutsche Ehemänner polnischer Frauen, aber das Protokoll des Treffens wurde sogar noch länger. Die Herren erwiesen sich als mindestens genauso mitteilungsbedürftig wie ihre Partnerinnen, sodass ich nach vier Stunden erschöpft abbrechen musste und den Vorschlag machte, eine Münchner Selbsthilfegruppe zu gründen. Ob sie wirklich ins Leben gerufen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Falls weitere Ortsgruppen in Planung sind, komme ich gerne zur Gründungsversammlung.

Faktenhunger
Nun hätte eigentlich die Arbeit beginnen können. Ich besaß bereits ziemlich viel Material. Doch in einem Anfall von empirischem Faktenhunger postete ich noch eine Umfrage auf meiner Facebook-Seite. Sie enthielt fünf Fragen, in denen ich deutsche und polnische Partner um ihre Erfahrungen bat. Das Echo war überwältigend. Es hagelte Antworten. Zunächst waren sie noch in einem äußerst handzahmen Stil gehalten, geradezu streberhaft brav. Da konnte man um ein Haar den Eindruck gewinnen, dass alle deutsch-polnischen Partnerschaften in Glückshormonen baden und von magischer Liebe erfüllt unaufhaltsam auf die Goldene Hochzeit zusteuern. Doch ich hatte keineswegs vor, eine reine Wohlfühlbroschüre zu verfassen. Deshalb postete ich auf Facebook gleich noch eine Mahnung: Man solle mir bitte schön kritischere Berichte schicken, denn das Publikum lese nun mal lieber über Hass, Mord und Drama.
Von nun an wurden die Zuschriften interessanter. Einige streiften die Tragödie. Bei der Lektüre musste ich manches Mal heftig schlucken. Manchmal wurde nicht nur der Partner, sondern gleich auch in einem großen Aufwasch die gesamte deutsche oder gesamte polnische Kultur in die Pfanne gehauen. Das ist psychologisch leicht zu erklären. Alle Verlassenen und Verschmähten dieser Welt neigen dazu, nach einem Schuldigen für ihr Pech zu suchen. Nach einer gescheiterten Beziehung können sie meist keinen Sündenbock finden, außer dem Ex-Partner selbst. Doch bei binationalen Partnerschaften liegt die Sache anders. Man kann eine ganze Kultur, ein ganzes Land haftbar machen, Millionen von Menschen in einen Topf werfen – und darunter dann eine sehr heiße Flamme anzünden, die Flamme der Rache. Mancher und manche wird regelrecht zum Hass-Koch.
Auch im eigenen Bekanntenkreis machte ich mich auf die Suche, klopfte an die tränenbeschlagenen Fensterscheiben von Verletzten und Enttäuschten. Ich führte Interviews mit ihnen und protokollierte ihren Frust. Fast allen Unglücklichen musste ich versprechen, strikte Anonymität zu wahren, doch auch manch Glücklicher bat um Namensänderung. Ich sah darin kein Problem, ging es mir doch nicht um journalistische Authentizität. Wichtig war mir allerdings, deutsche und polnische Stimmen möglichst gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Ideal wäre, wenn am Ende des Buchs beide Seiten genau gleich sauer auf mich sind! ☺
Mehr als die Hälfte der im Folgenden zitierten Personen treten unter verändertem Namen auf, einige bestanden aber ausdrücklich auf ihrem Echtnamen. Der besseren Übersichtlichkeit halber sind alle Personen, die zum ersten Mal erwähnt werden, fett gedruckt. Nachnamen habe ich grundsätzlich weggelassen.
Allen meinen Gesprächs- und Korrespondenzpartnern möchte ich herzlich danken – vor allem auch denjenigen, deren Berichte ich aus Platzgründen diesmal leider nicht zitieren konnte. Es ist auf jeden Fall genug Material für einen Fortsetzungsband da …


2 Vom Charme der Klischees
Deutsche Klischees
Nicht alle Menschen sind so gechillt und entschleunigt wie Tobi und Weronika. Sehr häufig stehen zu Beginn einer deutsch-polnischen Liebe immer noch allerlei Vorurteile und Klischees, und zwar in beiden Ländern. Schwer zu sagen, wer da eigentlich die schlimmeren hegt. Beginnen wir mit den Deutschen.
Eine Zeit lang wollte ich dieses Buch einfach „Meine Frau ist Polin“ nennen. Der Titel gefiel mir, weil er ohne Kalauer daherkam. Trotzdem fand ich ihn witzig; er klang wie der Stoßseufzer eines Patienten beim Psychoanalytiker: „Herr Doktor, meine Frau ist Polin.“
Doch mein Berliner Freund Peter sah mich ungläubig an und protestierte scharf. Nein, das Wort „Polin“ passe gar nicht in den Titel. So könne man allenfalls ein Buch mit Altherrenwitzen nennen!
Seine Kritik bestürzte mich, denn ich gebe viel auf Peters Urteil. Er hat den siebten Sinn, was subtile Gehässigkeiten gegenüber Polen angeht. Von einer Konferenz im Berliner Auswärtigen Amt kam er einmal ironisch grinsend zurück: „Ich habe mir die Panels angehört und die Leute angeguckt. Wenn deutsche Beamte großartig verkünden, dass sie Geld für Polen geben wollen, geht es in Wirklichkeit nur darum, die Stellung der deutschen Sprache zu stärken. Meinst du, sie wollen wirklich Polen selbst helfen?“
Peter entstammt einer Spätaussiedlerfamilie, ist noch in Oberschlesien geboren, dann aber als kleiner Junge mit seinen Eltern ins Ruhrgebiet gekommen und dort zweisprachig aufgewachsen. Er arbeitet in der Versicherungsbranche und gewinnt Jahr für Jahr einen Preis als bester Berater, weil er nicht nur sympathisch und kompetent ist, sondern auch die in Deutschland lebenden Polen bestens versteht. Dieser riesige Pool potenzieller Kunden wird ja immer noch von den meisten deutschen Firmen und politischen Parteien sträflich vernachlässigt, einmal abgesehen von einer Supermarktkette, bei der es inzwischen eigene Regale mit polnischen Produkten gibt.
Ich fragte ihn, welche Assoziationen er denn bei „Polin“ habe. Das Wort sei doch völlig neutral!
Er verzog das Gesicht: „Nee. Ich kann ›Polin‹ nicht ertragen.“
„Hä?“
„Klingt furchtbar.“
Ich schaute ihn verwundert an, und dann erklärte er es mir: An dem Wort hänge eine Klischeelast, die es herunterziehe wie fünfzig Kilo Botox. „Polin“ sei kein normales Wort wie „Französin“ oder „Italienerin“. Polinnen würden im besten Fall mit Altenpflegerinnen oder Putzfrauen assoziiert. Und im schlechtesten – na ja, ich wisse ja selbst …
Ich widersprach: „Wieso denn? Polinnen haben doch einen glänzenden Ruf! Heinrich Heine hat sie die ›Weichselaphroditen‹ genannt. Karl Millöcker komponierte sogar ›Der Polinnen Reiz ist unerreicht‹.“
„Das war in der Steinzeit. Aber heute wird alles von den Kleinanzeigen in den Boulevardzeitungen überschattet. Lass die Finger von diesem Wort.“
An diesen Tipp habe ich mich, wie man sieht, gehalten, doch Peter findet leider auch den jetzigen Titel „Weronika, dein Mann ist da“ ziemlich ungeschickt. Erstens meint er, dass der alte Comedian-Harmonists-Song „Veronika, der Lenz ist da“ den polnischen Leserinnen und Lesern komplett unbekannt ist, zweitens meint er, dass „Weronika“ kein allzu typischer polnischer Frauenname ist.
Mit beiden Einwänden hat Peter sicherlich wieder einmal recht – aber sorry, ich möchte einfach Tobi helfen, seine Weronika zu finden! Trotzdem nehme ich mir Peters Ratschlag zu Herzen und bringe hier die erste Strophe des berühmten Comedian-Harmonists-Songs aus den Zwanzigerjahren in einer (eigenen) polnischen Übersetzung (siehe Buch).

Polnische Vorurteile
Auch in Polen gibt es Klischees, und sie sind gerade gegenüber deutschen Frauen recht unfreundlich. Zum Glück wissen es die meisten deutschen Touristen gar nicht und werden es auch bei einem Kurzurlaub in Masuren nicht erfahren. Mir selbst fiel es erst auf, als ich begann, mich für polnische Comedy zu interessieren. Sobald in irgendeinem Sketch eine deutsche Frau auftauchte, hieß sie „Helga“ und war eine Mischung aus strenger Gouvernante und behaartem Sexmonster. Während die deutschen Männer im polnischen Kabarett meist als verkappte Nazis herumstiefeln, stehen sie doch immerhin im Ruf, schneidig und gutaussehend zu sein. Die deutschen Frauen dagegen sind angeblich nicht nur hässlich, unweiblich und unter den Achseln unrasiert, sondern gelten darüber hinaus auch als – sexbesessen.
Verantwortlich für dieses reichlich widersprüchliche Klischee ist ein gewisser Zweig der westdeutschen Filmindustrie. In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurden aus der BRD anscheinend vor allem zwei Artikel ins kommunistische Polen geschmuggelt: Filterkaffee und Videokassetten. Jacobs Krönung und „Liebesgrüße aus der Lederhose“, Eduscho und „Reich mir den Stengel, du Bengel“, Tchibo und „Unterm Dirndl wird gejodelt“.
Ist es peinlich, das hier zu erwähnen? Sollte man diese Dinge am besten schamvoll unters Lederhöschen … pardon, unter den Teppich kehren? Nein, seien wir lieber froh und dankbar dafür, dass es auf beiden Seiten deftige Obszönitäten gibt! Dadurch kann eine Atmosphäre wechselseitiger Abschreckung entstehen. Wenn der Pole dem Deutschen mit einem gehässigen Witz kommt, etwa: „Mein Beileid! Ich habe gehört, dein Opa ist im KZ umgekommen – vom Wachturm gefallen!“, dann kontert der Deutsche bissig: „Wie kann man Autos in Luft auflösen? Mit Polenstoffdioxid!“ Und sollte der Deutsche dann noch Lust haben, eine Polin als „willig und billig“ zu bezeichnen, kann der Pole postwendend fragen, wie es eigentlich dem „Stoßtrupp Sabine“ geht. Die Konsequenz: Beide Seiten ersparen sich ihre Witze und bleiben hübsch höflich.
Übrigens beschloss Freund Peter vor Kurzem, mein Buch nun doch zu unterstützen, nämlich mit einigen Berichten aus seinem eigenen Eheleben. Hier sind seine „Zehn Gebote einer polnischen Ehefrau“ (von seiner Frau angeblich alle abgesegnet). Ja, solche Meinungsumschwünge sind typisch für ihn. Erst moralisiert er wie ein echter Deutscher, danach schaltet er auf Selbstironie um, wie ein echter Pole.

Die 10 Gebote einer polnischen Ehefrau (nach Peter)
1.Du sollst keine anderen Interessen haben außer mir, weder Fußball, Klettern noch Freunde.
2.Du sollst den Namen deiner Göttin nicht unnütz im Munde führen, zum Beispiel „Bring mir mal Bier aus dem Kühlschrank, oh du meine Göttin.“
3.Du sollst den Feiertag heiligen, am besten mit Rosen. Konkret handelt es sich um den 14. 2. (Valentinstag), den 8. 3. (Frauentag) sowie meinen Geburtstag, den Geburtstag meiner Mama, unseren Hochzeitstag, die Geburtstage unserer Kinder und Muttertag.
4.Ehre meine Mutter und meinen Vater.
5.Du sollst mich nicht schlagen, nicht mal im Scherz.
6.Du sollst nicht trinken. Wenn du dieses Gebot zehn Jahre lang peinlich genau befolgst, wird es zur Belohnung abgemildert. Dann lautet es: ›Trink nicht zu viel.‹
7.Was mein ist, sei mein, und was dein ist, sei unser, es sei denn: Schulden und Rechnungen – die sind dein.
8.Du sollst mich nicht belügen, denn ich erfahre es sowieso. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Frage nach meinem Aussehen dar.
9.Begehre nicht meine Freundinnen …
10.… noch sonst irgendeine Schlampe, die dich anlächelt.

Die untote Wanda
Nun zu einem weiteren polnischen Klischee über Deutsche, das hier nicht fehlen darf. Es geht zurück auf eine mittelalterliche Legende, die in Polen so berühmt ist wie die deutsche Legende von der Loreley, die auf dem Rheinfelsen sitzt und ihr Haar kämmt. Aber so wie in Deutschland wohl niemand erklären könnte, wie die Loreley eigentlich auf den Felsen hochgekommen ist, vermag auch in Polen kaum jemand die Wanda-Geschichte anständig nachzuerzählen. Den meisten Leuten ist nur der Titel der Legende geläufig: „Wanda, die den Deutschen nicht wollte“ (Wanda, co nie chciała Niemca). Wohl jeder deutsche Ehemann wurde schon einmal mit diesem rätselhaften Halbsatz konfrontiert, so wie jede Polin in Deutschland sich den Running Gag anhören muss, dass Polen noch nicht verloren sei … was übrigens die erste Zeile der polnischen Nationalhymne ist.
Auch ich stolperte gleich nach meiner Ankunft in Warschau über den ominösen Namen. Eine Lehrerkollegin am Gymnasium fragte mich freundlich, ob ich schon „meine Wanda“ gefunden hätte. Meinte sie etwa unsere Kollegin, die schöne Biologielehrerin? Die hieß Wanda, richtig, war aber mindestens zwanzig Jahre älter als ich … seltsam …
Der Ursprung der Legende liegt etwa im Jahr 1200, als sie von einem polnischen Bischof und Chronisten namens Kadłubek aufgeschrieben wurde. Aufgeschrieben? Das klingt so, als hätte er eine alte Überlieferung schriftlich festgehalten. Doch sehr wahrscheinlich hat er sich die ganze Story von Anfang bis Ende ausgedacht. Sein ehrenwertes Ziel war es, dem jungen Volk der Polen einen strahlenden Gründungsmythos zu geben. Und weil zu seiner Zeit noch die Vorstellung herrschte, dass die Polen von den Vandalen abstammten, kam er auf den Namen „Wanda“. Sie sollte die schöne Tochter des Königs Krak sein, des mythischen Gründers von Krakau. Kadłubek dachte sich also quasi den Sequel einer bekannten Sage aus, und das klang so: Als der König starb, folgte Wanda ihm auf den Thron. Dank ihrer weisen Herrschaft gewann sie schnell die Liebe ihrer Untertanen, blieb aber ledig und wies beharrlich alle Bewerber ab. Eines Tages erschienen wieder einmal Abgesandte und hielten im Namen ihres Herrschers Rytygier (Rüdiger) um Wandas Hand an. Wanda erteilte auch ihnen einen Korb. Prinz Rytygier aber ließ sich das nicht gefallen und trug seinen Abgesandten auf, noch einmal in Krakau anzutreten, diesmal mit einer Drohung: Wenn Wanda ihm weiterhin ihre Hand verweigere, werde er ihr Land mit Krieg überziehen! Als die Königin dies vernahm, zog sie sich sorgenvoll in ihre Gemächer zurück, dachte lange nach und verschwand schließlich bei Sonnenaufgang aus dem Schloss. Man fand sie später im Wasser der Weichsel treibend. Sie hatte sich in die Fluten gestürzt, um ihrem Volk eine Katastrophe zu ersparen – und sich selbst die Ehe mit dem Deutschen …
Heute weiß man, dass der Legendenfabrikant Kadłubek von einer falschen Voraussetzung ausging. Die Polen stammen keineswegs von den Vandalen ab, da diese überhaupt kein slawisches, sondern ein ostgermanisches Volk waren. Möglicherweise hatten sie tatsächlich eine Zeit lang an der unteren Weichsel gelebt, zogen aber zur Zeit der Völkerwanderung nach Westeuropa und weiter bis nach Nordafrika. Ihren schlechten Ruf erwarben sie sich durch allerlei Schandtaten bei der Einnahme Roms im Jahr 455. Stand heutiger Forschung ist eher, dass nicht die Polen, sondern die Deutschen von den Vandalen abstammen.
Aber es ist natürlich längst zu spät. Die Wanda-Legende wurde in Polen zum zweitwichtigsten antideutschen Mythos, gleich nach der Schlacht bei Grunwald (Tannenberg), die 1410 zur Abwechslung allerdings tatsächlich stattfand. Im 19. Jahrhundert, im Zeitalter des blühenden Nationalismus, kochte das Wanda-Thema wieder hoch, es entstanden große fünfaktige Theaterstücke, und der tschechische Komponist Antonín Dvořák schrieb 1875 sogar eine Wanda-Oper.
Bis heute wird übrigens in der Nähe von Krakau „Wandas Grabhügel“ (Kopiec Wandy) gezeigt, gleich am Ufer der Weichsel. Archäologen ermittelten, dass er vor über tausend Jahren aufgeschüttet wurde. Viel Aufwand für eine Phantomleiche! Fast bin ich verwundert, dass hier von gewissen Politikern noch nicht nachgebuddelt wurde. Ließe sich nicht beträchtliches Kapital daraus schlagen, wenn man Wandas Skelett fände: das berühmteste Opfer der Deutschen? Für zwei Prozent zusätzlicher Stimmen würden manche Leute sogar das Grab von Micky Maus öffnen lassen.

Der lange Schatten des Krieges
Doch es gibt noch eine andere Geschichte, deren Schatten auf jedes deutsch-polnische Paar fällt, und dieser Schatten ist ungleich länger als der der alten Wanda-Story. Gemeint ist natürlich die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Aus dieser Zeit wäre von unzähligen traurigen Schicksalen deutsch-polnischer Paare zu erzählen, etwa von polnischen Zwangsarbeitern, die verbotene Beziehungen mit deutschen Frauen eingingen und dafür hingerichtet wurden. Wer sich damit näher befassen möchte, sei auf das hochinteressante Buch „(Nie-)poszła za Niemca“ („Sie wollte (k)einen Deutschen“) von Piotr Roguski verwiesen, das 2018 herauskam, bislang leider nur auf Polnisch.
Nach dem Krieg waren deutsch-polnische Paare viele Jahrzehnte lang eine absolute Ausnahme. Das lag an der Abgeschlossenheit Polens hinter dem Eisernen Vorhang, aber auch an den schockierenden Erfahrungen vieler Polen mit den Deutschen während des Krieges. Kasia berichtet, dass ihre Mutter Mitte der Siebzigerjahre als Studentin in Holland arbeitete und sich dabei in einen wunderbaren Mann aus Deutschland verliebte. Sie heiratete ihn aber nicht, weil sie sich nicht vorstellen konnte, ihren Eltern einen deutschen Schwiegersohn zu präsentieren. Als Kasia ihrer Mutter dreißig Jahre später ihrerseits einen deutschen Mann vorstellte, hielt sich deren Begeisterung in Grenzen, doch sperrte sie sich nicht gegen die Beziehung.

Konfrontation mit der Vergangenheit
Die meisten deutschen Ehepartner werden wohl erst durch ihre polnischen Partner/-innen mit den deutschen Untaten in Polen während des Krieges konfrontiert. Erstaunlicherweise scheinen diese Begegnungen mit der Vergangenheit aber meistens sehr versöhnlich zu verlaufen.
Sylwia fährt jeden Sommer mit ihrem deutschen Mann nach Polen. Dort trinkt er dann Wodka mit ihrem einundneunzigjährigen Onkel, der als Junge gegen Kriegsende gefallene deutsche und sowjetische Soldaten begraben musste. Er schloss Sylwias Mann in sein Herz und erzählte ihm immer von den toten Soldaten. Nach 1989 bemühte er sich darum, dass jemand ihre sterblichen Überreste nach Deutschland brachte. Vor einigen Jahren kam endlich eine Kommission aus Katowice und exhumierte die Toten. Da sagte der alte Onkel zu Sylwias Ehemann: „Na, siehst du, Junge, jetzt haben sie deine Kollegen weggeholt.“ Danach lachten beide und tranken zusammen ein Gläschen Magenbitter.
Agnieszkas Großeltern, die in Poznań leben, freuten sich sehr über einen Deutschen in der Familie. „Ja, allen Ernstes: wirklich und gerade über einen Deutschen.“ Der Großvater ist nämlich stolz darauf, dass Posen heute in Polen für seine Ordnung und Sauberkeit bekannt ist, und bezeichnet dies als ein Verdienst der Deutschen (Posen gehörte bis 1918 zum Deutschen Reich).
Während der Kriegszeit wäre der Großvater einmal fast von einem deutschen Soldaten erschossen worden. Erst im letzten Moment wurde dem Soldaten von einem anderen Deutschen die Waffe aus der Hand geschlagen, sodass die Kugel in die Wolken ging. Der Großvater erzählte ihrem Mann diese Geschichte, so Agnieszka, um zu zeigen, dass es auch unter den Deutschen Gute und Böse gegeben habe.
Agnieszkas Großmutter wiederum arbeitete vor dem Krieg als Kindermädchen bei einer deutschen Familie (die offensichtlich zu der nach 1918 dagebliebenen deutschen Minderheit gehörte). Gegen Ende des nächsten Krieges, als die Deutschen Richtung Westen flohen, nahmen sie auch ihr Kindermädchen mit. Nach dem Krieg fuhr der Opa hin, um seine Frau zurückzuholen. Er kam zurück, den Kopf voller Eindrücke. In Deutschland habe er nette Menschen angetroffen, ein Fest im Dorf erlebt, große Bierkrüge, alle hätten an den Tischen geschunkelt … Mit der deutschen Familie, bei der die Großmutter einst gearbeitet hatte, wurde noch vierzig Jahre lang Kontakt gehalten. Dieser Verbindung hatte Agnieszka es zu verdanken, dass sie mitten im Kommunismus Pakete aus Deutschland mit hübschen Kleidchen bekam.
Peter (aber nicht mein Berliner Freund, Peter 1, sondern ein mir persönlich unbekannter Peter, den ich ab jetzt Peter 2 nennen werde) berichtet, dass seine Schwiegereltern in einem kleinen Dorf wohnen, in dem die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ein Massaker anrichteten. Heute gibt es dort ein großes Museum, das von vielen polnischen Schulklassen besucht wird. Trotzdem gewann Peter von Anfang an den Eindruck, dass die Dorfbewohner kein Problem mit ihm hatten. Eines schönen Sommertages arbeitete er bei großer Hitze unweit der Straße, zusammen mit seinem polnischen Schwager. Sie entfernten Unkraut und stapelten endlose Mengen Holz auf. Da lief ein Nachbar vorbei und sagte spöttisch: „Vor 75 Jahren haben uns die Deutschen zur Zwangsarbeit gezwungen, heute kommt der Deutsche freiwillig und macht die Drecksarbeit.“ Peter mag diesen Umgang mit der Geschichte. „Es ist nichts vergessen, wird aber nicht über die Maßen strapaziert.“

Ein Nazi im Haushalt?
So locker der Umgang mit der Geschichte auch ist – die Nazi-Assoziationen funken trotzdem noch in jede deutsch-polnische Partnerschaft hinein, und zwar nicht immer nur ironisch-lustig.
Die Deutsche Barbara beklagt sich: Immer wenn ihrem polnischen Mann etwas nicht passe, komme er sofort mit Nazi-Vergleichen. Schimpfe sie zum Beispiel mit den Kindern, heiße es von seiner Seite sofort, sie solle mit dem SS-Stil aufhören.
Markus: „Ich bin für meine Frau ständig der Nazi. Nazi ist mein zweiter Vorname.“ Einmal im Flugzeug lehnte Markus die Frage einer Stewardess, ob er etwas trinken wolle, ein wenig schroff ab (er sah gerade einen guten Film). Sofort kritisierte ihn seine Frau: „Das war jetzt nazimäßig.“ Ein andermal wollte er die Polizei benachrichtigen, weil im Treppenhaus ein Obdachloser schlief. Seine Frau warf ihm sofort wieder vor, sich wie ein Nazi zu verhalten. Er ertappt sich manchmal dabei, dass er von einer deutsch-deutschen Ehe träumt. „Ich stell mir das so schön privat vor, ohne jeden Vergleich. Da bin ich dann nur noch der Markus.“
Matthias berichtet, dass seine Frau es nicht mag, wenn er mit Schuhen in die Wohnung kommt. Am Anfang fand er das lästig und hielt sich nicht dran, doch eines Tages akzeptierte er es. Und wie kam es zu dieser Sinnesänderung? Als das Ehepaar mal wieder über die Weihnachtstage nach Polen fuhr und Matthias auch bei seinen Schwiegereltern nicht die Schuhe auszog, nahm seine Frau ihn nach drei Tagen diskret beiseite: Ihre Eltern hätten ihr gesagt, dass sie jedes Mal einen Schrecken bekämen. „Wenn dein Mann reintrampelt, denken wir immer, er möchte eine Razzia machen.“ Seitdem zieht Matthias gleich an der Türschwelle die Schuhe aus und schwebt elfengleich auf Strümpfen durch die Wohnung.
Klaus berichtet, dass der Bruder seiner polnischen Frau ihm einmal beim Spazierengehen sagte, der Holocaust sei ein solches Verbrechen gewesen, dass es wohl für alle Zeiten an den Deutschen kleben werde. Klaus stimmte dem zu, wunderte sich aber insgeheim über den feierlichen Ton, in dem sein Schwager gesprochen hatte. Er schien anzunehmen, dass die Deutschen die ganze Sache am liebsten abstreiten würden. Klaus hätte ihm gerne geantwortet: „Tut mir leid, ich kann deine Anklage nicht persönlich nehmen, denn ich betrachte die Nazi-Verbrechen genauso wie du.“
Das Erfolgsgeheimnis des Kartoffelbauers
Klischees und Vorurteile über andere Länder werden auf der Erde bis zum endgültigen Einschlag eines Meteors existieren. Sie sind überall dort eine Orientierungshilfe, wo wir über keinerlei eigene Erfahrungen verfügen. Man sollte sie deswegen auch nicht abfällig als gefährliches Halbwissen bezeichnen, sondern eher als tastendes Viertelwissen, eine Art Wikipedia des steinzeitlichen Bewusstseins. Die Schwierigkeit besteht „lediglich“ darin, sie zu bemerken und dann ein bisschen ironisch zu brechen. Wenn das gelingt, kann man mit ihnen spielen und sie sich sogar zunutze machen.
Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht, und zwar in der bereits erwähnten polnischen TV-Serie. Die Drehbuchautoren spielten auf geniale Weise mit den Klischees, die sich um Deutsche ranken. Manchmal bestätigten sie sie schlau, dann wieder schrieben sie meiner Figur Eigenschaften auf den Leib, die quer zur Erwartungshaltung des Publikums lagen. So spürte ich an der eigenen Haut, dass man auch als Ausländer niemals nur einfach hilfloses Opfer der einheimischen Klischees zu sein braucht.
Hier sind einige polnische Klischees über Deutsche, die von Kartoffelbauer Stefan Müller teils bestätigt, teils widerlegt wurden.
1.Deutsche sind wohlhabend
Im Unterschied zu vielen anderen hochgestylten Figuren der auf dem Land spielenden Serie war Stefan Müller ohne jeden modischen Chic gekleidet. Ich trug klobige Stiefel, ausgebeulte braune Cordhosen, eine unmögliche grüne Winterjacke und sah ärmer aus als der ärmste polnische Bauer. Das weckte Mitgefühl und baute Ängste vor dem vermeintlich reichen Deutschen ab.
2.Deutsche trinken Bier und fahren Mercedes
Deutsche trinken gerne Bier, und auch Stefan tat es (die Mitarbeiter der Requisite dachten sich schenkelschlagend immer neue Fantasiemarken aus). Deutsche fahren Mercedes, und auch Stefan tat es – allerdings ein zehn Jahre altes Modell. Das Alter wurde von vielen Zuschauern sehr genau zur Kenntnis genommen und als sympathische Abweichung vom Klischee gewertet. Doch merke: Man kann nur dann sympathisch vom Klischee abweichen, wenn man es im Kern bestätigt. Ein Deutscher, der kein deutsches Auto fährt, würde in Polen wohl gar nicht mehr als Deutscher empfunden werden, so wie ein Pole in Deutschland Unverständnis ernten würde, wenn er erst mal kräftig auf Papst Johannes Paul II. schimpft. „Ist das noch ein Pole?“
3.Die Deutschen wollen vom Krieg nichts mehr wissen
Niemals wurde Stefan Müller auf den Zweiten Weltkrieg angesprochen. Das heikle Thema existierte gar nicht. Auch die Fans auf der Straße fragten mich niemals nach der Vergangenheit meiner Figur. Ich selbst hätte durchaus Lust gehabt, einige Sätze dazu zu sagen, um zu zeigen, dass ich das Thema nicht unter den Teppich kehren wollte. Doch die Drehbuchautoren fanden eine elegantere Lösung: Wenn du nett bist, interessiert sich niemand dafür, was dein Großvater gemacht hat. Wenn du Interesse an Polen und an der Sprache zeigst, wird dir auch keiner unangenehme Fragen stellen. Nur bei Deutschen, die arrogant auftreten – da kommt das Thema Krieg ganz schnell auf den Tisch.
4.Deutsche haben Schäferhunde
Auch hier wich meine Figur wieder sympathisch vom Klischee ab: Ich hatte keinen scharf bellenden Schäferhund, sondern einen kuscheligen Golden Retriever, den Freund aller Kinder. Nach nichts anderem wurde ich von den Fans häufiger gefragt als nach meinem Hund „Bruder“. Wie hieß er in Wirklichkeit? War er folgsam? Wie geht es ihm heute? Habe ich noch Kontakt zu ihm? Daher mein Rat für alle Ehemänner: Wenn der Kontakt zu den polnischen Schwiegereltern am Anfang schwierig sein sollte, würde ich einfach mal beim nächsten Weihnachtsfest mit einem Hund aufkreuzen. Kann ja auch ein geliehener sein, braucht niemand zu wissen.
5.Deutsche sind immer Weltmeister
Es hätte mir gar nichts Besseres passieren können, als schon während meiner ersten Trauung von der Braut verlassen zu werden. Sie rannte aus der Kirche, weil sie in letzter Minute doch keinen deutschen Mann haben wollte. Dieser Skandal wurde zum Grundstock meiner Beliebtheit. Nun war ich der Pechvogel, und meine Warschauer Metzgerin, Pani Alicja, klopfte mir mitleidig auf die Schulter: „Pan Stefan, auch Sie finden irgendwann eine Frau, geben Sie nicht auf!“ O, wie gut tat es den Leuten, dass der Deutsche auch mal der Verlierer war. Sind die Deutschen nicht dauernd und überall Weltmeister? Und dass ich bald darauf auch noch von der zweiten Frau verlassen wurde – fantastisch! Erst mit der dritten durfte ich dann glücklich werden.
6.Deutsche sind keine Familienmenschen
Nach der gescheiterten ersten Hochzeit tauchte plötzlich Stefan Müllers Mutter auf, Simona. Sie war eine Polin, die einen Deutschen geheiratet hatte, und wollte jetzt nach ihrem armen Sohn schauen. Bald erwies sie sich als die größte Drama-Queen unter der Sonne, eine Übermutter, unter deren Launen und schrägen Ideen das ganze Dorf zu leiden hatte. Stefan war ihr größtes Opfer, hörte aber geduldig zu, wenn sie wieder ausführlich über ihre Wehwehchen lamentierte. Auch dafür gab es beim Publikum viele Extrapunkte: Sieh mal an, der Deutsche hat ja Geduld und Familiensinn – bravo!
7.Deutsche haben keinen Humor
Stefan Müller machte keine Witze und hatte weniger Humor als sein Hund. In diesem Punkt wurde also das Klischee über Deutsche vollauf bestätigt. Auch das passte mir anfangs nicht. In manchen Szenen hätte ich gerne mal ein harmloses Witzchen eingeflochten, zum Beispiel darüber, dass ich mir Sorgen um meinen schönen Mercedes machte. Doch das war verboten. Die Schauspieler hatten nur gehorsame Diener der Drehbuchautoren zu sein und durften kein einziges Wort selbst dazudichten. Im Nachhinein bedauere ich es nicht. Ironische Bemerkungen hätten mein Pechvogel-Image kaputt gemacht, denn sie hätten den Zuschauern gezeigt: Dem armen Stefan geht es in Wirklichkeit gar nicht schlecht, denn er macht ja noch Witze. Hilfsbereitschaft bringt viel mehr Sympathie als Humor! Ging also irgendwo eine Frau einsam über die Felder, kam mit Sicherheit gerade Stefan Müller in seinem Mercedes vorbeigefahren und brachte sie zur nächsten Bushaltestelle, wo sie wohlbehalten wieder ausstieg.

Vorurteile helfen im Alltag
Auch im Alltag eines deutsch-polnischen Paares kann es überraschende Vorteile mit sich bringen, dass die Partner anfangs in wechselseitigen Klischees übereinander denken. Hier einige Beispiele für Konflikte, die dank der bösen Klischees nicht weiter eskalierten.
Ich selbst lasse immer die Kühlschranktür offen stehen. Das hätte meine Ex-Partnerin bei einem polnischen Mann sehr verärgert, aber in meinem Fall überwog bei ihr die Verblüffung. Sind die Deutschen nicht alles Leute, die ihre Zahnpasta immer ordentlich auspressten und am Ende noch mit einem Messer die Tube aufschlitzten? Ich ertappte sie sogar dabei, dass sie wider Willen lachen musste, wenn sie schon wieder meine offene Kühlschranktür bemerkte.
Agnieszkas Partner trinkt abends gerne mal ein Bierchen zu viel. Wenn ein polnischer Mann das täte, würden bei ihr alle Alarmglocken schrillen, aber bei einem Deutschen hat sie keine Angst, dass er zum Alkoholiker wird. Die Deutschen sind schließlich allesamt erprobte Biertrinker! Dass es ihnen bislang nicht nachhaltig geschadet hat, sieht Agnieszka daran, dass sie weltweit nicht als schlimme Alkoholiker gelten. Die Slawen hingegen haben nach ihrer Meinung einen gefährlichen Hang zum Alkoholismus.
Jens ist Österreicher und war vom ersten Tag der Ehe an genervt davon, dass er beim Betreten der Wohnung seine Schuhe ausziehen sollte. Er fand das spießig, und einer österreichischen Ehefrau hätte er diesen Gefallen wohl nicht getan. Doch seiner polnischen Frau gegenüber kam es ihm unpassend vor, sie spießig zu nennen. In Polen ziehen halt alle Leute ihre Schuhe aus, dachte er, seine Frau kennt es nicht anders!
Annas Mann hatte, als sie ihn kennenlernte, ein vorsintflutliches Handy, in dem es noch nicht mal einen Fotoapparat gab. Das fand Anna seltsam, weil sie bisher angenommen hatte, dass die Deutschen durchweg „Vorsprung durch Technik“ haben. Umso sympathischer fand sie, dass ihr Mann nicht in das Klischee passte. Am Ende war sie es, die ihn zwang, das alte Handy wegzuwerfen und sich ein Smartphone zuzulegen. Seither hat Anna beobachtet, dass auch viele andere Deutsche so alte Telefone haben. Das hat sie dazu gebracht, das Klischee von den technikbegeisterten Deutschen total über den Haufen zu werfen. Stattdessen meint sie heute, dass in Wirklichkeit die Polen viel fortschrittlicher seien. Sogar ihre Eltern besitzen inzwischen Smartphones, während ihre deutschen Schwiegereltern noch hinterherhinken.

Machen diese Berichte nicht ein bisschen Mut? Klischees sind auf den ersten Blick meist negativ, können aber die Funktion von Schmieröl übernehmen, mit dem eine Partnerschaft glatter läuft. Wo es fehlt, reibt Metall an Metall, Individuum an Individuum. Ein Mann, der stundenlang eine Kühlschranktür offen stehen lässt, wäre für seine Frau, ob in Deutschland oder Polen, eigentlich nur ein Schussel und Stromverschwender. In einer binationalen Ehe wird er plötzlich zum Ausnahmedeutschen aufgewertet!

Steffen Möller

Über Steffen Möller

Biografie

Steffen Möller, 1969 in Wuppertal geboren, lebte von 1994 an in Warschau und pendelt heute zwischen der polnischen Hauptstadt und Berlin. Als Schauspieler und Entertainer ist er der bekannteste und beliebteste Deutsche in Polen. Für sein Wirken um die deutsch-polnische Verständigung wurde er mit dem...

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